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schweizerischen .Konsuls in Montevideo

(Hrn.

Menet von

Gais (Appenzell A. Rh.) über das Jahr 1870.

(...... om Februar 1871.)

An den hohen schmeiz. Bundesrath.

Tit..

Was die allgemeine Lage unsers Handels anbetrifft, so lässt sich

augenbliklich nicht viel Vortheilhastes darüber sagen. Das Land hat

durch die Revolution, die dasselbe seit eirka 12 Monaten schwer drükt, und durch die sneeessive Entwertung eines der bedeutendsten LandesProdukte, der Wolle, gelitten. Wenn auch nicht gerade eine Vrrminderung des Jmportes. zu melden ist, so haben doch die Breise der meisten Artikel einen Rükgang erfahren . es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, dass binnen nicht langer Zeit verschiedene Branchen des Jmportes in bessere Lage kommen werden.

Die .Agrikultur entwikelt sich immer mehr uud wird durch den bereits berührten Umstand, dass die andern Brodnkte dieses Landes, hauptsächlich Wolle , auf den europäischen Märkten in den lezten Jahren eine bedeutende Entwertung erlitten haben, noch mit mehr Aufmerksaml.eit betrieben ; es haben steh in den legten Jahren viele bedeutende Landeigenthümer die Bepflanznng des Bodens angelegen sein laffen. Auch das Kolonisationswesen nimmt mehr und mehr überhand.

Die Ernte der Akerbauer war lentes Jahr eine wenig reichhaltige ; der Waiden war in Folge der Dürre, womit mehr oder weniger das ganze

Land heimgesucht wurde, klein und spärlich geblieben, und es hat die

509 Schweizerkolonie Reu.^Helvetia im Verhältniss zu andern Distrikten viel gelitten. Die Trokenheit hat sieh dort noch mehr fühlbar gemacht, und es haben viele Kolonisten den wenig versprechenden Waizen wieder nmgepflügt, um den gleichen Boden zur Pflanzung von Mais zu benuzen, .hoffend, dass ein wohltätiger Regen im Rachsommer ihnen eine reichliche Maisernte verschaffen werde. ..^ber auch hierin täuschten sie sieh, indem die Trokenheit anhielt und der Mais nicht auskeimen konnte.

Glükli.herweise erreichte der Preis des Waizens eine beträchtliche Hohe und beträgt heute .^ 7. 50 bis ^ 8 per ^anega, wodurch das Resultat im Verhältniss zum porigen Jahre, wo das Quantum des Waizens grösser, der Werth desselben aber nur .^ 4 bis 4. 50 per Fanega betrug, un.

^in Wesentliches verbessert wurde.

Der Stand der Kolonie im Allgemeinen ist, wie ich vor wenigen ^agen das Vergnügen hatte, mich personlich zu überzeugen, tro^ der wenig günstigen Ernte, kein schlechter zu nennen, wenn auch die Gemüther durch das geringe Ergebniss augenbliklich etwas gedrükt sind.

Die thätigen Familien schlagen selbst bei wenig guten Ernten den .Le-

^ensunterhalt reichlich heraus und kommen doch langsam vorwärts, da ihr Bestzthum stets an Werth zunimmt, und sie sehen den Zeitpunkt nicht ferne, wo sie ihre Schulden für das Land und ihre theilweise ganz .guten Gebäuliehkeiten bezahlt haben und dann einem wirkliehen Wohlstande entgegengehen. Durch die oben genannte Revolution hat die Kolonie wenig gelitten, obschon die Revolutionspartei den Kolonisten ^egen der in den Jahren 1860...-1865 vorgekommenen Feindseligkeiten wenig hold ist. Die beiden sich feindlich gegenüberstehenden Parteien xespektiren die Kolonie und deren Bewohner, da sie aus Erfahrung wissen, dass dieselben entschlossen und zu dem Zweke organisirt sind, sich mit den Wafsen in der ^and selber Recht zu schassen.

Jm Allgemeinen wirken die unsicheren politischen Zustände drükend auf die Entwiklung der Agrikultur und der Jndnstrie. Die bereits in Angriff genommenen grosseren Unternehmungen liegen nahezu still oder arbeiten so wenig als moglieh, da das Pertrauen gleichzeitig mit der Ohnmacht der Regierung und dem Mangel an jeglieher Autorität im Jnnern des Landes in solchen Zeiten sehwindet.

Jn Tatsachen haben wir in der leztern Zeit verschiedene PerÄnderungen gehabt, und es sind die Kontributionen jeder Art wesentlich erhoht worden.

Seit dem 1. September 1868 wurde der Eingangszol.l um 2^.

