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Bericht des

schweiz. Konsuls in Chicago (Hrn. Enderis von Schaffhausen) über das Jahr 1870.

(Vom 22. Februar 1871.)

An den hohen schmeiz. Bundesrath Tit.!

Fern von der Seeküste bestehen zwischen dem Westen Amerika's und der Schweiz keine direkten Handelsbeziehungen von gelang. Aussex der Besorgung der Korrespondenz, welche die meiste Zeit in Anspruch nimmt, erstrekt sieh meine Tätigkeit hauptsächlich aus Unterstüzung neu angekommener Landsleute und Einwanderer mit Rath und ......hat, so weit es

in der Möglichkeit dex Verhältnisse liegt.

Dass von schweizerischer Seite etwas im Auswanderungswesen geschehen sollte, darüber kann Niemand im Zweisei sein, der die Verhältnisse ans eigener Anschauung kennt, um so weniger als es Thatsaehe ist, dass gerade aus der Schweig verhältnissmässig mehr entblosste und hilflose Einwanderer als ans irgend einem andern Lande in Amerika ankommen. Das Elend solcher Leute spottet aller Beschreibung. Die Zeiten sind hier vorüber, wo man sich um die Arbeiter riss. Jn den lezten Jahren war das Angebot der Arbeit immer grosser als die Nachfrage. Die Vrodnktenpreise stehen so niedrig , dass der Landbau nicht mehr so lohnend ist wie früher. So lange das westliche Europa aus .Ungarn und Rnssland billiger als ans Amerika Getreide beziehen kann, ist kaum Hoffnung für Bessergestaltung dieser Verhältnisse vorhanden.

504 Die selbstverständliche Folge davon ist, dass die. .Lohne zu Stadt und .Land sinken. Der Erwerb von Grundeigentum ist auch nicht mehr. s.^ leicht wie ehemals. Oestlich vom Missonrifluss ist das beste Land zum arossten Theil in Händen von privaten, Spekulanten, Eisenbahngesellschasten ^e. und mnss daher ordentlich bezahlt werden. Je weiter nach

dem Westen, desto kostspieliger ist die Reise.

Jn den Vereinigten Staaten bestehen , mit Ausnahme von Eastle^ Garden in Rew-^ork, keine offentlichen Anstalten und Spitäler zum Schuz und zur Unterstüzung von Auswanderern. ^ur .Linderung dieses schreienden Bedürfnisses gründeten die Deutschen in einigen grossern

Städten Vrivathülssgesellsehasten , die aber aussehliesslich auf die Mild^ thätigkeit des Bublikums angewiesen sind und ein kümmerliches Dasein

fristen. Auch Schweizer gründeten an einigen Blazen derartige Vereine.

Da im Verhältniss unter denselben aber weniger Wohlhabenheit al^ unter den Deutschen herrseht, dieselben sehr zerstreut und nicht so zahl-

reich sind als die Deutschen , so ist von dieser Seite wenig Hülfe zu erwarten. Ohnedies werden die Opferwilligen der fortwährenden Bettelei von Seite der Einwanderer endlieh müde , wenn für diese nicht bald etwas geschieht vom Mutterland , welches in den Augen unserer naturalisirten Amerikaner gegen solche Leute eben so viele Verpflichtungen ....^ leztexe hat.

Rachdem ieh mir die Rothwendigkeit einer organisirten Unterftüzung oder von Unterstüzungsmassregeln für Auswanderer hervorzuheben erlaubte, werde ich nun aus die Fragen übergehen :

.1. Was sollte geschehen^ 2.

Wie konnte es geschehen^

.l . Auswanderungsluftige , namentlich ^..milieu , sollten von Zeit zu Zeit össentlieh gewarnt werden , die Sache nicht so leichtsinnig ^u nehmen. Viele denken, wenn sie nur einmal am .Land seien, so werde schon weiter geholfen werden. Aber es steht dann Riemand bereit ; auch machen manche die Rechnung ohne den Wirth, indem sie die Kosten des ersten Ausenthalts, die Reise in's Junere des Landes und was damit zusammen hängt, nicht hoch genng in Anschlag bringen. Sie erwägen nicht, das.. sie vielleicht einige Monate lang sich herum zu treiben haben, .bis sie ein As.^l und Arbeit gesunden. Da diese Leute in ihren sanguinischen Hofsnungen nur ausrechnen, wie viele ,,Franken^ sie verdienen werden, so will ieh hier auch ansühreu, wie viele ,,^ranken^ sie brauchen, denn die Hauptsrage ist ja schliesslich nicht, wie viel man einnimmt, son-

dern wie viel übrig bleibt. Der Aufenthalt in den billigsten Wirthshänsern kostet 6 bis 10 Franken per Tag dieVerson, das Fahrgeld auf den Eisenbahnen durchschnittlich 15-^-20 Centimes per engl.

