BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.067 Botschaft zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung) vom 10. November 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, als indirekten Gegenvorschlag eine Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

10. November 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Die Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» verlangt die Einführung einer Kostenbremse in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Der Bundesrat anerkennt das Anliegen der Kostendämpfung, lehnt die Initiative aber ab, weil die verlangte ausschliessliche Koppelung der Massnahmen an die Wirtschafts- und Lohnentwicklung zu kurz greift. Er stellt der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber: Der Bundesrat und die Kantone sollen ausgehend vom medizinischen Bedarf einen Prozentsatz für den maximalen Anstieg der Kosten der OKP im Vergleich zum Vorjahr festlegen (Kostenziel). Werden die Kostenziele nicht eingehalten, prüfen die Kantone und der Bundesrat, ob Massnahmen zur Korrektur von Fehlentwicklungen notwendig sind. Das bestehende Instrumentarium dafür wird gezielt ergänzt.

Inhalt der Initiative Die eidgenössische Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» wurde am 10. März 2020 von der CVP (heute: Die Mitte) eingereicht. Die Initiative möchte Artikel 117 der Bundesverfassung so ergänzen, dass der Bundesrat eine Kostenbremse in der OKP einführt und in Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Krankenversicherern und den Leistungserbringern dafür sorgt, dass sich die Kosten der OKP entsprechend der schweizerischen Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löhnen entwickeln.

Vor- und Nachteile der Initiative Das Anliegen der Initiative, das Kostenwachstum in der OKP und die Belastung der Prämienzahlerinnen und -zahler zu reduzieren, ist berechtigt. Zwischen 1996 und 2018 sind die Bruttokosten zulasten der OKP um durchschnittlich 4 Prozent pro Jahr von 12 auf 32 Milliarden Franken angestiegen. Die von der Initiative verlangte ausschliessliche Koppelung der Kosten der OKP an die Entwicklung der Gesamtwirtschaft und der Löhne greift allerdings zu kurz. Das medizinisch gerechtfertigte Kostenwachstum kann das Wirtschafts- und Lohnwachstum übersteigen, etwa aus demografischen Gründen. Wird dies nicht berücksichtigt, kann es zu Rationierungen und einer Zweiklassenmedizin kommen. Die Ziele der Initiative lassen sich zudem grundsätzlich auch mit Anpassungen auf Gesetzesstufe erreichen.

Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten, die
Initiative abzulehnen, legt aber mit dem Vorschlag zur Einführung einer Zielvorgabe einen indirekten Gegenvorschlag vor. Dessen Ziel ist es, die Transparenz in Bezug auf das medizinisch gerechtfertigte Wachstum der Kosten der OKP zu stärken und auf diese Weise den Anstieg der von den Versicherten bezahlten Prämien zu begrenzen.

Vorgesehen ist die Einführung einer Zielvorgabe für das maximale Kostenwachstum in der OKP. Der Bundesrat und anschliessend die einzelnen Kantone sollen ausgehend vom medizinischen Bedarf einen Prozentsatz für die maximale Entwicklung der 2 / 52

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Kosten der OKP im Vergleich zum Vorjahr festlegen (Kostenziel). Für gewisse Kostenblöcke soll allein der Bundesrat für die Festlegung der Kostenziele zuständig sein.

Dies betrifft namentlich Arzneimittel, Analysen sowie Mittel und Gegenstände.

Liegen die effektiven Kostensteigerungen eines Kostenblocks in einem Jahr über den vom Kanton oder vom Bundesrat für diesen Kostenblock festgelegten Kostenzielen, so prüfen die Kantonsregierung und der Bundesrat in den Bereichen in ihrer jeweiligen Zuständigkeit, ob Massnahmen zur Korrektur von Fehlentwicklungen notwendig sind.

Die notwendigen Instrumente dafür sind grösstenteils bereits vorhanden (Zulassung von Leistungserbringern, Genehmigung von Tarifverträgen, subsidiäre Anpassungen von nicht mehr sachgerechten Tarifstrukturen). Einzelne bestehende Lücken sollen gezielt geschlossen werden. Der Bundesrat soll auch bei Tarifstrukturen für die stationäre Behandlung subsidiär Anpassungen vornehmen können. Falls Tarifverträge, welche die Höhe der Vergütung regeln, die Anforderungen des Gesetzes an ihre Genehmigung, namentlich die Wirtschaftlichkeit, nicht mehr erfüllen und die Tarifpartner diese Verträge nicht von sich aus anpassen oder kündigen, soll die zuständige Behörde zudem neu die Möglichkeit haben, die Verträge zur Neuaushandlung an die Tarifpartner zurückzuweisen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

6 6 6 7

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 Zunehmende Belastung der Schweizer Bevölkerung durch steigende Gesundheitskosten 2.2 Aktuelle gesetzliche Grundlagen 2.3 Laufende Gesetzesänderungen

7 7 9 10

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Ziele und Inhalt der Initiative

11

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Würdigung der Initiative

11

5

Schlussfolgerungen

13

6

Indirekter Gegenvorschlag 6.1 Vorverfahren, insbes. Vernehmlassungsverfahren 6.1.1 Kostendämpfungsprogramm des Bundesrates 6.1.2 Vernehmlassungsvorlage Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2 6.1.3 Vorgabe von Kostenzielen als indirekter Gegenvorschlag 6.2 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht 6.3 Grundzüge der Vorlage 6.3.1 Die beantragte Neuregelung 6.3.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 6.3.3 Umsetzungsfragen 6.4 Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen 6.5 Auswirkungen 6.5.1 Auswirkungen auf den Bund 6.5.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.5.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.5.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.6 Rechtliche Aspekte 6.6.1 Verfassungsmässigkeit 6.6.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.6.3 Erlassform 6.6.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 6.6.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

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6.6.6 6.6.7

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen Datenschutz

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Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» (Entwurf) BBl 2021 2820 Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Vorgabe von Kostenzielen) (Entwurf)

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 117 Abs. 3 und 4 Er [der Bund] regelt in Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Krankenversicherern und den Leistungserbringern die Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung so, dass sich mit wirksamen Anreizen die Kosten entsprechend der schweizerischen Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löhnen entwickeln. Er führt dazu eine Kostenbremse ein.

3

4

Das Gesetz regelt die Einzelheiten.

Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmung zu Art. 117 Abs. 3 und 4 (Kranken- und Unfallversicherung) Liegt die Steigerung der durchschnittlichen Kosten je versicherte Person und Jahr in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zwei Jahre nach Annahme von Artikel 117 Absätze 3 und 4 durch Volk und Stände mehr als ein Fünftel über der Entwicklung der Nominallöhne und haben die Krankenversicherer und die Leistungserbringer (Tarifpartner) bis zu diesem Zeitpunkt keine verbindlichen Massnahmen zur Kostendämpfung festgelegt, so ergreift der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen Massnahmen zur Kostensenkung, die ab dem nachfolgenden Jahr wirksam werden.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» wurde am 2. Oktober 2018 von der Bundeskanzlei vorgeprüft3 und am 10. März 2020 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

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SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

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Mit Verfügung vom 2. Juni 2020 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 103 761 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.4 Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu einen indirekten Gegenvorschlag. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) und in Anbetracht der Verordnung vom 20. März 20206 über den Fristenstillstand bei eidgenössischen Volksbegehren hat der Bundesrat der Bundesversammlung somit spätestens bis zum 21. November 2021 den Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 21. November 2022 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen, es sei denn, ein Rat fasst über einen Gegenentwurf oder über einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf Beschluss. In diesem Fall kann die Bundesversammlung die Behandlungsfrist um ein Jahr verlängern (Art. 105 Abs. 1 ParlG).

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV): a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Zunehmende Belastung der Schweizer Bevölkerung durch steigende Gesundheitskosten

Das Gesundheitswesen weist verschiedene Besonderheiten auf. Es besitzt komplexe Strukturen und bietet eine Vielfalt an schwer standardisierbaren Gesundheitsleistungen. Aufgrund der erwünschten Versicherungsdeckung sowie des ungleichen Wissensstands von Leistungserbringern und Patientinnen und Patienten besteht ein Anreiz zur Mengenausweitung. Diese Umstände begünstigen unter anderem eine anbieterinduzierte Nachfrage über das medizinisch notwendige Niveau hinaus, der mit dem bestehenden Instrumentarium nur unzureichend entgegengewirkt wird. Als Folge steigen die Kosten im Gesundheitswesen nicht nur wegen des demografischen Wandels

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und des medizinisch-technischen Fortschritts, sondern auch wegen einer medizinisch nicht begründbaren Mengenzunahme stetig an.

Eine Studie7 im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigt, dass im schweizerischen Gesundheitswesen in fast allen Leistungsbereichen ein noch nicht ausgeschöpftes Effizienzpotenzial besteht. Über alle Leistungen hinweg, die nach dem Bundesgesetz vom 18. März 19948 über die Krankenversicherung (KVG) übernommen werden müssen (KVG-pflichtige Leistungen), liegt das Effizienzpotenzial laut Studie zwischen 16 und 19 Prozent und ist damit beträchtlich. Neben der (angebots- und nachfrageseitigen) Mengenausweitung tragen vor allem produktive Ineffizienzen sowie zu hohe Tarife und Preise für medizinische Leistungen und Produkte dazu bei, dass die Effizienz beträchtlich verbessert werden könnte.

Zwischen 1996, als das KVG in Kraft trat, und 2018 sind die Bruttokosten zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) von 12 auf 32 Milliarden Franken angestiegen.9 Damit haben sie sich innert 20 Jahren beinahe verdreifacht. Die OKP musste folglich jedes Jahr pro versicherte Person durchschnittlich vier Prozent mehr für die Vergütung von medizinischen Leistungen und Produkten ausgeben.

Auffallend ist zudem, dass die Kosten der OKP im Vergleich zur Kostenentwicklung im gesamten Gesundheitswesen überproportional angestiegen sind. Nahmen die Gesamtausgaben zwischen 2005 und 2018 von 52,4 auf 81,9 Milliarden Franken oder um rund 56 Prozent zu, so war bei den Ausgaben für die OKP im gleichen Zeitraum ein Anstieg von 60 Prozent von 20,3 auf 32,5 Milliarden Franken zu verzeichnen.

Knapp 80 Prozent der OKP-Bruttoleistungen entfallen zudem auf die vier grössten Kostenblöcke («Spital stationär» [20,3 %], «Arztbehandlungen ambulant» [23 %], «Arzneimittel» [18,1 %] und «Spital ambulant» [17,1 %]). Dieser Prozentsatz hat sich über die Jahre hinweg kaum verändert, obwohl die OKP-Kosten kontinuierlich und je nach Kostenblock unterschiedlich stark zugenommen haben. Grosse Kostenanstiege wurden seit 2005 auch in den Bereichen der ambulanten Spital- und Arztbehandlungen (+ 109 % bzw. + 65 %) sowie in den Bereichen Krankenpflege und Hilfe zu Hause (Spitex), Labor, Physiotherapie und Mittel und Gegenstände verzeichnet (insgesamt + 132 %).Im Jahr 2018 konnte der Kostenanstieg in der OKP dank kostendämpfenden Massnahmen etwas gebremst werden (nur + 230 Mio. Fr. bzw.

+ 0,7 %).10

7

8 9

10

Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie ZHAW und INFRAS (2019): Effizienzpotenzial bei den KVG-pflichtigen Leistungen, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Laufende Revisionsprojekte > KVG-Änderung: Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2.

SR 832.10 Vgl. Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2018, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Zahlen und Statistiken > Krankenversicherung: Statistiken > Statistik der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.

Nur Prämiengelder und Kostenbeteiligung der Versicherten, ohne die staatlichen Beiträge für OKP-pflichtige Leistungen (wie die kantonalen Anteile zur Abgeltung stationärer Leistungen).

Vgl. Bundesamt für Statistik: Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens 2018 (provisorische Daten), abrufbar unter: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Gesundheit > Kosten, Finanzierung.

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Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) sind in der Schweiz die Gesundheitsausgaben 11,9 Prozent im internationalen Vergleich sehr hoch; der Schnitt der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt bei 8,8 Prozent des BIP.11 Zudem fällt auf, dass der Anteil der Selbstzahlungen der privaten Haushalte an den Gesamtausgaben in der Schweiz (2018 ca. 81,9 Mia. Fr.)

am grössten ist. 2018 betrugen die Selbstzahlungen 27,3 Prozent oder 22,4 Milliarden Franken. Zusammen mit den Ausgaben für die OKP über die Krankenversicherungsprämien und für andere Privatversicherungen tragen die Privathaushalte über 70 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben.12 Die hohen Krankenversicherungsprämien stellen für viele Menschen eine spürbare finanzielle Belastung dar und werden von der schweizerischen Bevölkerung als eine der Hauptsorgen genannt. In der repräsentativen Umfrage des Sorgenbarometers im 2019 nannten 41 Prozent der befragten stimmberechtigten Personen Gesundheitswesen und Krankenkassen als einen der fünf Themenbereiche, bei denen sie in der Schweiz den grössten Problemdruck sehen. In der aktuellen, eher nicht repräsentativen Pandemiesituation reduzierte sich der Wert auf 28 Prozent.

Um das Gesundheitssystem finanzierbar zu halten, müssen deshalb tiefergreifende kostendämpfende und effizienzsteigernde Massnahmen ergriffen werden. Ziel muss sein, einerseits die finanzielle Belastung durch die Krankenversicherungsprämien erträglich und möglichst nahe am Effekt der Demografie, des technischen Fortschritts und der Lohn- und Preisentwicklung zu halten und andererseits die hohe Qualität der medizinischen Versorgung und den Zugang der Bevölkerung zu dieser Versorgung sicherzustellen.

2.2

Aktuelle gesetzliche Grundlagen

Artikel 117 BV gibt dem Bund bereits heute eine umfassende Kompetenz zur Regelung der OKP. Auch eine Steuerung der Kosten, wie sie von der Initiative verlangt wird, kann somit grundsätzlich im Gesetz vorgesehen werden. Im stationären Spitalbereich setzen mehrere Kantone Steuerungsinstrumente ein. Hierbei handelt es sich zum einen um Globalbudgets nach Artikel 51 KVG. Dieser Artikel räumt den Kantonen die Möglichkeit ein, einen Gesamtbetrag für die Finanzierung der Spitäler oder der Pflegeheime festzusetzen. Vor der Festsetzung müssen die Leistungserbringer und die Versicherer angehört werden. Weitere relevante Instrumente mit steuernder Wirkung sind direkte Mengenbeschränkungen und eine degressive Vergütung im stationären Spitalbereich. Gemäss der föderalen Kompetenzordnung im Gesundheitswesen sind die Kantone für die Spitalplanung (Art. 39 KVG) zuständig. Sie können die Erteilung von Leistungsaufträgen mit Mengenbeschränkungen verbinden. Die Festlegung eines Gesamtbetrags nach Artikel 51 KVG ergänzt diese Kompetenz. Globalbudgets im spitalstationären Bereich stellen auch unter der neuen Spitalfinanzierung ein ergänzendes Instrument zur leistungsbezogenen Vergütung durch Pauschalen dar, 11 12

Vgl. OECD (2018): OECD.stat. abrufbar unter: http://stats.oecd.org.

Vgl. Bundesamt für Statistik: Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens 2018 (provisorische Daten), 2017, abrufbar unter: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Gesundheit > Kosten, Finanzierung.

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die in der Akutsomatik seit 2012 (SwissDRG) und in der Psychiatrie seit 2018 (TARPSY) umgesetzt wird. Ausser der leistungsbezogenen Vergütung mittels Pauschalen sind mit der KVG-Revision im Bereich der Spitalfinanzierung seit 2009 schrittweise eine Reihe weiterer Massnahmen in Kraft getreten, mit denen das Kostenwachstum im stationären Spitalbereich gebremst werden soll. In ihrer jetzigen Ausgestaltung begrenzen Globalbudgets sowie äquivalente Instrumente im spitalstationären Bereich die kantonale Finanzierung KVG-pflichtiger Leistungen, nicht jedoch die Finanzierung dieser Leistungen durch die Krankenversicherer. Die OKP ist damit der einzige grosse Bereich der sozialen Sicherheit in der Schweiz, der über keine Ausgabenregel verfügt.13 Diese Situation war entscheidend für die Lancierung der Initiative.

2.3

Laufende Gesetzesänderungen

Der Bundesrat hat am 21. August 201914 die Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1) verabschiedet. Grundsätzlich besteht ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem Konzept Kostenziele und den in der Gesetzesvorlage vorgeschlagenen Massnahmen zur Steuerung der Kosten. Die Leistungserbringer oder deren Verbände und die Versicherer oder deren Verbände (Tarifpartner) werden gesetzlich verpflichtet, in den Bereichen, in denen sie die Tarife und Preise nach Artikel 43 Absatz 4 KVG vereinbaren müssen, einen Vertrag mit Massnahmen zur Steuerung der Kosten zu vereinbaren und vom Bundesrat genehmigen zu lassen. Die Tarifpartner sollen weitgehend frei sein in der Festlegung des Steuerungsmechanismus. Sie könnten somit auch Anpassungen in der Tarifstruktur, bei den Basispreisen oder den Taxpunktwerten oder auch eine Kombination von Rückvergütung und Tarifanpassung vorsehen. Anpassungen in einer Tarifstruktur mit gesamtschweizerischem Geltungsbereich müssten aber dem Bundesrat zur Genehmigung unterbreitet werden. Sieht der Steuerungsmechanismus Anpassungen der kantonalen Tarife vor, so sind die entsprechenden Regeln auch in die kantonalen Tarifverträge aufzunehmen. Diese müssten dann ­ entsprechend der bereits bestehenden gesetzlichen Vorgabe ­ der zuständigen Kantonsregierung zur Genehmigung unterbreitet werden.

Falls innerhalb von zwei Jahren keine Einigung erzielt wird, legt der Bundesrat die Massnahmen fest. Die Leistungserbringer und die Versicherer geben dem Bundesrat auf Verlangen die Informationen bekannt, die für die Festlegung der Massnahmen erforderlich sind. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) als zuständiges Departement Sanktionen aussprechen.

Der Bundesrat kann die Bereiche, in denen Massnahmen vereinbart werden müssen, einschränken. Mit den Massnahmen zur Steuerung der Kosten werden die Akteure

13

14

Vgl. Brändle, T., Colombier, C., Baur, M. und Gaillard, S. (2018): Zielvorgaben für das Wachstum der Gesundheitsausgaben: Ausgewählte Erfahrungen und Erkenntnisse für die Schweiz. Working Paper Nr. 22 der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Bern, abrufbar unter: www.efv.admin.ch Themen > Publikationen > Ökonomische Grundlagenarbeiten > Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen.

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rasch in die Pflicht genommen, wirksame Instrumente zu ergreifen. Die von den Tarifpartnern vereinbarten Massnahmen zur Steuerung der Kosten in gesamtschweizerischen Verträgen könnten auch dazu dienen, allfällige Kostenziele zu erreichen.

