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Schweizerisches Bundesblatt.

42. Jahrgang. III.

Nr. 32.

2. August 1890.

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Druck und Expedition der Stämpfli'schen Buchdruckerei in Bern.

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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Moriz Muff, Thierarzt, in Neuenkirch, Kanton Luzern, gegen die Schlußnahmen der Regierung des Kantons Luzern vom 27. Februar 1888 und 13. Dezember 1889, Nichterneuerung des Wirthschaftspatentes betreffend.

(Vom

29. Juli 1890.)

D e r s c h w e i z e r i s c h e B u n d . e s rat h hat

in Sachen des Herrn Moriz M u f f , Thierarzt in Neuenkirch, Kanton Luzern, gegen die Schlußnahmen der Regierung des Kantons Luzern vom 27. Februar 1888 und 13. Dezember 1889, wegen Nichterneuerung des Wirthschaftspatentes ; auf den Bericht und Antrag des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Verhältnisse : I. Der Rekurrent erwarb im Monat Januar 1888 das Haus Nr. 272 bei der Eisenbahnstation Sempach, in welchem vom früheren Besitzer, Anton Bachmann, eine Wirthschaft unter dem Namen "Restauration zum Seehof" betrieben wurde. Das letzte Patent für Bachmann war am 16. Dezember 1887 ausgestellt worden. In den Kaufvertrag wurde die Bestimmung aufgenommen, daß Muff von demselben zurücktreten könne, wenn die Patentübertragung auf den Käufer nicht bewilligt würde. Als Muff um die Bewilligung des Wirthschaftspatentes bei dem luzernischen Bundesblatt.

42. Jahrg.

Bd. III.

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1142 Regierungsrathe einkam, wurde ihm ein solches am 27. Februar 1888 nur bis 31. Christmonat 1889 ertheilt, ,,in der Meinung, daß nach Ablauf dieser Zeit eine Erneuerung des Patentes nicht mehr stattfinde. tt Am 27. November und 12. Dezember 1889 stellte der Rekurrent an den Regierungsrath des Kantons Luzern das Gesuch um Erneuerung des Wirthschaftspatentes, wurde aber am 13. Dezember von dieser Behörde abgewiesen, gestutzt darauf, ,,daß die fragliche Wirthskonzession unter der ausdrücklichen Bedingung an den Gesuchsteller übertragen wurde, daß dieselbe auf Ende des Jahres 1889 zu erlöschen habe, daß aber die Gründe, welche diese Verfügung bedingten, dermalen noch bestehen".

II. Mit Eingabe vom 19./28. Mäiz 1890 ergriff Herr Muff gegen die Schlußnahmen der Regierung von Luzern vom 27. Februar 1888 und 1.3. Dezember 1889 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrath.

Der Rekurrent erklärt, daß gegen diese beiden Schlußnahmen rekurrirt werde, weil sie ihre Begründung weder in dem revidirten Art. 31 der Bundesverfassung, noch im luzernischen Gesetze über die Wirtschaften vom 22. Wintermonat 1883 finden können.

Die in Frage stehende Wirthschaft -- ,,Restauration zum Seehof"1 bei der Eisenbahnstation Sempach -- bestehe seit dem Jahre 1880. Sie sei damals konzessionirt worden, weil die Führung einer ändern Wirthschaft (,,Restauration zur Eisenbahn") nicht befriedigt habe und es als zweckmäßig erachtet worden sei, daß am Hauptverkehrspunkte eines Bezirkes mit über 5000 Einwohnern zwei Wirtschaften bestehen. Die Wirthschaft habe seit ihrer Eröffnung nie zu Klagen Anlaß gegeben und sei dem Vorgänger des Rekurrenten durch Regierungsbeschluß vom 16. Dezember 1887 bedingungslos wieder konzessionirt worden. Als dann aber durch Kaufvertrag vom 21. Januar 1888 das Haus, in welchem die Wirthschaft betrieben wurde, an den Rekurrenten Überging und er die Uebertragung der Konzession nachsuchte, seien ihm Schwierigkeiten gemacht worden, indem durch eine Petition, welche eine Anzahl ihm nicht gewogener Bürger von Sempach unterzeichneten und bei der die Parteipolitik die Hand im Spiele gehabt habe, der Gemeinderath von Neuenkirch und das Statthalteramt Sursee veranlaßt worden seien, die verlangte Konzessions-Uebertragung nicht zu befürworten, worauf die Patentertheilung von der Regierung nur bedingungsweise erfolgte
und schließlich gänzlich verweigert wurde.

Der Rekurrent hält die Motivirung des regierungsräthliehen Beschlusses nicht für stichhaltig; ja er findet es geradezu verkehrt, wenn bei einer Eisenbahnstation, deren Verkehr in den

