BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.080 Botschaft zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 17. November 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Strassenverkehrsgesetzes.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2014

M

13.3572

Flexiblere Ab- und Auflastung von Nutzfahrzeugen zur Effizienzsteigerung (N 27.9.2013, Hess; S 20.3.2014)

2016

M

15.3574

Führerausweis auf Probe. Verhältnismässige Regelung bei Widerhandlungen während der Probezeit (N 25.9.2015, Freysinger; S 14.6.2016)

2017

M

17.3049

Digitalisierung. Weg frei für automatisierte und selbstfahrende Fahrzeuge (N 16.6.2017, FDP-Liberale Fraktion; S 11.12.2017)

2017

M

17.3191

Automatisierte Fahrzeuge. Möglichst schnell den rechtlichen Rahmen festlegen (N 16.6.2017, Regazzi; S 11.12.2017)

2018

M

17.3632

Via sicura. Anpassungen (S 11.12.2017, KVF-S; N 27.2.2018)

2018

M

17.4039

Gesetzliche Hürden zur Einführung von autonomen Fahrzeugen abschaffen (N 16.3.2018, Grünliberale Fraktion; S 27.9.2018)

2021-3827

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Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. November 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Das Ziel, die CO2-Emissionen im Strassenverkehr zu reduzieren, muss mit Nachdruck weiterverfolgt werden. Mit der Vorlage soll die freiwillige Verwendung von umweltfreundlichen Technologien attraktiver werden. Gefördert werden soll auch die digitale Transformation im Strassenverkehr, indem dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt wird, das automatisierte Fahren frühzeitig zu regeln. Zudem sollen verschiedene parlamentarische Vorstösse umgesetzt und die Velohelmtragpflicht für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre eingeführt werden.

Ausgangslage und Inhalt der Vorlage Förderung umweltfreundlicher Technologien: Technologien zur Reduktion der CO2-Emissionen gewinnen bei schweren Nutzfahrzeugen an Bedeutung. Heute sind sie für die Transportbranche aber mit Nachteilen verbunden. Fahrzeuge mit alternativen oder emissionsfreien Antrieben weisen ein höheres Gewicht auf als Fahrzeuge mit einem konventionellen Antrieb. Aerodynamische Führerkabinen sind länger als bisherige Kabinen. Das zulässige Gewicht und die zulässige Länge für entsprechende Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen sollen deshalb so weit wie nötig erhöht werden. Damit soll verhindert werden, dass der Einsatz der neuen, umweltfreundlichen Technologien zu einer Verringerung der Ladekapazitäten führt.

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Die Chancen, die für das Verkehrswesen und die Wirtschaft mit der Digitalisierung im Strassenverkehr verbunden sind, sollen frühzeitig wahrgenommen werden. In den nächsten Jahren werden auf internationaler Ebene die technischen Anforderungen und die Verwendung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem sowie ihre Auswirkungen auf die Pflichten der Fahrzeuglenkenden definiert werden. Um ohne Verzögerung auf diese Entwicklungen reagieren zu können, soll der Bundesrat die Kompetenz erhalten, die nötigen Regelungen zu erlassen. Insbesondere soll er festlegen, inwieweit Fahrzeuglenkende von ihren Pflichten befreit werden können und in welchem Rahmen führerlose Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem, die auf definierten Fahrstrecken verkehren, zugelassen werden können. Gleichzeitig werden die Rahmenbedingungen festgelegt, die der Bundesrat in Ausübung seiner Kompetenz zu beachten hat. Die Regelung muss dem Bundesrat dabei ausreichend Spielraum gewähren, damit er das schweizerische Recht auch auf
die Weiterentwicklung der Vorgaben auf internationaler Ebene abstimmen kann. Weiter sollen Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem als Versuchsfahrzeuge in einem beschränkten Rahmen auf öffentlichen Strassen verkehren können. Damit sollen Erkenntnisse zu deren Weiterentwicklung und zur gesetzlichen Regelung gewonnen werden. Solche Versuche soll das Bundesamt für Strassen bewilligen können. Es soll auch die Möglichkeit erhalten, neue Technologien finanziell zu unterstützen.

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Umsetzung parlamentarischer Vorstösse: Anpassung der «Via sicura»-Massnahmen: Der Bundesrat evaluierte im Auftrag des Ständerates, ob die Massnahmen des Verkehrssicherheitsprogramms «Via sicura» wirken. Die Bilanz ist positiv: «Via sicura» verhinderte zwischen 2013 und 2015, dass mindestens 100 Personen schwer verunfallt sind. Gleichzeitig weist der Evaluationsbericht auf punktuellen Anpassungsbedarf hin. Gestützt darauf beauftragte das Parlament den Bundesrat Anfang 2018, ihm einen Gesetzesentwurf zu unterbreiten einerseits mit Anpassungen der «Via sicura»-Massnahmen, nämlich bei den Rasermassnahmen und beim Rückgriff der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer auf die unfallverursachende Person und andererseits mit dem Verzicht auf die Umsetzung der Massnahmen «Datenaufzeichnungsgerät» (Blackbox) und «Alkohol-Wegfahrsperre»: Bei Raserdelikten sollen die Vollzugsbehörden und Gerichte mehr Ermessensspielraum erhalten, um die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und unnötige Härten zu vermeiden. Dabei soll auf die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr verzichtet und die Mindestdauer des Führerausweisentzugs von 24 auf 12 Monate gesenkt werden. Weiter soll die Rückgriffspflicht der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer bei Fahrunfähigkeits- und Raserdelikten wieder in ein Rückgriffsrecht umgewandelt werden. Zudem soll auf die Umsetzung der Massnahmen «Datenaufzeichnungsgerät» und «Alkohol-Wegfahrsperren» verzichtet werden.

Mit der Überweisung der Motion 13.3572 Hess beauftragte das Parlament den Bundesrat, ihm einen Gesetzesentwurf zu unterbreiten, wonach Fahrzeughalterinnen und -halter das Gesamtgewicht ihres Motorfahrzeugs mehrmals jährlich ändern können.

Mit der Überweisung der Motion 15.3574 Freysinger fordert das Parlament vom Bundesrat, in einem Gesetzesentwurf zu regeln, dass der Führerausweis auf Probe nur dann verfällt, wenn der zweite Entzug des Ausweises während der Probezeit wegen einer mindestens mittelschweren Widerhandlung droht. In Umsetzung der Motion soll die Probezeit nur verlängert werden, wenn der Inhaberin oder dem Inhaber der Führerausweis während der Probezeit wegen einer mittelschweren oder schweren Widerhandlung entzogen wird. Verfallen soll der Führerausweis auf Probe künftig nur dann, wenn die Inhaberin oder der Inhaber während der Probezeit eine weitere mittelschwere
oder schwere Widerhandlung begeht.

Weiterer Revisionsbedarf: Es hat sich gezeigt, dass die Anzahl der schwerverunfallten Velofahrerinnen und Velofahrer ab einem Alter von 12 Jahren deutlich steigt, während gleichzeitig die Velohelmtragequote stark abnimmt. Daher sollen Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre beim Velofahren einen Helm tragen müssen.

Im Rahmen von «Via sicura» beschloss das Parlament aus verfahrensökonomischen Gründen, dass Ordnungsbussen der Fahrzeughalterin oder dem Fahrzeughalter in Rechnung gestellt werden können, sofern die Fahrerin oder der Fahrer der Polizei nicht bekannt ist oder nicht bekanntgegeben wird. Das Bundesgericht hielt aber fest, dass diese Halterhaftung keine Anwendung auf juristische Personen findet. Das Ordnungsbussengesetz soll dahingehend geändert werden, dass die Halterhaftung sowohl für natürliche als auch für juristische Personen gilt.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht 1

3

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.1.1 Förderung umweltfreundlicher Technologien 1.1.2 Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem 1.1.3 Umsetzung parlamentarischer Vorstösse 1.1.4 Weiterer Revisionsbedarf 1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

7 7 7 8 13 17 24

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Vernehmlassungsvorlage 2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 2.3 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

27 27

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

32

4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Förderung umweltfreundlicher Technologien 4.1.2 Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem 4.1.3 Umsetzung parlamentarischer Vorstösse 4.1.4 Weiterer Revisionsbedarf 4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 4.3 Umsetzungsfragen

33 33 33 33 43 46 50 50

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 5.1 Strassenverkehrsgesetz 5.2 Bundesgesetz über die Ermächtigung des Bundesrates zur Genehmigung von Änderungen des Europäischen Übereinkommens vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals 5.3 Ordnungsbussengesetz

59 59

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft

81 81

2

6

25 26

28 30

80 81

82 83 83 5 / 88

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6.5 6.6 7

Auswirkungen auf die Umwelt Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit und den Verkehrsfluss

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes 7.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.7 Datenschutz

Strassenverkehrsgesetz (SVG) (Entwurf)

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Der Handlungsbedarf für die vorliegende Teilrevision ergibt sich in verschiedenen Themengebieten und aus unterschiedlichen Gründen:

1.1.1

Förderung umweltfreundlicher Technologien

Die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs müssen deutlich gesenkt werden. Technologien, die Beiträge dazu beisteuern können, sind zu fördern. Dazu gehören alternative Antriebstechnologien sowie aerodynamisch optimierte Führerkabinen für schwere Nutzfahrzeuge. Fahrzeuge mit alternativen oder emissionsfreien Antrieben weisen aber ein höheres Gewicht auf als Fahrzeuge mit einem konventionellen Antrieb, und aerodynamische Führerkabinen sind länger als bisherige Kabinen. Dies wirkt sich negativ auf die Ladekapazitäten der Fahrzeuge aus, was die Attraktivität der neuen Technologien reduziert.

Auf europäischer Ebene ist deshalb im August 2019 eine Verordnung1 in Kraft getreten, die festlegt, dass die höchstzulässigen Gewichte von emissionsfreien schweren Fahrzeugkombinationen um das zusätzliche Gewicht der emissionsfreien Technologie, höchstens aber um 2 Tonnen, zu erhöhen sind. Zudem hat die EU Regelungen2 eingeführt, die per 1. September 2020 für schwere Sachentransportfahrzeuge mit aerodynamisch optimierten Führerkabinen mehr Länge als bisher zulassen. Mit diesen Massnahmen will die EU einen Beitrag leisten, um die Treibhausgasemissionen unter anderem im Strassenverkehr bis zum Jahr 2030 gegenüber den Werten von 2005 um 1

2

Verordnung (EU) 2019/1242 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Festlegung von CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 595/2009 und (EU) 2018/956 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 96/53/EG des Rates, Fassung gemäss ABl. L 198 vom 25.7.2019, S. 202.

Richtlinie (EU) 2015/719 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG des Rates zur Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen für bestimmte Strassenfahrzeuge im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr in der Gemeinschaft sowie zur Festlegung der höchstzulässigen Gewichte im grenzüberschreitenden Verkehr, Fassung gemäss ABl. L 115 vom 6.5.2015, S. 1.

Beschluss (EU) 2019/984 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG des Rates hinsichtlich der Frist für die Anwendung der besonderen Vorschriften über die höchstzulässige Länge von Führerhäusern, die eine verbesserte Aerodynamik und Energieeffizienz sowie eine bessere Sicherheit bieten, Fassung gemäss ABl. L 164 vom 20.6.2019, S. 30. Verordnung (EU) 2019/1892 der Kommission vom 31. Oktober 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 hinsichtlich der Anforderungen an die Typgenehmigung bestimmter Kraftfahrzeuge mit verlängerten Führerhäusern und aerodynamischer Luftleiteinrichtungen und Ausrüstungen für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger, Fassung gemäss ABl. L 291 vom 12.11.2019, S. 17.

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30 Prozent zu senken und um die Ziele des Klimaübereinkommens von Paris vom 12. Dezember 20153 zu erreichen. Das schweizerische Recht soll mit diesen Regelungen harmonisiert werden.

In Angleichung an die EU darf in der Schweiz bereits seit 2017 bei einzelnen Motorwagen das zulässige Gesamtgewicht um maximal 1 Tonne überschritten werden (Art. 95 Abs. 1bis der Verordnung vom 19. Juni 19954 über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge [VTS] und Art. 67 Abs. 1ter der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 19625 [VRV]), um das zusätzliche, für die alternative Antriebstechnik erforderliche Gewicht ausgleichen zu können. Dieser Ansatz, wonach negative Auswirkungen von Massnahmen zugunsten der Umwelt auf die Ladekapazität zu vermeiden sind, soll auch auf Fahrzeugkombinationen und bezüglich Abmessungen auf andere umweltfreundliche Technologien wie aerodynamische Führerkabinen ausgedehnt werden.

