13.100 Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Verjährungsrecht) vom 29. November 2013

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf einer Änderung des Obligationenrechts (Verjährungsrecht) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2008 M 07.3763

Verjährungsfristen im Haftpflichtrecht (N 12.3.08, Kommission für Rechtsfragen NR 06.404 und 06.473; S 2.6.08)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. November 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-1556

235

Übersicht Mit dem vorliegenden Entwurf soll das Verjährungsrecht in einzelnen Punkten verbessert und vereinfacht werden. Zentrale Revisionspunkte sind die Verlängerung der relativen Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre für Ansprüche aus Delikts- oder Bereicherungsrecht sowie die Einführung einer besonderen absoluten Verjährungsfrist von dreissig Jahren bei Personenschäden. Auf eine umfassende Vereinheitlichung des gesamten Verjährungsrechts wird zugunsten punktueller Anpassungen und Verbesserungen verzichtet.

Ausgangslage Das geltende Verjährungsrecht ist uneinheitlich und komplex, da es einerseits nach dem Rechtsgrund des Anspruchs differenziert und andererseits eine Vielzahl von Sonderregelungen enthält. Dies widerspricht den Zielen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, die mit dem Institut der Verjährung verfolgt werden. Auch sind einzelne Verjährungsfristen nach heute mehrheitlicher Auffassung zu kurz bemessen, was auch im Vergleich zum Ausland deutlich wird. Das gilt vor allem für die relative Verjährungsfrist von einem Jahr im Deliktsrecht sowie für Ansprüche aus sogenannten Spätschäden, das heisst für Schäden, die erst viele Jahre nach dem schädigenden Ereignis eintreten (Beispiel: Gesundheitsschäden aus Kontakt mit Asbest). Das Parlament hat daher den Bundesrat mit der Motion 07.3763 «Verjährungsfristen im Haftpflichtrecht» beauftragt, die Verjährungsfristen im Deliktsrecht derart zu verlängern, dass auch bei Spätschäden Schadenersatzansprüche noch gegeben beziehungsweise durchsetzbar sind.

Inhalt der Vorlage Aufgrund der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens wird darauf verzichtet, das gesamte (privatrechtliche) Verjährungsrecht zu vereinheitlichen. Stattdessen konzentriert sich die Vorlage darauf, das bisherige Recht dort, wo punktuell Mängel bestehen, zu verbessern und Unklarheiten zu beseitigen.

Ein wichtiges Element der Vorlage ist die Verlängerung der relativen Verjährungsfrist für Ansprüche aus Delikts- oder Bereicherungsrecht von einem auf drei Jahre.

Um die Geltendmachung von Spätschäden zu erleichtern, soll die absolute Verjährungsfrist von zehn auf dreissig Jahre verlängert werden, soweit es um Personenschäden geht. Hat die ersatzpflichtige Person durch ihr schädigendes Verhalten einen Straftatbestand erfüllt, soll weiterhin eine allfällige längere strafrechtliche
Verfolgungsverjährung auch für den privatrechtlichen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung gelten. Eine weitere Verlängerung der Verjährungsfristen ergibt sich aus der Streichung von Artikel 128 des Obligationenrechts, der bisher für einzelne Forderungen eine fünfjährige Verjährungsfrist vorsieht, beispielsweise für Miet- und Lohnforderungen. Neu sollen diese vertraglichen Forderungen der allgemeinen Verjährungsfrist von zehn Jahren unterliegen.

Ein weiterer Revisionspunkt betrifft den Verzicht auf die Verjährungseinrede. Die Vorlage präzisiert, unter welchen Voraussetzungen der Schuldner auf die Einrede

236

verzichten kann. Der Katalog der Hinderungs- und Stillstandsgründe wird punktuell angepasst und massvoll erweitert. Insbesondere sollen die Parteien vereinbaren können, dass die Verjährung während Vergleichsgesprächen nicht zu laufen beginnt oder stillsteht. Schliesslich sollen verschiedene Unklarheiten im Zusammenhang mit der Solidarschuld beseitigt werden.

Da Verjährungsfristen von Forderungen nicht nur im Obligationenrecht, sondern auch in zahlreichen Spezialgesetzen enthalten sind, sind diese unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten an die vorstehenden Neuerungen anzupassen, sofern sie einen engen Bezug zu den vorliegend revidierten Bestimmungen haben.

Übergangsrechtlich sind die neuen Verjährungsfristen anwendbar, falls das neue Recht eine längere Frist als das bisherige Recht vorsieht, ausser die Verjährung ist nach bisherigem Recht bereits eingetreten.

237

Inhaltsverzeichnis Übersicht

236

1

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Geltendes Verjährungsrecht 1.1.2 Mängel des geltenden Verjährungsrechts 1.1.3 Bisherige Revisionsbestrebungen 1.1.4 Vorentwurf zur Revision des Verjährungsrechts 1.2 Die beantragte Neuregelung 1.3 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 1.3.1 Standpunkte und Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren 1.3.2 Anpassung des Vorentwurfs 1.4 Rechtsvergleich 1.4.1 Ausländisches nationales Recht 1.4.2 Harmonisierungsbemühungen und Internationales Recht 1.5 Umsetzung 1.6 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

239 239 239 240 242 242 244 246

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 2.1 Obligationenrecht 2.2 Übrige Änderungen des bisherigen Rechts

251 251 264

3

Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.2 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie Berggebiete 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 3.3.1 Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der Verjährung und verlängerter Verjährungsfristen 3.3.2 Rechtsökonomische Überlegungen 3.3.3 Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen

277 277

4

5

246 246 247 247 249 251 251

277 278 278 280 281

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates 4.1 Verhältnis zur Legislaturplanung 4.2 Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

284 284 284

Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungs- und Gesetzmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.3 Erlassform

284 284 284 284

Literaturverzeichnis

285

Obligationenrecht (Revision des Verjährungsrechts) (Entwurf)

287

238

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Geltendes Verjährungsrecht

Gegenstand der Verjährung bildet die Entkräftung von Forderungen durch Zeitablauf1. Die Verjährung ist nach schweizerischer Auffassung ein Institut des materiellen Rechts2. Mit dem Ablauf der Verjährungsfrist erwächst dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht: Er kann die Forderung des Gläubigers zurückweisen und die Erfüllung wirksam verweigern. Die Forderung erlischt jedoch nicht, sondern wird zu einer sogenannten Naturalobligation, die gegen den Willen des Schuldners nicht durchsetzbar ist, aber weiterhin rechtswirksam erfüllt werden kann3. Von der Verjährung ist die Verwirkung zu unterscheiden. Diese hat zur Folge, dass das betreffende Recht untergeht4.

Gegenstand der Verjährung sind Forderungen, das heisst relative Rechte auf Leistung. Die Leistung kann in einem Tun, Dulden oder Unterlassen bestehen. Die absoluten Rechte (dingliche Rechte, Immaterialgüterrechte und Persönlichkeitsrechte), Gestaltungsrechte ­ also die Befugnis, durch einseitige Willenserklärung die Rechtsstellung eines anderen zu verändern5 ­ sowie ganze Vertragsverhältnisse unterliegen dagegen nicht der Verjährung.

Mit der Verjährung werden gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung einerseits die öffentlichen Interessen der Rechtssicherheit, der Rechtsklarheit und des Rechtsfriedens verfolgt6. Andererseits soll der Schuldner vor der Ungewissheit der Inanspruchnahme von zeitlich länger zurückliegenden Forderungen und damit einer unbeschränkten Aufbewahrungspflicht für Zahlungsbelege geschützt werden. Im Interesse der Schaffung klarer Rechtsverhältnisse ist ein erwünschter Nebeneffekt der Verjährung, dass sie den Gläubiger dazu anspornt, seine Forderungen innert vernünftiger Frist geltend zu machen und die Austragung von Streitigkeiten darüber nicht zu verzögern. Ist der Gläubiger während längerer Zeit untätig, obwohl er Kenntnis von seiner Forderung hat, macht dies die Unbegründetheit oder die Tilgung der Forderung wahrscheinlich oder kann sogar als Verzicht auf die Forderung gedeutet werden7.

Das geltende Privatrecht enthält keine einheitliche Ordnung des Verjährungsrechts.

Die allgemeinen Bestimmungen über die Verjährung privatrechtlicher Forderungen sind im dritten Titel des Obligationenrechts (OR)8 enthalten, der sich mit dem Erlöschen von Obligationen befasst (Art. 127­142 OR). Danach beträgt die Verjährungsfrist
grundsätzlich zehn Jahre und beginnt mit der Fälligkeit der Forderung zu laufen (Art. 127 und 130 OR). Die Verjährungsfrist kann unter Umständen gehindert wer1 2 3 4 5 6 7 8

Gauch/Schluep/Emmenegger 2008, N 3269; Schwenzer 2012, N 83.01.

BGE 118 II 447 E. 1b/bb.

BGE 99 II 185 E. 2b; 133 III 6 E. 5.3.4.

Gauch/Schluep/Emmenegger 2008, N 3386.

Gauch/Schluep/Schmid 2008, N 65.

BGE 137 III 16 E. 2.1.

BGE 137 III 16 E. 2.1; vgl. zu den Aufgaben der Verjährung Spiro 1975, S. 8 ff.

SR 220

239

den, stillstehen oder unterbrochen werden (Art. 134 ff. OR). Diese Bestimmungen gelten grundsätzlich für sämtliche privatrechtliche Forderungen, also auch für jene, die aus Tatbeständen des Personen-, Familien-, Erb- und Sachenrechts entstehen und ausserhalb des OR geregelt sind.

Ergänzend zu den Artikeln 127­142 OR kommt den Artikeln 60 und 67 OR innerhalb des Privatrechts besondere Bedeutung zu. Nach Artikel 60 Absatz 1 OR verjähren Ansprüche auf Schadenersatz oder Genugtuung aus unerlaubter Handlung (Delikts- oder auch Haftpflichtrecht) in einem Jahr von dem Tag hinweg, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Haftpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tag der schädigenden Handlung an gerechnet. Wird der Anspruch aus einer strafbaren Handlung abgeleitet, für die das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so gilt diese auch für den Zivilanspruch (Art. 60 Abs. 2 OR). Die in verschiedenen haftpflichtrechtlichen Spezialgesetzen enthaltenen besonderen Regelungen sind Artikel 60 OR nachgebildet oder verweisen auf diese Bestimmung. Demgegenüber regelt Artikel 67 Absatz 1 OR die Verjährung von Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung. Diese verjähren mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Verletzte von seinem Anspruch Kenntnis erhalten hat, in jedem Fall aber mit Ablauf von zehn Jahren seit der Entstehung des Anspruchs.

Daneben gibt es zahlreiche Sonderbestimmungen, sei es im allgemeinen oder besonderen Teil des OR, im Zivilgesetzbuch (ZGB)9 oder in sonstigen Gesetzen, die von den allgemeinen Verjährungsbestimmungen abweichen. So sind in zahlreichen Sonderregelungen längere, ausnahmsweise auch kürzere Verjährungsfristen vorgesehen (beispielsweise eine relative Frist von zwei, drei oder fünf Jahren [Art. 83 Abs. 1 SVG10, Art. 5 Abs. 1 nKHG11, Art. 32 Abs. 1 GTG12, Art. 760 Abs. 1 OR] oder eine absolute Frist von dreissig Jahren [Art. 32 Abs. 1 GTG]). Auch zum Beginn des Fristenlaufs bestehen Sonderregelungen (beispielsweise Beginn am Tag des Unfalls oder am Tag des Schadensereignisses [Art. 83 Abs. 1 SVG, Art. 39 Abs. 1 RLG13]).

Die Verjährung öffentlich-rechtlicher Forderungen richtet sich grundsätzlich nach den dafür vorgesehenen Bestimmungen des öffentlichen Rechts. Bei Fehlen gesetzlicher Bestimmungen ist auf öffentlich-rechtliche
Regeln für verwandte Sachverhalte abzustellen. Fehlen auch diese, kann das Gericht die privatrechtlichen Bestimmungen analog anwenden oder selbst eine Regelung aufstellen14.

1.1.2

Mängel des geltenden Verjährungsrechts

Das geltende Verjährungsrecht ist uneinheitlich und komplex, da es einerseits nach dem Rechtsgrund des Anspruchs differenziert und andererseits eine Vielzahl von Sonderregelungen enthält. Dies widerspricht den Zielen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, die mit dem Institut der Verjährung verfolgt werden. Soweit keine 9 10 11 12 13 14

240

SR 210 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG), SR 741.01.

Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 13. Juni 2008 (KHG, BBl 2008 5339, hier 5341); noch nicht in Kraft.

Gentechnikgesetz vom 21. März 2003 (GTG), SR 814.91.

Rohrleitungsgesetz vom 4. Oktober 1963 (RLG), SR 746.1.

Vgl. Meier 2013, passim.

spezifischen Unterschiede im anspruchsbegründenden Recht bestehen, sind solche rechtlichen Diskrepanzen nicht gerechtfertigt und der Kohärenz der Rechtsordnung abträglich. So erscheint es beispielsweise heute kaum gerechtfertigt, dass vertragliche Ansprüche aufgrund ihres Inhalts oder teilweise auch nur für eine bestimmte Vertragspartei unterschiedlichen Verjährungsfristen unterliegen: Artikel 127 OR statuiert eine allgemeine Verjährungsfrist von zehn Jahren und Artikel 128 OR sieht für bestimmte Forderungen eine kürzere Frist von fünf Jahren vor. Ebenso lassen die geltenden Bestimmungen zu Verjährungsabreden und Verjährungsverzicht sowie die diesbezügliche Rechtsprechung verschiedene Fragen bisher ungelöst, und auch bei der Handhabung der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist im Rahmen von Artikel 60 Absatz 2 OR bestehen zahlreiche umstrittene Fragen15.

Ein weiterer Mangel ist die Länge der Verjährungsfristen, insbesondere für Forderungen aus Deliktsrecht, die im Vergleich mit ausländischen Rechtsordnungen kurz sind (vgl. Ziff. 1.4). Dies betrifft zum einen die relative Frist von einem Jahr (Art. 60 Abs. 1 OR), zum anderen die (absolute) Verjährungsfrist von zehn Jahren (Art. 60 Abs. 1 und 127 OR). Im letzteren Fall läuft die Frist bereits ab dem Zeitpunkt des schädigenden Verhaltens beziehungsweise dessen Beendigung. Für deliktsrechtliche Schadenersatzforderungen ergibt sich dies bereits aus dem Wortlaut von Artikel 60 Absatz 1 OR. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt dies in gleicher Weise auch für Forderungen auf Schadenersatz oder Genugtuung wegen Verletzung vertraglicher Pflichten, sodass die Verjährung sogleich ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung beginnt und nicht erst, wenn die Folgen der Pflichtverletzung erkennbar sind16. Dies hat zur Folge, dass Ersatzforderungen verjähren können, bevor die geschädigte Person ihren Schaden überhaupt wahrgenommen hat, ja bevor überhaupt ein Schaden entstanden und objektiv feststellbar ist. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist dies mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK17) vereinbar18.

Besonders stossend erscheint diese Rechtslage in Fällen gesundheitlicher Beeinträchtigungen, in denen der Schaden aufgrund langer Latenzzeiten erst mit längerer zeitlicher Verzögerung eintritt. Allgemein spricht man in diesen Fällen
von sogenannten Spätschäden oder auch Langzeitschäden19. Bekanntes Beispiel sind durch Asbest verursachte Personenschäden20. Weiter sind Fälle von Schädigungen durch ionisierende Strahlung und Schädigungen durch medizinische Behandlungen oder Eingriffe zu nennen. Weil die betroffenen Rechtsgüter Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit als besonders wertvoll und gegenüber reinen Vermögensschäden besonders schützenswert gelten, erscheint es stossend, Ersatzansprüche geschädigter Personen gerade in diesen Fällen unabhängig von allen weiteren Haftungsvoraussetzungen an der Verjährung scheitern zu lassen.

15 16 17 18

19 20

Vgl. Begleitbericht zum Vorentwurf, S. 12 f.

BGE 137 III 16 E. 2.

Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101.

Vgl. BGE 134 IV 297; 136 II 187; 137 III 16. Die Frage der Konventionskonformität dieser Rechtsprechung bildet derzeit Gegenstand zweier laufender Verfahren gegen die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.

Vgl. zur Frage der Vereinbarkeit von Artikel 60 Absatz 1 OR mit der EMRK auch Schöbi 2012, S. 417 ff. m.w.H.

Vgl. etwa Rey 2008, N 224b.

Vgl. BGE 136 II 187; 137 III 16.

241

Insgesamt ist damit der Revisionsbedarf des Verjährungsrechts ausgewiesen. Im Vordergrund stehen dabei folgende drei Revisionsziele, die auch in der Vernehmlassung mehrheitlich Zustimmung fanden: Vereinheitlichung des Verjährungsrechts, Verlängerung der Verjährungsfristen und Beseitigung von Unklarheiten.

1.1.3

Bisherige Revisionsbestrebungen

Mit dem Ziel der Vereinheitlichung des gesamten Haftpflichtrechts, namentlich mit Blick auf die Voraussetzungen und die Wirkungen der Haftung sowie das Verhältnis von Haftung und Versicherung, wurden zwischen 1988 und 2003 umfangreiche Arbeiten im Hinblick auf eine Gesamtrevision des Haftpflichtrechts durchgeführt.

Im Vorentwurf von 1999 waren auch Anpassungen und Neuerungen im Verjährungsrecht vorgesehen, so beispielsweise die Verlängerung der relativen Verjährungsfrist von einem Jahr auf drei Jahre beziehungsweise der absoluten Verjährungsfrist von zehn auf zwanzig Jahre21. Nach Durchführung und Auswertung der Vernehmlassung zu diesem Vorentwurf entschied der Bundesrat im Januar 2004, diese Gesamtrevision nicht weiter zu verfolgen und nicht in das Gesetzgebungsprogramm 2004­2007 aufzunehmen.

1.1.4

Vorentwurf zur Revision des Verjährungsrechts

Entstehungsgeschichte Am 11. Oktober 2007 reichte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats die Motion 07.3763 «Verjährungsfristen im Haftpflichtrecht» ein. Die Motion wurde vom Bundesrat am 28. November 2007 zur Annahme empfohlen und am 12. März 2008 vom Nationalrat22 und am 2. Juni 2008 vom Ständerat23 einstimmig überwiesen. Mit der Motion wurde der Bundesrat beauftragt, die Verjährungsfristen im Deliktsrecht derart zu verlängern, dass auch bei Spätschäden Schadenersatzansprüche noch gegeben beziehungsweise durchsetzbar sind. Hintergrund dieser Motion war die im Zusammenhang mit Spätschäden, insbesondere wegen Asbest, gemachte und als unbillig erachtete Feststellung, dass nach geltendem Recht Schadenersatzansprüche verjähren können, bevor die geschädigte Person den erlittenen Schaden bemerkt.

In der Folge erarbeitete das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zuhanden des Bundesrats ein Aussprachepapier zum weitere Vorgehen. Am 21. Januar 2009 nahm der Bundesrat vom Aussprachepapier Kenntnis und beauftragte das EJPD mit der Erarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage zur Änderung des Obligationenrechts und allenfalls derjenigen Spezialgesetze, welche das Verjährungsrecht zum Gegenstand haben. Gleichzeitig verzichtete er auf die Wiederaufnahme einer umfassenden Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts (vgl. Ziff. 1.1.3).

21

22 23

242

Vorentwurf, erläuternder Bericht und die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sind im Internet veröffentlicht unter www.bj.admin.ch > Themen > Wirtschaft > Gesetzgebung > Abgeschlossene Projekte > Haftpflichtrecht.

AB 2008 N 230 f.

AB 2008 S 365.

Im Jahr 2009 entwickelte das Bundesamt für Justiz (BJ) ein Normkonzept, das den wesentlichen Inhalt der beabsichtigten Revision in Form von Thesen (inkl. Varianten) aufzeigte, indes noch keine ausformulierten Normtexte enthielt. Dieses Normkonzept wurde Expertinnen und Experten aus Praxis und Wissenschaft zugestellt und anschliessend an einem halbtägigen Hearing am 5. Februar 2010 diskutiert24.

