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Bundesratbsbeschluß in

Sachen des Rekurses des Hrn. Joseph torrent, Alt-Nationalrath, in Monthey, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 27. September 1871.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen des Hrn. Joseph T o r r e n t , Alt-Nationalrath, in

Monthey, Kts. Wallis, und Mithasten, betreffend Verfassüngsverlezung in Aachen der Walliser Reskriptionen ; nach angehortem Berichte des Jnstiz- und Bolizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sieh ergeben : l. Jn der Sizung vom 1. Juli 1871 behandelte der Grosse Rath des Kantons Wallis die finanzielle Lage dieses Kantons und dessen Beziehungen zur Kantonalbank. ....ach einer langen Berathung wurde

mit 54 gegen 33 Stimmen folgender Beschlnss gefasst:

t. Les rescriptions signées par le Département des Fmances seront payées sous la réserve d'obtenir des conditions lavorabl es tant pour ce qui concerne le terme des paiements que le taux de l'interêt, con.

dirons qui nons permettront. de nous exécuter.

^. Le paiement se ker.i en bons on créances d'Etat portant intéret et remboursables dans le terme et selon le mode à convenir.

3. Le nantissement donné à la maison H. Ehinger & Comp. de Bale en créances d'Etat est. reconnu.

^

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^.. Les cr.^nciers ne seront ^.avés p.^r l'Etat que sous la con^ ^lnion formelle qu^ls le subrogent empressement dans tons leurs droits contre la Banque po..ir se faire rembourser sur l'act^ dn celle-ci.

.^. ll sera tenu une comptabilité sp.^i.de et. il y aura une admimstratiou se.^aree pour tout ce qui concerne les rapports de l'Etat ave^ la Ba^q.i.e.

H. dieser Beschluss wurde gesasst in Uebereinstimmung mit dem .Antrage der Mehrheit einer zur Vrüsung dieser Angelegenheit niedergesezten Grossrathskommission.

Die Minderheit dieser kommission beantragte die Verwerfung des Antrages, eventuell die Votation des Volkes, allein .auch dieser Antrag

blieb mit 34 gegen 52 stimmen in der Minderheit.

Dagegen sah sich der Staatsrath des Kantons Wallis veranlasst, dem Walliser Volke mittelst Proklamation vom 2..). Juli 187l von jenem Beschlusse und von den Verhältnissen, welche denselben veranlasst haben, Kenutniss zu geben.

lll. Mi.. Eingabe vom 12. Angust 1871 erhob Hr. Alt^ationalrath Joseph T o r r e n t in Monthe... für sich und Ram.ens einer grossen

Anzahl Walliser Bürger .^eine spätere Zuschrift gab deren Zahl auf 8.^3 an^ folgende Beschwerde :

Die Verfassung des Kantons Wallis vom 23. Dezember 1852 bestimme in ^lrt. 29, Zisf. 8 : ^ Le Grand Conseil autorise l'aeqnisition d'immeubles, l'a.ienation ou l^v.^otbèqne des propriétes nationales et les em^r.....nts ^o.^..^ ^ co.^t^ .^.^ l'..^^t. ^ Die Anerkennung der sogenannten Reskriptionen als Schulden des Staates salle jedoeh nieht Bunter diesen Artikel. der erwähnte Besehlnss stehe also im Widerspruch mit der Verfassung des Kantons Wallis und widerstreite auch den Grnndsäzen des Bnndesreehtes.

Der Grosse Rath koune nämli.h nur für R e c h n u n g des S t a a t e s Anleihen koutrahiren. Der ^taat sei aber der Bank den Betrag, für welche die Resl.riptionen ausgestellt worden, nicht schuldig gewesen.

Es haben sich so.nit die Unterzeichner^ der Reskriptionen nur personlieh verpflichten konnen , und der Grosse Rath sei nicht berechtigt ge-^ wesen, diese Schulden Dritter als Schulden des Staates anzuerkennen.