Daher wird der Bundesrat voraussichtlich in der ersten Hälfte 2022 über eine entsprechende Anpassung der VRV und der VTS befinden. Die entsprechende Kompetenz kommt ihm aufgrund von Artikel 9 Absatz 1bis des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 19586 (SVG) zu, wonach er Vorschriften über die Ausmasse und Gewichte der Motorfahrzeuge und ihrer Anhänger erlässt. Diese Kompetenz wird aber begrenzt durch die Regelung der Höchstgrenzen im Gesetz: Das Höchstgewicht für Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen beträgt 40 Tonnen, im kombinierten Verkehr 44 Tonnen, und die Höchstlänge beträgt 18,75 Meter (Art. 9 Abs. 1 SVG).

Für ein Abweichen von diesen gesetzlichen Höchstwerten kann sich der Bundesrat auf Artikel 106 Absatz 5 SVG berufen, der dem Bundesrat bei Auftreten neuer technischer Erscheinungen auf dem Gebiet des Strassenverkehrs die Kompetenz einräumt, die vorläufigen Massnahmen zu treffen, die sich bis zur gesetzlichen Regelung als notwendig erweisen.

Mit der vorliegenden Änderung soll eine reguläre Delegation an den Bundesrat zur Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben zum Höchstgewicht und zur Höchstlänge bei umweltfreundlichen Technologien geschaffen werden, damit die Befristung der bis dahin vorläufigen Verordnungsregelungen aufgehoben werden kann.

1.1.2

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem

Mit der digitalen Transformation sind im Verkehrsbereich zahlreiche Chancen verbunden. Der automatisierten Mobilität kommt eine hohe Bedeutung zu für die Verbesserung der Verkehrssicherheit und die Steigerung der Effizienz des Verkehrssystems, insbesondere in Bezug auf die Strassenkapazität, den Verkehrsfluss und die Nachhaltigkeit. Sie ermöglicht privaten und öffentlichen Mobilitätsdienstleistern, neue, zukunftsgerichtete Geschäftsmodelle zu entwickeln, und bildet die Grundlage für wirtschaftliche Innovationen. Ein zentrales Element der automatisierten Mobilität 3 4 5 6

SR 0.814.012 SR 741.41 SR 741.11 SR 741.01

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stellen Fahrzeuge mit einem automatisierten Steuerungssystem dar, die dauerhaft verkehren können, ohne dass eine Fahrzeugführerin oder ein Fahrzeugführer die Fahraufgaben übernimmt (nachfolgend als Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem bezeichnet). Mit der vorliegenden Revision soll sichergestellt werden, dass die neuen Technologien in der Schweiz eingesetzt werden können, sobald die sicherheitstechnischen Nachweise in einem ausreichenden Mass vorliegen.

Bereits seit längerer Zeit sind zahlreiche Assistenzsysteme verbreitet und aus heutigen Fahrzeugen kaum mehr wegzudenken. Sie unterstützen die Fahrzeuglenkenden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Pflichten im Fahrverkehr, indem sie ihnen Informationen zur Verfügung stellen (z. B. Navigationssysteme), sie bei der Bedienung des Fahrzeugs unterstützen (z. B. ABS), ihnen gewisse Elemente der Fahrzeugbedienung abnehmen (z. B. Tempomat, Parkierungsassistent) oder indem sie in Funktion treten, wenn die Fahrzeuglenkenden ihren Aufgaben nicht nachkommen (z. B. Notbremsassistent). All diese Assistenzsysteme vermögen die Fahrzeuglenkenden von ihren Beherrschungspflichten nach Artikel 31 SVG aber nicht zu befreien. Die Aufmerksamkeitspflichten werden durch den Einsatz von Assistenzsystemen nicht relativiert, denn die Fahrzeuglenkenden sind nach wie vor vollumfänglich für die Beherrschung des Fahrzeugs verantwortlich. Solche Systeme, auch wenn sie die Fahrzeugbedienung in bestimmten Situationen umfassend und dauerhaft übernehmen (z. B. bei gleichzeitig aktiviertem Spurhaltesystem und adaptivem Tempomat auf der Autobahn), müssen dennoch dauernd durch die Lenkerin oder den Lenker überwacht und im Bedarfsfall übersteuert werden.

Seit einiger Zeit wird eine neue Generation von Systemen entwickelt, nämlich die Automatisierungssysteme. Diese unterscheiden sich von den bislang bekannten hochentwickelten Assistenzsystemen primär dadurch, dass sie nicht bloss die Bedienung des Fahrzeugs übernehmen, sondern zusätzlich die Umgebung des Fahrzeugs selber umfassend überwachen und dazu bestimmt sind, die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer in vordefinierten Situationen von strassenverkehrsrechtlichen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten zu befreien. Bisher wiesen diese Automatisierungssysteme noch ein ungenügendes technisches Niveau auf, sodass eine
Befreiung der fahrzeugführenden Personen von ihren Beherrschungspflichten noch nicht möglich war. Die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer hatte somit nach wie vor die rechtliche Verantwortung für die Fahrzeugsteuerung zu tragen.

Im Januar 2021 trat mit dem UN-Reglement 157 ein internationales technisches Reglement der United Nations Economic Commission for Europe (Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen, UNECE) in Kraft, das die Genehmigung eines ersten Automatisierungssystems zum Gegenstand hat, nämlich eines Staupiloten, der auf richtungsgetrennten Strassen ohne Langsamverkehr bei einer Geschwindigkeit bis maximal 60 km/h eingesetzt werden kann.7 Reglemente zu weiteren Automatisierungssystemen werden auf internationaler Ebene diskutiert. Es ist bereits absehbar, dass Reglemente für Autobahnpiloten und das automatisierte Parkieren entwickelt

7

www.unece.org/transport > Vehicle Regulations > Agreements and Regulations > UN Regulations (1958 Agreement) > UN Regulations (Addenda to the 1958 Agreement) > Regulations 141­160 > UN Regulation No. 157: Automated Lane Keeping Systems (ALKS).

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werden. Letztendlich dürfte diese Entwicklung dazu führen, dass eines Tages vollautomatisierte Fahrzeuge in den Verkehr gelangen werden, die gar keine Fahrzeugführerin oder gar keinen Fahrzeugführer mehr benötigen und weder Lenkrad noch Fusspedale aufweisen.

Auf internationaler Ebene werden folgende Automatisierungsstufen unterschieden:

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Abb. 1 Stufen der Fahrzeugautomatisierung nach der Norm SAE J30168

8

Automatisierungsstufen gemäss SAE International, J3016 APR2021. Im Internet abrufbar unter www.sae.org > Standards > J3016_202104: Taxonomy and Definitions for Terms Related to Driving Automation Systems for On-Road Motor Vehicles.

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Gemäss der Konzeption dieser Norm wird die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer bei Fahrzeugen ab Stufe 3 durch das Automatisierungssystem ersetzt. Fahrzeuge der Stufe 3 setzen das Vorhandensein einer Fahrzeugführerin oder eines Fahrzeugführers voraus. Diese oder dieser darf sich bei aktiviertem System anderen Dingen widmen (z. B. das Smartphone betätigen), bleibt aber verpflichtet, die Kontrolle über das Fahrzeug wieder zu übernehmen, sobald das Automatisierungssystem sie oder ihn dazu auffordert. Sowohl bei Fahrzeugen der Stufe 3 als auch solchen der Stufe 4 kann das Automatisierungssystem nur dann aktiviert werden, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind (z. B. nur auf Autobahnen oder nur bei guten Sichtbedingungen). Fahrzeuge der Stufe 4 müssen sich gemäss SAE-Konzeption selber in einen sicheren Zustand bringen können, sobald die Bedingungen für den sicheren Betrieb des Automatisierungssystems nicht mehr gegeben sind, wobei die Anforderungen an den sicheren Zustand heute noch nicht festgelegt sind. Bei diesen Fahrzeugen wird daher eine Übernahme der Kontrolle über das Fahrzeug durch die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer nicht mehr vorgesehen. Fahrzeuge der Stufe 4 können unterschiedlich konzipiert sein. Einerseits können Motofahrzeuge, die den bisherigen Anforderungen entsprechen, mit einem Automatisierungssystem der Stufe 4 ausgerüstet werden, das die Fahraufgabe auf einem Teil der Fahrstrecke umfassend übernehmen kann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. hochentwickelter Autobahnpilot). Anderseits können Fahrzeuge der Stufe 4 ohne Lenkrad und Pedalerie ausgerüstet sein und ohne Lenkerin oder Lenker funktionieren. Solche Fahrzeuge können nur eingesetzt werden, wenn alle Bedingungen für die Aktivierung des Automatisierungssystems erfüllt sind (z. B. führerlose Shuttlebusse, wie sie in der Schweiz bereits versuchsweise eingesetzt werden9). Von führerlosen Fahrzeugen der Stufe 4 unterscheiden sich Fahrzeuge der Stufe 5 dadurch, dass der Betrieb nicht von gewissen Bedingungen abhängig ist, sondern dass sie überall unter allen Bedingungen ohne Fahrzeugführerin oder Fahrzeugführer verkehren können. Bis Fahrzeuge der Stufe 5 das erforderliche technische Niveau erlangen und im Strassenverkehr eine Bedeutung gewinnen, könnte es noch Jahrzehnte dauern.10 Gemäss aktueller Rechtslage
können Automatisierungssysteme, sofern dies nicht zu einem Widerspruch mit einem technischen Reglement führt, grundsätzlich bereits in Fahrzeuge eingebaut und während der Fahrt unter Beachtung der geltenden Vorschriften verwendet werden. Dies bedingt das Vorhandensein der Bedienelemente (z. B. Lenkrad) für die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer. Die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer wird durch den Einsatz des Automatisierungssystems aber nicht von ihren oder seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten befreit. Sie oder er bleibt auch bei aktiviertem System vollumfänglich für das Fahrverhalten des Fahrzeugs verantwortlich. Diese Rechtslage wird aber dann nicht mehr adäquat sein, wenn Fahrzeughersteller den Nachweis erbringen, dass die eingebauten Automatisierungssysteme ein sicheres, flüssiges und effizientes Fahren ermöglichen,

9 10

www.astra.admin.ch > Themen > Intelligente Mobilität > Pilotversuche > Übersicht über laufende und abgeschlossene Pilotversuche.

www.astra.admin.ch > Themen > Intelligente Mobilität > Studien und Berichte > FB 1684 2018/005 TP 5: Mischverkehr, S. 83 Abb. 30, S. 84 Tab. 19.

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ohne dass die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer permanent das Fahrgeschehen überwachen und sich für einen Eingriff im Sinne der Übersteuerung des Systems bereithalten muss.

Die Anforderungen an Fahrzeuge mit Automatisierungssystemen und die Auswirkungen auf die Pflichten der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers werden voraussichtlich in den nächsten Jahren auf internationaler Ebene definiert und weiterentwickelt.

Im Jahr 2022 wird das Übereinkommen vom 8. November 196811 über den Strassenverkehr voraussichtlich mit einer Bestimmung ergänzt, die es den Vertragsstaaten ausdrücklich ermöglicht, die Verwendung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem auf ihrem Gebiet zu regeln und die Befreiung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers von ihren oder seinen Beherrschungspflichten zu ermöglichen. Das Global Forum for Road Traffic Safety der UNECE, das auch für die Betreuung und Weiterentwicklung dieses Übereinkommens zuständig ist, erarbeitet derzeit eine Resolution zu den erlaubten Nebentätigkeiten bei aktiviertem Automatisierungssystem.

Zudem hat es die Erarbeitung eines neuen internationalen Übereinkommens für das automatisierte Fahren initiiert.

Die rechtlichen Entwicklungen zum automatisierten Fahren sind auf internationaler Ebene also zahlreich und gestalten sich sehr dynamisch. An all diesen internationalen Tätigkeiten beteiligt sich auch die Schweiz und bringt ihre Interessen zugunsten eines sicheren und nachhaltigen Verkehrs ein. Auf diese Weise sind ihr die Bestrebungen und Entwicklungen auf internationaler Ebene frühzeitig bekannt.