1143 letzten fünf Jahren die Durchschnittszahl von 27,000 Personen und 4330 versandten und empfangenen Tonnen Güter aufweise, eine von zwei Wirthschaften geschlossen werde, während die dem Verkehr in keiner Weise dienenden Wirthschaften in Sempach, Neuenkirch und anderwärts unangetastet bleiben ; übrigens seien seit Frühjahr 1888 in Luzern und Sursee neue Wirthschaften eröffnet worden, obwohl in beiden Städten die Zahl der Wirthschaften im Verhältniß zur Einwohnerzahl und Verkehrsgröße eine sehr große sei, und im Bezirke Sempach sei eine auf Ende 1887 eingegangene Wirthscbaft (,,Grutli11 in Hellbühl) sogar -wieder eröffnet worden, nachdem über eine andere Wirthschaft in diesem Dorfe Klagen laut geworden, ein Beispiel, daß im Kanton Luzern nicht nur bedingungsweise ertheilte Wirthschaftspatente, sondern selbst solche, welche als definitiv erloschen erklärt wurden, wieder erneuert werden, wenn dies angezeigt erscheine. Die vom Rekurrenten geführte Wirthschaft sei, bevor er sie übernommen habe, ziemlich unbedeutend gewesen, seither habe sich dies jedoch geändei't. Die Wirthschaft entspreche einem allgemeinen Bedürfnisse, indem sie das bevorzugte Versammlungslokal für die Vorstände der landwirtschaftlichen Genossenschaft Sempach und des Verbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften der Centralschweiz und das Lesezimmer für die landwirthschaft- und gewerbetreibende Bevölkerung von Sempach sei. Als Beweis, daß ihm in Betreff der Wirtschaftsführung kein Fehler zur Last gelegt worden könne, beruft der Rekurrent sich auf verschiedene, den Akten beigegebene Zeugnisse von Bürgern und V.ereinsvorständen von Sempach und Umgegend, sowie auf ein solches des Gemeinderathes von Neuenkirch.

III. Zur Vernehmlassung eingeladen, bemerkt der Regierungsrath des Kantons Luzern in einer Zuschrift an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, d. d. 16. Mai 1890, zunächst, daß die Rekurseingabe sich wesentlich nur gegen den Entscheid vom 27. Februar 1888 richten könne. Der Entscheid vom 13. Dezember 1889 sei in demjenigen vom 27. Februar 1888 bereits enthalten und bilde nur die Ausführung des letztern. Gegen den Entscheid vom 27. Februar 1888 sei aber nicht rekurrirt, derselbe sei vom heutigen Rekurrenten vielmehr thatsächlich anerkannt worden. Die Regierung bestreitet daher dem Rekurrenten das Recht, jetzt -- nach Verfiuß
von mehr als 2 Jahren -- und gestützt auf einen neuerlichen Entscheid, der inhaltlich mit demjenigen vom 27. Februar 1888 sich vollständig deckt, gegen diesen letztgenannten Entscheid noch zu rekurriren. Durch Anerkennung des Entscheides vom 27. Februar 1888 habe Rekurrent das Rekursre.cht gegen diesen Entscheid und den mit demselben gleichlautenden vom 13. Dezember 1889 verwirkt.

1144 Die Regierung beantragt demgemäß Abweisung der Rekursbeschwerde schon aus formellem Grunde.

In materieller Beziehung bemerkt der Regierungsrath : 1. Bezüglich der Einrede des Rekurrenten, es sei noch unterm 16. Dezember 1887 dem Vorgänger desselben, Anton Bachmann, das Patent für fragliche Wirthschaft bedingungslos ertheilt worden : Dieses Patent hat ausdrücklich nur auf die Zeit bis 31. Dezember 1889, also nur auf 2 Jahre, gelautet; im Kanton Luzern werden aber die Wirthschaftspatente ordentlicher Weise auf die Zeitdauer von mindestens 3 Jahren ertheilt ; es ist demnach schon bei dem Patente vom "16. Dezember 1887 eine Ausnahme gemacht worden, schon damals hat die Absicht bestanden, die fragliche Wirthschaft auf den betreffenden Zeitpunkt aufzuheben.

Das luzernische Gesetz über die Wirtschaften verlangt ferner für jede Wirthsrechtsübertragung die ausdrückliche Einwilligung des Regierungsrath.es bezw. die Ertheilung eines neuen Patentes.

Es liegt also in der Kompetenz des Regierungsrathes, die Bewilligung zu einer Wirthsrechtsübertragung jederzeit zu verweigern ; nach Vorschrift des § 18, Absatz 2, ist eine mehr als einmalige Uebertragung während Jahresfrist sogar ausdrücklich ausgeschlossen.

Der Rekurrent hat aus diesen Gründen darauf gefaßt sein müssen, daß eine Uebertragung des Wirthschaftspatentes auf seine Person verweigert werde.

Daß dem so sei, hat Rekurrent thatsächlich dadurch anerkannt, daß er in den Erwerbungsakt des Hauses die ausdrückliche Bedingung aufnehmen ließ, der Kauf könne rückgängig gemacht werden, wenn die Wirthspatentübertragung auf den Käufer nicht bewilligt werde. Der Kaufvertrag datirt vom 21. Januar 1888; unterm 27. Februar darauf hat der Regierungsrath dem Käufer das Patent nur bis 31. Dezember 1889 ertheilt und an die Uebertragung die ausdrückliche Bedingung geknüpft, daß die Wirthschaft auf diesen Zeitpunkt einzugehen habe.

Es stand somit dem Käufer frei, vom Kaufvertrage zurückzutreten. Da er dies nicht gethan, hat er jetzt auch kein Recht, Über Schädigung zu klagen. Dadurch, daß die Patentübertragung nicht -- wie dies an der Hand des Gesetzes möglich gewesen wäre -- einfach verweigert, sondern noch eine Frist bis Ende 1889 ertheilt worden, ist im Gegentheil auf das ökonomische Interesse des Petenten noch möglichst Rücksicht genommen worden.

2. Hinsichtlich der Bedürfnißfrage : Zwei Wirtschaften auf der Station Sempach sind überflüssig.

Eine genügt dem vorhandenen Bedürfnisse vollständig. Wenn nun

1145 die Wirthschaft des Herrn Muff und nicht diejenige des Hrn. Sager beseitigt worden ist, so stützt sich der regierungsräthliche Entscheid darauf, daß die Wirthschaft Sager die ältere ist; dieselbe wird untadelhaft geführt, ist besser gelegen und zweckentsprechend eingerichtet.