Gestützt auf die Ausführungen der Experten und das Normkonzept erarbeitete das BJ den Vorentwurf und den erläuternden Bericht dazu und gab den Experten erneut die Möglichkeit zur Stellungnahme. Der Vorentwurf wurde vom Bundesrat am 31. August 2011 verabschiedet und in die Vernehmlassung geschickt25.

Kernpunkte des Vorentwurfs Basierend auf einer Analyse der Mängel des geltenden Rechts (vgl. Ziff. 1.1.2) enthielt der Vorentwurf die folgenden Kernpunkte:

24

25

­

Vereinheitlichung des gesamten Verjährungsrechts: Durch eine vollständige Vereinheitlichung sämtlicher Verjährungsregeln des Privatrechts sollten die verschiedenen bestehenden Verjährungsregimes für vertragliche, deliktsrechtliche und bereicherungsrechtliche Ansprüche harmonisiert und zu einem einzigen, für sämtliche privatrechtlichen Ansprüche anwendbaren Verjährungsregime vereinfacht werden.

­

Konzept der doppelten Fristen: Das vereinheitlichte Verjährungsrecht sollte aus einer subjektiv bestimmten, relativen Verjährungsfrist von drei Jahren und einer objektiv festgelegten, absoluten Verjährungsfrist von zehn beziehungsweise dreissig Jahren bestehen.

­

Verlängerung der Verjährungsfristen: Mit den genannten Fristen von neu drei Jahren (relativ) beziehungsweise zehn Jahren (absolut) sollten die Verjährungsfristen insbesondere für Ansprüche aus Deliktsrecht gegenüber dem geltenden Recht verlängert werden. Für Forderungen aus Personenschäden wurde vorgeschlagen ­ und zwar unabhängig vom Entstehungsgrund, also auch für solche aus Vertrag ­, die absolute Verjährungsfrist neu auf dreissig Jahre zu verlängern, um damit die Geltendmachung von Ersatzforderungen bei Spätschäden zu verbessern.

­

Besonderer Fristbeginn bei Schadenersatzansprüchen: Im Interesse der Rechtssicherheit sollte der Fristbeginn bei Schadenersatzforderungen jeglichen Ursprungs auf den Zeitpunkt des den Schaden verursachenden Verhaltens festgelegt werden.

­

Abänderbarkeit der Verjährungsfristen: Als Ausgleich zur vereinheitlichten Verjährungsordnung sollte im Gegenzug die Abänderbarkeit der Verjährungsfristen weitgehend zugelassen werden.

­

Abschaffung der ausserordentlichen Verjährungsfrist für Forderungen aus strafbaren Handlungen: Vor dem Hintergrund der vorgeschlagenen Verlän-

Dieser Expertengruppe gehörten folgende Personen an: Prof. Stephen V. Berti, Prof.

Christine Chappuis, Prof. Wolfgang Ernst, Prof. Stephan Fuhrer, Prof. Frédéric Krauskopf, PD Dr. iur. Peter Loser, Prof. Pascal Pichonnaz, Prof. Pierre Wessner, Prof. Pierre Widmer.

Vorentwurf und Begleitbericht zur Revision des Verjährungsrechts, August 2011, abrufbar unter www.bj.admin.ch > Themen > Wirtschaft > Gesetzgebung > Verjährungsfristen im Privatrecht.

243

gerung und angesichts zahlreicher Schwierigkeiten in der Praxis sollte die Regelung von Artikel 60 Absatz 2 OR aufgehoben werden.

­

Keine Revision der Solidarschuld: Auf die Revision der Regelungen über die Solidarschuld sollte verzichtet werden, jedoch die Unterbrechungswirkung in Bezug auf solidarisch haftende Versicherer klargestellt werden.

Vernehmlassungsverfahren Das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf wurde vom Bundesrat am 31. August 2011 eröffnet und dauerte bis zum 30. November 2011. Zur Teilnahme eingeladen wurden die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien sowie weitere interessierte Organisationen. Stellung nahmen 23 Kantone, 5 politische Parteien und 69 Organisationen. Ausserdem reichten 6 weitere Teilnehmer eine Stellungnahme ein (zum Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens siehe Ziff. 1.3.1).

1.2

Die beantragte Neuregelung

Die mit der vorliegenden Botschaft beantragte Neuregelung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom Vorentwurf (siehe zu den Unterschieden Ziff. 1.3.2). Die zentralen Punkte der vorliegenden Revision sind: ­

Verlängerung der kurzen relativen Verjährungsfrist: Die relative Verjährungsfrist für Forderungen aus Delikts- oder Bereicherungsrecht wird von einem Jahr auf drei Jahre verlängert.

­

Schaffung einer neuen dreissigjährigen absoluten Verjährungsfrist für Personenschäden: Neu wird eine besondere absolute Verjährungsfrist von dreissig Jahren für Forderungen aus Personenschaden eingeführt, damit die Geltendmachung von Ersatzforderungen nicht wie bisher an der Verjährung scheitert. Sie gilt sowohl für Ansprüche aus Vertrag als auch für solche aus unerlaubter Handlung. Auf eine gesetzliche Verlängerung der Aktenaufbewahrungsfrist von derzeit zehn Jahren wird hingegen verzichtet (siehe hierzu die Erläuterungen zu Art. 60 Abs. 1bis und 128 E-OR).

­

Überarbeitung der ausserordentlichen Verjährungsfrist für Forderungen aus strafbaren Handlungen: Mit der neuen Regelung soll sichergestellt werden, dass Zivilansprüche, die sich aus strafbaren Handlungen herleiten, nicht an der Verjährung scheitern, wenn es zu einer erstinstanzlichen strafrechtlichen Verurteilung kommt. Der Anspruch verjährt daher frühestens mit Ablauf von drei Jahren seit Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils. Kommt es zu keinem strafrechtlichen Urteil (z.B. weil gar nicht erst eine Strafuntersuchung eröffnet wurde), verjähren die Zivilansprüche frühestens mit Ablauf der strafrechtlichen Verfolgungsverjährungsfrist.

­

Streichung der bisherigen besonderen Verjährungsfrist von fünf Jahren für bestimmte vertragliche Forderungen: Die besondere kurze Verjährungsfrist in Artikel 128 OR wird ersatzlos gestrichen. Alle vertraglichen Forderungen verjähren damit gemäss Artikel 127 OR nach zehn Jahren, soweit das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt.

244

­

Regelung des Verjährungsverzichts: Die Möglichkeiten und Modalitäten des Verzichts auf die Verjährungseinrede werden klarer geregelt. Der Schuldner kann ab Beginn der Verjährung auf die Verjährung verzichten. Ein Verzicht darf jeweils für höchstens zehn Jahre erklärt werden und muss schriftlich erfolgen. Nur der Verwender von allgemeinen Geschäftsbedingungen darf darin auf die Verjährung verzichten, nicht aber die Gegenpartei.

­

Änderungen der Hinderungs-, Stillstands-, und Unterbrechungsgründe: Diese werden punktuell angepasst und massvoll erweitert. Die Erweiterung betrifft den neuen Unterbrechungsgrund der Vergleichsgespräche, Mediationsverfahren oder andere Verfahren zur aussergerichtlichen Streitbeilegung. Die Hinderung, der Stillstand oder die Unterbrechung der Verjährung durch derartige Verfahren treten allerdings nur dann ein, wenn die Parteien dies schriftlich vereinbaren.

­

Beseitigung von Unklarheiten im Zusammenhang mit der Solidarschuld: So wird klargestellt, dass die Unterbrechung der Verjährung nur dann gleichermassen gegenüber allen Solidarschuldnern, Mitschuldnern einer unteilbaren Leistung und Bürgen wirkt, wenn sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht. In allen anderen Fällen wirkt die Unterbrechung nur gegenüber dem betreffenden Solidarschuldner, Mitschuldner oder Bürgen (namentlich die Anerkennung der Schuld durch einen Solidarschuldner).

­

Anpassung des Übergangsrechts: Artikel 49 Schlusstitel ZGB, der in allgemeiner Weise übergangsrechtliche Fragen der Verjährung regelt, wird neu gefasst und klarer geregelt. Dabei gilt der Grundsatz, dass das neue Recht anwendbar ist, falls es eine längere Frist als das bisherige Recht vorsieht.

Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Verjährung nach bisherigem Recht noch nicht eingetreten ist. Das neue Recht führt somit unter der genannten Voraussetzung zu einer Verlängerung laufender Verjährungsfristen. Umgekehrt bleibt eine Forderung, die verjährt ist, auch mit Inkrafttreten des neuen Rechts verjährt.

Da Fristen für die Verjährung von Forderungen nicht nur im OR, sondern auch in zahlreichen Spezialgesetzen enthalten sind, sind diese ebenfalls an die vorstehenden Neuerungen anzupassen, sofern sie einen engen Bezug zu den vorliegend revidierten Bestimmungen haben. Gleichzeitig wird die Gelegenheit dazu genutzt, die Spezialgesetze hinsichtlich der Verjährungsbestimmungen so weit wie möglich zu vereinheitlichen und massvoll an die Bestimmungen des OR anzugleichen. Dadurch soll eine möglichst grosse Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung erreicht werden. Die Annäherung erfolgt jedoch unter Berücksichtigung beziehungsweise unter Vorbehalt der Besonderheiten des betreffenden Spezialgesetzes.

245

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

1.3.1

Standpunkte und Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren

Die Mehrzahl der Teilnehmer äusserte sich in einer Gesamtbewertung des Vorentwurfs ausdrücklich oder überwiegend positiv26. So begrüssten sämtliche Kantone, die sich vernehmen liessen, mit einer Ausnahme den Vorentwurf insgesamt. Auch sämtliche Parteien, die sich äusserten, bewerteten den Vorentwurf positiv. Eine Mehrheit von 34 der teilnehmenden Organisationen äusserte sich in ihrer Gesamtbewertung ebenfalls positiv.

Gleichzeitig beurteilten aber 21 Organisationen den Vorentwurf überwiegend negativ und lehnten ihn insgesamt ab. Von den nicht offiziellen Teilnehmern äusserten sich ein Teilnehmer klar positiv und einer klar negativ. Den weiteren Stellungnahmen, die sich teilweise auf bestimmte Aspekte oder spezifische Punkte des Vorentwurfs beschränken, liess sich keine eindeutige Gesamtbewertung entnehmen.

Zu den einzelnen Kernpunkten der Vernehmlassungsvorlage machten wiederum viele Teilnehmer detaillierte Ausführungen, die sich teilweise sehr kritisch mit den Vorschlägen des Vorentwurfs auseinandersetzten.

1.3.2

Anpassung des Vorentwurfs

Der Bundesrat nahm am 29. August 2012 vom Ergebnis der Vernehmlassung Kenntnis und beauftragte das EJPD, gestützt darauf eine Botschaft auszuarbeiten.

Aufgrund der zahlreichen kritischen Stellungnahmen in der Vernehmlassung wurde der Vorentwurf in wesentlichen Punkten überarbeitet.

Die wichtigsten Änderungen gegenüber dem Vorentwurf sind: ­

Verzicht auf eine Vereinheitlichung des gesamten Verjährungsrechts: Wie in der Vernehmlassung mit guten Gründen vorgebracht wurde, darf das Ziel der Vereinheitlichung nicht verabsolutiert werden, weshalb teilweise Ausnahmebestimmungen vorzusehen wären. Diese unterlaufen aber gerade das angestrebte Ziel der Vereinheitlichung, sodass im Ergebnis nicht viel gewonnen wäre. Bei einer erneuten Prüfung dieser Frage ist der Bundesrat daher zum Schluss gekommen, dass die Vorteile einer Vereinheitlichung deren Nachteile nicht aufzuwiegen vermögen. Das Ziel der Vereinheitlichung wird aber nicht gänzlich aufgegeben, sondern gezielt und massvoll in einzelnen Punkten vorangetrieben (Streichung der Ausnahmetatbestände des Art. 128 OR, Vereinheitlichung der Verjährungsbestimmungen in diversen Sondererlassen).

­

Verzicht auf das Konzept der doppelten Fristen: Mit dem Verzicht auf eine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts wird auch das Konzept der doppelten Fristen in Frage gestellt, da dieses eine zentrale Voraussetzung für die Vereinheitlichung ist. Konsequenterweise wird auf die Einführung dieses

26

246

Vgl. ausführlich dazu den Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, August 2012, abrufbar unter www.bj.admin.ch > Themen > Wirtschaft > Gesetzgebung > Verjährungsfristen im Privatrecht.

Konzepts verzichtet. Damit wird zugleich der Ablehnung des Konzepts durch einen grossen Teil der Vernehmlassungsteilnehmer Rechnung getragen.

­

Keine gesetzliche Regelung zum Fristbeginn bei vertraglichen Schadenersatz- und Genugtuungsansprüchen: Als weitere Folge des Verzichts auf eine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts wird die ausdrückliche Regelung des Fristbeginns bei vertraglichen Schadenersatz- und Genugtuungsansprüchen im Gesetz hinfällig. Anzumerken ist, dass der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Beginn der absoluten Verjährungsfrist bei Spätschäden (siehe vorne Ziff. 1.1.2) dadurch Rechnung getragen wird, dass eine absolute Verjährungsfrist von dreissig Jahren bei Personenschäden eingeführt werden soll (Art. 128 E-OR).

­

Keine erweiterte Abänderbarkeit der Verjährungsfristen: Aufgrund der mehrheitlichen Ablehnung in der Vernehmlassung wird auf eine Erweiterung der Abänderbarkeit der Verjährungsfristen verzichtet und an der weitgehenden Unabänderlichkeit festgehalten. Dafür werden der Verjährungsverzicht neu geregelt und Unklarheiten beseitigt sowie ein neuer Hinderungs- und Stillstandsgrund im Fall von Vergleichsgesprächen eingeführt (siehe Ziff. 1.2).

­

Beibehaltung der ausserordentlichen Verjährungsfrist für Forderungen aus strafbaren Handlungen: Die Stellungnahmen in der Vernehmlassung haben den Bundesrat schliesslich bewogen, nicht auf ausserordentliche Verjährungsfrist für Forderungen aus strafbaren Handlungen zu verzichten, sondern diese vielmehr neu zu formulieren, um bestehende Unklarheiten zu beseitigen (siehe Ziff. 1.2).

­

Keine Rückwirkung durch Übergangsrecht: Der Vorentwurf sah in einer Variante zu Artikel 49 Schlusstitel ZGB vor, dass Forderungen auch dann nach neuem Recht verjähren sollen, wenn sie zwar nach bisherigem Recht, nicht aber nach neuem Recht absolut verjährt sind. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung überwiegend sehr kritisch und ablehnend beurteilt.

Der Bundesrat verzichtet daher darauf, diese Variante weiterzuverfolgen.

Gemäss Revisionsentwurf bleibt eine Forderung, die bereits verjährt ist, auch nach neuem Recht verjährt.

1.4

Rechtsvergleich

1.4.1

Ausländisches nationales Recht

Zur Vorbereitung des Vorentwurfs hat das BJ das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung (SIR) beauftragt, ein rechtsvergleichendes Gutachten betreffend das Verjährungsrecht in Deutschland, Frankreich, England und Dänemark zu erstellen. Untersucht wurden insbesondere das Konzept des Verjährungsrechts, dessen Anwendungsbereich und die Modalitäten der Verjährungsfristen. Das Gutachten ergibt zusammenfassend folgendes Ergebnis (Stand: 28. Februar 2011)27: 27

Das Gutachten ist abrufbar unter www.bj.admin.ch > Themen > Wirtschaft > Gesetzgebung > Verjährungsfristen im Privatrecht; vgl. auch die rechtsvergleichende Darstellung bei Zimmermann 2002, S. 62 ff.

247

­

Reformen: Die Verjährungsrechte von Deutschland, Frankreich und Dänemark wurden kürzlich revidiert. Der englische Limitation Act stammt von 1980; auf dessen Reformbedürftigkeit wird in England jedoch verstärkt hingewiesen.

­

Konzepte: Die modernen Verjährungssysteme (Deutschland, Frankreich, Dänemark) enthalten lediglich ein allgemeines Verjährungsregime, das unabhängig vom Entstehungsgrund eines Anspruchs anwendbar ist und somit auch ausservertragliche Ansprüche umfasst. Zu unterscheiden ist dabei, ob der Fristbeginn durch subjektive (Deutschland und Frankreich) oder objektive Elemente (Dänemark) ausgelöst wird. Das dänische objektive System sieht jedoch zusätzlich einen allgemeinen Suspensionsgrund vor, der den Beginn des Fristenlaufs verschiebt, wenn keine fahrlässige Unkenntnis von Anspruch oder Schuldner vorliegt. Beide Konzeptionen kennen folglich subjektive Elemente und unterscheiden sich in ihren praktischen Ergebnissen kaum. In England besteht demgegenüber kein allgemeines Verjährungsregime. Verjährungsrechtlich ist stets nach dem Anspruchsgrund zu differenzieren, was praktisch bedeutsame Abgrenzungsprobleme mit sich bringt.

­

Fristen: Die allgemeinen Fristen betragen in Deutschland und in Dänemark drei, in Frankreich fünf Jahre. In England bestehen besondere Fristen zwischen einem Jahr und zwölf Jahren. Die subjektiven Elemente können den Verjährungsbeginn erheblich verzögern. Deshalb sehen viele Systeme eine maximale, objektive Höchstfrist vor. Diese Fristen betragen zwischen zehn und dreissig Jahren. Das deutsche Recht kennt eine selbstständige ­ ebenfalls den Hemmungsgründen unterliegende ­ Höchstfrist. In England, Frankreich und Dänemark gilt die Höchstfrist dagegen als Begrenzung der allgemeinen Frist, die von den Hemmungsgründen nicht berührt wird. Das französische Recht kennt für Personenschäden keine Höchstfrist.

­

Sonderregelungen: Neben dem allgemeinen Regime bestehen überall auch verjährungsrechtliche Sonderbestimmungen. Diese sind sowohl im Verjährungsrecht der Zivilgesetzbücher selbst als auch in Sondergesetzen geregelt.

­

Unterbrechung und Hemmung: Die Unterbrechung und Hemmung der Verjährung sind teilweise vom nationalen Prozessrecht beeinflusst. Dementsprechend ergeben sich vergleichsweise viele Besonderheiten. Gewisse Unterbrechungsgründe finden sich aber regelmässig, so etwa die Schuldanerkennung, die Einleitung gerichtlicher Schritte oder Vollstreckungshandlungen gegen den Schuldner. Betreffend die Hemmungsgründe bestehen Unterschiede: Die blosse Aufnahme von Verhandlungen zur Konfliktlösung zwischen den Parteien beispielsweise führt in Deutschland, England und Dänemark zur Hemmung der Verjährung, in Frankreich hingegen muss ein formelles Mediationsverfahren aufgenommen werden.

­

Abänderbarkeit: Deutschland, Frankreich und England gehen im Grundsatz davon aus, dass das Verjährungsrecht weitgehend dispositiv ist. In Dänemark ist hingegen die vertragliche Abänderung nur sehr eingeschränkt möglich: Die Abänderung im Voraus zum Nachteil des Schuldners ist ausgeschlossen. Auch auf Seiten eines Gläubigers, der Konsument ist, ist das gesetzliche Verjährungsrecht zu seinem Nachteil im dänischen Recht nicht veränderbar. Instrumente des Konsumentenschutzes können auch in anderen

248

Rechtsordnungen die Abänderbarkeit der Verjährung beschränken (z.B. in Frankreich die Dauer der Verjährungsfrist).

1.4.2

Harmonisierungsbemühungen und Internationales Recht

Modellregelwerke Principles of European Contract Law (PECL) Die Kommission für Europäisches Vertragsrecht (Lando-Kommission) hat in den Jahren 2001/2003 im Anschluss an die Teile I und II der Principles of European Contract Law (PECL) Grundregeln eines Europäischen Verjährungsrechts verabschiedet (Art. 14:101­14:601 PECL). Die allgemeine Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (Art. 14:201 PECL). Sie beginnt im Zeitpunkt, in dem der Schuldner seine Leistung zu erbringen hat, für Schadenersatzansprüche im Zeitpunkt der schädigenden Handlung (Art. 14:203 PECL). Die allgemeine Frist ist aber gehemmt, solange der Gläubiger die Person des Schuldners oder die Umstände, auf denen sein Anspruch beruht, nicht kennt und vernünftigerweise nicht kennen kann (Art. 14:301 PECL). Artikel 14:302 bis 14:306 PECL regeln weitere Hemmungsgründe (z.B.

Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens, fehlende Geschäftsfähigkeit, Erbfall und Führen von Vergleichsverhandlungen). Die Verjährungsfrist darf durch Hemmung jedoch höchstens auf zehn Jahre, bei Ansprüchen wegen Verletzung persönlicher Rechtsgüter auf dreissig Jahre verlängert werden (Art. 14:307 PECL). Neben den Hemmungsgründen kennen die PECL auch Gründe, die den Neubeginn der Frist zur Folge haben (Anerkennung des Anspruchs durch den Schuldner [Art. 14:401 PECL] und Vollstreckungsversuch des Gläubigers [Art. 14:402 PECL]). Die Parteien können schliesslich die Voraussetzungen der Verjährung, insbesondere die Verlängerung oder Verkürzung der Fristen, vertraglich abändern. Die Verjährungsfrist darf aber nicht auf weniger als ein Jahr verkürzt oder auf mehr als dreissig Jahre verlängert werden (Art. 14:601 PECL).

Draft Common Frame of Reference (DCFR) Gestützt auf die PECL hat die Study Group on a European Civil Code (SGECC) und die Research Group on EC Private Law (Acquis Group) Anfang 2008 der Europäischen Kommission einen Draft Common Frame of Reference (DCFR) vorgelegt. Es handelt sich dabei um einen akademischen Entwurf für die Kodifikation des europäischen Vertragsrechts und angrenzender Rechtsgebiete. Das Regelwerk geht im Unterschied zu den PECL über das Vertragsrecht hinaus und umfasst insbesondere auch das Deliktsrecht. Das Verjährungsrecht wird in Buch III, Kapitel 7, geregelt (III.-7:101­III.-7:601 DCFR). Der DCFR übernimmt weitgehend die Vorschläge aus den
PECL28: Die regelmässige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (III.-7:201 DCFR). Die Verjährung läuft aber nicht, solange der Gläubiger von seinem Forderungsrecht keine Kenntnis hat oder vernünftigerweise keine Kenntnis davon haben muss (III.-7:301 DCFR). Diese Frist ist durch eine Maximalfrist von zehn Jahren, bei Personenschäden von dreissig Jahren, beschränkt (III.-7:307 DCFR). Die Parteien können die Verjährungsfristen grundsätzlich abändern; sie sind allerdings an

28

Vgl. Ernst 2011, S. 67 ff.

249

eine Minimalfrist von einem Jahr und eine Maximalfrist von dreissig Jahren gebunden (III.-7:601 DCFR).

Unidroit Principles of International Commercial Contracts (PICC) Das Verjährungsrecht wird auch in den (nichtstaatlichen) Unidroit Principles of International Commercial Contracts (PICC) von 2010 geregelt (Art. 10.1­10.11 PICC), die auf internationale Handelsverträge ausgerichtet sind. Nach Artikel 10.2 PICC verjähren Ansprüche nach drei Jahren ab dem Tag, an dem der Gläubiger die Tatsachen, aufgrund deren sein Recht ausgeübt werden kann, kennt oder kennen musste, spätestens aber nach zehn Jahren seit dem Tag, an dem das Recht ausgeübt werden kann. Die Parteien können diese Verjährungsfristen abändern, müssen aber Minimal- und Maximalfristen beachten (Art. 10.3 PICC). Die Verjährungsfrist beginnt von neuem, wenn der Schuldner das Recht des Gläubigers anerkennt (Art. 10.4 PICC). Sie kann sodann gehemmt werden (Art. 10.5­10.8 PICC; z.B.

Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens, eines Schiedsverfahrens oder eines Insolvenzverfahrens sowie bei höherer Gewalt, Tod oder fehlender Geschäftsfähigkeit).

Die Fristen werden auch gehemmt, wenn die Parteien mithilfe einer Drittperson versuchen, ihren Streit aussergerichtlich beizulegen (Art. 10.7 PICC).

Verjährungsübereinkommen (VerjÜbk) Am 14. Juni 1974 verabschiedete eine diplomatische Konferenz in New York das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Verjährung beim internationalen Warenkauf (VerjÜbk). Es wurde am 11. April 1980 durch ein Protokoll abgeändert, um es dem räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Wiener Kaufrechts29 anzupassen. Die Schweiz ist weder dem Übereinkommen noch dem Protokoll beigetreten. Der Anwendungsbereich des Übereinkommens beschränkt sich auf vertragliche Ansprüche, die sich aus einem internationalen Kaufvertrag ergeben. Die Verjährungsfrist beträgt vier Jahre (Art. 8 VerjÜbk). Sie beginnt grundsätzlich im Zeitpunkt der Fälligkeit zu laufen (Art. 9 VerjÜbk), für Ansprüche aus Vertragsverletzungen jedoch bereits im Zeitpunkt der Verletzungshandlung (Art. 10 VerjÜbk).

Die Verjährungsfrist kann unterbrochen werden (Art. 13­21 VerjÜbk; z.B. Einleitung eines Gerichts- oder Schiedsverfahrens, Tod oder Konkurs des Schuldners, Anerkennung durch den Schuldner, höhere Gewalt). Ungeachtet dessen verjähren Ansprüche aber
spätestens nach zehn Jahren seit Fälligkeit beziehungsweise Vertragsverletzung (Art. 23 VerjÜbk). Eine vertragliche Abänderung ist grundsätzlich unzulässig (Art. 22 VerjÜbk).

Zivilrechtsübereinkommen über Korruption (SEV Nr. 174) Das Zivilrechtsübereinkommen über Korruption wurde am 4. November 1999 vom Europarat angenommen. Die Schweiz beabsichtigt derzeit keine Ratifikation des Übereinkommens30. Es hat zum Ziel, auf europäischer Ebene gemeinsame Regeln betreffend die Bekämpfung der Korruption im Bereich des Zivilrechts zu definieren.

Artikel 7 des Übereinkommens sieht für Ansprüche eine relative Verjährungsfrist von mindestens drei Jahren und eine absolute Frist von mindestens zehn Jahren vor.

29 30

250

Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf, SR 0.221.211.1.

Zehnter Bericht über die Schweiz und die Konventionen des Europarates vom 27. Februar 2013, BBl 2013 2145, hier 2171 f.

1.5

Umsetzung

Grundsätzlich bedürfen die vorgeschlagenen Anpassungen bestehender Bundesgesetze keiner weiteren Umsetzung in Verordnungen. Die vorgeschlagenen Anpassungen in bestimmten Spezialgesetzen werden aber zu punktuellen Anpassungen an das neue Recht in Ausführungsverordnungen des Bundes (so namentlich Art. 113 BPV31) sowie gegebenenfalls aufgrund entsprechender Verweise auch im kantonalem Recht führen, insbesondere soweit anderenfalls Widersprüche oder Unklarheiten entstünden oder wenn eine übereinstimmende Anpassung prüfenswert erscheint (so beispielsweise Art. 23 und 24 ZSV32 und Art. 13 der Verordnung über das Eidgenössische Starkstrominspektorat33).

1.6

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Es wird beantragt, den folgenden parlamentarischen Vorstoss als erledigt abzuschreiben: 2008 M 07.3763

Verjährungsfristen im Haftpflichtrecht (N 12.3.08, Kommission für Rechtsfragen NR 06.404 und 06.473; S 2.6.08)

Der Bundesrat wird mit dieser Motion beauftragt, die Verjährungsfristen im Deliktsrecht derart zu verlängern, dass auch bei Spätschäden Schadenersatzansprüche noch gegeben beziehungsweise durchsetzbar sind, insbesondere die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen zufolge Asbestexposition. Mit der vorgeschlagenen Verlängerung der relativen Verjährungsfrist auf neu drei Jahre (Art. 60 Abs. 1 und Art. 67 Abs. 1 E-OR) sowie insbesondere der neuen absoluten Verjährungsfrist von dreissig Jahren bei Personenschäden (Art. 60 Abs. 1bis und Art. 128 E-OR) wird die Motion erfüllt.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

2.1

Obligationenrecht

Art. 60 Abs. 1, 1bis und 2 Absatz 1: Nach bisherigem Recht beträgt die relative Verjährungsfrist für Ansprüche auf Schadenersatz oder Genugtuung aus unerlaubter Handlung ein Jahr, die absolute Verjährungsfrist hingegen zehn Jahre. Der Fristbeginn ist dabei unterschiedlich geregelt: Während die relative Frist mit dem Tag beginnt, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und der Person des Schädigers erlangt, ist für die absolute Frist der Tag der schädigenden Handlung massgebend. Im Schrifttum wird die relative Frist als zu kurz bemängelt34. Dieser Befund wird durch einen Vergleich 31 32 33 34

Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (BPV), SR 172.220.111.3.

Zivilschutzverordnung vom 5. Dezember 2003 (ZSV), SR 520.11.

SR 734.24 Vgl. etwa Chappuis 2012, S. 72; Müller 2012, Art. 60 OR N 10; Rey 2008, N 1605; a.M. Honsell 2012, S. 109 f.

251

mit ausländischen Rechtsordnungen bestätigt, die nur vereinzelt Verjährungsfristen von weniger als drei Jahren kennen (siehe Ziff. 1.4)35. Die relative Verjährungsfrist soll daher auf drei Jahre verlängert werden.

Neben der Verlängerung der relativen Verjährungsfrist wird der Beginn der absoluten Verjährungsfrist in Absatz 1 ­ und ebenso im neuen Abs. 1bis ­ inhaltlich und sprachlich im Sinne der herrschenden Lehre und Rechtsprechung präzisiert. Einerseits passt die Formulierung im geltenden Recht nicht auf jene Fälle, in denen das schädigende Ereignis wiederholt eintritt oder in einer dauerhaften Handlung besteht.

Nach Lehre und Rechtsprechung beginnt die absolute Verjährungsfrist erst mit dem letzten Tag der schädigenden Handlung oder mit dem Tag, an dem das schädigende Verhalten aufhört36. Andererseits erwähnt der geltende Gesetzeswortlaut lediglich die schädigende «Handlung», obwohl nach unbestrittener Auffassung nicht nur eine Handlung beziehungsweise ein Tun, sondern auch eine Unterlassung anspruchsbegründend und damit fristauslösend sein können; massgebend ist dabei der Zeitpunkt, in dem die ersatzpflichtige Person spätestens hätte handeln sollen37. Durch die neue Formulierung «mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte» soll beides nunmehr im Gesetz klargestellt werden.

Die restlichen Anpassungen in Absatz 1 sind lediglich redaktioneller Natur und bezwecken keine Rechtsänderung. In der französischen Fassung wird der bisherige, in Bezug auf Kenntnis der Person des Schädigers zu enge Wortlaut («connaissance de la personne qui en est l'auteur») der deutschen und italienischen Sprachfassung angepasst. Mit Ausnahme der Dauer der relativen Frist bleiben somit Lehre und Rechtsprechung zu dieser Bestimmung weiterhin anwendbar.

Absatz 1bis: Bei Schadenersatzforderungen kann die absolute Verjährungsfrist bei verzögertem oder schwer erkennbarem Schadeneintritt zur Verjährung führen, bevor ein Schaden entstanden oder erkannt worden ist (siehe Ziff. 1.1.2). Längere Latenzperioden treten vor allem bei Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen auf (z.B. durch Asbest, gewisse Medikamente oder radioaktive Stoffe). Die Verletzung der körperlichen Integrität wird in diesen Fällen häufig erst nach mehr als zehn Jahren seit dem
schädigenden Verhalten bemerkbar. Der Gesetzgeber hat daher zu bestimmten Gesundheitsrisiken Spezialvorschriften aufgestellt, so beispielsweise im Zusammenhang mit Radioaktivität38. Spezialvorschriften bergen jedoch die Gefahr, dass einzelne Gesundheitsrisiken unberücksichtigt bleiben, insbesondere wenn eine neue Technologie erst viele Jahre nach Markteinführung unerwartete Schädigungen verursacht. Daher soll sowohl im Bereich der deliktsrechtlichen Haftung (Abs. 1bis Satz 1) als auch im Bereich der vertraglichen Haftung (Art. 128 E-OR) eine besondere absolute Verjährungsfrist für bestimmte Spätschäden eingeführt werden. Konkret soll für Forderungen aus Personenschäden eine absolute Verjährungsfrist von dreissig Jahren gelten. Personenschäden können entweder infolge einer Körperverletzung oder einer Tötung eintreten (vgl. Art. 45­47 OR).

35 36 37 38

252

Vgl. auch Zimmermann 2002, S. 86 ff., der auf den Trend hin zu kürzeren Fristen im Ausland hinweist, wobei drei Jahre jeweils die untere Grenze sind.

BGE 92 II 1 E. 5b; 109 II 418 E. 3 und 4; präzisierend BGE 127 III 257 E. 2b/bb; Rey 2008, N 1644 m.w.H.

Siehe Fellmann/Kottmann 2012, N 3057; Rey 2008, N 1637 m.w.H.

Siehe Art. 10 und 13 des Kernenergiehaftpflichtgesetzes vom 18. März 1983 (SR 732.44), Art. 5 und 11 nKHG sowie Art. 40 des Strahlenschutzgesetzes vom 22. März 1991 (StSG; SR 814.50).

Die Frist von dreissig Jahren mag bezüglich «gewöhnlicher» Personenschäden unnötig lange erscheinen, namentlich wenn diese unmittelbar nach dem schädigenden Verhalten offenkundig sind und leicht ermittelt werden können. Gerade in solchen Fällen wird aber in der Regel gleichzeitig die relative dreijährige Verjährungsfrist ausgelöst, mit deren Ablauf Ansprüche aus solchen Personenschäden verjähren. Dadurch bleibt gewährleistet, dass der Gläubiger seine Forderungen innert vernünftiger Frist geltend macht und die Austragung von Streitigkeiten darüber nicht verzögert wird. Der praktische Anwendungsbereich der besonderen absoluten Verjährungsfrist ist damit ­ wie erwünscht ­ im Ergebnis auf Spätschäden fokussiert. Bezüglich des Beginns der absoluten Verjährungsfrist und der Länge der relativen Verjährungsfrist kann auf die Erläuterungen zu Artikel 60 Absatz 1 E-OR verwiesen werden. Spezialgesetzliche Regelungen werden durch den neuen Absatz 1bis nicht berührt und gehen diesem als lex specialis vor, so beispielsweise Artikel 32 GTG.

Alternativ zur Einführung einer absoluten Verjährungsfrist von dreissig Jahren, die mit dem schädigenden Verhalten beginnt, wäre es beispielsweise denkbar, die Verjährung erst mit dem Schadenseintritt beziehungsweise mit der Fälligkeit beginnen zu lassen39. Dies hätte den Vorteil, dass sämtliche Spätschäden erfasst würden und nicht nur solche, die innerhalb von dreissig Jahren seit dem schädigenden Verhalten einen nachweisbaren Schaden verursachen. So beträgt der Zeitraum, in dem eine Asbestexposition zu einer Erkrankung führen kann, nach heutigem Kenntnisstand 15 bis 40 Jahre40. Gegen eine solche Regelung spricht nicht zuletzt das Interesse der (potenziell) ersatzpflichtigen Person, ab einem im Voraus bestimmbaren Zeitpunkt darüber Gewissheit zu haben, ob gegen sie durchsetzbare Forderungen bestehen oder nicht. Dies ist auch im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, anstelle einer besonderen absoluten Frist eine längere «Höchstfrist» vorzusehen, die weder gehemmt noch unterbrochen werden kann41. Dies würde jedoch das Verjährungsrecht durch die Einführung einer neuartigen Kategorie von Verjährungsfristen noch komplizierter machen. Durch die fehlende Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeit und die damit einhergehende
Unverrückbarkeit der Höchstfrist würde zudem das willkürliche Element akzentuiert, das jeder Festlegung einer Frist letztlich inhärent ist.

Der Bundesrat verzichtet darauf, gleichzeitig mit der Einführung der längeren absoluten Verjährungsfrist für Personenschäden eine Anpassung der gesetzlichen

39

40 41

So etwa Honsell 2012, S. 111 und Portmann/Streuli-Nikoli 2011, S. 31 f.; vgl. auch Werro 2011, N 1541, der auf den Zeitpunkt abstellt, in welchem die Verletzung zum ersten Mal objektiv wahrnehmbar ist. Für weitere Möglichkeiten siehe etwa Krauskopf 2011, S. 8: z.B. Einräumung einer Nachfrist von 6­12 Monaten, falls die absolute Frist von zehn Jahren bereits abgelaufen ist.

BGE 137 III 16 E. 2.4.4.

So sieht etwa der Entwurf einer Gruppe schweizerischer Rechtsprofessorinnen und -professoren zu einer Totalrevision des allgemeinen Teils des OR («OR 2020») in Artikel 151 eine «Höchstfrist» von dreissig Jahren vor; vgl. Thouvenin/Purtschert 2013, Vor Art. 148­162 OR N 11 ff. und Art. 151 OR 1 ff.

253

Bestimmungen über die Aktenaufbewahrungspflicht vorzuschlagen42. Es ist Sache der potenziellen Schädiger zu beurteilen, welche Unterlagen sie über die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen hinaus archivieren und aufbewahren möchten. Insbesondere steht es ihnen frei, Unterlagen zu vernichten, zu deren Aufbewahrung sie rechtlich nicht (mehr) verpflichtet sind. Dies kann sich zuungunsten der Geschädigten auswirken, da diese für Ansprüche auf Schadenersatz oder Genugtuung nach den allgemeinen Regeln die Beweislast tragen (Art. 8 ZGB) und somit auf Geschäftsunterlagen des Schädigers angewiesen sein können43. Anders verhält es sich, soweit die Beweislast hinsichtlich bestimmter Faktoren ausnahmsweise dem Schädiger obliegt.44 Die längere absolute Verjährungsfrist kann stets nur dazu beitragen, dass Ansprüche aus Spätschäden weniger häufig an der Verjährung scheitern als bisher, aber an den Beweisschwierigkeiten (insb. hinsichtlich Schaden, Kausalität und Verschulden, soweit nicht ausnahmsweise eine Kausalhaftung besteht) ändert sie nichts.

Auch verschlechtert sich die Beweislage tendenziell mit zunehmender Dauer seit dem schädigenden Verhalten, wobei sich dies nicht einseitig zulasten einer bestimmten Partei auswirken muss. Diesen Schwierigkeiten kann jedoch nicht mit den Mitteln des Verjährungsrechts begegnet werden. Es wäre aber unverhältnismässig, aus diesem Grund die Aktenaufbewahrungspflicht ebenfalls auf dreissig Jahre zu verlängern. Eine bloss punktuelle Verlängerung der Aktenaufbewahrungsfrist ­ beschränkt auf Unterlagen, die für Spätschäden relevant sind oder sein könnten ­ wäre kaum praktikabel, da die potenziellen Schädiger kaum Anhaltspunkte hätten, um zu entscheiden, welche Unterlagen aufzubewahren sind. Besonders augenfällig ist das in jenen Fällen, in denen eine neue Technologie lange nach ihrer Einführung zu Schädigungen führt, die bei ihrer Einführung nicht bekannt waren und auch nicht bekannt sein mussten. Denkbar ist wiederum, dass sich potenzielle Schädiger beispielsweise aus versicherungsrechtlichen Gründen dazu veranlasst sehen, in Zukunft Unterlagen über die gesetzliche Aufbewahrungsfrist hinaus aufzubewahren.

Neben der Verjährung bestehen für Geschädigte bei der Geltendmachung von Personenschäden mit einer längeren Latenzperiode in der Praxis oft noch weitere (Beweis-)Schwierigkeiten,
welche im Rahmen der Vorlage nicht direkt gelöst werden können. Ungeachtet dessen erscheint die vorgeschlagene Verlängerung der Verjährungsfristen als wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Möglichkeiten, entsprechende Schadenersatzansprüche im Rahmen des geltenden Haftpflichtrechts gerichtlich geltend zu machen.

