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Schweizerisches Bundesblatt.

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Schreiben des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Einbürgerung der Familie Tognola im Kanton Tessin.

(Vom 18. Dezember 1889.)

Tit.

Wir haben die Ehre, Ihnen hiemit den Beschluß,.welchen wir am 22. Dezember 1888 betreffend die Einbürgerung einer in Biasca, Kantons Tessin, wohnhaften Familie Tognola erlassen haben, und das Memoir welches der Staatsrat des Kantons Tessin unterm 13. November 1889 an die Bundesversammlung gerichtet hat, zu gutfindender Würdigung und Schlußnahme vorzulegen.

Die thatsächlichen Verhältnisse sind in unserem Beschlüsse vom 22. Dezember 1888 so einläßlich behandelt, daß weitere Ausführungen nicht nöthig scheinen. Gegenüber der Darstellung im Memoir des Staatsrathes von Tessin sind jedoch einige Punkte speziell herauszuheben.

Der Vater der einzubürgernden zwei Brüder Tognola war Italiener und ist am 29. Mai 1824 in Tradate, Provinz Como, geboren. Im Jahre 1847 kam er nach Biasca, Kantons Tessin, wo er als Schmied sich etablirte. Im J ihre 1854 verheirathete er sich zu Biasca mit einer Bürgerin dieses Ortes und starb daselbst im September 1880.

Aus dieser Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, die 1855 und 1860 geboren sind. Die Gemeindebehörde von Biasea unterließ es, der Behörde von Tradate von der Ehe und der Geburt der Söhne in gehöriger Weise Kenntniß zu geben, und der Vater Tognola benutzte diese Unterlassung, um die Söhne der Leistung Bandesblatt. 42. Jahrg. Bd. I.

l

ihres Militärdienstes in Italien zu entziehen und allmälig die italienische Nationalität aufzugeben, mit dem offenbaren Bestreben, sich heimatlos zu machen und dann das Bürgerrecht im Kanton Tessin zu erwerben. Die einzelnen Vorgänge zur Ausführung dieses Planes sind in unserm Entscheide näher dargelegt. Wir erwähnen nur, daß Giovanni Tognola schon bei seinem ersten Erscheinen im Kanton Tessin ohne Legitimationspapiere war und daß er im Jahre 1854, weil legitimatiouslos, nur mit Benutzung derjenigen Mittel sich verehelichen konnte, welche das tessinische Gesetz vom 9. Juni 1853 von legitimationslosen Fremden fordert: Kaution und eventuelle Zusicherung des Bürgerrechtes durch die Gemeinde Cureggia. Später allerdings ist es dem Giovanni Tognola möglich geworden, italienische Pässe zu erhalten. Aber der Staatsrath des Kantons Tessin befindet sich im Irrthum mit der Behauptung, daß auch die F a m i l i e Tognola in den Pässen eingetragen gewesen. Sie lauteten bloß auf den Namen des Giovanni Tognola.

Während die Behörde von Biasca mit solchen Pässen sich begnügte, vollzog Giovanni Tognola heimtückischer Weise einen Akt, der ihn heimatlos machen sollte. Am 9. Mai 1873 verzichtete er nämlich in aller Form auf das Heimatrecht in Tradate und damit auf rlie italienische Nationalität. Von diesem Verzichte haben weder die tessinischen Behörden, noch das italienische Konsulat in Lugano eine Anzeige erhalten.

Daher wurde es dem Tognola möglich, auch später noch Pässe von diesem Konsulate zu erhalten und die tessinischen Behörden gleich wie früher zu täuschen.

Erst als die Behörden von Biasca im Jahre 1877 für die Söhne Tognola Legitimationspnpiere verlangten, wurde das heimtückische Verfahren des Vaters entdeckt. Als uns diese Angelegenheit das erste Mal vorgelegt wurde, hatten wir noch nicht den klaren Einblick in alle thatsächlichen Verhältnisse und glaubten, daß diese Familie durch ihre Abschiebung nach Italien, von wo sie unzweifelhaft sti.mmt, genöthigt würde, die nachträgliche Einschreibung in den Civilstundsregistern von Tradate zu erwirken; allein es war zu spät. Auf die wiederholten diplomatischen Verwendungen erhielten wir von der italienischen Regierung die positive Ablehnung dieser Familie unter Berufung auf Art. 11 dea italienischen Civilgesetzbuches, wonach die Eigenschaft eines Italieners
verloren wird durch eine Verzichtserklärung vor dem Civilstandsbeamten seines Wohnortes und durch die gleichzeitige Verlegung des Aufenthaltes in das Ausland.

Diese Voraussetzungen liegen im Spezialfalle vor und die Berufung auf die Ausstellung von Pässen auch nach dem Verzichte

wurde lediglich damit beantwortet, daß diese Pässe irrtbürnlieh gegeben worden.

Es wurde allerdings darauf hingewiesen, daß die Familie Tognola die italienische Nationalität wieder erwerben könne, wenn sie die Vorschriften von Art. 13 des italienischen Civilgesetzbuches erfüllen wolle. Hiernach besteht die Hauptbedingung in -der Verlegung des Domizils nach Italien. Das will aber die Familie Tognola nicht, weil alle Glieder derselben im Kanton Tessin geboren sind, immer daselbst gewohnt haben und ihr kleines Besitzthum sich dort befindet.