Das Paket wurde vom Parlament in die zwei Pakete 1a und 1b aufgeteilt. Das Paket 1a wurde am 18. Juni 2021 vom Parlament verabschiedet.15 Die erwähnten Massnahmen zur Steuerung der Kosten sind Teil des Pakets 1b und stehen somit noch in der parlamentarischen Beratung.16

3

Ziele und Inhalt der Initiative

Gemäss der Initiative soll eine Kostenbremse im Gesundheitswesen eingeführt werden, um bestehende Ineffizienzen und Fehlanreize zu reduzieren. Dadurch sollen unnötige Kosten vermieden, das Kostenwachstum gebremst sowie der stetige Prämienanstieg gestoppt werden, dies mit dem Ziel, die Prämienzahlerinnen und -zahler finanziell zu entlasten. Nach Ansicht des Initiativkomitees könnten jährlich mehrere Milliarden Franken an Gesundheitskosten eingespart werden, ohne dass es zu Qualitätsverlusten kommen würde.

Dazu sieht der Initiativtext vor, Artikel 117 BV so zu ergänzen, dass der Bundesrat eine Kostenbremse in der OKP einführt. In Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Krankenversicherern und den Leistungserbringern soll der Bundesrat die Kostenübernahme durch die OKP regeln. Er soll wirksame Anreize zur Kostenreduktion setzen, sodass sich das Kostenwachstum im Gesundheitswesen entsprechend der schweizerischen Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löhnen entwickelt. Die Tarifpartner sind aufgefordert, die Vertragsautonomie des KVG zu nutzen und sowohl die Tarife zeitgemäss zu gestalten als auch verbindliche Massnahmen zur Kostendämpfung zu vereinbaren. Gelingt ihnen dies nicht und wachsen die Kosten pro versicherte Person zwei Jahre nach Annahme der Initiative um einen Fünftel17 über der Nominallohnentwicklung, sieht eine Übergangsbestimmung vor, dass Bund und Kantone für das nachfolgende Jahr wirksame Kostenbegrenzungsmassnahmen beschliessen sollen.

Die genaue Ausgestaltung der Kostenbremse sowie der von Bund und Kantonen zu ergreifenden Massnahmen zur Kostensenkung wird im Initiativtext nicht näher ausgeführt. Die Einzelheiten sind im Gesetz zu regeln. Es ist davon auszugehen, dass im Falle einer Annahme der Initiative das KVG entsprechend den Erfordernissen der vorgesehenen Übergangsbestimmung angepasst werden müsste.

4

Würdigung der Initiative

Die Initiative wurde vor dem Hintergrund des starken Kostenanstiegs im Gesundheitswesen, insbesondere der durchschnittlichen Prämien für die OKP, lanciert. Die Kosten sind seit Einführung des KVG weit stärker gestiegen als Löhne, Preise oder das BIP.

15 16 17

BBl 2021 1496 Geschäftsnummer 19.046 Faktor 1,2; zum Vergleich: Die Prämiensteigerung zwischen 1996 und 2018 lag um den Faktor 1,93 oberhalb der Lohnentwicklung.

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Die Initiative nimmt ein wichtiges Anliegen der Schweizer Bevölkerung auf. Der starke Kostenanstieg belastet private Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen sowie die Budgets von Kantonen und Bund. Mit der bundesrätlichen Strategie «Gesundheit2020» von 2013, deren Nachfolgestrategie «Gesundheit2030» von 2019 und den Legislaturzielen erklärte der Bundesrat eine finanziell tragbare Gesundheitsversorgung zu einem seiner Hauptziele. Um dieses zu erreichen, müssen die Kostendämpfungsmassnahmen in allen grossen Kostenblöcken und ­ aufgrund der Kompetenzaufteilung im Schweizer Gesundheitswesen ­ auf allen Ebenen und bei allen Akteuren ansetzen. Im Rahmen der Strategie «Gesundheit2020» hatte der Bundesrat bereits mehrere Ziele und Massnahmen definiert, welche die Gesundheitskosten um einige hundert Millionen Franken pro Jahr senken konnten. Auch in den kommenden Jahren ist mit weiteren spürbaren Einsparungen zu rechnen.

Zur Verstärkung der Massnahmen setzte das EDI eine Expertengruppe ein, um nationale und internationale Erfahrungen auszuwerten. Im Vordergrund stand dabei, die medizinisch nicht begründbare Mengenausweitung zu reduzieren. Die Expertengruppe erhielt den Auftrag, internationale Erfahrungen mit Instrumenten der Mengensteuerung zu analysieren und spezifische Massnahmen für die Schweiz vorzuschlagen.

Der entsprechende Expertenbericht vom 24. August 201718 «Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» schlägt im Interesse der Steuer- und Prämienzahlerinnen und -zahler zahlreiche Massnahmen vor, mit denen das vorhandene Effizienzpotenzial ausgeschöpft und das Kostenwachstum gebremst werden sollen. Insbesondere die von diesem Expertenbericht neben anderen Massnahmen vorgeschlagene Massnahme «M01 Zielvorgabe» (vgl.

Ziff. 6.1.1) weist in der Stossrichtung Gemeinsamkeiten mit der Volksinitiative auf.

Am 28. März 2018 verabschiedete der Bundesrat ein auf dem Expertenbericht basierendes Kostendämpfungsprogramm: Am 18. Juni 2019 hat der Bundesrat zuhanden der eidgenössischen Räte ein erstes Rechtsetzungspaket (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1) verabschiedet.19 Am 8. März 2019 hat der Bundesrat das EDI zudem beauftragt, im Rahmen des zweiten Pakets eine Vorlage zur Einführung einer Zielvorgabe für die Kostenentwicklung in der OKP auszuarbeiten.
Die von der Initiative vorgesehene ausschliessliche Koppelung an die Entwicklung der Gesamtwirtschaft und einen Lohnindex greift allerdings zu kurz. Neben dem Lohn des Gesundheitspersonals wird die Kostenentwicklung durch eine Reihe von weiteren nicht angebotsinduzierten Faktoren bestimmt. Wichtige Faktoren wie die Demografie und der technisch-medizinische Fortschritt werden nicht berücksichtigt. Die medizinisch und wirtschaftlich gerechtfertigten Kosten können somit durchaus auch stärker wachsen als die Löhne und die Preise, und zwar einerseits in einer Rezession, aber angesichts des demografischen Wandels auch über einen längeren Zeitraum hinweg.

Bei einer Annahme der Initiative wäre somit zwar je nach Umsetzung einerseits eine starke Eindämmung der Kostenentwicklung zu erwarten. Andererseits könnte das zu-

18 19

Der Expertenbericht ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Kostendämpfung > Dokumente.

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gelassene Prämienwachstum aber deutlich unterhalb des medizinisch und wirtschaftlich gerechtfertigten Kostenanstiegs liegen. Zu Beginn bliebe dies angesichts des vorhandenen Effizienzpotenzials möglicherweise noch weitgehend ohne ernsthafte Folgen. Sobald dieses ausgeschöpft ist, wäre aber zu befürchten, dass auch medizinisch notwendige und wirtschaftlich sinnvolle Behandlungen nicht mehr erfolgen, weil die Mittel dafür fehlen. Es besteht somit die Gefahr, dass die starre Ausgabenregel je nach Umsetzung eine Rationierung der Leistungen zur Folge hat und in eine Zweiklassenmedizin führt.

Weil keine konkrete Stossrichtung der zu ergreifenden Massnahmen vorgegeben wird, bleibt es fraglich, inwiefern aus einer abstrakten verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Ergreifen von Massnahmen tatsächlich ein häufigeres, zielführendes Handeln von Bundesrat und Parlament resultiert. Umsetzbarkeit und Wirksamkeit der Initiative sind unklar. Die Ziele der Initiative lassen sich grundsätzlich auch mit Anpassungen auf Gesetzesstufe erreichen. Der offen gefasste Artikel 117 BV gibt dem Bund die Möglichkeit, kostendämpfende Massnahmen einzuführen. Eine zusätzliche Regelung auf Verfassungsstufe ist somit entbehrlich.

Im Übrigen ist die Verpflichtung des Bundes, seine gesetzgeberische Kompetenz « in Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Krankenversicherern und den Leistungserbringern » auszuüben, ungebräuchlich für die Regelung einer Bundeskompetenz. Es ist unklar, ob diese «Zusammenarbeit» lediglich eine Verpflichtung impliziert, die Kantone, die Krankenversicherer und die Leistungserbringer im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses zu konsultieren, oder ob sie bedeutet, einen Teil der gesetzgeberischen Kompetenz den Kantonen oder auch den Tarifpartnern zu delegieren, beispielsweise indem gewisse Aspekte über die Tarifverträge zwischen Versicherern und Leistungserbringern geregelt würden. In Abwesenheit von Anhaltspunkten für einen Willen, das Verhältnis von Bundesrecht, kantonalem Recht und Tarifverträgen zu ändern, kann immerhin angenommen werden, dass die Formulierung «in Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Krankenversicherern und den Leistungserbringern» zum Ziel hat, die Rolle beizubehalten, welche die heutige Gesetzgebung auf Bundesebene einerseits den Kantonen und andererseits der Autonomie der Tarifpartner im Bereich der Krankenversicherung zuerkennt.

5

Schlussfolgerungen

Der Bundesrat unterstützt das Anliegen der Initiative, das Kostenwachstum in der OKP und die Belastung der Prämienzahlerinnen und -zahler zu reduzieren. Artikel 117 BV gibt dem Bund jedoch bereits heute eine umfassende Kompetenz zur Regelung der OKP, sodass eine Änderung der BV nicht notwendig ist. Dementsprechend lehnt der Bundesrat die Initiative ab und hat mit seinem Beschluss vom 20. Mai 2020 entschieden, die Einführung einer Zielvorgabe für die Kostenentwicklung in der OKP als indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative vorzusehen.

Mit der Zielvorgabe für die Kostenentwicklung in der OKP hat das EDI im Auftrag des Bundesrates und auf Anregung einer Expertengruppe (vgl. Ziff. 6.1.1) bereits eine KVG-Änderung erarbeitet, die das Anliegen der Initiative erfüllen kann. Die Zielvorgabe für die Kostenentwicklung soll vom Bund unter Beizug der wichtigsten Akteure 13 / 52

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des Gesundheitswesens sowie unabhängigen Expertinnen und Experten festgesetzt werden. Sie soll Transparenz über die medizinisch begründbare Zunahme der Kosten schaffen und einen Orientierungswert für die Kostenentwicklung bieten. Dieser ist weniger arbiträr als der von der Initiative gewählte Faktor 1,2 der vom Konjunkturverlauf abhängigen Lohnentwicklung. Zudem soll der Wert ausdrücklich ausgehend vom medizinischen Bedarf so festgesetzt werden, dass eine Rationierung von medizinisch sinnvollen und wirtschaftlichen Leistungen vermieden werden kann. Darüber hinaus bietet die KVG-Änderung zur Zielvorgabe auch ein Instrumentarium von Massnahmen, mit denen Bund und Kantone darauf hinwirken können, dass die Kostenziele auch erreicht werden, beziehungsweise mit denen der notwendige Druck aufgebaut werden kann, damit die Tarifpartner sich von selbst auf entsprechende Massnahmen einigen. Im Falle einer Annahme der Initiative würde sich unter Umständen die vorgesehene Übergangsbestimmung einschränkend auf die Umsetzung der Zielvorgabe auswirken, da die Initiative eine Beschränkung des Kostenwachstums auf die Entwicklung der Löhne und Preise verlangt. Es ist davon auszugehen, dass sich daraus ein zusätzlicher gesetzgeberischer Bedarf ergeben könnte.

Der Bundesrat nimmt das Problem der Prämienentwicklung ernst und ist gewillt, mit einer Zielvorgabe Transparenz über die gerechtfertigte Kostenentwicklung zu schaffen. Bund und Kantone sollen griffige Instrumente erhalten, um die Anreize der Tarifpartner zu erhöhen, sich auf kostendämpfende und effizienzsteigernde Massnahmen zu einigen.

6

Indirekter Gegenvorschlag

6.1

Vorverfahren, insbes. Vernehmlassungsverfahren

6.1.1

Kostendämpfungsprogramm des Bundesrates

Bereits wenige Jahre nach der Einführung des KVG musste festgestellt werden, dass zwar die Versorgung nachhaltig verbessert und die angestrebte Solidarität zwischen den Versicherten gestärkt wurden, die Kosten jedoch nicht ausreichend gedämpft werden konnten. Mit einer ersten KVG-Teilrevision vom 24. März 200020 wurden deshalb Regelungen im Bereich der Prämienverbilligung, der Steuerung der Zulassung im ambulanten Bereich und der Förderung der Abgabe von Generika eingeführt. 2002 erklärte der Bundesrat die Kostendämpfung zum primären Ziel seiner Strategie zur Reform der Krankenversicherung. Eine zweite KVG-Teilrevision21 mit weiteren Massnahmen zur besseren Mengensteuerung und Angemessenheit der medizinischen Leistungen scheiterte ein paar Jahre später im Parlament. Nur die dringlichen und wenig umstrittenen Anpassungen wurden kurz darauf vom Parlament verabschiedet.22 Die erfolgreiche Revision der Spitalfinanzierung folgte 2007.23 Weitere Vorlagen zur

20 21 22 23

AS 2000 2305 Vgl. Botschaft vom 18. Sept. 2000 betreffend die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung, BBl 2001 741, Geschäftsnummer 00.079.

AS 2005 1071 AS 2008 2049

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Kostendämpfung, namentlich diejenigen zur Kostenbeteiligung24 oder zu Managed Care25, oder zur Ablösung der Zulassungsbeschränkung26 waren wiederum erfolglos.

Eine Vorlage mit Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung vor dem Hintergrund der sich für 2010 abzeichnenden aussergewöhnlichen Prämienerhöhungen lehnte der Nationalrat in der Schlussabstimmung ab.27 Sie sah unter anderem die Erteilung der Kompetenz an den Bundesrat zur Senkung der Tarife bei überdurchschnittlicher Kostensteigerung vor.

Mit der Strategie «Gesundheit2020»28 von 2013, deren Nachfolgestrategie «Gesundheit2030»29 und den Legislaturzielen 2015­201930 sowie 2019­202331 erklärte der Bundesrat eine finanziell tragbare Gesundheitsversorgung wiederum zu einem seiner Hauptziele. Um dieses zu erreichen, müssen die Kostendämpfungsmassnahmen in allen grossen Kostenblöcken und ­ aufgrund der Kompetenzaufteilung im Schweizer Gesundheitswesen ­ auf allen Ebenen und bei allen Akteuren ansetzen. Im Rahmen der Strategie «Gesundheit2020» hat der Bundesrat bereits mehrere Ziele und Massnahmen definiert, welche die Gesundheitskosten um einige hundert Millionen Franken pro Jahr senken konnten. Auch in den kommenden Jahren ist mit weiteren spürbaren Einsparungen zu rechnen.

Zur Verstärkung der Massnahmen setzte das EDI eine Expertengruppe ein, um nationale und internationale Erfahrungen auszuwerten. Im Vordergrund stand dabei die Eliminierung von Mengenausweitungen, die medizinisch nicht begründet werden können. Die Expertengruppe erhielt den Auftrag, anhand einer Analyse der internationalen Erfahrungen zur Steuerung des Mengenwachstums Instrumente zur Beeinflussung der Mengenentwicklung in der Schweiz vorzuschlagen. Der Bericht der Expertengruppe vom 24. August 201732 «Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» (Expertenbericht) schlägt im Interesse der Steuer- und Prämienzahlerinnen und -zahler zahlreiche Massnahmen vor, mit denen das vorhandene Potenzial zur Steigerung der Effizienz ausgeschöpft und das Kostenwachstum vor allem in den vier grossen Kostenblöcken gebremst werden sollen.

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25

26

27

28 29 30 31 32

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 26. Mai 2004 betreffend die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Kostenbeteiligung), BBl 2004 4361, Geschäftsnummer 04.034.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 15. September 2004 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Managed Care), BBl 2004 5599, Geschäftsnummer 04.062.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 26. Mai 2004 betreffend die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Vertragsfreiheit), BBl 2004 4293, Geschäftsnummer 04.032.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 29. Mai 2009 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung), BBl 2009 5793, Geschäftsnummer 09.053.

Die Strategie «Gesundheit2020» ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Strategie und Politik > Gesundheit2020.

Die Strategie «Gesundheit2030» ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Strategie und Politik > Gesundheit2030.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 27. Jan. 2016 zur Legislaturplanung 2015­2019, BBl 2016 1105.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 29. Jan.2020 zur Legislaturplanung 2019­2023, BBl 2020 1777.

Der Expertenbericht ist abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Kostendämpfung > Dokumente.

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Als übergeordnete Massnahme zur Kostendämpfung hat sich die Expertengruppe für eine sogenannte «Zielvorgabe» für das OKP-Kostenwachstum ausgesprochen, die im Zentrum des Expertenberichts steht. Die Grundidee besteht darin, Zielvorgaben für die Kostenentwicklung in der OKP mit entsprechenden Korrekturmechanismen einzuführen.

Am 28. März 2018 verabschiedete der Bundesrat ein auf dem Expertenbericht basierendes Kostendämpfungsprogramm.33 Darin legte er fest, dass neue Massnahmen geprüft werden und, falls angezeigt, etappenweise in zwei Gesetzgebungspakete aufgenommen werden sollen. Es gilt festzuhalten, dass nicht alle Massnahmen der Expertengruppe eine gesetzliche Anpassung bedingen. Am 8. März 2019 hat der Bundesrat zudem das EDI beauftragt, eine Vorlage zur Einführung einer Zielvorgabe auszuarbeiten und in ein zweites Rechtsetzungspaket zu integrieren. Zudem sind die Kantone und Tarifpartner angehalten, Massnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu prüfen und umzusetzen.

Ein erstes Rechtsetzungspaket (Botschaft des Bundesrates vom 21. Aug. 201934 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung [Kostendämpfungsmassnahmen ­ Paket 1]) hat der Bundesrat im Sommer 2019 zuhanden der eidgenössischen Räte verabschiedet. Die Vorlage beinhaltet neun Massnahmen mit Änderungen innerhalb des KVG sowie daraus abgeleitete gleichgerichtete Änderungen im Bereich von Unfall-, Militär- und Invalidenversicherung. Die Massnahmen richten sich an die ganze Breite der Akteure. Damit sollen alle konsequent in die Verantwortung genommen werden. Das Parlament teilte die Massnahmen in zwei Pakete (1a und 1b) auf; das Paket 1a wurde am 18. Juni 2021 vom Parlament verabschiedet35.

6.1.2

Vernehmlassungsvorlage Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2

Im Sinne der Entscheide des Bundesrates vom 28. März 2018, 8. März 2019 und 20. Mai 2020 wurde somit ein zweites Rechtsetzungspaket, das gleichzeitig auch als indirekter Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative dienen sollte, erarbeitet. Dabei wurden verschiedene Massnahmen des Expertenberichts und Vorschläge des EDI geprüft. Zu neun Massnahmen wurden Gesetzesanpassungen im KVG sowie daraus abgeleitet analoge Änderungen im Bundesgesetz vom 19. Juni 195936 über die Invalidenversicherung, unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Sozialversicherungszweiges, vorgeschlagen.

Der Schwerpunkt des Pakets lag auf der Einführung einer Zielvorgabe für die Kostenentwicklung in der OKP. Weiter sollte mit der Einführung einer obligatorischen Erstberatungsstelle für alle Versicherten eine Stelle geschaffen werden, an die sich die

33

34 35 36

Vgl. Medienmitteilung des BAG vom 29. März 2018, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Das BAG > Aktuell > Medienmitteilungen > Massnahmen des Bundesrates gegen das Kostenwachstum im Gesundheitswesen.

