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21.076 Botschaft zur Änderung des Gaststaatgesetzes vom 24. November 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, einen Entwurf zur Änderung des Gaststaatgesetzes vom 22. Juni 2007.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. November 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Ausgangslage Die Schweiz hat eine lange Tradition als Gaststaat von internationalen Organisationen und Konferenzen. Das 2008 in Kraft getretene Gaststaatgesetz (GSG) ist ein Instrument der Schweizer Gaststaatpolitik, das dem Bundesrat eine kohärente, transparente und auf die Interessen der Schweiz ausgerichtete Gaststaatpolitik ermöglicht.

Das GSG regelt insbesondere die Gewährung von Vorrechten, Immunitäten und Erleichterungen an internationale Organisationen mit Sitz in der Schweiz. Es muss geändert werden, um der besonderen Situation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) im Bereich der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge Rechnung tragen zu können.

Inhalt der Vorlage Mit dieser Änderung soll die Befugnis des Bundesrates ins GSG aufgenommen werden, dem IKRK das Vorrecht zu gewähren, diejenigen Angestellten, die nicht bei der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung versichert sind, der Gesetzgebung über die berufliche Vorsorge zu unterstellen. Die Vorlage erlaubt es, die spezifischen Bedürfnisse einer wichtigen humanitären Organisation zu berücksichtigen, und steht damit im Einklang mit der Gaststaatpolitik des Bundesrates und der Schweiz.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Gaststaatpolitik

Die Schweiz spielt eine zentrale Rolle als Gaststaat internationaler Organisationen und als Zentrum der globalen Gouvernanz. Die Beherbergung internationaler Organisationen und Konferenzen ist fest in der Tradition der Schweiz verankert und Teil ihrer Identität. Die Schweiz, insbesondere Genf, beherbergt 45 internationale Organisationen sowie die ständigen Missionen von 177 Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) und ist damit der operationelle Mittelpunkt des multilateralen Systems. Dies ist ein grosser Vorteil für die Aussenpolitik der Schweiz und verschafft ihr eine erhöhte Visibilität auf der internationalen Bühne.

Die Gaststaatpolitik ist ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Aussenpolitik.1 Sie trägt dazu bei, die Schweiz attraktiver und wettbewerbsfähiger zu machen und optimale Niederlassungs- und Arbeitsbedingungen für internationale Akteure zu gewährleisten. Die einschlägige Strategie des Bundesrates ist in der Botschaft vom 20. Februar 20192 zu den Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Schweiz als Gaststaat 2020­2023 dargelegt. Das Gaststaatgesetz vom 22. Juni 20073 (GSG) ist ein Instrument der Schweizer Gaststaatpolitik, das dem Bundesrat eine kohärente, transparente und auf die Interessen der Schweiz ausgerichtete Gaststaatpolitik ermöglicht.

Mit ihrer Gaststaatpolitik leistet die Schweiz wesentlich zu reibungslosen internationalen Beziehungen bei.

1.2

Gaststaatgesetz

Das GSG legt den rechtlichen Rahmen und die wichtigsten Instrumente der Gaststaatpolitik fest. Es umfasst sieben Kapitel. Die Änderung betrifft lediglich eine Bestimmung im zweiten Kapitel. Dieses definiert die Begünstigten, den Inhalt, den Geltungsbereich, die Dauer und die Voraussetzungen für die Gewährung von Vorrechten, Immunitäten und Erleichterungen. Die vorliegende Botschaft gibt einen Überblick über die für die Änderung relevanten Artikel. Im Übrigen wird auf die Botschaft vom 13. September 20064 zum Bundesgesetz über die von der Schweiz als Gaststaat gewährten Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen sowie finanziellen Beiträge verwiesen.

1

2 3 4

Vgl. insbesondere Ziel 7.4 der Aussenpolitischen Strategie 2020­2023 des Bundesrates vom 29. Januar 2020, zu finden unter www.eda.admin.ch > EDA > Publikationen > Suchbegriff: Aussenpolitische Strategie 2020­2023.