...us die évaluation sämmtlicher zollzahlendex Jmportartikel erhoht, und am 1. Oktober 1870 wurden zur Dekung der Zinsen auf eine neu gemachte Anleihe weitere 4^ Gold auf dieselbe Weise dekretirt

Vom 1. Januar 1870 ist die Kontribution direkt aus sämmtlichen Jm^ portartikeln von 3 auf 4^ erhoht.

.^

510 Die Verbindung mit dem Jnnern beschränkt sich auf Bostkurse, die ziemlich regelmässig und bescheidenen Anforderungen entsprechend find.

Es ist eine von der Regierung subventionirte .Privatgesellschaft, die.

jedoch durch die sich so oft wiederholenden Revolutionen häufig um das

Betriebsmittel (die Bferde) gebracht wird, wodurch selbstverständlich Unregelmäßigkeiten entstehen.

Eine grossere Eisenbahnunternehmnng, die durch das Jnnere des .Landes bis an die Grenze von Brasilien gebaut werden soll und für die Zukunft des Landes unstreitig von grosse... Bedeutung ist, wurde fehon vor mehrern Jahren in Angriff genommen^ bis heute ist jedoch nur eine Streke von eirka 6 Meilen dem Betriebe erossnet, und es geht der Weiterbau nur äusserst langsam vor sich. Es liegt nun angenbliklich, um einmal ein solches so dringend notwendiges Kommunikationsmittel zu erhalten, das Brojekt vor, eine Kompagnie vom Staate aus zu subventioniren ; doch ist die Konzession dazu noch nicht gegeben.

Der Jmportzoll soll dann zu diesem Zweke um 2^... Gold erhoht werden.

Das Bankwesen, welches das Geschäft während einigen Jahren vielleicht zu sehr erleichtert hat, musste mit der Zeit, in natürlicher Folge,.

wieder auf den früheren solideren Standpunkt gelangen, uu.^ es kostete grosse Opfer, dies zu erreichen. Während einiger Zeit war das Misstrauen zu den verschiedenen, theilweise auf wenig solider Basis .^egründeten Bankinstituten so gross, dass sämmtliche Emission zur Umweehslung vorgewiesen wurde, was den Sturz mehrerer solcher Jnstitute zur ^olge hatte, wobei Tausende von ärmern Kolonisten ihr.saner verdientes Geld einbüssten.

An Emissionsbanken ex^istiren heute: ...)

b) c) d)

Banco a Londra et Rio .. Ia Plat.^ Banco coniercial.

Banco Navia .^ Cie.

Banco oriental - und ist die erstgenannte in den Augen des Kaufmanns wohl die empsehlenswertheste.

Außerdem hat die .Innta de Credito publico, eine Staatsbank in ihrer .^rt, eine Emission von den verschiedenen gestürzten Banken übernehmen müssen, indem der Staat für deren Emission verantwortlich war. Diese Emission soll jedoeh in bestimmten Terminen naeh und nach ganz eingelost werden. Die Brämie anf Gold beträgt heute 12^... und wird meiner Ansicht nach wohl noch lange nicht unter 10^ .^ehen.

Zinsfuss füx Gold beträgt .^--10^... per Jahr mit doppelten Hinten lagen.

511 Für ..noneda cordent.... oder Papiergeld wird stets ein etwas ho.herer ^ins bezahlt. und derselbe variirt zwischen 1 --11/2^ per Monat.

Angenbliklich ist Gold ziemlich abondant.

Das Versicherungswesen ist wegen Mangels an raschen Kommunikationsmitteln noch sehr mangelhaft und nur in den Städten zu .benuzen, indem die hier etablirten Gesellschaften nur dort VerSicherungen annehmen, wohin man entweder per Steamer oder per Eisenbahn gelangen kann. Jm Jnnern des .Landes ist daher die Verfieherung nicht moglieh.

Einwanderung.

D^ Einwanderung hat in den lezten Jahren nicht in dem Mass...

zugenommen, wie man es vielleicht hätte erwarten können, wozu aueh die unsichern politischen Zustände in diesem Lande beigetragen haben ; auch haben die ankommenden Taglöhner und Handwerker in diesem lezten Jahre manchmal Schwierigkeiten gehabt, sich gut zu plaeiren.

Aus diesem Grunde ist der Berfonentransit zwischen den Rachbarstaaten bedeutender gewesen als je, indem piele Reiselustige ihren Wohnfiz wechselten in der Hoffnung, ..n einem benachbarten Blaze bessere Existenzmittel zu finden. Zu diesen Mitteln können aber nur solche greifen, die bereits einige Zeit hier anfassig gewesen und gearbeitet, also etwas erspart haben . denn einer der grossten Uebelstände der Einwanderer ist, dass dieselben gewohnlieh ohne jegliche Ex.ifienzmittel hier ankommen; fie gerathen daher in den weniger günstigen Zeitpunkten, wo sie nicht sofort Arbeit finden, ost gleich am Tage der .Ankunft in eine höchst missliehe Lage. Mit den Verhältnissen des Landes nicht vertraut, der Landessprache nicht mächtig, gebrauchen sie für den täglichen Unterhalt wenigstens Fr. 4 per Verson, was nach europäischen Ansichten für Auswanderer sehr viel ist. Um ins Jnnere des Landes zu gelangen, bedarf es wenigstens etwas Geld , so wenig es nach hiesigen ...^egriffen auch sein mag, erscheint es einem Einwanderer doch viel zu fein, und ist es auch hier wie an vielen andern Orten, dass die ersten Erfahrungen im Lande mit Geld bezahlt werden müssen.