Weder der Vorstand des Finan^departements, noch der Staatsrath des

Kantons Wallis sei znr Ausstellung jener Titel berechtigt gewesen. Es

seien die betressenden Beträge nicht zu Gunsten des Landes verwendet worden, sondern in die Kasse der Bank gefallen. Die fraglichen Titel seien somit gegenüber dem Kantone nichtig. Der Kanton werde dureh dieselben nicht verhastet, vielmehr sei die Bank die alleinige Schuldnerin. Zu einem Beschlösse solcher Art wäre nur das Volk selbst zu^

776 ständig , auf welchem gemäss Art. 1 der Verfassung die Souveränität ruhe..

Die Mehrheit des Grossen Rathes habe freilich erklärt, dass der Danton in der Aktivmassa der Bank zum grössten Theile Dekung finde.

Dies sei aber sehr fraglieh. Uebrigens hätte dieser Umstand aus die Frage der Versassnngsmässigkeit des rekurr.rten Beschlusses keinen Einfluss.

Ferner sei es unrichtig, dass der Grosse Rath den fragliehen Wechsel-

verkehr gekannt und ihn impliziter gebilligt habe. Obwohl die ersten

Restriktionen schon im Jahr 1864 ausgegeben worden seien, so habe dennoch der Grosse Ratl.. und das Volk des Kantons Wailis bis zu Ende des Jahres 1869 von der Ausgabe dieser Titel nichts gewusst, und als durch Zufall dies an den Tag gekommen sei, habe Hr. Allet ein ganzes Jahr lang eine offene Erklärung hierüber zu umgehen gewusst. Unter solchen Umständen könne man wohl nieht ^von einer Anerkennung der unter Amtsmissbrauch gegebenen Unterschristen sprechen.

Uebrigens sei auch der Grosse Rath zu einer solchen Anerkennung nicht zuständig gewesen.

Jn zweiter .Linie sei zu bemerken, dass der rekurrirte Beschluss des Grossen Rathes unabweisbar zu einer Vergrosserung der ossentlichen Lasten und zu einer Erhöhung des Steuersusses führen müsse. Schon gegenwärtig seien alle gesezlichen Finanziellen erschöpft, und man sehe sich nach dem Berichte der Finanzkommission pro 1870 gezwungen , sür die. ordentlichen Ausgaben des Staates neue Einnahmequellen zu

schaffen.

Der Art. 72 der zitirten Staatsversassung bestimme aber . .. Tout.

changement à la base du^ysteu1e actuel dcs finances et tonte e^^ation du taux de l'impot seront soumis a la santon du peuple. ^ Rnn sei allerdings richtig, dass das gegenwärtige Finanzs^stem noeh nicht verändert und der Steuers..ss noeh nicht erhöht worden seien. Allein diese Verfassungsbestimmung wäre ein todter Buchstabe, wenn man behaupten wollte, dass die Sanktion des Volkes nicht auch nothig sei, wo eine Ausgabe geschaffen werde, welche eine Veränderung des Steuersystem.^ und eine Erhohung des Steuerfusses unausweislieh zur ^olge haben müsse.

Endlich falle noeh in Gewicht , dass gemäss Art. 74 der Walliser Verfassung diese auf Verlangen von 6000 Bürgern einer Revision zu unterstellen sei. ^Wenn nun Bürger in noch grösserer Zahl gegen eine unrichtige Jnterpretation der Versassnng auftreten , so dürfen sie nicht abgewiesen werden.

Die Rekurseingabe schloss mit dem Gesuche, es mochte der fragliche Beschluß des Grossen Rathes von Wallis aufgehoben, eventuell erkannt werden, dass derselbe der Abstimmung des Volkes zu unterstellen sei.

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777 IV. Ju ihrer Antwort vom 13. September 1871 trug die Re^

^ierung des .Kantons Wallis auf Abweisung der Beschwerde an.

. Zunächst machte .sie geltend, es sei vollständig irrig, dass der Grosse.

Rath eine Anerkennung der fraglichen Reskriptionen ausgesprochen habe.