Mit der vorgeschlagenen Regelung soll sichergestellt werden, dass die Schweiz zeitgerecht auf die internationalen Entwicklungen reagieren und das automatisierte Fahren frühzeitig ermöglichen kann. Da die Anpassung der internationalen Verträge und Reglemente weitaus rascher erfolgen kann als eine Anpassung des SVG, soll die Regelungskompetenz an den Bundesrat delegiert werden. Zentral ist dabei, dass ihm ein ausreichender Spielraum eingeräumt wird, damit er das schweizerische Recht auch auf die noch nicht im Detail vorhersehbaren künftigen Weiterentwicklungen der Vorgaben auf internationaler Ebene abstimmen kann. Dies ist ein wichtiger Bestandteil, damit die Vorteile der digitalen Transformation im Verkehrsbereich zur Geltung kommen können.
Im Rahmen des vorliegenden Gesetzesentwurfs werden Fahrzeuge der Stufen 3 und 4 reguliert, während die Zulassung von Fahrzeugen der Stufe 5 auf Pilotversuche beschränkt bleiben soll.

1.1.3

Umsetzung parlamentarischer Vorstösse

Motion 13.3572 Hess ­ Ab- und Auflastung von Nutzfahrzeugen Fahrzeughalterinnen und -halter dürfen das Gesamtgewicht ihres Motorfahrzeugs oder Anhängers heute höchstens einmal jährlich bei der kantonalen Vollzugsbehörde

11

SR 0.741.10

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ändern lassen (Art. 9 Abs. 3bis SVG). Dies kann dazu führen, dass ein Transportunternehmen die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) für ein 40-TonnenFahrzeug bezahlen muss, obwohl es mit diesem über eine längere Zeit nur weniger schwere Ladungen mitführt und dieses somit beispielsweise maximal 30 Tonnen schwer ist. Die überwiesene Motion 13.3572 Hess vom 21. Juni 2013 «Flexiblere Abund Auflastung von Nutzfahrzeugen zur Effizienzsteigerung» fordert, dass Fahrzeughalterinnen und -halter das Gesamtgewicht mehrmals jährlich ändern können. Dies soll mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf ermöglicht werden.

Motion 15.3574 Freysinger ­ Annullation des Führerausweises auf Probe Der erstmals erworbene Führerausweis für Motorräder und Motorwagen wird zunächst auf Probe erteilt. Wer einen Führerausweis auf Probe besitzt, muss sich während einer Probezeit von drei Jahren bewähren. Wird der Inhaberin oder dem Inhaber der Führerausweis wegen einer Widerhandlung entzogen, verlängert sich die Probezeit um ein Jahr. Begeht sie oder er während der Probezeit eine zweite Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt, verfällt dieser. Nach einem Verfall des Ausweises müssen die Betroffenen die gesamte Fahrausbildung erneut absolvieren.

Möglich ist dies frühestens ein Jahr nach Begehung der Widerhandlung und nur, wenn ein verkehrsmedizinisches Gutachten die Fahreignung der betroffenen Person bestätigt (Art. 15a Abs. 3­5 SVG).

Mit der überwiesenen Motion 15.3574 Freysinger vom 16. Juni 2015 «Führerausweis auf Probe. Verhältnismässige Regelung bei Widerhandlungen während der Probezeit» fordert das Parlament, dass der Führerausweis auf Probe nur dann verfällt, wenn der zweite Entzug des Ausweises während der Probezeit wegen einer mindestens mittelschweren Widerhandlung droht. Es sei unverhältnismässig, dass der Führerausweis auf Probe auch dann annulliert werde, wenn der zweite Entzug während der Probezeit nur wegen einer leichten Widerhandlung drohe (z. B. Geschwindigkeitsüberschreitung um 16 km/h innerorts). Zudem führe die geltende Regelung zu einer Ungleichbehandlung, indem wegen des Kaskadensystems milder sanktioniert wird, wer zuerst eine leichte und später eine schwere Widerhandlung begeht, als wer zuerst eine schwere und später eine leichte Widerhandlung begeht.

In Umsetzung der Motion soll die
Probezeit nur noch verlängert werden, wenn der Inhaberin oder dem Inhaber der Führerausweis während der Probezeit wegen einer mittelschweren oder schweren Widerhandlung entzogen wird. Verfallen soll der Führerausweis auf Probe künftig nur dann, wenn die Inhaberin oder der Inhaber während der Probezeit eine weitere mittelschwere oder schwere Widerhandlung begeht.

Motion 17.3632 KVF-S ­ Via sicura. Anpassungen Das Parlament verabschiedete das Verkehrssicherheitspaket «Via sicura» im Jahr 2012.12 Dieses umfasst zwanzig Massnahmen auf Gesetzesstufe, die der Bundesrat seit 2012 gestaffelt in Kraft setzt.13 Mehrere parlamentarische Vorstösse forderten

12 13

BBl 2012 5959 Noch nicht in Kraft gesetzt hat der Bundesrat die Massnahmen «obligatorische Nachschulung», «Datenaufzeichnungsgerät» und «Alkohol-Wegfahrsperre» (Art. 16e und 17a SVG in der Fassung vom 15. Juni 2012, AS 2012 6291).

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seither Anpassungen von «Via sicura».14 Dies veranlasste den Ständerat, den Bundesrat mit der Evaluation von «Via sicura» zu beauftragen.15 Der Bundesrat evaluierte daraufhin die Wirksamkeit der «Via sicura»-Massnahmen und schlug in seinem Evaluationsbericht vom 28. Juni 201716 vor, punktuell Massnahmen anzupassen, um das Verkehrssicherheitspaket noch effizienter und verhältnismässiger zu gestalten. Gestützt auf diesen Bericht beauftragte das Parlament den Bundesrat Anfang 201817, ihm einen Gesetzesentwurf zu unterbreiten mit einerseits punktuellen Anpassungen der «Via sicura»-Massnahmen, nämlich bei den Rasermassnahmen und beim Rückgriff der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer, und anderseits dem Verzicht auf die Umsetzung der Massnahmen «Datenaufzeichnungsgerät» und «Alkohol-Wegfahrsperre»: ­

14

15 16 17 18 19

Die Rasermassnahmen sind am 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Sie wurden im Rahmen der parlamentarischen Beratung als indirekter Gegenvorschlag auf die anschliessend zurückgezogene Volksinitiative «Schutz vor Rasern»18 in die «Via sicura»-Vorlage aufgenommen. Sie definieren zum einen Raserdelikte (Geschwindigkeitsüberschreitungen, bei denen in jedem Fall ein Raserdelikt vorliegt, sowie schwerwiegende Verkehrsregelverletzungen wie z. B. Autorennen und waghalsiges Überholen). Zum anderen legen sie bei diesen Delikten die Dauer des Führerausweisentzugs auf mindestens zwei Jahre und die Strafandrohung auf ein bis vier Jahre Freiheitsstrafe fest. Verschiedene parlamentarische Vorstösse forderten seither einen höheren Ermessenspielraum für Richterinnen und Richter zur Berücksichtigung der Umstände bei Geschwindigkeitsüberschreitungen, die Aufhebung der Mindestfreiheitsstrafe und die Herabsetzung der Mindestdauer des Führerausweisentzugs. Der Evaluationsbericht des Bundesrats schlug vor, dass die Vollzugsbehörden und Gerichte bei der Beurteilung von Raserdelikten mehr Ermessensspielraum erhalten sollten, um die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und unnötige Härten zu vermeiden. Dabei solle auf die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr verzichtet und die Mindestdauer des Führerausweisentzugs von 24 auf 6 Monate gesenkt werden.19 Mit den geänderten Artikeln 16c Absatz 2 Parlamentarische Initiative 14.438, Buttet, Polizeiangehörige nicht mehr ins Gefängnis stecken!; Motion 14.3792, Zanetti Einsätze von Blaulichtorganisationen. Optimierung der Strassenverkehrsgesetzgebung; Motion 14.3800, Chopard-Acklin, Einsätze von Blaulichtorganisationen. Optimierung der Strassenverkehrsgesetzgebung; Motion 14.3876, Guhl, Gleiche Promillegrenze für Milizfeuerwehren und nichtdiensthabendes Personal bei Rettungseinsätzen wie für alle anderen Automobilisten; Motion 14.4229, Wobmann, Aufhebung des Verbots von Radarwarnern; Motion 15.3125, Gschwind, Via sicura. Verhältnismässigkeit der strafrechtlichen und administrativen Sanktionen wiederherstellen; Parlamentarische Initiative 15.413, Regazzi, Via Sicura. Rasche Beseitigung der Exzesse und unerwünschten Nebeneffekte des Raserdelikts; Parlamentarische Initiative 15.500, Addor, Via sicura. Nein zur Dreifachbestrafung!; Parlamentarische Initiative 17.413, Rieder, Via
sicura. Zurück zur Vernunft!

Postulat 16.3267 der Kommission des Ständerats für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF-S), Evaluation von Via sicura.

Bericht des Bundesrates vom 28. Juni 2017 zur Evaluation von Via sicura, abrufbar unter: www.parlament.ch > 16.3267 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

Motion 17.3632, KVF-S, Via sicura. Anpassungen.

BBl 2012 5487 Bericht des Bundesrates vom 28. Juni 2017 zur Evaluation von Via sicura, S. 18 f.

Ziff. 4.2.1.

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Buchstabe abis und 90 Absätze 3 und 4 E-SVG werden diese Vorschläge weitestgehend umgesetzt.

­

Der obligatorische Rückgriff der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherungen auf die unfallverursachende Person bei Schäden, die in fahrunfähigem Zustand oder durch ein Raserdelikt verursacht wurden, trat als weitere «Via sicura»-Massnahme am 1. Januar 2015 in Kraft. Mit der Rückgriffspflicht wollte der Bundesrat generell verhindern, dass die Versicherer gegen einen Prämienaufschlag auf den Rückgriff bei grobfahrlässig verursachten Schäden verzichten. Weil das Parlament die Rückgriffspflicht auf einzelne Widerhandlungen beschränkt hat, besteht für die Versicherer diese Möglichkeit bei zahlreichen grobfahrlässig verursachten Schäden aber weiterhin. Die Zweckmässigkeit der Regelung erscheint im Lichte dessen, dass andere Widerhandlungen im Unfallgeschehen an Bedeutung gewinnen (wie z. B. Unaufmerksamkeit und Ablenkung der Fahrerin oder des Fahrers), insbesondere aber Alkohol- und krasse Geschwindigkeitsdelikte an Bedeutung verlieren, fraglich. Zudem hat die Regelung für die Verkehrssicherheit keinen wirklichen Nutzen. Der Bundesrat stellte in seinem Evaluationsbericht deshalb zur Diskussion, auf eine Rückgriffspflicht generell zu verzichten.20 Das Parlament hatte auch im Rahmen der Beratungen zu «Via sicura» die Ausdehnung auf alle grobfahrlässig verursachten Schäden ausdrücklich abgelehnt. Damit könnte auch die Ungleichbehandlung beseitigt werden, wonach die Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung beim obligatorischen Rückgriff beispielsweise die finanzielle Situation der Raserin oder des Rasers berücksichtigen muss (Art. 65 Abs. 3 SVG), nicht jedoch bei einem freiwilligen Rückgriff auf eine Person, die beispielsweise durch waghalsiges Überholen oder durch grobfahrlässiges viel zu schnelles Fahren einen Schaden verursachte (Art. 14 Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes vom 2. April 190821 [VVG]). Mit der vorliegenden Änderung von Artikel 65 Absatz 3 E-SVG wird diesem Anliegen Rechnung getragen.

­

Die «Via sicura»-Massnahmen sahen zudem den Einsatz von Datenaufzeichnungsgeräten (Blackbox) und von Alkohol-Wegfahrsperren vor (Art. 17a SVG22): Zum Schutz der Allgemeinheit sollten Personen, die in schwerer Weise oder wiederholt gegen Geschwindigkeitsvorschriften verstossen haben, nach Ablauf des Führerausweisentzugs während der Dauer der Rückfallfrist (fünf Jahre) durch die Behörden systematisch kontrolliert werden. Dazu dürften diese Personen nur Fahrzeuge führen, die mit einem Datenaufzeichnungsgerät versehen sind, dessen Daten die Kontrollbehörden auswerten können.

