14.021 Botschaft zur Genehmigung der Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs betreffend das Verbrechen der Aggression und die Kriegsverbrechen vom 19. Februar 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung der Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs betreffend das Verbrechen der Aggression und die Kriegsverbrechen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. Februar 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2013-3078

2045

Übersicht Ziel dieser Vorlage ist die Ratifikation zweier Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs: die Aufnahme des Verbrechens der Aggression in das Statut und die Erweiterung der bestehenden Tatbestände der Kriegsverbrechen. Beide Änderungen wurden anlässlich der Überprüfungskonferenz im Juni 2010 in Kampala, Uganda, unter massgeblicher Beteiligung der Schweiz verabschiedet.

Verbrechen der Aggression Das allgemeine Gewaltverbot ist eine der fundamentalsten Regeln in den Beziehungen zwischen Staaten. Es ist in der UNO-Charta verankert und gehört mittlerweile zum zwingenden Völkerrecht. Zwar ist die Anzahl zwischenstaatlicher bewaffneter Konflikte seit Ende des Zweiten Weltkriegs gesunken, dennoch wird das Gewaltverbot auch heutzutage noch viel zu häufig missachtet. Das Verbrechen der Aggression bringt das Gewaltverbot auf die individualstrafrechtliche Ebene. Die höchsten Entscheidungsträger in einem Staat werden künftig für krasse Verletzungen des Gewaltverbots persönlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden können.

Die Schweiz hat ein starkes Interesse daran, die Erweiterung des Römer Statuts um das Verbrechen der Aggression zu ratifizieren. Die Aggression wird von einigen als Mutter aller Verbrechen bezeichnet, denn ungerechtfertigte Gewaltanwendung zieht oft andere schwere Verbrechen wie Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach sich. Die Pönalisierung der Aggression leistet deshalb einen wichtigen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben der Völker, zur Achtung der Menschenrechte und zur Linderung von Not und Armut in der Welt grundlegende Werte der Schweiz und verfassungsmässige Kernziele der schweizerischen Aussenpolitik. Als neutraler Staat, der Mitglied des Völkerbunds war, 1929 dem BriandKellogg-Pakt zur Ächtung des Krieges beigetreten ist und sich 2002 mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen erneut zum Gewaltverbot bekannt hat, ist die Ratifizierung der Erweiterung des Statuts um das Verbrechen der Aggression die logische Fortsetzung einer konstanten Aussenpolitik. Schliesslich hat die Repression der Aggression auch für die Sicherheit und die territoriale Souveränität der Schweiz eine positive Wirkung. Sie hat einerseits einen abschreckenden Effekt auf mögliche Angriffshandlungen gegen die Schweiz,
andererseits leistet sie einen Beitrag zur Erhaltung von Frieden und Sicherheit im regionalen und internationalen Kontext, von dem die Schweiz mittelbar betroffen ist.

Mit dem Verbrechen der Aggression werden die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung, die eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, unter Strafe gestellt. Ob eine Verletzung als offenkundig gilt, beurteilt sich nach der Art, der Schwere und dem Umfang der Angriffshandlung. Die Strafbarkeit ist auf Personen beschränkt, die tatsächlich in der Lage sind, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken («leadership crime»).

2046

Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ist grundsätzlich auf Angriffshandlungen zwischen Staaten beschränkt, die dem Römer Statut angehören.

Dabei muss entweder der Vertragsstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Aggressor hat, oder der angegriffene Vertragsstaat die Erweiterung des Statuts um das Verbrechen der Aggression ratifiziert haben. Vertragsstaaten des Statuts können aber auch eine sogenannte Opt-out-Erklärung abgeben, um die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs auszuschliessen. Unterbreitet jedoch der Sicherheitsrat eine Situation dem Strafgerichtshof, gelten die erwähnten Beschränkungen nicht. In allen Fällen gilt, dass der Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit erst in der Zukunft wird ausüben können. Zunächst müssen 30 Staaten die Änderung betreffend das Verbrechen der Aggression ratifizieren, und danach muss die Versammlung der Vertragsstaaten zu einem Zeitpunkt nach dem 1. Januar 2017 die Gerichtsbarkeit noch aktivieren.

Der Bundesrat möchte unter den gegenwärtigen Umständen auf die Aufnahme des Verbrechens der Aggression ins Schweizer Strafrecht verzichten. Da mit der Ahndung eines Verbrechens der Aggression die Beurteilung von Gewaltanwendungen anderer Staaten einhergehen könnte, ist es angebracht, die konkreten Auswirkungen der Änderung des Römer Statuts auf der Ebene des Internationalen Strafgerichtshofs und die Herangehensweise anderer Staaten abzuwarten. Trotzdem kann die Schweiz auf der Basis der aktuellen Gesetzgebung in Bezug auf das Verbrechen der Aggression vollständig mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten; sie erfüllt damit die Anforderungen des geänderten Römer Statuts bereits heute.

Erweiterung der bestehenden Tatbestände der Kriegsverbrechen Die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen, die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen und die Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken (sog. «Dumdumgeschosse») wurden bei der Verabschiedung des Römer Statuts im Jahr 1998 nur im internationalen bewaffneten Konflikt zum Kriegsverbrechen erklärt. In den seither geführten Diskussionen wurde die Forderung nach einer Ausdehnung der Strafbarkeit für diese Handlungen auf nicht internationale
bewaffnete Konflikte immer lauter. 2010 wurde die entsprechende Erweiterung der Tatbestände der Kriegsverbrechen schliesslich von den Vertragsstaaten des Römer Statuts verabschiedet.

Die Erweiterung der Tatbestände der Kriegsverbrechen ist aus Sicht der Schweiz zu begrüssen, weil der Unrechtsgehalt der fraglichen Handlungen und das Leiden der Opfer in beiden Arten von Konflikten identisch sind. Die Änderung verbessert den Schutz von Zivilisten und von an den Kampfhandlungen beteiligten Personen.

Die Anpassung des Römer Statuts betreffend die Kriegsverbrechen erfordert keine Änderung des nationalen Strafrechts, da dieses im Gegensatz zum Statut grundsätzlich nicht zwischen internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten unterscheidet und die betreffenden Handlungen schon heute in beiden Konfliktarten innerstaatlich unter Strafe gestellt sind.

2047

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Der Internationale Strafgerichtshof und die Überprüfungskonferenz von Kampala 2010

Der Internationale Strafgerichtshof (in der Folge auch «Strafgerichtshof» oder «IStGH») ist eine ständige Institution mit Sitz in Den Haag, die für die Beurteilung der schwersten Verbrechen zuständig ist, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und das Verbrechen der Aggression. Die völkerrechtliche Grundlage der Institution ist das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 19981 («Römer Statut» oder «Statut»). Die Schweiz ratifizierte das Statut am 12. Oktober 2001, und am 1. Juli 2002 trat es nach 60 erfolgten Ratifikationen in Kraft.2 Mittlerweile sind 122 Staaten dem Statut beigetreten (Stand: 28. Jan. 2014).3 Das Römer Statut sieht in Artikel 123 Absatz 1 die Durchführung einer Konferenz zwecks Prüfung etwaiger Änderungen des Statuts vor. Diese Überprüfungskonferenz fand zwischen dem 31. Mai und dem 11. Juni 2010 in Kampala, Uganda, statt. Sie mündete in die Verabschiedung von zwei unabhängigen Änderungen des Statuts:


Festlegung der Definition des Verbrechens der Aggression und der Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen (Resolution RC/Res.6 vom 11. Juni 2010)4



Ergänzung von Artikel 8 des Römer Statuts betreffend die Kriegsverbrechen (Resolution RC/Res.5 vom 10. Juni 2010)5

1.2

Verbrechen der Aggression

1.2.1

Durchsetzung des allgemeinen Gewaltverbots zur Bewahrung von Frieden und Sicherheit und zum Schutz der Menschenrechte

Unter dem Eindruck der Schrecken zweier Weltkriege ist in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine der fundamentalsten Regeln entstanden, die in der Beziehungen zwischen Staaten zur Anwendung kommt: das allgemeine Gewalt1 2

3

4

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SR 0.312.1 Vgl. allgemein zum Römer Statut die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391).

Die aktuelle Liste der Vertragsstaaten findet sich unter www.eda.admin.ch > Themen > Völkerrecht > Internationale Verträge > Datenbank Staatsverträge (letzter Zugriff am 28. Jan. 2014).

Der Text ist in seinen Orginalsprachen erhältlich unter www.icc-cpi.int > Français > Assemblée des Etats Parties > Résolutions > Conférence de révision > RC/Res.6 (letzter Zugriff am 28. Jan. 2014).

Der Text ist in seinen Orginalsprachen erhältlich unter www.icc-cpi.int > Français > Assemblée des Etats Parties > Résolutions > Conférence de révision > RC/Res.5 (letzter Zugriff am 28. Jan. 2014).

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verbot. Ihm liegt die Erkenntnis zugrunde, dass bewaffnete Auseinandersetzungen verhindert werden müssen, weil sie Frieden und Sicherheit verunmöglichen, zu schwersten Verletzungen von Menschenrechten führen und bei den Betroffenen grosses Leid verursachen.6 Obwohl das allgemeine Gewaltverbot eine Kernbestimmung der universell akzeptierten Charta der Vereinten Nationen ist7 und zum zwingenden Völkerrecht gehört8, zeigen zahlreiche zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte, dass seine Durchsetzung schwierig ist. Der UNO-Sicherheitsrat und der Internationale Gerichtshof (IGH) können zwar seit 1945 das Vorliegen einer Angriffshandlung feststellen, doch diese Feststellungen betreffen immer nur Verfehlungen von Staaten als abstrakte Einheiten (sog. Staatenverantwortlichkeit). Mit der Zeit wuchs tatsächlich die Einsicht, dass Angriffshandlungen letztlich von einzelnen Führungspersonen in die Wege geleitet werden und in erster Linie auf dieser individuellen Ebene bekämpft werden müssen.

Ziel der Aufnahme des Verbrechens der Aggression in das Römer Statut ist es deshalb, die Durchsetzung des allgemeinen Gewaltverbots zu verbessern, indem dieser Verbrechenstatbestand es ermöglicht, die höchsten Entscheidungsträger in einem Staat inskünftig für die Missachtung des Verbots persönlich zur Verantwortung zu ziehen. Diese Änderung des Statuts unterstreicht den zwingenden Charakter des allgemeinen Gewaltverbots in den internationalen Beziehungen, ermöglicht die Bestrafung von fehlbaren Individuen und trägt aufgrund der abschreckenden Wirkung zur Prävention von Angriffshandlungen und den damit verbundenen Konsequenzen für die betroffenen Menschen bei.