Der ungesetzliche Zustand, in welchen die Familie Tognola durch diese Vorgänge gekommen ist, legte uns die Pflicht auf, eine regelmäßige Lösung zu suchen. Die natürlichste Lösu'ng wäre unzweifelhaft die Naturalisation dieser Familie im Kanton Tessin gewesen. Wir haben auch nicht ermangelt, ihr diesen Weg nach Maßgabe des Bundesgesetzes über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechtes vom 3. Juli 1876 zu empfehlen. In der That wurde bei uns die gesetzliche Bewilligung nachgesucht, die wir in der Hoffnung ertheilt haben, daß diese Angelegenheit, die allmälig einen unangenehmen Charakter gewonnen, auf diesem Wege erledigt werden könnte. Allein unglücklicher Weise verweigerte der Große Rath des Kantons Tessin die Naturalisation der Familie Tognola.

Da nun selbstverständlich diese Familie keinem unbetheiligten Staate oder Kantone zugeschoben werden kann, so blieb uns nichts Anderes übrig, als das Bundesgesetz über die Heimatlosigkeit vom 3. Dezember 1050 anzuwenden und die Familie Tognola mit Beschluß vom 22. Dezember 1888 dem Kanton Tessin zur Einbürgerung zu überbinden.

Dieses Dekret enthält gemäß Bundesbeschluß vom 29. Juli 1857 (A. S. V, pag. 575, Ziffer 5) unter Dispositivi die in allen ähnlichen Entscheiden aufgenommene Bestimmung, daß der Staatsrath des Kantons Tessin binnen einer Präklusivfrist darüber sich auszusprechen habe, ob er den Entscheid anerkennen wolle oder nicht, und im verneinenden Falle denjenigen Kanton zu nennen, welcher gleichzeitig vor Bundesgericht in's Recht zu fassen wäre. Dieses Dispositiv steht nicht bloß im Einklang mit dem erwähnten Bundesbeschlusse, sondern auch mit Art. 9 des Bundesgesetzes über die Heimatlosigkeit, wonach der Bundesrath diejenigen Kantone, welche seine Entscheide über Einbürgerung nicht anerkennen wollen, vor Bundesgericht belangen muß.

Mit Zuschrift vom 21. März 1889 (Nr. 116 des Faszikels 383) erklärte die Regierung von Tessin, daß sie unsern Entscheid nicht

anerkenne und denjenigen des Bundesgerichtes anrufe, in dem Sinne, daß der Kanton Tsssin nicht gehalten sei, den Brüdern Tognola das Kantons- und ein Gemeindebürgerrecht zu verschaffen.

Ei u anderer Kanton wurde nicht in's Recht gerufen.

Infolge dessen ertheilten wir dem eidg. Untersuchungsbeamten in Heimatlosensachen hehufs Vollziehung der ohen erwähnten gesetzlichen Vorschriften den Auftrag, die Klage an das Bundesgericht zu expediren une zwar im Sinne unseres Beschlusses vom 22. Dezember J888.

Hier ist einzuschalten, daß während der Pendenz dieser Angelegenheit der eine der beiden Brüder Tognola, nämlich Evaristo Tognola, mit der Isolina Rosetti von Biasca am 17. Februar 1889 sich verehelichen konnte, nachdem er bereits zwei Kinder außerehelich mit ihr erzeugt hatte. Die Behörden von Tradate, sowie diejenigen des Kantons Tessin verweigerten mehrere Jahre beharrlich jede Mitwirkung zu dieser Ehe. Sie wurde endlich dadurch möglieh gemacht, daß wir dem Staatsrathe des Kantons Tessin die Zusicherung gaben, es soll diese Thatsache für den Entscheid über die Einbürgerung der Brüder Tognola kein Präjudiz bilden. Die beiden vorehelichen Kinder sind durch die Ehe legitirnirt worden, und da in Folge der Ehe auch die Frau des Evaristo in die Familie Tognola eingetreten ist, so sind jetzt fünf Personen einzubürgern.

Nachdem der Inslnktionsnchler des Bundesgerichtes die Instruktion des Prozesses nach Maßgabe der bezüglichen bundesgesetzlichen Vorschriften eingeleitet und namentlich die Klage der Regierung des Kantons Tessin im Sinne von Art. 98 des Bundeszivilprozessos zur Beantwortung mitgetheilt hatte, erklärte letztere am 11. Juni 1889, daß sie an die Bundesversammlung rekurriren wolle, und verlangte, daß das Bundesgericht dieses Recht ihr zugestehe. Wir hatten natürlich keinen Grund, diesem ganz neuen und etwas eigenthümlichen Verfahren uns zu widersetzen, obschon wir in unserer Antwort an den Instruktionsrichter die Ansicht aussprachen, die wir auch heute noch hegen, diejenige nämlich, daß wir glauben, es sei die Bundesversammlung nicht kompetent, in den Gang dieser Angelegenheit KU intervenireu.

Mit unserer Zustimmung erhielt der Staatsrath des Kantons Tessin einen Termin bis zum 15. November 1889, seinen Rekurs an die Bundesversammlung einzugeben, unter der Androhung, daß im Unterlassungsfalle
der Verzicht auf irgend ein anderes Rechtsmittel als den Rekurs an das Bundesgericht angenommen und dem anhängigen Prozesse der Fortgang gelassen würde. Es geschah

also als Folge des eben erzählten Verfahrens, daß die Regierung des Kantons Tessin das vorliegende Rekursmemorial vom 13. November 1889 eingab.