Absatz 2: Die Verlängerung der relativen Verjährungsfrist auf drei Jahre (Art. 60 Abs. 1 E-OR) und die Einführung einer absoluten Verjährungsfrist von dreissig 42

43

44

254

Gemäss allgemeiner Regelung von Art. 958f Abs. 1 OR sind die Geschäftsbücher und die Buchungsbelege sowie der Geschäftsbericht und der Revisionsbericht während zehn Jahren aufzubewahren. Vgl. daneben auch die Aufbewahrungspflichten nach Art. 70 des Mehrwertsteuergesetzes vom 12. Juni 2009 (MWSTG), SR 641.20, Art. 42 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG), SR 642.14, und Art. 126 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG), SR 642.11, sowie weitere spezialgesetzlich geregelte Aufbewahrungspflichten, so z.B. im Zollrecht oder im Gesundheitsrecht.

Ob der Geschädigte im Streitfall diese Unterlagen vom Schädiger herausverlangen kann, hängt davon ab, ob er über einen entsprechenden Editionsanspruch verfügt. Dieser kann sich aus dem Prozessrecht (z.B. Art. 160 Abs. 1 Bst. b der Zivilprozessordnung [ZPO, SR 272]) oder aus dem materiellen Recht (z.B. Art. 170 Abs. 2 ZGB und Art. 400 Abs. 1 OR) ergeben.

Z.B. dem behandelnden Arzt hinsichtlich der Erfüllung seiner Aufklärungspflicht und der Einwilligung seines Patienten, vgl. BGE 133 III 121 E. 4.1.3.

Jahren bei Personenschäden (Art. 60 Abs. 1bis E-OR) führen zu einer wesentlichen Verbesserung der Rechtsstellung der Geschädigten, weshalb im Vorentwurf die Abschaffung der besonderen Verjährungsfrist gemäss Artikel 60 Absatz 2 OR vorgeschlagen wurde45. In der Vernehmlassung stiess dieser Vorschlag auf ein geteiltes Echo und wurde nur von einem Teil der Teilnehmer als eine Vereinfachung des Verjährungsrechts begrüsst. Der andere Teil der Teilnehmer lehnte die Abschaffung ab, da es sich um eine bewährte Verknüpfung zum Schutz der Opfer handle46. Der Bundesrat verzichtet nach erneuter Prüfung auf die Aufhebung dieser besonderen Verjährungsfrist, schlägt aber eine Umformulierung der Bestimmung vor: Absatz 2 soll primär verhindern, dass der Geschädigte seine privatrechtlichen Ansprüche infolge Verjährung nicht mehr geltend machen kann, obschon der Schädiger strafrechtlich verurteilt wird. Diese Situation kann sich vor allem dann ergeben, wenn die strafrechtliche Verfolgungsfrist (Art. 97 StGB47) länger ist als die privatrechtliche Verjährungsfrist. Auch ist an den Fall zu denken, dass ein Geschädigter wegen ungünstiger Prozessaussichten darauf verzichtet, seine privatrechtlichen Ansprüche adhäsionsweise oder selbstständig geltend zu machen. Kommt es in der Folge zu einer strafrechtlichen Verurteilung, wäre es stossend, die Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche an der Verjährung scheitern zu lassen48.

Absatz 2 bestimmt daher, dass der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung frühestens mit Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung verjährt. Gegenüber der bisherigen Bestimmung werden verschiedene ­ aber nicht alle ­ in Lehre und Rechtsprechung umstrittene Punkte geklärt:

45 46 47 48 49

50

­

Absatz 2 gilt sowohl gegenüber der relativen als auch gegenüber der absoluten Verjährungsfrist und läuft parallel zu diesen, was durch den Vorbehalt der vorstehenden Absätze 1 und 1bis und den Zusatz «frühestens» zum Ausdruck gebracht wird49. Die Anwendung der Bestimmung braucht folglich nur dann geprüft zu werden, wenn der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung nach Massgabe von Absatz 1 oder 1bis verjährt wäre.

­

In der Lehre besteht keine Einigkeit darüber, wie lange die neu laufende Verjährungsfrist ist, wenn die Frist von Artikel 60 Absatz 2 OR unterbrochen wird. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung löst die Unterbrechung der Verjährung im Sinne von Artikel 135 OR nur dann eine neue Frist in Höhe der ursprünglichen längeren strafrechtlichen Dauer aus, wenn die verjährungsunterbrechende Handlung vor Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung erfolgt50. Indem die längere Frist gemäss Absatz 2 neu parallel und damit unabhängig von den Fristen gemäss Artikel 60 Absatz 1 und 1bis E-OR läuft, hat eine Unterbrechung dieser Fristen künftig keine Wirkung auf den Lauf der Frist gemäss Absatz 2 Satz 1. Dauer, Beginn und Ende der strafrechtlichen ­ seit der StGB-Revision von 2002 nicht unterBegleitbericht zum Vorentwurf, S. 21 f.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 14 f.

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB), SR 311.0.

So auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Zweck von Art. 60 Abs. 2 OR, siehe BGE 137 III 481 E. 2.3 m.w.H.

Siehe unter dem bisherigen Recht zur Streitfrage, ob die Verlängerung nur gegenüber der absoluten Frist gelte, BGE 106 II 213 E. 2; 107 II 151 E. 4a; 111 II 429 E. 2d; Rey 2008, N 1684 ff.

BGE 131 III 430 E. 1.2; 137 III 481 E. 2.5; zu den verschiedenen Lehrmeinungen siehe Rey 2008, N 1682 f. In den übrigen Fällen löst die Unterbrechung eine neue Verjährungsfrist nach Massgabe des Privatrechts aus.

255

brechbaren ­ Verfolgungsverjährung richten sich ausschliesslich nach den strafrechtlichen Vorschriften (Art. 97 und 98 StGB). Dies gilt auch für die Frage, unter welchen Voraussetzungen nicht nur erstinstanzliche Urteile, sondern auch Strafbefehle, Strafbescheide und Strafverfügungen die strafrechtliche Verfolgungsverjährung beenden51 und damit als «erstinstanzliche Strafurteile» im Sinne von Artikel 60 Absatz 2 Satz 2 E-OR gelten. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne von Artikel 97 Absatz 3 StGB sowohl verurteilende Erkenntnisse als auch Freisprüche zu verstehen52.

­

Absatz 2 Satz 2 sieht vor, dass mit der Eröffnung53 des erstinstanzlichen Strafurteils eine neue Verjährungsfrist von drei Jahren zu laufen beginnt. Ab diesem Zeitpunkt hat der Geschädigte die Möglichkeit, vom Strafurteil Kenntnis zu nehmen, sei es, weil ihm dieses zugestellt wird, oder sei es, weil er auf anderem Weg davon erfährt, was insofern mit dem Beginn der relativen Verjährungsfrist gemäss Artikel 60 Absatz 1 und 1bis E-OR vergleichbar ist. In dieser Kenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Ergebnisse und Erkenntnisse eines Strafverfahrens gegen einen Schädiger soll der Geschädigte über die Geltendmachung seiner Zivilansprüche gegen diesen entscheiden können. Dies ist namentlich dann von Bedeutung, wenn der Geschädigte wegen ungünstiger Prozesschancen bisher von einer Geltendmachung seiner Ansprüche absah. Es ist Sache des Geschädigten zu beurteilen, ob die Erkenntnisse aus dem Strafverfahren für einen erfolgreichen Zivilprozess gegen den Straftäter ausreichen. Dabei muss er auch beachten, dass sich das Strafurteil im Rahmen des Rechtsmittelzuges noch ändern kann, was in einem Zivilverfahren grundsätzlich auch zu berücksichtigen wäre. Diese Unsicherheit könnte nur dadurch beseitigt werden, dass man die neue Frist von drei Jahren erst mit dem rechtskräftigen Strafurteil beginnen liesse, doch erscheint eine nochmalige Verlängerung der privatrechtlichen Verjährungsfrist zulasten des Schädigers nicht gerechtfertigt. Dies gilt umso mehr, als die neue Frist von drei Jahren eine gewöhnliche Verjährungsfrist ist, die gemäss Artikel 135 OR unterbrochen werden kann. Mit der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährungsfrist von drei Jahren (Art. 137 Abs. 1 OR).

Die Anwendung der längeren Verjährungsfrist gemäss Absatz 2 setzt gleich wie unter geltendem Recht voraus, dass der Schädiger durch sein Verhalten die objektiven und subjektiven Merkmale eines Straftatbestands erfüllt hat54. Die verletzte Strafnorm muss dem Schutz der Rechtgüter dienen, wegen deren Verletzung der Geschädigte Schadenersatzansprüche geltend macht55. Dass der Straftäter deswegen bestraft wurde56 oder bestraft werden kann57, ist hingegen nicht erforderlich. Ebenso 51 52 53

54 55 56 57

256

Art. 97 Abs. 3 StGB erwähnt nur erstinstanzliche Urteile; siehe hierzu Zurbrügg 2013, Art. 97 StGB N 58 ff.

BGE 139 IV 62 E. 1.5.

Im Unterschied dazu endet die strafrechtliche Verfolgungsfrist bereits mit der Fällung des Urteils und nicht erst mit dessen späteren Eröffnung (vgl. Art. 97 Abs. 3 StGB und BGE 130 IV 101 E. 2.3).

Siehe etwa BGE 106 II 213 E. 4a; 136 III 502 E. 6.3.1.

Siehe Fellmann/Kottmann 2012, N 3062 m.w.H.

Siehe Däppen 2011, Art. 60 OR N 13 m.w.H.

Zur im Schrifttum umstrittenen Frage der Anwendung von Art. 60 Abs. 2 OR bei Schuldunfähigkeit siehe Fellmann/Kottmann 2012, N 3065 m.w.H.

wenig muss bei Antragsdelikten ein Strafantrag vorliegen58. Liegt zur Zeit der Einleitung der Zivilklage kein Entscheid des Strafgerichts vor, beurteilt das Zivilgericht vorfrageweise, ob ein Straftatbestand erfüllt ist59. Falls hingegen ein Entscheid des Strafgerichts vorliegt, bestimmt sich primär nach Artikel 53 OR und ­ bei einer Adhäsionsklage ­ nach Artikel 126 Absatz 3 StPO60, inwieweit das Zivilgericht daran gebunden ist61. Eine Einstellungsverfügung bindet das Zivilgericht nur dann, wenn sie zufolge Nichterfüllung eines objektiven oder subjektiven Tatbestandsmerkmals ergeht62.

Heikel ist die Frage, was bei strafrechtlicher Unverjährbarkeit gilt (Art. 101 StGB)63. Aufgrund der Wertung des Verfassungsgebers, für bestimmte Delikte die strafrechtliche Unverjährbarkeit vorzusehen (Art. 123b BV64), ist konsequenterweise auch für damit zusammenhängende Zivilansprüche die Unverjährbarkeit zu bejahen65. Dabei handelt es sich zwar um eine Ausnahme im Privatrecht, das nur sehr wenige unverjährbare Forderungen kennt (z.B. grundpfandgesicherte Forderungen, Art. 807 ZGB). Dies wird aber dadurch gemildert, dass die längere Frist nur gegenüber dem Straftäter gilt und daher spätestens mit dessen Tod endet (juristische Personen werden in der Regel für eine unbestimmte Dauer gegründet und sind insofern zumindest potenziell «ewig»; der Katalog der unverjährbaren Delikte gemäss Art. 101 BV sieht in seiner geltenden Fassung jedoch keine Straftaten vor, die von juristischen Personen begangen werden können). Weiter wirken sich wie bei jeder langen Verjährungsfrist66 Beweisschwierigkeiten, die im Laufe der Zeit tendenziell zunehmen, gerade bei strafrechtlich relevantem Verhalten eher zugunsten des Schädigers aus.

Die Neufassung von Absatz 2 bezweckt keine Abkehr von der geltenden Rechtslage und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Frage, ob die längere Verjährungsfrist auch auf Forderungen gegenüber Dritten anwendbar ist, die zivilrechtlich für den Schaden einzustehen haben67. Das Bundesgericht hat diese Frage namentlich für das direkte Forderungsrecht des Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtversicherer (Art. 65 Abs. 1 SVG) bejaht68.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass anders als im Vorentwurf auf die Aufhebung von Artikel 60 Absatz 3 OR verzichtet wird69. Auch wenn diese Bestimmung von einem
gewichtigen Teil der Lehre als überflüssig und gesetzgeberisch verfehlt kritisiert wird70, besteht kein ausreichender Grund, diese im Rahmen der vorliegenden Teilrevision aufzuheben.

58 59 60 61 62 63 64 65

66 67 68 69 70

BGE 112 II 79 E. 4a; 136 III 502 E. 6.3.1 und 6.3.2.

BGE 122 III 225 E. 4.

Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO), SR 312.0.

Vgl. zur Bindung des Zivilgerichts etwa Rey 2008, N 1670 ff.

Vgl. BGE 136 III 502 E. 6.3.1.

Vgl. hierzu Gauch 2010, S. 248 f.; Schöbi 2010, S. 519 ff.

Bundesverfassung (BV), SR 101.

So schon BBl 2011 5977, hier 6011 f.; vgl. hierzu BGE 132 III 661, worin das Bundesgericht die Unverjährbarkeit im Rahmen von Art. 60 Abs. 2 OR geprüft und damit implizit zum Ausdruck gebracht hat, dass eine solche grundsätzlich denkbar ist. Im konkreten Fall wurde aus übergangsrechtlichen Gründen die strafrechtliche Unverjährbarkeit verneint.

Vgl. vorne die Erläuterungen zu Art. 60 Abs. 1bis E-OR.

Zur differenzierten und kontroversen Rechtsprechung und Lehre zu dieser Frage siehe etwa Rey 2008, N 1687 ff.

BGE 112 II 79 E. 3.

Vgl. Begleitbericht zum Vorentwurf, S. 32.

Siehe hierzu Begleitbericht zum Vorentwurf, S. 32.

257

Art. 67 Abs. 1 Wie im geltenden Recht sollen die Verjährungsfristen für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gleich lang sein wie für Ansprüche aus unerlaubter Handlung71. Die relative Verjährungsfrist von einem Jahr ist daher gleich wie in Artikel 60 Absatz 1 E-OR auf drei Jahre zu verlängern. Da keine Bereicherungsansprüche aus Personenschäden denkbar sind, entfällt die Notwendigkeit für eine Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist auf mehr als zehn Jahre.

Anders als im Vorentwurf vorgesehen wird auf die Streichung von Artikel 67 Absatz 2 OR verzichtet72. Wie bei Artikel 60 Absatz 3 OR ist mangels Aufhebung des gesamten Artikels 67 OR kein ausreichender Grund ersichtlich, um Absatz 2 aufzuheben.

Art. 128 Der geltende Artikel 128 OR enthält einen abschliessenden Katalog vertraglicher Forderungen, die bereits nach fünf Jahren verjähren und nicht erst nach zehn Jahren, wie dies als Grundsatz in Artikel 127 OR vorgesehen ist. Als Gründe für diesen Ausnahmekatalog werden im älteren Schrifttum unter anderem der Schutz des Gläubigers vor einer «ungesunden Kreditwirtschaft»73 und der Schutz des Schuldners vor der Gefahr, infolge der Nachsicht des Gläubigers unter der Last der angehäuften «kleinen Schulden» erdrückt zu werden74, genannt. Auch wurde in der Botschaft zum Obligationenrecht von 1881 im Zusammenhang mit Artikel 147 aOR darauf hingewiesen, dass ein Teil der betroffenen Forderungen auf zweiseitigen Verträgen beruht, die typischerweise rasch erfüllt werden und für die weder schriftliche Verträge noch die längere Aufbewahrung von Quittungen üblich ist75. Demgegenüber wird Artikel 128 OR im heutigen Schrifttum infolge der Änderung der Verkehrssitten mehrheitlich als weitgehend überholt bezeichnet76, was sich in einer engen Auslegung dieser Bestimmung durch das Bundesgericht niederschlägt77.

Tatsächlich ist aus heutiger Sicht kaum mehr begründbar, weshalb beispielweise Kaufpreisforderungen ­ mit Ausnahme der «Forderungen aus Lieferung von Lebensmitteln» oder dem «Kleinverkauf von Waren» (Art. 128 Ziff. 2 und 2 OR) ­ erst nach zehn Jahren verjähren, während Lohnforderungen bereits nach fünf Jahren verjähren, nicht aber allfällige Gegenforderungen des Arbeitgebers. Der Ausnahmekatalog von Artikel 128 ist daher ersatzlos zu streichen, was zugleich dem Ziel der Vereinheitlichung des
Verjährungsrechts dient. Die bisher in Artikel 128 OR aufgeführten Forderungen verjähren folglich gemäss Artikel 127 OR grundsätzlich neu ebenfalls nach zehn Jahren.

Nach dem vorliegenden Revisionsentwurf soll diese Bestimmung in Zukunft die Verjährung von Forderungen auf Schadenersatz oder Genugtuung aus Personenschäden regeln. Es handelt sich dabei um die Parallelbestimmung zu Artikel 60 71 72 73 74 75 76

77

258

Die Angleichung an das Deliktsrecht war bereits bei der Revision des OR in den Jahren vor 1912 ein Motiv, vgl. Huwiler 2011, Art. 67 OR N 1.

Vgl. Begleitbericht zum Vorentwurf, S. 33.

Oser/Schönenberger 1929, Art. 128 OR N 1.

Becker 1941, Art. 128 OR N 2.

Vgl. BBl 1880 I 149, hier 194; BGE 132 III 61 E. 6.1 m.w.H.

Däppen 2011, Art. 128 OR N 1; Gauch 2010, S. 241 f.; Gauch/Schluep/Emmenegger 2008, N 3297; a.M. von Tuhr/Escher 1974, S. 214, wonach die fünfjährige Frist zu lang bemessen sei; ebenso Berti 2002, Art. 128 OR N 2 mit Hinweis auf Spiro.

BGE 132 III 61 E. 6. m.w.H.

Absatz 1bis E-OR für Forderungen aus Vertrag. Beispielhaft ist dabei an Forderungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegen ihren (früheren) Arbeitgeber für gesundheitliche Asbestschäden zu denken. Wie bei Artikel 60 Absatz 1bis E-OR handelt es sich um doppelte Fristen mit einer relativen und einer absoluten Frist, was im Vertragsrecht eine Ausnahme darstellt. Die damit verbundene ausnahmsweise Verkürzung der Verjährungsfrist durch die subjektiv bestimmte, relative Verjährungsfrist von drei Jahren erscheint sachgerecht und gerechtfertigt, gerade weil sie ­ anders als Artikel 127 OR ­ an die Kenntnis des Geschädigten vom Schaden und der Person des Ersatzpflichten anknüpft beziehungsweise diese voraussetzt. Um die Übereinstimmung mit Artikel 60 Absatz 1bis E-OR zu wahren, wird darauf verzichtet, aus gesetzessystematische Gründen in Artikel 128 E-OR nur die Dauer der Frist und in den Artikeln 130 f. OR den Beginn der Frist zu regeln78, da eine solche Auftrennung bei doppelten Fristen nicht sinnvoll erscheint. Im Übrigen kann auf die Erläuterungen zu Artikel 60 Absatz 1bis E-OR verwiesen werden.

Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6, 7 und 8 Ziffer 6: Nach dem geltenden Wortlaut dieser Bestimmung, die seit Inkrafttreten des OR im Jahr 1912 nicht geändert wurde, beginnt die Verjährung nicht oder steht still, falls sie begonnen hat, solange eine Forderung vor einem schweizerischen Gericht nicht geltend gemacht werden kann. Zwischenzeitlich wurden das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht79 eingeführt sowie zahlreiche bilaterale und multilaterale Staatsverträge abgeschlossen, welche die gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen regeln80. Gemäss dem vorliegenden Entwurf soll die Beschränkung auf schweizerische Gerichte wegfallen: Angesichts dieser veränderten Rechtslage im nationalen und internationalen Zuständigkeits- und Vollstreckungsrecht erscheint es nicht länger gerechtfertigt, die fehlende Möglichkeit der Geltendmachung vor schweizerischen Gerichten im materiellen Recht als Hinderungs- und Stillstandsgrund zu werten. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass die Rechtsverfolgung im Ausland für den Gläubiger schwieriger und kostspieliger sein kann als in der Schweiz, was aber im Rahmen der Hinderungs- und Stillstandsgründe nicht
massgebend sein kann.