Die Wirthschaft des Rekurrenten Muff ist s. Z. nur konzessionirt worden, weil damals nach den Vorschriften der B.-V. ein abschlägiger Bescheid nicht möglich gewesen wäre; das Haus, in welchem sich dieselbe befindet, wurde nicht zum Zwecke des Wirthschaftsbetriebes gebaut, daher sind die Lokalitäten klein und den Anforderungen des Gesetzes kaum entsprechend.

Was die vom Rekurrenten erwähnten Petitionen anbelangt, wonach die Wirthskonzession ihm infolge von Umtrieben -- theilweise politischer Natur -- verweigert worden sei, so muß konstatirt werden, daß die betreffenden Petitionen von Leuten beider politischen Parteien unterzeichnet sind, und daß die Petenten jenen Ständen und Berufsklassen angehören, welchen ein objektives Urtheil über die Frage des Bedürfnisses oder Nichtbedürfnisses einer Wirthschaft zukommt. Die Petenten sind fast ausschließlich Beamte der Umgegend.

Den Zeugnissen, auf welche der Rekurrent sich beruft, kann kein Werth beigelegt werden.

Der Bauernverein wird für seine Versammlungen jedenfalls ein anderes geeignetes Lokal finden. Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, daß dieselben auch fernerhin im Hause des Rekurrenten stattfinden, da es nur zweckmäßig sein kann, wenn bei solchen Anlässen die Wirthschaften umgangen werden.

Die Zeugnisse von zwei Aerzten, welche des Rekurrenten Wirthschaft loben, haben keinen Werth angesichts des Umstandes, daß beide Zeugen in bedeutender Entfernung vom Rekurrenten wohnen; ein dritter, in Sempach wohnender, Arzt ist -- obgleich ein Gesinnungsgenosse des Rekurrenten -- Mitunterzeichner der gegen die Wirthschaft desselben gerichteten Petitionen.

Da der Rekurrent den Beruf eines Thierarztes ausübt, so ist es entschieden nicht im Interesse des öffentlichen Wohles gelegen, wenn Leute, welche denselben in dieser Eigenschaft besuchen müssen, fast gezwungen sind, auch seiner Wirthschaft einen Besuch abzustatten. Thierarzt Muff befindet sich übrigens zur Zeit wegen Uebertretung des Wirthsgesetzes in Untersuchung.

3. Ueber die Frage der Verletzung der Gewerbefreiheit: Durch
Revision des Art. 31 der Bundesverfassung sind die Kantone ermächtigt worden, die Zahl der Wirthschaften entsprechend den Anforderungen des öffentlichen Wohles zu beschränken,

1146 in der Voraussetzung, daß die Beschränkung sich auf ein Gesetz stütze.

Das luzernische Wirthsgesetz vom 22. November 1883, durch Dekret vom 1. Dezember 1887 mit den Vorschriften der Bundesgesetzgebung in Einklang gebracht, sieht in den §§ l und 15 ausdrücklich die Beschränkung des Wirthsgewerb.es im Interesse des öffentlichen Wohles vor. Die Ertheilung oder Verweigerung der Wirthspatente ist Sache des Regierungsrathes.

Freilich wird dieser bei der Verweigerung der Patentertheilung^für neue Wirthschaften oder bei der Schließung bestehender Wirthschaften nach Ablauf der Patentdauer nicht nach Willkür vorgehen können. Er wird vielmehr die Bedürfnißfrage nach festen Normen prüfen müssen. Dies ist im vorliegenden Falle, wie bereits nachgewiesen, geschehen. Daß zwei Wirthschaften an der Station Sempach nicht Bedürfniß sind, kann nicht bestritten werden; daß aber in diesem Falle die Wirthschaft Muff und nicht die Wirtschaft Sager, die jüngere und nicht die ältere, die schlechter gelegene und nicht zweckentsprechend eingerichtete, und nicht die günstiger gelegene und bessere Räumlichkeiten bietende weichen muß, ist gewiß keine Verletzung der Gleichberechtigung der Bürger.

Wenn der Rekurrent behauptet, es seien in Sursee neue Wirthschaften konzedirt worden, so ist diese Behauptung unwahr. In der Stadt Luzern sind freilich zwei oder drei neue Wirthschaften konzedirt worden. Es liegen hier aber die besondern Verhältnisse einer Stadt, die sich vergrößert, vor, welche mit den Verhältnissen auf dem Lande nicht verglichen werden können. Daß aber auch in der Stadt Luzern, in Quartieren, wo zu viele Wirthschaften bestehen, mehrere solche geschlossen wurden, das verschweigt der Rekurrent.

Indem der Regierungsrath noch erklärt, er sei im gegebeneu Falle genau so vorgegangen, wie der Bundesrath in seinem Entscheide vom 8. Januar 1890, betreffend den Rekurs der FreilJurger Wirthe, schließt er mit dem Gesuche, es möchte der vorliegende Rekurs als unbegründet abgewiesen werden.

IV. Der Regierungsrath des Kantons Luzeru stützte sich bei seiner Schlußnahme auf folgende Kundgebungen: In Eingaben vom Januar 1888 und November 1889 hatten eine Anzahl Bürger von Sempach und den umliegenden Ortschaften sich an die Regierungsbehörde gewendet mit dem Begehreu, es möge die Wirthschaft des Rekurrenten nicht wieder bewilligt
werden ; das Nebeneinanderbestehen von zwei Wirthschaften bei der Station Sempach sei offenbar kein Bedürfniß, vielmehr ein wahrer Luxus; der dortige Personen- und Güterverkehr verlange nicht

1147 zwei Wirthshäuser, zumal ,,Lippenrüti tt uud ,,Seehüsli" bloß 10 Minuten und Sempach mit seinen 7 Wirthshäusern bloß 25 Minuten entfernt sei; das Eingehen der eiaen der beiden Wirthschaften bei der Station Sempach, und zwar der Jüngern, aus nachbarlicher Gehässigkeit und scheelem Brodneid entstandenen, erscheine nicht bloß aus nationalökonomischen Gründen als wünschbar, sondern geradezu als ein Gebot der Moral und der Volkswohlfahrt.