BBl 2019 2313 SR 192.12 BBl 2006 8017

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Die Begünstigten von Vorrechten, Immunitäten und Erleichterungen werden in Artikel 2 GSG definiert. Absatz 1 legt die Einrichtungen fest, die als institutionelle Begünstigte im Sinne des GSG angesehen werden können. Dazu gehören zum Beispiel die UNO als zwischenstaatliche Organisation, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) als internationale Institution oder die diplomatischen Vertretungen und ständigen Missionen anderer Staaten. Die internationale Praxis und die einschlägigen völkerrechtlichen Übereinkommen sehen Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen nicht nur für das Organ selbst, sondern auch für Personen vor, die in offizieller Tätigkeit für dieses tätig sind. Die begünstigten Personen werden in Absatz 2 GSG definiert und umfassen insbesondere die Mitarbeitenden der institutionellen Begünstigten. Vorrechte und Immunitäten dienen nicht der Bevorzugung von Privatpersonen, sondern der Sicherstellung einer effizienten Erfüllung deren offiziellen Aufgaben.

Die Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen, die gewährt werden können, sind in Artikel 3 GSG aufgeführt. Sie ergeben sich aus dem Völkergewohnheitsrecht und sind in zahlreichen bilateralen und multilateralen internationalen Übereinkommen zu finden. Sie haben vor allem den Zweck, die Unabhängigkeit des institutionellen Begünstigten zu gewährleisten und sicherzustellen, dass der Gaststaat aus der Anwesenheit einer von den Mitgliedstaaten finanzierten internationalen Organisation auf seinem Hoheitsgebiet keine besonderen Vorteile zieht. Beispiele sind etwa die Unverletzbarkeit der Räumlichkeiten, die Immunität von der Gerichtsbarkeit und der Vollstreckung oder die Befreiung vom schweizerischen System der sozialen Sicherheit oder von den schweizerischen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen.

Der persönliche und der sachliche Geltungsbereich sowie die Dauer der Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen sind in Artikel 4 und 5 geregelt. Wie im Völkerrecht üblich sieht das GSG je nach Art der institutionellen Begünstigten und der Funktion der bei ihnen in offizieller Eigenschaft tätigen Personen unterschiedlich weitreichende Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen vor. Es obliegt dem Bundesrat, die Rechtsstellung festzulegen, die er den verschiedenen Begünstigten je nach ihrer Bedeutung für die multilateralen internationalen
Beziehungen gewährt. Dazu berücksichtigt er die Verpflichtungen, die ihm aus dem Völkerrecht erwachsen, sowie die bisher gewährten Vorrechte und Immunitäten.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Vorrechten, Immunitäten und Erleichterungen sind in Artikel 6 bis 15 geregelt. Aus der Tatsache, dass eine Organisation die im GSG festgelegten Voraussetzungen erfüllt, lässt sich aber kein subjektiver Rechtsanspruch auf Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen ableiten. Vorbehalten bleiben die Rechte und Pflichten aufgrund der völkerrechtlichen Verträge, denen die Schweiz beigetreten ist. Gemäss Artikel 26 ist es Sache des Bundesrates, diese den institutionellen Begünstigen zu gewähren. Zu diesem Zweck kann er völkerrechtliche Verträge abschliessen. Bis jetzt hat der Bundesrat mit 45 internationalen Organisationen ein Abkommen über Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen abgeschlossen.5 Darunter ist auch das IKRK.

5

Liste der institutionellen Begünstigten mit Sitz in der Schweiz, mit denen die Schweiz ein Abkommen abgeschlossen hat (Stand: 10. Juni 2021), zu finden unter www.eda.admin.ch > Aussenpolitik > Völkerrecht > Privilegien und Immunitäten > Dokumente.

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1.3

Internationales Komitee vom Roten Kreuz

Das 1863 in Genf gegründete IKRK spielt weltweit eine Schlüsselrolle beim Schutz der Opfer von bewaffneten Konflikten und bei der Umsetzung der Genfer Konventionen.6 Sein humanitärer Auftrag besteht darin, das Leben und die Würde der Opfer von bewaffneten Konflikten zu schützen und menschliches Leid zu lindern. Die Schweiz und das IKRK sind langjährige Partner. Ihr humanitäres Engagement wird von den gleichen Grundsätzen geleitet: Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. Zu den aussenpolitischen Schwerpunkten der Schweiz gehören im Übrigen auch die Achtung, die Stärkung und die Förderung des humanitären Völkerrechts.7 Das IKRK ist ein institutioneller Begünstigter im Sinne des GSG. Das Abkommen vom 19. März 19938 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zur Festlegung der rechtlichen Stellung des Komitees in der Schweiz (IKRK-Sitzabkommen) legt die Vorrechte und Immunitäten der Organisation und der bei ihr in offizieller Funktion tätigen Personen fest. Es wurde im November 2020 erstmals geändert, um die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit des IKRK zu stärken. Das Protokoll zur Änderung des Sitzabkommens mit dem IKRK wurde am 27. November 2020 unterzeichnet, und die Änderungen traten am 1. Januar 2021 in Kraft.9 Die Änderung des Abkommens gewährleistet dem IKRK günstige Bedingungen für die Erfüllung seines internationalen Mandats. Sie trägt vor allem der Entwicklung des IKRK im Bereich Personalstruktur und -management Rechnung.