In Zukunft kann sich ein Gläubiger lediglich auf diesen Hinderungs- und Stillstandsgrund berufen, wenn ihm zur Geltendmachung seiner Forderung weder ein Gericht im Inland noch eines im Ausland zur Verfügung steht. Mit dem bereits im geltenden Recht verwendeten Ausdruck «Gericht» soll an die Artikel 30 BV und Artikel 6 Ziffer 1 EMRK angeknüpft werden, was Gewähr für eine angemessene Qualität der Spruchbehörde bietet. Erforderlich ist somit ein durch Gesetz geschaffenes Gericht, das zuständig, unabhängig und unparteiisch ist. Als Gericht haben dabei unverändert auch Schiedsgerichte zu gelten. Die Bestimmung ist auch auf die Verjährung von gerichtlich festgestellten oder anderen unmittelbar vollstreckbaren Forderungen anwendbar81. Weiter hält der Revisionsentwurf ausdrücklich die bun78 79 80

81

Die Marginalie zu den Artikeln 130 und 131 OR lautet «4. Beginn der Verjährung».

Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG), SR 291.

So insbesondere das Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ), SR 0.275.12 und das Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, SR 0.277.12.

Vgl. Berti 2002, Art. 134 OR N 21.

259

desgerichtliche Rechtsprechung fest, wonach diese Bestimmung nur dann anwendbar ist, wenn es dem Gläubiger aus objektiven, von seinen Verhältnissen unabhängigen Gründen nicht möglich ist, die Forderung einzuklagen82.

Ziffer 7: Diese Regelung entspricht Artikel 586 Absatz 2 ZGB, der aufgehoben wird.

Die Verschiebung nach Artikel 134 OR dient der Bündelung der Hinderungs- und Stillstandsgründe in einer gemeinsamen Bestimmung, was der Übersichtlichkeit dient; auch regelt Artikel 134 OR bereits nach geltendem Recht verschiedene Sachverhalte aus dem ZGB83.

Ziffer 8: Diese Bestimmung war im Vorentwurf noch nicht enthalten und geht auf Anregungen aus der Vernehmlassung und aus dem Schrifttum zurück84. Die Parteien eines (allenfalls nur potenziellen) Rechtsstreits sollen die Möglichkeit erhalten, für die Dauer von Vergleichsgesprächen, Mediationsverfahren oder anderer Verfahren, die der aussergerichtlichen Streitbeilegung dienen, die Hinderung beziehungsweise den Stillstand der Verjährung zu vereinbaren. Sie erhalten damit die Möglichkeit, den Eintritt der Verjährung zeitlich hinauszuschieben; Artikel 129 OR gilt insoweit nicht. Die Aufzählung im Gesetz ist nicht abschliessend, sondern ist weit zu verstehen und soll alle formellen und informellen Arten der Streitbeilegung ausserhalb des gerichtlichen Klagewegs erfassen. Der Beizug eines Dritten, beispielsweise im Rahmen einer Mediation, ist nicht erforderlich; auch direkte Gespräche zwischen den Parteien fallen unter diese Bestimmung. Das Erfordernis einer schriftlichen Vereinbarung im Sinne von Artikel 13 OR zwischen den Parteien dient neben dem Übereilungsschutz hauptsächlich der Klarstellung sowohl unter den Parteien als auch nach aussen und damit der Rechtssicherheit. In der Vereinbarung sollte daher genau angegeben werden, von wann bis wann die Hinderung beziehungsweise der Stillstand der Verjährung wirksam sein soll (z.B. durch Angabe von Kalendertagen) sowie welche Forderungen beziehungsweise zumindest welches Rechtsverhältnis oder welche Rechtsverhältnisse davon erfasst sein sollen. Die Verjährung wird jeweils nur gegenüber den betroffenen Parteien gehindert beziehungsweise steht diesen gegenüber still, nicht aber gegenüber Dritten (wie z.B. Bürgen85).

Einen anderen Ansatz hat der deutsche Gesetzgeber gewählt, der die Verjährung für die Dauer
von Verhandlungen von Gesetzes wegen hemmt, bis eine Partei die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert; die Verjährung tritt frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung ein86. Diese Lösung hat den Nachteil, dass die Verjährung gehemmt wird, ohne dass dies den Parteien ­ vor allem dem Schuldner ­ bewusst sein muss. Auch ist die Rechtssicherheit tangiert, wenn sich Anfang und Ende der Verhandlungen nicht eindeutig bestimmen lassen. Daher ist das Erfordernis einer schriftlichen Vereinbarung gerechtfertigt.

82 83 84 85 86

260

Vgl. BGE 134 III 294 E. 1.1 m.w.H.

Bspw. bezüglich Forderungen der Kinder gegen die Eltern während der Dauer der elterlichen Sorge (Art. 134 Abs. 1 Ziff. 1 OR).

Bericht das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 22; vgl. auch Pichonnaz 2012, S. 163 f.

Vgl. Berti 2002, Art. 136/141 Abs. 2 und 3 OR N 19; vgl. hierzu auch Art. 141 Abs. 3 OR.

§ 203 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); vgl. Drucksache des Deutschen Bundestages 14/6040, S. 111 f.

Artikel 136 Abs. 1, 2 und 4 Absatz 1: Nach ständiger Rechtsprechung gilt Artikel 136 Absatz 1 OR nur in Fällen echter Solidarität, nicht aber für Verpflichtungen aus unechter Solidarität, weil dort jede Forderung ihre eigene Verjährung hat und infolgedessen auch die Unterbrechung je nur den einzelnen Anspruch trifft87. Wie schon der Vorentwurf tastet auch der vorliegende Entwurf weder die Solidarität noch das Regressrecht an. Der Wortlaut von Absatz 1 wird aber dahingehend präzisiert, dass der Neubeginn gegenüber Solidarschuldnern und Mitschuldnern nur dann gilt, wenn der Gläubiger die Verjährung unterbrochen hat. Wird hingegen die Verjährung unterbrochen, indem ein Solidarschuldner oder Mitschuldner die Forderung anerkennt (Art. 135 Ziff. 1 OR), ist Absatz 1 nicht anwendbar. Diesbezüglich besteht heute im Schrifttum keine Einigkeit88.

Absatz 2: Gleich wie in Artikel 136 Absatz 1 E-OR wird klargestellt, dass die Unterbrechungshandlung durch den Gläubiger vorgenommen werden muss.

Absatz 4: Neu soll die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer auch gegenüber dem Haftpflichtigen gelten und umgekehrt, sofern ein direktes Forderungsrecht besteht. Diese Bestimmung, die in der Vernehmlassung auf mehrheitliche Zustimmung stiess89, entspricht dem Vorschlag des Vorentwurfs Haftpflichtrecht von 1999 (Art. 55b90) und ist kohärent mit Artikel 141 Absatz 4 E-OR. Sie ist zudem in Artikel 83 Absatz 2 SVG und Artikel 39 Absatz 2 RLG bereits im geltenden Recht verankert. Die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer wirkt jedoch gegenüber dem Haftpflichtigen nur bis zur Höhe der Versicherungsdeckung für den Geschädigten91.

Artikel 141 Abs. 1, 1bis und 4 Absatz 1: Artikel 141 Absatz 1 OR schreibt vor, dass auf die Verjährung nicht «zum voraus» verzichtet werden kann. Das Bundesgericht hat in einem Leitentscheid erkannt, dass dieses Verbot nur für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses gilt. Nach Abschluss des Vertrages könne der Schuldner gültig auf die Verjährungseinrede verzichten, und zwar bei allen Verjährungsfristen92. Diese Rechtsprechung soll wie folgt im Gesetz verankert und die gesetzliche Regelung gleichzeitig präzisiert werden:

87 88

89 90 91 92

­

Es wird klargestellt, dass der Schuldner nicht auf die Verjährung als solche verzichtet, sondern auf die Erhebung der Verjährungseinrede. Die Marginalie zu Artikel 141 E-OR wird entsprechend angepasst.

­

Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein Verjährungsverzicht nach Abschluss des Vertrages zulässig. Im Unterschied zum Vorentwurf, der den Verzicht angesichts der vorgesehenen Abänderbarkeit nur nach Eintritt der BGE 127 III 257 E. 6a; 133 III 6 E. 5.1.

Vgl. Däppen 2011, Art 136 OR N 3: keine Unterbrechung; a.M. Gauch/Schluep/Emmenegger 2008, N 3721: Anerkennung durch einen Solidarschuldner unterbricht die Verjährung auch gegenüber den übrigen Solidarschuldnern; ausführlich zum Ganzen Gautschi 2009, N 230 ff.

Bericht über das Ergebnis der Vernehmlassungsverfahrens, S. 24.

Der Entwurf ist abrufbar unter www.bj.admin.ch > Themen > Wirtschaft > Gesetzgebung > Abgeschlossene Projekte > Haftpflichtrecht.

Vgl. BGE 106 II 250 E. 3 bezüglich Art. 83 Abs. 2 SVG.

BGE 132 III 226

261

Verjährung vorsah (Art. 134 Abs. 1 Satz 1 VE-OR), soll der Verzicht weiterhin auch zu einem früheren Zeitpunkt zulässig sein. Soweit nichts anderes vereinbart wird, sind die durch den Vertrag begründeten Forderungen sofort fällig (Art. 75 OR), sodass in diesem Zeitpunkt auch die Verjährung beginnt (Art. 130 Abs. 1 OR). In der Praxis kommt es aber häufig vor, dass ein späterer Fälligkeitszeitpunkt vereinbart wird, und auch das Gesetz kennt entsprechende (dispositive) Regelungen93. Es erscheint daher sachgerecht, die Zulässigkeit des Verjährungsverzichts nicht an den Vertragsabschluss, sondern an den Verjährungsbeginn zu knüpfen. Diese Lösung hat den Vorteil, dass der Schuldner im Zeitpunkt des Verzichts weiss, wann die Verjährung begonnen hat. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist das ­ mit Ausnahme der erwähnten Fälle, in denen Vertragsschluss und Fälligkeit der Forderung zusammenfallen ­ nicht immer der Fall.

­

Der Verjährungsverzicht ist sowohl während der noch laufenden Verjährungsfrist als auch nach Eintritt der Verjährung zulässig.

­

Artikel 141 Absatz 1 E-OR ist auf alle Verjährungsfristen anwendbar. Eine Beschränkung auf die im dritten Titel des OR aufgestellten Fristen, wie sie für die Unabänderlichkeit nach Artikel 129 OR gilt, besteht nicht.

­

Der Schuldner darf nicht für eine unbestimmte Dauer, sondern höchstens für zehn Jahre auf die Verjährungseinrede verzichten. Diese Maximaldauer bezieht sich nur auf die Dauer des jeweiligen Verzichts und schliesst die Erneuerung des Verzichts für weitere Perioden von höchstens zehn Jahren nicht aus. Es besteht insofern eine Übereinstimmung mit Unterbrechungshandlungen des Gläubigers, die ebenfalls beliebig oft wiederholt werden können.

­

Der Vorentwurf sah in Artikel 134 Absatz 2 Satz 2 VE-OR noch die Ersatzregel vor, dass der Verzicht für ein Jahr gelten soll, wenn keine Frist angegeben wird. Nach erneuter Prüfung wird davon zugunsten der allgemeinen Regeln über die Auslegung und Ergänzung von Willenserklärungen abgesehen. Wird der Verzicht für jeweils mehr als zehn Jahre oder für unbegrenzte Zeit erklärt, reduziert sich seine Wirkung nach den Grundsätzen der modifizierten Teilnichtigkeit (Art. 20 Abs. 2 OR) auf die zulässige Höchstdauer.

­

Bewusst nicht im Gesetz geregelt wird die Frage, ab wann der Verjährungsverzicht gilt. In Betracht kommen primär zwei Zeitpunkte: Der Moment des Verzichts und jener des Verjährungseintritts. Welcher Zeitpunkt im Einzelfall gilt, ist eine Frage der Auslegung der Verzichtserklärung. Falls nicht der wirkliche Wille des verzichtenden Schuldners festgestellt werden kann, ist die Erklärung nach dem Vertrauensprinzip auszulegen.

Absatz 1bis: Der Schuldner hat den Verzicht dem Gläubiger gegenüber zu erklären.

Die Erklärung bedarf ­ trotz teilweiser Kritik in der Vernehmlassung94 ­ im Interesse der Rechtssicherheit und aus Beweisgründen der einfachen Schriftlichkeit im Sinne von Artikel 13 OR. Ein blosses Unterlassen der Verjährungseinrede im Prozess wird von dieser Bestimmung nicht erfasst. Dies ist in jedem Fall zulässig mit der Folge, dass das Gericht die eingetretene Verjährung mangels erhobener Einrede 93 94

262

Beispiel: Der Kaufpreis wird grundsätzlich erst mit der Übergabe des Kaufgegenstandes an den Käufer fällig (Art. 213 Abs. 1 OR).

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 20 f.

nicht beachten darf (Art. 142 OR). Um der Bedeutung des Verzichts für den Schuldner Rechnung zu tragen, enthält Absatz 1bis Satz 1 die Sonderregel, dass in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nur der Verwender auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichten darf, nicht aber die Gegenpartei. Ohne eine solche Regel bestünde die Gefahr, dass Verwender standardmässig einen Verjährungsverzicht der Gegenpartei in ihren AGB vorsehen. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass ein Verzicht gemäss Artikel 141 Absatz 1 E-OR erst nach Beginn der Verjährung zulässig ist, also in einem Zeitpunkt, der häufig nach der Vereinbarung von AGB liegt. Unabhängig davon unterliegen die AGB im Übrigen der Beschränkung und Kontrolle nach Artikel 8 UWG95, sofern die Gegenpartei eine Konsumentin oder ein Konsument ist.

Absatz 4: Diese in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsste96 Bestimmung steht im Einklang mit Artikel 136 Absatz 4 E-OR und entspricht dem Vorschlag des Vorentwurfs Haftpflichtrecht von 1999 (Art. 55a Abs. 3)97. Sie erscheint insofern gerechtfertigt, als die anspruchsberechtige Person direkt gegen die pflichtige Person, aber auch gegen den Versicherer klagen kann; zudem stehen diese beiden Mitschuldner in einem vertraglichen Verhältnis zueinander, das vor der forderungsbegründenden Handlung existierte.

Art. 760 Absatz 1: Das geltende Recht sieht für Schadenersatzansprüche aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit eine relative Verjährungsfrist von fünf Jahren und eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren vor. Obwohl sich mit Blick auf Artikel 60 Absatz 1 und 1bis E-OR sowie Artikel 67 Absatz 1 E-OR, die eine relative Frist von drei Jahren vorsehen, die Frage einer Verkürzung dieser Fristen stellt, um so die Verjährungsfristen zu vereinheitlichen, wird gerade darauf verzichtet. Denn der vorliegende Entwurf basiert auf den Grundsätzen, dass Verjährungsfristen nicht verkürzt werden sollen und dass Sonderregelungen vorbehalten sind (siehe auch Ziff. 2.2). Hingegen wird für den Beginn der absoluten Frist die Regelung von Artikel 60 Absatz 1 und 1bis E-OR übernommen, wonach der Tag massgebend ist, an dem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte. Allfällige weitergehende Anpassungen sind im Rahmen der von den eidgenössischen Räten an den Bundesrat
zurückgewiesenen Aktienrechtsrevision98 zu prüfen und nicht mit dem vorliegenden Entwurf vorwegzunehmen (vgl. dazu auch hinten Ziff. 2.2).

Absatz 2: Diese Regelung entspricht jener in Artikel 60 Absatz 2 E-OR. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Art. 878 Abs. 2 Artikel 878 Absatz 1 OR regelt eine Verwirkungsfrist99, welche wie alle Verwirkungsfristen im Rahmen der vorliegenden Revision unverändert bleibt100.

95 96 97

98 99

Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), SR 241.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 21.

Vgl. erläuternder Bericht zum Vorentwurf Haftpflichtrecht, S. 220. Der Bericht ist abrufbar unter www.bj.admin.ch > Themen > Wirtschaft > Gesetzgebung > Abgeschlossene Projekte > Haftpflichtrecht.

AB 2013 N 884 ff. und AB 2013 S 568 ff.

Vgl. Nigg 2012, Art. 878 OR N 9 f.; a.M. Courvoisier 2012, Art. 878 OR N 5.

263

Demgegenüber regelt Artikel 878 Absatz 2 OR die Verjährung der Rückgriffsforderung eines Genossenschafters für den seinerseits erbrachten Mehrbetrag. In Einklang mit Artikel 60 Absatz 1 und 1bis E-OR sowie Artikel 67 Absatz 1 E-OR soll die Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre verlängert werden. Dies entspricht dem Grundsatz des vorliegenden Revisionsentwurfs, dass die kürzeste Frist im Verjährungsrecht drei Jahre betragen soll (vgl. Ziff. 2.2).

Art. 919 Die Änderungen in Artikel 919 OR entsprechen jenen in Artikel 760 OR. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

2.2

Übrige Änderungen des bisherigen Rechts

Allgemeines Der Verzicht auf die Vereinheitlichung des gesamten Verjährungsrechts sowie auf die Einführung des Konzepts der doppelten Fristen (vgl. dazu vorne Ziff. 1.3.2) hat zur Folge, dass der Katalog der Änderungen des bisherigen Rechts gegenüber dem Vorentwurf wesentlich überarbeitet werden musste. Unter Berücksichtigung der Mängel des geltenden Rechts (siehe Ziff. 1.1.2) und den vorstehenden Anpassungen im OR basieren die vorgeschlagenen Änderungen auf den folgenden Grundsätzen: ­

Die Dauer der Verjährungsfrist von Ansprüchen, die in ihrer Natur mit Artikel 60 und 67 OR vergleichbar sind, soll vereinheitlicht werden. Zukünftig soll es nur noch drei Fristen für nicht vertragliche Ansprüche geben: drei, zehn und dreissig Jahre.

­

Die Änderungen in Artikel 60 Absatz 1 und 1bis E-OR bezüglich des Beginns der absoluten Verjährungsfrist ­ «strafbares Verhalten» statt «strafbare Handlung» ­, der dreissigjährigen absoluten Verjährungsfrist für Personenschäden sowie der längeren strafrechtliche Frist gemäss Artikel 60 Absatz 2 E-OR ist in den übrigen Erlassen nachzuführen.

­

Bestehende Verjährungsfristen werden nach diesen Grundsätzen verlängert, nicht aber verkürzt, soweit sie im geltenden Recht ausnahmsweise länger sind.

­

Begründete Sonderregelungen des geltenden Rechts, insbesondere soweit sie neueren Datums sind, bleiben vorbehalten. Gleiches gilt auch für diesbezüglich laufende Gesetzgebungsarbeiten, soweit diese (auch) Verjährungsfristen betreffen.

Als Beispiel für den Verzicht auf eine Kürzung der Verjährungsfrist kann die fünfjährige relative Frist für Schadenersatzansprüche aus aktienrechtlicher und genossenschaftsrechtlicher Verantwortlichkeit genannt werden (Art. 760 Abs. 1 und Art. 919 Abs. 1 OR). Diese wird nicht auf drei Jahre gekürzt (vgl. dazu auch Ziff. 2.1).

100

264

Ausnahme: Art. 20 Abs. 1 E-VG; vgl. die Erläuterungen zu dieser Norm.

Beispiele für Sonderregelungen, die unverändert bleiben, sind die Verjährungsfristen für Gewährleistungsansprüche aus Kauf- und Werkverträgen sowie die Fristen gemäss Produktehaftpflichtgesetz (PrHG101). Bezüglich der Gewährleistungsfristen ist ausschlaggebend, dass diese erst mit Wirkung seit 1. Januar 2013 geändert ­ nota bene verlängert ­ wurden102 und im Unterschied zum Vorentwurf auf die vollständige Vereinheitlichung des gesamten Verjährungsrechts verzichtet wird. Beim PrHG besteht die Besonderheit darin, dass es sich um eine bewusste inhaltliche Übernahme einer EU-Richtlinie handelt103. Da auf eine Vereinheitlichung des gesamten Verjährungsrechts verzichtet wird, besteht vorliegend kein Anlass, die in sich schlüssige Regelung mittels Verjährungsfrist (Art. 9 PrHG) und Verwirkungsfrist (Art. 10 PrHG) anzupassen und dadurch die Übereinstimmung mit dem EU-Recht aufzugeben. Weiter sind Sonderregelungen zu erwähnen, die bereits nach bisherigem Recht für besondere Risiken längere Verjährungsfristen vorsehen, so namentlich das Gentechnikgesetz, das Umweltschutzgesetz104, das Strahlenschutzgesetz105 sowie das neue, noch nicht in Kraft getretene Kernenergiehaftpflichtgesetz. Schliesslich können als besondere Verjährungsfristen, die nicht vom eingeschränkten Umfang der vorliegenden Revision erfasst werden, beispielhaft jene nach Artikel 315 OR (Anspruch auf Aushändigung und Annahme eines Darlehens) und Artikel 93 ZGB (Ansprüche aus der Auflösung eines Verlöbnisses) genannt werden.