Meile, also etwa .^ Franken per Wegstunde, eine häusliche Ein-

505 Dichtung der bescheidensten Art, für etwa 2 ^immer, ohne Betten, ea.

300 Franken. Eine Arbeiterfamilie in den grossern Städten, ans 5 bis 6 Bersonen bestehend, muss sich sehr einschränken, nm mit 30 Franken die Woche leben zu können. Bei Einrichtung einer Farm kostet es natürlich Sehisf und Geschirr, und es mnss der Anfänger beinahe ein Jahx lang aus dex Tasche leben. Wenn er nicht 5000 Franken über die Ankaussumme des Landes übrig hat , so kann er nicht viel ansangen.

An außergewöhnliche Fälle, als Krankheiten, Verluste ..e. wird erst recht nicht gedacht. Dass Lente, ohne derartige Berechnungen zu machen und blind in's Weite ziehend, ost in namenloses Elend gerathen, liegt auf dex Hand. Für mittellose .Leute wäxe es gerathener, ihre Kinder voraus zu schiken, was schon mit dem 15. Jahre geschehen konnte, und nach^ dem diese sieh hier eingebürgert und ein Bläzchen ausfindig gemacht, ihnen nachzufolgen. Niemanden ist zwar weniger zu xathen als gerade dem Einwanderer. Weniger Selbstklugheit und Misstrauen am rechten Blaz würde Manchen vor Schaden und Unglük bewahren.

Jndem ich nun aus die spezielle Frage eingehe, was in A m e r i k a für Einwanderer geschehen sollte oder könnte, sasse i.h dabei solche in^s Ange, die mit einigen bescheidenen Ex^istenzmitteln hier ankommen. VersorgnngsAnstalten für solche zu treffen, die ganz entblösst hierankommen, wäre mit zu grossen Opfern und Schwierigkeiten verbunden. Die Gefahren und Verführungen für Versonen , die ohne bestimmtes Ziel nach Amerika auswandern, liegen weniger in den Ausschissungshäfen als im J n n e r n des Landes. Gerade Rew-^ork ist der einzige .^rt in den Vereinigten Staaten, wo von S t a a t s wegen sür die Einwanderer etwas gethan wird. Unter dem Ramen ,,Eastle-Garden^ besteht daselbst eine Anstalt in grossartigem Massftabe mit Spitälern, Armenhäusern ..e., wo der Ankömmling ein temporäres Unterkommen findet, für die sichere Weiterbeförderung seiner Person und seines Gepäkes ..e. gesorgt wird und ex gegen Schwindler gesehüzt ist. Sollte er kein Geld mehr haben, so darf er sich so lange in der Anstalt aushalten , bis für ihu Arbeit ermittelt wird. Ferner hat die Anstalt die Verpflichtung , Eingewanderte innerhalb der ersten si.ns Jahre ihres Aufenthaltes im Lande zu jeder Zeit wieder ausnehmen zu müssen, falls sie dessen bedürstig
werden sollten.

Dafür ist allerdings wenig Risieo vorhanden , denn bekanntlich begebe^ sieh die^ meisten Einwanderer direkt in^s Jnnere des Landes, da es ihnen schon in Europa eingebaut wird , nicht in Rew-^ork zu bleiben , und man hier selbst das Moglichste thut. sie nach dem Westen abzuschieben, um ihrer los zu werden. ..- Die Kosten des Jnstitutes Eastle^Garden werden durch die Einwanderung selbst gedekt. Jeder bezahlt nämlich an

dasselbe durch den Rhedex 21/2 Dollars Kopsgeld. Es ist die grosste

Unbill gegen die westlichen Staaten. denen die Einwanderer sehliesslich zum graten Theil zur Last fallen , dass Rew^ork dieses Geld aliein

506 einstekt. Alle Versuche , einen Theil davon abznbekontmen , sch^terten bis jezt an der öffentlichen Korruption.

Jm Jnnern des .Landes, namentlich in Ehieago, dem Knotenpunkt

des ganzen westlichen Eisenbahnnezes, häusen sieh hilfsbedürftige Ein^

....anderer an, und die Gefahren und Verführungen für Cellos auswan^ dernde Bersonen treten da ^n Tage, wo sie der Zufall einmal zum Halt bringt, wo ste anfangen , sieh nach einem Unterkommen ernstlich umzusehen. Jn Ermangelung eines bestimmten Zieles sind die Landesfremden auf ein planloses Suchen angewiesen. Jnzwischen werden die paar hundert Dollars, womit der Eingewanderte den ersten Grundstein ^u einer Heimstatte und einer sichern E^ftenz hätte legen .onnen , ausgezehrt oder er wird darum betrogen und beschwindelt, und ---. die Roth ist da . Der ^Hauptpunkt, um den es sieh sur fragliche Einwanderer handelt, ist, moglichst bald nach ihrer Ankunft einen Vlaz zu finden , wo sie geborgen find und ihren Unterhalt verdienen konnen. Dieses allein wird sie den Gefahren und Verführungen wirksam entgehen. Es handelt steh hier nur um den A n s a n g . Wer einmal in's reehte Geleise gebracht ist, kann sieh nachher selbst forthelsen.