Es ist dies ein Vunkt, worauf ich unsere .Landsleute speziell aufmerksam machen wollte : sie dürfen sich während der Reise nicht ganz von jegliehen E^istenzmitteln entblossen, was leider sehr viel und besonders bei deutschen und sranzosischen Schweizern vorkommt, so dass sie genothigt find,.

einen Theil der Effekten zu einem Spottpreis zu verkaufen, um fi^ etwas Geld zu verschaffen. Jch habe dieses Uebel schon seit einer Reihe ...on Jahren gefühlt, denn ich habe zur Zeit, als für die hier ansässigen Schweizer noch eine ^ooiete philanthropique suisse bestand, als Kassier derselben so häufig Gaben solcher Art spenden müssen, dass die Gesell-

512 schast sich aufloste, da die ganzen Beiträge für solche Gaben verausgabt und die Unmogliehkeit eingesehen wurde , die Gesellschaft je auf einen grünen Zweig zu bringen.

Seither wurden sur solche Fälle, wo der Bittsteller nicht abgewiesen werden durste, freiwillige Beiträge unter den hier ansässigen Schweizern gesammelt , und es ist stets naeh Kräften gesteuert worden. Es mnssten freilich sehr Viele abgewiesen werden, die dann in Folge dessen unter schweren Entbehrungen die erste Zeit ihres Aufenthaltes in diesen Ländern, wo man sonst keine Armuth kennt, zubringen mussten.

Schweizergesellsehaften ex^istiren hier zwel und zwar: Die .^....c^te de tir suisse, seit zirka 3 Jahren gegründet. Diese Gesellschast hat zirka 30 Mitglieder und übt sich jeden Sonntag bei guter Witterung in einem eigens dazu erbauten Schiessstande etwa drei Meilen pon der Stadt entfernt.

Die .^ociet.^ de se...onrs nintuels, eine erst seit 15 Monaten gegründete Gesellschaft, eigentlich die Fortsezung der oben erwähnten .^ociet....

philanthropique suisse mit veränderten Statuten, das einzige Mittel, um

mit der Zeit einen Fond zu sammeln. Diese Gesellschast zählt jezt

sehon über 100 Mitglieder, meistens Tessiner und seheint emporzukommen, da der grosste Theil der Mitglieder sich in besserer Stellung .befindet, also keiner Hülse bedarf.

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schweiz. Consuls in dessina Hrn. .B. Gonzenbach von St. fallen) über das Jahr 1870.

(Vom 10. März 1871.)

An den hohen schmeiz. Bundesrath.

Lage im Allgemeinen und Handelsgesezgebung.

Das .Jahr 1870 begann unter wenig trostlichen .Aussichten.

Die allgemeine Entmnthignng und die Apathie, welche sich aus den in meinem lezteu Berichte bezeichneten Ursachen der Bevolkernng bemächtigt hatten, fanden in den schonen Ernteaussichten ein nur schwaches Gegengewieht. Glüklicherweise sind diese Hoffnungen zum großen Theile in Erfüllung gegangen. Der Krieg jedoch, der im Monate J..li ausbrach , verscheuchte nenerdings das kaum zurükgekehrte Vertrauen und lastete schwer ans nnsern Provinzen Das gute Ernteergebnis verfehlte nicht, manche Klagen verstummen zu machen, und die heutige Lage der Du.ge ist, obgleich sie noch keineswegs eine befriedigende genannt werden darf, eine günstigere als zu Anfang des Jahres.

Jn meinem lezteu Berichte habe ich erwähnt, dass sich die Regiernng damit beschästige, in das Handelsgesezbuch gewisse Modifikationen einzuführen. Diese Arbeit ist noch nicht beendigt, und der im Monat April in Reapel zusammentretende Eongress unserer Handelskammern wird daraus dringen müssen , dass die den Gegenstand der Erorternng bildenden Fragen znr Entscheidung gelangen. Unter diesen fragen hebe

Bundesblatt Jahrg. XXIll. Bd.lI.

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Bericht des schweizerischen Konsuls in Montevideo (Hrn. Menet von Gais (Appenzell A.

Rh.) über das Jahr 1870. (Vom Februar 1871.)

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1871

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22

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03.06.1871

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