Er habe nur, vom Ehrgefühl geleitet, Zahlung derselben versprochen ..tnter bestimmten Bedingungen. Werden diese Bedingungen von den Gläubigern nicht angenommen, so habe der Staatsrath freie Hand, das Anerbieten zurükzuziehen, in welchem Falle der rekurrirte Beschluß dahinfalle. Wenn aber günstige Bedingungen erlangt werden konnen, so habe der St^at Wallis allerdings ^eine neue Schuld von Fr. 2,300,000 ^u übernehmen. Es sei aber nicht zu übersehen, dass der Staat, wie bereits in der Proklamation vom 29. Juli 1871 nachgewiesen worden, .bis aus den Betrag von Fr. 292,697 in der Aktivmassa der Bank Dekung finde. Was die Anerkennung der dem Hause Ehinger und Eomp.

in Basel gemachten ..^fandbesteliung sür Fr. 431,000 betreffe, so sei der Kanton Wallis sür diese Schuld vollständig gedekt.

Was dann die Begründung der Reknrsbeschwerde anbelange, so sei daraus aufmerksam zu machen, dass der von den Rekurrenten angerusene Art. 29 der Verfassung in .Biffer 8 dem Grossen Rathe das Recht einräume, ...Darlehen aufzunehmen, Liegenschasten zu veräussern ..e.

Der Grossi Rath müsse mit demselben Rechte auch befugt sein, Schu.^den anzuerkennen, zumal ^ keine Versassungsbestimmung diese Berechtig a,ung einer andern Autoritat übertrage ^ (..lrt. 29, Zisf. 14 ...er Ver-

fassnng des Kantons Wallis). Dem in Ziffer 8 des Art. 29 der

Verfassung enthaltenen ^lusdruke ^pour le compte de l'Et^ werde ^on den Rekurrenten ein unrichtiger Sinn beigelegt. Dieser Ausdruk habe nur de^n Sinn, dass der Staat durch Ausnahme von Darlehen eine Schuldpflieht eingehen konne. Es werde nun von den Rekurrenten die Haftbarkeit des Staates sür Darlehen bestritten, welche er zwar aufnehme, aber nicht im Jnteresfe der Staatsverwaltung verwende.

Die gute oder üble Verwendung ändere aber nichts an dem Rechte, ein Darlehen abzusehliessen^ oder Schulden anzuerkennen. Uebrigens trete der ^taatsrath hier gar nicht aus die Frage ein, ob der Vorstand des ^inanzdepartementes oder ein anderes Mitglied des Staatsrathes oder diese Behorde selbst reehtskrästig Reseriptionen habe ausgeben und Staatsschuldscheine ausstellen konnen. Die Rekurrenten behandeln die ^rage, ob die Besizer jener Titel sür deren Betrag ans den Staat ^reisen konnen, zu früh als eine abgethane .^aehe.

Die Rekurrenten seien also den Beweis schuldig geblieben, dass in dem rekurrirten Besehlusse eine Verlegung der Grundsäze des kantonalen und eid^enosstsehen Rechtes liege.

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Das Begehren um Volksabstimmung betreffend , sei z^ bemerken, dass die Souveränität des Grossen Rathes durch den Art. 72 der Verfassung nur insoweit beschränkt sei, als ein Beschlnss desselben, welcher eine Veränderung des Steuersystems oder eine Erhohnng d^ Stenersusses besehlage, der Sanktion des Volkes unterstellt sei. Ein solcher Beschluss liege aber nicht vor. Resolutionen, durch welche früher oder später eine Abänderung des Steuergesezes herbeigeführt werden konnte, seien gemäss dem Wortlaute dieses Art. 72 der Sanktion durch das Volk nicht unterworfen. Sobald der in Art. 72 vorgesehene Fall eintrete, werde der Vorsehrist der Verfassung Genüge geleistet werden.

Endlich schreibe der von den Rekurrenten angerufene Art. 74 der Walliser Verfassung allerdings vor, dass ans ein von 6000 ...Bürgern gestelltes Gesuch n.n Revision der Verfassung einzutreten sei, allein derselbe Artikel bestimme auch, ^dass ein solches Gesuch in der vom Geseze vorgeschriebenen Form gestellt werden müsse. Diese For.n sei geregelt i.n Geseze vom 19. Rovember 1850, welches verschiedene Ve.

stimmungen zum Zweke. der Kontrole der Unterschriften enthalte und zu dem Zweke, dass nicht Vorspiegelungen, Tänsehn.^en, Jrrthum und Aehnliches auf die Bürger einwirken konnen. Dieses Gesez sei aber von den Betenten nicht beobachtet worden.