Neben geltenden Sonderregelungen ist auf laufende Gesetzgebungsarbeiten Rücksicht zu nehmen, um Doppelspurigkeiten und Inkonsistenzen zu vermeiden. So haben die eidgenössischen Räte die Aktienrechtsrevision aus dem Jahr 2007 an den Bundesrat zurückgewiesen mit der Massgabe, sie unter Berücksichtigung der am 3. März 2013 von Volk und Ständen angenommenen Volksinitiative «gegen die Abzockerei» zu überarbeiten106. Es erscheint sachgerecht, eine Anpassung der Verjährungsfrist für die Rückerstattung von ungerechtfertigten Leistungen nach Artikel 678 OR im Rahmen dieser Überarbeitung zu prüfen und nicht mit dem vorliegenden Entwurf vorwegzunehmen. Das Gleiche gilt für die bereits erwähnte relative Verjährungsfrist von fünf Jahren für Schadenersatzansprüche aus aktienrechtlicher und genossenschaftsrechtlicher Verantwortlichkeit
(Art. 760 Abs. 1 und Art. 919 Abs. 1 OR).

Wie im Vorentwurf wird auf eine Anpassung von Artikel 46 VVG107 verzichtet. Die eidgenössischen Räte haben den Entwurf zu einer Totalrevision des VVG, den der Bundesrat am 7. September 2011 verabschiedet hatte108, an den Bundesrat zurückgewiesen und diesen beauftragt, lediglich eine Teilrevision vorzulegen. Diese soll unter anderem eine angemessene Verlängerung der Verjährungsfristen nach VVG enthalten109. Die damit zusammenhängenden Fragen sind im Rahmen der VVGRevision zu behandeln.

101 102 103

104 105 106 107 108 109

Produktehaftpflichtgesetz vom 18. Juni 1993 (PrHG), SR 221.112.944.

AS 2012 5415 BBl 1993 I 805, hier 884. Vorbild waren Artikel 10 und 11 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L 210 vom 7.8.1985 S. 29.

Umweltschutzgesetz vom 7. Oktober 1983 (USG), SR 814.01.

Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991 (StSG), SR 814.50.

AB 2013 N 884 ff. und AB 2013 S 568 ff.

Versicherungsvertragsgesetz vom 2. April 1908 (VVG), SR 221.229.1.

BBl 2011 7705 AB 2012 N 2203 ff. und AB 2013 S 261 ff.

265

Sodann wird von einer Anpassung der Fristen zur Geltendmachung von Entschädigung und Genugtuung nach dem Opferhilfegesetz (Art. 25 OHG110) abgesehen. Die Rechtsnatur dieser Frist, die Dauer und der Beginn des Fristenlaufs sind im Rahmen der Revision im Jahre 2007 sorgfältig überprüft worden. Die gewählte Lösung trägt auch jenen Situationen Rechnung, in denen das Opfer nicht sofort Kenntnis des Schadens hat. Auch wurde anlässlich der Umsetzung von Artikel 123b BV (Unverjährbarkeit sexueller und pornografischer Straftaten an Kindern vor der Pubertät) bewusst auf eine Änderung des OHG verzichtet111.

Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden die Gesetze betreffend Zollwesen, Stempelabgaben, Steuern, Wehrpflichtersatz und Verwaltungsstrafrecht. Die dort geregelten Verjährungsfristen folgen einem eigenen Konzept. Das Vernehmlassungsergebnis hat gezeigt, dass eine Mehrheit der sich dazu vernehmenden Teilnehmer in diesem Gebiet eine partielle Angleichung an das allgemeine Verjährungsrecht oder gar einen Systemwechsel ablehnt112.

Gleich wie im Vorentwurf werden vorliegend auch keine Verwirkungsfristen angepasst113. Dies gilt namentlich für verschiedene Fristen im Sozialversicherungsrecht, beispielsweise Artikel 24 und 25 ATSG114,115. Die Fristen in Artikel 41 Absatz 2 BVG116 werden nicht verändert, damit sie mit denjenigen in der 1. Säule koordiniert bleiben.

Im Folgenden werden nicht alle zu ändernden Bestimmungen des bisherigen Rechts erläutert, sondern nur jene, die über die eingangs erwähnten Grundsätze hinaus zu Bemerkungen Anlass geben. Nicht erläutert werden somit die Änderungen im Asylgesetz117, im Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation118, im Rohrleitungsgesetz119, im Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt120, im Seeschifffahrtsgesetz121, im Luftfahrtgesetz122, im Gewässerschutzgesetz123, im Arbeitslosenversicherungsgesetz124, im Bundesgesetz über die Verbesserung der Wohnverhältnisse in Berggebieten125, im Tierseuchengesetz126, im Bundesgesetz über die elektronische Signatur127 ­ zu welchem der Bundesrat demnächst den

110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

266

Opferhilfegesetz vom 23. März 2007 (OHG), SR 312.5.

Vgl. BBl 2011 5977, hier 6012 f.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 27.

Ausnahme: Art. 20 E-VG; vgl. die Erläuterungen zu dieser Norm.

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG), SR 830.1.

Vgl. ausführlich dazu Begleitbericht zum Vorentwurf, S. 53.

Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG), SR 831.40.

Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG), SR 142.31.

Bundesgesetz vom 14. Dezember 2012 über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG), SR 420.1.

Rohrleitungsgesetz vom 4. Oktober 1963 (RLG), SR 746.1.

Bundesgesetz vom 3. Oktober 1975 über die Binnenschifffahrt (BSG), SR 747.201.

Seeschifffahrtsgesetz vom 23. September 1953, SR 747.30.

Luftfahrtgesetz vom 21. Dezember 1948 (LFG), SR 748.0.

Gewässerschutzgesetz vom 24. Januar 1991 (GSchG), SR 814.20.

Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 25. Juni 1982 (AVIG), SR 837.0.

Bundesgesetz vom 20. März 1970 über die Verbesserung der Wohnverhältnisse in Berggebieten (VWBG), SR 844.

Tierseuchengesetz vom 1. Juli 1966 (TSG), SR 916.40.

Bundesgesetz über die elektronische Signatur vom 19. Dezember 2003 (ZertES), SR 943.03.

Entwurf zu einer Totalrevision vorlegen wird ­ sowie im Bucheffektengesetz128.

Nicht gesondert erläutert werden sodann verschiedene rein sprachliche Anpassungen in den französischen Sprachfassungen mehrerer Gesetze.

Verantwortlichkeitsgesetz129 Art. 20 Abs. 1 und 2 Absatz 1: Die Fristen nach Artikel 20 Absatz 1 VG sind nach herrschender Lehre und Rechtsprechung Verwirkungsfristen130. Neu sollen auch für die Staatshaftung des Bundes die allgemeinen Verjährungsfristen für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen gelten. Mit der Verweisung auf die Bestimmungen des OR über die unerlaubten Handlungen in Absatz 1 sind primär Artikel 60 Absatz 1, 1bis und 2 E-OR gemeint. Für weitere Fragen im Zusammenhang mit der Verjährung, beispielsweise bezüglich der Hinderungs- und Stillstandsgründe und der Unterbrechungshandlungen, gelten die Artikel 130 ff. OR. Bei der Anwendung dieser Regeln sind, soweit erforderlich, die Besonderheiten des öffentlichen Rechts zu berücksichtigen131. Zu einzelnen Verjährungsfragen sehen verschiedene öffentlich-rechtliche Erlasse Sonderregeln vor, so auch das Verantwortlichkeitsgesetz (siehe dazu sogleich zu Absatz 2).

Absatz 2: Die schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Eidgenössischen Finanzdepartement soll künftig die Verjährung unterbrechen, so wie das schon heute in vergleichbaren Erlassen vorgesehen ist, namentlich im Militärgesetz132, im Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz133 sowie im Zivildienstgesetz134.

Art. 21 Die relative Verjährungsfrist wird von einem Jahr auf drei Jahre verlängert und der Ausdruck «schädigende Handlung» gleich wie in Artikel 60 Absatz 1 E-OR durch «schädigendes Verhalten» ersetzt. Im Falle von Personenschäden beträgt die absolute Verjährungsfrist gleich wie in Artikel 20 Absatz 1 E-VG in Verbindung mit Artikel 60 Absatz 1bis E-OR dreissig Jahre.

Art. 23 Absatz 1: Die relative Verjährungsfrist wird in Einklang mit Artikel 60 Absatz 1 E-OR von einem auf drei Jahre verlängert, die absolute Verjährungsfrist von fünf auf zehn Jahre. Diese Angleichung an das Deliktsrecht erscheint vertretbar und angemessen. Demgegenüber wird auf die Einführung einer längeren absoluten Verjährungsfrist von dreissig Jahren für Personenschäden verzichtet.

128 129 130 131 132 133 134

Bucheffektengesetz vom 3. Oktober 2008 (BEG), SR 957.1.

Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958 (VG), SR 170.32.

BGE 136 II 187 E. 6 m.w.H.

Vgl. Meier 2013, S. 217 ff. und 347 ff.

Militärgesetz vom 3. Februar 1995 (MG), SR 510.10.

Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz vom 4. Oktober 2002 (BZG), SR 520.1.

Zivildienstgesetz vom 6. Oktober 1995 (ZDG), SR 824.0.

267

Absatz 2: Die Bestimmung wird bis auf wenige redaktionelle Anpassungen an Artikel 60 Absatz 2 E-OR angeglichen. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Bundespersonalgesetz135 Art. 17a Abs. 3 Artikel 17a Absatz 3 BPG sieht vor, dass Ferientage gemäss Artikel 128 Ziffer 3 OR innert fünf Jahren verjähren. Diese Bestimmung ist als Folge der Aufhebung des geltenden Artikel 128 OR und damit der besonderen Verjährungsfrist von fünf Jahren zu streichen. Damit gilt aufgrund der Verweisung auf das OR in Artikel 6 Absatz 2 BPG für Ferientage die allgemeine Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäss Artikel 127 OR.

Zivilgesetzbuch136 Art. 455 Abs. 1 und 2 Absatz 1: Es kann auf die Erläuterungen zu Artikel 20 Absatz 1 E-VG verwiesen werden, wobei die Fristen nach Artikel 455 ZGB bereits nach geltendem Recht Verjährungsfristen und nicht Verwirkungsfristen sind.

Absatz 2: Die Bestimmung entspricht grundsätzlich Artikel 60 Absatz 2 E-OR. Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass gemäss Artikel 454 Absatz 3 ZGB der Kanton haftet und nicht die Person, die den Schaden verursacht hat, beispielsweise die Beiständin oder der Beistand. Sofern diese Person ­ und nicht etwa der Kanton als Ersatzpflichtiger ­ durch ihr Verhalten einen Straftatbestand erfüllt hat, muss sich der Kanton die längere strafrechtliche Frist entgegenhalten lassen.

Es wird darauf verzichtet, Artikel 455 Absatz 3 ZGB (Hemmung der Verjährung bei Dauermassnahmen) nach Artikel 134 Absatz 1 OR zu verschieben. Anders als bei den dort geregelten Fällen geht es in Artikel 455 ZGB nicht um Ansprüche zwischen Privatpersonen, sondern um Ansprüche gegenüber einem Gemeinwesen (Kanton).

Art. 586 Abs. 2 Vgl. die Erläuterungen zu Artikel 134 Absatz 1 Ziffer 7 E-OR.

Schlusstitel Anwendungs- und Einführungsbestimmungen Art. 49 Die im Vorentwurf als Variante vorgeschlagene Möglichkeit, wonach gemäss Artikel 49 Absatz 2 VE-SchlT ZGB das neue Recht auch dann gelten soll, wenn Forde135 136

268

Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (BPG), SR 172.220.1.

SR 210

rungen nach bisherigem Recht, nicht aber nach neuem Recht verjährt sind, wurde in der Vernehmlassung überwiegend sehr kritisch und ablehnend beurteilt137. Der Entwurf enthält daher folgende Regelung, die den Bedenken Rechnung trägt, die in der Vernehmlassung geäussert wurden, namentlich dass nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstossen werden dürfe: ­

Sieht das neue Recht eine längere Frist als das bisherige Recht vor, gilt das neue Recht. Als bisheriges Recht sind dabei auch die (bisherigen) übergangsrechtlichen Bestimmungen und damit der bisherige Art. 49 SchlT ZGB zu betrachten. Die längere neue Frist ist jedoch nur dann anwendbar, wenn die Verjährung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts noch läuft (Art. 49 Abs. 1 E-SchlT ZGB). Eine übergangsrechtliche Verkürzung einer laufenden Frist ist demgegenüber aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ausgeschlossen (Art. 49 Abs. 2 E-SchlT ZGB).

­

Ist der Anspruch nach bisherigem Recht ­ wiederum unter Einschluss allfälliger bisheriger übergangsrechtlicher Bestimmungen ­ bereits verjährt, beispielsweise weil die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren abgelaufen ist, führt das Inkrafttreten des neuen Rechts nicht zu einem nachträglichen Wegfall der Verjährung und der Anwendung der neuen längeren Frist, sondern der Anspruch bleibt verjährt.

­

Weiter soll eine längere neue Frist keinen Einfluss auf den Beginn der Verjährung haben, das heisst, die Frist beginnt mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts nicht neu zu laufen (Art. 49 Abs. 3 E-SchlT ZGB). Dies stellt eine sinnvolle, weil Rechtssicherheit schaffende Änderung gegenüber dem geltendem Recht dar, wonach die neue Frist mit dem Inkrafttreten neu zu laufen beginnt, wenn sie weniger als fünf Jahre beträgt (Art. 49 Abs. 2 SchlT ZGB).

­

Für andere verjährungsrechtliche Fragen als der Beginn und die Länge der Verjährungsfrist, beispielsweise (neu eingeführte) Stillstands- und Unterbrechungsgründe, Vorschriften zum Verjährungsverzicht sowie Übergangsrecht, gilt ab dem Inkrafttreten des neuen Rechts ausschliesslich dieses, jedoch nur für die Zeit nach dem Inkrafttreten, nicht aber rückwirkend für die Zeit davor (Art. 49 Abs. 4 E-SchlT ZGB). So bleiben beispielsweise nach bisherigem Recht gültige Verjährungsverzichterklärungen auch nach neuem Recht wirksam.

Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs138 Art. 6 Es kann sinngemäss auf die Erläuterungen zu Artikel 455 Absatz 1 und 2 E-ZGB verwiesen werden.

137 138

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 28.

Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG), SR 281.1.

269

Art. 292 Die eidgenössischen Räte haben am 21. Juni 2013 eine Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs gutheissen, mit der das Insolvenzrecht und namentlich das Nachlassverfahren revidiert wurden139. Dabei wurden die Fristen zur Anfechtung nach Artikel 292 SchKG, die bisher als Verwirkungsfristen ausgestaltet waren, in Verjährungsfristen umgewandelt. Der Bundesrat hat diese Änderung per 1. Januar 2014 in Kraft gesetzt.

Angesichts der damit vergleichbaren, längeren relativen Fristen von drei Jahren in den Artikeln 60 und 67 E-OR erscheint es sachgerecht und angemessen, diese Verjährungsfristen entsprechend ebenfalls von zwei auf drei Jahre zu verlängern.

Militärgesetz140 Art. 143 Absatz 1: Diese Bestimmung wird wie Artikel 20 Absatz 1 und 2 E-VG an die Bestimmungen des OR über die Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung angeglichen. Die Regelung des geltenden Artikel 143 Absatz 4 MG wird in Artikel 143 Absatz 1 E-MG integriert, wobei die ausdrückliche Verweisung auf Artikel 135­138 und 142 OR entfällt; sie ist in der umfassenderen Verweisung auf die Bestimmungen des OR über die Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung indirekt enthalten.

Absatz 2: Im geltenden Artikel 143 Absatz 2 MG wird die Verjährung verschiedener Ansprüche des Bundes gesamthaft geregelt141: Der Rückgriffsanspruch auf Angehörige der Armee nach Artikel 138 MG, die Haftung der Angehörigen der Armee nach Artikel 139 MG sowie die Haftung der Formationen nach Artikel 140 MG. In Einklang mit den Artikeln 21 und 23 E-VG, die für Rückgriffs- und Schadenersatzansprüche unterschiedliche Zeitpunkte für den Beginn der Verjährung vorsehen, wird diese Bestimmung auf mehrere Absätze aufgeteilt: Artikel 143 Absatz 2 E-MG soll nur noch die Verjährung des (Schadenersatz-)Anspruchs des Bundes gegenüber Angehörigen der Armee sowie Formationen regeln. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs ist neu in Artikel 143 Absatz 4 E-MG geregelt. Gleich wie in Artikel 23 E-VG wird auf die Einführung einer längeren absoluten Verjährungsfrist von dreissig Jahren für Rückgriffsforderungen zufolge Personenschäden verzichtet.

Absatz 3: Entspricht Artikel 23 Absatz 2 E-VG und Artikel 60 Absatz 2 E-OR. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Absatz 4: Mit der Neugruppierung der verschiedenen Verjährungsfristen in Artikel 143 E-MG wird unter anderem verdeutlicht, dass der Rückgriffsanspruch des Bundes nach dem Wortlaut von Artikel 138 MG nur gegenüber Angehörigen der Armee gilt, nicht aber gegenüber Formationen. Artikel 143 Absatz 2 MG ist in diesem Punkt nicht eindeutig. Gleich wie in Artikel 21 E-VG soll die Verjährung des Rückgriffsanspruchs nicht mit der Kenntnis des Schadens und der ersatzpflichtigen Person beginnen, sondern mit der Anerkennung oder der rechtskräftigen Feststellung 139 140 141

270

BBl 2013 4747 Militärgesetz vom 3. Februar 1995 (MG), SR 510.10.

Vgl. BBl 1993 IV 1, hier 114.

der Schadenersatzpflicht des Bundes. Ebenso wird die absolute Verjährungsfrist für Rückgriffsansprüche aus Personenschäden auf dreissig Jahre verlängert.

Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz142 Art. 65 Die Änderungen in Artikel 65 E-BZG folgen der gleichen Logik wie in Artikel 143 E-MG und dienen damit zugleich der Vereinheitlichung mit den Artikeln 20, 21 und 23 E-VG.

Absatz 1: Es kann auf die Erläuterungen zu Artikel 143 Absatz 1 E-MG verwiesen werden.

Absatz 2: Gleich wie in Artikel 143 Absatz 4 E-MG sowie Artikel 21 E-VG soll die Verjährung des Rückgriffsanspruchs nicht mit der Kenntnis des Schadens und der ersatzpflichtigen Person beginnen, sondern mit der Anerkennung oder der rechtskräftigen Feststellung der Schadenersatzpflicht des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden. Die absolute Verjährungsfrist beträgt im Falle von Personenschäden dreissig Jahre und in den übrigen Fällen unverändert zehn Jahre (vgl. Art. 21 E-VG und Art. 143 Abs. 4 E-MG).

Absätze 3 und 4: Im geltenden Artikel 65 BZG fehlt eine Verjährungsregel zur Haftung gegenüber Bund, Kantonen und Gemeinden nach Artikel 62 BZG. Diese wird nunmehr in Artikel 65 Absatz 3 und 4 E-BZG analog zu Artikel 143 Absatz 2 und 3 E-MG geregelt.

