14.048 Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden vom 28. Mai 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses zur Genehmigung des Abkommens vom 14. Oktober 2013 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Italienischen Republik.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. Mai 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2014-0391

4215

Übersicht Das neue bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und Italien über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden eröffnet neue Möglichkeiten der Polizeizusammenarbeit. Dieses Abkommen berücksichtigt den Umstand, dass die Parteien an der Schengener Zusammenarbeit teilnehmen, und trägt zur Vertiefung der in diesem Bereich gewonnen Erfahrungen bei.

Ausgangslage Seit dem 1. Mai 2000 ist das Abkommen aus dem Jahr 1998 in Kraft, das die Schweiz und Italien über die Polizeizusammenarbeit geschlossen haben. Dieses Abkommen hat sich als eine solide Grundlage für die internationale Polizeizusammenarbeit bewährt. Seitdem das Abkommen vor vierzehn Jahre in Kraft getreten ist, haben sich hinsichtlich der Bekämpfung des Verbrechens neue Herausforderungen gestellt, denen sich vor allem die Polizei- und Zollbehörden in den grenznahen Regionen stellen müssen. Kommt hinzu, dass die Schweiz mittlerweile dem Schengen-Raum beigetreten und die systematische Personenkontrolle an den Innengrenzen abgeschafft worden ist. In der Folge haben sich auch die Modalitäten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den Behörden, die für die innere Sicherheit der jeweiligen Staaten zuständig sind, geändert. Mehr denn je ist die verstärkte Polizeizusammenarbeit mit den Sicherheitskräften unserer Nachbarstaaten in den Grenzgebieten von erstrangiger Bedeutung.

Gegenstand des Abkommens Im Gegensatz zum Abkommen von 1998 sieht der neue Vertrag weitere Instrumente zur Bekämpfung jeglicher Formen des Verbrechens vor. Das neue Abkommen optimiert die bilaterale Polizeizusammenarbeit, bietet neue Möglichkeiten zur Durchführung gemeinsamer Einsätze und stärkt die Rolle des in Chiasso ansässigen schweizerisch-italienischen Zentrums für Polizei- und Zollzusammenarbeit. Die verstärkte Zusammenarbeit kommt insbesondere den kantonalen Polizeikräften, dem Grenzwachtkorps, der Zollfahndung und dem Bundesamt für Polizei zugute. Die Kantone haben am neuen Abkommen mitgearbeitet und stehen vollumfänglich dahinter.

Das Abkommen lässt die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Justiz- und den Polizeibehörden unberührt. Deshalb ändert sich auch nichts hinsichtlich der Verfahren der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Ebenso wenig berührt das Abkommen die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Kantonen oder die Aufteilung der Zuständigkeiten unter den Kantonen.

4216

Botschaft 1

Grundzüge des Abkommens

1.1

Ausgangslage

Um neue Formen grenzüberschreitender Verbrechen wirksam bekämpfen zu können, ist eine enge Zusammenarbeit mit den ausländischen Polizeibehörden unabdingbar. Die von der Schweiz betriebene Polizeizusammenarbeit gründet auf der multilateralen Zusammenarbeit, insbesondere im Verbund mit der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) und, im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit, vor allem auf der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten.

Die multilaterale Zusammenarbeit bietet zweifelsohne eine gute Grundlage, auf der sich Polizeibehörden verschiedener Staaten unterstützen können. Bilaterale Abkommen erlauben es indessen, Kontakte viel gezielter auszuweiten und spezifische Massnahmen zu treffen. Die in bilateralen Abkommen vereinbarte Polizeizusammenarbeit wird noch verstärkt durch die Instrumente, die sich im Rahmen der Schengener Zusammenarbeit und des Kooperationsabkommens mit dem Europäischen Polizeiamt (Europol) anbieten.

Der Bundesrat hat am 4. Dezember 2009 die im EJPD ausgearbeitete «Strategie internationale Polizeikooperation 20102013» zur Kenntnis genommen. In dieser Strategie ist von der Absicht die Rede, bestehende Abkommen mit Nachbarstaaten dem Umfang des mit Deutschland getroffenen Abkommens anzugleichen1. Hinsichtlich der Polizeizusammenarbeit mit Italien gilt es, sowohl die Schengener Zusammenarbeit umzusetzen als auch die bilaterale Zusammenarbeit zu verbessern.

Anstrebenswert wäre ein umfassendes Abkommen wie jenes, das die Schweiz 2007 mit Frankreich schloss2. Ausserdem wurde empfohlen, die Rolle des in Chiasso ansässigen Zentrums für Polizei- und Zollzusammenarbeit (CCPD) zu verstärken.

1.2

Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Am 5. Mai 2011 beschlossen der Direktor des Bundesamtes für Polizei und der italienische Polizeichef, die Arbeiten in Angriff zu nehmen, um ein neues Instrument zur polizeilichen Zusammenarbeit zu entwickeln, mit dem den Anforderungen der verstärkten Zusammenarbeit Rechnung getragen wird.

Anlässlich von Expertentreffen im Januar und März 2012 erarbeiteten die Vertreterinnen und Vertreter der beiden Staaten den Entwurf eines Gemeinschaftsprojekts.

Im Hinblick auf die Aufnahme von Verhandlungen über die Revision des bestehenden Abkommens wurde der Projektentwurf den Kantonen am 27. August 2012 zur Stellungnahme unterbreitet. Die Kantone sprachen sich allesamt für das Projekt aus.

1

2

Vertrag vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit (Schweizerisch-deutscher Polizeivertrag) (SR 0.360.136.1).

Abkommen vom 9. Oktober 2007 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz-, Polizei- und Zollsachen (SR 0.360.349.1).

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Am 30. Oktober 2012 erteilte der Bundesrat schliesslich ein Mandat zur Eröffnung von Verhandlungen. Die Schweizer Delegation unter der Leitung des Bundesamtes für Polizei (fedpol) setzte sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (Direktion für Völkerrecht, Schweizer Botschaft in Italien), des Eidgenössischen Finanzdepartements (Oberzolldirektion und Grenzwachtkorps) und aus Delegierten der Kantone.

Die Verhandlungen fanden von Januar bis September 2013 statt. Die Schweizer Delegation hatte sich zwei Ziele gesteckt. Erstens: das bisherige Polizeikooperationsabkommen auf einen Stand zu bringen, der dem Umstand Rechnung trägt, dass die Schweiz mittlerweile dem Schengen-Raum beigetreten war. Zweitens: neue Formen der Zusammenarbeit der Polizeibehörden der beiden Staaten zu schaffen, die es ermöglichen, die grenzüberschreitende Kriminalität besser zu bekämpfen und den Bedürfnissen nach Zusammenarbeit unter den Polizeibehörden vor Ort gerecht zu werden.

Der Bundesrat verabschiedete das Abkommen am 20. September 2013. Die Vorsteherin des EJPD, Frau Bundesrätin Simonetta Sommaruga, und der italienische Innenminister, Herr Angelino Alfano, unterzeichneten es am 14. Oktober 2013 in Rom.

Dieses Abkommen ersetzt jenes, das die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Italienische Republik am 11. Mai 1998 über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden3 geschlossen haben (nachfolgend: Abkommen von 1998).

Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20054 (VIG) müssen völkerrechtliche Verträge, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung5 (BV) dem Referendum unterliegen oder wesentliche Interessen der Kantone betreffen, einem Vernehmlassungsverfahren unterzogen werden. Nach Ziffer 2 Buchstabe a der Leitlinien der Bundeskanzlei vom 30. August 2006 zur Konsolidierung der Praxis zu Vernehmlassungen zu völkerrechtlichen Verträgen kann auf das Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden, wenn es sich um Verträge handelt, die politisch eindeutig akzeptiert und ohne wesentlichen neuen Inhalt sind.

Beim vorliegenden Vertrag ist die politische Akzeptanz zweifelsohne gegeben, zumal das Abkommen den Leitlinien des vom Bundesrat erteilten Mandats
entspricht. Das Mandat war nach der Konsultation der Kantone (KKJPD) erteilt worden. Die Vertreterinnen und Vertreter der Kantone waren zudem in jede Phase der Verhandlungen eingebunden und Ihren Interessen ist vollumfänglich Rechnung getragen worden.

Die Abkommen über die polizeiliche Zusammenarbeit werden in den erwähnten Leitlinien als Beispiele für Abkommen angeführt, die keine massgeblichen Änderungen enthalten. Die Bestimmungen des neuen Abkommens mit Italien entsprechen grundsätzlich jenen, welche auch in den Abkommen mit Deutschland6, Frankreich7

3 4 5 6 7

SR 0.360.454.1 SR 172.061 SR 101 RS 0.360.136.1 SR 0.360.349.1

4218

oder mit Österreich und Liechtenstein8 enthalten sind. Schliesslich verbindet die Schweiz und Italien eine lange Tradition der Polizeizusammenarbeit. Angesichts dieser Tatsachen erübrigt sich ein Vernehmlassungsverfahren.

1.3

Überblick über den Inhalt des Abkommens

In der Präambel des Abkommens bekräftigen die Parteien ihr Interesse, die polizeiliche Zusammenarbeit zu verstärken, mit dem Ziel, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren und unerlaubten Handel, illegale Einwanderung und grenzüberschreitendes Verbrechen wirksam zu bekämpfen. Zudem wird auf die Bedeutung der operativen Zusammenarbeit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und dessen Finanzierung hingewiesen. Mit dem neuen Abkommen soll die aufgrund des Abkommens von 1998 vereinbarte Zusammenarbeit ausgeweitet werden, dies auch aufgrund der Tatsache, dass sich beide Parteien an der Schengen-Zusammenarbeit beteiligen. Im Zuge dieser Zusammenarbeit gilt es, die Datenschutzbestimmungen einzuhalten.

Im ersten Titel werden insbesondere die für die Umsetzung des Abkommens zuständigen Behörden und die mit der Zusammenarbeit verfolgten Ziele genannt und die Grenzgebiete bezeichnet.

Im zweiten Titel werden die Formen der polizeilichen Zusammenarbeit im Allgemeinen festgelegt, beispielsweise der Informations- und Erfahrungsaustausch, die Zusammenarbeit auf Ersuchen, die unaufgeforderte Zusammenarbeit oder die Zusammenarbeit bei der fachlichen Ausbildung.

Der dritte Titel ist das Kernstück des revidierten Abkommens: Er handelt von den besonderen Formen der Polizeizusammenarbeit. Geregelt werden in erster Linie grenzüberschreitende Massnahmen wie Observation, Nacheile, kontrollierte Lieferungen oder auch der Transit uniformierter Beamter durch das Grenzgebiet. Dieser Teil des Abkommens regelt ausserdem, welche Mittel zur Bekämpfung von Schwerverbrechen angewendet werden können. Dazu gehören sowohl der Zeugen- und Opferschutz als auch die Hilfeleistung bei Grossereignissen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen.

Der vierte Titel enthält unter anderem Bestimmungen über die direkte Zusammenarbeit im Grenzgebiet wie der gemischte Streifendienst, grenzüberschreitende Massnahmen im Eisenbahn- und Schiffsverkehr oder grenzüberschreitende Geleitschutzdienste.

Im fünften Titel wird die Organisation des CCPD geregelt, insbesondere die Verwaltung der im Zentrum verarbeiteten Daten.

Der sechste Titel ist dem Datenschutz gewidmet.

Der siebte Titel regelt die Rechtsverhältnisse bei offiziellen Einsätzen der einen Partei im Hoheitsgebiet der anderen, insbesondere hinsichtlich der Kommunikationsmittel und des Rechts der Beamten, ihre Dienstwaffe zu tragen. Geregelt werden 8

Vertrag vom 4. Juni 2012 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Polizeibehörden (BBl 2013 791). Dieser Vertrag ist noch nicht rechtskräftig; er wird den Vertrag ersetzen, den die drei Staaten 1999 geschlossen haben (SR 0.360.163.1).

4219

ausserdem die Bedingungen für den Einsatz von Strassen-, Wasser- und Luftfahrzeugen sowie Haftungsfragen.

Im achten Titel sind die Schlussbestimmungen aufgeführt. Unter anderem wird festgelegt, dass die zuständigen Behörden der Parteien Vereinbarungen zur Durchführung der unter dem Abkommen vorgesehenen Zusammenarbeit schliessen können und ein gemeinsamer Ausschuss gebildet wird, der die Zusammenarbeit auf deren Wirksamkeit hin prüft. Geregelt werden auch die Einzelheiten hinsichtlich des Inkrafttretens und der Kündigung des Abkommens.

1.4

Würdigung

Der Bundesrat beurteilt das Ergebnis der Verhandlungen als äusserst zufriedenstellend. Die Richtlinien des Verhandlungsmandats konnten eingehalten, und die Vorgaben vollumfänglich in die revidierte Fassung des Abkommens über polizeiliche Zusammenarbeit eingebracht werden. Dieses Abkommen umfasst weitgehend dieselben Bestimmungen wie jene, die in den mit Frankreich9, Deutschland10 und unlängst mit Österreich und Liechtenstein11 geschlossenen Abkommen enthalten sind. Diese Bestimmungen betreffen insbesondere die grenzüberschreitende Observation und Nacheile, die kontrollierte Lieferung, den Zeugenschutz und die Hilfeleistung bei Grossereignissen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen. Dieses Abkommen stärkt nicht zuletzt auch die Rolle des in Chiasso ansässigen Zentrums für Polizei- und Zollzusammenarbeit.

Dank dieses Abkommens mit Italien verfügt die Schweiz nun über ein zeitgemässes Rechtsinstrument, mit dem den neuen Herausforderung wirksam begegnet werden kann, die sich bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden und der organisierten Kriminalität stellen.

Das Abkommen sieht eine Reihe von Massnahmen vor, die die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit in den an Italien angrenzenden Kantonen verbessern und erleichtern. Dazu gehören gemischte Streifen, grenzüberschreitender Geleitschutz oder auch grenzüberschreitende Massnahmen in Zusammenhang mit dem Eisenbahn- und Schiffsverkehr. Das Abkommen regelt auch den Einsatz von Strassen-, Wasser- und Luftfahrzeugen und den Transit uniformierter Beamter in das Grenzgebiet der anderen Partei. All diese Massnahmen ermöglichen es den Kantonen, die Polizeizusammenarbeit noch effektiver zu gestalten und Ressourcen bereitzustellen und einzusetzen.

Die Bestimmungen dieses Abkommens erstrecken sich ausschliesslich auf den Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit. Das Abkommen lässt die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Justiz- und den Polizeibehörden unberührt. Ebenso wenig berührt das Abkommen die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Kantonen oder die Aufteilung der Zuständigkeiten unter den Kantonen.