J n Erwägung.

1) Die Frage , ob der ^tand Wallis verpflichtet sei, sür die im Ramen des Staates durch Mitglieder des Staatsrathes ausgestellten Reskriptionen und Staatsschuldscheine ^u hasten, ist ihrer Ratnr nach eine Rechtsfrage, welche , sofern sie zur Entscheidung gebracht werden will, nicht dureh den Bundesrath, sondern dureh die Gerichte ...n entscheiden ist ;

2) die Regierung des Kantons Wallis ist von den ReskriptionsInhabern wirklieh behuss Anerkennung der Sehuldpflieht in mehreren Kantonen vor den Richter geladen uud durch den Geriehtsprästdenten von Beru aueh bereits zur Bezahlung verurtheilt worden ; ^3) wenn bei dieser Sachlage der Grosse Rath von Walli^ sieh

verpflichtet glaubte, sieh mit den Klägern abzufinden, so liegt darin keine Versass..ngs...erlezung, weil ihm. das Recht znsteht, Anleihen zu kontrahiren u..d Veränssernngen zu machen, um den Bedürfnissen des Staates zu genügen ; anch enthält die Versassung keine Bestimmung, wonach der Grosse R..th eine an den Staat gestellte Forderung als S.^uld erst dann anerkennen dürste, .^enn er hiezu durch eine Volksab..

stimmnng ermächtigt worden wäre .

^

^

7.7^

4) es konnte zwar die Frage entstehen, ob die Mitglieder de.^ Staatsrathes sür ihre Handlungsweise dem Lande gegenüber verantwortlich seien . allein diese Frage liegt dermalen nicht vor, und wäre auch nicht durch den^nndesrath zu entscheiden, .

1.

beschlossen: Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluss dem Staatsxathe des Kantons Wallis, .^owie dem Hrn. Joseph Torrent in Monthe^ für sich und zuhanden der übrigen Rekurrenten unter Rüksendung der Akten mittheilen.

B e r n , den 27. September ^1871.

. . . . . .

. . ^ . .

..

.Jm R .. m e n d e s s .h w e i z e r i s eh e n Bundesrathes, Der B u n d e s p r a s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft.

^^.

^nnde^^t. ^^r^. XXIII. Bd. III.

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des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Aushebung der Portofreheit fur die amtlichen .Korrespondenzen.

(Vom 30. Oktober 1871.)

Tit.: Unterm 21. Juli 1871 haben Sie folgendes Postulat gestellt: .,Der Bundesrath wird eingeladen, der Bundesversammlung in ,,der nächsten Zession Bericht und Antrag einzubringen über die Frage ,,wegen Aushebung der Portofreiheit der amtlichen Korrespondenz."

Rach dem Bundesgeseze vom 6. Februar 1862 und der Vollziehungsperordnung des Bundesrathes vom 13. Juni gleichen Jahres erstrekt sich die Bortofreiheit sür die Berechtigten : 1) aus Briefe und Druksachen, 2) aus Rakete ohne Werthangabe bis zum Gewicht von 4 oder zwei Kilogramm ; 3) aus Geldsendungen in Groups oder vermittelst Postmandaten.

Die amtlichen Sendungen dieser verschiedenen Kategorien betrugen im Jahr 1870 6,298,798 Stüke, welche, mit der Gesammtzahl der im Jahre 1870 durch die Postbüreaux behandelten portofreien und portoPflichtigen Sendungen (90,351,000) verglichen, die Thatsaehe ergeben,

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß in Sachen des Rekurses des Hrn. Joseph Torrent, Alt-Nationalrath, in Monthen, betreffend Verfassungsverlezung. (Vom 27. September 1871.)

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1871

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3

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45

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11.11.1871

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774-780

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