Landesversorgungsgesetz143 Art. 15 Satz 2 Gemäss geltendem Artikel 15 Satz 2 LVG verjährt die Anfechtungsklage des Bundes nach zehn Jahren. Angesichts der erfolgten Änderungen in Artikel 292 SchKG (vgl. die Erläuterungen zu Art. 292 E-SchKG) und des Ziels der Vereinheitlichung der Verjährungsfristen ist diese Bestimmung zu streichen, sodass für Anfechtungsklagen des Bundes neu ebenfalls die allgemeine Verjährungsfrist für Anfechtungsklagen nach Artikel 292 E-SchKG von drei Jahren gilt. Aus heutiger Sicht besteht kein Grund, dem Bund im Vergleich zu privaten Gläubigern eine ungleich längere Verjährungsfrist einzuräumen. Im Übrigen wird auf die Erläuterungen zu Artikel 292 E-SchKG verwiesen.

Art. 36 Die Verjährungsfristen nach Artikel 36 LVG werden an jene in den Artikeln 60 und 67 E-OR angeglichen. Die Regelung von Artikel 36 Absatz 1 Satz 2 LVG zur längeren strafrechtlichen Verfolgungsverjährung wird neu in Artikel 36 Absatz 2 E-LVG geregelt, der Artikel 60 Absatz 2 E-OR entspricht. Zudem wird der Wortlaut von 142 143

Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz vom 4. Oktober 2002 (BZG), SR 520.1.

Landesversorgungsgesetz vom 8. Oktober 1982 (LVG), SR 531.

271

Artikel 36 Absatz 1 LVG vereinfacht, indem die relative Verjährungsfrist nicht wie nach bisheriger Formulierung mit Kenntnis vom Rechtsgrund des Anspruchs zu laufen beginnt, sondern mit Kenntnis des Anspruchs; eine materielle Rechtsänderung wird dadurch nicht bewirkt und ist auch nicht beabsichtigt.

Nach dem geltenden Artikel 36 Absatz 2 LVG wird die Verjährung durch jede Einforderungshandlung unterbrochen; sie ruht, solange der Pflichtige in der Schweiz rechtlich nicht belangt werden kann. Aus heutiger Sicht besteht kein Grund, dem Bund im Vergleich zu privaten Gläubigern im Gesetz einen derart erleichterten Unterbrechungsgrund einzuräumen. Im Schrifttum wird diese Privilegierung damit gerechtfertigt, dass das Gemeinwesen aufgrund des Gesetzmässigkeitsprinzips nur rechtmässige Ansprüche geltend machen dürfe und dabei den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beachten müsse144. Diesem Umstand ist aber ­ gleich wie etwa bei Artikel 20 E-VG ­ nicht durch eine gesetzliche Sonderregel zu begegnen, sondern im Rahmen der sinngemässen Anwendung der allgemeinen Verjährungsregeln (Art. 130 ff. OR) Rechnung zu tragen, namentlich bezüglich Hemmung und Unterbrechung der Verjährungsfrist.

Die vorstehenden Erläuterungen gelten sinngemäss auch für die Änderungen in Artikel 14 VWBG und Artikel 45 TSG.

Subventionsgesetz145 Art. 32 Abs. 2 und 4 Die Verjährungsfristen nach Artikel 32 SuG werden an jene in den Artikeln 60 und 67 E-OR angeglichen. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Zudem wird der Wortlaut von Artikel 32 Absatz 2 SuG geringfügig vereinfacht (vgl.

die Erläuterungen zu Art. 36 Abs. 1 E-LVG).

Art. 33 Artikel 33 SuG entspricht Artikel 36 Absatz 2 LVG. Er ist aus den gleichen Gründen aufzuheben. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Bundesgesetz über die Ein- und Ausfuhr von Erzeugnissen aus Landwirtschaftsprodukten146 Art. 6 Abs. 2 und 3 Absatz 2: Die Verjährung von Ansprüchen auf Rückerstattung wird an vergleichbare Bestimmungen in anderen Gesetzen (z.B. im Subventionsgesetz) angepasst, indem anstelle einer einzigen Verjährungsfrist von fünf Jahren eine doppelte Frist einge144

Meier 2013, S. 348 f. mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu kantonalem öffentlichen Recht; vgl. auch Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 30 zum Subventionsgesetz.

145 Subventionsgesetz vom 5. Oktober 1990 (SuG), SR 616.1.

146 Bundesgesetz vom 13. Dezember 1974 über die Ein- und Ausfuhr von Erzeugnissen aus Landwirtschaftsprodukten, SR 632.111.72.

272

führt wird: eine relative Verjährungsfrist von drei Jahren und eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren.

Absatz 3: Entspricht Artikel 60 Absatz 2 E-OR. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Die vorstehenden Erläuterungen gelten sinngemäss auch für die Änderungen in Artikel 66 GSchG.

Elektrizitätsgesetz147 Art. 37 Die Verjährungsfristen nach Artikel 37 EleG sollen an Artikel 60 E-OR angeglichen werden. Ergänzend sind Artikel 130 ff. OR anwendbar, namentlich bezüglich Hinderungs- und Stillstandsgründen und Unterbrechungshandlungen.

Strassenverkehrsgesetz148 Art. 83 Absatz 1: Die Verjährungsfristen für Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung aus Strassenverkehrsunfällen sollen an Artikel 60 E-OR angeglichen werden. Die Verweisung umfasst namentlich auch Artikel 60 Absatz 2 E-OR, der wie der bisherige Artikel 83 Absatz 1 Satz 2 SVG eine längere Verjährungsfrist im Falle einer strafbaren Handlung vorsieht. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die längere Verjährungsfrist auch für das direkte Forderungsrecht des Geschädigten gegenüber dem Versicherer (Art. 65 Abs. 1 SVG) gilt149, wird dadurch nicht tangiert und soll weiterhin Gültigkeit haben (vgl. die Erläuterungen zu Art. 60 Abs. 2 E-OR).

Ergänzend zu Artikel 60 E-OR sind die Artikel 130 ff. OR anwendbar, namentlich bezüglich Hinderungs- und Stillstandsgründen und Unterbrechungshandlungen.

Absatz 2: Diese Bestimmung kann aufgehoben werden, da ihr Regelungsgehalt neu in Artikel 136 Absatz 4 E-OR enthalten ist (vgl. die Erläuterungen zu dieser Norm unter Ziff. 2.1).

Absatz 3: Die Verjährungsfrist für den Rückgriffsanspruch wird zwecks Vereinheitlichung der Fristen von zwei auf drei Jahre verlängert.

Absatz 4: Die Verweisung auf das OR ist aufgrund der neuen Fassung von Artikel 83 Absatz 1 E-SVG nicht mehr nötig und kann daher aufgehoben werden.

Die vorstehenden Erläuterungen geltend sinngemäss auch für die Änderungen in Artikel 39 RLG.

147 148 149

Elektrizitätsgesetz vom 24. Juni 1902 (EleG), SR 734.0.

Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG), SR 741.01.

Vgl. BGE 112 II 79 E. 3.

273

Humanforschungsgesetz150 Art. 19 Abs. 2 Das Humanforschungsgesetz, das am 1. Januar 2014 in Kraft treten wird151, sieht in Artikel 19 Absatz 1 eine Kausalhaftung für Schäden vor, die im Zusammenhang mit der Durchführung von Forschungsprojekten bei teilnehmenden Personen entstehen (z.B. klinische Versuche mit Arzneimitteln). Die absolute Verjährungsfrist beträgt nach Artikel 19 Absatz 2 HFG ­ in Analogie zu den geltenden Bestimmungen des Obligationenrechts ­ zehn Jahre, während die relative Verjährungsfrist bereits drei Jahre beträgt. Um eine Schlechterstellung der durch eine Forschungshandlung geschädigten Person im Vergleich zu anderen Geschädigten, namentlich im medizinischen Bereich, zu vermeiden, ist es folgerichtig, dass in Artikel 19 Absatz 2 E-HFG neu auf die Bestimmungen von Artikel 60 E-OR verwiesen wird. Damit gilt neben der absoluten Verjährungsfrist von dreissig Jahren bei Personenschäden auch eine allfällig längere strafrechtliche Verjährungsfrist gemäss Artikel 60 Absatz 2 E-OR.

Mit Blick auf die Pflicht zur angemessenen Sicherstellung der Haftung (Art. 20 HFG) ist darauf hinzuweisen, dass die Sicherstellung die Haftung nicht zwingend vollumfänglich abdecken muss. So kann der Bundesrat gestützt auf Artikel 20 Absatz 2 Buchstabe a HFG die Anforderungen an die Sicherstellung festlegen und dabei die Sicherstellungspflicht auch in zeitlicher Hinsicht limitieren (vgl. hierzu Art. 13 Abs. 3 der Verordnung vom 20. September 2013 über klinische Versuche (KlinV)152, die am 1. Januar 2014 in Kraft treten wird153).

Bundesgesetz gegen die Schwarzarbeit154 Art. 15 Abs. 3 Im Rahmen der Inkraftsetzung der ZPO155 wurde versehentlich eine Anpassung von Artikel 15 Absatz 3 BGSA unterlassen. Zuständig für die Feststellungsklagen soll das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder an dem Ort sein, an dem die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer gewöhnlich die Arbeit verrichtet (Art. 34 Abs. 1 ZPO). Diese Regelung entspricht dem ursprünglichen Artikel 24 Absatz 1 GestG156. Zudem ist die bisherige Verweisung auf Artikel 343 Absatz 2 OR (einfaches und rasches Verfahren bis zu einem Streitwert von 30 000 Franken) zu streichen, da diese Bestimmung mit der ZPO aufgehoben wurde.

150 151 152 153 154 155 156

274

Humanforschungsgesetz vom 30. September 2011 (HFG), SR 810.30.

AS 2013 3215 SR 810.305 AS 2013 3407 Bundesgesetz gegen die Schwarzarbeit vom 17. Juni 2005 (BGSA), SR 822.41.

SR 272 Gerichtsstandsgesetz vom 24. März 2000 (GestG); aufgehoben mit Inkrafttreten der ZPO am 1. Januar 2011.

Zivildienstgesetz157 Art. 59 Absatz 1: Gleich wie in Artikel 20 E-VG, Artikel 143 E-MG und Artikel 65 E-BZG werden die Verjährungsfristen für Ansprüche gegen den Bund an Artikel 60 E-OR angeglichen. Die Verjährungsfristen für Ansprüche des Bundes werden neu separat in Artikel 59 Absatz 2 E-ZDG geregelt.

Absatz 2: Aufgrund der Verweisung auf die Verjährungsfristen des OR für Ansprüche aus unerlaubter Handlung in Artikel 59 Absatz 1 E-ZDG gilt für Ansprüche gegen den Bund die längere absolute Verjährungsfrist von dreissig Jahren bei Personenschäden (vgl. Art. 60 Abs. 1bis E-OR). Gleich wie in Artikel 23 Absatz 1 E-VG, Art. 143 Absatz 2 E-MG und Artikel 65 Absatz 3 E-BZG soll diese längere Frist jedoch nicht für Schadenersatzansprüche des Bundes gelten, weshalb die absolute Verjährungsfrist auch für Personenschäden bei zehn Jahren belassen wird.

Absatz 3: Entspricht Artikel 60 Absatz 2 E-OR. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Art. 60 Abs. 2 Diese Bestimmung entspricht Artikel 21 E-VG, Artikel 143 Absatz 4 E-MG und Artikel 65 Absatz 2 E-BZG. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung158 Art. 52 Abs. 3 Durch die Verweisung auf die Bestimmungen des OR über die Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung wird die relative Verjährungsfrist von zwei auf drei Jahre und die absolute Verjährungsfrist von fünf auf zehn Jahre verlängert.

Zudem ist die längere strafrechtliche Verfolgungsverjährung nach Artikel 60 Absatz 2 E-OR anwendbar. Personenschäden sind im Rahmen von Artikel 52 Absatz 1 AHVG nicht denkbar, da es um die Schädigung der Versicherung und nicht der Versicherten geht; somit bleibt für die Anwendung von Artikel 60 Absatz 1bis E-OR kein Raum. Für den Beginn der absoluten Verjährungsfrist soll nicht mehr der Eintritt des Schadens massgeblich sein, sondern der Tag, an dem das schädigende Verhalten eintrat oder aufhörte (vgl. Art. 60 Abs. 1 E-OR). Bezüglich weiterer Verjährungsfragen, namentlich Hinderungs- und Stillstandsgründe sowie Unterbrechungshandlungen, gelten Artikel 130 ff. OR Die vorstehenden Erläuterungen gelten sinngemäss auch für die Änderungen in Artikel 88 Absatz 3 und 4 AVIG.

157 158

Zivildienstgesetz vom 6. Oktober 1995 (ZDG), SR 824.0.

Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG), SR 831.10.

275

Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge159 Art. 52 Abs. 2 Die geltende Bestimmung sieht eine relative Verjährungsfrist von fünf Jahren und eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren vor. Gemäss den einleitend genannten Grundsätzen zur Anpassung des bisherigen Rechts soll auf die Kürzung bestehender Fristen verzichtet werden (vgl. Art. 760 Abs. 1 E-OR, Art. 919 Abs. 1 E-OR und Art. 147 Abs. 1 E-KAG), auch wenn dies in Widerspruch zum Ziel der Einheitlichkeit ­ und insbesondere auch zu den Regelungen in Artikel 52 Absatz 3 E-AHVG und Artikel 88 Absatz 3 E-AVIG ­ steht. Dies rechtfertigt sich, zumal die Organisation der verschiedenen Sozialversicherungen und damit die Bedeutung der Verantwortlichkeit der zuständigen Organe unterschiedlich sind; mit der unverändert längeren relativen Verjährungsfrist wird den Besonderheiten der beruflichen Vorsorge Rechnung getragen, wie dies zu Recht in der Vernehmlassung verlangt wurde160. Stattdessen wird lediglich der Beginn der absoluten Verjährungsfrist an Artikel 60 Absatz 1 E-OR angepasst, sodass diese neu mit dem Tag beginnt, an welchem das schädigende Verhalten eintrat oder aufhörte.

Kollektivanlagengesetz161 Art. 147 Absatz 1: Gemäss Vorentwurf sollte unter anderem die besondere einjährige Frist, die mit der Rückzahlung eines Anteils beginnt, aufgehoben werden und stattdessen nur noch eine (allgemeine) relative Verjährungsfrist von drei Jahren und eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren gelten162. Mit dem Verzicht auf die Vereinheitlichung des gesamten Verjährungsrechts besteht keine Notwendigkeit mehr, die besondere einjährige Frist abzuschaffen. Um die Einheitlichkeit der Dauer der Verjährungsfristen zu wahren, soll die Frist auf drei Jahre ab Rückzahlung eines Anteils verlängert werden. Die (allgemeine) relative Verjährungsfrist von fünf Jahren soll gemäss den einleitend genannten Grundsätzen zur Anpassung des bisherigen Rechts beibehalten und nicht auf drei Jahre verkürzt werden (vgl. Art. 760 Abs. 1 E-OR, Art. 919 Abs. 1 E-OR und Art. 52 Abs. 2 E-BVG). Im Weiteren wird der Beginn der absoluten Verjährungsfrist an Artikel 60 Absatz 1 E-OR angepasst, sodass diese neu mit dem Tag beginnt, an welchem das schädigende Verhalten eintrat oder aufhörte Absatz 2: Entspricht Artikel 60 Absatz 2 E-OR. Es kann auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden.

159

Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG), SR 831.40.

160 Vgl. Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 31.

161 Kollektivanlagengesetz vom 23. Juni 2006 (KAG), SR 951.31.

162 Vgl. Begleitbericht zum Vorentwurf, S. 56.

276

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Die beantragte Änderung des OR kann zu finanziellen Auswirkungen auf den Bund führen, wenn dieser ausnahmsweise nach Massgabe des Privatrechts handelt: Soweit der Bund Gläubiger oder Schuldner einer privatrechtlichen Forderung ist, kann sich namentlich die vorgeschlagene Verlängerung der Verjährungsfristen sowohl zugunsten des Bundes (als Gläubiger) als auch zu dessen Lasten (als Schuldner) auswirken.

Sofern daraus im Ergebnis tatsächlich direkte Mehrkosten oder indirekte Folgekosten resultieren sollten, wären diese durch anderweitige einnahmen- oder ausgabenseitige Kompensationen aufzufangen.

Im Weiteren können auch die Änderungen weiterer Bundesgesetze finanzielle Auswirkungen auf den Bund haben. Der Bund soll bezüglich der Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung oder ungerechtfertigter Bereicherung beziehungsweise mit solchen vergleichbaren Ansprüchen der Position privater Gläubiger und Schuldner gleichgestellt werden, soweit nicht besondere Gründe eine Sonderregelung rechtfertigen (vgl. dazu auch vorne Ziff. 2.2). Daraus kann für den Bund als Gläubiger eine finanzielle Besserstellung resultieren, indem Forderungen länger durchgesetzt werden können, insbesondere bei Rückerstattungsansprüchen (z.B.

Art. 85 Abs. 3 E-AsylG, Art. 38 Abs. 2 und 2bis E-FIFG, Art. 32 Abs. 2­4 E-SuG, Art. 14 E-VWBG, Art. 45 E-TSG), bei Rückgriffsansprüchen des Bundes (z.B.

Art. 21 E-VG, Art. 143 Abs. 4 E-MG, Art. 65 Abs. 2 E-BZG, Art. 60 Abs. 2 EZDG) sowie bei direkten Schadenersatzansprüchen (namentlich Art. 23 E-VG, Art. 143 Abs. 2 E-MG, Art. 65 Abs. 3 E-BZG, Art. 59 Abs. 2 E-ZDG). Auf der anderen Seite können sich für den Bund als Schuldner finanzielle Nachteile ergeben, indem er länger mit finanziellen Ansprüchen zu rechnen hat, namentlich bei Verantwortlichkeitsansprüchen gegen den Bund (Art. 20 E-VG, Art. 143 Abs. 1 E-MG, Art. 65 Abs. 1 E-BZG, Art. 59 Abs. 1 E-ZDG). Ob und inwiefern aus dieser einstweilen potenziellen Verbesserung beziehungsweise Verschlechterung der Rechtsposition des Bundes im Ergebnis finanzielle Auswirkungen resultieren, erscheint nicht abschätzbar. Sofern daraus tatsächlich direkte Mehrkosten oder indirekte Folgekosten resultieren sollten, wären diese durch anderweitige einnahmen- oder ausgabenseitige Kompensationen aufzufangen.

Im Übrigen hat die Vorlage keine besonderen Auswirkungen ­ insbesondere keine personellen oder organisatorischen ­ auf den Bund oder die Informatik des Bundes.

3.2

Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie Berggebiete

Von den beantragten Änderungen des OR sind die Kantone und Gemeinden ­ gleich wie der Bund ­ insofern betroffen, als sie nach Massgabe des Privatrechts handeln.

Daneben sind sie betroffen, soweit kantonales oder kommunales Recht im Rahmen einer sogenannten dynamischen Verweisung auf zu ändernde beziehungsweise geänderte Bestimmungen des Bundesrechts verweist.

Die beantragte Anpassung und Vereinheitlichung der Verjährungsregelungen im ZGB, im SchKG und im BZG (vgl. dazu vorne Ziff. 2.2) führen dazu, dass die Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber den Kantonen ­ und im Falle des BZG 277

auch gegenüber den Gemeinden ­ grundsätzlich ebenfalls später verjähren, wobei gleichzeitig auch allfällige Rückgriffsansprüche später verjähren (z.B. Art. 65 Abs. 2 E-MG) beziehungsweise verjähren können, soweit das kantonale Recht den Rückgriff regelt.

Im Übrigen hat die Vorlage keine besonderen Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden mit Ausnahme des Umstands, dass sich diese allenfalls veranlasst sehen könnten, ihre jeweiligen gesetzlichen Regelungen in Bezug auf die Verjährung ebenfalls anzupassen.

Die Berggebiete werden durch die vorgesehene Änderung von Artikel 14 VWBG betroffen, indem für Rückerstattungsansprüche nach Artikel 13 Absatz 1 und 2 ebenfalls eine längere Verjährungsfrist gelten soll.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

3.3.1

Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der Verjährung und verlängerter Verjährungsfristen

Dass die vorgesehenen Änderungen des Verjährungsrechts Auswirkungen auf den Rechts- und Wirtschaftsverkehr zwischen Unternehmen, Haushalten und Privaten und damit die Volkswirtschaft insgesamt haben, steht ausser Frage. Zu Recht wurde daher in der Vernehmlassung von verschiedener Seite darauf hingewiesen, dass diesen Auswirkungen besondere Beachtung zu schenken sei163. Diesen berechtigten Forderungen wurde im Rahmen der Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) durch eine rechtsökonomische gutachterliche Beurteilung Rechnung getragen (vgl. dazu hinten Ziff. 3.3.2). Zudem fand am 16. September 2013 eine Besprechung mit Vertretern der Versicherungsbranche statt (vgl. dazu auch hinten unter Ziff. 3.3.3).