Desgleichen erklärte der Gemeinderath von Neuenkirch in seiner Vernehmlassung an den Regierungsrath vom 24. April 1890, die dem Rekurrenten gehörende ,,Restauration zum Seehof entspreche keinem Bedürfnisse; der Verkehr auf der Station Sempach sei nicht bedeutend, indem in den beiden Gemeinden Neuenkirch und Sempach lediglich Landwirthsehaft betrieben werde, die Gemeinde Nottwyl eine eigene Eisenbahnstation habe und ein großer Theil der Gemeinde Neuenkirch mit der Eisenbahnstation Rothenburg verkehre.

Auch das Statthalteramt Sursee bezeichnet in einer Zuschrift an das Departement der Staatswirthschaft des Kantons Luzern die fragliche Wirthschaft als ,,vollständig überflüssig a .

Dagegen werden die Angaben des Rekurreuten durch folgende Belege unterstützt: In einer Erklärung vom 11. März 1890 spricht sich Herr Franz Jos. Rast, Präsident des Baueravereins des Kantons Luzern und des Verbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften der Centralschweiz, folgendermaßen aus: ,,Im Kreise Sempach, namentlich in den Gemeinden Neuenkirch und Nottwyl, hat seit bald 20 Jahren eine rege Thätigkeit im landwirtschaftlichen Vereinswesen geherrscht Der Geschäftsverkehr, d. h. die Einkäufe, nur der Genossenschaft Sempach, deren Vorstandsmitglied er (Rekurrent Muff) ist, überstieg letztes Jahr die Summe von Fr. 60,000. Die Station Sempach ist von' den Ortschaften Neuenkirch und Sempach je eine halbe Stunde entfernt. Das ganze Jahr zentralisirt sich der Verkehr auf der Station. Im Wirthslokal waren die landwirthschaftlichen Blätter aufgelegt, es war unser Lesezimmer. Die Wirthschaft wurde mustergültig geführt. Von zu vielen Wirthschaften kann hier nicht die Rede sein. Die Gemeinde Neuenkirch hat allerdings im Verhältniß zur Bevölkerung zu viele Wirthschaften. Die Gemeinde hat aber eine Ausdehnung von 2 Stunden. Wenn nun schon in dem l Va Stunden von der Station entfernten, vom Verkehr
verlassenen Hellbühl , das zu Neuenkirch gehört, drei Wirthschaften sind, wo eine solche genügte, so ist es an der Hauptverkehrsader bei der Bahnstation gewiß nicht überflüssig, wenn dort zwei exi-

1148 stiren Die Erneuerung des Wirthschaftsrechtes (des Rekurrenten) kann in volkswirtschaftlicher Hinsicht nur empfohlen werden."

In ähnlichem Sinne befürwortet in einer Urkunde vom 3. März 1890 der Geschäftsführer der Sektion Sempach der Genossenschaft des Bauemvereins, Th. Lang, die Wiederertheilung der Wirthschaftskonzession an Hrn. Muff.

Ein Zeugniß von über 50 Bürgern von Neuenkirch, Sempach und Nottwyl, vom Januar 1890, lautet dahin, es habe Hr. Thierarzt M. Muff seine Wirthschaft und Restauration zum Seehof sowohl hinsichtlich der Qualität der ausgewirtheten Speisen und Getränke als auch hinsichtlich der Bedienung und Handhabung der Ordnung und Wirthschaftspolizei jederzeit musterhaft geführt.

Auch der Gemeinderath von Neueokirch bescheinigt, daß Herr Muff die Wirthschaft gut geführt habe.

Lobend sprechen sich über dieselbe ferner die Aerzte Attenhofer in Sursee und Baumgartner in Gerliswyl aus.

Laut einem beglaubigten Auszug aus dem Hauptbuch des Hrn. T. Spieß zum Löwengarten in Luzern hat die Restauration zum Seehof bei der Station Sempach vom 15. März 1888 bis 31. Dezember 1889 von demselben 11,300 Liter Bier bezogen.

Zufolge einer Mittheilung des Direktoriums der schweizerischen Centralbahn vom 28. Juni 1890 an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement weist der Personen- und Güterverkehr der Station Sempach in den 5 Jahren 1885 --1889 auf: Jahr.

Ge- Vieh.

Abgegangene päck.

Personen. Tonnen. Stück.

GUter (in Tonnen).

Versandt. Empfang.

Total.

TotalEinnahme.

--'

1885

25,072

18

494

1866

2098

3964

Fr.

24,457. 60

1886

33,185

21

565

2319

2923

5242

39,235. 10

1887

25,378

21

517

1728

2195

3923

27,770. 14

1888 1889

28,660

22 570 24 1576

2069

2274

4343

29,942. 65

1884

4112

29,686. 12

27,645

2228

V. Mit Schreiben vom 27. Juni 1890 ersuchte das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement den Regierungsrath des Kantons Luzern um Vervollständigung der Akten in folgenden Riehtungen :

1149 1) über die gegen den Rekurrenten wegen Uebertretung des Wirthschaftsgesetzes angehobene Untersuchung ; 2) über das im Kanton Luzern bei Reduktion der Zahl der Wirtschaften bisher befolgte grundsätzliche Verfahren, mit Vernehmlassung über die Angabe des Rekurrenten betreffend Schließung der Wirthschaft zum ,,Grütli tt in Hell buhl 1887 und Wiedereröffnung derselben 1888 ; 3) über die Frage, ob auch schon andere Wirtschaften in der Nähe von Eisenbahnstationen geschlossen worden seien.