M i l l i o n e n k o n n t e n ger e t t e t und das Lebensglük von T a u s e n d e n , welche s o n st d e m U n g l ^ü k a n h e i m f a l l e n , g e s i eh e r t w e r d e n , w e n n es Mittel und W e g e g ä b e , o b i g e n .^wek zn e r r e i eh e n.

2.

Wie konnte es geschehen^

Sehon manche Stunde habe ieh mir über dieser heiklen^ Frage den Kops zerbrochen. Alle Ehaneen in Erwägung ziehend, glaube ich, dass unter den bisher vorgeschlagenen Mitteln dnreh ein oder zwei Blaeirungs^nreau^, das eine im südliehen , das andere im westlichen Theil der Vereinigten Staaten , die grossten nachhaltigen Resultate erzielt werden konnten. Die Ausgabe ist eine so grosse und so schwierige, dass sie allerdings nie vollständig uud zu Jedermanns Zufriedenheit wird gelost wer..^n konnen, welche Mittel und^ Wege mau aueh ergreisen mochte. So wie die Sachen jezt stehen, geht es ungesähr solgendermassen : Einwanderer kommt zu einem Konsul oder sonst zu einem wohlmeinenden Landsmann und fragt um Rath , was er thnn soll. Antwort: ,,Jhr Geld xeieht zum Ankaus von Land nieht aus. Hier in der Stadt werden Sie schwerlich Arbeit finden, das Leben ist theuer. Gehen Sie aus's Land und suchen .....^e eine kleine ^arm zu pachten und dabei sür die Bauern zu arbeiten.^ ,,Wohin^ ,,Ja, das müssen ^ie selbst ausfindig machen. wir kennen das hier nicht wissend -.- Mit dem ,,gnten Rath^ ist der Fa-

milie nicht geholfen . Sie bleibt irgendwo im Wirthshaus sizen , ver^ ^ehrt täglich 20-30 ^ranes, der Mann reist ans's Gerathewohl im Land hernm, um zu suehen, und bis er etwas findet, ist der Sparpsenning

50^ verschwunden, während in der Rähe es vielleicht Duzende von vakanten

Stellen, günstigen Vacht- und .^.ausgelegenheiten u. dgl. gibt. a b e r

man k e n n t sie nicht.

Aufgabe eines solchen Vlaeirungsbüreau wäre es also, solche Gelegenheiten zu ermitteln, zu prüfen und für die Ankömmlinge in Bereitschaft zu halten. Dieses müsste es zu erreichen suchen durch Anzeigen in den Zeitungen, Korrespondenzen mit den grossten Fabriken und Farmern, mit Vereinen, mit hervorragenden Schweizern^ an andern Orten ^e. ..... Voraussichtlich wäre es in den Stand gesezt, die Einwanderer in den meisten Fällen plaeiren zu können, und zwar ans eine Art und Weise, welche den individuellen Neigungen , Verhältnissen und Mitteln des Einzelnen entspricht. Jeder hätte die weiteste Wahl und würde, unter ...l m e r i k a n e r o d e r n a t u r a l i s i r t e E u r o p ä e r v e r s e z t , schneller vorwärts kommen, als unter lauter ,,seines Gleichen^ l Die Eontrole eines solchen Agenten wäre nicht allzns.hwer, und jeden Augenblick konnte ein solches Bureau ausgehoben werden , falls es sich nicht bewähren sollte. Beständen deren z.^ei, so konnten sie sich

gegenseitig wesentlich untersten und ergänzen. Das Büdget eines flehen Jnstitntes ....nrde fieh ungefähr folgenderweise stellen: Gehalt des Agenten Behalt des Jungen Jnserate

.

900 Dollars, 150 ., 600 ,,

Drukarbeiten. Vorti .e.

.^okalmiethe, Feuerung Reisekosten

100

,,

150 100

,, ..

2.000 Dollars.

oder 10,000 Franken per Jahr, als Minimum.

Ein anderes, wiewohl et.^as weniger wirksames Mittel bestände in der Unterstüzung solcher Eonsulate, welche mit der Auswanderung hanptsächlich in Berührung kommen. Wie bereits erwähnt, haben es diese in den meisten Fällen beim ,,guten Ratl^ bewenden zu lassen.

Erhielte das Konsulat einen Znschnss, um daraus wenigstens einen Gehülfen zu halten, so konnte schon manche Arbeit mehr gethan und manches Opfer mehr gebracht werden. Es liegt bekanntlich in der Ratur der Sache, moglichst hervorragende Geschäftsleute mit den Eonsnlatsftellen zn betrauen ; solche sind aber von i^ren eigenen Geschäften so sehr in Anspruch genommen, dass es ihuen os.^ beim besten Willen nicht moglieh ist, Einwanderern ordentlich Red und Antwort zu geben.

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03.06.1871

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