Der Staatsrath des Kantons Tessin sutht in diesem Memorial nachzuweisen, daß die Brüder Tognola ihre italienische Nationalität leicht wieder erwerben können und daß, weil sie das nicht thun wollen, für den Kanton Tessin nicht die Pflicht erwachse, sie einzubürgern. Die gegenwärtige Situation ist allerdings für den Kanton Tessin eine unangenehme. Es wäre auch sehr zu wünschen, daß die italienische Gesetzgebung und Praxis mehr an die Thatsachen als au die Form sich ansehließen würde. Allein in letzterer Beziehung müssen wir anerkennen, daß die italienische Regierung in ihrem Rechte ist. · Die bezügliche Bestimmung des italienischen Civilgesetzbuches ist klar, und Giovanni Tognola hat auch mit aller Umsicht die zürn Verzichte auf seine ursprüngliche Nationalität voi geschriebenen Formen erfüllt. Daß dieses heimtückische Verfahren dem Giovanni Tognola möglich war, ist einzig dem Umstände zuzuschreiben, daß die Behörden von Biasca es unterlassen haben, den Eheakt der Eltern Tognola und die Geburtsakte ihrer zwei Söhne sogleich nach dem Eintreten dieser Ereignisse der Behörde von Tradate behul's des Vermerkes in den dortigen Gemeinderegistern mitzutheilen. Wenn dieses geschehen wäre, so würde es den Brüdern Tognola nicht möglich gewesen sein, die. Erfüllung ihrer Militärpflicht in Italien zu umgehen, und wenn sie diesen Vortheil nicht in Aussicht gehabt hätten, so würde der Vater kaum 'sich bemüht haben, seine Hinterlist auszuführen, wie er es gelhan hat.

Eine weitere Nachläßigkeit fällt den tessinischen Behörden in dem Sinne /.ur Last, daß sie mit Pässen sich begnügt haben, die lediglich auf den Namen Giovanni Tognola lauteten. Würden die Civilstaudsakten nach Tradate niitgetheilt worden sein, so hätte auch das italienische Konsulat in Lugano vom Bestände der ganzen Familie Kenntniß erhalten und hätte derselben in den Pässen Erwähnung thun müssen. Ueberhaupt hätte jeder Paß zurückgewiesen werden sollen, der bloß den Namen des Giovanni Tognola trug.

Durch dieses mangelhafte Verfahren wurde es möglich, daß die Familie Tognola ihre italienische Nationalität verloren hat. Da allein tessinische Behörden diesen Zustand verschuldet haben, so versteht es sich von
selbst, daß der Kanton Tessin für die Folgen verantwortlich ist. Es ist richtig, daß die Familie Tognola ihrer Einbürgerung im Kanton Tessin ausweichen könnte, wenn sie wollte.

Allein der von Tessiu geschaffene Zustand hat ihr gewisse Rechte gegeben, auf die zu verzichten sie nicht gezwungen werden kann.

Eine zwangsweise Abschiebung dieser Familie durch die Polizei ist

G

nach deu gemachten Erfahrungen auch nicht möglich, und müßten wir uns vor den Folgen eines derartigen Versuches verwahren.

Wir haben also im Kanton Tessin eine Familie Tognola, die nach unserer Ansicht kein Heimatrecht hat und somit nach Maßgabe der Bundesgesetzgebung ic, der Schweiz eingebürgert werden muß.

Wir glauben, daß über die Fragen, ob ein Heimatlosenfall vorliege und wo die,, betreffenden Personen einzubürgern seien, nur der Bundesrath und eventuell das Bundesgericht zu entscheiden haben und daß die Bundesversammlung hiezu nicht kompetent ist. Da ferner die Verhandlungen mit Italien gemäß Art. 10 der Bundesverfassung nur dem Bundesrathe zustehen und in dieser Richtung alle Mittel erschöpft sind, so wird auch diesbezüglich die Bundesversammlung kaum im Falle sein, uns* Aufträge zur Fortsetzung dieser Verhandlungen zu geben.

Wir schließen mit dem Autrage, es sei auf deu Rekurs des Kantous Tessin nicht einzutreten.

B e r n , den 18. Dezember 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Beilagen: 1. Akten betreffend das Heimatrecht der Familie Tognola, Faszikel des Heimatlosenarchives Nr. 383.

2. Beschluß des Bundesrathes vom 22. Dezemher 1888, deutsch und französisch gedruckt, italienisch in Manuskript.

3. Bundesgerichtliche Akten enthaltend die Klage des Bundesrathes, deutsch undjtalienisch, nehst übrigen Akten laut Verzeichniß.

4. Verfügung des bundesgerichtlichen Instruktionsrichters vom 12. Juli 1889.

5. Zuschrift des Staatsrathe^ von Tessin an den Bundesrath vom 13. November 1889.

6. Memoir, des Staatsrathes von Tessin an die Bundesversammlung vom 13. November 1889, italienisches Manuskript, deutsche und französische Uebersetzung gedruckt.

7. Aktenheft der Regierung des Kantons Tessin laut Verzeichniß.

Bellenz, den 13. November 1889.

Der Staatsrath des Kantons Tessin an die

hohe Bundesversammlung.

Tit.

Der Staatsrath des Kantons Tessin rekurrirt hiermit an die hohe Bundesversammlung gegen den Beschluß des hohen Bundesrathes vom 22. Dezember 1888, womit erkannt worden ist:) ,,Der Kanton Tessin ist verpflichtet, den Brüdern Cesare und Evaristo Tognola das Kantonsbürgerrecht zu verschaffen und ein Gemeindebürgerrecht für dieselben auszumitteln tt .

I.

Im Jahre 1847 kam ein gewisser Giovanni Francesco Tognola, Sohn des Giovanni Battista und der Maria Franchi, geboren am 29. Mai 1824 zu Tradate in der Provinz Como, nachdem er 1845 von der Aushebungskommissiou dieser Provinz für den Militärdienst untauglich erklärt worden war, in den Kanton Tessin und ließ sich in Biasca nieder, wo er den Beruf eines Hufschmiedes ausübte.