Die Schweiz hat ein starkes Interesse daran, die Erweiterung des Römer Statuts um das Verbrechen der Aggression zu ratifizieren. Die Pönalisierung der Aggression verschafft grundlegenden Werten der Schweizer Aussen- und Friedenspolitik Geltung. Insbesondere leistet diese Änderung einen wichtigen Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker, zur Achtung der Menschenrechte und zur Linderung von Not und Armut in der Welt verfassungsmässige Kernziele der schweizerischen Aussenpolitik.9 Eine Ratifikation ist auch aufgrund der humanitären Tradition der Schweiz und ihres aktiven Engagements für die Prävention und Regelung von Gewaltkonflikten sowie die nachhaltige
Friedenssicherung angezeigt.10 Schliesslich hat die Repression der Aggression auch eine positive Wirkung auf die Sicherheit und die territoriale Souveränität der Schweiz. Die Ratifizierung der Erweiterung des Status um das Verbrechen der Aggression hat einerseits einen abschreckenden Effekt auf mögliche Angriffshandlungen gegen die Schweiz, andererseits leistet sie einen Beitrag zur Erhaltung von Frieden und Sicherheit im regionalen und internationalen Kontext, von dem die Schweiz mittelbar betroffen ist.

6 7 8 9 10

Vgl. Präambel der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (UNO-Charta, SR 0.120).

Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charta Botschaft vom 20. Nov. 1996 über eine neue Bundesverfassung (BBl 1997 I 1, hier 362).

Art. 54 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV, SR 101) Aussenpolitische Strategie 2012­2015, Bericht des Bundesrates über die aussenpolitischen Schwerpunkte der Legislatur, März 2012, S. 13­14, www.eda.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Die schweizerische Aussenpolitik (letzter Zugriff am 28. Jan. 2014).

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Dass das Gewaltverbot für die Schweiz ein elementares Anliegen ist, zeigt sich im Übrigen an einer Reihe von internationalen Verpflichtungen, welche die Schweiz im Laufe der Zeit eingegangen ist:


1910: Beitritt zu den Haager Abkommen über Rechte und Pflichten der Neutralen,11 welche Kriegshilfe an kriegsführende Staaten untersagen.



1920: Beitritt zum Völkerbund, der die Bewahrung des Friedens als Kernaufgabe hatte.



1929: Beitritt zum Briand-Kellogg-Pakt, gemäss dem sich die Vertragsstaaten verpflichten, «dass sie den Krieg als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten verurteilen und auf ihn als ein Instrument der nationalen Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten»12.



2002: Beitritt zu den Vereinten Nationen, denen ein System der kollektiven Sicherheit basierend auf dem allgemeinen Gewaltverbot zugrunde liegt.

Die Pönalisierung des Verbrechens der Aggression auf dem Weg einer internationalen Übereinkunft ist eine wichtige völkerrechtliche Errungenschaft. Die Schweiz setzt sich schon seit vielen Jahren aktiv für den Kampf gegen die Straflosigkeit ein.

Das Verbrechen der Aggression schliesst hier eine grosse Lücke. Die Ratifizierung durch die Schweiz kann einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung des allgemeinen Gewaltverbots leisten und damit die Bewahrung von Frieden und Sicherheit, den Schutz der territorialen Souveränität der Schweiz und die Beachtung der Menschenrechte unterstützen.

1.2.2

Vorgeschichte

Seit 1945 ist die Charta der Vereinten Nationen der völkerrechtliche Ankerpunkt des allgemeinen Gewaltverbots: «Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.»13 Diese Kernbestimmung des Völkerrechts richtet sich ausschliesslich an Staaten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden aber auch Individuen für das aggressive Verhalten eines Staates zur Verantwortung gezogen. Zahlreiche Personen wurden vor den Internationalen Militärtribunalen in Nürnberg und Tokio wegen «Verbrechen gegen den Frieden» angeklagt und verurteilt. Dieses bestand insbesondere in der Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder

11

12 13

Abkommen vom 18. Okt. 1907 betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs (SR 0.515.21); Abkommen vom 18. Okt. 1907 betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Falle eines Seekriegs (SR 0.515.22).

Art. I des Vertrags vom 27. Aug. 1928 über den Verzicht auf den Krieg (SR 0.193.311).

Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charta. Ausgenommen vom Gewaltverbot sind vom Sicherheitsrat autorisierter Gewaltanwendung (Art. 42) und Massnahmen zur Selbstverteidigung (Art. 51).

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Zusicherungen.14 Nach den Prozessen von Nürnberg und Tokio gab es Bestrebungen, das «Verbrechen gegen den Frieden» auf internationaler Ebene dauerhaft zu kodifizieren.15 Das Ansinnen erwies sich aber lange Zeit als politisch nicht realisierbar. 1974 definierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen Aggression zwar als Handlung eines Staates näher,16 auf die Umschreibung eines individuellen Verbrechens konnten sich die Länder jedoch nicht einigen.

Auch in den Verhandlungen, die 1998 zur Verabschiedung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs führten, konnten die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Definition der Aggression als Verbrechen einer Einzelperson nicht überwunden werden. Uneinigkeit herrschte über die Definition des Verbrechens aber auch über die Frage, welche Rolle der UNO-Sicherheitsrat beim Entscheid haben sollte, ob eine Aggressionshandlung eines Staates vorliegt. Die Konferenz in Rom entschied daher, den nun «Verbrechen der Aggression» genannten Tatbestand zwar im Statut zu erwähnen,17 die diesbezügliche Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofes aber vorerst auszusetzen. Zuerst sollten das Verbrechen der Aggression definiert und die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit festgelegt werden.18 Die Staaten betrauten die Vorbereitungskommission des Strafgerichtshofs mit dieser Aufgabe; die Kommission richtete ihrerseits eine zwischen 1999 und 2002 tagende Arbeitsgruppe zum Verbrechen der Aggression ein («Working Group on the Crime of Aggression»). Diese Arbeitsgruppe publizierte am 11. Juli 2002 ein Diskussionspapier, das die Vorschläge der Staaten zusammenfasste.19 Nach dem Inkrafttreten des Römer Statuts am 1. Juli 2002 setzte die Versammlung der Vertragsstaaten des Statuts eine Sonderarbeitsgruppe zum Verbrechen der Aggression ein («Special Working Group on the Crime of Aggression»), welche die bisherige Arbeit fortführen und abschliessen sollte. In die Beratungen der Sonderarbeitsgruppe zwischen 2002 und 2009 waren nicht nur Vertreterinnen und Vertreter von Vertragsstaaten, sondern auch von Nichtvertragsstaaten, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft einbezogen. Die Sonderarbeitsgruppe legte die Ergebnisse ihrer Arbeit im Februar 2009 vor.20 Sie hatte zwar eine Einigung in Bezug auf die Definition des Verbrechens der Aggression erzielt, strittig
blieb aber die Frage der Ausübung der Gerichtsbarkeit. Im November 2009 hiess die Versammlung der Vertragsstaaten die Vorschläge der Sonderarbeitsgruppe einstimmig als Grundlage für die Verhandlung an der Überprüfungskonferenz gut.

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15 16 17 18 19

20

Art. 6 Bst. a 1945 London Charter, in: Stefan Barriga und Claus Kress (Hrsg.), Crime of Aggression Library The Travaux Préparatoires on the Crime of Aggression, Cambridge (Cambridge University Press) 2012, S. 131; Art. 5 Bst. a 1946 Tokyo Charter, in: ebd., S. 134.

Affirmation of the Principles of International Law Recognized by the Charter of the Nürnberg Tribunal, Dokument A/RES/1/95, 11 December 1946, Operativer Absatz 2.

Definition of Aggression, Anhang der Resolution 3314 (XXIX) der UNO-Generalversammlung, 14. Dezember 1974, Dokument A/RES/29/3314.

Art. 5 Abs. 1 Bst. d des Römer Statuts Art. 5 Abs. 2 des Römer Statuts 2002 Coordinator's Paper (July), in: Stefan Barriga und Claus Kress (Hrsg.), Crime of Aggression Library The Travaux Préparatoires on the Crime of Aggression, Cambridge (Cambridge University Press) 2012, S. 412.

2009 Special Working Group on the Crime of Aggression Report, in: ebd., S. 648; 2009 Special Working Group on the Crime of Aggression Report, in: ebd., S. 663.

2051

1.2.3

Verlauf der Verhandlungen an der Überprüfungskonferenz

An der zwischen dem 31. Mai und dem 11. Juni 2010 abgehaltenen Überprüfungskonferenz in Kampala nahmen über 4600 Delegierte von 87 Vertragsstaaten, 32 Nichtvertragsstaaten (einschliesslich USA, Russland und China) sowie zahlreichen zwischenstaatlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen teil.

Da die Sonderarbeitsgruppe schon im Vorfeld der Überprüfungskonferenz eine Einigung bezüglich der Definition des Verbrechens der Aggression erreicht hatte, drehten sich die Verhandlungen hauptsächlich um die Frage der Ausübung der Gerichtsbarkeit.21 Insbesondere die Stellung des UNO-Sicherheitsrates gab zu reden. Verschiedene Staaten, darunter die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, argumentierten mit Artikel 39 der UNO-Charta, der besagt, dass der Rat das Vorliegen einer Angriffshandlung feststellt. Diese Gruppe war der Auffassung, dass der Strafgerichtshof nur dann seine Gerichtsbarkeit in Bezug auf das Verbrechen der Aggression ausüben dürfe, wenn der Sicherheitsrat ihm die fragliche Situation gemäss Artikel 13 Buchstabe b des Römer Statuts vorlegt. Eine andere Staatengruppen war jedoch der Meinung, der Strafgerichtshof solle wie bei den übrigen Verbrechen gemäss dem Römer Statut auch dann tätig werden können, wenn ein Vertragsstaat die Situation unterbreitet (Art. 13 Bst. a) oder die Anklägerin oder der Ankläger aus eigener Initiative agiert (Art. 13 Bst. c). Zu dieser zweiten Gruppe gehörte auch die Schweiz.