BBI 2019 6071 BBl 2021 1496 SR 831.20

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Versicherten bei gesundheitlichen Problemen wenden müssen und die ihnen Orientierung und Sicherheit bietet. Zur Stärkung der koordinierten Versorgung sollten Netzwerke zur koordinierten Versorgung als eigene Leistungserbringer definiert und Programme der Patientenversorgung gefördert werden. Weiter sollten die Kompetenzen des Bundes bezüglich Vergütung medizinischer Leistungen gestärkt werden, damit diese zukünftig kostengünstiger erbracht werden können. Dazu sollte eine Regelung für die Vereinbarung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen sowie die damit verbundene Einschränkung der Anwendbarkeit des Öffentlichkeitsgesetzes vom 17. Dezember 200437 auf Dokumente im Zusammenhang mit der Beurteilung der Arzneimittel der Spezialitätenliste gehören. Zusätzlich wurde vorgeschlagen, die Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prüfung gemäss den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien) sowie für die Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung von Analysen, Arzneimitteln sowie Mitteln und Gegenständen zu schaffen. Der kantonsübergreifende Wettbewerb unter den Spitälern sollte durch die Festlegung von Referenztarifen für ausserkantonale Wahlbehandlungen gefördert werden. Nicht zuletzt sollten Leistungserbringer und Versicherer verpflichtet werden, die Rechnungsübermittlung zukünftig elektronisch abzuwickeln. Schliesslich wurde das Paket mit einer Präzisierung der Kostenbeteiligung bei Mutterschaft zur Gleichbehandlung der Patientinnen und Patienten ergänzt.

Die Vernehmlassung zum Vorentwurf zu einer Änderung des KVG (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2) (VE-KVG) als indirekter Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative wurde vom 19. August bis zum 19. November 2020 durchgeführt.

Dabei gingen 328 Stellungnahmen ein (26 Kantone und die GDK, 9 politische Parteien, 4 Dachverbände der Gemeinde/Städte/Berggebiete, 10 Dachverbände der Wirtschaft, 214 Leistungserbringer, 7 Versicherer, 4 Konsumentenverbände, 29 Patientenverbände und -organisationen und andere).38 Die überwiegende Mehrheit der Stellungnehmenden anerkennt die Notwendigkeit zur Kostendämpfung. Jedoch äusserten sich viele kritisch gegenüber der vorgeschlagenen Gesetzesänderung und beurteilten das Paket als zu umfassend, zu wenig ausgereift und (politisch) nicht umsetzbar. Unterstützung
erhielt die Vorlage primär von Seiten der Kantone, der Konsumentenverbände und Teilen der politischen Parteien, Patientenorganisationen und Versicherer. Die Leistungserbringer und die Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete sowie der Wirtschaft lehnten das Paket grösstenteils dezidiert ab.

Kritik wurde vor allem an der Zielvorgabe sowie der Erstberatungsstelle geäussert.

Die Zielvorgabe wurde von Seiten der Leistungserbringer entschieden abgelehnt. So zieht die FMH gestützt auf ein Gutachten39 von Ueli Kieser gar die Verfassungsmässigkeit des Vorschlags in Zweifel. Jedoch äusserten sich auch sämtliche Organisatio-

37 38

39

SR 152.3 Die Vernehmlassungsunterlagen und der Ergebnisbericht sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > 2020/45.

Gutachten zur Verfassungsmässigkeit bestimmter Massnahmen im Krankenversicherungsrecht, abrufbar unter: www.fmh.ch > Politik & Medien > Politische Geschäfte > Kostendämpfung/Globalbudget.

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nen der Wirtschaft, viele Patientenverbände und viele Versicherer kritisch. Demgegenüber äusserten sich eine Mehrheit der Kantone zurückhaltend positiv, allerdings mit Vorbehalten und Fragezeichen zur Umsetzung in der Praxis. Ähnlich gemischt fielen die Rückmeldungen der Parteien, der Konsumentenverbände und der Verbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete aus. Eine Zielvorgabe im Sinne eines Orientierungswerts für die Kostenentwicklung, der die Transparenz stärkt, aber nicht unmittelbar mit Korrekturmassnahmen verknüpft ist, erfuhr etwas breitere Unterstützung; so sprachen sich etwa verschiedene Versicherer und ihre Verbände dafür aus.

Die Verpflichtung zu einer Erstberatungsstelle wurde über alle Stakeholder-Gruppen gesehen klar abgelehnt und als Abschaffung der freien Arztwahl sowie Wiederaufnahme der Managed-Care-Vorlage bezeichnet. Verhaltene Unterstützung erhielt die Massnahme von den Kantonen und Teilen der Patienten- und Konsumentenverbände.

Die Stärkung der koordinierten Versorgung stiess mehrheitlich auf ein positives Echo, wobei die Ausgestaltung der vorgeschlagenen Massnahmen umstritten ist.

Von den weiteren Massnahmen zur Kostendämpfung stiessen die Regelung für faire Referenztarife und die Verpflichtung zur elektronischen Rechnungsübermittlung auf Zustimmung. Die Regelung für die Vereinbarung von Preismodellen und allfällige Rückerstattungen wurde im Grundsatz von einer Mehrheit der Teilnehmenden gutgeheissen. Viele Teilnehmer kritisierten jedoch aus Transparenzgründen die damit verbundene Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten. Nicht zuletzt liessen auch die Rückmeldungen zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prüfung der WZW-Kriterien sowie für die Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung von Analysen, Arzneimitteln sowie Mitteln und Gegenständen, die der Untersuchung und Behandlung dienen, auf ein grosses Verbesserungspotenzial der vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung schliessen.

Die Kritik an einem Grossteil der Massnahmen bedingte eine vertiefte Überarbeitung der Vorlage. Aufgrund der Rückmeldungen und der zu klärenden Umsetzungsfragen hat der Bundesrat am 28. April 2021 entschieden, die Zielvorgabe aus der KVGÄnderung «Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2» herauszulösen und alleine als indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative
vorzuschlagen. Mit der vorliegenden Botschaft soll den eidgenössischen Räten nur die Neuregelung zur Zielvorgabe vorgelegt werden. Die Botschaft zum zweiten Kostendämpfungspaket wird zu einem späteren Zeitpunkt verabschiedet werden.

6.1.3

Vorgabe von Kostenzielen als indirekter Gegenvorschlag

Heute besteht zu wenig Transparenz darüber, welcher Teil der Kostenzunahme medizinisch gerechtfertigt ist und welcher nicht. Einerseits verschärft jede Kostensteigerung die heute schon problematische Tragbarkeit der Prämienbelastung und wird deshalb oft reflexartig abgelehnt. Andererseits werden Kostensteigerungen zu wenig auf ihre Effizienz und Wirtschaftlichkeit hinterfragt und pauschal mit Verweis auf einen angeblich gewachsenen Bedarf der Bevölkerung hingenommen. Die Unkenntnis über die verschiedenen, gesellschaftlich akzeptierten und nicht akzeptierten Komponenten

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des Kostenwachstums kann zu unproduktiven Debatten und gegenseitigen Schuldzuweisungen führen, statt dass der Nutzen des Gesundheitssystems für die Gesellschaft und der Spielraum für Effizienzsteigerungen ins Zentrum rückt. Mit einem Orientierungswert, der von einem breit aufgestellten Gremium als bestmögliche Annäherung an die durch den medizinischen Bedarf gerechtfertigte und wirtschaftliche Kostenentwicklung ermittelt wird (Kostenziele), können die Transparenz verstärkt, ein übermässiger Kostenanstieg erkannt und Gegenmassnahmen geprüft werden. Für gerechtfertigte Kostensteigerungen kann gleichzeitig aber auch mehr Verständnis erreicht werden. Deshalb soll an der Zielvorgabe als indirektem Gegenvorschlag festgehalten werden.

Die Rückmeldungen der Vernehmlassung werden aufgenommen, indem noch deutlicher als im Vorentwurf festgehalten wird, dass die Kostenziele sich am medizinischen Bedarf und den zur Erbringung der versicherten Leistungen notwendigen Mitteln orientieren. Allfällige Massnahmen im Anschluss an eine Überschreitung der Kostenziele haben zum Ziel, dass nicht mehr erfüllte, bereits bestehende Anforderungen nach dem KVG (beispielsweise die Wirtschaftlichkeit) wieder erfüllt werden. Zudem wurde insbesondere die Ausgestaltung der Massnahmen zur Korrektur von Fehlentwicklungen angepasst. Bei Zielüberschreitungen sind keine generellen Tarifkürzungen mehr vorgesehen. Überschrittene Ziele sind hingegen ein Signal für mögliche Fehlentwicklungen, denen ursachenbezogen und zielgerichtet begegnet werden soll.

Den zuständigen Behörden steht dafür bereits ein breites Instrumentarium in verschiedenen Bereichen (Definition versicherte Leistungen, Zulassung Leistungserbringer, Tarifierung usw.) zur Verfügung. Die mit der Zielvorgabe verstärkte Transparenz steigert die Chance, dass dieses Instrumentarium auch angewendet wird. Wo im bestehenden Instrumentarium Lücken bestehen, soll dieses punktuell ergänzt werden. Die zuständigen Behörden, namentlich die Kantone, sind bei korrigierenden Massnahmen nicht an fixe zeitliche Limiten gebunden. Sie haben dadurch in der Umsetzung noch mehr Flexibilität und werden administrativ wirksam entlastet.

Die Möglichkeiten der Kantone und des Bundes, bei einer nicht gerechtfertigten Kostenzunahme korrigierend einzugreifen, sollen gestärkt werden. Die bisher vorhandenen
Instrumente der Kantone und des Bundes wie die Möglichkeit, Tarife und Preise bei einer starken Kostenzunahme nicht zu erhöhen (Art. 55 KVG), sind dafür unzureichend, da nicht primär Tarif- und Preissteigerungen, sondern Mengenausweitungen bei gleichbleibenden, aber allenfalls zwischenzeitlich unwirtschaftlich hoch gewordenen oder in ihrer Struktur nicht sachgerechten Tarifen und Preisen kostentreibend wirken. Die Tarifpartner haben zwar einen grossen Spielraum für eigene Massnahmen und Vereinbarungen, aber noch zu wenig Anreize, diesen auch zu nutzen. Zwecks grösserer Verbindlichkeit der Kostenziele sollen die Kantone und der Bund die Möglichkeit erhalten, Tarife und Preise zu senken, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Tarife und Preise, namentlich die Wirtschaftlichkeit, nicht mehr erfüllt sind, etwa, weil entsprechende Bemühungen zur Anpassung durch die Tarifpartner ausblieben.

Mit einer Zielvorgabe wird im Vergleich zu anderen Massnahmen mit potenziell kostendämpfender Wirkung die Kostenentwicklung direkt überprüft und mit zielgerichteten Massnahmen angegangen. Eine Erhöhung der Kostenbeteiligung würde zwar eine gewisse Prämienreduktion ermöglichen. Dies einerseits, weil direkt Lasten von 19 / 52

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den Prämienzahlerinnen und -zahlern zu den Patientinnen und Patienten umgelegt werden. Anderseits auch, weil durch die höhere Kostenbeteiligung die nachfrageseitige Mengenausweitung ( «Moral Hazard» der Versicherten) etwas reduziert wird, weil die Patientinnen und Patienten neu einen grösseren Anteil selbst bezahlen müssten. An der teilweise durch das Angebot getriebenen Nachfrage würde eine Erhöhung der Kostenbeteiligung aber nichts Fundamentales ändern. Ein bedeutender Teil der Nachfrage entsteht nämlich bei Versicherten mit sehr hohen Kosten (und daher auf jeden Fall ausgeschöpften Franchisen). Die Versicherer wiederum haben bereits heute die Möglichkeit, Versicherungsmodelle anzubieten, die sich auf Leistungserbringer ihrer Wahl beschränken, und eigene Verträge zu deren Vergütung vorzusehen. Solche Versicherungsmodelle können zu einer Dämpfung des Kostenanstiegs beitragen, die Versicherer sind bereits heute diesbezüglich nur wenigen Einschränkungen unterworfen. Entscheidend ist also, dass mit der Einführung einer Zielvorgabe direkt und verstärkt Druck auf die Tarifpartner ausgeübt wird, sich auf kostendämpfende Massnahmen zu einigen.

6.2

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die Expertengruppe analysierte internationale Erfahrungen zur Steuerung der Mengenentwicklung.

Im Fokus standen besonders Deutschland und die Niederlande, die aufgrund der Gesundheitssysteme und der hohen Gesundheitsausgaben mit der Schweiz vergleichbar sind. Alle drei Länder kennen eine soziale Krankenversicherung mit reguliertem Wettbewerb der Versicherer. Deutschland kennt wie die Schweiz die freie Arztwahl, in den Niederlanden fungieren die Hausärztinnen und Hausärzte als Pförtnerinnen und Pförtner zum Gesundheitswesen. Wie die Schweiz arbeiten die Niederlande mit einem relativ hohen Selbstbehalt der Versicherten, in Deutschland ist die Eigenbeteiligung der privaten Haushalte verhältnismässig gering. Sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden ist das Gesundheitswesen deutlich zentraler organisiert als in der Schweiz.

In Deutschland wurde als Zielgrösse für die Entwicklung der Leistungsvergütungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) der Grundsatz der Beitragssatzstabilität eingeführt. Dieser hat zum Ziel, die Beitragssätze in der GKV im Rahmen einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik konstant zu halten. Die Krankenkassenausgaben sollen insgesamt, aber auch in den einzelnen Leistungsbereichen nicht stärker steigen als die beitragspflichtigen Einnahmen der GKV. Die Tarifpartner haben bei den jährlichen Tarifverhandlungen die Vergütungen so zu gestalten, dass Beitragserhöhungen (ambulant, stationär und Arzneimittel) ausgeschlossen sind. Der Grundsatz lässt Beitragssatzsteigerungen zu, sofern die notwendige medizinische Versorgung auch unter Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten ist, und trägt daher medizinischen Entwicklungen und Veränderungen der Morbiditätsstruktur der Versicherten Rechnung. Die Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder überprüfen die jährlichen Haushaltspläne der Kassen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Wird der vereinbarte Leistungsumfang überschritten, 20 / 52

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werden Tarifabschläge für Ärztinnen und Ärzte und Krankenhäuser als Korrekturmassnahmen umgesetzt. Insgesamt zeigt die Ausgabenentwicklung der GKV, dass die gesetzliche Umsetzung der verbindlichen Zielvorgabe zusammen mit der Übernahme von Finanzverantwortung der Tarifpartner sich als wirksam erwiesen hat. Die Ausgabenentwicklung in der GKV ist ungefähr proportional zum Wachstum des BIP verlaufen und damit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben geblieben.

In den Niederlanden sind die Gesundheitsausgaben, inklusive beitragsfinanzierte Ausgaben der Krankenversicherungen, Teil des regelbasierten Haushaltsprozesses und unterliegen einer Art budgetären Zielvorgabe («Budgetary Framework for Healthcare»). Das Budget des Gesundheitssektors ist in verschiedene Versorgungsbereiche unterteilt, wie z. B. Langzeitpflege, Krankenhausbehandlungen und Behandlungen durch Hausärztinnen und Hausärzte. Politische Prioritäten können zwischen verschiedenen Subsektoren oder durch die Wahl, welche Leistungen finanziert werden, gesetzt werden. Bei Überschreitung dieser Ausgabenziele ist das Gesundheitsministerium befugt, die Volumina zu beschränken oder die Tarife ex post zu reduzieren.

Ergänzt wurde dieses System ab 2012 durch spezifische Vereinbarungen zwischen Regierung, Vertretungen der Versicherungen, der Patientenorganisation und der einzelnen Leistungsbereiche (ambulante Grundversorgung, Spezialistinnen und Spezialisten, Spitäler und Psychiatrie).40 Jede dieser Vereinbarungen enthält die gesetzlich festgehaltene Sanktionsmöglichkeit in Form von nachträglichen Budgetkürzungen.

Die jeweilige Leistungserbringergruppe ist somit kollektiv dafür verantwortlich, die Budgetvereinbarungen einzuhalten und die möglichen Sanktionen, die durch das Gesundheitsministerium erlassen werden, zu tragen.41 Der ab 2012 angewendete korporatistische Ansatz, mittels bindenden und breit abgestützten Vereinbarungen die Kostenentwicklung zu dämpfen, erweist sich als erfolgreich, der Staat musste seit 2012 noch nicht eingreifen.

Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt, dass auch international ein Bewusstsein besteht, dass für das Gesundheitswesen nicht unbeschränkt Mittel vorhanden sind und diese deshalb so effizient wie möglich eingesetzt werden müssen, um dem medizinischen Bedarf weiterhin Rechnung tragen zu können. Die
Erfahrungen aus verschiedenen Ländern zeigen, dass auch wettbewerblich orientierte Systeme zwecks Kostenverantwortung und Kostendämpfung Ausgabenregeln vorsehen. Diese können die Tarifpartner animieren, sich auf eine Vergütung von Leistungen zu einigen, welche eine medizinisch nicht begründbare Mengenausweitung verhindert.

40

41

Die jährlichen realen Zielvorgaben für das Gesundheitswesen waren ein Anstieg um 1,3 % (1994 ­ 1998), 2,3 % (1999 ­ 2002), 2,5 % (2003 ­ 2007) und danach 2,7 %.

Für die Periode 2012­2014 wurde im Bereich Spezialistinnen und Spezialisten, im psychiatrischen Bereich und im stationären Bereich eine jährliche reale Zielwachstumsrate von 2,5 % an Leistungsvolumen angestrebt, im Bereich ambulante Grundversorgung 3 %.

Die 3-%-Zielrate im ambulanten Bereich soll dabei der erwünschten Verschiebung von stationärer zu ambulanter Leistungserbringung Rechnung tragen. Für die Periode 2015 ­ 2017 wurden noch strengere Zielvorgaben vereinbart.

Working Paper Nr. 22 der EFV, abrufbar unter: www.efv.admin.ch > Themen > Publikationen > Ökonomische Grundlagenarbeiten.

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6.3

Grundzüge der Vorlage

6.3.1

Die beantragte Neuregelung

Das vorgeschlagene Modell einer Zielvorgabe basiert auf einem weitgehend dezentralen Ansatz, der die bestehenden Zuständigkeiten von Bund und Kantonen übernimmt und weiterführt. Die starke Stellung der Kantone entspricht deren primärer Zuständigkeit für das Gesundheitswesen, ermöglicht den Verhältnissen angepasste Lösungen und eine Berücksichtigung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Versicherten sowie der Gesellschaft insgesamt.

Für eine möglichst schlanke Einführung soll an der bestehenden Kompetenzverteilung so wenig wie möglich geändert werden. Der Charakter der obligatorischen Versicherung mit Anspruch auf die Kostenübernahme der Pflichtleistungen unabhängig von den verfügbaren Mitteln sowie das System des regulierten Wettbewerbs werden von der Zielvorgabe nicht tangiert. Rationierungen von wirksamen, zweckmässigen und wirtschaftlichen Leistungen sollen vermieden werden. Zur Erreichung dieses Ziels sind Begleitmassnahmen wie ein zeitnahes Monitoring vorgesehen (vgl. Art. 54 Abs. 6 E-KVG).