1.4

Handlungsbedarf und Ziele

Das GSG muss geändert werden, um die besondere Situation des IKRK im Bereich der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge zu berücksichtigen.

Die Befugnis des Bundesrates, im Rahmen des GSG Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen zu gewähren, muss gezielt und restriktiv erweitert werden. Der vorliegende Entwurf schafft die notwendige Rechtsgrundlage für die Kompetenz des Bundesrates, dem IKRK das Vorrecht einzuräumen, in Abweichung von Artikel 5 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 198210 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) diejenigen Angestellten, die nicht bei der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) versichert sind, der Gesetzgebung über die berufliche Vorsorge zu unterstellen. Die Revision dient dazu, den spezifischen Bedürfnissen einer wichtigen humanitären Organisation Rechnung zu tragen. Sie steht im Einklang mit der vom Bundesrat verfolgten Gaststaatpolitik der Schweiz.

6

7 8 9 10

Die vier Genfer Konventionen von 1949, die zwei Zusatzprotokolle von 1977 und das Zusatzprotokoll von 2005 bilden den Kern des humanitären Völkerrechts. Sie bezwecken den Schutz von Personen, die sich nicht oder nicht mehr an Feindseligkeiten beteiligen.

Vgl. insbesondere die Ziele 1.4 und 7.2 der Aussenpolitischen Strategie 2020­2023.

SR 0.192.122.50 AS 2020 5765.

SR 831.40

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1.5

Verhältnis zur Legislaturplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202011 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 202012 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt.

Die Vorlage steht im Einklang mit der in der Botschaft zur Legislaturplanung 2019­ 202313 verankerten Strategie des Bundesrates, der Aussenpolitischen Strategie 2020­ 2023 und der Botschaft zu den Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Schweiz als Gaststaat 2020­2023.

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) nahm 2019 Verhandlungen mit dem IKRK im Hinblick auf eine Änderung des Sitzabkommens von 1993 auf. Es ging darum, wichtigen Entwicklungen Rechnung zu tragen, die beim IKRK in den Bereichen Digitalisierung der Aktivitäten sowie Personalstruktur und -management stattgefunden hatten. In diesem Rahmen wurden mehrere Artikel des Sitzabkommens angepasst, darunter die Bestimmung zur sozialen Sicherheit.

Bei der Anpassung in Bezug auf die soziale Sicherheit ging es hauptsächlich um die Frage, ob die Angestellten des IKRK dem Schweizer Sozialversicherungssystem unterliegen oder davon ausgenommen werden sollen. Bei den Verhandlungen zeigte sich, dass die Situation im Hinblick auf Artikel 5 Absatz 1 BVG geklärt werden musste. In Absprache mit den übrigen zuständigen Departementen wurde in der Folge vorgeschlagen, das GSG geringfügig anzupassen, damit im Sitzabkommen mit dem IKRK eine Abweichung von Artikel 5 Absatz 1 BVG vorgesehen werden kann. Die Änderungen des Sitzabkommens sollten per 1. Januar 2021 in Kraft treten, damit die reibungslose Arbeit des IKRK gewährleistet ist.

Der Bundesrat hiess die Änderung des Sitzabkommens am 18. November 2020 gut.

Gleichzeitig beauftragte er das EDA, einen Entwurf zur Änderung des GSG auszuarbeiten.

Am 31. März 2021 beauftragte der Bundesrat das EDA, eine Vernehmlassung zu dieser Vorlage durchzuführen. Die Vernehmlassung bei den Kantonen, den politischen Parteien, den gesamtschweizerischen Dachverbänden der Gemeinden, Städte und Berggebiete, den gesamtschweizerischen Wirtschaftsverbänden und weiteren interessierten Kreisen dauerte vom 31. März bis zum 7. Juli 2021.14 In der Vernehmlassung gab es keine Einwände gegen die vorgeschlagene Änderung.