Die Bestimmungen über das Verbrechen der Aggression konnten schliesslich nur dank einer Reihe von Kompromissen im Konsens verabschiedet werden. So kann der Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression erst ausüben, wenn 30 Staaten die diesbezügliche Änderung des Römer Statuts ratifiziert haben und die Versammlung der Vertragsstaaten der Ausübung der Gerichtsbarkeit zu einem Zeitpunkt nach dem 1. Januar 2017 mit einem weiteren Entscheid zustimmt. Weiter haben die Vertragsstaaten die Möglichkeit, die Gerichtsbarkeit im Falle einer Unterbreitung durch einen Vertragsstaat oder von Ermittlungen der Anklägerin oder des Anklägers aus eigener Initiative auszuschliessen, wenn sie eine entsprechende Opt-out-Erklärung abgeben.

Die Schweizer Delegation konnte einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der Verhandlungen leisten. Zusammen mit Argentinien und Brasilien
brachte sie einen informellen Kompromissvorschlag ein, der einige bis dahin nicht diskutierte Ideen enthielt und die völlig blockierten Verhandlungen wieder in Schwung brachte.22 So wurde am 11. Juni 2010 möglich, was nur Tage zuvor kaum jemand für realistisch gehalten hätte: Die Definition des Verbrechens der Aggression und die Bedingungen

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22

Für den detaillierten Verhandlungsverlauf vgl. Stefan Barriga, Negotiating the Amendments on the crime of aggression, in: Stefan Barriga und Claus Kress (Hrsg.), Crime of Aggression Library The Travaux Préparatoires on the Crime of Aggression, Cambridge (Cambridge University Press) 2012, S. 3­57; Claus Kress/Leonie von Holtzendorff, The Kampala Compromise on the Crime of Aggression, Journal of International Criminal Justice 8 (2010), S. 1179­1217.

Non-paper submitted by the delegations of Argentina, Brazil and Switzerland as of 6 June 2010, in: Stefan Barriga und Claus Kress (Hrsg.), Crime of Aggression Library The Travaux Préparatoires on the Crime of Aggression, Cambridge (Cambridge University Press) 2012, S. 740.

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zur Ausübung der Gerichtsbarkeit konnten von der Überprüfungskonferenz von Kampala im Konsens verabschiedet werden.

1.2.4

Verhandlungsergebnis und Überblick über die Änderungen

Tatbestand des Verbrechens der Aggression (Art. 8bis des Römer Statuts) Gemäss der an der Überprüfungskonferenz in Kampala beschlossenen Definition besteht das Verbrechen der Aggression aus zwei Komponenten: Erstens ist für die Begehung des Verbrechens der Aggression eine Angriffshandlung eines Staates erforderlich. Für die Umschreibung der Angriffshandlung griffen die Staaten auf den Wortlaut der Resolution 3314 (XXIX) zurück, in der die UNOGeneralversammlung 1974 den Begriff Angriffshandlung definiert hatte.23 Eine Angriffshandlung ist demnach «die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen anderen Staat».24 Damit jedoch eine Angriffshandlung ein konstituierendes Element des Verbrechens der Aggression sein kann, muss sie zusätzlich «ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen» darstellen.25 Mit anderen Worten ist also eine qualifizierte Angriffshandlung eines Staates erforderlich, damit ein Verbrechen der Aggression durch ein Individuum begangen werden kann. Damit sollen Angriffshandlungen, die in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt sind, von vornherein ausgeschlossen werden.

Zweitens setzt das Verbrechen der Aggression zusätzlich zur Angriffshandlung eines Staates die Handlung eines individuellen Täters voraus. Dieser muss gemäss der verabschiedeten Definition eine Person sein, «die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken».26 Beim Verbrechen der Aggression handelt es sich demnach um ein Führungsverbrechen («leadership crime»), das nur von einem begrenzten Personenkreis begangen werden kann. Die individuellen Tathandlungen («Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung»27) sind fast wörtlich aus der Definition des «Verbrechens gegen den Frieden» in den Statuten der Internationalen Militärtribunale von Nürnberg und Tokio übernommen worden.28

23 24 25 26 27 28

Vgl. Art. 1 und 3 der Definition der Aggression, Anhang der Resolution 3314 (XXIX) der UNO-Generalversammlung, 14. Dezember 1974, Dokument A/RES/29/3314.

Art. 8bis Abs. 2 erster Satz des Römer Statuts Art. 8bis Abs. 1 des Römer Statuts Art. 8bis Abs. 1 des Römer Statuts Art. 8bis Abs. 1 des Römer Statuts Art. 6 Bst. a 1945 London Charter, in: Stefan Barriga und Claus Kress (Hrsg.), Crime of Aggression Library The Travaux Préparatoires on the Crime of Aggression, Cambridge (Cambridge University Press) 2012, S. 131; Art. 5 Bst. a 1946 Tokyo Charter, in: ebd., S. 134.

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Ausübung der Gerichtsbarkeit (Art. 15bis und 15ter des Römer Statuts) Wie oben erwähnt, war der am heftigsten umstrittene Fragenbereich die Klärung der Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression. Die verabschiedete Regelung baut auf den drei Auslösemechanismen auf, die auch für die anderen Verbrechen gemäss dem Römer Statut gelten: Unterbreitung durch einen Vertragsstaat, Ermittlungen der Anklägerin oder des Anklägers aus eigener Initiative und Unterbreitung durch den Sicherheitsrat.29 Auf dieser Grundlage gab es zwei Fragen zu regeln.

Zunächst war das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und IStGH zu bereinigen: Kann der IStGH sich erst mit einem Verbrechen der Aggression befassen, wenn der Sicherheitsrat festgestellt hat, dass eine Angriffshandlung im Sinne von Artikel 39 der UNO-Charta stattgefunden hat? Dies war in der Tat der Vorschlag der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Der Vorschlag hätte bedeutet, dass die Gerichtsbarkeit des IStGH abhängig gewesen wäre von einem politischen Entscheid des Sicherheitsrats. Die verabschiedete Lösung sieht hingegen vor, dass der Sicherheitsrat zwar zu konsultieren ist, der Gerichtshof aber auch dann mit dem Verfahren weitermachen kann, wenn der Sicherheitsrat nach einer Frist von sechs Monaten noch keine Feststellung einer Aggressionshandlung vorgenommen hat.30 Erwähnenswert ist zudem, dass der Gerichtshof nicht an eine allfällige Feststellung einer Aggressionshandlung durch den Sicherheitsrat gebunden ist.31 Die zweite Frage war, welche Staaten das Verbrechen der Aggression ratifiziert haben müssen, damit der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben kann. Braucht es die Zustimmung sowohl des Täter- als auch des Opferstaats (kumulativ), oder reicht die Ratifikation nur einer der beiden Staaten (alternativ)? In dieser Frage waren die Haltungen gespalten.32 Die schliesslich verabschiedete Kompromisslösung sieht nun Folgendes vor: Ausgangspunkt ist Artikel 12 des Statuts. Danach ist der Gerichtshof zuständig für ein Verbrechen, das von einem Staatsangehörigen eines Vertragsstaats oder auf dem Gebiet eines Vertragsstaats begangen wurde. Auf das Verbrechen der Aggression übersetzt bedeutet dies im Prinzip, dass es reicht, wenn entweder der Täter- oder der Opferstaat das Aggressionsverbrechen ratifiziert hat (alternatives
Regime). Von diesem Grundsatz gibt es nun aber zwei Ausnahmen, die gemäss Artikel 15bis zur Anwendung kommen, wenn ein Vertragsstaat die Situation dem IStGH unterbreitet oder die Anklägerin oder der Ankläger auf eigene Initiative ermittelt (zur Unterbreitung durch den Sicherheitsrat siehe unten):


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Erstens kann der Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit nicht ausüben, wenn das Verbrechen der Aggression von Staatsangehörigen eines Nichtvertragsstaats des Römer Statuts oder in dessen Hoheitsgebiet begangen wurde.33 Ist also der Täter- oder Opferstaat ein Nichtvertragsstaat, ist die Gerichtsbarkeit des IStGH in Bezug auf ein allfälliges Verbrechen der Aggression ausgeschlossen.

Art. 13 i. V. m. Art. 15bis Abs. 1 und 15ter Abs. 1 des Römer Statuts Art. 15bis Abs. 8 und 9 des Römer Statuts Art. 15bis Abs. 9 und Art. 15ter Abs. 4 des Römer Statuts Zusätzlich erschwert wurde eine einvernehmliche Lösung dadurch, dass die Lektüre der einschlägigen Bestimmungen des Statuts zu widersprüchlichen Antworten führen kann.

Art. 15bis Abs. 5 des Römer Statuts

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Zweitens kann ein Vertragsstaat präventiv erklären, dass er die Gerichtsbarkeit über ein Verbrechen der Aggression für den Fall ausschliesst, dass er eine Angriffshandlung begeht (sogenannte Opt-out-Erklärung).34 Man darf annehmen, dass die politische Hürde für eine solche Opt-out-Erklärung relativ hoch ist.

Da Nichtvertragsstaaten von der Gerichtsbarkeit gemäss Artikel 15bis nicht betroffen sein können und Vertragsstaaten die Möglichkeit einer Opt-out-Erklärung haben, handelt es sich im Ergebnis um eine konsensbasierte Lösung. Allerdings reicht die stillschweigende Zustimmung des Täterstaats (Verzicht auf Hinterlegung einer Optout-Erklärung), wenn der Opferstaat seinerseits das Verbrechen der Aggression ratifiziert hat.35 Unterbreitet hingegen der Sicherheitsrat dem Strafgerichtshof eine Situation, so gelten die eben erwähnten Beschränkungen gemäss Artikel 15ter nicht. Wie das auch für die anderen Verbrechen des Römer Statuts gilt, kann der Sicherheitsrat dem Strafgerichtshof sowohl eine Situation in einem Vertrags- als auch in einem Nichtvertragsstaat unterbreiten.36 Eine allfällige Opt-out-Erklärung würde zudem durch die bindende Kraft der Sicherheitsratsresolution belanglos.

Für alle Auslösemechanismen gilt, dass der Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit frühestens ab 2017 wird ausüben können. Zusätzlich müssen mindestens 30 Staaten die Änderungen zum Verbrechen der Aggression ratifizieren, und die Versammlung der Vertragsstaaten muss einen Beschluss zur Aktivierung der Gerichtsbarkeit fällen, der einer Zweidrittelmehrheit der Vertragsstaaten oder des Konsenses bedarf.37 «Verbrechenselemente» und «Vereinbarte Auslegung» Gemeinsam mit den Änderungen des Römer Statuts zum Verbrechen der Aggression verabschiedete die Überprüfungskonferenz auch die dazugehörigen «Verbrechenselemente», die gemäss Artikel 9 des Römer Statuts den Strafgerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der Tatbestände unterstützen sollen. Sie beruhen im Wesentlichen auf Arbeiten einer Expertenkommission unter Schweizer Vorsitz, die sich im April 2009 in Montreux auf Schweizer Initiative hin getroffen hatte, als die Definition des Verbrechens der Aggression absehbar wurde.