Festlegung der Kostenziele und Korrekturmassnahmen Das Konzept zur Festlegung der verschiedenen Ziele und Korrekturmassnahmen lässt sich in vier Schritten zusammenfassen.

­

Erstens legt der Bundesrat auf Empfehlung einer beratenden Kommission und nach Anhörung von Kantonen, Leistungserbringern und Versicherern ein Ziel für das maximale Gesamtkostenwachstum (nationales Gesamtkostenziel) fest.

Dieses soll sich an der medizinisch und ökonomisch begründbaren Mengenund Preisentwicklung orientieren. Dazu sollen als wichtige Kostenfaktoren für eine effiziente Leistungserbringung makroökonomische Grössen wie die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Lohn- und Preisentwicklung, der technische Fortschritt sowie das Effizienzpotenzial berücksichtigt werden und als wichtige Einflussfaktoren für die Menge der benötigten und als wirtschaftlich angesehenen Leistungen ebenfalls die genannten Faktoren sowie zusätzlich die Entwicklung der Demografie und der Morbidität einfliessen.

Zusätzlich legt der Bundesrat nach denselben Kriterien für jeden einzelnen Kanton ein spezifisches Kostenziel fest, welches insbesondere dessen demografische Entwicklung berücksichtigt. Dieses kantonsspezifische Kostenziel bezieht sich nur auf die Kostenblöcke in Kantonskompetenz, schliesst also namentlich Arzneimittel aus. Zudem setzt der Bundesrat eine (für alle Kantone einheitliche) verbindliche Toleranzmarge oberhalb seiner kantonsspezifischen Kostenziele fest. Zudem formuliert der Bundesrat zuhanden der Kantone Richtwerte für die Aufteilung des für die Einhaltung des Kostenziels auf die einzelnen Kostenblöcke zulässigen Kostenanstiegs. Diese Richtwerte für die Aufteilung gehen von der Situation in der gesamten Schweiz aus und berücksichtigen nicht kantonsspezifische Besonderheiten. Für die Kostenblöcke in Bundeskompetenz (namentlich Arzneimittel, Analysen, Mittel und Gegen-

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stände, die der Untersuchung und Behandlung dienen, sowie Leistungsbereiche, in denen die Tarifpartner in Tarifverträgen eine schweizweit einheitliche Tarifhöhe vereinbart haben) legt der Bundesrat schweizweite Kostenziele fest.

­

Zweitens legt jeder einzelne Kanton ein kantonales Gesamtkostenziel für sämtliche Kostenblöcke in Kantonskompetenz innerhalb der verbindlichen Toleranzmarge rund um die Empfehlung des Bundes fest. Die betroffenen Akteure (Leistungserbringer und Versicherer) müssen dabei angemessen angehört werden. Die konkrete Umsetzung dieses Einbezugs ist den Kantonen überlassen. Legt ein Kanton ein diesen Anforderungen entsprechendes Ziel nicht fristgemäss fest, gelten die Richtwerte des Bundes ohne Toleranzmarge.

­

Drittens teilen die einzelnen Kantone unter Einbezug der betroffenen Akteure ihre jeweiligen kantonalen Gesamtkostenziele auf die vom Bundesrat festgelegten Kostenblöcke auf. Diese Aufteilung können die einzelnen Kantone für die Kostenblöcke in ihrer Kompetenz grundsätzlich frei vornehmen, solange das kantonale Gesamtkostenziel für alle Kostenblöcke in Kantonskompetenz (unter Einschluss der Toleranzmarge) eingehalten wird. Sie können damit die vom Bundesrat festgelegten Richtwerte für die Aufteilung der Kostenziele auf die einzelnen Kostenblöcke an die spezifischen Verhältnisse in ihrem Kanton anpassen, beispielsweise an eine bereits weitgehend erfolgte oder sich im Gegenteil noch verstärkende Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich.

­

Viertens verpflichtet die Vorlage sowohl den Bundesrat wie auch die Kantonsregierung, bei einer Überschreitung der Kostenziele in einem Kostenblock zu prüfen, ob Massnahmen zur Korrektur von allfälligen Fehlentwicklungen, welche zu dieser Überschreitung geführt haben, notwendig sind. Eine Überschreitung der Kostenziele ist nicht notwendigerweise auf medizinisch nicht begründbare Mengenausweitung oder unwirtschaftlich hohe Tarife zurückzuführen, sie ist aber ein Auftrag, das Vorliegen von Fehlentwicklungen zu prüfen und diese gegebenenfalls zu korrigieren. Bundesrat und Kantonsregierungen sollen insbesondere prüfen, ob die von den Tarifpartnern vereinbarten und vom Bundesrat (im Falle landesweit geltender Tarifstrukturen oder Taxpunktwerte) beziehungsweise von den Kantonsregierungen (im Falle kantonal geltender Tarife) genehmigten oder im Fall einer Nichteinigung der Tarifpartner festgesetzten Tarife die gesetzlichen Anforderungen von Artikel 46 Absatz 4 KVG, namentlich die Wirtschaftlichkeit, nach wie vor erfüllen. Neben dieser Prüfung sollen Bundesrat und Kantonsregierungen auch prüfen, ob weitere Massnahmen, welche das KVG bereits vorsieht, notwendig sind, etwa im Bereich der Spitalplanung oder der Zulassung von Leistungserbringern im ambulanten Bereich oder auch bei der Definition der versicherten beziehungsweise nicht versicherten und als wirtschaftlich beziehungsweise nicht wirtschaftlich angesehenen Leistungen. Falls notwendig und sinnvoll wären auch Anpassungen am gesetzlichen Rahmen bei fortdauernden Zielüberschreitungen denkbar.

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­

Für die Ausführung des vierten Schrittes sollen mit der Vorlage bestehende Lücken bei den Instrumenten von Bund und Kantonen geschlossen werden, welche die Durchsetzung der bestehenden Anforderungen des KVG heute erschweren können. Das KVG fordert bereits im aktuellen Zustand betriebswirtschaftlich bemessene und sachgerechte Tarife (Art. 43 Abs. 4 KVG), welche eine qualitativ hochstehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreichen (Art. 43 Abs. 6 KVG). Die Genehmigungsbehörden prüfen die Wirtschaftlichkeit und Billigkeit des Tarifs (Art. 46 Abs. 4 KVG). Im Fall von Einzelleistungstarifstrukturen kann der Bundesrat subsidiär Anpassungen vornehmen, wenn sie sich als nicht mehr sachgerecht erweisen und sich die Tarifpartner nicht auf eine Revision einigen können (Art. 43 Abs. 5bis KVG). Mit den beschlossenen Anpassungen im Rahmen von Paket 1a der Massnahmen zur Kostendämpfung (Art. 43 Abs. 5 KVG42) wird die subsidiäre Kompetenz des Bundesrates sich allgemein auf Einzelleistungstarife sowie auf ambulante Behandlungen bezogene Patientenpauschaltarife erstrecken. Für die Anpassung von ambulanten Tarifstrukturen sind somit keine zusätzlichen gesetzlichen Anpassungen für Korrekturmassnahmen notwendig, da bereits Möglichkeiten zur Aufhebung einer Blockade bestehen, wenn sich die Tarifpartner nicht auf eine Revision einigen können.

Überschrittene Zielvorgaben sind hier ein Signal primär für die Tarifpartner und subsidiär für die zuständigen Behörden, die Notwendigkeit von Anpassungen im Rahmen der bestehenden und vorgesehenen Kompetenzen verstärkt zu prüfen.

Bei Tarifverträgen, welche nicht Tarifstrukturen, sondern Tarifhöhen (z. B.

Taxpunktwerte und Basispreise) betreffen, sowie bei Tarifstrukturen für die stationäre Behandlung (Art. 49 KVG) ist die Ausgangslage hingegen anders.

Zwar verpflichtet neben den erwähnten Anforderungen von Artikel 43 KVG auch Artikel 59c Absatz 2 der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV)43 die Tarifpartner bereits, die Tarife regelmässig zu überprüfen und anzupassen, damit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt bleiben. Kommen sie dieser Aufgabe aber nicht nach und kündigt keiner der Tarifpartner den Tarif, hat die Genehmigungsbehörde, die den Tarif zu einem Zeitpunkt genehmigt hat, zu dem die Voraussetzungen
für eine Genehmigung noch gegeben waren, aktuell keine Möglichkeit, eine Anpassung des Tarifs durchzusetzen, sofern die Tarifhöhe (beispielsweise der Taxpunktwert) betroffen ist.

Auch bei den vorgeschlagenenMassnahmen zur Kostensteuerung der Tarifpartner in Paket 1b der Massnahmen zur Kostendämpfung kann der Bundesrat subsidiär lediglich die Massnahmen zur Steuerung der Kosten festlegen. Soweit die Massnahmen Anpassungen der kantonalen Tarife vorsehen, sind die Kantone für die Genehmigung der angepassten Tarife zuständig. Falls die Tarifpartner die Tarife nach den (allenfalls subsidiär vom Bundesrat ergriffenen) Steuerungsmassnahmen aber nicht anpassen, fehlt den Kantonen auch hier die

42 43

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Möglichkeit, die Tarifpartner anzuweisen, Tarife anzupassen, welche die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllen. Diese Lücke soll mit der aktuellen Vorlage geschlossen werden.

Kommt der Bundesrat oder die Kantonsregierung zum Schluss, dass die Voraussetzungen von Artikel 46 Absatz 4 KVG an einen Tarif in einem bestimmten Fall nicht mehr erfüllt sind, sollen sie neu die Tarifpartner anweisen können, den Tarif so anzupassen, dass er diese Anforderungen wieder erfüllt.

Kommt zwischen Leistungserbringern und Versicherer innert einem Jahr kein angepasster Tarifvertrag zustande, muss die Genehmigungsbehörde den Tarif nach Anhören der Beteiligten festsetzen. Im Unterschied zum vom Nationalrat 2010 abgelehnten Vorschlag44 (vgl. Ziffer 6.1.1) soll nicht allein der Bundesrat, sondern die für die Tarifgenehmigung jeweils verantwortliche Behörde über Tarifanpassungen entscheiden. Diese sollen sich zudem nicht am Kriterium einer überdurchschnittlichen Kostenentwicklung orientieren, sondern daran, dass die bestehenden gesetzlichen Anforderungen an einen Tarif wieder erfüllt werden.

Zudem soll der Bundesrat neu auch bei Tarifstrukturen für die stationäre Behandlung, ebenso wie bisher bei Tarifstrukturen für Einzelleistungstarife und neu mit Paket 1a der Kostendämpfungsmassnahmen für Patientenpauschaltarifstrukturen für ambulante Behandlungen vorgesehen, die Möglichkeit haben, Anpassungen an der Tarifstruktur vorzunehmen, wenn sie sich als nicht mehr sachgerecht erweist und sich die Parteien nicht auf eine Revision einigen können. Ebenso wie im ambulanten Bereich handelt es sich also um eine subsidiäre Kompetenz, die nur dann zur Anwendung kommt, wenn die Tarifpartner und die Kantone sich nicht mehr selbst auf die Tarifpflege verständigen können.

Da die zuständigen Behörden unabhängig von eingehaltenen oder überschrittenen Kostenzielen dazu verpflichtet sind zu prüfen, ob die Tarife und Tarifstrukturen die Anforderungen des KVG erfüllen, können die neu vorgesehenen Steuerungsinstrumente auch unabhängig von eingehaltenen oder überschrittenen Zielvorgaben angewendet werden, sofern die Bedingungen dafür erfüllt sind.

Die Kantonsregierungen ordnen die Anpassungen in den Bereichen an, die sie verantworten, also insbesondere bei Tarifverträgen, die innerhalb des betreffenden Kantons gelten, beispielsweise
kantonale Taxpunktwerte. Für die Anpassungen in den Bereichen, die in der Kompetenz des Bundes liegen (Leistungen nach Art. 52 KVG sowie gesamtschweizerisch geltende Tarifverträge, schweizweite Tarifstrukturen oder gesamtschweizerisch einheitliche Tarifhöhe), ist der Bundesrat zuständig. Die zuständigen Behörden sollen bei ihren Entscheiden die Kostenentwicklung über mehrere Jahre betrachten, um zufällige Ausschläge nicht überzubewerten, und zudem die Wirkungen von bereits getroffenen Massnahmen berücksichtigen.

44

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 29. Mai 2009 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung), BBl 2009 5793, Geschäftsnummer 09.053.

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Eigenverantwortliche Massnahmen der Tarifpartner Es wird angestrebt, dass die Tarifpartner bereits bei Bekanntgabe der Kostenziele Massnahmen zu ihrer Einhaltung vereinbaren, damit es keiner Korrekturmassnahmen bedarf. Den Tarifpartnern stehen dafür verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.

Im ersten Paket zur Kostendämpfung wurde namentlich eine gesetzliche Verpflichtung der Tarifpartner zur Vereinbarung von Kostensteuerungsmassnahmen vorgesehen, welche auch das Anliegen der Motion 19.3419 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates «Obligatorische Krankenpflegeversicherung. Berücksichtigung der Mengenausweitung bei Tarifverhandlungen» aufnimmt.

Der Anreiz der verantwortlichen Akteure, solche Vereinbarungen einzugehen, wird durch die Kostenziele und die Möglichkeit von Korrekturmassnahmen erhöht. Die Kostenziele können den Tarifpartnern somit einen Orientierungsrahmen für die Höhe der Kostenentwicklung und für Schwellenwerte für Steuerungsmassnahmen bieten.

Die in Paket 1b vorgeschlagene subsidiäre Kompetenz des Bundesrates zur Festlegung von Kostensteuerungsmassnahmen wird mit dieser Vorlage um eine subsidiäre Kompetenz der Genehmigungsbehörde (in der Regel die Kantonsregierungen) zur Anpassung der Tarifhöhe (Taxpunktwerte, Basispreise) ergänzt.

Feststellung der Zielerreichung Schliesslich wird eine Pflicht der Kantone eingeführt, dem BAG die festgelegten Kostenziele sowie allfällige Korrekturmassnahmen mitzuteilen. Das BAG stellt fest, ob die Ziele in den verschiedenen Kantonen erreicht wurden oder nicht, und veröffentlicht die Ergebnisse, damit für alle Akteure Transparenz über den Grad der Zielerreichung besteht. Damit wird die Transparenz und Verbindlichkeit erhöht und die Möglichkeit geschaffen, dass Massnahmen, die sich in einzelnen Kantonen als erfolgreich erwiesen haben, auch in anderen Kantonen rasch bekannt werden.

System der Zielvorgabe im Krisenfall Im Falle eines aussergewöhnlichen Ereignisses, wie beispielsweise einer Epidemie oder einer anderen Gesundheitskrise, kann die Nachfrage nach medizinischen Leistungen kurzfristig stark ansteigen oder sich verändern. Es muss schnell und gezielt reagiert werden, damit sich die Leistungserbringer darauf verlassen können, dass ihnen keine ungerechtfertigten Korrekturen drohen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass
es zu Rationierungserscheinungen käme. Durch Artikel 54d Absatz 2 E-KVG werden die zuständigen Behörden verpflichtet, aussergewöhnliche Ereignisse bei der Prüfung von Massnahmen zu berücksichtigen. Die medizinische Versorgungssicherheit im Krisenfall wird somit durch Zielvorgaben nicht gefährdet.

6.3.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Bei der Dämpfung der Kostenentwicklung in der OKP geht es um grosse Kostenvolumen. Auch ein in relativen Werten kleiner Spareffekt einer bestimmten Massnahme wirkt sich somit in absoluten Zahlen wesentlich aus und würde, falls dafür notwendig, einen gewissen Vollzugsaufwand rechtfertigen. Dieser soll aber bei der vorgeschlagenen Ausgestaltung der Zielvorgabe beschränkt bleiben.

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Auf Seiten von Bund und Kantonen sind für die Festlegung der Ziele, die Feststellung der Zielerreichung und die Prüfung, ob Anpassungsbedarf besteht, gewisse Ressourcen erforderlich. Die Prüfung, ob namentlich Tarifstrukturen und Tarife wirtschaftlich und sachgerecht sind und die Zulassung von Leistungserbringern den Anforderungen entspricht, ist aber unabhängig von einer Zielvorgabe eine Obliegenheit der zuständigen Behörden. Eine Zielvorgabe kann diese Aufgabe erleichtern, da sie Informationen liefert, ob die Kostenentwicklung in einem Bereich verläuft, der durch den medizinischen Bedarf gerechtfertigt erscheint. Zudem wird angestrebt, dass die Tarifpartner, um Eingriffe der zuständigen Behörden zu vermeiden, in eigener Regie kostendämpfende Massnahmen vereinbaren, was den Aufwand für Bund und Kantone ebenfalls reduzieren würde. Neu zu konstituieren sind eine ausserparlamentarische Kommission, die Empfehlungen für den Bundesrat ausarbeitet, sowie eventuell unterstützende Gremien für die einzelnen Kantone. Für die Akteure des Gesundheitswesens, die in der beratenden Kommission und in allfälligen kantonalen Gremien Einsitz nehmen, entsteht ein gewisser Zusatzaufwand, einerseits für die Mitarbeit in den Gremien und andererseits bei der Umsetzung der gegebenenfalls notwendigen Tarifanpassungen, die aber vermieden werden können, wenn die Tarife und Tarifstrukturen von den Tarifpartnern in Eigenregie gepflegt werden und jederzeit den Anforderungen entsprechen, also insbesondere wirtschaftlich sind.

Um die Auswirkungen der Vorlage zur Einführung einer Zielvorgabe vertieft zu prüfen und eine vertiefte Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen, wurde in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) eine Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) durchgeführt. Sie kommt zu folgenden Ergebnissen: ­

Beim Kostenwachstum besteht Handlungsbedarf, insbesondere aufgrund von Markt- und Regulierungsversagen, die zu Ineffizienzen im System geführt haben. Es ist anzunehmen, dass Zielvorgaben die Effizienz im Gesundheitswesen erhöhen und damit kostendämpfend wirken. Ihr zentrales Handlungsziel kann also erreicht werden. Allerdings ist darauf zu achten, dass sich Zielvorgaben nicht negativ auf die Versorgungssicherheit, den Vollzugsaufwand und den regulierten Wettbewerb auswirken.

­

Die Akteure sind unterschiedlich von Zielvorgaben betroffen. Zielvorgaben haben erhebliche Verteilungswirkungen. Die Autoren der RFA gehen davon aus, dass der Zugang zu Gesundheitsleistungen gewährleistet bleibt. Insbesondere medizinische Behandlungsleitlinien schränken den Spielraum der Leistungserbringer zur Reduktion notwendiger Leistungen ein. Sie werden deshalb in erster Linie Ineffizienzen abbauen. Aufgrund des vorhandenen Effizienzpotenzials und weil mit Zielvorgaben nur das Kostenwachstum beschränkt wird (mit marginalem Effekt auf die Kosten), ist kein Rückgang der Behandlungsqualität zu erwarten. Werden ungerechtfertigt strikte Massnahmen bei Überschreitung der Kosten ergriffen, ist es möglich, dass sich der Zugang zu Gesundheitsleistungen insbesondere für gewisse vulnerable Patientengruppen verschlechtert. Begleitmassnahmen wie die verstärkte Förderung von Netzwerken koordinierter Versorgung und die Überprüfung der Auswirkungen von Zielvorgaben auf die Qualitätsentwicklung könnten diesem Effekt entgegenwirken.

