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Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs des Herrn Simon Brunschwig, Pferdehändler in Freiburg, gegen eine Strafverfügung des Gerichts des Saanebezirks betreffend Viehseuchenpolizei.

(Vom 15. Dezember 1890.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen eines Rekurses des Herrn S i m o n B r u n s c h w i g , Pferdehändler in Freiburg, vertreten durch Herrn Fürsprecher G. Gottrau daselbst, betreffend ein Urtheil des Gerichts des Saanebezirks, nach Einsicht der Akten und nach angehörtem Bericht des schweizerischen Landwirthschaftsdepartements, woraus sich ergeben : 1. Simon Brunschwig von Pontarlier, Pferdehändler, wohnhaft in Freiburg, hat am 28. Mai und 13. Juni d. J. aus dem französischen Departement Cher drei Pferde eingeführt, für welche ihm vom untersuchenden Grenzthierarzte vorschriftsgemäße Passirscheine ausgestellt worden sind. Brunschwig hat diese Scheine unmittelbar nach seiner Ankunft in Freiburg dem dortigen Viehinspektor eingehändigt, in den auf die Einfuhr folgenden 14 Tagen jedoch Gelegenheit gehabt, die fraglichen drei Thiere außer den Inspektionskreis Freiburg zu verkaufen. Zu diesem Zwecke erhob derselbe beim Viehinspektor daselbst die deponirten drei Passirscheine und übergab dieselben mit den Thieren den neuen Käufern.

· Bundesblatt 42. Jahrg. Bd. V.

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510 2. In diesem Vorgehen erblickte der Viehinspektor in Amtmerswyl, Gemeinde Düdingen, woselbst die Käufer der Brunschwig'schen Pferde domizilirt sind, eine viehseuchenpolizeiliche Widerhandlung; er war der Ansicht, es hätten den nunmehrigen Besitzern anstatt der Passirscheine Gesundheitsscheine, wie solche im internen Viehverkehr gebräuchlich sind, eingehändigt werden sollen. Unter Berufung hierauf führte der Viehinspektor beim Gerichte des Saanebezirkes Klage gegen Brunschwig.

3. Diese Behörde verurtheilte auf Antrag des Generalprokurators Brunschwig zu einer Buße von Fr. 20 und den Gerichtskosten.. Dabei stützte sich das Gericht auf folgende Motive: a. Artikel '4 des Bundesgesetzes über polizeiliche Maßregeln gegen Viehseuchen, vom 8. Februar 1872, schreibt vor, daß bei jeder Veräußerung eines über 6 Monate alten Thieres des Rindvieh- und Pferdegeschlechtes, sofern dasselbe außer > den Inspektionskreis geführt werde, dem Uebernehmer ein Gesundheitsschein übergeben werden müsse; b. Artikel 91, Alinea 4 der Vollziehungsverordnung vom 14. Oktober 1887 zu den Bundesgesetzen betreffend Viehseuchenpolizei sage sodann, ,,der Passirschein ersetzt den Gesundheitsschein während seiner ganzen Gültigkeitsdauer, so lange die Thiere nicht an einen ändern Besitzer übergehen" ; c. nach Artikel 20 der nämlichen Verordnung erlösche mit der Handänderung eines Thieres die Gültigkeit des betreffenden Scheines für fernere Veräußerung, auch wenn sonst die Gültigkeitsdauer noch nicht abgelaufen sei; d. Artikel 91, Alinea 5 der Verordnung enthalte folgende Bestimmung: ,,Will der Eigenthümer die Thiere nach einer ändern Ortschaft (von seinem Wohnorte weg) führen, so stellt ihm der Viehinspektor den Passirschein, sofern derselbe noch gültig ist und auf seinen Namen lautet, wieder zurück" ; e. es ergebe sich aus allen diesen Bestimmungen, daß jedesmal, wenn ein Thier des Pferdegeschlechts aus einem Inspektionskreis wegen Wechsel des Besitzers nach einem ändern geführt werde, der Verkäufer gehalten sei, dem Käufer einen vom Inspektor seines Kreises ausgestellten Gesundheitsschein einzuhändigen. Die nämliche Verpflichtung bestehe für den Fall, wenn das Thier mit Passirschein zur Einfuhr gelangt sei, es sei denn, der Transport nach einem ändern Inspektionskreis finde im Namen des Besitzers statt, d. h. es verbleibe das Thier auch fernerhin sein Eigenthum;

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f. dieses Verhältniß habe bezüglich der drei Pferde Brunschwig's nicht zugetroffen und es hätte derselbe somit den Käufern anstatt der Passirscheine reglementarische Gesundheitsscheine übergeben sollen ; g. die ungenaue Redaktion der einschlägigen Vorschriften am Fuße der Passirscheinformulare D sei geeignet gewesen, Brunschwig in Irrthum zu führen und es falle dieser Umstand bei der Beurtheilung als Milderungsgrund in Betracht.