Der Regierungsrath erwiderte durch Zuschrift vom 14. Juli was folgt: Ad 1. Die Untersuchung gegen den Rekurrenten wegen Uebertretung des Wirthschaftsgesetzes ist gegenwärtig noch beim Statthalteramte Sursee anhängig. Die Akten werden der Bundesbehörde zur Einsichtnahme vorgelegt.

Ad 2. Die Grundsätze, denen der Regierungsrath. bei Reduktion der Wirthschaften bisher folgte, decken sich genau mit den Motiven, nach welchen er im Falle Muff verfahren ist (vergi, die Rekursbeantwortung vom 16. Mai 1890). Nach diesen Grundsätzen hat der Regierungsrath auch bei der letzten allgemeinen Erneuerung der Wirthschaftspatente eine Reihe von Wirthschaften theils sofort, theils unter Einräumung einer kürzern oder längern Frist eingehen lassen.

Die Verhältnisse in Betreff der Wirthschaft zum ,,Grütli" in Hellbühl sind durchaus andere, als im Falle Muff. Hellbühl ist eine Dorfschaft, an einer Kantonsstraße gelegen, woselbst die Existenz zweier Wirthschaften -- die eine ist ein Realrecht -- gar nicht überflüssig ist. Es existirt freilich in der Kirchgemeinde Hellbühl -- aber immerhin mindestens eine Viertelstunde vom Dorfe entfernt -- noch eine dritte Wirthschaft. Wenn die im Dorfe gelegene Wirthschaft zum ,,Grütli" nun wieder konzessionirt wurde, geschah dieses nur unter der Voraussicht, daß die abseits gelegene Wirthschaft einzugehen habe. Die Wirthschaft zum ,,Grütlia besteht zudem schon längere Jahre und war unseres Wissens durchaus tadellos geführt. Wenn der Regierungsrath sie momentan unterdrückte, geschah dies nicht zum Mindesten deswegen, weil eine Petition aus etwas interessirten Kreisen ihm die Bedürfnißfrage in nicht ganz objektiver Weise darzustellen wußte.

Ad 3. Es sind auch schon andere Wirthschaften in der Nähe von Eisenbahnstationen geschlossen worden, und zwar in Fällen, wo Eisenbahnstation und Dorf in unmittelbarer Nähe bei einander sieh befinden.

1150 Dies ist allerdings bei Se.mpach nicht der Fall; die Station liegt ziemlich weit von jeder Ortschaft entfernt; allein die Regierung war nicht im Falle, in analogen Fällen Wirthschaften eingehen zu lassen, da an solchen (von Ortschaften entfernten) Stationen entweder gar keine Wirthschaft besteht, wie in Rothenburg, oder nur eine einzige, wie bei Sursee, das sich am ehesten mit Sempach vergleichen läßt, dieses aber im Verkehr um ein Bedeutendes übertrifft.

VI. Aus den vom Statthalteramt Sursee aufgenommenen Untersuchungsakten ergibt sich Folgendes: Mittelst Rapport vom 6. Januar 1890 zeigte Polizeiwachtmeister Zeyer von Sursee dem Statthalteramt Sursee an, daß Thierarzt Muff laut eingezogenen Erkundigungen noch immer wirthe, obgleich seine Wirthschaft mit Neujahr eingegangen sei. Am Neujahr haben z. B.

zwei Schmiedgesellen von Neuenkirch den ganzen Nachmittag dort getrunken, und es gebe Muff Allen zu trinken, welche er kenne und von denen er wisse, daß sie ihn nicht verrathen. Auch habe er die Taverne an seinem Hause stehen lassen.

Hierüber am 11. Januar verhört, erklärte der Rekurreut vor Statthalteramt, er habe seit Neujahr kein Getränke mehr gegen Geld ausgeschenkt; was bei ihm seither verabfolgt worden, sei gratis gegeben worden. Die Taverne an seinem Hause sei schwierig zu entfernen; er wolle sie daher belassen, bis der Bundesrath in Sachen entschieden habe; damit man nicht sehen könne, was darauf geschrieben sei, wolle er sie bedecken.

Am 15. Januar 1890 rapportirte Polizist Frey von Neuenkirch dem Statthalteramt Sursee : Thierarzt Muff habe an seinem Hause, auf Papier gestempelt, angeschlagen, er verkaufe Wein, Most und Bier in Quantitäten von zwei Litern. Da nichts davon bekannt sei, daß Muff ein Patent für Kleinverkauf von Getränken besitze, so werde er wegen Uebertretung des Wirthschaftsgesetzes angezeigt.

Zufolge Rapportes vom 24. Februar will Wachtmeister Zeyer am 23. Februar, Abends 7 Uhr, wahrgenommen haben, daß ein Mann, nach eingegangenen Berichten Bannwart Baumgartner von Neuenkirch, im Hause des Thierarztes Muff mit drei Dezilitern Rothwein bewirthet wurde.

Der Wachtmeister fügt bei, daß nach den ihm zugekommenen Berichten Muff seit Neujahr ein großes Quantum Bier ausgewirthet habe. Am letzten fetten Donnerstag sollen Senn Iseli und Senn Egli im Seesatz lange bei Muff
Bier getrunken und ohne Zweifel auch bezahlt haben.