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­

Alternativen und Optimierungsmöglichkeiten: Der für die Vernehmlassung vorliegende Regelungsentwurf sollte noch weiter konkretisiert werden. Ein Bonus-/Malus-System könnte in Betracht gezogen werden, damit bisher effiziente Leistungserbringer durch die Einführung einer Zielvorgabe nicht bestraft werden. Im Idealfall haben Zielvorgaben zur Folge, dass bestehende und neue Kostendämpfungsinstrumente verstärkt genutzt werden.

­

Die Zielvorgabe wird Vollzugsaufwand generieren vor allem bei den Tarifpartnern (Beschaffung und Aufbereitung von Daten) und für die öffentliche Hand (Festlegung Kostenziele und Korrekturmassnahmen). Auch ist eine Zunahme der Rechtsstreitigkeiten zu erwarten. Insgesamt hält sich der zu erwartende zusätzliche Aufwand in Grenzen. Deshalb kann von einer hohen Wirksamkeit von Zielvorgaben ausgegangen werden: Der gesamtwirtschaftliche Nutzen beziehungsweise das Kostendämpfungspotenzial sollten den zu erwartenden Vollzugsaufwand deutlich übersteigen.

Die Aussagekraft der Ergebnisse ist insofern eingeschränkt, als zum Zeitpunkt der Abschätzung bei gewissen Punkten noch nicht abschliessend klar war, wie die Zielvorgabe genau ausgestaltet werden würde. Es bestehen deshalb gewisse Unsicherheiten bezüglich der definitiven Auswirkungen einer Zielvorgabe.

6.3.3

Umsetzungsfragen

Der Bundesrat ist zuständig für die Festlegung der Gesamtkostenziele für die einzelnen Kantone und die ganze Schweiz sowie für die Abgrenzung der Kostenblöcke und die Richtwerte für die kostenblockspezifischen Kostenziele. Zudem ist der Bund zuständig für die Prüfung von Massnahmen in Kostenblöcken, die seiner Verantwortung unterstehen (vgl. Art. 54 Abs. 1 Bst. b E-KVG). Zur Realisierung seiner Aufgaben setzt er eine beratende Kommission ein. Die konkrete Umsetzung seiner Aufgaben, insbesondere die Zielfestlegung, kann vom Bundesrat auf Verordnungsebene weiter spezifiziert werden.

Beispielsweise kann spezifiziert werden, wie der Bundesrat für die Kantone differenzierte Kostenziele festlegt, insbesondere mit Blick auf deren demografische Entwicklung. Ausserdem ist die Mitgliederzahl der Eidgenössischen Kommission für Kostenziele auf Verordnungsebene festzulegen. Die Zahl der Mitglieder sollte nicht zu gross ausfallen, da schlanke Gremien effizienter arbeiten als solche mit einer grossen Mitgliederzahl. Es sollte sichergestellt werden, dass die gewichtigsten Akteure angemessen vertreten sind. Die Wahrung der Interessen von Patientengruppen und Versicherten sollte durch unabhängige Vertreterinnen und Vertreter erfolgen. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine Mitgliederzahl von 11 bis 13 Personen.

Weiter wird zu präzisieren sein, ob sich die Kostenziele auf die Leistungserbringer in einem bestimmten Kanton beziehen und alle Versicherten einschliessen sollen, die von diesen behandelt werden, unabhängig davon, in welchem Kanton sie wohnhaft sind (Prinzip Standortkanton der Leistungserbringer), oder ob sie sich auf die Versicherten mit Wohnsitz in einem Kanton beziehen sollen, unabhängig davon, in welchem Kanton sich diese von Leistungserbringern behandeln lassen (Prinzip Wohnkanton der Versicherten).

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Das Prinzip Wohnkanton der Versicherten steht für die Festlegung von Kostenzielen im Vordergrund, da die Kostenziele aus einer Versorgungssicht definiert werden. Der Wohnkanton steht in der Verantwortung, die Versorgung seiner Einwohnerinnen und Einwohner mit Gesundheitsleistungen sicherzustellen. Bestehende Prognosen zur demografischen Entwicklung beziehen sich auf den Wohnkanton. Auch die Prämien und die Mitfinanzierung aus Steuermitteln kommen nach Wohnkanton zustande, und die Kosten pro versicherte Person sind ebenfalls pro Wohnkanton bekannt. Die Festlegung und Überprüfung von Kostenzielen gestaltet sich mit dem Prinzip Wohnkanton in der Praxis einfacher und spiegelt sich in der Prämienentwicklung.

Allenfalls notwendige subsidiäre Anpassungen an Tarifstrukturen oder der Tarifhöhe beziehungsweise eine entsprechende Anweisung an die Tarifpartner folgen den bisherigen Kompetenzen. Tarifverträge, die lediglich in einem bestimmten Kanton gelten, beziehen sich in der Regel auf Leistungserbringer mit Standort im entsprechenden Kanton. Entsprechend ist auch der Standortkanton dieser Leistungserbringer für die Genehmigung eines solchen Vertrages zuständig und kann auch die Tarifpartner zu Korrekturen anhalten, sollte es sich etwa zeigen, dass der Tarif nicht mehr wirtschaftlich ist. Tarifanpassungen durch den Wohnkanton würden im Extremfall dazu führen, dass ein Leistungserbringer mit 26 verschiedenen Tarifen abrechnen müsste. Tarifanpassungen durch andere Kantone als dem Standortkanton würden zudem auch nicht mit den bestehenden Prozessen zur Tarifaushandlung korrespondieren.

Die festzulegenden Kostenziele umfassen somit auch Leistungen von Leistungserbringern mit Sitz in einem anderen als dem Wohnkanton der Versicherten. Allfällige Korrekturen würden hingegen in der Regel nur Leistungserbringer mit Sitz im Wohnkanton betreffen, dafür auch Leistungen, welche diese Leistungserbringer für Versicherte mit Wohnsitz in einem anderen Kanton erbringen. Kostenziele und allfällige Korrekturmassnahmen fallen somit bei ausserkantonalen Leistungen und Leistungserbringern auseinander. Dies lässt sich durch die administrativen Erleichterungen rechtfertigen und entspricht auch der geltenden Praxis, die zeigt, dass die von einem Kanton verantwortete Höhe der Taxpunktwerte auch Auswirkungen auf die Kosten in anderen
Kantonen hat, soweit dessen Einwohnerinnen und Einwohner die Dienste von Leistungserbringern des einen Kantons in Anspruch nehmen. Wichtig ist, dass die Kantone bei der Prüfung von Massnahmen diesen Umstand berücksichtigen. Kommt eine Zielüberschreitung beispielsweise primär durch unwirtschaftlich hohe Tarife in einem Nachbarkanton zustande, ist eine Tarifanpassung im eigenen Kanton womöglich nicht zielführend, eine gegenseitige Abstimmung der Kantone hingegen angezeigt.

Für die Festlegung der kantonalen Kostenziele (innerhalb der bundesrechtlichen Toleranzmarge) und die Prüfung von allfälligen korrigierenden Massnahmen sind die Kantone zuständig. Es wird auf Verordnungsstufe festzulegen sein, innerhalb welcher Frist die Kantone dem BAG die Kostenziele sowie die allenfalls verlangten oder festgesetzten Anpassungen mitzuteilen haben.

Ziel der Neuregelung ist es, die Entwicklung der Kosten für Leistungen zulasten der OKP einzudämmen und auf diese Weise den Anstieg der von den Versicherten bezahlten Prämien zu begrenzen. Die Auswirkungen einer Zielvorgabe auf die Prämien können nicht genau quantifiziert werden, da sie von der konkreten Umsetzung durch

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die betroffenen Akteure, insbesondere durch die Kantone, abhängen. Generell ist davon auszugehen, dass mit dem indirekten Gegenvorschlag substanzielle Einsparungen zugunsten der Finanzierungsträger der OKP möglich sind. Diese Einsparungen werden sich in den Prämien widerspiegeln, denn die Versicherer müssen die Prämien so ansetzen, dass sie gerade die Kosten decken. Sobald diese Einsparungen in den effektiv angefallenen Kosten in den Leistungsdaten der Versicherer sichtbar werden, werden sie nachhaltig einen Einfluss auf die darauf beruhenden Kostenprognosen entfalten. Das BAG stützt sich bei der Genehmigung der Prämien der Versicherer auf ebendiese Kostenprognosen sowie auf weitere Faktoren wie die Sicherstellung der Solvenz eines einzelnen Versicherers. Der Prozess der Zielvorgabe und der Prozess der Prämienfestsetzung müssen eng aufeinander abgestimmt werden, damit das angestrebte Ziel rechtzeitig bekannt ist und in den Kostenschätzungen abgebildet werden kann.

Jeder einzelne Versicherer legt seine Prämien pro Kanton fest und reicht sie dem BAG zur Genehmigung ein. Bei der Beurteilung der Prämieneingabe hat das BAG daher neben der kantonalen Kostenentwicklung alle Einflussfaktoren zu berücksichtigen, die auf die Prämie des jeweiligen Versicherers wirken. Dazu gehören unter anderem die finanzielle Situation (evtl. ist ein Reserveaufbau oder Reserveabbau vorzunehmen) und die Berücksichtigung von Kapitalerträgen. Darüber hinaus ist die Bestandesentwicklung zu berücksichtigen. Hier kommt es neben positivem oder negativem Wachstum auch zu Veränderungen der Risikostruktur, die sich in den Schätzungen der Ausgleichsbeträge des Risikoausgleichs widerspiegeln. Als Vergleichsgrösse zur Zielvorgabe ist die kantonale Kostenentwicklung ohne die genannten zusätzlichen Einflussfaktoren relevant, die sogenannte exogene Teuerung. Die Zielvorgabe des Bundes für das Folgejahr wird im Dezember des Vorjahres festgelegt und die Festlegung durch die Kantone erfolgt im Juni rechtzeitig vor der Erstellung der Kostenprognosen, mit deren Hilfe Versicherer und Kantone die Kostenentwicklung schätzen. Die exogene Teuerung sollte also der Zielvorgabe entsprechen. Abweichungen hat der Versicherer dem BAG zu erläutern. Bei der Betrachtung der Prämienentwicklung ist ausserdem der Basiseffekt zu berücksichtigen (Beispiel: 3 %
von 300 Fr. sind mehr als 3 % von 280 Fr.).

Für ihre Umsetzungsaufgaben geniessen der Bund und die Kantone innerhalb der Bestimmungen des KVG einen breiten Handlungsspielraum. Es wird ihnen genügend Zeit eingeräumt für die Vorbereitung des Vollzugs. Die Kostenziele müssen zwar jährlich von Neuem festgelegt werden, was eine jährliche Wiederholung dieses Prozesses bedingt. Auf technischer Ebene können die Ziele von den Kantonen aber für mehrere Jahre im Voraus bereits vorbereitet werden, da sich die Ziele auf langfristige, relativ träge Faktoren wie das konjunkturbereinigte Wachstum von Preisen und Löhnen, die demografische Entwicklung und den technischen Fortschritt beziehen. Der Bundesrat unterstützt die Vorbereitung der Kantone auf technischer Ebene, indem er neben dem Kostenziel für das Folgejahr auch die Ziele für weitere drei Jahre provisorisch festlegt. Des Weiteren besteht bei nicht eingehaltenen Kostenzielen auch keine zeitliche Befristung für die Prüfung, ob Anpassungen notwendig sind. Nicht eingehaltene Kostenziele sind ein Hinweis für die zuständigen Behörden, dass die Kostenentwicklung oberhalb eines medizinisch erklärbaren Niveaus verläuft und eine Aufforderung, die Wirtschaftlichkeit und Sachgerechtigkeit von Tarifen, Tarifstrukturen

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und Preisen verstärkt zu prüfen und auch zu untersuchen, ob die Zulassung von Leistungserbringern angemessen gehandhabt wird. Allfällige Anpassungen in diesen Bereichen sind aber nicht zeitlich an die Kostenziele gebunden und sind auch unabhängig von nicht eingehaltenen Kostenzielen möglich.

6.4

Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen

Art. 21 Abs. 2 und 4 Die Versicherer wurden mit dem Bundesgesetz vom 19. März 202145 über die Datenweitergabe der Versicherer in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, verpflichtet, dem BAG regelmässig die für die Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Daten weiterzugeben. Die Daten sind grundsätzlich aggregiert weiterzugeben. Der Bundesrat kann allerdings vorsehen, dass die Daten für bestimmte Zwecke zudem pro versicherte Person weiterzugeben sind, sofern aggregierte Daten nicht zur Erfüllung der folgenden Aufgaben genügen und die Daten pro versicherte Person anderweitig nicht zu beschaffen sind.

Mit dem neu eingefügten Buchstaben d in Artikel 21 Absatz 2 soll auch die Festlegung von Kostenzielen unter diese möglichen Zwecke fallen. Sofern aggregierte Daten zur Festlegung von Kostenzielen nicht genügen und die Daten pro versicherte Person anderweitig nicht zu beschaffen sind, kann der Bundesrat vorsehen, dass die Versicherer dem BAG die Daten pro versicherte Person weitergeben müssen.

Zudem wird in Absatz 4 explizit vorgesehen, dass das BAG die von den Versicherern erhobenen Daten den Kantonen zur Verfügung stellt. Mit dem Bundesgesetz vom 19. März 2021 über die Datenweitergabe der Versicherer in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sind die Kantone einzig im breiteren Begriff der «Öffentlichkeit» als Adressaten mitenthalten.

Mit der vorgesehenen Gesetzesanpassung wird eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Umsetzung der Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung nach den Artikeln 54­54e E-KVG sicherzustellen. Auf Verordnungsebene wird zu präzisieren sein, welche Datenkategorien von der Datenweitergabe betroffen sein können.

Art. 46a Zwar muss ein Tarif bereits nach geltendem Recht betriebswirtschaftlich bemessen und sachgerecht strukturiert sein (Art. 43 Abs. 4 KVG) und eine qualitativ hochstehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten ermöglichen (Art. 43 Abs. 6 KVG), was von der Genehmigungsbehörde auch überprüft wird (Art. 46 Abs. 4 KVG). Auf Verordnungsebene werden die Tarifpartner verpflichtet, die Tarife regelmässig zu überprüfen und anzupassen, wenn die Anforderungen an einen Tarif nicht mehr erfüllt sind (Art. 59c Abs. 2 KVV). Kommen die Tarifpartner dieser Verpflichtung nicht nach und können sich nicht auf eine 45

BBl 2021 664. Vom Parlament verabschiedet, aber noch nicht in Kraft getreten.

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Revision einigen, hat der Bundesrat im Bereich der ambulanten Leistungen die Möglichkeit, subsidiär Anpassungen an einer nicht mehr sachgerechten Tarifstruktur vorzunehmen (Art. 43 Abs. 5bis KVG). Es fehlt jedoch bislang eine Möglichkeit für die zuständige Behörde, subsidiär eine nicht mehr sachgerechte Tarifstruktur im stationären Bereich anzupassen (vgl. Art. 49 Abs. 2bis E-KVG) oder nicht mehr sachgerechte und wirtschaftliche Tarife (Tarifhöhe, in Abgrenzung zur Tarifstruktur) anzupassen beziehungsweise die Tarifpartner zu deren Neuverhandlung anzuweisen, wenn die Tarifpartner sich nicht von sich aus auf eine Revision einigen können. Diese Lücke soll mit der Vorlage geschlossen werden.

Erfüllt ein Tarif die Anforderungen von Artikel 46 Absatz 4 KVG nicht mehr, so kann die für den Tarifvertrag zuständige Genehmigungsbehörde die Tarifpartner anweisen, den Tarif so anzupassen, dass er die Anforderungen von Artikel 46 Absatz 4 KVG wieder erfüllt. Kommt zwischen den Tarifpartnern innert einem Jahr kein angepasster Tarifvertrag zustande, so setzt die Genehmigungsbehörde den Tarif nach Anhören der Beteiligten fest. Das Vorgehen in diesem letzteren Fall entspricht damit der Regelung bei Nichteinigung der Tarifpartner und beim Fehlen eines Tarifvertrages (Art. 47 KVG). Damit wird auch die Inkonsequenz beseitigt, dass zwar ein neu vereinbarter Tarif in jedem Fall der Genehmigung durch die zuständige Behörde bedarf, dieselbe Behörde bisher aber keine Möglichkeit hatte, eine Anpassung zu verlangen, wenn sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit geändert haben und die Voraussetzungen für eine Genehmigung gar nicht mehr erfüllt sind. Die neue Möglichkeit, die Korrektur von nicht mehr wirtschaftlichen Tarifen zu verlangen, besteht unabhängig von der Einhaltung oder Überschreitung der Kostenziele nach den Artikeln 54­54e E-KVG.

Zuständig für das Prüfen von Korrekturmassnahmen ist die für die Genehmigung eines Tarifvertrags oder den Erlass eines Tarifs, von Bestimmungen über die Höhe der Vergütung oder die Erstellung von Preislisten zuständige Behörde. Im Fall von Tarifverträgen, die die vereinbarte Höhe der Vergütung (Tarifhöhe) eines oder mehrerer Leistungserbringer regeln, sind dies zumeist die Kantone. Die Kantonsregierungen entscheiden selbst, in welcher Weise und in welchem Umfang sie bei einem Überschreiten
der Kostenziele korrigierend eingreifen. Gebunden sind sie allerdings daran, dass der Zugang zu den versicherten Leistungen auch mit den ergriffenen Massnahmen gewährleistet werden muss. Zudem sollen die Massnahmen geeignet sein, die nicht mehr erfüllten Voraussetzungen an einen Tarif, insbesondere die Wirtschaftlichkeit, wiederherzustellen. Analog zum generellen Vorgehen bei der Erarbeitung von Tarifverträgen (Art. 46 und 47 KVG) sollen zudem in einem ersten Schritt die Tarifpartner selbst die nötigen Massnahmen zur Einhaltung der Kostenziele in den Tarifverträgen vereinbaren und der Kantonsregierung zur Genehmigung unterbreiten. Erst wenn die Tarifpartner dem nicht nachkommen, muss die Kantonsregierung selber einen Tarif festsetzen.

Im speziellen Fall von Leistungen, für welche die Tarifpartner gesamtschweizerische Tarifverträge nach Artikel 46 Absatz 4 KVG abgeschlossen haben, in denen eine schweizweit einheitliche Höhe der Vergütung (Tarifhöhe) vereinbart wurde (hier nicht gemeint sind also schweizweit geltende Tarifstrukturverträge wie beispielsweise SwissDRG oder TARPSY, welche keine schweizweit einheitliche Tarifhöhe vorsehen), ist der Bundesrat für die Prüfung der fortdauernden Sachgerechtigkeit des Tarifs zuständig. Kommt der Bundesrat zum Schluss, dass die zuvor gegebenen 32 / 52

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Voraussetzungen für die Genehmigung nicht mehr erfüllt sind, kann er die Tarifpartner anweisen, den Tarif so anzupassen, dass er die Anforderungen von Artikel 46 Absatz 4 KVG wieder erfüllt. Kommt zwischen den Tarifpartnern innert der gesetzten Frist kein neuer Tarifvertrag zustande, kann die Genehmigungsbehörde (in diesem speziellen Fall der Bundesrat) die zuvor von ihr erteilte Genehmigung widerrufen. Dagegen ist ebenso wie gegen die zuvor erfolgte Genehmigung des Tarifvertrags durch den Bundesrat kein Rechtsweg vorgesehen. Danach greifen die Bestimmungen bei Fehlen eines Tarifvertrags (Art. 47 KVG), womit wieder die Kantone für die Festsetzung angepasster, sachgerechter Tarife zuständig würden. Der Bundesrat wird in diesem speziellen Fall also keine angepassten Tarife festsetzen.