Würden gewisse Geschwindigkeitsüberschreitungen festgestellt (z. B. über dem Ordnungsbussentarif), so würde der Führerausweis wieder entzogen.

Die Massnahme der Alkohol-Wegfahrsperre war aufgrund der Ergebnisse der Vernehmlassung neu in das Gesetz aufgenommen worden. Sie betrifft die klar definierbare Risikogruppe der Wiederholungs-Trunkenheitsfahrerinnen und

20 21 22

Bericht des Bundesrates vom 28. Juni 2017 zur Evaluation von Via sicura, S. 19, Ziff. 4.2.2.

SR 221.229.1 AS 2012 6291

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Trunkenheitsfahrer, nämlich Personen, denen der Führerausweis wegen wiederholten Fahrens in angetrunkenem Zustand unbefristet entzogen wurde (Sicherungsentzug). Diese würden den Führerausweis mit der im Führerausweis eingetragenen Auflage zurückerhalten, dass sie nur Motorfahrzeuge mit Alkohol-Wegfahrsperre fahren dürfen. Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker könnten den Motor eines Fahrzeugs mit einer Alkohol-Wegfahrsperre nur starten, wenn sie in ein mit der Motorzündung verbundenes Messgerät eine Atemprobe abgeben und diese negativ ist. Gefahren werden dürfte nur mit 0,0 Promille. Die Kosten für den Einbau, die periodische Wartung und Justierung wären von der betroffenen Fahrzeugführerin oder dem betroffenen Fahrzeugführer zu übernehmen (Einbau und Gerät kosten rund 3000 Franken).

In seinem Evaluationsbericht stellte der Bundesrat zur Diskussion, die beiden Massnahmen Datenaufzeichnungsgerät (Blackbox) und Alkohol-Wegfahrsperre nicht weiterzuverfolgen. Die Massnahmen sind bislang nicht in Kraft getreten. Die Vorbereitungsarbeiten zeigen jedoch, dass beide Massnahmen im Verhältnis zum Nutzen mit einem zu hohen Aufwand verbunden wären.

Den hohen Kosten in der Entwicklung und im Betrieb der Massnahmen stünde nur eine sehr kleine Gruppe von möglichen Betroffenen gegenüber. Die Massnahmen «Datenaufzeichnungsgerät» und «Alkohol-Wegfahrsperre» sollen deshalb aufgehoben werden.

1.1.4

Weiterer Revisionsbedarf

Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot Bisher sieht der Wortlaut von Artikel 2 Absatz 2 zweiter Satz SVG vor, dass der Bundesrat die Einzelheiten zum Sonntags- und Nachtfahrverbot regelt. Eine Kompetenz des Bundesrates zur Regelung von Ausnahmen erwähnt die heutige Regelung nicht explizit. Die in der VRV geregelten Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot übersteigen aber den Rahmen von blossen Einzelheitenregelungen (Art. 91a VRV).

Daher soll die gesetzliche Grundlage angepasst werden.

Bauliche Ausgestaltung von Fussgängerstreifen Das Parlament verpflichtete den Bundesrat im Jahr 201223, in Zusammenarbeit mit den Kantonen Vorschriften über die bauliche Ausgestaltung von Fussgängerstreifen zu erlassen (Art. 6a Abs. 2 SVG). Dies als Reaktion auf eine Serie von Fussgängerunfällen. Eine Vernehmlassung dazu fand nicht statt. Nach Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Januar 2013 und bei der Vorbereitung der Fussgängerstreifen-Verordnung sprachen sich die Kantone klar gegen eine Einmischung des Bundes in die kantonale Strassenhoheit aus. Als Folge verzichtet der Bundesrat auf eine Regelung.

Stattdessen wurde die bestehende Norm des Schweizerischen Verbands der Strassenund Verkehrsfachleute (VSS) revidiert.24 Diese erläutert detailliert, wie Fussgängerstreifen ausgestaltet sein sollten, um höchstmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Die 23 24

AS 2012 6291 SN 640 241 «Querungen für den Fussgänger- und leichten Zweiradverkehr».

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Verpflichtung des Bundesrats, Vorschriften über die bauliche Ausgestaltung von Fussgängerstreifen zu erlassen, soll deshalb aufgehoben werden.

Ausnahmen vom Verbot für Rundstreckenrennen Seit 1. April 2016 sind Formel-E-Rennen vom Verbot öffentlicher Rundstreckenrennen ausgenommen. Diese Ausnahmeregelung beschloss der Bundesrat auf Verordnungsebene und befristete sie auf fünf Jahre (Art. 94 Abs. 3 Bst. e VRV; mit Bundesratsbeschluss vom 20. Mai 202025 wurde die Befristung bis 31. März 2026 verlängert).

Zeitgleich mit diesem Beschluss beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), diese Ausnahmeregelung im SVG ausreichend zu verankern. Dies geschieht mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf (Art. 52 E-SVG).

Velohelmtragpflicht für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre Die Attraktivität und die Sicherheit des Velofahrens sollen gefördert und die Nutzung dieses nachhaltigen Verkehrsmittels erhöht werden. Dies gilt in besonderem Mass für Kinder und Jugendliche. Von hoher Bedeutung ist dabei die Infrastruktur. Nachdem sich die Schweizer Bevölkerung 2018 für eine Aufwertung der Velowege entschieden hat, konnte der Bundesrat am 19. Mai 202126 die Botschaft zum neuen Veloweggesetz verabschieden. Kinder bis 12 Jahre haben zudem seit Anfang 2021 die Möglichkeit, unter Beachtung des Vortrittsrechts der Fussgängerinnen und Fussgänger Trottoirs und Fusswege zu benützen, wenn eine geeignete Radinfrastruktur fehlt.

Es zeigt sich jedoch, dass Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 12 und 16 Jahren von Velounfällen besonders stark betroffen sind. Im Zeitraum von 2012 bis 2019 verunfallten 592 Kinder und Jugendliche schwer mit einem Velo; davon waren 70 Prozent im Alter zwischen 12 und 16 Jahren (417 Kinder und Jugendliche).

Während bei den 6- bis 12-jährigen Schwerverunfallten die Helmtragquote mit 48­ 65 Prozent vergleichsweise hoch liegt, nimmt die Quote ab 12 Jahren kontinuierlich ab. Bei den 16-Jährigen haben beim Unfall nur noch 21 Prozent einen Helm getragen.

25

26

www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Medienmitteilung des Bundesrats vom 20.05.2020 > Bundesrat verabschiedet neue Verkehrsregeln und Signalisationsvorschriften.

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Abb. 2 Mit einem Velo schwerverunfallte Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 16 Jahren summiert über die Jahre 2012­2018 in absoluten Zahlen mit Helm und ohne Helm sowie Helmtragquote27

Aufgrund der hohen Opferzahlen und der geringen Helmtragquoten ab 12 Jahren wird als Alterslimite für die Helmtragpflicht ein Alter bis und mit 16 Jahre als sinnvoll beurteilt.

Die Wirkungsabschätzung der Massnahme ergibt, dass mit einer Helmtragpflicht pro Jahr etwa 11­12 Kopfverletzungen bei schwerverunfallten Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 16 Jahren vermieden werden könnten. Es zeigt sich also die Effektivität einer Pflicht.

Der Erwerb und das Tragen eines Velohelms stellen einen geringen Aufwand dar. Es wird nicht erwartet, dass Kinder und Jugendliche weniger Rad fahren, bloss weil sie einen Helm tragen müssen. Eine Helmtragpflicht bis 16 Jahre dürfte tendenziell auch die Helmtragquote bei älteren Jugendlichen erhöhen. Daher kann die Massnahme als angemessen und verhältnismässig betrachtet werden.

Eine Velohelmtragpflicht für Kinder wurde vom Parlament bereits im Rahmen der letzten Revision des SVG diskutiert und verworfen. Daher wurde darauf verzichtet, die Massnahme im Rahmen der Vernehmlassung zur Diskussion zu stellen. Stattdessen wurde im Fragebogen die Frage unterbreitet, ob eine Velohelmtragpflicht bis 16 Jahre unterstützt würde. Aufgrund der erfolgten Rückmeldungen (vgl. Ziff. 2.2 27

Quelle: ASTRA, Daten aus dem Informationssystem Strassenverkehrsunfälle.

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und 2.3) wurde die Massnahme nun in die Vorlage aufgenommen (Art. 57 Abs. 5 Bst. c E-SVG).

Strafrechtliche Sanktionen bei Widerhandlungen mit Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit Die Strafen bei Widerhandlungen mit Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit sind heute sehr streng. Seit 2012 wird beispielsweise mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft, wer ein Motorfahrrad ohne Führerausweis führt (Art. 95 Abs. 1 Bst. a SVG). Davor drohte nur eine Busse. Diese Verschärfung erfolgte durch das Parlament bei der Umsetzung der parlamentarischen Initiative 08.421 Heer vom 20. März 2008 «Strassenverkehrsgesetz. Änderung». Sie war so aber nicht beabsichtigt. Ziel der parlamentarischen Initiative war, das Fahren ohne Führerausweis gleich hart zu bestrafen wie das Fahren trotz entzogenem Führerausweis. Bei der Redaktion der Gesetzesänderung wurde nicht berücksichtigt, dass durch die Neuformulierung auch das Führen eines Töfflis ohne Führerausweis mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft wird. Zudem sind die Strafen bei Widerhandlungen mit Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit und mit motorlosen Fahrzeugen unterschiedlich geregelt, obwohl die Fahrzeuge teils sehr ähnlich sind. So droht bei Entwendung eines langsamen EBikes zum Gebrauch eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe, bei Entwenden eines Velos zum Gebrauch nur eine Busse (Art. 94 Abs. 1 Bst. a und Abs. 4 SVG).

Mit der vorliegenden Anpassung (Art. 99a E-SVG) sollen Widerhandlungen mit Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit ­ wie heute jene mit motorlosen Fahrzeugen (z. B. Fahrräder) ­ grundsätzlich als Übertretungen gelten und somit mit einer Busse bis maximal 10 000 Franken geahndet werden (Art. 103 in Verbindung mit Art. 106 des Strafgesetzbuchs [StGB]28).

Strafmilderung bei Widerhandlungen auf dringlichen oder taktisch notwendigen Dienstfahrten der Polizei, der Feuerwehr, der Sanität und des Zolls In verschiedenen überwiesenen parlamentarischen Vorstössen29 wurde die Strafbarkeit bei Widerhandlungen von Blaulichtfahrerinnen und -fahrern thematisiert, nachdem Polizistinnen und Polizisten in Einzelfällen zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt worden waren. In seinem Bericht vom 31. März 2021 in Erfüllung des Pos-

28 29

SR 311.0 Motion 19.4067, Feller, und Motion 19.4068, Rochat, Anpassungen bei Via sicura. Die Blaulichtorganisationen sollen unter Bedingungen arbeiten können, die ihnen die Erfüllung ihrer Aufgaben erlauben, auch bei Tempolimit 30; Postulat 19.4113, Aebischer, Anpassung der Bussen bei Blaulichtfahrern im Notfalleinsatz; Parlamentarische Initiative, 19.416, Lüscher Bessere Würdigung der Umstände, die Führerinnen und Führer eines Feuerwehr-, Sanitäts-, Polizei- oder Zollfahrzeugs auf dringlichen Fahrten berücksichtigen mussten.

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tulats 19.4113 Aebischer «Anpassung der Bussen bei Blaulichtfahrern im Notfalleinsatz»30 gelangt der Bundesrat auf der Basis eines juristischen Gutachtens zur Auffassung, dass die berechtigten Anliegen der Blaulichtorganisationen in ausreichendem Mass berücksichtigt werden, wenn die Rasermassnahmen wie vorliegend vorgeschlagen angepasst werden (Aufhebung der Mindestfreiheitstrafe, Senkung der Mindestdauer des Führerausweisentzugs, Aufhebung des Automatismus, wonach bei Begehung der im Gesetz genannten Geschwindigkeitsüberschreitungen der Rasertatbestand ex lege als erfüllt gilt) sowie die zur Diskussion gestellte Verordnungsanpassung zur Umsetzung der Motion 17.3520 Graf-Litscher «Nein zur doppelten Strafe für Berufsfahrer und Berufsfahrerinnen» erfolgt. Er erachtet es aber als vertretbar, die heutige Möglichkeit der Strafmilderung bei Widerhandlungen auf dringlichen oder taktisch notwendigen Dienstfahrten der Polizei, der Feuerwehr, der Sanität und des Zolls (Art. 100 Ziff. 4 dritter Satz SVG) in eine Pflicht zur Strafmilderung umzuwandeln und auf diese Weise das richterliche Ermessen einzuschränken, noch bevor die Auswirkungen der oben erwähnten Rechtsanpassungen evaluiert sind.