Alle Vernehmlassungsadressaten, die Stellung nahmen, befürworten die Vorlage.

11 12 13 14

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385 Vgl. insbesondere Ziff. 7.9 «Internationales Engagement» und Ziel 11.

Die Vernehmlassungsunterlagen sind zu finden unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > EDA.

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Viele von ihnen begrüssten die Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse des IKRK bei der Gaststaatpolitik sogar ausdrücklich.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Es steht jedem Staat frei, unter Vorbehalt der völkerrechtlichen Verpflichtungen seine Gaststaatpolitik festzulegen und den auf seinem Hoheitsgebiet ansässigen internationalen Organisationen Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen zu gewähren. Aufgrund der Besonderheiten der vorliegenden Änderung und des IKRK ist es schwierig, Vergleiche hinsichtlich der Sozialversicherungssysteme zu ziehen, die für andere internationale Organisationen mit Sitz im Ausland gelten.

4

Übersicht über das Schweizer Sozialversicherungssystem und die für institutionelle Begünstigte geltende Regelung

4.1

Schweizer Sozialversicherungssystem

Die Schweiz verfügt über ein Sozialversicherungssystem, das die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, den Schutz vor den Folgen von Krankheit und Unfall, den Erwerbsersatz (EO) für Dienstleistende sowie bei Mutterschaft und Vaterschaft, die Arbeitslosenversicherung (ALV) und die Familienzulagen umfasst. Die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge besteht aus den drei Säulen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, berufliche Vorsorge und Selbstvorsorge (Art. 111 der Bundesverfassung [BV]15). Die drei Säulen der Altersvorsorge bauen aufeinander auf. Die vorliegende Änderung betrifft die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge.

Die 1. Säule ­ die AHV und die Invalidenversicherung (IV) ­ sichert den Grundbedarf und gewährt Leistungen im Falle von Alter, Invalidität oder Tod (Hinterbliebenenleistungen). Sie ist obligatorisch und umfasst bis auf wenige Ausnahmen sowohl die erwerbstätige wie auch die nicht erwerbstätige Bevölkerung. Das Bundesgesetz vom 20. Dezember 194616 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) und das Bundesgesetz vom 19. Juni 195917 über die Invalidenversicherung bilden den rechtlichen Rahmen der 1. Säule. Die 2. Säule ­ die berufliche Vorsorge ­ ergänzt die AHV. Sie soll den älteren Menschen, den Hinterbliebenen und den Invaliden beim Eintreten eines Versicherungsfalles die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise erlauben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die der AHV unterstellt sind und einen Jahreslohn von mehr als 21 510 Franken (Stand 2021) ha-

15 16 17

SR 101 SR 831.10 SR 831.20

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ben, sind obligatorisch bei der 2. Säule versichert. Das BVG regelt die Mindestanforderungen an die Vorsorgeeinrichtungen. Die 3. Säule ­ die private Vorsorge ­ dient dazu, zusätzliche individuelle Bedürfnisse zu decken, und ist freiwillig.

4.2

Befreiung vom Schweizer Sozialversicherungssystem für institutionelle Begünstigte

Die Vorrechte und Immunitäten umfassen gemäss Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe h GSG die Befreiung vom schweizerischen System der sozialen Sicherheit. Institutionelle Begünstigte können sich also aufgrund ihrer Rechtsstellung vom Bundesrat von der Sozialversicherungspflicht befreien lassen. Artikel 19 der Gaststaatverordnung vom 7. Dezember 200718 legt die Pflichten des institutionellen Begünstigten in einem solchen Fall fest.

Im bilateralen Bereich ist die Befreiung von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit im Wiener Übereinkommen vom 18. April 196119 über diplomatische Beziehungen und im Wiener Übereinkommen vom 24. April 196320 über konsularische Beziehungen als Grundsatz festgelegt.

Im multilateralen Bereich schliessen internationale Übereinkommen zur Schaffung einer internationalen Organisation in der Regel für die Organisation und deren Personal jegliche Verpflichtungen aus den Sozialversicherungsbestimmungen des Gaststaats aus. Die internationalen Organisationen richten im Allgemeinen ein eigenes Sozialversicherungssystem ein, um sicherzustellen, dass alle ihre Mitarbeitenden unabhängig von ihrem Einsatzland gleich versichert sind. Auf diese Weise sind sie bei der Definition der sozialen Rechte der internationalen Bediensteten auch nicht von der Gesetzgebung des Gaststaats abhängig.