9 10 11

SR 0.360.349.1 SR 0.360.136.1 BBl 2013 789

4220

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikel

Art. 1

Zielsetzungen

Das Ziel dieses Abkommens ist es, die Polizeizusammenarbeit zwischen der Schweiz und Italien zu verstärken. Artikel 1 des Abkommens trägt diesem Ziel Rechnung: Die Zusammenarbeit gründet im gegenseitigen Respekt der Souveränität der Parteien und der eigenen nationalen Gesetze. Durch das Abkommen werden keine behördlichen Kompetenzen der Parteien beschnitten. Das Hauptaugenmerk des Abkommens gilt der Begründung neuer Formen der Zusammenarbeit und der Tätigkeit des CCPD in Chiasso.

Art. 2

Zuständige Behörden

In diesem Artikel werden die für die Umsetzung des Abkommens in der Schweiz zuständigen Behörden des Bundes und der Kantone aufgeführt. Die auf Bundesebene zuständigen Behörden sind das Bundesamt für Polizei (fedpol), die Eidgenössische Zollverwaltung (namentlich das Grenzwachkorps und die Zollfahndung). Die Tatsache, dass Italien den Beitrag der Eidgenössischen Zollverwaltung zur bilateralen Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit anerkennt, ist besonders positiv zu bewerten. In Belangen der Migration und des Migrationsdialogs mit Italien arbeitet das Bundesamt für Migration (BFM) eng mit den im Artikel 2 genannten Behörden zusammen. In Zusammenarbeit mit dem CCPD in Chiasso koordiniert das BFM die Strategie in Sachen illegale Migration. Darunter fallen insbesondere unterstützende Massnahmen zur Durchführung von Rückführungen Drittstaatangehöriger und Wegweisungen nach Massgabe des Artikels 21. Aufgrund Italiens zentralisierter Verwaltungs- und Behördenorganisation ist das dem italienischen Innenministerium angegliederte Departement für öffentliche Sicherheit allein zuständig für die Anwendung des Abkommens, während das Wirtschafts- und Finanzministerium für die Einzelheiten der Zusammenarbeit mit den italienischen Zollbehörden verantwortlich ist.

Art. 3

Grenzgebiet

Das in diesem Abkommen bezeichnete Grenzgebiet ist unverändert: Es ist dasselbe wie das im 1998 geschlossene Abkommen.

Art. 4

Begriffe

Dieser Artikel enthält drei Begriffsdefinitionen. Der Begriff des gemeinsamen Zentrums verweist auf das am 17. September 2002 vereinbarte Protokoll zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Einrichtung gemeinsamer Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit12. Dieses Protokoll diente als Grundlage für die Schaffung des gleichnamigen Zentrums in Chiasso. Die Beamten wurden hinsichtlich ihrer jeweiligen Zuständigkeiten definiert. Der Begriff Überwachung beinhaltet, dass die im Rahmen des Abkommens getroffenen Massnahmen in Anwendung aller normativen Bestimmungen der Parteien durchgeführt werden.

12

SR 0.360.454.11

4221

Art. 5

Bereich der Zusammenarbeit

Dieser Artikel bestimmt, dass die polizeiliche Zusammenarbeit der Vorbeugung und Bekämpfung des Verbrechens in allen seinen Formen dient. Genannt werden beispielsweise Verbrechen wie Menschenhandel und Menschenschmuggel, strafbare Handlungen, sei es gegen Leib und Leben oder gegen das Vermögen, das unerlaubte Herstellen von Betäubungsmitteln und der Handel damit, grenzüberschreitende organisierte Kriminalität oder auch terroristische Handlungen. In Artikel 5 wird ausserdem auf den Vorbehalt der jeweiligen nationalen Rechtsbestimmungen sowie der für jede der beiden Partien gültigen internationalen Verpflichtungen hingewiesen.

Art. 6

Formen der Zusammenarbeit

Dieser Artikel handelt vom Austausch polizeirelevanter Informationen in verschiedenen Bereichen der Zusammenarbeit, namentlich Methoden der Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Menschenschmuggel und -handel, von kriminellen oder terroristischen Organisationen, deren Strukturen und Vorgehensweisen. Auch die Bekämpfung des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln jeglicher Form, von Wirtschafts- und Finanzdelikten und Geldwäscherei sind Gegenstand dieses Artikels. Als weitere Formen der Zusammenarbeit genannt werden unter anderem der Austausch von Erfahrungen, bewährten Praktiken und Ermittlungstechniken. Von besonderem Interesse ist auch die unter Punkt 1 c aufgeführte Bestimmung: Sie sieht die gemeinsame fachliche Aus- und Weiterbildung vor. Vor allem die in den Grenzgebieten diensttuenden Beamten sollen davon profitieren. Erwähnenswert ist auch Punkt 1 e; darin ist vorgesehen, dass gemeinsame Massnahmen zur Überwachung der gemeinsamen Grenzen getroffen werden.

Im zweiten Absatz werden die wichtigsten Fälle aufgelistet, in denen die zuständigen Behörden der Parteien Informationsverfahren und gemeinsame Einsatzpläne erarbeiten können, um die Koordination ihrer Einheiten zu gewährleisten. Zu denken ist etwa an die Fahndung nach einem flüchtigen Straftäter oder an Ereignisse, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden.

Art. 7

Zusammenarbeit auf Ersuchen

Dieser Artikel regelt die polizeiliche Amtshilfe. Diese für die polizeiliche Zusammenarbeit massgebliche Bestimmung lehnt sich an jene des Artikels 39 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)13 an. Die Bestimmungen des Artikels 7 legen die Einzelheiten fest, nach denen bei Ersuchen um Unterstützung ­ sei es in dringlichen oder in nicht dringlichen Fällen ­vorzugehen ist. Ersuchen sollten schriftlich gestellt werden, können in dringlichen Fällen aber auch vorab mündlich gestellt werden. Der Inhalt des Ersuchens um Information wird zudem präzisiert. Im Zuge der Umsetzung des Ersuchens muss der ersuchte Staat die zuständigen Justizbehörden einschalten, wenn nach dessen nationalem Recht eine ersuchte Massnahme der justiziellen Zustimmung bedarf.

13

Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990, ABl. L 239 vom 22.09.2000, S. 19­62.

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Art. 8

Verweigerung der Zusammenarbeit

Unter diesem Artikel kann die ersuchte polizeiliche Unterstützung teilweise oder ganz verweigert werden, wenn die Umsetzung eines Ersuchens die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere grundlegende Interessen des eigenen Staates gefährden könnte. Die ersuchte Zusammenarbeit kann auch verweigert werden, wenn die Umsetzung im Widerspruch zu geltendem nationalen Recht oder den internationalen Verpflichtungen des eigenen Staates stünde. Indes ist ein Konsultationsmechanismus zwischen der ersuchten und der ersuchenden Behörde vorgesehen, um zu klären, ob eine Unterstützung unter bestimmten Bedingungen angeboten werden kann.

Art. 9

Umsetzung der Ersuchen

Dieser Artikel bezweckt eine rasche und umfassende Umsetzung der Ersuchen. Dies mit der Einschränkung, dass ein Ersuchen oder die Massnahmen, um die ersucht wird, nicht der Zustimmung der Justizbehörden nach nationalem Recht bedürfen. Im Falle von materiellen oder formellen Schwierigkeiten zählt eine rasche Antwort an die ersuchende Behörde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die ersuchte Behörde sich als nicht zuständig erachtet. In diesem Fall informiert sie die ersuchte Behörde unverzüglich darüber und teilt ihr mit, welche Behörde in der Schweiz für die Umsetzung des Ersuchens verantwortlich ist (Artikel 8 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 196814).