Ermächtigung des ASTRA, im Einzelfall Ausnahmen von einzelnen Verordnungsbestimmungen zu verfügen Verschiedene Bundesratsverordnungen räumen dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) heute die Kompetenz ein, in besonderen Fällen Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen zu verfügen. Das Bundesgericht entschied in seinem Urteil vom 13. November 201431 jedoch ­ am Beispiel von Artikel 150 Absatz 6 der Verkehrszulassungsverordnung vom 27. Oktober 197632 (VZV) ­ , dass das ASTRA Weisungen erlassen und in besonderen Fällen Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen bewilligen könne, nach historischer und teleologischer Auslegung der Verordnung jedoch keine darüber hinausgehende gesetzliche Grundlage bestünde. Generell erlaube Artikel 106 Absatz 1 SVG dem Bundesrat nur, dem ASTRA die Kompetenz einzuräumen, generell-abstrakte Regelungen zu erlassen. Er könne das ASTRA aber nicht zum Erlass individuell-konkreter oder generell-konkreter Verfügungen ermächtigen. In der vorliegenden Revision soll eine klare gesetzliche Grundlage geschaffen werden, damit der Bundesrat das ASTRA in seinen Verordnungen ermächtigen kann, in besonderen Fällen Ausnahmebewilligungen für das Abweichen von bestimmten strassenverkehrsrechtlichen Bestimmungen zu erteilen (Art. 106 Abs. 2bis E-SVG).

30

31 32

Bericht des Bundesrats vom 31. März 2021 in Erfüllung des Postulates 19.4113 Aebischer, abrufbar unter: www.parlament.ch > 19.4113 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

Urteil des Bundesgerichts 1C_45/2014 vom 13. Nov. 2014.

SR 741.51

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Ermächtigung des Bundesrats zum Abschluss von Verträgen mit ausländischen Staaten Verschiedene internationale Verträge beziehen sich auf den Strassenverkehr. Von grosser Bedeutung sind dabei folgende Verträge: ­

Übereinkommen vom 8. November 196833 über den Strassenverkehr und Übereinkommen vom 8. November 196834 über Strassenverkehrszeichen sowie die jeweiligen europäischen Zusatzübereinkommen vom 1. Mai 197135;

­

Übereinkommen vom 20. März 195836 der Vereinten Nationen über die Annahme harmonisierter technischer Regelungen für Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile, die in Radfahrzeuge eingebaut oder dafür verwendet werden können, und die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung von Genehmigungen, die nach diesen Regelungen erteilt wurden;

­

Europäisches Übereinkommen vom 30. September 195737 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse;

­

Europäisches Übereinkommen vom 1. Juli 197038 über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR);

­

Abkommen vom 21. Juni 199939 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Strasse (Landverkehrsabkommen [LVA]). Die Schweiz hat im Rahmen des LVA verschiedene EU-Rechtsakte im Bereich der Strassenverkehrssicherheit übernommen. Diese Regelungen betreffen z. B. die Einführung des digitalen Fahrtschreibers bei schweren Strassenfahrzeugen zum Güter- und Personentransport, die Kontrollen des Schwerverkehrs und den Transport von Gefahrgut auf Strasse und Schiene.

Die Schweiz ist aufgrund des relativ hohen Anteils an ausländischen Fahrzeugen und an ausländischen Fahrzeugführerinnen und -führern am schweizerischen Strassenverkehr an einer internationalen Harmonisierung der Vorschriften interessiert. In unbestrittenen Bereichen und dort, wo bereits internationale Verträge den Strassenverkehr harmonisieren, soll dem Bundesrat ein gewisser Handlungsspielraum zustehen. Er soll auch mit Staaten, die nicht der EU angehören, wie mit Liechtenstein oder dem Vereinigten Königreich, Verträge abschliessen können, um auch mit diesen Staaten die bisherige Harmonisierung aufrechterhalten zu können.

Artikel 106a SVG betrifft die Delegation von Staatsvertragsabschlusskompetenzen.

Die rechtliche Regelung betreffend die Staatsvertragsabschlusskompetenz des Bun-

33 34 35 36 37 38 39

SR 0.741.10 SR 0.741.20 SR 0.741.101; 0.741.201 SR 0.741.411 SR 0.741.621 SR 0.822.725.22 SR 0.740.72

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desrats findet sich in Artikel 7a des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199740 (RVOG). Um selbstständig völkerrechtliche Verträge abschliessen zu können, bedarf der Bundesrat einer expliziten Ermächtigung in einem Gesetz oder in einem von der Bundesversammlung genehmigten völkerrechtlichen Vertrag. Die gesetzlichen Grundlagen (RVOG) haben sich in den letzten Jahren geändert. Die bisherige Regelung, wonach der Bundesrat völkerrechtliche Verträge von beschränkter Tragweite abschliessen kann, wurde in den letzten Jahren vom Gesetzgeber immer restriktiver gefasst. Was demnach der Bundesrat vor einigen Jahren noch beschliessen konnte, kann er heute allenfalls nicht mehr. Das bedeutet, dass dafür neu explizite Ermächtigungen im Gesetz notwendig sind, damit allfällige Anpassungen wie bisher vom Bundesrat beschlossen werden können.

Die Regelung in Artikel 48a RVOG sieht gewisse Delegationskompetenzen des Bundesrates im Rahmen seiner Staatsvertragsabschlusskompetenzen vor. Danach kann der Bundesrat, gemäss Wortlaut, die (seine) Zuständigkeit an ein Departement delegieren. Eine Einschränkung ist nicht explizit vorgesehen. Die Delegation an Gruppen und Ämter ist demgegenüber bereits gemäss Wortlaut beschränkt. Soll das ASTRA entsprechende Kompetenzen erhalten, die über die sehr beschränkte Möglichkeit der «Verträge von beschränkter Tragweite» hinausgehen, ist eine explizite Kompetenz notwendig. Über eine Delegation an das Departement kann der Bundesrat demgegenüber selber entscheiden. Die Delegation des Gesetzgebers an das UVEK nach bisherigem Recht (Art. 106 Abs. 2 SVG) ist daher nicht mehr notwendig.

Bei der letzten Änderung des Übereinkommens über den Strassenverkehr und des LVA sowie beim Abschluss des Abkommens vom 18. Juni 201541 über den Strassenverkehr zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein durch den Bundesrat musste als Rechtsgrundlage nebst dem SVG das RVOG hinzugezogen werden, um die Kompetenz des Bundesrats zu begründen. Aufgrund der restriktiveren Fassung und der Änderung des Gesetzes bedarf es neuer Kompetenzregelungen im SVG, um die bisherigen Kompetenzen des Bundesrates aufrechterhalten zu können.

Am 8. Oktober 1999 genehmigte die Bundesversammlung das AETR. Gleichzeitig ermächtigte sie den Bundesrat mit dem Bundesgesetz
vom 8. Oktober 199942 über die Ermächtigung des Bundesrates zur Annahme von Änderungen des Europäischen Übereinkommens vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) und dessen Anhanges, Änderungen des AETR zu genehmigen. Das Parlament erneuerte dieses Spezialgesetz am 18. März 201643. Vor dem Hintergrund der Vereinfachung des Bundesrechts scheint es nicht mehr opportun, ein eigenes Gesetz für diese Kompetenzdelegation aufrechtzuerhalten.

Im LVA sind für den grenzüberschreitenden Verkehr als höchstzulässige Gewichte und Höchstlängen die heute im SVG festgehaltenen Werte fixiert. Es entspricht den

40 41 42 43

SR 172.010 SR 0.741.531.951.4 AS 2001 136 AS 2016 3237

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Interessen der Schweiz und den mit dem LVA verfolgten Zielen (koordinierte Verkehrspolitik, Berücksichtigung der Anliegen des Umweltschutzes), dass die umweltrechtlich begründeten Ausnahmen von den höchstzulässigen Gewichten und Höchstlängen auch im grenzüberschreitenden Verkehr zur Anwendung gelangen. Deshalb ist dem Bundesrat die Kompetenz einzuräumen, die Änderung des massgebenden Anhangs des LVA zu genehmigen, soweit die Ausnahmen von den höchstzulässigen Gewichten und Höchstlängen zugunsten der Umwelt auf das für diese Massnahmen erforderliche Mehrgewicht oder die dafür erforderliche Zusatzlänge beschränkt sind.

Änderung des Ordnungsbussengesetzes vom 18. März 201644 (OBG) ­ Ausdehnung der Halterhaftung auf juristische Personen Im Rahmen von «Via sicura» beschloss das Parlament, dass Ordnungsbussen aus verfahrensökonomischen Gründen der Fahrzeughalterin oder dem Fahrzeughalter in Rechnung gestellt werden können, sofern die Fahrerin oder der Fahrer der Polizei nicht bekannt ist oder nicht bekanntgegeben wird. In der Botschaft vom 20. Oktober 201045 zu «Via sicura» hielt der Bundesrat ausdrücklich fest, dass auch juristische Personen als Fahrzeughalterinnen für geringfügige Verstösse in die Pflicht genommen werden sollen. Dies wurde jedoch nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnt.

Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 20. Juni 201846 zwar anerkannt, dass der Bundesrat mit Artikel 6 OBG vom 24. Juni 197047 (aOBG) beziehungsweise mit Artikel 7 OBG) auch juristische Personen als Fahrzeughalterinnen in die Pflicht nehmen wollte. Es hat allerdings auch festgehalten, dass aufgrund der allgemeinen Bestimmungen des StGB juristische Personen grundsätzlich nur für Verbrechen und Vergehen zur Verantwortung gezogen werden können. Im Bereich von Übertretungen können sie nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur gestützt auf eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage haften. Eine solche Verantwortlichkeit von Unternehmen für Übertretungsbussen ist im geltenden OBG nicht enthalten.

1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Zu den überwiesenen Aufträgen des Parlaments gibt es keine Alternativen. Zu den weiteren Anpassungsvorschlägen: Förderung umweltfreundlicher Technologien: Aktuell könnte der Bundesrat die Verringerung der Ladekapazität durch neue umweltfreundliche Technologien und Ausrüstungsgegenstände einzig bei Fahrzeugen kompensieren, deren höchstzulässige Gewichte und Höchstlängen unter den im Gesetz genannten Werten liegen (also z. B. bei zweiachsigen Lastwagen). Sollen neue umweltfreundliche Technologien und Ausrüstungsgegenstände auch bei Fahrzeugen und Fahrzeugkombinationen mit einem höchstzulässigen Gewicht von 40 Tonnen (im kombinierten Verkehr von 44 t) oder einer Höchstlänge von 18,75 Metern gefördert werden, besteht keine Alternative zu einer Gesetzesanpassung.

44 45 46 47

SR 314.1 BBl 2010 8447 Ziff. 1.3.2.26 Urteil des Bundesgerichts 6B_252/2017 vom 20. Jun. 2018.

AS 1972 734

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Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Sollen in der Schweiz Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem bestimmungsgemäss verwendet werden können (d. h.

mit einer weitgehenden Befreiung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers von ihren oder seinen Pflichten oder gar ohne Fahrzeugführerin oder Fahrzeugführer), ist eine Gesetzesanpassung erforderlich. Mit einem Verzicht auf eine Regelung könnten die Vorteile der digitalen Transformation für das Verkehrssystem nur beschränkt zur Geltung kommen, würde die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft gehemmt und die Weiterentwicklung der Mobilitätsdienstleistungen behindert. Es wird vorgeschlagen, dem Bundesrat eine entsprechende Regelungskompetenz einzuräumen, wobei ihm gewisse Rahmenbedingungen gesetzt werden. Eine umfassende materielle Regelung auf Gesetzesstufe wurde verworfen, weil Diskrepanzen zur fortschreitenden Rechtsweiterentwicklung auf internationaler Ebene kaum vermieden werden könnten. Im Rahmen einer späteren Revision, wenn sich die Entwicklungen auf internationaler Ebene geklärt haben und sich Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem zunehmend ausbreiten, sollen alle materiellen Grundanforderungen auf Gesetzesstufe geregelt werden.