Art. 49 Abs. 2bis Der Bundesrat soll neu Anpassungen an den Tarifstrukturen für stationäre Behandlungen vornehmen können, wenn sie sich als nicht mehr sachgerecht erweisen und sich die Parteien nicht auf eine Revision einigen können. Es handelt sich um eine subsidiäre Kompetenz analog zur bisherigen Regelung für Einzelleistungstarifstrukturen und zu der mit der Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1a)46 beschlossenen Ausweitung der subsidiären Kompetenz des Bundesrates auf Patientenpauschaltarifstrukturen für ambulante Behandlungen.

Damit verfügt der Bundesrat für alle Tarifstrukturen für Leistungen nach dem KVG über dieselben subsidiären Kompetenzen, die nur dann angewendet werden können, wenn die Tarifpartner die Pflege und Anpassung der Tarifstrukturen nicht in eigener Regie gewährleisten können. Die Möglichkeit, die subsidiäre Kompetenz wahrzunehmen, besteht wie bei den bereits bestehenden oder vorgesehenen subsidiären Kompetenzen bei Tarifstrukturen für ambulante Leistungen unabhängig von der Einhaltung oder Überschreitung der Kostenziele nach Artikel 54­54e E-KVG.

Art. 53 Abs. 1 Vorbemerkung: Koordination mit dem Geschäft 19.046 «KVG. Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1» In der Botschaft des Bundesrates vom 21. August 201947zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1) wurde eine Änderung von Artikel 53 Absatz 1 KVG vorgeschlagen. Die Bundesversammlung hat die KVG-Änderung am 18. Juni 2021
mit dem Paket 1a verabschiedet.48 Die darin enthaltenen Bestimmungen werden in der Vorlage berücksichtigt (Erwähnung des neuen Art. 47b Abs. 2 KVG als anfechtbarer Beschluss einer Kantonsregierung beim Bundesverwaltungsgericht).

Artikel 53 Absatz 1 KVG listet die Entscheide der Kantonsregierungen im Zusammenhang mit der Umsetzung des KVG auf, gegen die beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt werden kann. Mit der Vorlage zur Zielvorgabe sollen auch die 46 47 48

BBl 2021 1496 BBl 2019 6071 BBl 2021 1496

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Entscheide der kantonalen Genehmigungsbehörde über Anpassungen an Tarifen, welche sie als Resultat der Prüfungen im Anschluss an eine Überschreitung der Kostenziele d (Art. 46a E-KVG) verlangen, beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar sein und werden deshalb hier erwähnt. Massnahmen des Bundesrates nach Artikel 46a E-KVG für Leistungen nach Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe b E-KVG hingegen sowie Anpassungen der stationären Strukturen (Art. 49 Abs. 2bis E-KVG) sind nicht anfechtbar, ebenso wenig wie die bisherigen Anpassungen der ambulanten Strukturen nach Artikel 43 Absatz 5bis KVG.

Art. 54 Abs. 1 Artikel 54 E-KVG legt die Grundzüge der Zielvorgabe fest. Der Bundesrat hat die Aufgabe, ein Ziel für das maximale Kostenwachstum der der Leistungen nach dem KVG im Vergleich zum Vorjahr festzulegen. Der Verweis auf die «Leistungen nach diesem Gesetz» bedeutet, dass nicht nur die «Nettoleistungen» der Versicherer, sondern auch die Kostenbeteiligung der versicherten Personen sowie die Mitfinanzierung der Kantone für stationäre Leistungen und die Restfinanzierung der Kantone für Pflegeleistungen im Kostenziel enthalten sind.

Die Festlegung der Zielvorgaben erfolgt einerseits für die gesamte Schweiz, bezogen auf alle Leistungen (Bst. a). Für gewisse Kostenblöcke in seiner Zuständigkeit legt der Bundesrat zudem schweizweite Kostenziele fest (Bst. b); die Kantone können für diese Kostenblöcke keine eigenen Kostenziele festlegen. Es handelt sich dabei um Analysen, Arzneimittel, Mittel und Gegenstände, die der Untersuchung und Behandlung dienen, sowie Leistungen, für welche die Tarifpartner gesamtschweizerisch geltende Tarifverträge nach Artikel 46 Absatz 4 KVG abgeschlossen haben, die vom Bundesrat genehmigt wurden und in denen eine schweizweit einheitliche Höhe der Vergütung (Tarifhöhe) vereinbart wurde. Es geht also nicht um gesamtschweizerisch einheitliche Tarifstrukturverträge, welche (ohne Taxpunktwert oder dergleichen) die relativen Bewertungen von Leistungen im Vergleich zu anderen Leistungen enthalten. Falls die Festsetzung der Tarifhöhe (des Taxpunktwerts oder dergleichen) wie beispielsweise bei den Tarifverträgen zu TARMED, SwissDRG oder TARPSY nicht schweizweit einheitlich erfolgt, fällt die Leistung nicht in die Kategorie nach Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 4.

Abs. 2 Der Bundesrat legt
andererseits für jeden Kanton einzeln ein Ziel fest. Diese Ziele für das maximale Kostenwachstum sind für jeden Kanton verschieden und abgestimmt auf die individuelle wirtschaftliche und demografische Situation. Sie betreffen die Summe der Kostenblöcke in der Zuständigkeit der Kantone (Bst. a). Der Bundesrat ist dabei an den Grundsatz der Verhältnismässigkeit gebunden. Der Bundesrat setzt eine für alle Kantone einheitliche Toleranzmarge für die Abweichung nach oben fest, innerhalb deren die Kantone von den für sie gesetzten kantonsindividuellen Zielen abweichen und für sich ein eigenes Ziel festlegen können (Bst. b). Der Bundesrat legt zudem Richtwerte fest für das Kostenwachstum in den einzelnen Kostenblöcken in der Zuständigkeit der Kantone (Bst. c). Diese Empfehlungen sind nicht auf die

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spezifische Situation in einzelnen Kantonen abgestimmt, sondern beziehen sich auf den Durchschnitt aller Kantone. Sämtliche Ziele werden veröffentlicht.

Die Kostenziele des Bundesrates sind definiert als maximale Kostensteigerungsrate (Prozentsatz im Vergleich zum Vorjahr), die für die Kosten der OKP nicht überschritten werden soll.

Abs. 3 Die Festlegung der Kostenziele muss ausgehend vom medizinischen Bedarf und den als wirtschaftlich erachteten Leistungen erfolgen. Wichtige Kriterien dafür sind die Entwicklungen, die sich auf die Mengen und auf die Preise auswirken. Entsprechend darf die Zielfestlegung nicht losgelöst von volkswirtschaftlichen Kriterien (etwa wirtschaftliche Entwicklung, Lohn- und Preisentwicklung) und anderen Kriterien wie die Demografie und der medizinische Fortschritt erfolgen. Auch das vorhandene Effizienzverbesserungspotenzial ist mit einem geschätzten Anteil von 16 bis 19 Prozent an den Kosten für die Leistungen nach dem KVG beträchtlich. Es soll bei der Festlegung der Kostenziele und Toleranzmargen ebenfalls berücksichtigt werden.49 Die nicht abschliessende Aufzählung ermöglicht die Berücksichtigung weiterer wichtiger Kriterien.

Abs. 4 Der Bundesrat setzt zu seiner Unterstützung eine beratende Kommission für Kostenziele ein, in der auch die Kantone, die Leistungserbringer, die Versicherer, die Versicherten und Fachleute angemessen vertreten sein sollen (vgl. Art. 54e E-KVG).

Darüber hinaus hört der Bundesrat vor der Festlegung der Kostenziele und der Kostenblöcke die Kantone, die Leistungserbringer und die Versicherer an.

Abs. 5 Der Anspruch der Versicherten auf die Kostenübernahme der versicherten Leistungen bleibt in jedem Fall gewahrt. Das heisst insbesondere, dass bei der Festlegung von Kostenzielen darauf zu achten ist, dass sie genügend hoch bemessen sind, sodass der Zugang der Versicherten zu den versicherten, als wirtschaftlich erachteten Leistungen gewährleistet werden kann. Allfällige Korrekturmassnahmen dürfen nicht so einschneidend sein, dass versicherte Leistungen für die versicherten Personen in der Folge gar nicht mehr zugänglich sind, etwa weil so viele Leistungserbringer ihre Tätigkeit einstellen, dass der Zugang nicht mehr sichergestellt ist.

Abs. 6 Die Auswirkungen der Kostenziele auf die Entwicklung von Kosten und Qualität werden regelmässig
überprüft. Damit soll sichergestellt werden, dass einerseits über die angestrebte Zielerreichung im Bereich Kosten und allenfalls ergriffene Massnahmen (vgl. Art. 54d E-KVG) in den einzelnen Kantonen Transparenz besteht

49

Vgl. Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie ZHAW und INFRAS (2019): Effizienzpotenzial bei den KVG-pflichtigen Leistungen, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Laufende Revisionsprojekte > KVGÄnderung: Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2.

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und andererseits allfällige unerwünschte Auswirkungen im Qualitätsbereich rasch erkannt würden und entsprechende Gegenmassnahmen ergriffen werden könnten.

Der bisherige Artikel 54 KVG kann überschrieben werden, da die dort aufgeführte Möglichkeit für die Versicherer, dem Kanton zu beantragen, einen Gesamtbetrag (Globalbudget) für die Finanzierung der Spitäler und Pflegeheime festzusetzen, in der Praxis ohne Relevanz blieb. Den Kantonen bleibt es mit Artikel 51 KVG weiterhin freigestellt, nach vorheriger Anhörung der Leistungserbringer und der Versicherer einen Gesamtbetrag für die Finanzierung der Spitäler oder der Pflegeheime festzusetzen. Diese noch niemals genutzte Möglichkeit der Versicherer im Sinne einer ausserordentlichen Massnahme zur Eindämmung der Kostenentwicklung kann ersetzt werden durch die Einführung der Zielvorgabe. Die Zielvorgabe als effizientes Mittel zur Überprüfung der Kostenentwicklung auf die Notwendigkeit von Korrekturmassnahmen ist nicht als ausserordentliche, sondern als ständige Massnahme zur Kostendämpfung konzipiert.

Art. 54a Abs. 1 Der Bundesrat teilt die einzelnen Leistungsbereiche Kostenblöcken zu. Die Zuteilung soll einheitlich für die ganze Schweiz festgelegt werden und möglichst stabil sein, damit Vergleiche zur Kostensteigerung über mehrere Jahre und zwischen den Kantonen möglich sind. Es ist vorgesehen, grundsätzlich mindestens zwischen ambulanten, spitalambulanten und stationären Leistungserbringern zu unterscheiden.

Darüber hinaus kann der Bundesrat weitere Differenzierungen vornehmen. Sollten beispielsweise Netzwerke zur koordinierten Versorgung in Zukunft als eigene Kategorie von Leistungserbringern gesetzlich definiert werden, könnte der Bundesrat einen separaten Kostenblock für sie vorsehen. Der Bundesrat kann aber auch mehrere Arten von Leistungserbringern zu einem Kostenblock zusammenfassen und für die ambulanten ärztlichen Leistungen nach Fachrichtungen oder Gruppen von Fachrichtungen sowie nach Art der Leistungserbringer (beispielsweise spitalambulant vs. praxisambulant) getrennte Kostenblöcke festlegen. Die Kantone müssen die auf Bundesebene festgelegten Kostenblöcke übernehmen. Der Bundesrat hört vor der Festlegung der Kostenblöcke die Kantone, Leistungserbringer und Versicherer an.

Abs. 2 Gewisse Leistungen, für die ausschliesslich der Bund für
die Festlegung von Kostenzielen verantwortlich ist (Art. 54 Abs. 1 Bst. b), bilden eigene Kostenblöcke.

Die Leistungen nach Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 4 können auf mehrere Kostenblöcke aufgeteilt werden.

Abs. 3 Leistungsbereiche mit einem geringen Einfluss auf die Gesamtkostenentwicklung können vom Bundesrat von der Zuteilung in Kostenblöcke ausgenommen werden.

Leistungsbereiche mit kleinem Volumen können aber eine starke Kostenentwicklung aufweisen. Zu berücksichtigen ist also nicht allein das Volumen, sondern auch dessen Entwicklung. Auch unverhältnismässige administrative Kosten im Vergleich zum betroffenen Volumen können in die Entscheidung über eine Ausnahme einfliessen.

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Art. 54b Abs. 1 Artikel 54b E-KVG regelt das Verfahren und die Kriterien, welche die Kantone bei der Festlegung der Kostenziele zu beachten haben. Die konkrete Festlegung der Kostenziele für den jeweiligen Kanton und für die einzelnen Kostenblöcke in ihrer Zuständigkeit ist Aufgabe der Kantone. Grundsätzlich sollen sich die Kantone bei der Festlegung ihrer Ziele an denselben Kriterien orientieren wie der Bund. Sie haben dabei ebenfalls einen grossen Ermessensspielraum.

Abs. 2 Die Kantone können von den Richtwerten des Bundesrates für die einzelnen Kostenblöcke abweichen, solange auf kantonaler Ebene das festgelegte Gesamtkostenziel und die Summe der einzelnen Ziele für die Kostenblöcke das vom Bund vorgegebene Kostenziel je Kanton zuzüglich Toleranzmarge nicht übersteigen. Das gibt ihnen die Möglichkeit, spezifische Verhältnisse im Kanton und unterschiedliche Effizienzpotenziale in den verschiedenen Bereichen zu berücksichtigen. So kann beispielsweise auf eine in einem Kanton schon weitgehend erfolgte oder im Gegenteil noch ausstehende Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich eingegangen werden.

Abs. 3 Mit Rücksicht auf die Organisationsautonomie der Kantone soll diesen nicht vorgeschrieben werden, eine beratende Kommission analog zu jener auf Bundesebene (vgl.

Art. 54e E-KVG) einzurichten. Die Kantone werden aber verpflichtet, die Leistungserbringer und die Versicherer in die Entscheidfindung bezüglich Kostenziele einzubeziehen.

Abs. 4 Die Kantone haben eine Mitteilungspflicht. Sie teilen dem BAG die von ihnen festgelegten Kostenziele mit und diese werden veröffentlicht. Das BAG stellt fest, inwieweit die von den Kantonen festgelegten Ziele (ebenso wie die vom Bund festgelegten Ziele) für die Kostenentwicklung eingehalten wurden. Im Falle der Pflegeleistungen schätzt das BAG dafür im Rahmen der aktuellen Finanzierungsregelung auch den Umfang und die Entwicklung der Beiträge der versicherten Personen sowie der Restfinanzierung durch die Kantone ab. Den Kantonen wird vom BAG im Rahmen der verfügbaren Informationen detailliert mitgeteilt, ob die von ihnen gesetzten Ziele überschritten wurden und wenn ja, in welchem Umfang und in welchen Bereichen.

Damit haben die Kantone eine Entscheidgrundlage für die Prüfung von allenfalls notwendigen Massnahmen (vgl. Art. 54d E-KVG). Zusätzlich
veröffentlicht das BAG die Ergebnisse über den Erreichungsgrad der Kostenziele in den verschiedenen Kantonen und Kostenblöcken, womit Transparenz und Verbindlichkeit geschaffen werden.

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Art. 54c Abs. 1 Der Bundesrat hat seine Kostenziele zuhanden der Kantone spätestens 12 Monate vor Beginn des Kalenderjahres festzulegen, für das sie gelten sollen. Im Sinne einer rollenden Planung soll er gleichzeitig auch die provisorischen, aber noch nicht verbindlichen Kostenziele für die folgenden drei Jahre festlegen. Dies ermöglicht es allen Akteuren, sich auf die mittelfristig zu erwartenden Ziele einzustellen. Bei Vorliegen neuer Erkenntnisse, beispielsweise aus der regelmässigen Überprüfung der Auswirkungen auf die Kosten- und Qualitätsentwicklung (vgl. Art. 54 Abs. 6 E-KVG), kann der Bundesrat bei der Festlegung der definitiven Ziele für die drei Folgejahre von den zuvor provisorisch kommunizierten, angestrebten Werten abweichen, sofern ihm dies notwendig erscheint, um etwa einen ungerechtfertigten Kostenanstieg oder eine nicht erwünschte Leistungs- und Qualitätseinschränkung zu verhindern.

Abs. 2 Die auf Bundesebene verbindlich festgelegten Kostenziele für die Leistungen nach Artikel 52 KVG sind wie diejenigen der Kantone spätestens sechs Monate vor ihrem Inkrafttreten festzulegen. Dasselbe gilt für die Kostenziele der übrigen Kostenblöcke in Bundeskompetenz (vgl. Art. 54a Abs. 3 E-KVG).

Abs. 3 Die Kantone müssen spätestens sechs Monate vor Beginn des Jahres, für das die Zielvorgabe gelten soll, die Kostenziele innerhalb der Toleranzmarge festlegen. Die Kantone sind frei, ihre angestrebten Ziele ebenfalls für die drei folgenden Jahre zu kommunizieren, damit sich die betroffenen Akteure auf die zu erwartende Entwicklung einstellen können und damit die Festlegung auf technischer Ebene für mehrere Jahre gebündelt erfolgen kann.

Abs. 4 Für den Fall, dass ein Kanton seine Kostenziele nicht rechtzeitig festlegt, gelten die Kostenziele des Bundesrates und die Richtwerte nach Artikel 54 Absatz 2 Buchstabe c ohne Einbezug der Toleranzmarge. Es gilt also einerseits das Kostenziel des Bundesrates für den gesamten Kanton und andererseits der vom Bundesrat festgelegte Richtwert für die Aufteilung auf die einzelnen Kostenblöcke, jeweils ausgehend vom Gesamtkostenziel für den Kanton.

Art. 54d Abs. 1 Die Kostenziele werden ausgehend vom medizinischen Bedarf und den für ihre Deckung notwendigen Kosten ermittelt (vgl. Art. 54 E-KVG). Eine Überschreitung der Kostenziele ist deshalb ein Hinweis dafür,
dass die Kostenentwicklung möglicherweise nicht nur durch medizinisch gerechtfertigte Leistungen und Kosten getrieben wird, sondern dass auch eine medizinisch nicht gerechtfertigte Mengenausweitung stattfindet, zu viele Leistungserbringer zugelassen sind oder zu 38 / 52

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hohe beziehungsweise anderweitig nicht sachgerechte und wirtschaftliche Tarife, Tarifstrukturen und Preise vorliegen könnten. Artikel 54d verpflichtet den Bundesrat und die Kantone, bei einer Überschreitung der Kostenziele in den Bereichen ihrer jeweiligen Zuständigkeit mögliche Ursachen für die Überschreitung zu ermitteln und zu prüfen, ob regulatorische Massnahmen notwendig sind.