Am 16. Mai 1854 verehelichte er sich mit Margherita Foglia von Biasca, nachdem das Eheversprechen in der Pfarrkirche von Tradate dreimal verkündet und der Eheabschluß durch den Staatsrath nach Maßgabe der Bestimmungen des tessinischen Gesetzes vom 9. Juni 1853 gestattet worden war.

In dieser Ehe wurden zu Biasca zwei Söhne geboren, nämlich : Cesare, am 16. Februar 1855, und Evaristo, am 4. Juli 1860.

Die fragliche Ehe wurde in der Heimatgemeinde des Ehemaniies, Tradate, wo, wie gesagt, die Verkündungen in gehöriger Form erfolgt waren, stillschweigend anerkannt. Eine solche Anerkennung lag auch in der Ausstellung der zum Beweise der Staatsangehörigkeit der Familie Tognola und zur Sicherung ihres Aufenthaltes in der Schweiz durch die Staatsverträge vom 1. Juli 1827, 8. Juui 1851 und 22. Juli 1868 vorgeschriebenen Legitimationspapiere.

Wir berufen uns auf den Auslandspaß, welcher am 6. Mai 1857 unter Nummer. 23,839 ausgefertigt und am 24. Januar 1861 unter Nummer 935 durch die K. Italienische Gesandtschaft in Bern erneuert worden ist.

Weitere Pässe wurden der Familie Tognola am 28. August 1865 von der genannten Gesandtschaft, und sodann am 30. November 1870 unter Nummer 684 und am 14. August 1875 durch das K. Italienische Konsulat in Lugano ausgestellt.

Gestützt hörden der deren letzte, worden war,

auf diese Urkunden ertheilten die tessinischen BeFamilie Tognola jeweilen Aufenthaltsbewilligungen, welche nach Vorlage des Passes von 1875 gewährt auf Ende 1877 ablaufen sollte.

Nichtsdestoweniger halte sich Tognola schon am 9. Mai 1873 freiwillig vor dem Civilstandsbeamten seiner Heimatgemeinde Tradate gestellt und daselbst die Erklärung abgegeben, er verzichte gemäß Art. 11 des italienischen Civilgesetzbuches auf seine italienische Staatsangehörigkeit.

Obgleich nun diese Erklärung regelrecht eingetragen worden war, gab sich Tognola auch weiterhin im Kanton Tessin als italienischer Unterthan aus; er ließ sich den Paß von 1875 ausstellen und, als im Jahr 1876 der Gemeinderath von Biasca seinen altern Sohn Cäsar irrthümlich in die Militärregister eingetragen hatte, verlangte und erreichte er dessen Streichung, gestützt auf seine Eigenschaft als italienischer Bürger.

Erst später kam man den Manövern Togriola's auf die Spur.

Als mit dem Jahr 1877 die auf Vorlage des Passes vom 14. August 1875 ertheilte Aufenthaltsbewilligung abgelaufen war, forderte die kantonale Polizeidirektion den Tognola auf, einen neuen Ausweis vorzulegen. Daraufhin wandte er sich an den Sindik von Tradate und ersuchte diesen mit Schreiben vom 27. März 1878 um einen Paß für seine beiden Söhne. Dieses Gesuch wurde abgewiesen, und zwar nicht deswegen, weil Tognola nicht Italiener, sondern weil seine Ehe und die Geburt der Söhne nicht nachgewiesen sei.

Daraufhin behauptete Tognola, er sei heimatlos, und stellte beim Slaatsrath das Begehren um Einbürgerung in einer Gemeinde unsers Kantons.

Der Staatsralh weigerte sich dessen, indem Tognola unstreitig Italiener, seine Ehe gültig und folgerichtig auch seine Söhne Italiener seien.

Hätte Tognola nicht die vorgefaßte Absicht gehabt, um jeden Preis im Kanton Tessin sich einbürgern zu lassen, so hätte er sich an die Behörden seines Landes wenden und die Eintragung seiner Elie und seiner Söhne in die Civilstandsregister bewirken müssen.

Aber statt dies zu thun, rekurrirte er an den Großen Rath, welcher in seiner Sitzung vom 20. April 1879 beschloß, die Regierung einzuladen, sie möchte direkt oder auf diplomatischem Wege die Eintragung der Familie Tognola als Angehörige von Tradate in die Register dieser Gemeinde veranlassen.

Infolge einer entsprechenden Zuschrift der Regierung von Tessin sprach sich der Bundesrath mit Schreiben vom 9. Juni 1879 dahin aus, es durfte sich empfehlen, der Familie Tognola unier Androhung der Ausweisung eine kurze Frist zu setzen, binnen welcher sie selbst ihr Rechtsverhältniß ordnen und regelrechte Ausweispupiere vorlegen solle. Der Staatsrath bewilligte nun mit Beschluß vom 20. desselben Monats jeuer Familie, unter Androhung der Ausweisung im Falle der Nichtbefolgung, eine Frist von zwei Monaten, um ihi'e Eintragung in Tradate zu erwirken und ordentliche Legitimationsbelege zu beschaffen.