Im Verhöre vom 17. März bestritt Muff mit aller Entschiedenheit, gegen das Wirthschaftsgesetz sich verfehlt zu haben. Es kommen

1151 oft Leute zu ihm, um ihn als Thierarzt zu berathen. Der Wachtmeister Zeyer, den er in die frühere Gaststube, das jetzige Wartzimmer, führen wollte, sei in die Privatstube eingetreten und habe dort den Alois Albißer im Seesatz gefunden, der wegen einem Frühgeburtsfall eines Rindes mit Muff gesprochen habe und darauf von diesem zu einem Jaß bei drei Dezilitern Rothwein eingeladen worden sei. Muff gesteht zu, seit Neujahr etwa zwei Hektoliter Bier bezogen zu haben, von dem er einen geringen Theil selbst getrunken, den Haupttheil in Flaschen abgezogen und verkauft habe.

Seit dem Verhör vom 17. März ist nach den Akten vom ·Statthalteramte Sursee keine weitere Untersuchungshandlung in dieser Sache vorgenommen, aber auch keine Verfügung getroffen, kein Urtheil von irgendwelcher Behörde gefällt worden.

Am 3. Juli 1890 erhielt das eidgenössische Justizdepartement durch den Rekurrenten ein Schreiben, das derselbe am 30. Juni an das Statthalteramt gerichtet und in welchem er um beförderliche Zustellung eines Entscheides ersucht hat.

Das Statthalteramt sandte ihm am 2. Juli das Schreiben zurück, mit der schriftlichen Notiz, die Akten befinden sich zur Zeit beim h. Regierungsrathe ; in Erwägung: 1. Es kann der Regierung des Kantons Luzern nicht beigestimmt werden, wenn sie aus dem Umstände, daß der Rekurrent gegen ihren Beschluß vom 27. Februar 1888, durch welchen ihm das Wirthschaftsrecht nur noch bis 31. Dezember 1889 eingeräumt wurde, nicht sofort sich beschwert, sondern erst mit Eingaben vom 27. November und 11. Dezember 1889 die Erneuerung des Wirthschaftspatentes nachgesucht hat, den Rechtsschluß zieht, der Rekurrent habe das Rekursrecht gegen jenen Beschluß und den gleichlautenden Regierungsbeschluß vom 13. Dezember 1889 verwirkt, und es sei infolge dessen der Rekurs schon aus diesem formellen Grunde abzuweisen.

In dem Beschlüsse vom 27. Februar 1888 wurde dem Patentbewerber keinerlei Frist angesetzt, innerhalb welcher er gegen denselben sich beschweren könne; es geht daher nicht a n , sein längeres Stillschweigen als thatsächliche Anerkennung dieses Beschlusses zu deuten. Abgesehen hievon würde es gegen die auf der gegenwärtigen Gesetzgebung fußende bundesrechtliche Praxis verstoßen, wenn die administrative Bundesrekursbehörde auf den Rekurs eines Bürgers, der sich wegen Verletzung eines ihm bundes-

1152 verfassungsmäßig gewährleisteten individuellen Rechtes beschwert, aus piozeßrechtliehen Gründen nicht eintreten wollte.

Uebrigens hat der Bundesrath sich materiell nur mit dem rcgierungsräthlichen Beschlüsse vom 13. Dezember 1889, der dein Rekurrenten das Wirthspatent definitiv entzogen hat, zu befassen.

Diesen Beschluß hat M. Muff weder stillschweigend hingenommen, noch ausdrücklich anerkannt, sondern gegen denselben, unter Einbeziehung des frühern Regierungsbeschlusses, unterm 19./28. März 1890 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrath ergriffen.

2. Wie der Bundesrath schon in seiner Beschlußfassung vom 8. Januar 1890, betreffend die Rekurse von 45 Freiburgern, festgestellt hat, besteht das Prinzip der Gewerbefreiheit in Hinsicht auf das Wirthschaftsgewerbe noch immer zu Recht, wenn auch dasselbe in dieser Richtung im Jahre 1885 durch die Revision des Art. 31 in erheblichem Maße eingeschränkt worden ist. ,,Unbedingte Freiheit im Wirthschaftswesen", mit diesen Worten bezeichnete der Bundesrath seinen Standpunkt unter Ziffer 3 der allgemeinen Erwägungen zu der obenerwähnten Schlußnahme (Bundesblatt 1890, I, S. 374), ,,kann zwar der Bürger nicht mehr beanspruchen; aber das wenigstens darf er wie früher verlangen, daß, wenn man bei ihm Beschränkungen eintreten läßt, dies unter dem nämlichen Rechtstitel und in gleichem Maße geschehe, wie bei Ändern, f ü r - w e l c h e g a n z g l e i c h e V e r h ä l t n i s s e z u treffen.a 3. Der Regierungsrath des Kantons Luzern findet in den §§ t. und 15 des kantonalen Wirthschaftsgesetzes vom 22. Wintermonat 1883 die rechtliche Grundlage seines Beschlusses vom 13. Dezember 1889 (beziehungsweise 27. Februar 1888). Diese Gesetzesbestimmungen lauten: ,,§ 1. Das Wirthsgewerbe bleibt ein gesetzlich beschränktes Gewerbe, in dem Sinne, daß dessen Ausübung im Interesse des öffentlichen Wohls der staatliehen Kontrole und daher einer besondern Besteuerung zu unterwerfen ist und von einer speziellen Bewilligung abhängt."

,,§ 15. Jedes Gesuch um Erlangung eines Wirthspatents ist an den Regierungsrath zu richten, welcher darüber das Gutachten des betreffenden Gemeinderaths und Statthalteramts in Bezug auf das öffentliche Wohl, auf die Person des Bewerbers und auf das für die Wirthschaft in Aussicht genommene Lokal einzuholen hat."