Als regulatorische Massnahmen in Frage kommen die Instrumente, die das KVG den zuständigen Behörden zuweist und die geeignet sind, die Ursachen für eine nicht durch den medizinischen Bedarf getriebene übermässige Kostenentwicklung abzumildern. Die Massnahmen sollen also der identifizierten Struktur des Problems und der Ursache der Zielüberschreitung angemessen sein. Zentral ist zudem, dass der Anspruch der versicherten Personen auf die versicherten Leistungen stets erfüllt werden kann. Korrekturmassnahmen dürfen also nicht so einschneidend sein, dass gewisse Leistungen für die versicherten Personen in der Folge gar nicht mehr zugänglich sind, etwa weil zu viele Leistungserbringer ihre Tätigkeit einstellen oder in den Ausstand im Sinne von Artikel 44 Absatz 2 KVG treten.

Zu denken wäre etwa an eine Überprüfung der Definition der versicherten, als wirtschaftlich erachteten Leistungen, der Regulierungen des Angebots an Leistungserbringern und die Korrektur von Tarifungleichgewichten oder der Tarifhöhe beziehungsweise des Preises. Die zuständigen Behörden sollen insbesondere prüfen, ob die von den Tarifpartnern vereinbarten und von der jeweiligen Genehmigungsbehörde im Anschluss daran genehmigten oder ­ bei Nichteinigung der Tarifpartner ­ von den Genehmigungsbehörden festgesetzten Tarife die gesetzlichen Anforderungen, namentlich die Kriterien von Artikel 46 Absatz 4 KVG, nach wie vor erfüllen. Die zuständigen Behörden sind in dieser Überprüfung nicht an zeitliche Vorgaben gebunden.

Damit wird auch dem unterschiedlichen notwendigen Zeithorizont für regulatorische Anpassungen in den verschiedenen Bereichen (beispielsweise Zyklen der Spitalplanung) Rechnung getragen.

Abs. 2 Die für die Prüfung von Massnahmen zuständige Behörde ist verpflichtet, die Kostenentwicklung und die Ergebnisse der in den Vorjahren getroffenen Massnahmen sowie aussergewöhnliche Ereignisse zu berücksichtigen. Beispielsweise können Massnahmen erst
mit Verzögerung einen Effekt entfalten, aussergewöhnliche Entwicklungen können das Ausmass der medizinisch begründbaren Kostenentwicklung gegenüber den zuvor festgelegten Kostenzielen verändern und Leistungsmengen können in einzelnen Jahren zufällig schwanken, besonders in Kantonen und Kostenblöcken mit geringem Kostenvolumen.

Bei aussergewöhnlichen Ereignissen verbleibt die Zuständigkeit primär bei den Kantonen. Diese können im Rahmen ihrer Pflicht zur Prüfung von Massnahmen entweder vollkommen oder teilweise auf Korrekturmassnahmen verzichten. Würde zum Beispiel die öffentliche Gesundheit aufgrund einer langanhaltenden Hitzewelle bedroht, könnte jeder Kanton selbst entscheiden, Massnahmen zu ergreifen oder nicht.

Da die Bedrohung durch aussergewöhnliche Ereignisse regionalen Unterschieden unterliegt, ist es angemessen, diese Kompetenz den Kantonen zu überlassen. Wenn ein aussergewöhnliches Ereignis, wie beispielsweise eine Epidemie, eine gesamt-

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schweizerische einheitliche Lösung erfordert, kann der Bundesrat in der ausserordentlichen Lage nach dem Epidemiengesetz vom 28. September 201250 für das ganze Land oder für einzelne Landesteile die notwendigen Massnahmen anordnen.

Unter einem aussergewöhnlichen Ereignis im Sinne von Artikel 54d Absatz 2 E-KVG ist in erster Linie eine akute Bedrohung der öffentlichen Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zu verstehen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) bietet in seinem Risikobericht51 eine systematische Übersicht über das Gefährdungspotenzial von möglichen Katastrophen und Notlagen, die auch Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben könnten. Dabei handelt es sich um ein breites Spektrum von natur-, technik- und gesellschaftsbedingten Ereignissen. Für die Zielvorgabe sind insbesondere Ereignisse relevant, die eine erhöhte Krankheitslast in der Bevölkerung zur Folge hätten und nicht als Unfall nach Artikel 4 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200052 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts definiert sind. Darunter fielen beispielsweise längere Ausfälle und Einschränkungen von kritischen Infrastrukturen (Stromversorgung, Trinkwasserversorgung, Heilmittelversorgung), Naturgefahren (Hitzewelle) und andere gesellschaftliche Gefährdungen (Andrang Schutzsuchender). Als Unfall betrachtet würden Ereignisse wie gravitative Naturgefahren (Hochwasser, Lawinen, Felssturz), Unfälle in Produktions-, Verteil- und Speicheranlagen (Atomkraftwerk) oder andere gesellschaftsbedingte Gefährdungen (Terrorismus und Cyber-Kriminalität).

Abs. 3 Die Kantone trifft wiederum eine Mitteilungspflicht, analog zu den festgelegten Kostenzielen. Sie teilen die ergriffenen Massnahmen dem BAG mit, das sie veröffentlicht. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, dass Massnahmen, welche sich in einzelnen Kantonen als erfolgreich erwiesen haben, auch in anderen Kantonen rasch bekannt werden.

Abs. 4 Dem gleichen Zweck dient die Verpflichtung der Kantone, periodisch einen Bericht über die Kostenentwicklung im Vergleich zu den gesetzten Zielen zu erstellen und die allenfalls getroffenen Massnahmen aufzuführen. Die Periodizität wird auf Verordnungsebene zu definieren sein. Möglich wäre etwa ein Publikationsrhythmus von jeweils vier Jahren.

Art. 54e Abs. 1 Der Bundesrat setzt eine Kommission für Kostenziele ein. Artikel 57b des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199753 (RVOG; 50 51

52 53

SR 818.101 Bericht zur nationalen Risikoanalyse (Katastrophen und Notlagen Schweiz 2020). Der Bericht ist abrufbar unter: www.babs.admin.ch. >Weitere Aufgabenfelder > Gefährdungen und Risiken > Nationale Risikoanalyse.

SR 830.1 SR 172.010

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definiert die Voraussetzungen, unter denen ausserparlamentarische Kommissionen eingesetzt werden können. Vorliegend sind sämtliche der in Artikel 57b Buchstaben a­c RVOG aufgeführten Voraussetzungen erfüllt. Die Festlegung der Kostenziele erfordert besonderes Fachwissen, das in der Bundesverwaltung nicht ausreichend vorhanden ist. Ein frühzeitiger Einbezug der Kantone und weiterer Akteure des Gesundheitswesens ist elementar, und die Empfehlungen zur Zielfestlegung sollen nicht weisungsgebunden erfolgen. Die Aufgabe der Kommission kann also nicht geeigneter durch eine Einheit der zentralen Bundesverwaltung erfüllt werden.

Zugleich sollte die Organisation nicht ausserhalb der Bundesverwaltung stehen, damit sie über die notwendigen Ressourcen verfügt und eine Ausrichtung an den Bedürfnissen des KVG gewährleistet ist. Damit sind auch die Voraussetzungen von Artikel 57c RVOG erfüllt.

Abs. 2 Die Kommission berät den Bundesrat bei der Festlegung der Kostenziele, der Kostenblöcke und der für alle Kantone einheitlichen Toleranzmarge.

Abs. 3 Die Kommission setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der Kantone, der Leistungserbringer, der Versicherer und der Versicherten sowie unabhängigen Fachpersonen, insbesondere aus Medizin und Ökonomie.

Die Bestimmung kann vom Bundesrat weiter konkretisiert werden. Im Übrigen gelten die allgemeinen Bestimmungen zu ausserparlamentarischen Kommissionen imRVOG und in der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 199854. Für die Finanzierung der Kommission für Kostenziele soll der Bund aufkommen, da es der Auftrag der Kommission ist, den Bundesrat zu beraten.

Entsprechend erübrigen sich separate Bestimmungen zur Finanzierung; es gelten die allgemeinen Grundsätze von Artikel 57a ff. RVOG.

Übergangsbestimmung Kostenziele werden erstmals für das Jahr festgelegt, das nach Ablauf von zwei Jahren nach Inkrafttreten dieser KVG-Änderung beginnt. Tritt die Änderung also beispielsweise auf den 1. Januar 2023 in Kraft, so würden erstmals für das Jahr 2025 Kostenziele festgelegt. In Verbindung mit den Fristen in Artikel 54c E-KVG würde dies heissen, dass der Bundesrat im Jahr 2023 die Kommission für Kostenziele (Art. 54e E-KVG) einsetzen müsste, die ihn bei der Festlegung der Kostenziele berät.

Bis zum 31. Dezember 2023 müsste der Bundesrat
die Toleranzmarge und die Kostenziele für das Jahr 2025 (sowie die provisorischen Kostenziele für die Jahre 2026, 2027 und 2028) für alle Leistungen in der Schweiz sowie für die einzelnen Kantone festlegen sowie Richtwerte zur Aufteilung auf die einzelnen Kostenblöcke abgeben (Art. 54 Abs. 1 Bst. a, Art. 54 Abs. 2, Art. 54c Abs. 1 E-KVG). Bis zum 30. Juni 2024 müssten die Kantone sowie der Bundesrat die Kostenziele für die Kostenblöcke in ihrer Zuständigkeit festlegen (Art. 54 Abs. 1 Bst. b, Art. 54b Abs. 1, Art. 54c Abs. 2 und 3 E-KVG). Nach Ablauf des Jahres 2025 würde das BAG den 54

SR 172.010.1

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Grad der Zielerreichung in der ersten Hälfte des Jahres 2026 feststellen und den Kantonen mitteilen (Art. 54b Abs. 4 E-KVG).

6.5

Auswirkungen

6.5.1

Auswirkungen auf den Bund

Finanzielle Auswirkungen Ziel dier Neuregelung ist es, die Entwicklung der Kosten für Leistungen zulasten der OKP einzudämmen und auf diese Weise den Anstieg der von den Versicherten bezahlten Prämien zu begrenzen. Die Massnahme sollte daher ebenfalls dazu beitragen, den Anstieg der Subventionen, die der Bund den Kantonen gemäss Artikel 66 Absatz 2 KVG zur Verbilligung der Prämien der Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen gewährt, zu bremsen. Dieser Beitrag belastet das Bundesbudget mit rund 2,8 Milliarden Franken, und wird ­ weil prozentual (7,5 %) an die Bruttokosten der OKP gebunden ­ in den kommenden Jahren weiter ansteigen.

Generell geht der Bundesrat davon aus, dass mit der vorgeschlagenen Massnahme die Kostenentwicklung in allen vier grossen Kostenblöcken gebremst werden kann. Der Bundesrat erachtet eine Zielvorgabe als ein geeignetes Instrument, um das vorhandene Effizienzpotenzial im Gesundheitswesen nutzen zu können, womit die Kostenentwicklung in der OKP gebremst werden kann. Dieses beträgt nach aktuellen Schätzungen 16­19 Prozent der Kosten der Leistungen nach dem KVG.55 Die RFA schätzt das gesamtwirtschaftliche Einsparpotenzial als hoch ein, kann aber nicht exakt prognostizieren, wie sich Zielvorgaben auf die Kostenentwicklung auswirken würden, weil die Unsicherheiten zu gross sind. Eine Projektion der Einsparungen, die auf Schätzungen der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) über die zukünftigen Gesundheitskosten basiert, zeigt bei langfristiger Betrachtung (30 Jahre) einen potenziellen kostendämpfenden Effekt in der Grössenordnung von 0,7 Prozent des BIP. Diese Projektionen sind aber mit Unsicherheiten behaftet und basieren auf Annahmen, die nicht notwendigerweise zutreffen müssen.

Die kostendämpfende Wirkung hängt insbesondere davon ab, wie die Massnahme von den Akteuren, insbesondere den einzelnen Kantonen, umgesetzt wird und wie die Leistungserbringer und die Patientinnen und Patienten darauf reagieren. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt deshalb nicht möglich, die konkreten finanziellen Folgen für den Bund eines grossen Teiles der Massnahmen verlässlich zu quantifizieren. Die RFA erwähnt, ausgehend von Zahlen für das Jahr 2017, eine Grössenordnung der möglichen Einsparungen mit einer Zielvorgabe bis 2047 im Vergleich zu einem

55

Vgl. Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie ZHAW und INFRAS (2019): Effizienzpotenzial bei den KVG-pflichtigen Leistungen, Schlussbericht, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Laufende Revisionsprojekte > KVG-Änderung: Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2.

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Referenzszenario ohne Zielvorgabe.56 Allerdings sind solche langfristigen Projektionen unsicher und von vielen Annahmen abhängig, sodass keine eigentliche quantitative Prognose möglich ist.

Unabhängig davon, dass es nicht möglich ist, das Einsparpotenzial genau zu beziffern, geht der Bundesrat von einem insgesamt spürbaren Kostendämpfungseffekt aus. Mit der Zielvorgabe soll ein Instrument eingeführt werden, das über die Steigerung der Kosten- und Mengentransparenz langfristig die Kostenwachstumsrate senken sollte, mit entsprechend positiven finanziellen Auswirkungen unter anderem auf den Bund.

Personelle Auswirkungen Die Umsetzung einer Zielvorgabe führt auf Bundesebene in erster Linie zu zusätzlichen Vollzugsaufgaben im Zusammenhang mit der Festlegung der Kostenziele (inkl. Sekretariat der Kommission für Kostenziele), der Feststellung der Zielerreichung und der allfälligen Umsetzung von Massnahmen bei Überschreitung der Kostenziele in Bereichen, für die der Bund zuständig ist. Ausserdem ist von einem gewissen Mehraufwand im Zusammenhang mit allfälligen Rechtsstreitigkeiten (Stellungnahmen in Beschwerdeverfahren) zu rechnen. Insgesamt ist somit davon auszugehen, dass die Umsetzung von Zielvorgaben beim Bund voraussichtlich zusätzliche personelle Ressourcen benötigt. Die RFA schätzte den Zusatzaufwand auf Bundesebene auf drei bis vier Vollzeitstellen.

Im Rahmen der Verabschiedung des Kostendämpfungsprogramms am 28. März 2018 hat der Bundesrat bereits für das Paket 1 Ressourcen gesprochen. Über allfällige zusätzliche Ressourcen im Personalbereich für die Umsetzung der mit dieser Vorlage vorgeschlagenen Massnahmen und deren Finanzierung wird je nach Ausgang der parlamentarischen Beratung der Vorlage im Rahmen der Inkraftsetzung zu entscheiden sein.

6.5.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Grundsätzlich gilt, dass eine Dämpfung der Kostenentwicklung dazu führt, dass die Versicherten weniger Prämien und die Kantone weniger Prämienverbilligungen zu bezahlen haben.

Bei der Umsetzung der Zielvorgabe werden die Kantone eine zentrale Rolle spielen.

Um ihre heutige Aufgabe, die Gesundheitsversorgung ihrer Wohnbevölkerung sicherzustellen, zu erfüllen, wird ein weitgehend dezentraler Ansatz verfolgt. Dieser lässt den Kantonen die notwendigen Freiheiten, die Zielvorgabe festzulegen und

56

Ausgehend von einem Kostenvolumen für die Leistungen nach dem KVG von 45 Mia. Fr.

im Jahr 2017 projiziert die RFA ein Kostenwachstum bis 2047 auf 90 Mia. Fr. pro Jahr im Referenzszenario ohne Zielvorgabe und 81 Mia. Fr. pro Jahr in einem Szenario mit Zielvorgabe. Die Kosten im Jahr 2047 in einem Szenario mit Zielvorgabe werden somit 9 Mia. Fr. tiefer projiziert als im Referenzszenario.

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umzusetzen und bei einer Überschreitung allenfalls notwendige Korrekturmassnahmen zu prüfen. Dafür sind bei den Kantonen zusätzliche personelle Ressourcen notwendig.57 Grundsätzlich ist damit zu rechnen, dass sich eine Zielvorgabe positiv auf die Kantons- und Gemeindefinanzen auswirken wird. Die Kantone sind neben den Versicherern die wichtigsten Kostenträger der Ausgaben für Leistungen nach dem KVG. Mit einer Zielvorgabe erhalten die Kantone ein zusätzliches Steuerungsinstrument. Sie haben einen beträchtlichen Spielraum, wie sie dieses Instrument anwenden und wie viele Ressourcen sie dafür einsetzen wollen.

6.5.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Angesichts der über 80 Milliarden Franken, die jährlich für das Gesundheitswesen aufgewendet werden, kommt diesem eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung zu.

Eine Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen steigert durch die Dämpfung des Prämienanstiegs die Kaufkraft der Bevölkerung.

Alle Gesundheitsakteure werden in die Pflicht genommen. Tarifpartner, Versicherte sowie Bund und Kantone tragen gemeinsam die Verantwortung für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen. Die Auswirkungen können sich zwischen einzelnen Akteuren unterscheiden, etwa zwischen verschiedenen Gruppen von Leistungserbringern, beispielsweise in Abhängigkeit vom vorhandenen Effizienzpotenzial.

Das Effizienzpotenzial im Gesundheitswesen ist unter anderem bedingt durch die im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren ausgeprägte Informationsasymmetrie und die daraus folgende angebotsinduzierte Nachfrage, überhöhte Vergütungen beziehungsweise Tarife und Preise für medizinische Leistungen und Güter, Fehlanreize in der Vergütung (z. B. Einzelleistungsvergütung), produktive Ineffizienzen sowie die verstärkte Nachfrage durch die Versicherungsdeckung («Moral Hazard» bzw. nachfrageseitige Mengenausweitung).

Einerseits soll die Zielvorgabe die Transparenz erhöhen. Durch die Benennung einer aufgrund von Indikatoren hergeleiteten Grössenordnung für ein mit dem medizinischen Bedarf erklärbares Kostenwachstum der versicherten, als wirtschaftlich erachteten Leistungen wird transparent, welcher Teil des Kostenwachstums erklärbar ist und welcher Teil möglicherweise auf Mengenausweitungen als Folge von überhöhten oder nicht sachgerechten Tarifen und Preisen zurückzuführen ist. Dies verstärkt den Handlungsdruck und reduziert den Spielraum für Sonderinteressen. Die Wohlfahrt der gesamten Volkswirtschaft dürfte in der Folge steigen.

Andererseits verändert die Zielvorgabe die Anreize der Tarifpartner. Die Verhandlungsbereitschaft insbesondere der Leistungserbringer steigt, weil bei Nichterreichen von wirtschaftlichen und sachgerechten Tarifen und Tarifstrukturen 57

Die RFA schätzte den zusätzlichen Personalaufwand pro Kanton auf weniger als zwei Vollzeitstellen. Diese Schätzung basierte allerdings auf dem Vorentwurf, der insbesondere im Hinblick auf die administrative Belastung der Kantone deutlich vereinfacht wurde, sodass von einem deutlich tieferen personellen Zusatzaufwand pro Kanton auszugehen ist.