Die Kriterien und Modalitäten für die Befreiung sind in den Sitzabkommen festgelegt, die der Bundesrat mit den in der Schweiz ansässigen internationalen Organisationen abgeschlossen hat. Die internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz sind als Arbeitgeber so in der Regel nicht den Schweizer Sozialversicherungen, das heisst der AHV, der IV, der EO, der ALV und der beruflichen Vorsorge, unterstellt. Mitarbeitende, die nicht über das Schweizer Bürgerrecht verfügen, unterliegen weder der AHV/IV/EO/ALV noch der beruflichen Vorsorge. Schweizer Mitarbeitende sind nicht obligatorisch in der AHV/IV/EO/ALV und der beruflichen Vorsorge versichert, wenn sie einer Vorsorgeeinrichtung der Organisation angeschlossen sind, bei der sie angestellt sind. Sie können sich jedoch auf freiwilliger Basis der AHV/IV/EO/ALV oder auch nur der ALV anschliessen, wobei ein solcher individueller Beitritt keinen obligatorischen finanziellen Beitrag des Arbeitgebers nach sich zieht.

18 19 20

SR 192.121 SR 0.191.01 SR 0.191.02

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4.3

Besonderheiten der für das IKRK geltenden Sozialversicherungsregelung

Früher arbeiteten hauptsächlich Schweizer Bürgerinnen und Bürger beim IKRK. Aufgrund dieser Besonderheit hatte das IKRK keine Befreiung von der Schweizer Sozialversicherungspflicht beantragt, wie dies bei internationalen Organisationen sonst üblich ist. Das 1993 abgeschlossene Sitzabkommen sah vor, dass sowohl schweizerische als auch ausländische IKRK-Mitarbeitende, die am Sitz der Organisation in der Schweiz tätig waren, dem Schweizer Sozialversicherungssystem unterstellt waren.

Bei einem Auslandeinsatz für das IKRK blieben die Schweizer Mitarbeitenden des IKRK obligatorisch dem Schweizer System unterstellt. Die ausländischen Mitarbeitenden waren durch ein eigenes Vorsorgesystem des IKRK oder gegebenenfalls durch die Bestimmungen eines Sozialversicherungsabkommens abgesichert.

Seither hat sich die Situation verändert, vor allem aufgrund der unterschiedlichen Nationalitäten der Mitarbeitenden und aufgrund von deren regelmässigem Wechsel zwischen Feldeinsatz und Hauptsitz in der Schweiz. Daher entspricht die ursprüngliche Regelung im Sitzabkommen der Personalstruktur und -führung nicht mehr. Die Regelung hatte zur Folge, dass die ausländischen Mitarbeitenden im Laufe ihrer Karriere beim IKRK zahlreichen verschiedenen Versicherungssystemen unterstellt waren, und verursachte grosse Probleme beim Personalmanagement.

Seit der am 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Änderung sieht das Sitzabkommen nun vor, dass die Mitarbeitenden unabhängig von Beschäftigungsort und Staatsangehörigkeit während des gesamten Anstellungsverhältnisses demselben Sozialversicherungssystem angeschlossen bleiben. Mitarbeitende, die vor ihrer Anstellung beim IKRK dem Schweizer Sozialversicherungssystem21 angeschlossen waren, bleiben dies weiterhin. Für sie gilt das IKRK als Arbeitgeber im Sinne von Artikel 1a Absatz 1 Buchstabe c Ziffer 2 AHVG. Mitarbeitende, die vor ihrer Anstellung nicht dem schweizerischen Sozialversicherungssystem angeschlossen waren, werden dem Vorsorgesystem des IKRK unterstellt. Diese Regelung gewährleistet die Kontinuität und die Kohärenz des Sozialversicherungssystems während der ganzen Laufbahn beim IKRK.

Es gilt zu beachten, dass die Beitrittsbedingungen der Mitarbeitenden letzteren keinen Anspruch auf freie Wahl des Rentensystems geben.

Was die 2. Säule betrifft, ist das Personal bei der Pensionskasse
des IKRK versichert.

Diese Kasse ist eine den Bestimmungen des BVG unterstellte Vorsorgeeinrichtung.