Weiterer Revisionsbedarf ­ Rundstreckenrennen: Aus Sicht der Verkehrssicherheit könnte in Bezug auf Rundstreckenrennen das Verbot aufgehoben werden, anstatt bloss dem Bundesrat die Kompetenz einzuräumen, Ausnahmen vom Verbot vorzusehen, insbesondere für Formel-E-Rennen. Auf diesen weitergehenden Vorschlag wurde verzichtet, nachdem das Parlament zwei entsprechende parlamentarische Initiativen nicht weiterverfolgt hat.48 Aufgrund der Erfahrungen, die mit der Durchführung von zwei Rennen der Formel-E-Meisterschaft in der Schweiz gesammelt wurden, und der ungewissen Aussicht auf die Durchführung von weiteren Rennen wurde auch der Verzicht auf eine Gesetzesvorlage und damit das Aufheben der derzeit befristeten Ausnahme auf Verordnungsebene geprüft. Auch diese Variante wurde aufgrund des überwiesenen parlamentarischen Vorstosses verworfen, mit der die Zulassung von Formel-E-Rennen verlangt worden war.49

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 19. Januar 202050 zur Legislaturplanung 2019­ 2023 angekündigt.

Die Vorlage ist im Voranschlag mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan nicht enthalten. Sie ist nicht mit nennenswerten Mehrbelastungen verbunden.

48

49 50

Parlamentarische Initiative 03.411, Giezendanner, Wiederzulassung von Formel-1Autorennen; Parlamentarische Initiative 10.496, Wobmann, Aufhebung des Verbots von Rundstreckenrennen in der Schweiz.

Motion 14.3761, Derder, Rennen mit Elektrofahrzeugen in der Schweiz bewilligen.

BBl 2020 1777 S. 1892

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Die Vorlage unterstützt die Ziele, die mit der Strategie «Nachhaltige Entwicklung 2030»51, der Strategie «Digitale Schweiz»52 und der nationalen Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken53 angestrebt werden.

1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Mit der vorliegenden Gesetzesvorlage wird die Abschreibung folgender parlamentarischer Vorstösse beantragt: ­

2014 M 13.3572 «Flexiblere Ab- und Auflastung von Nutzfahrzeugen zur Effizienzsteigerung» (N 27.9.2013, Hess; S 20.3.2014) Die Motion beauftragt den Bundesrat, Massnahmen zu ergreifen, damit das Gesamtgewicht eines Motorfahrzeugs oder Anhängers flexibler verändert werden kann. Diesen Auftrag erfüllt die vorliegende Gesetzesrevision (s. Ziff. 4.1.3).

­

2016 M 15.3574 «Führerausweis auf Probe. Verhältnismässige Regelung bei Widerhandlungen während der Probezeit» (N 25.9.2015, Freysinger; S 14.6.2016) Die Motion beauftragt den Bundesrat, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, wonach der Führerausweis auf Probe nur dann verfällt, wenn der zweite Entzug des Ausweises während der Probezeit wegen einer Widerhandlung droht, die mindestens mittelschwer oder schwer war. Diesen Auftrag erfüllt die vorliegende Gesetzesrevision (s. Ziff. 4.1.3).

­

2017 M 17.3049 «Digitalisierung. Weg frei für automatisierte und selbstfahrende Fahrzeuge» (N 16.6.2017, FDP-Liberale Fraktion; S 11.12.2017) Die Motion beauftragt den Bundesrat, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, um die Zulassung und den Verkehr von automatisierten und selbstfahrenden Fahrzeugen auf Verordnungsstufe regeln zu können. Dies soll dem Gesetzgeber ermöglichen, zeitnah mit den technischen Entwicklungen und im Gleichschritt mit dem internationalen Rechtsrahmen die notwendigen Anpassungen vornehmen zu können. Diesen Auftrag erfüllt die vorliegende Gesetzesrevision (s. Ziff. 4.1.2).

­

2017 M 17.3191 «Automatisierte Fahrzeuge. Möglichst schnell den rechtlichen Rahmen festlegen» (N 16.6.2017, Regazzi; S 11.12.2017) Die Motion beauftragt den Bundesrat, den rechtlichen Rahmen für automatisierte Fahrzeuge in der Schweiz festzulegen und dabei insbesondere die tech-

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www.eda.admin.ch > Agenda 2030.

www.bakom.admin.ch > Digitalisierung und Internet > Digitalisierung > Digitale Schweiz.

www.bk.admin.ch > Digitale Transformation und IKT Lenkung > Vorgaben > Strategien und Teilstrategien > SN002 ­ Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor CyberRisiken (NCS).

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nischen und rechtlichen Aspekte zu regeln, die für den Einsatz solcher Fahrzeuge in der Schweiz gelten sollen. Diesen Auftrag erfüllt die vorliegende Gesetzesrevision (s. Ziff. 4.1.2).

­

2018 M 17.3632 «Via sicura. Anpassungen» (S 11.12.2017, KVF-S, N 27.2.2018) Die Motion beauftragt den Bundesrat, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die «Via sicura»- Massnahmen wie folgt anpasst: Bei der Anwendung des Rasertatbestands sollen die Gerichte mehr Ermessensspielraum erhalten. Dabei sollen die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr gestrichen und die Mindestentzugsdauer des Führerausweises reduziert werden. Weiter soll die Rückgriffspflicht der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer wieder in ein Rückgriffsrecht umgewandelt werden. Schliesslich soll auf die Massnahme «Datenaufzeichnungsgerät» und «Alkohol-Wegfahrsperre» verzichtet werden. Diesen Auftrag erfüllt die vorliegende Gesetzesrevision (s. Ziff. 4.1.3).

­

2018 M 17.4039 «Gesetzliche Hürden zur Einführung von autonomen Fahrzeugen abschaffen» (N 16.3.2018, Grünliberale Fraktion; S 27.9.2018) Die Motion beauftragt den Bundesrat, die gesetzlichen Hürden zur Einführung autonomer Fahrzeuge abzuschaffen, sobald ein entsprechender Sicherheitsnachweis gegeben ist. Das SVG soll dabei insbesondere die Erlaubnis regeln, das Lenkrad loszulassen, eine Regressmöglichkeit für Versicherer vorsehen, damit der Hersteller für allfällige Fehler des automatisierten Fahrzeugs haftet, sowie den Fahrzeugen erlauben, durch Sensoren und Kameras ihre Umgebung aufzunehmen und zu speichern. Diesen Auftrag erfüllt die vorliegende Gesetzesrevision (s. Ziff. 4.1.2).

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Bereits bei der Erarbeitung der Vernehmlassungsvorlage wurden verschiedene Regelungsvorschläge mit kantonalen Behörden und betroffenen Organisationen abgestimmt. Ein besonderes Gewicht kam dabei den Themen «automatisiertes Fahren» und «Fahrdienstleister» zu.

Die Regelungsvorschläge zu Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem wurden zusammen mit einem juristischen Expertengremium erarbeitet. Zudem wurde zu dieser Thematik ein runder Tisch (mit kantonalen und städtischen Behörden, Wirtschaftsund Verkehrsverbänden, Sicherheitsorganisationen) durchgeführt, an dem das Vorhaben begrüsst wurde.

Schliesslich wurde geprüft, ob die vom Parlament überwiesenen Vorstösse 16.3066, Nantermod, «Taxis, Uber und andere Fahrdienste. Für einen fairen Wettbewerb» (Motion) und 16.3068, Derder, «Anpassung des Strassenverkehrsgesetzes an die neuen Angebote» (Motion) im Sinne des erstgenannten Vorstosses umgesetzt werden sollen.

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Die Motion 16.3066 verlangt, dass der regelmässige und berufsmässige Personentransport in Personenwagen den ordentlichen Vorschriften des Strassenverkehrsgesetzes und der Arbeitszeitgesetzgebung zu unterstellen sei anstatt der Verordnung vom 6. Mai 198154 über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Führer von leichten Personentransportfahrzeugen und schweren Personenwagen. Die dafür erforderlichen Rechtsanpassungen insbesondere auf Gesetzesebene wurden den interessierten Kreisen ebenfalls im Rahmen einer Veranstaltung vorgestellt. Die präsentierten Vorschläge stiessen dabei überwiegend auf Ablehnung. Deshalb wurden sie nicht weiterverfolgt und sind nicht Gegenstand der aktuellen Vorlage. Stattdessen lässt das ASTRA im Sinne der zweiten überwiesenen Motion 16.3068 von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften einen Bericht erstellen, der aufzeigen soll, wie das aktuelle Recht an die neuen Angebote im Transportbereich angepasst werden könnte. Das weitere Vorgehen wird der Bundesrat gestützt auf diese Studie zu einem späteren Zeitpunkt festlegen.

2.2

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Insgesamt gingen im Rahmen der Vernehmlassung 175 Stellungnahmen von Kantonen, Parteien, Verbänden und weiteren interessierten Kreisen zur Gesetzesvorlage ein.

Der überwiegende Anteil der unterbreiteten Vorschläge fand eine grosse Zustimmung, insbesondere durch die Kantone. Nur auf beschränkte Zustimmung oder sogar Ablehnung stiessen folgende Änderungsvorschläge:

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Förderung umweltfreundlicher Technologien: In zahlreichen kantonalen Stellungnahmen wurde darauf hingewiesen, dass die technischen Vorschriften für Fahrzeuge im Einklang mit jenen der EU stehen müssen. Verschiedentlich wurde gefordert, dass aufgrund der Ausrichtung der heutigen Infrastruktur eine Gesamtgewichtsgrenze von 44 Tonnen nicht überschritten werden dürfe.

Zudem wurde eingebracht, dass sich die Massnahme nicht negativ auf die Verlagerung der Transporte von der Strasse auf die Schiene auswirken dürfe.

­

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Im Zusammenhang mit dem Fahrmodusspeicher und dem Datenschutz wurde von zahlreichen Behörden und Organisationen gefordert, dass auf Gesetzesebene festzuhalten sei, welche Daten im Fahrmodusspeicher aufgezeichnet werden und wer darauf zugreifen darf. Zudem wurde eingewendet, dass die Tragweite der Bestimmungen ohne konkrete Regelung nicht abschätzbar sei und dass vorgängig offene Fragen zur Haftung und strafrechtlichen Verantwortung geklärt werden müssten. Zahlreiche Kantonen forderten, dass die Versuche nach einheitlichen Kriterien zu bewilligen und auszuwerten seien und dass das ASTRA Gesuche um Versuche mit regionalem Charakter nicht an die Kantone übertragen können soll.

SR 822.222

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Motion 17.3632 KVF-S ­ Via sicura. Anpassungen: Die Aufhebung der Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr für die Begehung eines Raserdelikts wurde von der überwiegenden Mehrheit unterstützt, zum Teil aber auch in Frage gestellt (8 Kantone schlagen als Mindeststrafe eine Freiheitstrafe von 6 Monaten vor). Hingegen wurde die vorgeschlagene Reduktion der Mindestentzugsdauer des Führerausweises nach einem «Raserdelikt» von bisher 24 Monaten auf 6 Monate von der überwiegenden Mehrheit abgelehnt. 16 Kantone schlagen eine Senkung der Mindestentzugsdauer auf 12 Monate vor. Die Vorschläge zur Abschaffung des Datenaufzeichnungsgeräts und der AlkoholWegfahrsperre werden zwar von einem Grossteil der Kantone begrüsst, jedoch von 3 in der Bundesversammlung vertretenen Parteien (GLP, GPS und SPS) und von der Umwelt-, der Energie- und der Langsamverkehrsbranche abgelehnt.

­

Ausnahme vom Verbot für Rundstreckenrennen: Der Vernehmlassungsvorschlag wird von den Kantonen weitgehend unterstützt. Insgesamt sprechen sich aber bloss 60 Prozent der Vernehmlassungsteilnehmer für die Ausnahme aus. Geschlossen abgelehnt wird der Vorschlag insbesondere von den Umweltorganisationen. Ausdrücklich unterstützt wird er bloss von der FDP, während sich drei Parteien dagegen ausgesprochen haben, wobei zwei (GLP, SPS) den Verzicht auf die Ausnahmeregelung und eine (SVP) die umfängliche Aufhebung des Verbots von Rundstreckenrennen verlangen.