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Tarifeingriffe von Bund und Kantonen drohen. Eine angebotsinduzierte Mengenausweitung und eine Beibehaltung des Status quo bei den Tarifen wird weniger attraktiv gegenüber tarifpartnerschaftlichen Innovationen. Die Tarifpartnerschaft wird gegenüber dem heutigen Zustand belebt. Die Massnahme verstärkt somit auch die Wirkung von Massnahmen des Kostendämpfungspakets 1, insbesondere die Verpflichtung der Tarifpartner zur Vereinbarung von Massnahmen zur Steuerung der Kosten. Wenn die Tarifpartner Regelungen treffen, die angemessene Vergütungen für die notwendigen Mengen zur Sicherstellung der Versorgung vorsehen, und dafür in den Verhandlungen auch das bei den Tarifpartnern dezentral vorhandene Wissen mobilisieren, um Ineffizienzen zu reduzieren, hat dies positive Folgen für die gesamte Volkswirtschaft.

Die Einführung einer Zielvorgabe wird einen gewissen initialen Vollzugsaufwand auslösen und anschliessend einen regelmässigen administrativen Aufwand für die involvierten Stellen und Akteure (insbesondere Bund, Kantone, Tarifpartner) zur Folge haben. Der Aufwand hängt auch davon ab, wie differenziert die Zielvorgaben und die Prüfung von Massnahmen in den einzelnen Kantonen umgesetzt werden.

Grundsätzlich gilt, dass je differenzierter die Zielvorgabe in den Kantonen umgesetzt und überprüft wird, desto höher der Aufwand für die Beteiligten ausfällt.

Die RFA kommt zum Schluss, dass die Vollzugskosten von Zielvorgaben im Vergleich zum gesamtwirtschaftlichen Nutzen beziehungsweise zur erwartbaren Kostendämpfung kaum ins Gewicht fallen dürften. Angesichts des beträchtlichen Einsparpotenzials einer Zielvorgabe lassen sich die Kosten für deren Umsetzung somit aus volkswirtschaftlicher Sicht durchaus rechtfertigen.

6.5.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die Schweiz verfügt über ein gutes Gesundheitssystem und eine hohe Patientenzufriedenheit bezüglich Qualität und Nutzen. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung befindet sich im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau, und der Zugang zum Gesundheitssystem ist gesichert. Dies gilt es zu bewahren. Weniger gut gestaltet sich in der Schweiz die Situation bezüglich Finanzierungsgerechtigkeit. Mit einer durchschnittlichen Zunahme der Krankenversicherungsprämien um 4 Prozent pro Jahr stellen die Prämien heute für einen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung eine spürbare finanzielle Belastung dar. Insbesondere die Mittelschicht, die keine Prämienverbilligungen erhält, ist stark davon betroffen. Die Beschränkung des Anstiegs der Gesundheitskosten muss daher ein zwingendes Ziel der Sozialpolitik des Bundes sein. Die vorgeschlagene Neuerung soll das medizinisch nicht begründbare Mengen- und Kostenwachstum reduzieren und somit den Anstieg der OKP-Kosten und daraus folgend den Prämienanstieg dämpfen sowie die Qualität der medizinischen Versorgung steigern und die Versorgungssicherheit stärken. Von tieferen Prämien profitieren die versicherten Personen und damit die ganze Gesellschaft direkt.

Da mit der Zielvorgabe keine verpflichtenden Vorschriften zur Einschränkung des Angebots verbunden sind, erscheinen negative Konsequenzen für die Qualität oder für den Zugang zu medizinischen Leistungen unwahrscheinlich. Zudem sollen begleitendeMassnahmen wie ein zeitnahes Monitoring sicherstellen, dass die Qualität 45 / 52

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der medizinischen Versorgung mindestens gleich und die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt. Allfällige negative Auswirkungen auf Versorgungssicherheit und -zugang können dadurch frühzeitig erkannt undkorrigierende Massnahmen ergriffen werden.

6.6

Rechtliche Aspekte

6.6.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 117 Absatz 1 BV erlässt der Bund Vorschriften über die Kranken- und die Unfallversicherung. Dabei handelt es sich um eine umfassende Bundeskompetenz, die dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum lässt. Namentlich die Regelung der Finanzierung der von der OKP zu übernehmenden Leistungen bleibt dem Bundesgesetzgeber überlassen.58 Im Zusammenhang mit der Einführung einer Zielvorgabe ist in Bezug auf die Leistungserbringer festzuhalten, dass die Sozialversicherung als solche der Wirtschaftsfreiheit weitgehend entzogen ist. In Bereichen, in denen von vornherein kein privatwirtschaftlicher Wettbewerb herrscht, wie bei der Festlegung von Tarifen und Preisen für Leistungen, die durch die staatlich (mit)finanzierte Sozialversicherung bezahlt werden, sind Vorschriften zulässig. Die Wirtschaftsfreiheit gibt insbesondere keinen Anspruch darauf, in beliebiger Höhe Leistungen zulasten der sozialen Krankenversicherung zu generieren.59 Das KVG bezweckt eine sozialverträgliche Krankenversicherung und nicht die Sicherung einer von Vorschriften freien wirtschaftlichen Entfaltung der Leistungserbringer.60 In Bezug auf die versicherten Personen ist auszuführen, dass das schweizerische Verfassungsrecht kein «Grundrecht auf Gesundheit» kennt.61 Nach Artikel 117a Absatz 1 BV sorgen Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von hoher Qualität.

Dabei handelt es sich um eine Programmnorm, die zu keinen Leistungsansprüchen führt.62 Individuelle Ansprüche auf bestimmte Leistungen und deren Zugänglichkeit können sich jedoch aus anderen Verfassungsbestimmungen ergeben. So lässt sich eine staatliche Pflicht zur Gewährleistung einer bedürftigkeitsabhängigen Minimalversorgung mit Gesundheitsleistungen etwa auf das Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV) stützen.63

58 59 60 61 62 63

Gächter/Renold-Burch, in: Waldmann et al [Hrsg.], Basler Kommentar zur Bundesverfassung, 2015, Art. 117 Rz. 4­6.

Vgl. BGE 143 V 369, E. 5.4.3 in fine; BGE 132 V 6, E. 2.5.2; BGE 130 I 26, E. 4.3.

Vgl. BVGer C-1966/2014, E. 4.3.

Eugster, in: Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, 2016, E. Rz. 14, 15.

Gächter/Renold-Burch, in: Waldmann et al. [Hrsg.], Basler Kommentar zur Bundesverfassung, 2015, Art. 117a Rz. 21, 25.

Vgl. Eugster, in: Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, 2016, E. Rz. 14, 15; Gächter/Werder, in: Waldmann et al. [Hrsg.], Basler Kommentar zur Bundesverfassung, 2015, Art. 12 R.z 2­5, 25, 34; Tschentscher, in: Waldmann et al. [Hrsg.], Basler Kommentar zur Bundesverfassung, 2015, Art. 10 Rz. 17.

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Die vorgeschlagene Gesetzesänderung bewegt sich im Rahmen dessen, was Art. 117 BV erlaubt. Mit der Einführung einer Zielvorgabe bleibt die Kostenübernahme der versicherten Leistungen gewährleistet (Art. 54 Abs. 5 E-KVG). Die vorgeschlagene Regelung lässt den für ihre Anwendung zuständigen Behörden genügend Spielraum, um auf eine verfassungskonforme Anwendung achten zu können, insbesondere darauf, dass der Zugang der versicherten Personen zu den versicherten Leistungen und damit zu einer ausreichendenden medizinischen Grundversorgung von hoher Qualität im Sinne von Art. 117a Abs. 1 BV sichergestellt ist. Dies impliziert namentlich, dass die festgelegten Kostenziele und die zu prüfenden Korrekturmassnahmen nicht so strikt sein dürfen, dass sie zur Folge hätten, dass gewisse gesetzliche Pflichtleistungen nicht mehr allen zugänglich wären, etwa wenn unabdingbare Leistungserbringer ihre Tätigkeit einstellen oder in den Ausstand nach Artikel 44 Absatz 2 KVG treten würden. Korrekturmassnahmen bei Überschreiten der Kostenziele haben jedoch grundsätzlich nur Einfluss auf die Höhe der Vergütung der Leistungen an die Leistungserbringer, nicht aber auf den Zugang der versicherten Personen zu diesen Leistungen.

Zudem werden allfällige Auswirkungen der Zielvorgabe auf die Qualität der Leistungen regelmässig geprüft, sodass, falls erforderlich, Gegenmassnahmen ergriffen werden könnten (Art. 54 Abs. 6 E-KVG).

Die in der Vernehmlassung vorgebrachten und mit einem juristischen Gutachten unterlegten Zweifel in Bezug auf die Verfassungsmässigkeit der vorgeschlagenen Regelung sind nicht gerechtfertigt. Die Bundesverfassung lässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum und damit unter anderem die Möglichkeit, den Leistungskatalog an sich einzuschränken oder die Bedingungen für den Zugang zu den versicherten Leistungen zu verschärfen, aber auch eZiele für die maximal von der Versicherung zu übernehmenden Gesamtkosten festzulegen und Korrekturmassnahmen zu ergreifen, falls diese Ziele nicht eingehalten werden. Die Verfassungsbestimmung zur Krankenversicherung schliesst auch nicht aus, dass der Gesetzgeber bestimmte Kriterien wirtschaftlicher, gesundheitspolitischer oder sonstiger Art beim Erlass von Regelungen im Krankenversicherungsrecht berücksichtigt. So hat die Rechtsprechung im Übrigen anerkannt, dass
bei der Anpassung einer Tarifstruktur mitunter politische Aspekte berücksichtigt werden können.64 Die zuständigen Behörden werden bei der Definition von Korrekturmassnahmen nach Zielüberschreitungen darauf achten müssen, die in der Verfassung definierten Grundsätze einzuhalten, insbesondere das Verhältnismässigkeitsprinzip. Es muss demnach unterschieden werden zwischen vorübergehenden, nicht systematischen oder erklärbaren Zielüberschreitungen einerseits und andererseits Zielüberschreitungen, die strukturelle Probleme aufzeigen. Im Falle von vorübergehenden Zielüberschreitungen wäre eine dauerhafte Anpassung von Tarifen oder Tarifstrukturen auf Basis von Artikel 46a E-KVG zur Reduktion der zukünftigen Kosten nicht verhältnismässig, ausser wenn es daneben andere Faktoren gibt, die aufzeigen, dass die Anforderungen von Artikel 46 Absatz 4 nicht eingehalten werden (vgl. Art. 54d Abs. 3 E-KVG).

64

Vgl. BGE 144 V 138, E. 6.2.

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6.6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen dürfen den internationalen Verpflichtungen der Schweiz nicht widersprechen. Sie müssen insbesondere mit dem Abkommen vom 21. Juni 199965 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) und dem Übereinkommen vom 4. Januar 196066 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) (EFTA-Übereinkommen) vereinbar sein. Anhang II zum FZA und Anhang K Anlage 2 zum EFTA-Übereinkommen führen dazu aus, dass in der Schweiz im Verhältnis zu den EU- oder EFTA-Staaten das europäische Koordinationsrecht der EU betreffend die Systeme der sozialen Sicherheit, zum Beispiel die Verordnung (EG) Nr. 883/200467 sowie die Verordnung (EG) Nr. 987/200968, anwendbar ist. Dieses Recht bezweckt im Hinblick auf die Garantie der Personenfreizügigkeit keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit. Die «Etats parties» können über die konkrete Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation der Systeme der sozialen Sicherheit weitgehend frei bestimmen. Dabei müssen sie jedoch die Koordinationsgrundsätze wie zum Beispiel das Diskriminierungsverbot, die Anrechnung der Versicherungszeiten und die grenzüberschreitende Leistungserbringung beachten, die in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und in der entsprechenden Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 geregelt sind.

Die Einführung einer Zielvorgabe verfolgt hauptsächlich ein internes Ziel der Schweiz: die Steuerung der Kostenentwicklung in der OKP. Sie betrifft vor allem Akteure in der Schweiz (Kantone, Leistungserbringer, Versicherer und versicherte Personen). Die vorgeschlagenen Bestimmungen zur Zielvorgabe sind mit den oben erwähnten internationalen Verpflichtungen der Schweiz und den Regelungen des europäischen Koordinationsrechts kompatibel.

Einen Sonderfall stellen allenfalls Konstellationen mit Auslandsbezug nach Artikel 34 Absatz 2 KVG (i.V.m. Art. 36­37 KVV) dar, zum Beispiel bei Programmen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (Art. 36a KVV). Sofern sich in solchen Konstellationen zukünftig Konflikte ergeben sollten, hätte der Bundesrat die Möglichkeit, die entsprechenden Leistungsbereiche von der Zuteilung in einen Kostenblock auszunehmen (vgl. Art. 54a Abs. 4 E-KVG).

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68

SR 0.142.112.681 SR 0.632.31 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1. Eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.1.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1. Eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.11.

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6.6.3

Erlassform

Nach Artikel 164 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Diesem Erfordernis wird der Erlass des vorliegenden Gesetzes gerecht. Bundesgesetze unterliegen nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV dem fakultativen Referendum. Die hier erläuterte Vorlage sieht explizit das fakultative Referendum vor.

6.6.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV sieht zum Zweck der Ausgabenbegrenzung vor, dass Subventionsbestimmungen und Verpflichtungskredite sowie Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, in jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder bedürfen. Weil die Vorlage weder Subventionsbestimmungen noch Finanzierungsbeschlüsse beinhaltet, unterliegt das Geschäft nicht der Ausgabenbremse.

6.6.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die Vorlage führt zu keinen substanziellen Änderungen in Aufgabenteilung oder Aufgabenerfüllung durch Bund und Kantone. Die gesetzlichen Anpassungen führen zu keiner grundlegenden Kompetenzverschiebung. Vielmehr wird an der bestehenden Kompetenzverteilung so wenig wie möglich geändert.

Die Ausgestaltung der Zielvorgabe nimmt die bundesstaatliche Kompetenzverteilung auf und ist darauf ausgerichtet, die Tarifpartnerschaft zu beleben und zu stärken. Der Anspruch der Versicherten auf die Kostenübernahme der versicherten Leistungen bleibt in jedem Fall gewahrt.

Einerseits erhält der Bundesrat Kompetenzen im Rahmen der Zielvorgabe. Er legt ein nationales Gesamtkostenziel sowie Kostenziele für die einzelnen Kantone und Kostenblöcke sowie eine einheitliche Toleranzmarge fest. Auch definiert er einheitliche Kostenblöcke. Für Analysen, Arzneimittel und Mittel und Gegenstände (Art. 52 KVG) sowie Leistungen, für welche die Tarifpartner gesamtschweizerisch geltende Tarifverträge nach Artikel 46 Absatz 4 KVG abgeschlossen haben (ausgenommen sind Tarifverträge, die lediglich eine gesamtschweizerisch einheitliche Tarifstruktur vorsehen), legt er die Kostenziele fest und prüft bei deren Überschreiten, ob Korrekturmassnahmen notwendig sind. Andererseits wird den Kantonen bei der Umsetzung der Zielvorgabe eine wichtige Rolle zukommen. Sie legen das kantonale Gesamtkostenziel sowie die kantonalen Kostenziele für die einzelnen Kostenblöcke fest und haben viel Gestaltungsspielraum im Rahmen der Prüfung, ob bei Überschreiten der Kostenziele Massnahmen notwendig sind und wenn ja, welche. Diese Kompetenzzuweisungen entsprechen dem Grundsatz der Subsidiarität, indem der

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Bund nur die Aufgaben übernimmt, welche die Kraft der Kantone übersteigen und/oder einer einheitlichen bundesrechtlichen Regelung bedürfen.

Die kostendämpfende Wirkung der Einführung einer Zielvorgabe und von deren Umsetzung wird sowohl den Versicherern und den versicherten Personen als auch den Kantonen als wichtigen Kostenträgern für Leistungen nach dem KVG zugute kommen. Mit der Einführung der Zielvorgabe erhalten die Kantone ein zusätzliches Steuerungsinstrument. Sie haben einen beträchtlichen Spielraum beim Entscheid, wie sie dieses Instrument anwenden und wie viele Ressourcen sie dafür einsetzen. Damit ist auch das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz eingehalten.

6.6.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Artikel 96 KVG erteilt dem Bundesrat die generelle Kompetenz, Ausführungsbestimmungen im Bereich der sozialen Krankenversicherung zu erlassen. Der vorliegende Entwurf ermächtigt ihn zudem zum Erlass von Bestimmungen in den folgenden Bereichen: ­

Festlegung von Kostenzielen: nationales Gesamtkostenziel, Kostenziele für die Kantone und Kostenblöcke sowie Toleranzmargen; Kostenziele für Leistungen nach Artikel 52 KVG sowie für Leistungen, für welche die Tarifpartner schweizweite Tarifverträge nach Artikel 46 Absatz 4 KVG abgeschlossen haben (Art. 54 E-KVG);

­

Zuteilung der einzelnen Leistungsbereiche zu Kostenblöcken (Art. 54a E-KVG);

­

Einsetzung einer Kommission (Art. 54e E-KVG);

­

Anpassungen an Tarifstrukturen für die stationären Behandlungen, wenn sich die Parteien des Tarifvertrags nicht auf eine Revision einigen können (Art. 49 Abs. 2bis E-KVG).

6.6.7

Datenschutz

Die Versicherer wurden mit dem Bundesgesetz vom 19. März 202169 über die Datenweitergabe der Versicherer in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung verpflichtet, dem BAG regelmässig die für die Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Daten weiterzugeben. Die Daten sind grundsätzlich aggregiert weiterzugeben. Der Bundesrat kann allerdings vorsehen, dass die Daten für bestimmte Zwecke zudem pro versicherte Person weiterzugeben sind, sofern aggregierte Daten nicht zur Erfüllung der folgenden Aufgaben genügen und die Daten pro versicherte Person anderweitig nicht zu beschaffen sind. Neu soll auch die Festlegung von Kostenzielen unter diese Zwecke fallen (Art. 21 Abs. 2 Bst. d E-KVG).

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Die vorliegende Gesetzesänderung fällt in den Geltungsgereich des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199270 über den Datenschutz (DSG), das anwendbar ist, wenn Bundesorgane sowie private Personen Daten natürlicher und juristischer Personen bearbeiten (Art. 2 Abs. 1 DSG). Unter Bearbeiten ist dabei jeder Umgang mit Personendaten zu verstehen, insbesondere das Beschaffen, Aufbewahren, Verwenden, Umarbeiten, Bekanntgeben, Archivieren oder Vernichten von Daten (Art. 3 Bst. e DSG). Bei Daten über die Gesundheit handelt es sich sodann um besonders schützenswerte Personendaten (Art. 3 Bst. c DSG). Dies hat zur Folge, dass deren Bearbeiten in einem Gesetz im formellen Sinne vorgesehen sein muss (Art. 17 Abs. 2 DSG für das Bearbeiten durch Bundesorgane sowie Art. 12 Abs. 2 Bst. c DSG und Art. 13 Abs. 1 DSG für das Bearbeiten durch private Personen). Mit der vorgesehenen Gesetzesanpassung wird eine gesetzliche Grundlagen geschaffen, um die Umsetzung der Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung nach den Artikeln 54­54e E-KVG sicherzustellen.

Bei der Bearbeitung der benötigten Personendaten ­ sowohl durch die Bundesorgane als auch durch private Personen ­ sind wie üblich die allgemeinen Datenschutzbestimmungen, namentlich zu Verhältnismässigkeit, Zweckbindung und Datensicherheit (Art. 4 ff. DSG), zu beachten.

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SR 235.1

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