Als weitere Auslegungshilfe beschloss die Überprüfungskonferenz auch eine «Vereinbarte Auslegung».

Verbindliche Wortlaute und Übersetzungen Der arabische, chinesische, englische, französische, russische und spanische Wortlaut der Änderungen des Römer Statuts sind gleichermassen verbindlich und sind beim UNO-Generalsekretär hinterlegt, der als Depositar des Römer Statuts fungiert.38 Für die Schweiz entspricht die französische Version demnach einem Originaltext. Die
deutsche Übersetzung der Änderungen wurde in Zusammenarbeit mit Liechtenstein, Österreich und Deutschland erarbeitet. Die italienische Übersetzung 34 35 36 37 38

Art. 15bis Abs. 4 des Römer Statuts Siehe zur Gerichtsbarkeit auch die Tabelle unten unter Ziff. 2.1.

Art. 15ter Abs. 1 i. V. m. Art. 13 Bst. b des Römer Statuts Art. 15bis Abs. 2 und 3 bzw. Art. 15ter Abs. 2 und 3 i. V. m. Art. 121 Abs. 3 des Römer Statuts Art. 128 des Römer Statuts

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wurde von der Schweiz erstellt und den zuständigen italienischen Behörden zur Verwendung übermittelt.

1.2.5

Würdigung

Die Verabschiedung des Verbrechens der Aggression durch die Vertragsstaaten des Römer Statuts ist ein Meilenstein in der internationalen Strafgerichtsbarkeit. Das Internationale Militärtribunal in Nürnberg hatte das Delikt zwar als das schwerste internationale Verbrechen bezeichnet,39 doch erst die Überprüfungskonferenz von Kampala beendete ein über 65 Jahre dauerndes Tauziehen um die Kodifizierung des Tatbestands. Die Schwierigkeit bestand darin, dass mit dem Verbrechen die Beurteilung von Handlungen eines Staates verbunden ist, die traditionellerweise zum Kernbereich der Souveränität gehörten. Zwar bekannten sich die Staaten mit der UNOCharta zur Einschränkung des Kriegsrechts, die Durchsetzung dieser Beschränkung mittels Strafrecht stellt jedoch noch einmal eine neue Dimension dar. Auch die Ansprüche des Sicherheitsrats, insbesondere seiner ständigen Mitglieder, im Bereich Frieden und Sicherheit alle Fäden in der Hand zu halten, hatten die Debatte lange blockiert. Umso höher zu werten ist der Durchbruch an der Überprüfungskonferenz von Kampala.

Zweifellos ist die Verabschiedung der Ergänzung des Römer Statuts um das Verbrechen der Aggression auf der symbolischen Ebene äusserst wichtig. Die unmittelbaren und konkreten Auswirkungen dürfen aber nicht überschätzt werden. Einerseits muss das Verbrechen zunächst noch mit einem frühestens 2017 zu treffenden Entscheid von der Versammlung der Vertragsstaaten aktiviert werden, bevor der Strafgerichtshof überhaupt tätig werden kann. Andererseits gilt es festzuhalten, dass der Anwendungsbereich des Verbrechens relativ begrenzt ist:


Das Verbrechen der Aggression entfaltet nur in Bezug auf Angriffshandlungen zwischen Staaten seine Wirkung, während heute die grosse Mehrheit der bewaffneten Konflikte innerstaatlicher Natur ist.



Die Angriffshandlung muss eine qualifizierte Schwere haben, um als konstitutives Element des Verbrechens der Aggression zu fungieren. Somit wird es weiterhin völkerrechtswidrige Angriffshandlungen geben, die nicht strafrechtlich geahndet werden können.



Die Gerichtsbarkeit ist im Grundsatz nur auf Vertragssaaten des Römer Statuts beschränkt, die zusätzlich die Änderungen zum Verbrechen der Aggression ratifiziert haben müssen. Potenziell aggressive Vertragsstaaten könnten sich der Gerichtsbarkeit zudem mit einer Opt-out-Erklärung entziehen.

Es liegt in der Natur eines multilateralen Verhandlungsprozesses, der auf den Konsens ausgelegt ist, dass derartige Kompromisse nötig sind. Vor allem im Bereich der Gerichtsbarkeit hatte sich die Schweiz für ein griffigeres Regime eingesetzt, das sich an demjenigen für die anderen Verbrechen gemäss dem Römer Statut orientiert.

Insgesamt ist die Verabschiedung der Erweiterung des Statuts um das Verbrechen der Aggression aber als wichtige Errungenschaft einzustufen, die Unterstützung verdient. Die Schweiz setzt sich schon seit vielen Jahren aktiv für den Kampf gegen 39

International Military Tribunal (Nuremberg), Goering and Others, 1 October 1946, in: Annual Digest and Reports of Public International Law Cases, Nr. 13, S. 203, hier S. 207.

2056

die Straflosigkeit ein, und das Verbrechen der Aggression schliesst eine grosse Lücke bei der völkerrechtlichen Ahndung schwerster Verbrechen. Wenn illegale bewaffnete Konflikte durch den Abschreckungseffekt des Verbrechens der Aggression seltener werden, wird damit automatisch auch die Begehung von schweren Verbrechen im Rahmen solcher Konflikte verhindert. Mit anderen Worten, wenn es gelingt, dass das ius ad bellum (Recht zum Krieg) durch die Repression des Verbrechens der Aggression besser respektiert wird, dann wird das ius in bello (Recht im Krieg, humanitäres Völkerrecht) auch seltener auf die Probe gestellt. Die Ratifikation der Erweiterung des Statuts um das Verbrechen der Aggression bekräftigt daher das grosse Engagement der Schweiz für den Frieden, die Sicherheit und die Menschenrechte. Kurzfristig können zwar Friktionen zwischen den Interessen der Friedenssicherung und jenen der völkerrechtlichen Strafjustiz entstehen; nachhaltiger Frieden ist aber nur möglich, wenn die Vergangenheit umfassend aufgearbeitet wird.40 In diesem Sinne ist der Einsatz der Schweiz für die Strafjustiz im Allgemeinen und die Ratifizierung des Verbrechens der Aggression im Speziellen im Einklang mit ihren Aktivitäten zur Friedensförderung.

Das Verbrechen der Aggression schafft auch eine gewisse Schutzwirkung für die Schweiz, weil potenzielle Täterinnen oder Täter abgeschreckt werden. Als neutraler Staat, der selbst auf Angriffshandlungen verzichtet und dies auch von allen anderen Staaten erwartet, hat die Schweiz ein starkes Interesse an der Durchsetzung des allgemeinen Gewaltverbots. Dass diese Durchsetzung nicht nur dem UNO-Sicherheitsrat überlassen wird, der häufig aufgrund von politischen Erwägungen entscheidet, sondern neu auch dem IStGH als unabhängige gerichtliche Institution eine diesbezügliche Rolle zukommt, ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt des Verbrechens der Aggression.

1.2.6

Nationale Umsetzung

Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sind nicht nur im Römer Statut als Verbrechen definiert, die Schweiz hat die Tatbestände auch in ihr nationales Strafrecht übernommen, sodass sie hierzulande verfolgt und bestraft werden können.41 Es stellt sich daher die Frage, ob das nun neu ins Römer Statut aufgenommene Verbrechen der Aggression ebenfalls national umgesetzt werden soll. Der Bundesrat möchte unter den gegenwärtigen Umständen darauf verzichten.

Das Verbrechen der Aggression unterscheidet sich von den anderen Verbrechen des Römer Statuts, weil es als konstituierendes Element zwingend die Handlung eines Staates voraussetzt. Zwar gibt es einzelne Formen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die eine staatliche Beteiligung bedingen, aber grundsätzlich ist sie keine Voraussetzung. Diese Verbrechen können beispielsweise auch von nichtstaatlichen Akteuren begangen werden. Beim Verbrechen der Aggression ist eine staatliche Angriffshandlung hingegen unabdingbar.

Die Schweiz bzw. ihre Strafverfolgungsbehörden und Gerichte könnten somit durch 40

41

Vgl. dazu ausführlich die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 401­403).

Art. 264, 264a und 264b­264j des Strafgesetzbuchs (StGB, SR 311.0); Art. 108, 109 und 110­114 des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 1927 (MStG, SR 321.0).

2057

die nationale Umsetzung in die Situation kommen, beurteilen zu müssen, ob eine Angriffshandlung zwischen zwei fremden Staaten stattgefunden hat. Dies wäre möglich, wenn die Gerichtsbarkeit so festgelegt würde, dass sie wie bei den anderen Verbrechen gemäss dem Römer Statut auch Taten umfasst, die im Ausland von und gegen ausländische Staatsbürger begangen werden (Universalitätsprinzip). Denkbar wäre theoretisch aber auch ein abweichendes Regime für das Verbrechen der Aggression.

Dass aufgrund der erwähnten Problematik ein vorsichtiger Ansatz angebracht ist, zeigt sich auch daran, dass diejenigen Länder, welche die Ergänzung des Römer Statuts um das Verbrechen der Aggression bereits ratifiziert haben, zurückhaltend bei der Verabschiedung einer nationalen Umsetzungsgesetzgebung zur Änderung des Römer Statuts sind. Von den 13 Staaten, die bisher ratifiziert haben (Stand: 28. Jan. 2014), haben bisher nur Luxemburg, Slowenien und Kroatien diesen Schritt gemacht.42 Da das Verbrechen zudem im Grunde genommen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr geahndet wurde und die nun verabschiedete Definition neu ist, ist es angebracht, seine konkreten Auswirkungen auf der Ebene des Internationalen Strafgerichtshofs und die Herangehensweise anderer Staaten abzuwarten, bevor eine nationale Umsetzung ins Auge gefasst wird. Der Verzicht auf die sofortige innerstaatliche Pönalisierung ermöglicht auch eine schnelle Ratifizierung der Änderungen, wodurch die Schweiz zum Erreichen der für die Aktivierung nötigen 30 Ratifizierung beitragen und ein Signal an weitere Staaten aussenden kann.