Art. 10

Unaufgeforderte Zusammenarbeit

Die zuständigen Behörden können einander unaufgefordert und ohne Ersuchen polizeilich unterstützen. Nach Massgabe des Rahmenbeschlusses 2006/960/JAI15 (auch als «schwedische Initiative» bekannt) müssen Schengen-Mitgliedstaaten einander unaufgefordert jene Informationen bekanntgeben, die der empfangenden Behörde dabei helfen können, Straftaten zu bekämpfen und konkrete Bedrohungen abzuwenden. Als ein an Schengen assoziierter Staat hat die Schweiz den Rahmenbeschluss übernommen. Die Bestimmung über die unaufgeforderte Zusammenarbeit stellt also keine Einschränkung, sondern vielmehr einen Verweis auf den Rahmenbeschluss dar.

Art. 11

Grenzüberschreitende Observation

Diese Bestimmung bezieht sich auf den Schengen-Besitzstand, namentlich auf Artikel 40 SDÜ. Beamte der einen Partei sind befugt, eine grenzüberschreitende Observation durchzuführen, wenn die observierte Person im Verdacht steht, an einer auslieferungsfähigen Straftat nach Massgabe des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 195716 beteiligt zu sein. Die grenzüberschreitende Observation eines Dritten ist auch möglich, wenn berechtigte Gründe zur Annahme bestehen, die Observation dieser Person könnte zur Identifizierung oder Auffindung

14 15

16

SR 172.021 Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 386 vom 29.12.2006, S. 89.

SR 0.353.1

4223

einer Person behilflich sein, die der Beteiligung an einer auslieferungsfähigen Straftat verdächtigt wird.

Dieser Aspekt der grenzüberschreitenden Observation ist, soweit es den Inhalt betrifft, nicht neu. Das Polizeiabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich enthält bereits eine entsprechende Bestimmung. Sie findet sich auch in Artikel 12 des schweizerisch-französischen Polizeikooperationsabkommens sowie in Artikel 17 des zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen17. Die einmal erteilte Bewilligung, eine Person über die Staatsgrenze der anderen Partei hinweg zu observieren, gilt für das gesamte Hoheitsgebiet.

Kann wegen der besonderen Dringlichkeit einer Angelegenheit eine Bewilligung nicht im Voraus beantragt werden, ist eine grenzüberschreitende Observation unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne vorherige Zustimmung der anderen Partei unter bestimmten Bedingungen zulässig. Zu diesen gehört, dass der Grenzübertritt in solchen Fällen unverzüglich dem gemeinsamen Zentrum zu melden ist. Die Massnahmen unterstehen den Bestimmungen des jeweiligen Landes und sind zeitlich begrenzt. Je nach Dauer oder je nach den eingesetzten Mitteln treffen die Polizeibehörden oder die Justizbehörden die erforderlichen Entscheide.

Art. 12

Grenzüberschreitende Nacheile

Die grenzüberschreitende Nacheile ist statthaft, wenn jemand bei einer auslieferungsfähigen Straftat ertappt worden ist oder sich auf der Flucht befindet. Dieser Artikel ist nach Massgabe des Artikels 41 SDÜ ausgestaltet. Die Nacheile ins Hoheitsgebiet der anderen Partei ist weder zeitlich noch örtlich begrenzt. Je nach Dauer und den eingesetzten Mitteln treffen die Polizeibehörden oder die Justizbehörden die erforderlichen Entscheide. Die nacheilenden Beamten sind befugt, Massnahmen zu treffen, die der Festnahme der verfolgten Person, der Feststellung ihrer Identität und zur Übergabe an die zuständige örtlichen Behörde dienen. Gegebenenfalls wird die verantwortliche Justizbehörde in das nachfolgende Auslieferungsverfahren eingeschaltet.

Art. 13

Kontrollierte Lieferungen

In diesem Artikel wird in allgemeiner Weise die Möglichkeit behandelt, auf Ersuchen der anderen Partei eine kontrollierte Lieferung zu genehmigen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Umsetzung wird auf die Bestimmungen des Durchführungsabkommens über die kontrollierte grenzüberschreitende Lieferung vom 17. November 2009 zwischen der Schweiz und Italien verwiesen18. Die Bestimmungen über kontrollierte Lieferungen lehnen sich an den Artikel 12 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union19 an. Laut diesem Artikel müssen die Schengen-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass kontrollierte Lieferungen im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, die auslieferungsfähige Straftaten betreffen, in deren Hoheitsgebiet ermöglicht werden.

17 18 19

SR 0.351.12 SR 0.360.454.12 ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 1.

4224

Art. 14

Gemeinsame Einsätze

Die zuständigen Behörden der Parteien können gemischt besetzte Analyse-, Arbeitsund Ermittlungsgruppen bilden. Beamte der einen Partei können in diesen Gruppen bei zeitlich begrenzten Einsätzen im Hoheitsgebiet der anderen Partei tätig werden.

Besonders den an Italien angrenzenden Kantonen kann diese Einsatzform sehr zum Vorteil gereichen. Die Beamten der einen Partei beraten und unterstützen die Beamten der anderen Partei, haben aber keine hoheitsrechtlichen Befugnisse.

Art. 15

Entsendung von Verbindungsbeamten

Dieser Artikel kann als Grundlage dienen für die Stationierung eines Polizeiattachés bei einer entsprechenden Behörde der anderen Partei oder, im Falle von Sondereinsätzen, für die Entsendung eines Verbindungsbeamten oder einer Verbindungsbeamtin in das Hoheitsgebiet der anderen Partei.

Art. 16

Zeugenschutz

Die Zeugenschutzprogramme dienen dem Schutz von Personen, die im Rahmen eines Strafverfahrens eine Aussage zu einem Sachverhalt machen, von dem sie Kenntnis haben, und deshalb bedroht sind. Mit den Massnahmen zum Schutz von Zeugen werden zwei Ziele verfolgt: Es gilt, das Leben, die Gesundheit und massgebliche Teile des Vermögens von Zeuginnen und Zeugen, die aufgrund ihrer Aussage bedroht sind, zu schützen und deren Freiheit zu gewährleisten. Es soll aber auch sichergestellt werden, dass die Strafverfolgung ihren Lauf nehmen und ein Verfahren durchgeführt werden kann. Dazu bedarf es unter anderem der Bereitschaft der Zeugen, eine Aussage zu machen.

Wegen ihrer geringen geografischen Ausdehnung ist die Schweiz nur begrenzt in der Lage, eine hochgradig gefährdete Person angemessen zu schützen. Damit gefährdete Personen zur deren Schutz vorübergehend oder für längere Zeit ins Ausland verbracht werden können, ist eine enge internationale Zusammenarbeit unabdingbar.

Besonders sinnvoll ist eine solche Zusammenarbeit mit Staaten, die sprachliche und soziokulturelle Aspekte mit der Schweiz verbinden.

