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B Bricht des

schweizerischen Konsuls in Odessa (Hrn. Otto Trithen von St. Stephan, kts. Bern) über das Jahr 1870.

An den hohen schmeiz. Bundesrath.

Tit. l Das Jahr 1870 gehört in die Reihe derjenigen, welche den Haudeisstand durch die sie begleitenden ausserordentlichen Ereignisse zu einer.

fieberhasten Tätigkeit fortreissen, zu einer Thätigkeit, welche die Einen zum Glüke, die Andern ins Verderben führt.

Die Befürchtungen , wozu im Frühjahr die Ernten in Frankreich und England Veranlagung geboten, belebten die Spekulation uud riefen in den hiesigen Getreidepreisen eine fühlbare Hansse hervor , es war sogar Grund vorhanden, an eine noch weitere Breiserhohung zu glauben.

Da aber begauu sieh der politische Horizont zu verdüstern; neue und ernste Besorgnisse erhoben sich . versehwanden jedoch wieder , als man sich aus eine friedliche .Lösung des sranzosisch-dentschen Konflikts Hosf-

nung machen durste. Diese Hossnung ging leider nicht in Ersüllung , der Ausbruch des Krieges erfolgte, Eutmuthigung herrsehte überall und die Realisirnngen waren nur mit bedeutendem Verluste möglich. Jm Verlause des Krieges traten mehrmals Augenblike ein, wo man an einen nahe bevorstehenden Frieden zu glauben berechtigt war. unsere Exporteurs, deren Bereehnungen sich aus den in Frankreich angerichteten Schaden gründeten, nahmen mit erneutem Eifer ihre Verladungen wieder auf, wobei sie znm Voraus eine Breiserhohung auf den französischen Märkten als eine ausgemachte Sache ansahen. Sie haben sieh jedoch in dieser Hofsnung sehreklich getäuscht: entgegen ihren Erwartungen nahm

637 der Krieg seinen Fortgang, Marseille war mit Getreide überfüllt und ausser Stande, die preise zu halten, und die Exporteurs erlitten enorme Verluste.

Von der Tätigkeit, deren Schauplaz unser Hasen gewesen ist, kann man sich durch Vergleichung der Ausfuhr von 1870 mit derjenigen des Vorjahres einen Begriff machen. Während die Getreide - Aus-

fuhr von 1869 nicht mehr als 1,800,000 Tschetwerts betragen hat, ist sie 1870 aus 5,400,000 Tschetwerts, also um das Dreisache, gestiegen. Die übrigen Häfen des schwarzen und des azow'sehen Meeres weisen eine verhältnissmässige Vermehrung der Ausfuhr aus, und es erklärt sich hieraus die Festigkeit, welche der Werth des Rubels behauptet hat, in der That erregte es Verwunderung, dass der Kurs auf Frankreich, welcher im Jahre 1866 , zur Zeit des österreichisch^preussischen Krieges, auf Fr. 2. 75 perRnbel gesunken war, sich während desjenigen von 1870-.-1871 , der dazu noch wegen der orientalischen Frage mit

Komplikationen drohte, zwischen Fr. 3. 10 und Fr. 3. 25 behaupten

konnte. Diess erklärt sich jezt aus dem enormen Export , der eine Masse von sremden .......aioren aus die Hauptborsen des Reiches geltefert hat.

Aus dieser ausserordentlichen Entwikluug des Exportes beruhte nahezu

ausschliesslich der^ Wohlstand Süd-Russlands , welches, durch eine reiche Ernte begünstigt, diese. zu hohen Breisen verwerthen konnte. Ein namhastes Steigen der Güterpreise und der ^aehtzinse, welche sich in einigen Distrikten sogar verdoppelt haben, war die natürliche Folge hiepon.

Den Einfuhrhandel betreffend ist, gegenüber dem Vorjahre , keine besonders erwähnenswerthe Vermehrung ersichtlich , die Gesammtzifser übersteigt diejenige von 186..) nur um ea. 5 Brozent. Der einzige in die Augen fallende Artikel sind die Steinkohlen , von denen im Jahre

1870 ungefähr und 1869 .

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. 10,650,000 Buds . 5,550,000 , ,

also die Hälfte weniger , importirt wurden. Diese Vermehrung er..^ klärt sieh sogleich, wenn wir unsere Aufmerksamkeit der wachsenden Bedeutung unserer ^lussschissfahrt, uuserer Eisenbahnen und industriellen Etablissemente zuwenden. Das Flussgebiet des Don, der sieh in das a^ow^sche Meer ergiesst , befizt reiche Kohlenlager, die bis jezt in sehr uugenügeuder Weise ausgebeutet wurden, bei einer rationellen Behandlung aber zur grossten Bedeutung gelangen und für das .Land zu einer Quelle des Reichthums werden konnten. Auch hat die russische Regierung ihre Bedeutuug recht wohl erkannt und das Flussgebiet des Don in das Hauptnez der Eisenbahnen des Reiches ausgenommen , dessen Ausführung mit unablässiger Energie betrieben wird.

6^ Bereits ist die Verbindung Odessas mit den beiden Hauptstädten des Reiches durch zwei Linien hergestellt; ^ie Linie, welche Odessa über Woloez^sk und Lemberg direkt mit dem Auslande verbinden soll, wird im Lause des Monats Mai dem Verkehre übergeben werden.

Die Vortheile aber, weiche sich die Handelswelt von den Eisenbahnen

versprochen hat . sind bis jezt noch nicht in Erfüllung gegangen : die

Unzulänglichkeit des rollenden Materials , der Mangel an Magazinen behuss Sicherstellung der Waaren gegen die Einflüsse der Witterung, die Unredlichkeit der subalternen Angestellten, die Nachlässigkeit der obern und viele andere Vunkte sind Ursache, dass gar Manche sich jene Zeit zuritkwünschen, wo die Waaren aus von Ochsen gezogeneu Darren transportirt wurden.

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Jn Odessa ist 1870 eine aus Aktien gegründete Handelsbank entstanden: Vorschüsse aus Waaren und Diskontirnng russischer und auslandischer Wechsel bilden den Gegenstand ihrer Operationen. Dieses Etablissement ist für unsern Handelsstand im Allgemeinen bereits von grossem Ruzen gewesen, wenn auch dex Diskonto von .) bis 10 Brozent per Jahr ziemlich hoch gegriffen ist ^ Kapitalisten seontirten sogar

^u 11 und 12 Brozent.

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Bericht des schweizerischen Konsuls in Odessa (Hrn. Otto Trithen von St. Stephan, Kts.

Bern) über das Jahr 1870.

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Jahr

1871

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2

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24

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17.06.1871

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636-638

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