Entscheidend ist dabei, dass es keine Pflicht zur Umsetzung der im Römer Statut enthaltenen Verbrechen im nationalen Recht gibt. Zwar ist die nationale Verfolgung der Verbrechen ein Grundgedanke des Statuts («Komplementaritätsprinzip»),43 eine eigentliche völkerrechtliche Pflicht zur nationalen Kriminalisierung gibt es aber nicht.44 Das Verbrechen der Aggression wurde zudem in Kampala von den Vertragsstaaten im expliziten Verständnis verabschiedet, dass es keine nationale Umsetzungspflicht gibt.45 Seiner Natur nach kann das Verbrechen der Aggression am besten vom IStGH selbst beurteilt werden. Der grundsätzlich internationale Charakter des Verbrechens äussert sich auch darin, dass nur eine sehr beschränkte Zahl von Ländern
vergleichbare Tatbestände innerstaatlich unter Strafe gestellt haben.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Schweiz trotz des vorgeschlagenen Verzichts auf die Umsetzung des Verbrechens der Aggression im nationalen Recht ihrer Zusammenarbeitspflicht gegenüber dem Strafgerichtshof gemäss Kapitel IX des Römer Statuts vollumfänglich nachkommen kann. Das Bundesgesetz vom

42

43 44

45

Vgl. The Global Campaign for Ratification and Implementation of the Kampala Amendments on the Crime of Aggression, Status of Ratification and Implementation of the Kampala Amendments on the Crime of Aggression, Update No. 11 (information as of 21 January 2014), www.crimeofaggression.info > Resources/Search > Ratification documents (letzter Zugriff am 28. Jan. 2014).

Vgl. Abs. 6 der Präambel und Art. 17 Abs. 1 Bst. a des Römer Statuts.

So auch die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 450).

Eine Ausnahme ist Art. 70 Abs. 4 Bst. a des Römer Statuts betreffend Verstösse gegen die Rechtspflege.

Resolution RC/Res.6, Anlage III, Einvernehmen Nr. 5: «Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Änderungen nicht so auszulegen sind, als begründeten sie das Recht oder die Verpflichtung zur Ausübung der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit über eine von einem anderen Staat begangene Angriffshandlung.»

2058

22. Juni 200146 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ZISG), das diese Fragen innerstaatlich regelt, sieht eine allgemeine Zusammenarbeit der Schweiz mit dem Strafgerichtshof vor und beschränkt die Zusammenarbeit nicht etwa auf national umgesetzte Tatbestände. Die Schweiz könnte beispielsweise einen mutmasslichen Täter, der wegen eines Verbrechens der Aggression vom IStGH mit Haftbefehl gesucht wird, verhaften und dem IStGH überstellen.47 Die Schweizer Regelung entspricht Artikel 86 des Statuts, der besagt, dass die Staaten in Bezug auf «Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegen», mit dem Strafgerichtshof kooperieren müssen. Zu diesen Verbrechen gehört nach der Überprüfungskonferenz von Kampala auch das Verbrechen der Aggression. Aus diesen Gründen ist die Zusammenarbeit auch in Bezug auf dieses neue Verbrechen vollumfänglich gewährleistet, ohne dass eine nationale Umsetzung im Schweizer Strafrecht nötig ist. Es besteht daher kaum eine Gefahr, dass sich Verantwortliche eines Verbrechens der Aggression durch den Aufenthalt in der Schweiz ihrer Verantwortung entziehen könnten.

Auch die Zusammenarbeit der Schweiz mit dem Strafgerichtshof in Bezug auf das Verbrechen der Aggression kann aussenpolitisch sensibel sein. Die Auswirkungen wären aus Sicht des Bundesrates aber geringer als bei der eigenständigen, nationalen Verfolgung, da die treibende Kraft hinter einer Zusammenarbeitshandlung stets der international breit abgestützte Strafgerichtshof wäre. Die Schweiz hätte in einem solchen Fall also bloss eine ausführende Funktion und stünde nicht am Ursprung der Strafverfolgung.

Eine Konsequenz des Verzichts auf die nationale Umsetzung ist auch, dass die Schweiz vermutlich nicht verhindern könnte, dass eine Schweizerin oder ein Schweizer für ein Verbrechen der Aggression vor dem Strafgerichtshof verantwortlich gemacht wird.48 Sie könnte ihr grundsätzliches Recht, die Strafverfolgung selbst durchzuführen, wohl nicht wahrnehmen, weil sie mangels Strafbestimmung «nicht in der Lage [wäre], die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen».49 Artikel 299 («Verletzung fremder Gebietshoheit») und Artikel 300 («Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen») des Strafgesetzbuchs pönalisieren nur Teilaspekte des Verbrechens der
Aggression innerstaatlich.

Ebenfalls erwähnenswert ist, dass die Schweiz Staaten, die das Verbrechen in ihrem nationalen Strafrecht aufgenommen haben, voraussichtlich keine diesbezügliche Rechtshilfe gewähren könnte (Erfordernis der doppelten Strafbarkeit).

Die Schweiz wird die Entwicklungen in Bezug auf das Verbrechen der Aggression auf der internationalen Ebene ebenso wie das Vorgehen anderer Staaten bei der nationalen Umsetzung beobachten.

46 47 48

49

SR 351.6 Art. 16­28 ZISG.

Wird eine Schweizer Bürgerin oder ein Schweizer Bürger dem IStGH überstellt, so ersucht gemäss Art. 16 Abs. 2 ZISG die Zentralstelle für die Zusammenarbeit diesen um Rückführung nach Abschluss des Verfahrens. Vgl. dazu die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 437­438).

Vgl. Art. 17 Abs. 1 Bst. a des Römer Statuts.

2059

1.3

Ergänzung von Artikel 8 des Römer Statuts betreffend die Kriegsverbrechen

1.3.1

Vorgeschichte

Die Unterscheidung zwischen internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten ist eine der historischen Prämissen des humanitären Völkerrechts und ist insbesondere in den Genfer Abkommen von 1949 festgeschrieben.50 Hintergrund sind souveränitätsrechtliche Überzeugungen. Staaten sind zurückhaltender, wenn es darum geht, sich im innerstaatlichen Konflikt Verhaltensregeln zu unterwerfen, als wenn es um einen zwischenstaatlichen Konflikt geht. Aus Opferperspektive ist diese Unterscheidung aber wenig sinnvoll, weshalb beispielsweise das Schweizer Strafrecht die Unterscheidung im Wesentlichen aufgegeben hat. Das Römer Statut von 1998 ist Ergebnis eines internationalen Verhandlungsprozesses und nimmt die traditionelle Unterscheidung vor. Entsprechend ist die Liste der Kriegsverbrechen im internationalen Konflikt länger als jene im nicht internationalen bewaffneten Konflikt. Während die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen, die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen und die Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken (sog. «Dumdumgeschosse») im internationalen bewaffneten Konflikt in Artikel 8 des Römer Statuts unter Strafe gestellt wurden,51 verzichteten die Staaten darauf, dies auch für den nicht internationalen bewaffneten Konflikt zu tun. Grund dafür war vor allem, dass in Bezug auf die erwähnten Handlungen das Völkergewohnheitsrecht für innerstaatliche Konflikte zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Römer Statuts noch nicht im gleichen Masse von der Mehrheit der Staaten anerkannt war wie bei internationalen Konflikten.52 Im Vorfeld der Überprüfungskonferenz von Kampala im Jahr 2010 begann sich Belgien dafür einzusetzen, dass der Gebrauch weiterer Waffentypen in das Römer Statut aufgenommen und dadurch zum Kriegsverbrechen erklärt wird. Die Vorschläge zur Kriminalisierung des Einsatzes von biologischen und chemischen Waffen, Antipersonenminen, nichtentdeckbaren Splittern und blindmachenden Laserwaffen fanden von vornherein nicht die nötige Zustimmung der Mehrheit der Staaten und wurden deshalb von Belgien fallen gelassen.

Dahingegen fand die Idee Anklang, die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshof bei der Verwendung von Gift oder
vergifteten Waffen, von erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen sowie von allen ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffen oder Vorrichtungen und von «Dumdumgeschossen» vom internationalen auf den 50

51 52

Vgl. die Art. 2 und 3 der folgenden Genfer Abkommen: vom 12. Aug. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde, SR 0.518.12; vom 12. Aug. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See, SR 0.518.23; vom 12. Aug. 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen, SR 0.518.42; vom 12. Aug. 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, SR 0.518.51. Vgl. zur Unterscheidung auch die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 534­535).

Art. 8 Abs. 2 Bst. b Ziff. xvii, xviii, xix des Römer Statuts Vgl. die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 539­540).

2060

nicht internationalen Konflikt auszuweiten. Die Initiatoren machten erfolgreich geltend, dass der Gebrauch dieser Waffen nicht nur in einem zwischenstaatlichen, sondern auch in einem innerstaatlichen Konflikt gegen Völkergewohnheitsrecht verstosse und die gegenteilige Meinung der Mehrheit der Staaten im Jahr 1998 nunmehr überholt sei. Auch das Argument, dass es für die Opfer letztlich keine Rolle spielt, ob sie im Rahmen eines inner- oder eines zwischenstaatlichen Konflikts verletzt werden, fand Gehör. Schliesslich unterstützte eine Gruppe von gleichgesinnten Staaten, darunter die Schweiz, ebenso wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen die Initiative. Im November 2009 und im März 2010 verabschiedete die Versammlung der Vertragsstaaten die entsprechenden Änderungsvorschläge zuhanden der Überprüfungskonferenz.53

1.3.2

Verlauf der Verhandlungen an der Überprüfungskonferenz

Da sich die Staaten bereits im Vorfeld über den Änderungsvorschlag zu Artikel 8 des Römer Statuts einig geworden waren, fand an der Überprüfungskonferenz von 2010 keine substanzielle Diskussion mehr statt. Eine offene Frage zum Inkrafttreten der neuen Bestimmungen konnte geklärt werden, worauf die Vertragsstaaten die Änderungen des Statuts und die dazugehörigen «Verbrechenselemente» im Konsens verabschiedeten.

1.3.3

Verhandlungsergebnis und Überblick über die Änderungen

Die Ergänzung von Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe e des Römer Statuts um drei Ziffern bewirkt, dass folgende Handlungen nicht wie bisher nur im internationalen, sondern neu auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen strafbar sind:

53



die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen (Ziff. xiii);



die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen (Ziff. xiv);



die Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken, beispielsweise Geschosse mit einem harten Mantel, der den Kern nicht ganz umschliesst oder mit Einschnitten versehen ist (Ziff. xv).