Artikel 16 legt fest, dass die Parteien nach Massgabe des nationalen Rechts zusammenarbeiten, um die Massnahmen zum Schutz von Zeuginnen und Zeugen umzusetzen. Die Grundsätze von Artikel 16 entsprechen denjenigen, die derzeit für die Zusammenarbeit im Bereich des Zeugenschutzes gelten, und den internationalen Normen zur Kooperation, die das Bundesgesetz vom 23. Dezember 2011 über den ausserprozessualen Zeugenschutz20 festlegt. Die Zusammenarbeit umfasst nicht nur den Austausch von Informationen, die dem Schutz von Personen dienen, sondern auch die Übernahme und Unterstützung von zu schützenden Personen, die aus Sicherheitsgründen nicht in den Staat der anderen Partei verbracht werden können (Abs. 2). In jedem einzelnen Fall legen die zuständigen Behörden die Einzelheiten der Zusammenarbeit separat fest (Abs. 3), einschliesslich der Kostenaufteilung. Die für den Zeugenschutz verantwortlichen Dienste schliessen die Vereinbarung untereinander ab. Für die Schweiz zeichnet nach geltendem Recht fedpol verantwortlich (vgl. Art. 16 der Verordnung vom 7. November 201221 über den ausserprozessualen 20 21

SR 312.2 SR 312.21

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Zeugenschutz in Verbindung mit Art. 48a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199722 [RVOG]). Die zu schützenden Personen, die bei der ersuchenden Partei im Zeugenschutzprogramm aufgenommen sind, werden nicht in das Zeugenschutzprogramm der ersuchten Partei aufgenommen (Abs. 4). Die Aufteilung der Kosten entspricht der Praxis im Bereich der internationalen Zusammenarbeit (Abs. 5).

Art. 17

Massnahmen bei unmittelbarer Gefahr

Artikel 17 legt fest, dass bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben von Personen, Beamte der einen Partei die gemeinsame Grenze ohne vorherige Zustimmung der anderen Partei überqueren dürfen. Das mit Frankreich geschlossene Abkommen23 enthält eine ähnliche Bestimmung: Bei schweren Unglücksfällen ist der Einsatz der Streife erlaubt, die sich am nächsten beim Unglücksort befindet, unabhängig davon, welcher Vertragspartei sie angehört (Art. 16 Abs. 4).

Laut Absatz 1 dürfen die Beamten einer Partei die Grenze ohne vorherige Zustimmung der anderen Partei überqueren, um in deren Grenzgebiet die erforderlichen vorläufigen Massnahmen zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr zu treffen. Die im Absatz 2 enthaltene enge Begriffsbestimmung der unmittelbaren Gefahr macht deutlich, dass die Überquerung ohne Zustimmung eine ausserordentliche Gefahrensituation voraussetzt. Die Dringlichkeit der Situation kann nur geltend gemacht werden, wenn beim Abwarten auf die Intervention von Beamten der anderen Partei die Verwirklichung der Gefahr droht.

Nach Artikel 3 dürfen die im Hoheitsgebiet der anderen Partei einschreitenden Beamten nur so lange im Einsatz bleiben, bis deren Beamte die erforderlichen Massnahmen zur Abwehr der Gefahr eingeleitet haben. Die im Hoheitsgebiet der anderen Partei einschreitenden Beamten müssen die zuständigen Behörden des Staates der anderen Partei unverzüglich vom Einsatz unterrichten. Die einschreitenden Beamten sind an die Weisungen der anderen Partei gebunden.

Artikel 4 setzt unter anderem fest, dass die einschreitenden Beamten dem nationalen Recht der Partei unterstehen, in deren Hoheitsgebiet sie im Einsatz stehen.

Art. 18

Hilfeleistung bei Grossereignissen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen

Das vorliegende Abkommen bringt eine weitere Neuerung mit sich: Die Parteien können einander bei Massenveranstaltungen und ähnlichen Grossereignissen sowie bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen Hilfe leisten. Diese Bestimmung entspricht weitgehend jener des Artikels 16 des Abkommens mit Frankreich24. Die Parteien unterstützen einander, indem sie Informationen austauschen, gemeinsame Massnahmen koordinieren oder auch Beamte zur Aufrechterhaltung der Sicherheit abstellen. Auf Ersuchen einer Partei können auch Spezialistinnen und Spezialisten, Beraterinnen und Berater entsandt oder Ausrüstungsmaterial zur Verfügung gestellt werden. Diese Bestimmung ist in weiten Teilen identisch mit jener des Artikels 24 des Abkommens mit Deutschland25. Auch die Vorgehensweise zur Vereinbarung 22 23 24 25

SR 172.010 SR 0.360.349.1 SR 0.360.349.1 SR 0.360.136.1

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der Hilfeleistung ist festgelegt: separat zu verabschiedende Vereinbarungen erstrecken sich jeweils auf die Art des Ereignisses, das Datum und die Dauer, die Bedingungen, unter denen Beamte der anderen Partei Hilfe leisten, und die finanzielle Entschädigung für die zur Verfügung gestellten Einheiten. Diese Einheiten unterstehen der operativen Leitung der im Hoheitsgebiet der anderen Partei zuständigen Dienststelle und, unter Wahrung des nationalen Rechts, des Staates, in dessen Hoheitsgebiet der Einsatz stattfindet.

Art. 19

Unterstützung in Krisen oder bei aussergewöhnlichen Ereignissen

Die Parteien können einander auch in Krisen oder bei aussergewöhnlichen Ereignissen unterstützen. Als Krise im Rahmen dieser Bestimmung gilt eine Situation, die den zuständigen Behörden einer Partei berechtigten Grund zur Annahme gibt, dass eine Straftat begangen worden oder im Gange ist, die eine unmittelbare und ernste physische Bedrohung für Personen, Eigentum, Infrastrukturen oder Institutionen der anderen Partei darstellt. Als aussergewöhnlich gilt ein Ereignis, wenn die zuständigen Behörden der anderen Partei mit den eigenen Mitteln die Situation nicht mehr bewältigen können. Die Hilfeleistung kann in Fachwissen bestehen, das zur Verfügung gestellt wird, in Ausrüstung oder in der Durchführung von Einsätzen. Die Beamten der ersuchten Partei, die im Hoheitsgebiet der ersuchenden Partei tätig werden, unterstehen deren Zuständigkeit.

Art. 20

Flugsicherheitsbegleiter

Unter dem neuen Abkommen ist es den Parteien nun auch möglich, beim Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern ­ auch Air Marshals oder Tigers genannt ­ zusammenzuarbeiten. Vorgesehen ist die Zusammenarbeit vor allem auf Flügen vom Hoheitsgebiet der einen Partei in jenes der anderen Partei (Abs. 3). Die Staaten der Parteien befinden nach eigenem Gutdünken, ob sie Flugsicherheitsbeamte an Bord von Linienflugzeugen einsetzen, die in ihrem Hoheitsgebiet immatrikuliert sind.

Diese Beamten werden nach Massgabe des bestehenden internationalen Rechts eingesetzt. Im Absatz 2 wird festgelegt, dass die Parteien einzig Beamte der von ihnen benannten Sicherheitsbehörden, nicht aber von Privatunternehmen, abstellen dürfen. Die Umsetzung der Bestimmungen dieses Artikels wird in einer separaten Durchführungsvereinbarung geregelt (Abs. 4).

Art. 21

Unterstützung bei gemeinsamen Rückführungen und Wegweisungen

Die Parteien unterstützen einander bei der Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die einer Wegweisungsmassnahme unterliegen. Bei der Zusammenarbeit tragen die Parteien den internationalen Verpflichtungen und den geltenden Rückübernahmeabkommen Rechnung.

Mit dieser Form der Zusammenarbeit ­ sie war bereits im Entwurf des Vertrags mit Österreich und Liechtenstein enthalten (Art. 28) ­ wird der Schengen-Besitzstand konkretisiert (vgl. Botschaft vom 9. Januar 2013 über die Genehmigung des Vertrags zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit26).