Giovanni Tognola that indessen nichts. Dagegen rekurrirle er an den Bundesrath gegen den oben erwähnten regierungsräthlicheu Beschluß nud verlangte, es sei der Kanton Tessin anzuhalten, seiner Einbürgerung stattzugeben, weil er durch den Verlust seiner italienischen Staatsangehörigkeit heimatlos, geworden sei. Der Bundesrath antwortete ihm jedoch mit Schreiben vom September, daß bezüglich seiner italienischen Herkunft und seiner daherigen Pflicht, sich nach Maßgabe von Art. l des NiederlassungsVertrages zwischen der Schweiz und Italien zu legitimiren, keinerlei Zweifel obwalten könne, und daß daher die tessiuische Regierung in ihrem vollen Rechte sei, ihn mit seiner Familie auszuweisen, falls die verlangten Legitimationspapiere nicht vorgelegt würden. Der Bundesrath fügte bei, es könne nicht zugegeben werden, daß das Schweizerbürgerrecht auf Umwegen erworben werde, wie der Vater Tognola habe thun wollen.

Da auch der von Tognola gemachte Versuch, die schweizerische Staatsangehörigkeit zu erwerben, erfolglos gewesen, nahmen die

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tessinischen Behörden den Plan der Ausweisung dieser Familie wiederum auf. Die Gebrüder Cesare und Evaristo wurden in der That am 2. September 1880 ausgewiesen. Der Vater war in der Zwischenzeit verstorben und die Mutter hatte, weil leidend, die Erlaubniß erhalten, in Biasca zu bleiben. Allein die Gemeinde Tradate verweigerte jenen die Aufnahme und die Anerkennung als Gemeindeangehörige.

II.

Nachdem die K. Italienische Gesandtschaft in Bern von dieser Lage der Dinge Kenntniß erhalten, versuchte sie mit ihrer Note vom 29. Juni 1881 nachzuweisen, daß der Vater Tognola durch die Thatsache seiner Auswanderung seine Staatsangehörigkeit in der Lombardei verloren habe, und bemerkte, die Anerkennung der Familie Tognola in Biasca, gehe auch daraus hervor, daß weder der Eheschließungsakt, noch die Geburt der Söhne gehörig nach Trndate mitgethailt worden seien. Allein dies konnte mit Recht nicht behauptet werden, indem bewiesen ist, daß Tognola stets italienische Pässe erhalten hat und mit seiner Familie im Kanton Tessin nur mit Rücksicht auf diese Pässe geduldet wor.ien ist. Auch kann eine eventuelle Unterlassung seitens der Gemeindebehörden von Binsca, den Eheabschluß und die Geburt der Söhne anzuzeigen, den Verlust der italienischen Staatsangehörigkeit dieser Familie nicht zur Folge haben. Diesa Ansicht war auch diejenige des Bundesratlies, welcher der italienischen Gesandlschaft antwortete, die schweizerische Staatsangehörigkeit könne nicht durch Zeitablauf erworben werden, und die Kantone haben das Recht, mit allen Mitteln Leute fern zu halten, welche ihre heimatliche Staatsangehörigkeit heimlich aufgeben, in der Absicht, die schweizerische Angehörigkeit zu erzwingen.

Diese Note blieb ohne Antwort, bis der Bundesrath infolge der im Jahre 1885 erfolgten Weigerung der Gemeindebehörden von Tradate, die Verkündung der Heirat vorzunehmen, welche Evaristo Tognola in Biasca abzuschließen beabsichtigte, sich veranlaßt sah, die Verhandlungen mit der italienischen Regierung wieder aufzunehmen, um die Stellung dieser Familie ein für alle Mal zu regeln.

Allein der italienische Minister der Auswärtigen Angelegenheiten erklärte mit Note vom 27. Dezember 1886, daß die ganze Familie Tognola infolge des durch Giovanni Tognola im Jahr 1873 erklärten förmlichen Verzichtes auf die italienische Staatsangehörigkeit diese Nationalität verloren habe; dieser Verzicht habe seine

11 Wirkung nicht eingebüßt durch die Thatsache, daß dem Tognola auch nach jenem Zeitpunkt noch weitere italienische Pässe ausgestellt worden seien, indem dieser Umstand auf einen einfachen Irrtlium der italienischen Behörden zurückzuführen sei.

Indem uns der Bundesrath dieses Aktenstück mittheilte, machte er uns darauf aufmerksam, daß gegenüber einem solchen Beschluß nichts Anderes übrig bleibe, als die genannte Familie in unsenn Kanton einzubürgern.

III.

Der iStaatsrath konnte sich jedoch bei einer so nachgiebigen Lösung nicht beruhigen und bewog den Bundesrath am 28. Januar 1887, -die Wichtigkeit der Polgen nochmals reiflich in Erwägung zu ziehen, welche für die Schweiz entstehen würden, wenn die Anschauung Eingang finden sollte, daß die von den italienischen Behörden ausgestellten Pässe nur beschränkten Glauben verdienen, und daß ein Ausländer nur auf sein eigenes Staatsbürgerrecht zu verzichten brauche, um ein Anrecht auf das Schweizerbürgerreeht zu erwerben.

Der Bundesrath anerkannte nochmals unser gutes Recht und beauftragte Herrn Minister Bavier, bei der italienischen Regierung neuerdings darauf hinzuwirken, daß die Zugehörigkeit der Familie Tognola zur Gemeinde Tradate oder wenigstens ihre italienische Nationalität anerkannt werde. Die Antwort ließ nicht auf sich warten, indem der italienische Minister mit Note vom 28. Februar 1887 erklärte, er könne seine frühern Entschließungen nicht abändern.

Angesichts dieses Entscheides gewährte der Staatsrath mit Beschluß vom 16. März 1887 den Gebrüdern Tognola und ihrer Mutter eine neue zweimonatliche Frist, um ihre Ausweisschriften in Ordnung zu bringen, wenn sie ihren Aufenthalt im Kanton fortsetzen wollen ; zugleich gaben wir unserer Polizeidirektion den Auf'trag zu sofortiger Ausweisung nach fruchtlosem Ablauf der genannten Frist. .