Operativer Absatz 3 und Annex III der Resolution ICC-ASP/8/Res.6, 26. November 2009 (Entwurf der Änderungen von Art. 8 des Römer Statuts); Operativer Absatz 9 und Anhang VIII der Resolution ICC-ASP/8/Res.9, 25. März 2010 (Entwurf der dazugehörigen «Verbrechenselemente»).

2061

Die Formulierung stimmt wörtlich mit derjenigen von Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b Ziffern xvii, xviii, xix überein, welcher dieselben Tatbestände im Rahmen eines internationalen bewaffneten Konfliktes pönalisiert.54 Gemäss Artikel 121 Absatz 5 des Römer Statuts treten die Änderungen nur für diejenigen Vertragsstaaten in Kraft, die sie ratifizieren. Gegenüber Vertragsstaaten, die auf eine Ratifikation oder Annahme verzichten, kann der Strafgerichtshof hingegen seine Gerichtsbarkeit nicht ausüben, wenn das fragliche Verbrechen von Staatsangehörigen dieses Staates oder in dessen Hoheitsgebiet begangen wurde.

Gemeinsam mit der Ergänzung von Artikel 8 des Römer Statuts betreffend Kriegsverbrechen verabschiedete die Überprüfungskonferenz auch die dazugehörigen «Verbrechenselemente», die gemäss Artikel 9 des Römer Statuts den Strafgerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der Tatbestände unterstützen sollen.

Was die verbindlichen Wortlaute und die Übersetzungen angeht, kann auf den entsprechenden Abschnitt zum Verbrechen der Aggression verwiesen werden.55

1.3.4

Würdigung

Die Änderungen von Artikel 8 sind aus Sicht der Schweiz zu begrüssen, weil sie die unterschiedliche Behandlung der fraglichen Tatbestände im internationalen und im nicht internationalen bewaffneten Konflikt beseitigt. Die Schweiz war denn auch Ko-Sponsor der Resolution. Diese Gleichbehandlung ist mit Blick auf den übereinstimmenden Unrechtsgehalt und die identischen Leiden der Opfer sachlich gerechtfertigt. Hinzu kommt, dass das Völkergewohnheitsrecht die betreffenden Handlungen sowohl im zwischen- als auch im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt bereits verbietet.56 Durch die Gleichstellung im Römer Statut kann dieses Verbot in Zukunft auch strafrechtlich durchgesetzt werden, was den Schutz von Zivilisten und an Kampfhandlungen beteiligten Personen verbessert. Einschränkend muss aber erwähnt werden, dass die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs über die Änderungen von den Ratifizierungen der Staaten abhängig ist, was den Anwendungsbereich zumindest momentan noch stark begrenzt.

Trotz der Änderungen von Artikel 8 des Römer Statuts bleibt eine starke Ungleichheit zwischen strafbaren Handlungen je nach Konfliktart bestehen. Im internationalen bewaffneten Konflikt sind zurzeit 34 Tatbestände strafbar,57 während es beim nicht internationalen Konflikt auch mit den vorliegenden Änderungen erst 19 sind.58 Mit der Ausweitung um drei Tatbestände von Kriegsverbrechen ist ein erster Schritt getan worden.

54

55 56

57 58

Vgl. daher die diesbezüglichen Ausführungen in der Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 533­534).

Siehe oben Ziff. 1.2.4.

Regeln 72, 74 und 77 der IKRK-Gewohnheitsrechtsdatenbank, www.icrc.org > War & Law > Treaties and customary law > The customary IHL database (letzter Zugriff am 28. Jan. 2014).

Art. 8 Abs. 2 Bst. a Ziff. i)­viii) und Bst. b Ziff. i)­xxvi) Römer Statut.

Art. 8 Abs. 2 Bst. c Ziff. i)­iv) und Bst. e Ziff. i)­xv) Römer Statut.

2062

1.3.5

Nationale Umsetzung

Was den Gebrauch von verbotenen Waffen angeht, unterscheidet das Schweizer Strafrecht schon heute grundsätzlich nicht mehr zwischen internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten.59 Die von der Änderung von Artikel 8 des Römer Statuts umfassten Handlungen sind in beiden Arten von bewaffneten Konflikten gemäss Artikel 264h Absatz 1 Buchstaben a­c des Strafgesetzbuchs unter Strafe gestellt.60 Dasselbe gilt im Anwendungsbereich des Militärstrafgesetzes, wo der materiell identische Artikel 112d Absatz 1 Buchstaben a­c einschlägig ist.61 Da die Änderungen von Artikel 8 des Römer Statuts schon vollständig im Schweizer Strafrecht berücksichtig sind, bedarf es keiner weiteren Anpassungen.

Was die Zusammenarbeit der Schweiz mit dem Strafgerichtshof im Bereich der Änderungen von Artikel 8 des Römer Statuts betrifft, ist diese ohne weitere Gesetzesanpassungen möglich. Gemäss Artikel 86 des Römer Statuts gilt eine allgemeine und uneingeschränkte Verpflichtung zur Zusammenarbeit in Bezug auf Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs unterliegen; zu diesen sollen nunmehr auch die von den Änderungen von Artikel 8 des Statuts erfassten Kriegsverbrechen zählen.62 Das ZISG gewährleistet, dass die Schweiz dieser Pflicht nachkommen kann.63

1.4

Das Vernehmlassungsverfahren

Am 26. Juni 2013 eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs betreffend das Verbrechen der Aggression und die Kriegsverbrechen. Die Vernehmlassung dauerte bis zum 20. Oktober 2013.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) erhielt in diesem Zeitraum insgesamt 38 Stellungnahmen, in denen der Vernehmlassungsgegenstand inhaltlich behandelt wurde. Es äusserten sich 22 Kantone, die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz, die Bundesanwaltschaft, 5 politische Parteien (CVP, EVP, FDP, SP, SVP), der Schweizerische Gewerbeverband und 8 Organisationen (Amnesty International, Centre Patronal, Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz, Heilsarmee, Schweizerische Koalition für den Inter59

60

61

62

63

Gemäss Art. 264b StGB bzw. Art. 110 MStG finden die entsprechenden Bestimmungen Anwendung «im Zusammenhang mit internationalen bewaffneten Konflikten einschliesslich Besetzungen sowie, soweit aus der Natur der Straftaten nichts anderes hervorgeht, im Zusammenhang mit nicht internationalen bewaffneten Konflikten».

Vgl. dazu die Botschaft vom 23. April 2008 über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (BBl 2008 3863, hier 3944­3945).

Vgl. dazu die Botschaft vom 23. April 2008 über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (BBl 2008 3863, hier 3961).

Vgl. allgemein zur Pflicht zur Zusammenarbeit die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 430­434).

Für die Einzelheiten der Zusammenarbeit gemäss ZISG vgl. die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 454­479).

2063

nationalen Strafgerichtshof, Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter, TRIAL - track impunity always, Weltföderalisten Schweiz).

12 Vernehmlassungsteilnehmende verzichteten ausdrücklich auf eine inhaltliche Stellungnahme (FR, SH, SZ, Bundesgericht, Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Schweizerischer Städteverband, economiesuisse, Schweizerischer Arbeitgeberverband, Kaufmännischer Verband Schweiz, Schweizerische Kriminalistische Gesellschaft, Stiftung Pro Juventute).

Von den 38 Vernehmlassungsteilnehmenden, die inhaltlich Stellung genommen haben, begrüssen fast alle (36) sowohl die Ratifizierung der Änderungen zum Verbrechen der Aggression als auch diejenigen zu Kriegsverbrechen. Nur 2 Teilnehmende vertreten die Meinung, die Schweiz solle die Änderungen zum Verbrechen der Aggression nicht ratifizieren. Der Verzicht auf eine Anpassung des nationalen Strafrechts in Zusammenhang mit dem Verbrechen der Aggression wird von den allermeisten Teilnehmenden explizit (8) oder stillschweigend (25) begrüsst.

Sämtliche 22 Kantone, die sich zur Substanz geäussert haben, begrüssen die Ratifizierung beider Änderungen des Römer Statuts. Gleicher Ansicht ist die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz. Von den in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien stehen alle, die sich geäussert haben, der Ratifizierung positiv gegenüber (CVP, EVP, FDP, SP, SVP). Von den Dachverbänden, Organisationen und weiteren interessierten Kreisen, die Stellung bezogen haben, begrüsst die grosse Mehrheit die Ratifizierung. Nur der Schweizerischer Gewerbeverband und das Centre Patronal lehnen die Ratifizierung der Ergänzung um das Verbrechen der Aggression ab, weil dieses verfrüht oder gar kontraproduktiv sei.

Alle begrüssen die Änderung betreffend die Kriegsverbrechen.

Was den Verzicht auf Änderungen des nationalen Strafrechts in Zusammenhang mit dem Verbrechen der Aggression angeht, geben sich 5 Vernehmlassungsteilnehmende kritisch oder tendenziell kritisch. Nicht einverstanden mit dem Verzicht ist insbesondere die Schweizerische Koalition für den Internationalen Strafgerichtshof, die 10 Organisationen vertritt. 8 Teilnehmende begrüssen demgegenüber den Verzicht auf die nationale Umsetzung explizit und 25 akzeptieren den Vorschlag stillschweigend.

Für die Vernehmlassungsergebnisse im Einzelnen sei auf den Ergebnisbericht verwiesen.64

64

www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2013 > EDA.

2064

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der Änderungen

2.1

Verbrechen der Aggression

Art. 5

Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen

Artikel 5 Absatz 2 des Römer Statuts wurde 1998 in das Statut aufgenommen, weil es nicht gelang, das Verbrechen der Aggression zu definieren und die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit festzulegen. Mit der Überprüfungskonferenz von Kampala ist dieser Absatz obsolet geworden, weshalb er aufgehoben werden kann.

Art. 8bis

Verbrechen der Aggression

Der Tatbestand des Verbrechens der Aggression wird in Artikel 8bis definiert, der neu in das Römer Statut aufgenommen wird. Die Bestimmung wird somit nach den bereits existierenden Artikeln zu Völkermord (Art. 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7) und Kriegsverbrechen (Art. 8) platziert. Dies entspricht der Struktur von Artikel 5 Absatz 1, der die Verbrechen auflistet, über die der Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben kann.