26

BBl 2013 775

4227

Die zuständigen Behörden unterstützen einander beim Vollzug von Massnahmen, die die zuständigen Behörden der Parteien beschlossen haben und die der Rückführung oder Wegweisung dienen. Die Bestimmung im Absatz 3 ist vor allem für jene Kantone von Interesse, die an Italien angrenzen: Zur Vermeidung und Bekämpfung der illegalen Einwanderung können gemeinsame Grenzschutzaktivitäten vereinbart werden, einschliesslich gemeinsamer Streifen im Sinne der Artikel 23 und 24.

Art. 22

Transit

Beamte, die Uniform tragen, Dienstwaffen oder Spezialausrüstung mit sich führen oder Dienstfahrzeuge benutzen, dürfen in das Grenzgebiet der anderen Partei einreisen, sofern die zuständige Dienststelle zuvor informiert worden ist. Geht der Transit über das Grenzgebiet im Hoheitsgebiet der anderen Partei hinaus, bedarf es vorgängig der Genehmigung der zuständigen Behörde. Oft müssen Beamte im Zuge eines Einsatzes einen Teil des Hoheitsgebiets der anderen Partei oder, beispielsweise zu Repräsentationszwecken in einem Drittland, das ganze Land durchqueren. In der Praxis hat es sich erwiesen, dass vereinfachte Verfahren vorteilhaft sind und helfen, Zeit und Mittel einzusparen. Weitergehende Bestimmungen des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die nebeneinanderliegenden Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung während der Fahrt bleiben vorbehalten27.

Art. 23 und 24

Gemischter Streifendienst

Die Bestimmungen dieser Artikel befugen die Beamten der Parteien, im Rahmen der Zusammenarbeit im Sinne von Artikel 5 im Grenzgebiet an gemischten Streifen teilzunehmen. Die im Hoheitsgebiet der anderen Partei diensttuenden Beamten sind in beobachtender, unterstützender, beratender und informierender Funktion tätig. Sie sind nicht mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet und somit nicht befugt, selbstständig polizeiliche Massnahmen zu treffen. Gemischte Streifen sind das Symbol schlechthin für die enge Zusammenarbeit unter den zuständigen Behörden.

Gemischte Streifen können im gesamten Grenzgebiet im Sinne von Artikel 3 eingesetzt werden. Ihre Hauptaufgabe ist es, Gefahren für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung vorzubeugen, gegen den illegalen Handel im Allgemeinen vorzugehen, die illegale Immigration und das Verbrechen im Grenzgebiet zu bekämpfen und die Grenze zu bewachen. Die Rechte und Pflichten der Beamten richten sich nach dem nationalen Recht des Staates, in dem Einsätze stattfinden.

Art. 25

Grenzüberschreitende Massnahmen im Eisenbahn- und Schiffsverkehr

Dieser Artikel trägt den Erfordernissen des Schengen-Besitzstandes und den geografischen Gegebenheiten im Grenzgebiet Rechnung. Die im Rahmen der Schengener Zusammenarbeit zu tätigenden mobilen polizeilichen Kontrollen bedingen, dass die Polizeibehörden der Parteien in einem gemeinsamen Raum der Sicherheit agieren und zu diesem Zweck die Grenze zum Staat der anderen Partei überqueren können.

Dieser Artikel befugt die Beamten der Parteien, eine Amtshandlung, die in einem Reisezug im eigenen Hoheitsgebiet begonnen worden ist, nach dem für sie geltenden nationalen Recht bis zum ersten fahrplanmässigen Halt im Hoheitsgebiet der ande27

SR 0.631.252.945.460

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ren Partei fortzusetzen. Nach dem jeweils geltenden nationalen Recht können die Beamten dazu berechtigt werden, beim letzten fahrplanmässigen Halt des Reisezuges im Hoheitsgebiet der anderen Partei zuzusteigen, um sich die Möglichkeit offenzuhalten, Massnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung zu treffen. Diese Bestimmungen gelten auch für den Personenverkehr auf Schiffen. Vorbehalten bleiben separate Regelungen, wie sie in den Bestimmungen über die nebeneinanderliegenden Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung während der Fahrt vorgesehen sind und die es Beamten erlauben, noch vor dem letzten fahrplanmässigen Halt des Reisezuges im Hoheitsgebiet der anderen Partei zuzusteigen.

Hinsichtlich des Abkommens mit Italien betreffen die Bestimmungen des Artikels 25 vor allem die Schweizer Zollbehörden und deren Recht, auf der Simplonlinie zwischen Brig und Domodossola und nicht nur zwischen Brig und Iselle Kontrollen durchzuführen.

Art. 26

Grenzüberschreitende Geleitschutzdienste

Dieser Artikel bietet einen rechtlichen Rahmen, damit exponierte Personen unter geschütztem Geleit über die Grenze hinweg von Beamten begleitet werden können.

Ab dem Grenzübertritt werden die eskortierenden Beamten von Beamten der Partei begleitet, in deren Hoheitsgebiet sie im Einsatz sind. Die eskortierenden, im Hoheitsgebiet der anderen Partei tätigen Beamten unterstehen der Kontrolle der Beamten der anderen Partei und dürfen die eigene Dienstwaffe mit sich führen.

Art. 27 und 28

Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit

Das gemeinsame Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit (CCPD) in Chiasso hat sich bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bewährt, insbesondere beim Austausch operativer Informationen und zur Analyse sicherheitsrelevanter Belange.

Die Schweiz betreibt zwei solcher Zentren, eines mit Italien und das andere mit Frankreich. Durch Artikel 27 wird die Rolle des schweizerisch-italienischen Zentrums in Chiasso gestärkt, indem seine Befugnisse ausgeweitet und präzisiert werden, die komplementär zu den Befugnissen der nationalen Zentralstellen zu sehen sind.

Der Artikel steht in Bezug auf das Protokoll von 2002 über die Errichtung gemeinsamer Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit28. Das CCPD in Chiasso unterstützt die schweizerische Vertragspartei bei grenzüberschreitenden Observationen und hilft, diese zu koordinieren. Dasselbe gilt für Nacheilen, kontrollierte Lieferungen, für die Bildung gemischter Streifen, den Transit von Beamten und den Geleitschutz exponierter Personen. Ausserdem erhält das CCPD Meldungen zu den Massnahmen in Fällen, wenn schwere und unmittelbare Gefahr droht. Artikel 28 schafft eine Rechtsgrundlage für ein Betriebskontrollsystem, in dem sämtliche von den Beamten im Zentrum bearbeiteten Geschäfte verzeichnet werden. Inhaltlich entspricht dieser Artikel dem Artikel 24 Absatz 2 des mit Frankreich geschlossenen Abkommens29. Diese Rechtsgrundlage wird in einem Durchführungsabkommen konkretisiert; in diesem Durchführungsabkommen werdender Zugriff auf das System und dessen spezifischen Merkmale nach Massgabe der entsprechenden nationalen Datenschutzbestimmungen präzisiert.