Sie ist gemäss Artikel 48 BVG bei der Aufsichtsbehörde des Kantons Genf im Register für die berufliche Vorsorge eingetragen. Nach gängiger Praxis versichert das IKRK alle seine Mitarbeitenden bei dieser Kasse, unabhängig davon, ob sie bei der AHV versichert sind oder nicht. Gemäss Artikel 5 Absatz 1 BVG sind jedoch nur die bei der AHV versicherten Personen dem BVG unterstellt. Die Aufnahme der nicht bei der AHV versicherten Angestellten in die Pensionskasse des IKRK stellt somit eine Ausnahme vom genannten Artikel dar. Das Sitzabkommen sieht in seiner Fassung vom 27. November 2020 vor, dass Mitarbeitende, die nicht dem Schweizer Sozialversicherungssystem (AHV/IV/EO/ALV) angeschlossen sind, in Abweichung von Artikel 5

21

Dieses umfasst AHV/IV/EO/ALV und die berufliche Vorsorge.

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Absatz 1 BVG der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge unterliegen und bei der Pensionskasse des IKRK versichert sind. Diese Ausnahmeregelung erfordert daher eine Änderung des GSG.

5

Grundzüge der Vorlage

5.1

Die beantragte Neuregelung

Mit der vorliegenden Änderung soll die aussergewöhnliche Situation des IKRK in Bezug auf das System der sozialen Sicherheit bzw. die 2. Säule in das GSG aufgenommen werden. Ziel ist es, eine ausdrücklich auf das IKRK beschränkte Sonderregelung im Bereich der beruflichen Vorsorge einzuführen. Die Ausnahmeregelung bezieht sich nur auf die in Artikel 5 Absatz 1 BVG aufgeführte Voraussetzung für eine Unterstellung unter die Gesetzgebung der beruflichen Vorsorge. IKRK-Angestellte, die nicht bei der AHV versichert sind, sollen der Gesetzgebung über die berufliche Vorsorge unterstellt und bei der Pensionskasse des IKRK versichert werden können.

Sie ist auf die besondere Situation des IKRK, seine sehr starke, historisch bedingte Beziehung zur Schweiz und das ungewöhnliche System der nur teilweisen Unterstellung des IKRK unter die Schweizer Sozialversicherungen zurückzuführen.

5.2

Umsetzungsfragen

Für die beantragte Änderung ist keine Präzisierung auf Verordnungsstufe notwendig.

Die neue Sozialversicherungsregelung für das IKRK ist im Sitzabkommen festgelegt.

6

Erläuterungen zum Artikel

Art. 3 Abs. 1bis Mit dem neuen Absatz kann der Bundesrat dem IKRK das Privileg einräumen, diejenigen Angestellten, die nicht bei der AHV versichert sind, in Abweichung von Artikel 5 Absatz 1 BVG der Gesetzgebung über die berufliche Vorsorge zu unterstellen.

Bei den übrigen Versicherungsbedingungen des BVG ist keine Abweichung möglich.

7

Auswirkungen

7.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage hat weder finanzielle noch personelle Auswirkungen auf den Bund. Eine Regulierungsfolgenabschätzung ist nicht notwendig.

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7.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete.

7.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.

8

Rechtliche Aspekte

8.1

Verfassungsmässigkeit

Der Entwurf zur Änderung des GSG stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, der dem Bund die allgemeine Kompetenz für die auswärtigen Angelegenheiten zuweist.

8.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

8.3

Erlassform

Die Vorlage enthält eine rechtsetzende Bestimmung, die gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen ist.

8.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse unterstellt (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV).

8.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Gemäss Artikel 7a Absatz 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199722 kann der Bundesrat völkerrechtliche Verträge selbständig abschliessen, ändern oder kündigen, soweit er durch ein Bundesgesetz dazu ermächtigt 22

SR 172.010

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ist. Artikel 26 Absatz 2 Buchstabe a GSG enthält eine solche Delegationsnorm, die es dem Bundesrat erlaubt, völkerrechtliche Verträge über die Gewährung von Vorrechten, Immunitäten und Erleichterungen abzuschliessen, deren Inhalt in Artikel 3 GSG definiert ist. Mit der beantragten Änderung soll die Befugnis des Bundesrates gezielt und restriktiv erweitert werden, so dass er dem IKRK eine spezifische Ausnahmeregelung bei der beruflichen Vorsorge gewähren kann. Die Kompetenzdelegation ist gerechtfertigt, da sie es dem Bundesrat ermöglicht, eine kohärente und wirksame Gaststaatpolitik zu verfolgen.

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