Zudem wurden folgende zusätzliche Änderungsanliegen eingebracht:

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­

Nachschulungsobligatorium: Mit der Vorlage «Via sicura» beschloss das Parlament im Jahr 2012 ein Nachschulungsobligatorium für Personen, deren Führerausweis wegen Fahrens unter Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluss oder für mindestens sechs Monate aus anderen Gründen entzogen wird (Art. 16e SVG in der Fassung vom 15. Juni 202155). Der Bundesrat hat die Bestimmung noch nicht in Kraft gesetzt. 14 Kantone und eine interkantonale Organisation beantragten die Aufhebung des Nachschulungsobligatoriums (schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis, Umsetzungsschwierigkeiten, Belastung der Betroffenen). Verschiedene Organisationen sprechen sich für das Beibehalten der Regelung aus (guter Nutzwert, Reflexion des eigenen Verhaltens statt Infoveranstaltung, ressourcenschonende und zentralisierte Umsetzung möglich).

­

Tempo 30: Verschiedene Organisationen fordern eine Vereinfachung der Einführung der Tempo-30-Zone oder von Tempo 30 als generelle Innortsgeschwindigkeit.

­

Lärmbekämpfung: Verschiedene Behörden verlangen gesetzliche Massnahmen und Regelungen zur Bekämpfung von durch manipulierte Abgassysteme verursachten Lärm.

­

Informationssystem Verkehrszulassung: 15 Kantone und mehrere interkantonale Organisationen beantragen, dass die Verkehrszulassungsbehörden Daten,

AS 2012 6297

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die im Rahmen eines Ordnungsbussenverfahrens zur Halteridentifikation benötigt werden, den jeweiligen Polizeistellen direkt bekanntgeben und zu diesem Zweck auch Sammelauszüge ausstellen dürfen.

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Fahrdienstleister: Zwei Parteien und verschiedene Organisationen verlangen die Berücksichtigung der Thematik der Fahrdienstleister in der Gesetzesvorlage und die Aufhebung der Unterscheidung zwischen berufsmässiger und nichtberufsmässiger Personenbeförderung.

­

Im Fragebogen zu den Verordnungsänderungen, die zusammen mit dem VE-SVG in die Vernehmlassung geschickt wurden, wurde die Frage unterbreitet, ob die Einführung einer Velohelmtragpflicht für Kinder bis 16 Jahre unterstützt würde. Die Frage wurde von 15 Kantonen befürwortet und von 11 abgelehnt. Bei den Parteien haben sich 3 (FDP, GLP, SPS) dagegen und keine ausdrücklich dafür geäussert. Insgesamt äussern sich 73 Prozent der Vernehmlassungsteilnehmer dagegen. 60 Prozent der ablehnenden Stellungnahmen stammen aus der Langsamverkehrs-, der Umwelt- und der Energiebranche. Unterstützt wurde die Massnahme von den Verkehrssicherheitsorganisationen.

Über die Änderungen der acht Bundesratsverordnungen, die im selben Vernehmlassungsverfahren wie die vorliegende Änderung des SVG zur Diskussion gestellt wurden, beschliesst der Bundesrat im Dezember 2021.

2.3

Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Der Vorentwurf kann angesichts der Vernehmlassungsergebnisse weitgehend wie vorgeschlagen weiterverfolgt werden. Ein Anpassungsbedarf ergibt sich bei folgenden Gegenständen: ­

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Es soll auf Gesetzesebene festgehalten werden, welche Daten im Fahrmodusspeicher aufzuzeichnen sind und wer darauf zugreifen darf. In der Botschaft wird erläutert, wie die Regelungskompetenz des Bundesrats wahrgenommen und umgesetzt werden soll. Betreffend Versuche soll ausdrücklich darauf verwiesen werden, dass das ASTRA die Rahmenbedingungen für die Durchführung der Versuche regelt, dass diese und deren Erkenntnisse zu dokumentieren und die Berichte nach Abschluss der Versuche vom ASTRA zu publizieren sind.

­

Motion 17.3632 KVF-S ­ Via sicura. Anpassungen: Die Mindestentzugsdauer des Führerausweises nach einem «Raserdelikt» soll nicht auf 6, sondern auf 12 Monate reduziert werden. Im Übrigen soll an den Änderungsvorschlägen, die sich aus dem Evaluationsbericht des Bundesrats sowie der überwiesenen Motion ergeben, festgehalten werden.

Die weiteren Änderungsanliegen werden aus folgenden Gründen nicht berücksichtigt: ­

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Förderung umweltfreundlicher Technologien: Die Massnahme soll wie vorgeschlagen weiterverfolgt und nicht eingeschränkt werden. Es soll möglich

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sein, umweltfreundliche Technologien in der Schweiz auch dann zu fördern, wenn in der EU die entsprechende Möglichkeit nicht gegeben und der internationale Verkehr solcher Fahrzeuge nicht gewährleistet ist (z. B. Zusatzlänge wegen Wasserstoffantrieb). Soweit einzelne Bauwerke nicht für ein höchstzulässiges Gewicht von mehr als 44 Tonnen geeignet sind, können schwerere Fahrzeuge mit einem entsprechenden Signal ausgeschlossen werden. In Bezug auf die Verlagerung wirkt sich negativ aus, dass bei konventionellen Anhängerzügen, anders als bei Sattelmotorfahrzeugen, aufgrund der Überschreitung der Höchstlänge von 18,75 Metern die Kompatibilität mit der rollenden Landstrasse nicht sichergestellt ist.

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­

Ausnahme vom Verbot für Rundstreckenrennen: Die Vernehmlassungsvorlage soll weiterverfolgt werden. Sie bildet die Gesetzesgrundlage für eine vom Bundesrat bereits eingeführte befristete Ausnahmeregelung für Formel-ERennen.

­

Nachschulungsobligatorium: Wie beim Datenaufzeichnungsgerät und der Alkohol-Wegfahrsperre handelt es sich um eine im Rahmen von «Via sicura» beschlossene Massnahme, die der Bundesrat noch nicht in Kraft gesetzt hat.

Die vom geltenden Gesetz vorgesehenen Sanktionen für Verkehrsregelverletzungen genügen oft nicht, um die fehlbaren Lenkerinnen und Lenker zu künftig verkehrsgerechtem Verhalten zu veranlassen. Ausländische Studien haben gezeigt, dass mit gezielter Nachschulung fehlbare Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker positiv beeinflusst werden können und sich so die Anzahl Rückfälle vermindern lässt. Anders als beim Datenaufzeichnungsgerät und der Alkohol-Wegfahrsperre ist der Bundesrat weiterhin von der Umsetzbarkeit und Wirksamkeit der Massnahme überzeugt. Daher soll die Massnahme nicht aufgehoben werden. Die Arbeiten zur Inkraftsetzung der Massnahme werden nach der parlamentarischen Beratung der SVG-Revision weitergeführt.

­

Tempo 30: Der Bundesrat hat bereits im Rahmen von parlamentarischen Vorstössen darauf hingewiesen, dass er bereit ist, eine Lockerung der Anordnungsbedingungen für Tempo-30-Zonen auf siedlungsorientierten Strassen zur Diskussion zu stellen. Das Anliegen kann auf Verordnungsebene umgesetzt werden. Die entsprechende Vernehmlassung soll in der ersten Hälfte 2022 durchgeführt werden.

­

Informationssystem Verkehrszulassung: Das SVG soll nicht angepasst werden. Für Sammelauszüge, wie sie im Ordnungsbussenverfahren benötigt werden, müssen die Abfragen gebührenpflichtig über eine Schnittstelle des ASTRA erfolgen. Anlass für die Forderung dürfte die von den Kantonen kritisierte Höhe der Gebühr für diese Abfrage sein. Das ASTRA wird dem Bundesrat voraussichtlich im Herbst 2021 eine Änderung der Gebührenverordnung ASTRA vom 7. November 200756 beantragen. Damit können die Vollzugsbehörden Halterangaben im Ordnungsbussenverfahren ab 2022 über die ASTRA-Schnittstelle zu wesentlich günstigeren Konditionen abfragen.

SR 172.047.40

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Dem Zweck des Änderungsantrags wird damit ohne die beantragten Anpassungen im SVG entsprochen.

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Fahrdienstleister: Das Thema wird in einer separaten Revisionsvorlage behandelt (vgl. Ziff. 2.1).

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Velohelmtragpflicht für Kinder bis 16 Jahre: Die Akzeptanz dieser Regelung scheint steigend, insbesondere bei den Kantonen. Aufgrund der hohen Anzahl schwerverunfallter Kinder zwischen 12 und 16 Jahren und aufgrund der geringen Helmtragquote ab 12 Jahren und der Effektivität der Massnahme soll im Rahmen der SVG-Revision eine Helmtragpflicht bis 16 Jahre vorgeschlagen werden.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die Kompatibilität der Gesetzesvorlage mit dem EU-Recht ist gewährleistet.

­

Förderung umweltfreundlicher Technologien: Mit der Gesetzesvorlage wird dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, das schweizerische Recht an das EURecht (vgl. Ziff. 1.1.1) anzugleichen und sicherzustellen, dass Fahrzeuge mit bestimmten umweltfreundlichen Technologien, die in der EU zugelassen wurden, auch in der Schweiz verkehren können. Dabei kann der Bundesrat auch weitergehende Regelungen erlassen, als sie das EU-Recht vorsieht. Soweit die Schweiz weitergehende Regelungen als die EU erlässt (Abweichungen von der Höchstlänge auch für alternative Antriebe), ist der grenzüberschreitende Verkehr nicht sichergestellt.

­

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Verschiedene Länder haben bereits Regelungen für die Durchführung von Versuchen mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem eingeführt. Dazu gehören z. B. Österreich, Grossbritannien, Frankreich, Japan und Belgien. In Deutschland sowie in einigen Staaten der USA wurden zudem schon Regelungen für die reguläre Verwendung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem erlassen. Weitere Länder (z. B. Frankreich) sind dabei, ihr Recht im Hinblick auf Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem anzupassen. Dies betrifft auch Fahrzeuge, die ohne Fahrzeugführerinnen und -führer eingesetzt werden sollen. Bereits am 20. Mai 2021 wurde eine solche Regelung durch den Deutschen Bundestag beschlossen. Mit der aktuellen Vorlage reiht sich die Schweiz in die Reihe der Länder ein, die frühzeitig eine Regelung zum automatisierten Fahren, die auch bereits führerlose Fahrzeuge abdeckt, erlassen wollen.

­

Ausnahmen vom Verbot von Rundstreckenrennen: Es gibt kaum andere Länder mit einem Verbot von Rundstreckenrennen. Mit der Erweiterung der Regelungskompetenz des Bundesrats für Ausnahmen von diesem Verbot erfolgt eine moderate Annäherung an die Regelung anderer Länder.

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4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Förderung umweltfreundlicher Technologien

Das höchstzulässige Gewicht von 40 beziehungsweise 44 Tonnen für Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen und die Höchstlänge von 18,75 Metern für Fahrzeugkombinationen sind im Strassenverkehrsgesetz geregelt. Es wird vorgeschlagen, eine Regelung zu integrieren, die dem Bundesrat die Kompetenz einräumt, diese im Gesetz festgelegten Werte auf Verordnungsebene zu erhöhen. Damit kann ein Beitrag zur Förderung alternativer Antriebe und zur Senkung der CO2-Emissionen im Strassenverkehr geleistet werden.

In der Regelung soll nicht weiter festgelegt werden, für welche speziellen Bau- und Ausrüstungsmerkmale vom höchstzulässigen Gewicht und von der Höchstlänge abgewichen werden kann. Die zulässigen Abweichungen werden dadurch beschränkt, dass sie nicht weitergehen dürfen, als für die Merkmale erforderlich ist, und dass die Ladekapazität nicht erhöht werden darf. Damit hat der Bundesrat die Möglichkeit, über die von der EU vorgesehenen Abweichungen hinauszugehen und nicht nur wie in der EU für aerodynamische Führerkabinen, sondern auch für alternative Antriebe eine Abweichung von der Höchstlänge zu erlauben. Die Nachteile alternativer Antriebssysteme können dann auch in Bezug auf die Fahrzeugdimensionen kompensiert werden und nicht nur wie in der EU in Bezug auf das Gewicht. Damit wird einem Anliegen der schweizerischen Wirtschaft nachgekommen. Verschiedene Grossverteiler sind daran interessiert, im Binnenverkehr insbesondere schwere Gütertransportfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb einzusetzen. Im grenzüberschreitenden Verkehr können diese Fahrzeuge allerdings nicht verwendet werden, sofern sie die in der EU zugelassenen Längen überschreiten.