4. In seiner Rekurseingabe erhebt der Beschwerdeführer gegen diese Argumentation folgende Einwendungen: Aus den Artikeln 20, 90 und 91 der Vollziehungsverordnung gehe hervor, daß Gesundheitsschein und Passirschein sich in ihrem Werthe gleichstehen, daß beide ohne irgend welchen Unterschied grundsätzlich dem nämlichen Zwecke dienen und daß folglich für den Viehbesitzer aus beiden die gleichen Rechte herzuleiten seien.

Nach dem Wortlaute des zitirten Artikels 20 der Verordnung ' erlösche die Gültigkeit des Gesundheitsscheines innerhalb der reglementarischen Frist mit der erfolgten Handänderung eines Thieres und erst für eine fernere Veräußerung bedürfe es der Erneuerung des Scheines und zwar seitens des neuen Verkäufers. Analog verhalte es sich bezüglich des Passirscheines, welcher zufolge Art. 91 der Verordnung während seiner ganzen Gültigkeitsdauer den Gesundheitsschein ersetze. Für mit Passirscheinen versehene Thiere seien Gesundheitsscheine somit erst dann nothwendig, wenn entweder die Gültigkeitsdauer der Passirscheine abgelaufen sei oder aber die zugehörigen Thiere nach der erstmaligen Handänderung wieder veräußert werden. Keiner dieser beiden Fälle treffe in concreto zu, indem Brunschwig unbestrittenermaßen die drei Pferde aus erster Hand und innerhalb der vorgesehenen 14tägigen Frist verkauft habe. Daß eine solche Handänderung auch aus einem Inspektionskreise nach einem ändern stattfinden dürfe, sei zudem aus den Passirscheinen selbst zu ersehen, indem diese folgende ausdrückliehen und klaren Vorschriften aufstellen : ,,Der gegenwärtige Passirschein, welcher für den obgenannten Eigenthümer eine Gültigkeitsdauer von 6 resp. 14 Tagen hat, ist auf Verlangen jedem Gesundheitspolizeiorgane vorzuweisen und bei Ankunft am Bestimmungsort des Thieres dem Viehinspektor sofort einzuhändigen.

,,Im Falle des Verkaufs oder Austausches hat der neue Besitzer dem Viehinspektor seines Kreises den Passirschein zum Zwecke

512 der reglementarischen Eintragungen abzugeben. Der Viehinspektor behält denselben zurück*.

Diesem Verlangen sei der Rekurrent in jeder Beziehung nachgekommen und es ersucht deßhalb derselbe um Aufhebung des Urtheils der freiburgischen Gerichtsbehörde.

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5. Der .Regierungsrath des Kantons Freiburg, welchem die Rekurseingabe zur Anbringung von Gegenbemerkungen zugestellt wurde, beantwortete dieselbe durch seine Polizeidirektion kurzweg dahin, es scheine sich lediglich um eine Frage der Interpretation des Artikels 91 der Vollziehungsverordnung vom 14. Oktober 1887 zu handeln, welcher Artikel sich nicht in vollständiger Uebereinstimmung mit dem Text am Fuße des Passirscheinformulars D befinde. Die kantonale Behörde ist der Ansicht, daß der ergangene Uftheilsspruch so lange als zutreffend angenommen werden müsse, als der Bundesrath dem Artikel 4 des Bundesgesetzes vom 8. Februar 1872 und dem Artikel 91, Alinea 4 der zugehörigen Vollziehungsverordnung nicht eine authentische Interpretation gegeben habe; in E r w ä g u n g : I. Die Vollziehung des Artikels 4 des Bundesgesetzes vom 8. Februar 1872, betreffend Maßregeln gegen Viehseuchen, wird, soweit es sich um die vorwürfige Angelegenheit handelt, durch die Artikel 19, 20 und 91 der Verordnung vom 14. Oktober 1887 normirt.

II. Artikel 19 dieser Verordnung setzt die Gültigkeitsdauer der Gesundheits- und der Passirseheine für Thiere des Pferdegeschlechts auf 14 Tage an.

III. Daran anschließend bestimmt Artikel 20, Alinea l und 2 in einer Weise, die keine Zweifel aufkommen läßt: ,,Mit der Handänderung eines Thieres erlischt die Gültigkeit des betreuenden Scheines für fernere Veräußerung, auch wenn sonst die Gültigkeitsdauer noch nicht abgelaufen wäre. Bei einer neuen Handänderung muß ein neuer Schein auf den Namen des Verkäufers gelöst werden.