,,Bezüglich der persönlichen Requisite wird verlangt, daß der Bewerber im Besitze der vollen bürgerlichen Ehrenfähigkeit, eigenen

1153 Rechtes und nicht Konkursit sei ; daß er und seine Familie in unbescholtenem Rufe stehen und daß namentlich keine Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß er das Wirths·gewerbe zur Förderung der Vollere!, des verbotenen Spiels, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit mißbrauchen werde.11 ,,Für nicht Gemeindeangehörige ist überdies der Ausweis über -den Besitz der gesetzlichen Niederlassung erforderlich. a Obschon das luzernische Wirthschaftsgesetz aus dem Jahre 1883 stammt, also aus einer Zeit, in welcher die Beschränkung ·des Wirthschaftswesens aus Gründen des öffentlichen Wohls noch nicht a u s d r ü c k l i c h durch die Bundesverfassung als zuläßig ·erklärt war, so kann doch der Rechtsbestand der angerufenen Paragraphen des Gesetzes nicht bezweifelt werden. Denn auch nach Maßgabe der frühern Fassung des Art. 31 der Bundesverfassung konnten von den Kantonen aus Rücksichten des öffentlichen Wohls sowohl in Bezug auf die Erlangung von Patenten als in Betreff der Art und Weise der Ausübung des Wirthsgewerbes einschränkende Verfügungen getroffen werden; nur wurde es für uuzuläßig erachtet, im Interesse des öffentlichen Wohls die Z a h l der Wirthschaften von der B e d ü r f n i ß f r a g e abhängig zu machen. Es kann daher nicht behauptet werden, Bestimmungen, wie diejenigen der §§ l und 15 des Luzerner Gesetzes, hätten vor 1885 nicht zu Recht bestehen können ; vielmehr war nur ihre Anwendung in einer gewissen Richtung ausgeschlossen; seit 1885 ist den Kantonen die Anwendung der fraglichen Bestimmungen auch in dieser Richtung gestattet.

Immerhin muß die Bundesbehörde, da das Prinzip der Gewerbefreiheit keineswegs aufgehoben ist, sich vorbehalten und zumal bei so allgemein und unbestimmt lautenden kantonalen Gesetzen, wie das luzernische, sich das Recht wahren, im einzelnen Falle zu prüfen, ob die Versagung oder Beschränkung des individuellen verfassungsmäßigen Rechts wirklteh durch die Rücksicht .auf das öffentliche Wohl geboten, und insbesondere auch, ob die Maßnahme mit dem Grundsatze der Rechtsgleichheit der Bürger verträglich sei (vergi, hiezu wiederum die vom Bundesrath anläßlich der Freiburger Rekurse aufgestellten allgemeinen Erwägungen unter Ziffer 3; Bundesbl. 1890, I, 374).

4. Wenn der regierungsräthliche Beschluß, durch welchen dem Rekurrenten die Erneuerung des
Wirthschaftspatentes verweigert wurde, unter diesem Gesichtspunkte einer Prüfung unterstellt wird, so ergibt sich, daß derselbe maßgebende thatsächliche Verhältnisse theils unrichtig würdigt, theils gar nicht in Betracht zieht.

1154 Die gegen die Erneuerung des Patentes sich aussprechendeo Petitionäre, die kantonalen Unterbehörden in ihren Gutachten und Anträgen, sowie der Regierungsrath in den Erwägungen zu seinem Beschlüsse gehen von dem einen Satze aus, daß bei der Station Sempach eine zweite Wirthschaft kein Bedürfniß sei, und sie kommen zu diesem Satze, indem sie einerseits die Entfernung der benachbarten Ortschaften von der Station Sempach berechnen und die Zahl der in jenen Ortschaften bestehenden Wirthschaften in's Auge fassen, andererseits den Verkehr auf der Station Sempach als einen unbedeutenden bezeichnen.

Es finden sich in dem von der Station circa 25 Minuten entfernten, 1100 Einwohner zählenden Städtchen Sempach bereits 6 Wirthschaften, in der von 2000 Personen bewohnten Gemeinde Neuenkirch, in deren Einungsgebiet, allein mit der Dorfschaft nicht zusammenhängend, die Bahnstation Sempach und die zwei Restaurationen bei derselben liegen, deren gleichfalls 6; indem man zu den Wirthschaften in Sempach und Neuenkirch die zwei Bahnhofrestaurationen hinzurechnet, kommt man zu dem Schlüsse, die eine der letztern sei überflüssig.

Wenn diese Art zu rechnen und zu schließen und überdies die Annahme, der Verkehr auf der Station Sempach sei geringfügig, richtig wären, so dürfte geg'en den Regierungsbeschluß, der von den beiden Bahnhofwirthschaften die jüngere, weniger gut eingerichtete unterdrückt, kaum etwas einzuwenden sein. Allein die Rechnung und darum auch die auf sie gebaute Schlußfolgerang, sowie die Annahme bezüglich des Bahnverkehrs können nicht als richtig anerkannt werden.

Die Rechnung ist irrthümlich, weil sie Ungleichartiges zusammenzählt, und der Schluß ist falsch, weil aus einer Summe, die aus ungleichartigen Elementen zusammengesetzt ist, gegen die Existenzberechtigung eines derselben geschlossen wird.

Gewiß, wenn die Wirthschaft des Rekurrenten keinen ändern Zweck und Charakter hätte, als die Wirthschaften im Städtchen Sempach oder in der Gemeinde Neuenkirch, so müßte sie als die siebente oder achte des Ortes für gänzlich überflüssig erachtet werden.