Die Ermittlung der Auswirkungen der vorgeschlagenen Anpassungen des Verjährungsrechts, namentlich der Verlängerung der relativen Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre im Delikts- und Bereicherungsrecht, der Abschaffung der bisherigen besonderen fünfjährigen Verjährungsfrist für bestimmte vertragliche Ansprüche, der Neufassung der besonderen strafrechtlichen Verjährungsfrist sowie der neuen dreissigjährigen Verjährungsfrist bei Personenschäden, erweist sich aus den folgenden Gründen als sehr komplex und vielschichtig: ­

163

278

Die wirtschaftliche Bedeutung und die Auswirkungen der Verjährung lassen sich kaum empirisch belegen und quantifizieren. Ob, in welchen Fällen und vor allem mit welchen finanziellen Folgen die Verjährung von Forderungen praktisch relevant ist, lässt sich kaum feststellen: Mit der Ausnahme, dass in einem Prozess eine Forderung (einzig) zufolge Verjährung rechtskräftig abgewiesen wird, lassen sich die Auswirkungen der Verjährung kaum je eindeutig identifizieren. Denn bereits die ­ allenfalls nur abstrakte ­ Möglichkeit der Verjährung beeinflusst sowohl Gläubiger als auch Schuldner in ihren wirtschaftlichen Dispositionen. So kann ein Gläubiger von vornherein auf die Geltendmachung einer möglicherweise verjährten Forderung verzichten oder ein Schuldner eine solche Forderung dennoch ganz oder teilweise bezahlen.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 3.

­

Selbst im Falle eines Prozesses lassen sich die Auswirkungen der Verjährung beziehungsweise der Verjährungseinrede kaum je isoliert betrachten.

Vielmehr werden sie von anderen Aspekten, namentlich der Beweislage, beeinflusst und überlagert: Der Zeitablauf ist über die Verjährung hinaus gerade auch in Bezug auf die Verfügbarkeit und Aussagekraft von Beweismitteln von zentraler Bedeutung. Die Beweisführung wird durch Zeitablauf tendenziell kostenintensiver und schwieriger und der Prozessausgang unsicherer. Dies steht in Wechselwirkung zum materiellen Recht, das auf die in Frage stehende Forderung Anwendung findet, indem dieses die (Haftungs-) Voraussetzungen der Forderung und damit indirekt auch die Beweislast festlegt und letztlich die subjektiven Rechte des Gläubigers beziehungsweise des Geschädigten bestimmt. Mit Blick auf die vorgeschlagene Verlängerung der Verjährungsfristen ist davon auszugehen, dass diesen Aspekten in Zukunft eine noch grössere Bedeutung zukommen wird, während umgekehrt die Frage der Verjährung und damit auch ihrer (direkten) Auswirkungen insgesamt an Bedeutung verlieren dürfte.

­

Der heutige Rechts- und Wirtschaftsverkehr zeichnet sich durch eine Vielzahl gegen- und wechselseitiger Rechtsverhältnisse aus, in denen jede Person jeweils Gläubiger oder Schuldner einer Forderung sein kann, ohne dass sich sagen liesse, dass eine bestimmte Person immer nur Gläubiger oder immer nur Schuldner wäre. Daraus ergibt sich für die Auswirkungen der Verjährung eine wechselseitige Betroffenheit sämtlicher Beteiligter, deren finanzielle Gesamtwirkungen sich kaum quantitativ bestimmen und zuordnen lassen.

­

Weiter ist zu beachten, dass die Verjährung als Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners aus rechtsökonomischer Sicht durchaus als Ausnahme und nicht als Regelfall zu betrachten ist: Mit der Verjährung wird vom Grundsatz abgewichen, dass der Schuldner vom Gläubiger für eine sich aus dem materiellen Recht ergebende Forderung in Anspruch genommen werden kann.

Insofern bedürfen die Verjährung als solche und damit auch ihre Auswirkungen einer besonderen Rechtfertigung164.

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht liegt der Nutzen der Vorlage in der rechtspolitisch gewünschten verlängerten Belangbarkeit von Schädigern beziehungsweise Schuldnern für Forderungen, was zu einer vermehrten Internalisierung von ­ gerade im Bereich der Personenschäden nicht unerheblichen ­ Kosten führt, indem diese vermehrt auf die Verursacher übertragen werden (vgl. dazu Ziff. 3.3.2). Wenn diese in Zukunft unter den gleichen materiellen Voraussetzungen wie bisher, jedoch während einer längeren Frist in Anspruch genommen werden können, werden Anreize zur Schadensprävention und -verringerung sowie zu einer effizienten Ressourcenallokation gesetzt. Dies sollte zu einer erhöhten Markt- und Kostentransparenz und dementsprechend auch zu verbesserten Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb führen. Den (nicht quantifizierbaren) direkten und indirekten Kosten aufseiten der Schuldner, die potenziell mit einer erweiterten Inanspruchnahme konfrontiert werden (vgl. dazu auch Ziff. 3.3.3), stehen Ersparnisse aufseiten der Gläubiger sowie insbesondere auch Dritter und teilweise der Allgemeinheit gegen-

164

Vgl. Zimmermann 2002, S. 63, wonach jede Verjährung faktisch eine Enteignung bedeute.

279

über, soweit diese bisher zufolge Nichtbelangbarkeit des Schuldners mit Kosten belastet sind.

3.3.2

Rechtsökonomische Überlegungen

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen kann es bei der Darlegung der Auswirkungen der Vorlage nicht um quantitative, also zahlenmässige Darstellungen gehen, sondern vielmehr um eine qualitative Abschätzung der zu erwartenden Folgen der Vorlage. Die nachfolgenden Ausführungen basieren daher auf einer rechtsökonomischen gutachterlichen Beurteilung der Revision als Rechtsfolgenabschätzung (RFA)165. Diese bewertet die Vorlage anhand einer Auswertung der rechtsökonomischen Forschung und Literatur sowie empirischer Literatur und Studien, soweit letztere zu Fragen der Verjährung und der Verjährungsfristen überhaupt existieren und aussagekräftig sind. Nach dieser Beurteilung hat die Vorlage in ihren Kernpunkten gesamtwirtschaftlich Kosteneinsparungspotenzial und wird daher aus rechtsökonomischer Sicht bestätigt.

Besondere absolute Verjährungsfrist von dreissig Jahren bei Personenschäden Mit einer auf dreissig Jahren verlängerten absoluten Verjährungsfrist bei Personenschäden ist in Bezug auf Spätschäden von einer erwünschten verstärkten Anreizwirkung zur Schadensvermeidung auszugehen, indem daraus eine vermehrte und gesamtwirtschaftlich sinnvolle Internalisierung externer Kosten resultiert. Diese werden in der Folge nicht mehr von der Allgemeinheit, sondern grundsätzlich vom Schädiger getragen166. Die damit verbundene Differenzierung zwischen Personenschäden und übrigen Schäden wird dadurch gerechtfertigt, dass hauptsächlich bei den als gravierender einzustufenden Personenschäden mit langen Latenzzeiten bei kurzen Verjährungsfristen mit substanziell ungenügenden Anreizen zur Schadensvermeidung zu rechnen ist167. Gleichzeitig ist aus rechtsökonomischer Sicht davon auszugehen, dass die Verschlechterung der Beweislage und die teilweise erhöhte Rechtsunsicherheit, wie sie bei längeren Verjährungsfristen auftreten können, jedenfalls nicht einseitig zulasten des Geschädigten beziehungsweise des Gläubigers gehen oder aus Effizienzgesichtspunkten insgesamt gegen eine Verlängerung sprechen. So ist bei Spätschäden mit einer verlängerten Verjährungsfrist sogar eine Verbesserung der Beweissituation möglich, beispielweise infolge technischer Fortschritte168. Ebenso verhindert die (zusätzliche) relative Verjährungsfrist ein missbräuchliches Zuwarten («time-shopping») zulasten der ersatzpflichtigen Person169.
Auf der anderen Seite ist nicht auszuschliessen, dass sich die Versicherungs- und Aufbewahrungskosten erhöhen könnten. In Bezug auf die Aufbewahrung von Daten und Unterlagen sind nur jene Mehrkosten zu berücksichtigen, die sich allein aus der längeren Aufbewahrungszeit ergeben und die nicht ohnehin bei der Erhebung und Erfassung der archivierten Daten und Unterlagen anfallen. Zu beachten ist, dass die 165

166 167 168 169

280

Vgl. Gutachten zur Revision des Schweizerischen Verjährungsrechts aus rechtsökonomischer Perspektive vom 15. Juli 2013 (im Folgenden als «Gutachten» zitiert). Das Gutachten ist abrufbar unter www.bj.admin.ch > Themen > Wirtschaft > Gesetzgebung > Verjährungsfristen im Privatrecht.

Gutachten, S. 48 f., 64.

Gutachten, S. 49 ff.

Gutachten, S. 44 ff., 64 f.

Gutachten, S. 46 f.

vorliegende Revision keine Verlängerung der gesetzlichen Aufbewahrungsdauer vorsieht (vgl. die Erläuterungen zu Art. 60 Abs. 1bis E-OR). Für die Versicherungskosten ist die sogenannte effektive Verjährungsfrist, das heisst die Zeit, nach der ein durchschnittlicher Anspruch unter Betrachtung sowohl der absoluten als auch der relativen Frist in der Praxis tatsächlich verjährt ist oder wäre, als massgeblicher Faktor heranzuziehen. Nur sofern diese tatsächlich lange dauert, ist überhaupt von einer Erhöhung der Versicherungskosten auszugehen. Weil damit aber gerade die gewünschte Internalisierung externer Kosten verbunden ist und damit Anreize zur Schadensvermeidung gesetzt werden sollen, wären solche Kostenbelastungen gesamtwirtschaftlich gerechtfertigt170.

Verlängerung der relativen Verjährungsfrist Nach rechtsökonomischer Analyse ist bei einer Verlängerung der relativen Verjährungsfrist von ein Jahr auf drei Jahre nicht mit einer stark erhöhten Kostenbelastung und daher kaum mit negativen Auswirkungen zu rechnen. Dieser Befund basiert hauptsächlich auf der Annahme, dass durch die Verlängerung um zwei Jahre weder eine erhebliche Verschlechterung der Beweislage zu erwarten ist noch mit massgeblichen Unsicherheitskosten ­ insbesondere für Aufbewahrung und Versicherung ­ oder einer wesentlichen Reduktion der Rechtssicherheit zu rechnen ist171. Angesichts der bisherigen kurzen Frist von einem Jahr ist vielmehr davon auszugehen, dass die Anreizwirkung des materiellen Rechts und damit die Schadensvermeidungsrate gesamtwirtschaftlich positiv beeinflusst wird172.

Vereinheitlichung der Verjährungsregeln Unter Kostengesichtspunkten erscheint ein Verjährungssystem, das weder sehr komplex noch zu stark simplifiziert ist, am effizientesten173. Bedeutsam sind dabei gerade auch die Kosten, die bei der Anwendung eines komplexen und unübersichtlichen Verjährungssystems entstehen können174. Soweit insbesondere mit der Anwendung des bisherigen Artikels 128 OR Unklarheiten und Schwierigkeiten verbunden sind, kann die Streichung dieser bisherigen Sonderregelung daher auch unter rechtsökonomischen Gesichtspunkten gerechtfertigt erscheinen175.

3.3.3

Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen

Unternehmen Sämtliche Unternehmen, die nach Massgabe des schweizerischen Privatrechts Schuldner oder Gläubiger einer Forderung sein können ­ und damit ihre überwiegende Mehrheit ­, sind potenziell von der Vorlage betroffen. Der Grad der Betroffenheit hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, namentlich von Anzahl und Höhe der (möglichen) Forderungen eines Unternehmens sowie deren Rechtsgrund170 171 172 173 174 175

Gutachten, S. 47 ff.

Gutachten, S. 51 ff., 65 f.

Gutachten, S. 56.

Gutachten, S. 56 ff.

Gutachten, S. 57 ff.

Gutachten, S. 65 f.

281

lage, aber auch von der sogenannten effektiven Verjährung dieser Forderungen (vgl.

dazu Ziff. 3.3.2) und allfälligen Versicherungsansprüchen.

Wie bereits erwähnt (vgl. Ziff. 3.3.1) trifft die Vorlage, insbesondere die Verlängerung der Verjährungsfristen, die Unternehmen sowohl als Gläubiger als auch als Schuldner, sodass quantitative Aussagen zu den Gesamtwirkungen nicht möglich sind, sondern nur qualitative Aussagen zu den Tendenzen möglich sind.

Direkte Regulierungskosten können den Unternehmen dort entstehen, wo sie zufolge verlängerter Verjährungsfristen länger in Anspruch genommen werden können als heute, namentlich bei Personenschäden. Die Vorlage wird sich damit insbesondere auf Unternehmen auswirken, die in spezifischer Weise ­ zumindest potenziell ­ Schuldner von Forderungen zufolge Personenschäden sind beziehungsweise sein können, so beispielsweise Hersteller und Verarbeiter von Produkten, Stoffen oder Gegenständen, die mit spezifischen gesundheitlichen Gefahren verbunden sind, oder alle (Dienst-)Leistungserbringer mit Bezug zur (menschlichen) Gesundheit176. Nicht auszuschliessen ist dabei, dass diese daher finanziell überproportional betroffen sein könnten. Wie bereits ausgeführt handelt es sich bei diesen spezifischen Kostenbelastungen um die gesamtwirtschaftlich gerechtfertigte und rechtspolitisch mit der Vorlage gewünschte Internalisierung externer Kosten. Diese Kosten lassen sich nicht quantifizieren, zumal sie je nach Branche von verschiedenen weiteren Faktoren und Umständen abhängen, insbesondere von bisherigen Risiko- und Kostenkalkulationen.

Indirekte Regulierungskosten können in Form neuer beziehungsweise zusätzlicher Kosten für eine längere (freiwillige oder versicherungsrechtlich vereinbarte) Aufbewahrung von Daten und Unterlagen sowie erhöhter Versicherungskosten aufgrund der verlängerten Verjährungsfristen resultieren: ­

Höhere Aufbewahrungskosten dürften angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten, worüber die Unternehmen stets unter Berücksichtigung einer Kosten-Nutzen-Analyse selbst entscheiden könnten, nicht erheblich ins Gewicht fallen, selbst wenn sich eine Veranlassung zur verlängerten Archivierung in Zukunft gestützt auf entsprechende versicherungsrechtlichen Pflichten oder Obliegenheiten ergeben sollte. Wiederum dürften hier bestimmte Wirtschaftszweige möglicherweise überproportional betroffen sein.

­

Auch wenn sich die Auswirkungen einer Verlängerung der Verjährungsfristen auf die (Haftpflicht-)Versicherungen nicht quantifizieren lassen, erscheint als Folge der Revision insbesondere eine Erhöhung der Versicherungsprämien realistisch. Ebenso ist es denkbar, dass die Versicherer anderweitig auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren werden (z.B.

durch Ausschluss bestimmter heute grundsätzlich mitversicherter [Vor-] Risiken oder bestimmter Schäden sowie Vereinbarung bestimmter Pflichten oder Obliegenheiten]). Bei einer allfälligen Erhöhung der Versicherungskosten handelt es sich wiederum um eine gesamtwirtschaftlich gerechtfertigte Internalisierung externer Kosten. Gleiches gilt auch für mögliche weitere Massnahmen ­ beispielsweise, falls in Zukunft bestimmte Risiken nur noch im Rahmen besonderer Versicherungsmodelle versichert werden, um damit

176

282

Vgl. in diese Richtung auch die zitierten empirischen Studien im Gutachten, S. 36 f., welche jedoch andere Einflüsse von Haftungsbeschränkungen zum Gegenstand hatten.

gerade einem spezifischen Schädigungspotenzial Rechnung zu tragen, wie dies zum Beispiel bereits bei der Gentechnologie der Fall ist.

Spezifische Auswirkungen dürfte die Vorlage damit auch auf die Versicherungen haben, indem diese vom bereits erwähnten Mehrbedarf nach zusätzlichem, jedenfalls aber nach verändertem Versicherungsschutz und insbesondere durch veränderte Rahmenbedingungen betroffen sein dürften. Dazu lassen sich nach Angaben der Versicherungsbranche im Voraus wiederum keine quantitative Aussagen machen.

­

Demgegenüber ist nicht davon auszugehen, dass die verlängerten Verjährungsfristen die Kosten von sogenannten Due Diligence-Verfahren massgeblich beeinflussen werden, da die entsprechenden Haftungsrisiken schon heute und unabhängig von der Länge der Verjährungsfristen untersucht werden.

Haushalte Soweit sie Gläubiger beziehungsweise Schuldner von Forderungen sind, betrifft die Vorlage auch die Haushalte und Privatpersonen. Wie bei den Unternehmen ist es nicht möglich, die konkreten Gesamtwirkungen zu quantifizieren. Im Unterschied zu diesen erscheinen auch die möglichen indirekten Regulierungskosten für eine verlängerte Aufbewahrung von Dokumenten und Unterlagen sowie für vermehrte und möglicherweise in der Zukunft teilweise verteuerte Versicherung jedenfalls insgesamt als nicht beträchtlich.

Darüber hinaus dürfte die Vorlage für die Haushalte in zweierlei Hinsicht Kosteneinsparungen bringen: ­

Die verlängerte Verjährungsfrist bei Personenschäden dürfte gerade Privatpersonen zugute kommen, indem sie solche Schäden grundsätzlich während einer längeren Zeit geltend machen können, sofern sich der Anspruch entsprechend beweisen lässt. Zu erwähnen sind hier Asbestopfer sowie andere Opfer gesundheitlicher Langzeitschädigungen. Soweit Privatpersonen selbst für Personenschäden in Anspruch genommen werden, kann die verlängerte Verjährungsfirst andererseits auch für sie zu einer längeren Inanspruchnahme führen, wogegen sie sich mutmasslich auch weitergehend versichern können oder müssen.

­

Die Streichung der bisher in Artikel 128 OR vorgesehenen besonderen fünfjährigen Verjährungsfrist für bestimmte Forderungen, insbesondere Forderungen der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers, führt im Grundsatz ebenfalls zu Kosteneinsparungen bei den Haushalten. Gleichzeitig ist auf der anderen Seite eine längere Inanspruchnahme für Mietzinsen und andere periodische Leistungen möglich.

283

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

4.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 25. Januar 2012177 über die Legislaturplanung 20112015 angekündigt.

4.2

Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die Vorlage steht nicht in direktem Zusammenhang mit nationalen Strategien des Bundesrates. Nach den Zielen des Bundesrates 2013178 soll die Vorlage zusammen mit anderen Massnahmen dafür sorgen, dass die schweizerische Wirtschaft durch bestmögliche Rahmenbedingungen gefestigt und ihr Wachstum weiterhin gefördert wird (Ziel 2).

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 122 Absatz 1 BV, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts gibt.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Für die Schweiz bestehen im Bereich des Verjährungsrechts im Privatrecht zur zeit keine verbindlichen internationalen Verpflichtungen. So ist die Schweiz insbesondere weder dem Verjährungsübereinkommen (VerjÜbk) noch dem Zivilrechtsübereinkommen über Korruption (SEV Nr. 174) beigetreten (vgl. Ziff. 1.4.2). Die Vorlage orientiert sich jedoch auch an diesen Übereinkommen sowie bestehenden internationalen Modellregelwerken (vgl. Ziff. 1.4.2).

5.3

Erlassform

Die Vorlage enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung für den Erlass des Gesetzes ergibt sich aus Artikel 122 Absatz 1 BV. Der Erlass untersteht dem fakultativen Referendum.

177 178

284

BBl 2012 481, hier 607.

Ziele des Bundesrates im Jahr 2013, Bundesratsbeschluss vom 31. Oktober 2012, Band I, S. 16, abrufbar unter www.bk.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Politische Planung > Jahresziele.

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