,,Wenn ein Käufer ein Thier anderswo wieder verkaufen will, ehe er damit an seinen Wohnort fährt, kann er am Orte der Veräußerung gegen Abgabe des eingenommenen Scheines einen neuen, auf seinen Namen lautenden Schein beziehen.a IV. Artikel 91, Alinea 4 bestätigt vorerst Artikel 19 und erklärt sodann ausdrücklich, daß der Passirschein den Gesundheits-

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schein während seiner ganzen Gültigkeitsdauer ersetze ; ebensowenig können die hierauf folgenden Absätze 5 und 6 Anlaß zu Mißverständnissen geben ; sie lauten : ,,Bei Ankunft an seinem Wohnorte hat der Eigenthümer den seine Thiere begleitenden Passirschein innert 48 Stunden dem Viehinspektor der Gemeinde zur Eintragung in die Kontrole einzuhändigen. Will er die Thiere nach einer ändern Ortschaft fuhren, so stellt ihm der Viehinspefetor den Passirschein, sofern derselbe noch gültig ist und auf seinen Namen lautet, wieder zurück, nachdem er denselben visirt und sich von dem Gesundheitszustand der Thiere überzeugt hat.

,,Passirscheine, deren Gültigkeitsdauer abgelaufen, verbleiben in Händen des Viehinspektors, ebenso solche, welche auf einen ändern Namen als denjenigen des Eigenthümers der Thiere lauten.

In diesen Fällen sind die Viehinspektoren ermächtigt, unter Beachtung der in Artikel 15, 20 und 21 der vorliegenden Verordnung enthaltenen Bestimmungen die Passirscheine durch Gesundheitsscheine nach Formular A und B zu ersetzen.* V. Mit diesen Vorschriften in vollständiger Uebereinstimmung befinden sich die angerufenen Alinea 2 und 3 des Schlußtextes in den Passirscheinformularen. Alinea 2 bezieht die Gültigkeitsdauer ausschließlich auf den im Passirschein genannten E i g e n t h ü m e r und Alinea 3 bestimmt deutlich, daß im Falle des Verkaufs oder Austausches der n e u e Besitzer den Passirschein dem Viehinspektor abzugeben habe.

VI. Es liegt übrigens in der Natur der Sache, daß dem Inhaber eines Gesundheits- oder eines Passirscheines die Möglichkeit geboten werden muß, denselben innerhalb der gesetzlichen Frist e i n m a l als Ausweis im Sinne seiner Zweckbestimmung zu verwenden. Durch die Verkürzung dieses förmlichen Rechts würde der Werth des erstmals gelösten Scheines illusorisch und dem Viehverkäufer entständen daraus für ein- und denselben Zweck doppelte Kosten, was Alles offenbar weder in der Absicht des Gesetzes noch der Vollziehungsverordnüng liegen kann.

VII. Der Rekurrent hat -- wie nicht bestritten ist -- die in Frage stehenden Passirscheine nach Ankunft an seinem Wohnort dem Viehinspektor rechtzeitig abgegeben, dieselben innerhalb der vorschriftsgemäßen 14tägigen Frist wieder erhoben und bei Anlaß der erstmaligen Handänderung den Käufern übergeben. Es^qualifizirt sich somit die Handlungsweise desselben als eine durchaus korrekte, den bestehenden Vorschriften entsprechende.

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VIII. Angesichts dieser materiellen und formellen Thatsachen, welche letzteren übrigens seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes und der erstmaligen Vollziehungsverordnung vom Jahre 1872 ohne Anfechtung geblieben sind, bedarf es keiner speziellen Interpretation weder des Artikels 4 desselben noch des Artikels 91 der gegenwärtigen Vollziehungsverordnung. Es unterliegt vielmehr keinem Zweifel, daß das Urtheil der freiburgischen Gerichtsbehörde auf unrichtigen Voraussetzungen beruht, welche ihrerseits auf die irrthümliche Anwendung der eidgenössischen Vorschriften über den Gebrauch der Gesundheits- und Passirscheine im Kanton Freiburg zurückzuführen sein dürften, '^

beschlossen:

1. Der Rekurs ist begründet erklärt.

2. Der Regierung des Kantons Freiburg ist hievon Mittheiluog zu machen; dieselbe ist eingeladen, die Aufhebung des Urtheils des Bezirksgerichts in Freiburg zu ò veranlassen und dafür Sorge zu tragen, daß den Bestimmungen über die Verwendung der Gesundheits- und Passirscheine im Kanton Freiburg nach Maßgabe des vorstehenden Entscheides Nachachtung verschafft werde.

3. Gegenwärtiger Beschluß ist Herrn Fürsprecher G. Gottrau in Freiburg zu Händen des Rekurrenten mitzutheilen.

B e r n , den 15. Dezember 1890.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

L. Rnchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesrathsbeschluss über den Rekurs des Herrn Simon Brunschwig, Pferdehändler in Freiburg, gegen eine Strafverfügung des Gerichts des Saanebezirks betreffend Viehseuchenpolizei. (Vom 15. Dezember 1890.)

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27.12.1890

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