Absatz 1 ist das Herzstück des Tatbestands. Ein Verbrechen der Aggression begeht demnach, wer eine Angriffshandlung plant, vorbereitet, einleitet oder ausführt. Zwar sind die Planung und Vorbereitung einer Angriffshandlung pönalisiert, der staatliche Aggressionsakt muss aber tatsächlich erfolgen, damit sie Grundlage des Verbrechens sein kann (sog. Erfolgsdelikt). Zudem kann nicht jede Angriffshandlung ein konstitutives Tatbestandselement sein, sondern diese muss zusätzlich «ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen» darstellen. Dieser Passus will Angriffshandlungen ausschliessen, die sich im Graubereich zwischen völkerrechtlich legaler und illegaler Gewaltanwendung zwischen Staaten bewegen.

Absatz 1 macht auch deutlich, dass es sich beim Verbrechen der Aggression im Unterschied zu den anderen Delikten des Römer Statuts um ein Sonderdelikt in der Form eines Führungsverbrechens handelt. Es kann nur von einer Person begangen werden, «die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken». Im Vordergrund stehen Täterinnen und Täter auf den höchsten Stufen des Staats- oder Militärapparats; aber auch Personen ohne Regierungsverantwortung oder hohe Stellung im Militär können sich strafbar machen, wenn sie «tatsächlich» den erwähnten Einfluss ausüben. Umgekehrt bedeutet dies, dass eine Person, die nur formal eine Machtposition innehat, von der Strafbarkeit ausgenommen ist.

Absatz 2 erster Satz definiert den in Absatz 1 eingeführten Begriff der Angriffshandlung als «die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen anderen Staat». Die Formulierung ist wörtlich der Definition staatlicher Aggression durch die UNO-Generalversammlung im Jahr 1974 entnommen,65 die sich wiederum stark an

65

Vgl. Art. 1 Definition der Aggression, Anhang der Resolution 3314 (XXIX) der UNOGeneralversammlung, 14. Dezember 1974, Dokument A/RES/29/3314.

2065

die UNO-Charta von 1945 anlehnt.66 Gemäss dieser Definition kommt nur die tatsächliche Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten als Angriffshandlung in Betracht. Die reine Androhung von Gewalt, gewaltloses Vorgehen (z. B. ein Wirtschaftsembargo) oder innerstaatliche Gewaltanwendung stellen keine Angriffshandlung im Sinne der Definition dar. Die Anwendung von Waffengewalt muss zudem im Widerspruch zur UNO-Charta stehen, was in erster Linie bedeutet, dass vom Sicherheitsrat autorisierte Aktionen67 und Selbstverteidigungshandlungen ausgeschlossen sind.68 Absatz 2 zweiter Satz enthält eine nichtabschliessende Liste von Angriffshandlungen, die den ersten Satz näher erläutern. Die Formulierung stammt praktisch wörtlich aus der erwähnten Definition staatlicher Aggression durch die Generalversammlung.


Die Buchstaben a­d der Liste beschreiben einzelne Handlungen der Streitkräfte eines Staates wie Invasion, militärische Besetzung, Annexion, Bombardierung oder Beschiessung und Blockade von Häfen oder Küsten.



Gemäss den Buchstaben e und f ist der Verstoss gegen die Einwilligung oder Vereinbarung zur Stationierung fremder Truppen auf dem Gebiet eines Staates ebenso eine Angriffshandlung wie die Zurverfügungstellung des Territoriums eines Staates für Angriffshandlungen durch einen dritten Staat.



Buchstabe g legt fest, dass das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, irregulärer Kräfte oder Söldner als Angriffshandlung gilt, wenn die Handlungen der Schwere nach den Verhaltensmustern gemäss den Buchstaben a­f entsprechen.

Art. 15bis

Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression (Unterbreitung durch einen Staat oder aus eigener Initiative)

Für den Fall, dass ein Staat dem Internationalen Strafgerichtshof eine Situation unterbreitet69 oder die Anklägerin bzw. der Ankläger aus eigener Initiative Ermittlungen einleitet,70 legt Artikel 15bis die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression fest.

Gemäss Absatz 1 gilt, wie für die anderen Verbrechen des Statuts, der geltende Artikel 13 Buchstaben a und c, sofern die Absätze 2­10 des neuen Artikel 15bis keine Abweichungen vorsehen.

Die Absätze 2 und 3 schieben die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression bis zur Erfüllung bestimmter Bedingungen zeitlich auf. Einerseits erstreckt sich die Gerichtsbarkeit nur auf Verbrechen, die mindestens ein Jahr nach der durch 30 Staaten erfolgten Ratifikation oder Annahme der Änderungen zum Verbrechen der Aggression begangen wurden. Andererseits müssen die Vertragsstaaten, zu einem Zeitpunkt nach dem 1. Januar 2017, die Gerichtsbarkeit durch einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit aktivieren. Der Strafgerichtshof wird also frühestens im Jahr 2017 Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression haben.

66 67 68 69 70

Vgl. Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charta.

Vgl. Art. 42 der UNO-Charta.

Vgl. Art. 51 der UNO-Charta.

Art. 14 des Römer Statuts Art. 15 des Römer Statuts

2066

Absatz 4 bestimmt, dass der Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression grundsätzlich in Übereinstimmung mit dem bestehenden Artikel 12 ausüben kann. Die Gerichtsbarkeit besteht gemäss diesem Artikel im Wesentlichen dann, wenn der Begehungsort in einem Vertragsstaat liegt oder wenn der mutmassliche Täter Staatsangehöriger eines Vertragsstaats ist.71 Für das Verbrechen der Aggression gilt jedoch speziell, dass ein Vertragsstaat die Möglichkeit hat, eine Erklärung abzugeben, welche die Gerichtsbarkeit ausschliesst, wenn dieser Staat eine Angriffshandlung begeht. Diese sogenannte Opt-out-Erklärung muss vor der Begehung der Angriffshandlung hinterlegt werden, um gültig zu sein, und sie kann jederzeit widerrufen werden. Unter der Voraussetzung, dass sowohl Angriffs- als auch Opferstaat Vertragsstaaten des Römer Statuts sind (zum gegenteiligen Fall siehe den unten stehenden Abschnitt zu Absatz 5), lässt sich die Regelung der Gerichtsbarkeit wie folgt tabellarisch darstellen:

Täterstaat hat Änderung ratifiziert und kein Opt-out erklärt Täterstaat hat Änderung nicht ratifiziert und kein Opt-out erklärt Täterstaat hat ratifiziert oder nicht ratifiziert und Opt-out erklärt

Opferstaat hat Änderung ratifiziert

Opferstaat hat Änderung nicht ratifiziert

JA

JA

JA

NEIN

NEIN

NEIN

Absatz 5 enthält eine weitere Einschränkung der normalen Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit gemäss Artikel 12. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit ist ausgeschlossen, wenn das Verbrechen der Aggression von einem Staatsangehörigen eines Nichtvertragsstaats oder auf dem Hoheitsgebiet dieses Staates begangen wurde.

Nichtvertragsstaaten sind demnach sowohl als Angriffs- als auch als Opferstaat von der Gerichtsbarkeit des IStGH über das Verbrechen der Aggression ausgeschlossen.

Die Absätze 6­8 drehen sich um das Verhältnis zwischen Internationalem Strafgerichtshof und UNO-Sicherheitsrat. Will die Anklägerin oder der Ankläger Ermittlungen in Bezug auf ein Verbrechen der Aggression aufnehmen, so muss sie oder er die UNO benachrichtigen und sich vergewissern, ob der Sicherheitsrat eine Angriffshandlung festgestellt hat (Abs. 6). Danach gibt es zwei mögliche Szenarien:

71



Hat der Sicherheitsrat eine Angriffshandlung festgestellt, so darf die Anklägerin oder der Ankläger die Ermittlungen aufnehmen (Abs. 7).



Liegt innerhalb von sechs Monaten nach der Benachrichtigung keine Feststellung vor, so muss die Anklägerin oder der Ankläger die Erlaubnis der Vorverfahrensabteilung einholen, damit sie oder er die Ermittlungen aufnehmen darf (Abs. 8).

Zu den Einzelheiten von Art. 12 des Römer Statuts vgl. die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 414­416).

2067

Absatz 9 unterstreicht die Unabhängigkeit des Strafgerichtshofs in Bezug auf die Feststellung einer Angriffshandlung. Der Strafgerichtshof ist insbesondere nicht verpflichtet, einem Entscheid des UNO-Sicherheitsrats über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Angriffshandlung zu folgen.

Absatz 10 stellt klar, dass Artikel 15bis keine Auswirkungen auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit über die sonstigen Verbrechen gemäss dem Römer Statut hat.

Art. 9

«Verbrechenselemente»

Aufgrund der Einführung des Verbrechens der Aggression in Artikel 8bis muss die Liste der «Verbrechenselemente», die dem Strafgerichtshof bei der Auslegung helfen, um einen Verweis auf Artikel 8bis ergänzt werden.

Art. 15ter

Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression (Unterbreitung durch den Sicherheitsrat)

Unterbreitet der UNO-Sicherheitsrat dem Internationalen Strafgerichtshof eine Situation, in der möglicherweise ein Verbrechen der Aggression begangen wurde, so ist Artikel 15ter einschlägig.

Gemäss Absatz 1 gilt grundsätzlich die Regelung des bereits bestehenden Artikels 13 Buchstabe b, gemäss dem der Sicherheitsrat eine Situation mittels einer Resolution nach Kapitel VII der UNO-Charta der Anklägerin oder dem Ankläger des Strafgerichtshofs unterbreiten kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob der betroffene Staat Vertragsstaat oder Nichtvertragsstaat des Römer Statuts ist.

Gemäss den Absätzen 2 und 3 gilt ein zeitlicher Aufschub der Gerichtsbarkeit bis mindestens 2017, der wortgetreu aus dem oben beschriebenen Artikel 15bis Absätze 2 und 3 übernommen wurde.

Die Absätze 4 und 5 unterstreichen die Unabhängigkeit des Gerichtshofs und die Einschränkung der Gerichtsbarkeit ausschliesslich für das Verbrechen der Aggression mit einer wörtlichen Wiederholung des oben diskutierten Artikels 15bis Absätze 9 und 10.

Art. 20

Ne bis in idem

Aufgrund der Einführung des Verbrechens der Aggression in Artikel 8bis muss die Liste der Verbrechen, für die das Verbot der Strafverfolgung wegen der gleichen Tat (ne bis in idem) gilt, um einen Verweis auf Artikel 8bis ergänzt werden.