28 29

SR 0.360.454.11 SR 0.360.349.1

4229

Art. 29

Einschränkungen bei der Verwendung von Daten und Dokumenten

Dieser Artikel nimmt Bezug auf das Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 198130 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten. Dieses Übereinkommen bildet die rechtliche Grundlage dafür, dass jeder Vertragsstaat einen angemessenen Datenschutzstandard gewährleistet. Der Datenschutz wird in Erfüllung dieses Übereinkommens nach Massgabe des eigenen nationalen Rechts sichergestellt. Die im Rahmen des Abkommens übermittelten Personendaten werden ausschliesslich zu den im Abkommen vereinbarten Zwecken und unter den Bedingungen der übermittelnden Partei verwendet (Abs. 2). Die zuständige Behörde, die Daten übermittelt, stellt sicher, dass diese genau, aktuell und zweckmässig sind (Abs. 4). Die empfangende Behörde ist unter anderem dazu verpflichtet, unrichtige beziehungsweise unvollständige Daten zu berichtigen, zu sperren oder zu löschen (Abs. 6). Die Parteien informieren einander, wenn empfangene Daten nicht verlässlich erscheinen oder ernsthafte Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Die Bestimmungen dieses und des folgenden Artikels sind in geraffter Form mit den im Abkommen mit Frankreich enthaltenen Bestimmungen vergleichbar31.

Art. 30

Organisatorische Massnahmen

Unter diesem Artikel werden die Parteien dazu verpflichtet, technische Massnahmen zu treffen, um die Personendaten unter anderem vor versehentlicher oder unerlaubter Vernichtung oder Änderung zu schützen. Die Parteien haben bereits Vorkehrungen getroffen, um Personendaten vor nicht statthafter Manipulation zu schützen: Die Schweiz und Italien beteiligen sich an der Schengen-Zusammenarbeit. Sie sind somit verpflichtet die Mindestanforderungen zu erfüllen, die der Schengen-Besitzstand hinsichtlich des Datenschutzes fordert. Der derzeit massgebliche Rechtsakt ist der Rahmenbeschluss 2008/977/JAI32, weshalb das Abkommen zwischen der Schweiz und Italien keiner detaillierten Erläuterungen zum Datenschutz bedarf.

Art. 31

Einreise, Ausreise und Aufenthalt

Beamte, die auf der Grundlage des Abkommens im Hoheitsgebiet der anderen Partei im Einsatz stehen, müssen ihre amtliche Funktion jederzeit nachweisen können und einen gültigen Dienstausweis auf sich tragen. Sie dürfen sich so lange im Hoheitsgebiet der anderen Partei aufhalten, als dies für ihren Einsatz notwendig ist.

Art. 32

Uniformen, Dienstwaffen und Kommunikationsmittel

Dieser Artikel befugt Beamte, die im Rahmen des Abkommens im Hoheitsgebiet der anderen Partei im Einsatz stehen, Uniform zu tragen und ihre Dienstwaffen oder auch andere für Zwangsmassnahmen und zu Kommunikationszwecken vorgesehene Hilfsmittel mitzuführen. Die Dienstwaffe darf nur in Notwehr benutzt werden (Abs. 2). Eine Durchführungsvereinbarung wird im Detail regeln, welche Art Dienstwaffen und Munition verwendet werden darf (Abs. 3).

30 31 32

SR 0.235.1 SR 0.360.349.1 Rahmenbeschluss des Rates 2008/977/JAI vom 27. November 2008 über den Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, ABl. L 350 vom 30.12.2008, S. 60.

4230

Art. 33

Einsatz von Strassen-, Wasser- und Luftfahrzeugen

Dieser Artikel sieht vor, dass eine Reihe verschiedener Transportmittel genutzt werden kann. Beamte, die solche Transportmittel im Hoheitsgebiet der anderen Partei nutzen, unterstehen den einschlägigen Gesetzen des jeweiligen Staates. Nach Massgabe des jeweiligen nationalen Rechts können Strassenfahrzeuge von den Autobahngebühren befreit werden. Der Einsatz von Luftfahrzeugen im Luftfahrtraum der anderen Partei kann in separaten Abkommen vereinbart werden. So könnten Drohnen, Flugzeuge oder Hubschrauber in den grenznahen Gebieten als Interventions- oder Überwachungsmittel eingesetzt werden. Nutzniesser sind in erster Linie die kantonalen Polizeikräfte und das Grenzwachtkorps.

Art. 34

Dienstverhältnisse, Schutz und Unterstützung

Dieser Artikel begründet unter anderem den Grundsatz, wonach die Parteien den von der anderen Partei entsandten Beamten denselben Schutz und dieselbe Unterstützung wie den eigenen Beamten gewähren. Inhaltlich stimmt dieser Artikel mit Artikel 41 Absatz 1 des mit Frankreich geschlossenen Abkommens33 überein.

Art. 35

Haftung

Artikel 35 regelt die zivilrechtliche Haftung. Wenn Beamte im Rahmen ihres Einsatzes im Hoheitsgebiet der anderen Partei einen Schaden verursachen, haftet diese Partei gegenüber geschädigten Dritten. Die Haftung gilt unter denselben Bedingungen und im selben Umfang, wie wenn eigene sachlich und örtlich zuständige Beamte den Schaden verursacht hätten (Abs. 1).

Laut Absatz 2 wird die Partei, die den Geschädigten oder ihren Rechtsnachfolgern Schadenersatz geleistet hat, von der anderen Partei entschädigt, es sei denn, der Einsatz fand auf ihr Ersuchen statt. Wird den Parteien Schaden verursacht, verzichten sie auf Schadenersatz, es sei denn, die verantwortlichen Beamten haben den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht.

Art. 36

Rechtsstellung der Beamten im Bereich des Strafrechts

Die Beamten, die im Hoheitsgebiet der anderen Partei im Einsatz stehen, sind hinsichtlich der Straftaten, die sie begehen oder deren Opfer sie sind, den Beamten der anderen Partei gleichgestellt. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich jener des Artikels 43 des mit Frankreich geschlossenen Abkommens34.

Art. 37

Finanzielle Bestimmungen

In der Regel trägt die ersuchte Partei die Kosten für die Bearbeitung eines Ersuchens im Sinne dieses Abkommens. Ausnahmen von dieser Regel sind möglich, bedürfen indessen einer vorherigen schriftlichen Vereinbarung.

33 34

SR 0.360.349.1 SR 0.360.349.1

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Art. 38

Durchführung des Abkommens

Gestützt auf diesen Artikel können die zuständigen Behörden Durchführungsvereinbarungen schliessen. Als zuständig gelten die nach dem nationalen Recht der jeweiligen Parteien bezeichneten Behörden. Durchführungsvereinbarungen ergänzen oder konkretisieren die Bestimmungen des Abkommens. Bei Abkommen dieser Art handelt es sich um völkerrechtliche Verträge von beschränkter Tragweite im Sinne von Artikel 7a Absatz 2 Buchstabe b des RVOG35. Diese Verträge dienen dem Vollzug von Verträgen, die von der Bundesversammlung genehmigt worden sind und für deren Abschluss im Prinzip der Bundesrat zuständig ist.

Art. 39

Verpflichtungen aufgrund weiterer internationaler Verpflichtungen

Die Rechte und Pflichten der Parteien, die sich aus anderen internationalen Übereinkommen ergeben, bleiben unberührt von diesem Abkommen, mit dem insbesondere bezweckt wird, bestehende Bestimmungen zu ergänzen, vor allem jene des Schengen-Besitzstandes und dessen Weiterentwicklung und die von Interpol festgelegten Regelungen. Es gilt auch sicherzustellen, dass etwaige Weiterentwicklungen der Schengener Zusammenarbeit, die vom Inhalt des vorliegenden Abkommens abweichen, Vorrang geniessen, sofern sie in den Staaten der Parteien anwendbar sind.