Gegen diesen Beschluß reichten die Tognola einen neuen Rekurs beim Bundesrathe ein. Dieser theilte denselben der Tessiner Regierung mit, unter der Einladung, von jedem Zwange Umgang zu nehmen und die Angelegenheit endlich definitiv zu regeln, indem andernfalls der Bundesrath genöthigt wäre, nach Vorschrift, der Bundesgesetzgebung über die Heimatlosigkeit vorzugehen und eventuell auch den Entscheid des Bundesgerichtes herbeizuführen.

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Der Staalsrath schob zwar die Ausweisung der Familie Tognola auf, verweigerte aber ihre Einbürgerung und berichtete darüber an den Großen Rath; dieser beschloß, auf dem Widerspruch gegen die Einbürgerung der Familie Tognola zu- beharren, und ermächtigte den Staatsrath, die Frage vor die eidgenössischen Käthe oder das Buudesgericht zu bringen. Daher ersuchte der Staatsrath neuerdings den Bundesrath, dieser möchte dem Kanton Tessili das Recht zur Ausweisung der Familie Tognola zuerkennen, indem man nicht behaupten könne, daß die Heirat des Vaters und die Geburt der Söhne in Tradate unbekannt gewesen seien; es gehe dies hervor aus einem von der Gemeindebehörde von Tradate an das Pfarramt von ßiasca gerichteten Briefe vom 3. März 1860, wonach der Sohn Cesare in die Bevölkerungstabellen von Tradate eingetragen worden ist.

Der Bnndesrath beschäftigte sich daraufhin neuerdings mit der Angelegenheit und faßte mit Beschluß vom 22. Dezember 1888 denjenigen Entscheid, gegerj welchen dieser Rekurs gerichtet ist.

Jener Entscheid stützt sich auf folgende Erwägungen : daß gemäß Art. l des Bundesgesetzes über die Heimatlosigkeit vom 3. Dezember 1850 alle in der Schweiz lebenden Personen, welche von keinem Kauton als Bürger und von keinem auswärtigen btaate als Augehörige anerkannt werden, als schweizerische Heimatlose erklärt sind ; daß die Söhne Togno.a heimatlos geworden sind, indem die Wiederanerkenuung der durch ihren Vater verlorenen italienischen Staatsangehörigkeit, für sie nicht erwirkt werden konnte, und daßsie in Folge dessen im Kanton Tessiu, wo sich die fragliche Familie gebildet hat, ohne daß für die Eintragung der Ehe der Eltern und der Geburt der Kinder Sorge getragen worden wäre,, eingebürgert werden müssen.

IV.

Infolge der Erklärung des Staatsrathes, daß er gegen den oben erwähnten Beschluß des Bundesrathes Einsprache erhebe, zog dieser die Angelegenheit unterm 26. April I. J. vor das hohe Bunde.sgerieht und verlaugte Bestätigung seines Entscheides. Der Staatsrath war jedoch der Ansicht, das Bi.ndesgericht sei iiiclit kompetent zur Prüfung der · auf die Feststellung des auswärtigen Heimatrechts bestimmter Personen bezüglichen Fragen uud noch viel weniger dazu, der Eidgenossenschaft oder einem Kanton die Verantwortlichkeit für die Unmöglichkeit der Ausführung eines Staats Vertrages, dessen Anwendbarkeit seitens eines auswärtigen Staates bestritten wird, zu überbinden ; die Prüfung dieser Fragen sei vielmehr Sache der politischen Behörden der Eidgenossenschaft.

13 In diesem Sinne haben wir dem Bundesgericht mit Sehreiben vom 11. Juni laufenden Jahres geantwortet und verlanst, es sei uns gegen den mehrerwähnten Bnscheid des Bundesrathes vom 22. Dezember 1888 das Rekursrecht an die Bundesversammlung anzuerkennen. Diesem unserin Begehren schlössen sich der Bundesrath mit Schreiben vom 29. Juni und der Instruktionsrichter des Bundesgerichts mit Verfügung vom 12. Juli abbin an. Wir haben nun die Gründe auseinander zu setzen, weßhall) wir glauben, daß das Gesetz über die Heimatlosen von 1850 im vorliegenden Falle keine Anwendung finde, und daß der Entscheidungsgrund, welcher den Bundesrath zur Einbürgerung der Gebrüder Tognola im Kanton Tessin führte, als irrig zu betrachten sei.

Y.

Die vorliegende Frage hätte nur eine ziemlich beschränkte Bedeutung, wenn es sich um nichts weiter als um die Einbürgerung der Familie Tognola handeln würde. Aber sie erhält das Gepräge höchster Wichtigkeit und ist für sämmtliche Kantone der Schweiz · von Interesse, wenn rna.n die vom Bundesrathe angerufenen Entscheidungsgründe und die Folgen iu Betracht zieht, welche aus der Anwendung derselben sich ergeben können.

In der That haben die Italiener kraft der Staatsverträge und insbesondere kraft des Niederlassung»- und Konsularvertrages vom 22. Juli 1868 das Recht, mit ihren Familien in jeder Gemeinde der Schweiz sich niederzulassen, wie die Angehörigen anderer Kantone. Es kann auch von ihnen nichts Anderes verlangt werden, als der Ausweis über ihre Eigenschaft ala Italiener; dieser Ausweis wird durch Papiere geleistet, unter welchen der Paß als das glaubwürdigste gilt. Weun der Paß durch eine der hiofür zuständigen Behörden ausgestellt ist, so kann bekanntlich die Schweiz einem Italiener und seiner Familie die Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung nicht verweigern, falls er nur den Landesgesetzen sich unterwirft und nicht in den Fall kommt, daß eine Ausweisung nach Maßgabe des Staatsvertrages gerechtfertigt ist.