Art. 25

Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit

Da es sich beim Verbrechen der Aggression gemäss dem Willen der Vertragsstaaten um ein Verbrechen handelt, das ausschliesslich Führungspersonen begehen können, muss Artikel 25 zur individuellen Strafgerichtsbarkeit ergänzt werden. Mit einem neuen Absatz 3bis wird verhindert, dass sich Personen der Anstiftung, Gehilfenschaft oder einer sonstigen Beteiligungsform gemäss Artikel 25 strafbar machen, ohne dass sie «tatsächlich in der Lage sind, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken». Im Einklang mit den Prozessen in Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg stellt die Beteiligung solcher Personen an einem Verbrechen der Aggression (z. B. Soldaten, welche die Angriffshandlung 2068

durchführen) für die Vertragsstaaten des Römer Statuts kein strafwürdiges Verhalten dar.

2.2

Ergänzung von Artikel 8 des Römer Statuts betreffend die Kriegsverbrechen

Art. 8 Abs. 8 Ziff. 2 Bst. e Ziff. xiii

Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen

Durch die Aufnahme dieser Bestimmung in Artikel 8 des Römer Statuts wird die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen strafbar. Die Bestimmung findet auf Situationen ausserhalb von (nicht internationalen) bewaffneten Konflikten keine Anwendung. Sie entspricht wörtlich dem bereits heute auf internationale bewaffnete Konflikte anwendbaren Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer xvii des Römer Statuts, weshalb auf die Ausführungen in der entsprechenden Botschaft verwiesen werden kann.72 Art. 8 Abs. 8 Ziff. 2 Bst. e Ziff. xiv

Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen

Durch die Aufnahme dieser Bestimmung in Artikel 8 des Römer Statuts wird die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen strafbar. Die Bestimmung findet auf Situationen ausserhalb von (nicht internationalen) bewaffneten Konflikten keine Anwendung.

Sie entspricht wörtlich dem bereits heute auf internationale bewaffnete Konflikte anwendbaren Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer xviii des Römer Statuts, weshalb auf die Ausführungen in der entsprechenden Botschaft verwiesen werden kann.73 Art. 8 Abs. 8 Ziff. 2 Bst. e Ziff. xv

Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken, beispielsweise Geschosse mit einem harten Mantel, der den Kern nicht ganz umschliesst oder mit Einschnitten versehen ist

Durch die Aufnahme dieser Bestimmung in Artikel 8 des Römer Statuts wird die Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken, beispielsweise Geschosse mit einem harten Mantel, der den Kern nicht ganz umschliesst oder mit Einschnitten versehen ist, auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen strafbar. Die Bestimmung findet auf Situationen ausserhalb von (nicht internationalen) bewaffneten Konflikten keine 72

73

Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 522­523 und 533).

Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 522­523 und 533).

2069

Anwendung. Sie entspricht wörtlich dem bereits heute auf internationale bewaffnete Konflikte anwendbaren Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer xix des Römer Statuts, weshalb auf die Ausführungen in der entsprechenden Botschaft verwiesen werden kann.74

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die wesentlichen Auswirkungen finanzieller und personeller Art sind mit dem Beitritt der Schweiz zum Römer Statut im Jahr 2001 entstanden, weshalb auf die diesbezüglichen Ausführungen in der entsprechenden Botschaft verwiesen sei.75 Die Ratifizierung der vorliegenden Änderungen betreffend das Verbrechen der Aggression und die Kriegsverbrechen dürften demgegenüber vernachlässigbare Auswirkungen haben.

Durch die Änderungen des Statuts ist es möglich, dass der Strafgerichtshof in Zukunft zusätzliche Fälle behandelt, was zu Kosten führen könnte, welche die Schweiz aufgrund ihrer Beitragspflicht anteilsmässig mittragen müsste.76 Es gilt jedoch einzuschränken, dass diese Kosten auch unabhängig von der Ratifizierung der Änderungen durch die Schweiz anfallen können, nämlich dann, wenn der Strafgerichtshof mit einem Fall aus einem anderen Staat befasst ist.

Was die Zentralstelle für die Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof im Bundesamt für Justiz angeht,77 könnten allfällige zusätzliche Ersuchen des Strafgerichtshofs mit den bereits vorhandenen personellen Ressourcen behandelt werden. Es ist demnach nicht mit Mehrkosten im Bereich der Zusammenarbeit der Schweiz mit dem Strafgerichtshof zu rechnen. Auch hier gilt, dass zusätzliche Ersuchen unabhängig von der Ratifizierung der Änderungen des Römer Statuts durch die Schweiz entstehen könnten.

Allfällige Mehrbelastungen für die Strafverfolgungsbehörden (insbesondere Bundesanwaltschaft und militärische Untersuchungsorgane) sind nicht zu erwarten, da mit der Ratifizierung der Änderungen keine Anpassung des schweizerischen Strafrechts verbunden ist.

74

75

76 77

Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 522­523 und 534).

Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 481­482).

Art. 115 Bst. a i. V. m. Art. 117 des Römer Statuts Art. 3 Abs. 1 ZISG

2070

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Ratifizierung der Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs durch die Schweiz lässt keine Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete erwarten.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft, die Umwelt und andere Auswirkungen

Die Ratifizierung der Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs durch die Schweiz lässt keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft, die Umwelt und keine anderen Auswirkungen erwarten.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

4.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 25. Januar 201278 zur Legislaturplanung 2011­2015 noch im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201279 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt.

Die Genehmigung und Ratifizierung der Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs sind dennoch angezeigt. Die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs über das Verbrechen der Aggression kann erst aktiviert werden, wenn mindestens 30 Staaten es ratifizieren. Um völkerrechtswidrige Angriffshandlungen einzudämmen, wäre es wichtig, diesen Schritt zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also im Jahr 2017, vorzunehmen. Weil zwischen Ratifizierung und Inkrafttreten noch ein Jahr liegt, bedeutet dies, dass bereits Ende 2015 insgesamt 30 Ratifizierungen vorliegen müssten. Als langjährige und aktive Unterstützerin des Internationalen Strafgerichtshofs sollte die Schweiz durch ihre Ratifikation zu einer frühen Aktivierung beitragen. Was die Änderungen von Artikel 8 des Römer Statuts betreffend Kriegsverbrechen angeht, ist es ebenfalls wichtig, ein baldiges Signal für die Gleichbehandlung von internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten auszusenden.

78 79

BBl 2012 481 BBl 2012 7155

2071

4.2

Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

Gemäss der Aussenpolitischen Strategie 2012­2015 («Bericht des Bundesrates über die aussenpolitischen Schwerpunkte der Legislatur»80), ist die internationale Strafgerichtsbarkeit ein wichtiges Anliegen der Schweiz. In der Strategie heisst es, «[d]ie Schweiz engagiert sich für den Kampf gegen Straflosigkeit und einen internationalen Strafgerichtshof, der in der Lage ist, das wichtige Mandat wahrzunehmen, das ihm die Staaten übertragen haben» (S. 15). Für die Glaubwürdigkeit und Stärke des Internationalen Strafgerichtshofs ist es von entscheidender Bedeutung, dass möglichst viele Staaten die Änderungen des Römer Statuts ratifizieren. Die Ratifizierung liegt somit im Interesse der Schweiz und trägt zur Erreichung ihrer aussenpolitischen Ziele bei.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199781, RVOG) oder es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag von beschränkter Tragweite handelt (Art. 7a Abs. 2 RVOG).

Im vorliegenden Fall gibt es keine gesetzliche oder völkerrechtliche Grundlage für die Zuständigkeit des Bundesrates gemäss Artikel 7a Absatz 1 RVOG. Es handelt sich auch nicht um völkerrechtliche Bestimmungen von beschränkter Tragweite gemäss Artikel 7a Absatz 2 RVOG. Insbesondere liegt keine reine Vollzugsbestimmungen gemäss Artikel 7a Absatz 2 Buchstabe b RVOG vor. Die Änderungen haben vielmehr materiellen Charakter, da sie die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs erweitern und entsprechende Strafbarkeiten begründen.

Aus diesen Gründen ist gemäss Artikel 166 Absatz 2 BV die Bundesversammlung für die Genehmigung der Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 10. und vom 11. Juni 2010 zuständig.

80

81

Aussenpolitische Strategie 20122015, Bericht des Bundesrats über die aussenpolitischen Schwerpunkte der Legislatur, März 2012, www.eda.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Die schweizerische Aussenpolitik (letzter Zugriff am 28. Jan. 2014).

SR 172.010

2072

5.2

Erlassform

Als die Bundesversammlung das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs am 22. Juni 2001 genehmigte, unterstellte sie den Bundesbeschluss dem fakultativen Staatsvertragsreferendum für den Beitritt zu einer internationalen Organisation nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 2 BV. Im vorliegenden Fall geht es lediglich um eine Änderung des Statuts, weshalb nicht von einem Beitritt zu einer internationalen Organisation gesprochen werden kann. Da das Römer Statut als Ganzes gemäss Artikel 127 kündbar ist, liegt auch kein Anwendungsfall von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 1 BV vor.

Es bleibt zu prüfen, ob die Änderungen des Römer Statuts dem fakultativen Referendum unterliegen, weil sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder weil deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200282 sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Die Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs erweitern die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshof auf zusätzliche Formen von Kriegsverbrechen im nicht internationalen bewaffneten Konflikt und auf das Verbrechen der Aggression und umschreiben diese Tatbestände. Ratifiziert die Schweiz die Änderungen, wäre theoretisch möglich, dass der Strafgerichtshof dereinst seine Gerichtsbarkeit über diese Verbrechen ausüben kann, wenn sie in der Schweiz oder von einer Schweizerin oder einem Schweizer begangen werden (Art. 12 Abs. 2 des Römer Statuts) und die Schweiz nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen (Art. 17 Abs. 1 Bst. a des Römer Statuts). Als Bestimmungen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen, handelt es sich somit um rechtsetzende Normen. Sie sind zudem als wichtig einzustufen, weil es sich um strafrechtliche Bestimmungen handelt, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in
der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs betreffend das Verbrechen der Aggression und die Kriegsverbrechen ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen. Die Änderungen betreffend das Verbrechen der Aggression und die Kriegsverbrechen könnten grundsätzlich unabhängig voneinander genehmigt werden. Da es aber in beiden Fällen in materieller Hinsicht um eine Anpassung der Straftatbestände des Römer Statuts geht, unterbreitet der Bundesrat der Bundesversammlung den Entwurf eines einzigen referendumsfähigen Bundesbeschlusses.

82

SR 171.10

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