Art. 41

Gemischter Ausschuss, Zusammenkunft von Experten und Bereinigung von Meinungsverschiedenheiten

Der Artikel 41 sieht analog Artikel 52 des mit Frankreich geschlossenen Abkommens36 einen gemeinsamen Ausschuss vor, der periodisch die Zusammenarbeit auf ihre Wirksamkeit hin prüft und Vorschläge zur Weiterentwicklung einbringt. Dieser Ausschuss ist ein massgebliches Mittel zur Umsetzung des Abkommens. Die Arbeit der Mitglieder dieses Ausschusses dient den zuständigen Behörden als Entscheidungshilfe und zur Beschlussfassung mit dem Ziel, Probleme zu lösen und die Zusammenarbeit im Rahmen des Abkommens zu verstärken.

Art. 43

Inkrafttreten und Kündigung

Dieser Artikel legt fest, dass das Abkommen auf unbestimmte Zeit geschlossen wird (Abs. 1). Das am 10. September 1998 geschlossene Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden37 wird aufgehoben und durch das neue Abkommen ersetzt (Abs. 3). Das neue Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten Monats in Kraft, der auf das Datum folgt, an dem die zweite der beiden Notifikationen eingeht, mit der die Parteien einander anzeigen, dass die jeweiligen internen Verfahren erfüllt sind, die erforderlich sind, damit das Abkommen in Kraft treten kann (Abs. 1). Es ist üblich, dass internationale Abkommen, die von einer gewissen Tragweite sind, beim Generalsekretariat der Vereinten Nationen registriert werden. Sobald das Abkommen in Kraft ist, wird Italien die Registrierung des Abkommens beantragen (Abs. 4).

35 36 37

SR 172.010 SR 0.360.349.1 SR 0.360.454.1

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Die Parteien können das Abkommen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten auf diplomatischem Weg jederzeit schriftlich kündigen (Abs. 2).

3

Auswirkungen

Das Abkommen lässt sich mit den bestehenden Ressourcen umsetzen. Doch hängt der Bedarf an Ressourcen letztendlich weitgehend davon ab, wie die neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit genutzt werden. So ist es durchaus denkbar, dass in gewissen Fällen, in denen sich die Parteien auf eine bestimmte Vorgehensweise geeinigt haben, die Massnahmen Kosten nach sich ziehen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die eine Partei im Zuge des Zeugenschutzes von der anderen Partei Personen übernimmt, oder wenn eine grosse Zahl von Polizeibeamten abkommandiert wird. Im ausserordentlichen Fall, dass zusätzliche Mittel nötig sein sollten, müssen diese beim Bundesrat beantragt werden.

Das Abkommen untersteht nicht der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV, denn das Abkommen enthält weder Subventionsbestimmungen, noch ist ein Verpflichtungskredit oder ein Zahlungsrahmen vorgesehen.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage wurde in der Botschaft vom 25. Januar 2012 über die Legislaturplanung 2011 bis 201538 angekündigt.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Der vorliegende völkerrechtliche Vertrag stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV.

Dieser Artikel weist die Kompetenz in den auswärtigen Angelegenheiten dem Bund zu. Laut Artikel 184 Absatz 2 BV unterzeichnet der Bundesrat die völkerrechtlichen Verträge, unterbreitet sie der Bundesversammlung zur Genehmigung und ratifiziert sie. Kraft des Artikels 166 Absatz 2 der BV genehmigt die Bundesversammlung die völkerrechtlichen Verträge; ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund eines Gesetzes oder völkerrechtlichen Vertrags der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200239 [ParlG]); Art. 7a Abs. 1, RVOG). Das vorliegende Abkommen stellt weder einen Vertrag dar, den der Bundesrat aufgrund eines Gesetzes oder eines bestimmten völkerrechtlichen Vertrags selbstständig abzuschliessen befugt ist, noch handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag von beschränkter Tragweite im Sinne von Artikel 7a Absatz 2 RVOG. Folglich muss das vorliegende Abkommen der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet werden.

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu 38 39

BBl 2012 561 SR 171.10

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einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Die unter Ziffer 1 und 2 genannten Bedingungen treffen auf das Abkommen mit Italien nicht zu. Artikel 43 des Abkommens sieht vor, dass es jederzeit kündbar ist; ebenso wenig ist der Beitritt zu einer internationalen Organisation vorgesehen.

Es bleibt zu prüfen, ob das Abkommen wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält oder dessen Umsetzung den Erlass eines Bundesgesetzes erfordert. Laut Artikel 22 Absatz 4 ParlG gelten Bestimmungen als rechtsetzend, wenn sie in unmittelbarer verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die in Form eines Bundesgesetzes im Sinne von Artikel 164 Absatz 1 BV.

Das Abkommen enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen. Aus ihnen erwachsen den Parteien Pflichten, und es räumt ihnen ausserdem im Hoheitsgebiet eines anderen Staates Rechte ein. Einige Bestimmungen wirken sich unmittelbar auf die Rechte und Pflichten von Einzelpersonen aus. Diese Bestimmungen gelten als wichtig, zumal sie nur in Form eines Bundesgesetzes im Sinne des Artikels 164 Absatz 1 BV erlassen werden können, würden sie auf Bundesebene erlassen. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden unterliegt somit dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Das Abkommen ist vereinbar mit den internationalen Verpflichtung der Schweiz. Es entspricht den Anforderungen des Schengen-Besitzstandes, insbesondere jenen im Bereich der Polizeizusammenarbeit und des Datenschutzes. Das SDÜ befugt die Schengen-Mitgliedstaaten und die assoziierten Staaten ausdrücklich, zusätzlich bilaterale Bestimmungen auszuarbeiten, die der Umsetzung der Polizeizusammenarbeit im Rahmen der Schengener Zusammenarbeit förderlich sind. Diese Staaten können beispielsweise speziell auf die Durchführung operativer Massnahmen ausgelegte Abkommen schliessen. Die in diesem Abkommen enthaltenen Bestimmungen über die Observation, Nacheile und kontrollierte Lieferung konkretisieren die in Artikel 40 Ziffer 6 und in Artikel 41 Ziffer 10 SDÜ enthaltenen Bestimmungen. Des Weiteren sind die Schengen-Staaten befugt, über bilaterale Abkommen Kooperationsmassnahmen zu vereinbaren, die der Schengen-Besitzstand nicht vorsieht, beispielsweise in Sachen Zeugenschutz. Im Abkommen mit Italien wird ausdrücklich vermerkt, dass die internationalen Verpflichtungen der Parteien in Kraft bleiben.

In den Verhandlungen zu diesem Abkommen wurde auch eine mögliche Beteiligung der Schweiz an der Zusammenarbeit der EU im Rahmen der Prümer Beschlüsse40 40

Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität ABl. vom 6.8.2008, S. 1 und Beschluss 2008/616/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität,ABl. L 210 vom 6.8.2008, S. 12.

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angedacht. Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, sind die zentralen Elemente der Zusammenarbeit mit der EU ­ beispielsweise der automatische Austausch und Vergleich von DNA-Profilen und Fingerabdrücken ­ nicht Gegenstand des Abkommens mit Italien. Das Abkommen enthält lediglich einige wenige dem Prümer Vertrag aus dem Jahr 2005 entlehnte Bestimmungen, die sich in der Gesetzgebung der Europäischen Union nicht finden. Es handelt sich dabei um Massnahmen, die in Fällen schwerer und unmittelbar Gefahr zu treffen sind, sowie um Bestimmungen über den Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern.

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