Wie aus den oben angeführten Thatsacheu hervorgeht, war Giovanni Tognola während seines Aufenthaltes im Kanton Tossin ununterbrochen mit italienischen Pässen versehen, welche stets wieder erneuert wurden und die Tessiner Behörden veraulaßten, die durch unsere Fremdengesetzgebung vorgeschriebenen Aufenthaltsbewilligungen jeweilen wieder neu zu ertheilen. Tognola ist daher nicht nur von italienischer Herkunft, sondern hat sich auch stets mit Dokumenten, welche von den zuständigen italienischen

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Behörden ausgingen, als Italiener legiümirt. Es geschah dies auch noch bei der Vorlage des Nutzten Passes vom 14. August 1875, auf Grund dessen er die Erlaubniß erhielt, mit seiner Familie seinen Aufenthalt im Kanton Tessin bis Ende 1877 fortzusetzen.

Die Tessiner Behörden; handelten daher in völliger Uebereinstimmung mit dem Staatsvertrag und dem Gesetz, als sie im Anfang des Jahres 1878 die Familie Tognola aufforderten, sie habe sich an Stelle der abgelaufenen Papiere mit neuen Ausweisen zu versehen, wenn sie im Kanton verbleiben wolle, unter Androhung dor Ausweisung im Nichtbefolgungsfalle. Diese Behörden wußten damals noch nicht, daß Giovanni Tognola schon seit 1873 durch hinterlistiges Verfahren freiwillig auf die italienische Staatsangehörigkeit verzichtet hatte, und daß er dadurch sowohl die Ortsbehörden, welche ihm Gastfreundschaft gewährten, als auch die Behörden seines Heimatstaates täuschte, indem er sich nachträglich noch den Paß von 1875 ausstellen ließ. Schon diese Thatsache allein hätte den Kanton Tessin berechtigt, die sofortige Ausweisung anzuordnen. Nach italienischer Gesetzgebung mag die Verzichtserklärung genügen, um das italienische Staatsbürgerrecht zu verlieren ; nach unserm Recht gilt jemand so lange als Fremder, als er im Besitze gehöriger Ausweispapiere sich befindet.

Wenn nun der Fremde aus freiem Willen und in unehrlicher Absicht den Verlust seines Heimatrechts herbeiführt, so hat der ihn beherbergende Staat das Recht, ihn auszuweisen, gleich als ob es sich um einen Fremden handeln würde, welcher sich in einem Kanton niederlassen wollte, ohne mit den nöthigen Ausweisen über seine Angehörigkeit versehen zu sein ; und zwar kann diese Ausweisung stattfinden ohne jegliche Rücksicht auf die Erwägung, daß dieser Fremde das Recht, · in seinem Heimatstaate Aufnahme zu finden, verloi-en haben könnte. Da nun nach dem Gesagten die Familie Tognola durch freiwilligen Verzicht ihr italienisches Staatsbürgerrecht verloren hatte, so mußte uns das Recht zustehen, sie so zu behandeln, als ob sie erst jetzt den Kanton betreten hätte, und ihr jeden weitern Aufenthalt zu untersagen.

Der gleichen Ansicht war auch anfänglich der Bundesrath; dies beweisen seine Noten an die italienische Gesandtschaft in Bern und an den Minister der Auswärtigen Angelegenheiten in Rom, sowie sein abweisender
Bescheid an die Familie Tognola, worin er erklärte, es könne nicht gestattet werden, daß man das Schweizer Bürgerrecht auf unlautern Umwegen erwerbe. Aber da die italienische Regierung gegenüber den Gebrüdern Tognola die Verpflichtung zur Leistung des Militärdienstes aufrecht erhielt und kurzer

15 Hand ihre Anerkennung als Staatsangehörige verweigerte, ging der Bundesrath von seiner ursprünglichen Ansicht ab, betrachtete die Familie Tognola als heimatlos und glaubte, es bleibe nichts Anderes übrig, als für ihre Einbüigeruag zu sorgen. Diese Einbürgerung konnte nun gemäß dem Buudesgesetze über die Heimatlosen nur im Kanton Tessin stattfinden, wo die Familie sich aufgehalten und wo sie gestützt auf die Staatsverträge lange Zeit ihren Wohnsitz gehabt hatte.

VI.