Allein eben diese Gleichheit von Zweck und Charakter trifft hier nicht zu. Die beiden Wirthsehaften beim Bahnhofe Sempach dienen der Verkehr treibenden Bevölkerung und dem reisenden Publikum der ganzen Gegend, nicht bloß einer Ortschaft, und sie bergen,
richtig geführt, nicht, wie zahlreiche Wirthschaften im Innern von.

Ortschaften oder an vom Verkehr verlassenen Landstraßen, die Gefahr in sich, daß die Bevölkerung durch sie von der Arbeit abgezogen und zu einem liederlichen Leben verführt svird.

1155 Was sodann den Verkehr auf der Station Sempach anbelangt, so kann derselbe nicht als ein unbedeutender, geringfügiger bezeichnet werden; weder der Personen- noch der Güterverkehr würde die unter Ziffer IV der Fakten angeführten Zahlen erreichen, wenn die Station nur der Bevölkerung von Sempach oder Neuenkirch dienen, wenn sie nicht einen Mittelpunkt des Verkehrs der ganzen Gegend bilden würde.

Dazu kommt, daß nach den Zeugnissen der Vorstände des Baueravereins des Kantons Luzern und der Genossenschaftssektion Sempach die Wirthschaft des Rekurrenten durch ihre gute Führung, namentlich auch durch den Ausschank von Bier während des ganzen Jahres, in volkswirtschaftlicher Beziehung einen heilsamen Einfluß ausgeübt hat, worauf die Regierung von Luzern in ihren Erwägungen gar kein Gewicht legt.

Ueber die Person des Rekurrenten selbst liegen nur günstige Zeugnisse vor: die Bedeutung derselben wird durch die Ergebnisseder gegen ihn vom Statthalteramte Sursee geführten Untersuchung nicht abgeschwächt. Diese Untersuchung scheint hauptsächlich durch Anzeigen veranlaßt worden zu sein, welche auf Unkenntniß der Verfassungsbestimmung beruhen, die den Verkauf von nicht ge- ' brannten geistigen Getränken in Quantitäten von mindestens zwei Litern außerhalb des Wirthschaftsbetriebs jeder besondevn Steuer und Beschränkung entzieht (Art. 32»!^ Abs. 2, der B.-V.).

Der Rekurrent hat den Wirthschaftsbetrieb mit dem Berufe des Thierarztes in einer Weise zu verbinden gewußt, daß die Bevölkerung in keiner Beziehung geschädigt wurde; es liegt daherkein Grund vor, im vorliegenden Falle mit der Regierung von Luzern in der Verbindung dieser zwei Berufsarten eine die Aufhebung der Wirthschaft rechtfertigende soziale Gefahr zu erblicken.

5. Die unter Ziffer 4 hervorgehobenen Verhältnisse führen zu einem dem regierungsräthlichen Entscheide entgegengesetzten Schlüsse.

So anerkennenswert!] das Bestreben der Kantonsbehörden, speziell der luzernischen Regierung, ist, durch Verminderung der Zahl der Wirthschaften einem sozialen Uebel entgegenzuwirken, so sehr fällt auf der ändern Seite in's Gewicht, daß das bundesverfassungsmäßig gewährleistete individuelle Recht der Gewerbefreiheit in Frage steht. Dieses Recht darf nur aus thatsächlich unanfechtbaren Gründen beschränkt werden. Im vorliegenden Falle ist unrichtiger Weise die
allerdings große Zahl der Wirtschaften in Sempach und Neuenkirch als Motiv zum Patententzug gegenüber einer nicht bloß den Bedürfnissen der einen oder ändern dieser-

1156 Ortschaften dienenden Wirthschaft aufgestellt und unter der gleichfalls unrichtigen Annahme eines geringfügigen Verkehrs auf der Station Sempach die Rücksicht auf das öffentliche Wohl gegen den Fortbestand einer Wirthschaft angerufen worden, welche bis jetzt unbestritten sehr solid und tüchtig geführt und darum sehr stark besucht war, ja nach Zeugnissen aus berufenen Kreisen volkswirtschaftlich geradezu wohlthätig gewirkt hat.

Demnach kann die Aufhebung dieser Wirthschaft vom bundesrechtlichen Standpunkte aus nicht gebilligt werden.

6. Daß die geschäftliche Konkurrenz, welche eine jüngere, gut geführte Wirthschaft altern Wirthschaften gegenüber ausüben kann oder faktisch ausübt, keinen rechtlichen Grund für die Aufhebung der erstem bietet, liegt auf der Hand, und es ist denn auch d i e s e Rücksicht zwar wohl in einer Petition aus Sempach und Umgegend an den luzernischen Regierungsrath zu Gunsten der altern Restauration beim Bahnhof Sempach betont, aber von der Kantonsbehörde in keiner Weise zu der ihrigen gemacht worden ; in der That wäre eine derartige Rücksichtnahme mit der Gewerbefreiheit schlechterdings unvereinbar; beschlossen: 1.

Der Rekurs ist begründet.

2. Infolge dessen wird die h. Regierung des Kantons Luzern «ingeladen, dem Begehren des Rekurrenten um Erneuerung seines Wirthschaftspatenles zu entsprechen.

3. Dieser Beschluß ist der h. Regierung des Kantons Luzern ·und dem Rekurrenten mitzutheilen.

B e r n , den 29. Juli 1890.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Killgier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Moriz Muff, Thierarzt, in Neuenkirch, Kanton Luzern, gegen die Schlußnahmen der Regierung des Kantons Luzern vom 27. Februar 1888 und 13. Dezember 1889, Nichterneuerung des Wirthschaftspatentes betreffend.

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