Gegen diese Schlußnahme des Bundesrathes glauben wir Einsprache erheben zu müssen. Wenn die Familie Tognola infolge der Handlungsweise ihres Hauptes heimatlos geworden ist, wobei sie offenkundig von der Absicht geleitet war, nirgends zum Militärdienst angehalten werden zu können, so ist es nicht Sache des Kantons Tessin, ihr eine Heimat zu verschaffen. Wir glauben auch nicht, daß der Eidgenossenschaft eine solche Pflicht obliege; es hieße die Pflichten der Gastfreundschaft zu weit ausdehnen, wenn man annehmen wollte, ein Fremder brauche nur auf das Bürgerrecht seines Heimatstaates zu verzichten und den Fuß auf Schu eizerboden zu setzen, um einen Anspruch auf das Schweizerbürgcrrecht zu erwerben. Würde dies zu Recht bestehen, so wäre es nic-ht mehr die Schweiz, die von ihrem Souveränitätsrechte, einem Fremden die Ehre des Schweizerbürgerreehtes zu ertheilen, Gebrauch machen würde, sondern es wäre der Fremde, welcher der Schweiz seinen Willen aufzwingen würde. Da nun die Eidgenossenschaft auf ihrem Gebiete eine sehr ansehnliche Zahl von Angehörigen anderer Staaten beherbergt, so könnten diese von einem Augenblick zum anderò nach Abgabe der Erklärung bei den Behörden ihres Landes, daß sie auf ihr heimatliches Bürgerrecht verzichten, auf das Schweizerbürgerrecht Anspruch erheben. Dies entspricht weder der Würde, noch dem Interesse der Schweiz; gegen derartige Versuche empört sich der gesunde Sinn des Schweizervolkes, welches sich zwar wohl gegebenen Falls mit dem Ausländer durch Ertheilung des Bürgerrechts verbrüdern will, aber nicht gestatten kann, daß der Fremde sich ihm wider Willen aufdringe.

Ein solches Begehren stellten auch nicht die italienischen Behörden. Sie behaupten nur, daß die Familie Tognola nach italienischem Recht infolge der durch den Vater gemäß Art. 11 des Civilgesetzbuches abgegebenen freiwilligen Verzichtserklärung das italienische Bürgerrecht verloren habe; aber sie fügen sogleich hinzu, damit solle nicht gesagt sein, daß jene Familie durch diesen Verzicht einen Anspruch auf das Schweizerbürgerrecht erworben habe.

16 Es liegt dalier eigentlich kein Streitfall zwisrhen der Schwein und Italien vor. sondern es handelt sich darum, zu prüfen, oh solche Italiener, welche Italien nicht als seine Staatsangehörigen anerkennen will, wirklich ein Recht auf das Selnveizerbürgerrecht haben. Unseres Erachtens gestaltet sich die Lösung der Frage äußerst einfach.

Giovanni Tognola war zweifellos Italiener, denn es bestreitet Niemand seine Herkunft aus Tradate, und liefern hiefür auch die zahlreichen, ihm von den zuständigen italienischen Behörden ausgestellten Pässe genügenden Beweis. Seine Ehe ist nicht hestritten und muß sich in den Registern der Gemeinde Tradate eingetragen finden. Dies geht aus der seitens der Muoicipalität dieser Gemeinde am 3. März 1860 an das Pfarramt Biasca gerichteten Erklärung hervor, wonach Cesare Togiiola, Sohn des Giovanni und deiMargherita Foglia, gehören in Biasca am 16. Fehruar 1855, sich in den Bevölkerungstabellen von Tradate eingetragen findet. Dadurch wird die Behauptung der mangelnden Anmeldung der Söhne des Giovanni Tognola ausgeschlossen und ihre Eigenschaft als Italiener bewiesen.

Wenn die Gebrüder Tognola infolge des Verzichts ihres Vaters ihre Eigenschaft als italienische Staatsbürger eingebüßt haben können, so steht ihnen andererseits frei, dieselbe auf Grund der Bestimmungen des Art. 11, verglichen mit Art. 6 des italienischen Civilgeset/,huches, wieder zu erwerben. Musson dieselben KU diesem Beliufe in Italien Militärdienst leisten und ihr Geschäft in Biasca aufgeben, so ist das kein genügender Rechtfertigungsgrund für ihr Ansinnen, als heimatlos angesehen und daher in einem Kantone der Schweiz eingebürgert zu ward eu, denn sie lassen ihren materiellen Vortheil den Pflichten vorgehen, welche sie mit ihrem Vaterland verknüpfen.

Unter Zusammenfassung des Gesagten lasseu sich somit unseres Erachtens folgende Schliïsse ziehen: Die Gebrüder Tognola sind als eheliche Nachkommen des unzweifelhaft aus Italien stammenden Giovanni Tognola .auch als geborene Italiener zu befrachten. Trotz des durch ihren Vater im Jahre 1873 erklärten Verzichtes auf die italienische Staatsangehörigkeit geben ihnen die italienischen Gesetze die Möglichkeit, diese Staatsangehörigkeit durch Wohnsitznahme und Leistung des Militärdienstes in Italien wieder zu erwerben. Wenn die Gebrüder Tognola sich den durch
ihre Staatsangehörigkeit geforderten Bedingungen nicht unterwerfen wollen, so kann diese ihre Weigerung für sie kein Anrecht auf Erwerb des Schweizerbürgerrechts begründen; der Bundesrath hat daher mit Unrecht dieselben als

17 Heimatlose angesehen, welche die Eidgenossenschaft gemäß dem Bun·desgesetz von 1850 einzubürgern die Pflicht habe. Es handelt sich vielmehr um Eindringlinge, deren eigene Schuld es ist, daß ihnen die nöthigen Ausweise fehlen, und welche daher mit Recht seitens der Kantone und der Eidgenossenschaft ausgewiesen werden können.

Wir stellen daher das Gesuch, die hohe Bundesversammlung wolle den Entscheid de&;,Bundesrathes vom 22. Dezember 1888 aufheben und dem Kanton Tessin das Recht zuerkennen, die Gebrüder Cesare und Bvaristo Tognola aus seinem Gebiete wegzureisen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung !

FU r den

S t a a t s r ath,

Der Vizepräsident:

(Sig.) Casella.

Der Staatsrathssekretär : (Sig.) Ing. J. Oianella.

Bnndesblatt. 42. Jahrg. Bd. I.

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Schreiben des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Einbürgerung der Familie Tognola im Kanton Tessin. (Vom 18. Dezember 1889.)

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