Mit dieser Änderung kann dem Bundesrat eine ordentliche Rechtsgrundlage für die Abweichung von den gesetzlich höchstzulässigen Gewichten und der Höchstlänge eingeräumt werden. Damit kann er die Befristung der bis dahin vorläufigen Verordnungsregelungen aufheben.

4.1.2

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem

Das automatisierte Fahren entwickelt sich schnell und dynamisch. Der Verlauf ist aufgrund diverser Ungewissheiten schwierig abzuschätzen. Mit der beantragten Neuregelung sollen die Bedürfnisse im Zusammenhang mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem für einen Zeitraum bis mindestens Anfang der 2030er-Jahre abgedeckt werden. Bis dahin dürfte ohnehin die nächste SVG-Revision lanciert sein.

Vorrangiges Ziel ist die Schaffung einer Möglichkeit zur Regelung der Verwendung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem auf Verordnungsstufe, damit zeitnah auf internationale Entwicklungen reagiert werden kann. Eine abschliessende materielle Regelung, um die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer beim Einsatz von Automatisierungssystemen von ihren oder seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten zu befreien oder um führerlose Fahrzeuge auf bestimmten Strecken 33 / 88

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zulassen zu können, ist derzeit auf Gesetzesstufe aufgrund der schwer vorhersehbaren und rasch fortschreitenden internationalen Entwicklung betreffend Technik und Recht noch nicht möglich. Eine zu restriktive gesetzliche Regelung könnte innovationshemmend wirken und künftigen Anpassungen an das internationale Recht entgegenstehen.

Bei einer zu offenen Regelung liessen sich hingegen gewisse Risiken mit negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit und den Verkehrsfluss nicht ausschliessen.

Aufgrund des raschen technologischen Wandels und der massgeblichen internationalen Entwicklungen in diesem Bereich müssen die konkreten Regelungen rasch, das heisst auf Verordnungsstufe, erlassen werden können. Aufgrund der teilweisen Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen sind entsprechend offene Kompetenzdelegationen an den Bundesrat notwendig, um die Änderungen auf internationaler Ebene bei Bedarf zeitnah ins schweizerische Recht umzusetzen und auch auf die Weiterentwicklungen angemessen reagieren zu können.

Dem Bundesrat soll deshalb die Kompetenz eingeräumt werden, bestimmte Regelungen im Zusammenhang mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem zu erlassen. Dies betrifft einerseits Fahrzeuge, die noch eine aktive Fahrzeugführerin oder einen aktiven Fahrzeugführer benötigen (Fahrzeuge der Stufen 3 und 4 nach Norm SAE J3016). Insbesondere soll der Bundesrat festlegen können, unter welchen Umständen und in welchem Umfang die Führerin oder der Führer von ihren oder seinen Pflichten befreit werden kann, wenn sie oder er das Automatisierungssystem aktiviert hat. Anderseits soll sich die Regelungskompetenz auch auf Fahrzeuge beziehen, die zwar keine Fahrzeugführerin oder keinen Fahrzeugführer mehr benötigen, aber bloss auf festgelegten Strecken verkehren können (ebenfalls Stufe 4). Die vorgeschlagene Regelungskompetenz des Bundesrats erstreckt sich nicht auf automatisierte Fahrzeuge, die keine Fahrzeugführerin oder keinen Fahrzeugführer mehr benötigen und überall unter allen Bedingungen verkehren können (Stufe 5). Es wird davon ausgegangen, dass derartige Fahrzeuge aufgrund ihres Entwicklungsstands bis Anfang der 2030er-Jahre höchstens versuchsweise, aber noch nicht ordentlich zugelassen werden können. Sie werden allenfalls Gegenstand der nächsten SVG-Revision bilden.

Die Regelungskompetenz des Bundesrats soll folgende Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens abdecken: ­

Befreiung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers von ihren oder seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten bei aktiviertem Automatisierungssystem (z. B. bei Verwendung eines Staupiloten auf Autobahnen);

­

führerloses Parkieren auf abgegrenzten Parkierungsflächen («Automated Valet Parking»);

­

Zulassung von führerlosen Fahrzeugen auf festgelegten Strecken (z. B. «Shuttles»);

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streckenunabhängige Zulassung von führerlosen Fahrzeugen mit geringen Dimensionen und niedriger Geschwindigkeit (z. B. Lieferroboter).

Die Kompetenzdelegation an den Bundesrat ist an verschiedene Rahmenbedingungen gebunden: ­

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Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem dürfen die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigen und müssen die Verkehrsregeln einhalten können. In

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diesem Sinn müssen sie den Strassenraum und die einzelnen Objekte klar erkennen können und insbesondere Redundanzen aufweisen, damit das System beim Ausfall einzelner Komponenten wie etwa Sensoren auch weiterhin einwandfrei arbeitet und in diesem Zusammenhang keine gefährlichen Situationen entstehen. Gerade auch schwächere Strassenverkehrsteilnehmende wie etwa Fussgängerinnen und Fussgänger oder Velofahrerinnen und Velofahrer sollen durch die neue Technologie keinen erhöhten Risiken ausgesetzt werden.

­

Führerlose Fahrzeuge müssen durch eine Operatorin oder einen Operator beaufsichtigt werden. Diese oder dieser kann sich ausserhalb des Sichtfelds zum Fahrzeug befinden, etwa in einer Betriebszentrale. Dazu muss sie oder er über eine Kommunikationsverbindung mit dem Fahrzeug verfügen. Die Funktion der Operatorin oder des Operators deckt verschiedene Aufgaben ab. Diese Aufgaben können durch eine oder mehrere natürliche Personen wahrgenommen werden. Möglich ist auch, dass eine Operatorin oder ein Operator mehrere Fahrzeuge beaufsichtigt oder gleichzeitig andere Tätigkeiten, etwa betrieblicher Natur, ausübt, soweit sie oder er dadurch nicht in der Ausübung der Überwachungsfunktion beeinträchtigt ist. Die Funktion der Operatorin oder des Operators kann beispielsweise folgende Aufgaben umfassen: Das Führen des Fahrzeugs als Fernlenkerin oder Fernlenker bei Bedarf, das Senden von Informationen an das Fahrzeug (z. B. Angabe einer Umfahrungsstrecke, wenn eine Strasse blockiert ist), das Inverkehrbringen des Fahrzeugs, das Programmieren von Fahrtzielen und Fahrtzeiten, das Informieren der Passagiere bei Bedarf, das Zurverfügungstehen als Ansprechperson oder das Zugreifen auf eine Kamera, um abzuklären, ob das die Fahrt blockierende Objekt ein Plastiksack ist und überfahren werden kann, und die Erteilung des entsprechenden Befehls an das Fahrzeug. Der Bundesrat wird die Rechte und Pflichten der Operatorin oder des Operators auf Verordnungsebene regeln.

­

Für die Verkehrssicherheit ist es zentral, dass die Daten, die vom Automatisierungssystem verarbeitet werden, verlässlich und zutreffend sind. Dies betrifft sowohl Daten, die von den Sensoren des Fahrzeugs erhoben werden, als auch allfällige Daten, die von externen Quellen (z. B. von der Strasseninfrastruktur oder einer Cloud) in das Fahrzeug eingespiesen werden. Dies bedingt die Vertrauenswürdigkeit der externen Quelle sowie eine geschützte und gesicherte Übermittlung der Daten. Daher soll festgehalten werden, dass der Bundesrat im Rahmen einer Regelung sicherzustellen hat, dass die Automatisierungssysteme Daten nur dann bearbeiten, wenn deren Verlässlichkeit und Richtigkeit in ausreichendem Masse gewährleistet ist.

­

Für die Einschätzung und Überwachung der Funktionstüchtigkeit der Systeme und ihrer Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit und den Verkehrsfluss einerseits sowie für die Beurteilung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortung des Herstellers und der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers andererseits (s. zu den Verantwortlichkeiten weiter unten in dieser Ziffer) ist von entscheidender Bedeutung, dass gewisse Vorgänge im Nachhinein nachvollzogen werden können. Daher wird vorgeschrieben, dass Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem einen Fahrmodusspeicher aufweisen müssen.

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Im Gesetz soll geregelt werden, welche Daten im Fahrmodusspeicher aufzuzeichnen sind und wer zu welchem Zweck darauf Zugriff hat. Die Daten, welche im Fahrmodusspeicher aufzuzeichnen sind, betreffen technische Störungen, das Auslösen von speziellen Manövern durch das Automatisierungssystem (z. B. Notfallmanöver) sowie die Interaktionen zwischen der Fahrzeugführerin oder dem Fahrzeugführer und dem Automatisierungssystem.

Mit den erhobenen Daten können keine Persönlichkeitsprofile erstellt werden.

Im Fahrmodusspeicher werden auch keine Daten aufgezeichnet, die von den Kameras oder anderen Sensoren des Fahrzeugs zur Umgebungserkennung und -überwachung erfasst werden. Der Fahrmodusspeicher ist zu unterscheiden und abzugrenzen von anderen Geräten, mit denen gewisse Daten aufgezeichnet werden, wie dem Datenaufzeichnungsgerät, auf dessen Einführung im Rahmen der vorliegenden Revision verzichtet werden soll (s. Ziff. 4.1.3, Mo 17.3632 KVF-S), dem Unfalldatenspeicher, der die Daten ereignisbezogenen aufzeichnet (Aufzeichnung der Ereignisse während und kurz vor und kurz nach einem Unfall) und der bereits heute für Blaulichtfahrzeuge vorgeschrieben ist oder den Fahrtschreibern zur Aufzeichnung der Arbeits- und Ruhezeiten von Berufschauffeusen und -chauffeuren.

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Das Automatisierungssystem und der Fahrmodusspeicher müssen gegen unbefugte Zugriffe geschützt sein. Damit soll erreicht werden, dass die Daten im Fahrzeug nicht manipuliert werden können und die Funktionalität des Systems bzw. des Aufzeichnungsgeräts vor Beeinträchtigungen geschützt ist. Die entsprechenden Schutzmassnahmen müssen sich nach dem Stand der Technik richten. Dieser ergibt sich etwa aus dem UN-Reglement Nr. 15557 über einheitliche Vorschriften für die Genehmigung von Fahrzeugen hinsichtlich der Cybersicherheit und des Cybersicherheits-Managementsystems, das in der EU für neue Typengenehmigungen ab Mitte 2022 erfüllt sein muss.

Zudem sollen die Versuche mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem geregelt werden. Bisher wurde für die Bewilligung von Versuchen mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem Artikel 106 Absatz 5 SVG herangezogen, der eigentlich für den Erlass von generell-abstrakten Regelungen ausgelegt ist. Mit dem vorliegenden Artikel 25h E-SVG soll die Kompetenz zur Bewilligung von Versuchen mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem dem ASTRA übertragen und das Verfahren für die Bewilligung von befristeten Versuchen vereinfacht werden. Von dieser Kompetenz sind auch Versuche mit Fahrzeugen der Stufe 5 abgedeckt, die streckenungebunden alle Situationen selbstständig beherrschen und keine Fahrzeugführerin oder keinen Fahrzeugführer mehr benötigen. Gesuche um Durchführung von befristeten Versuchen soll das ASTRA entweder selber beurteilen oder, wenn die Versuche den regionalen Rahmen nicht überschreiten, an die Kantone delegieren können. Für den Bund erfüllen die Versuche hauptsächlich den Zweck, übergeordnete Erkenntnisse im Hinblick auf den Stand der Technik, das Verkehrsverhalten, die Akzeptanz der neuen Technologien sowie die Nutzung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem mittelbar auf den Bedarf zur Anpassung des Rechts zu gewinnen. Solche 57

www.unece.org/transport > Vehicle Regulations > Agreements and Regulations > UN Regulations (1958 Agreement) >UN Regulations (Addenda to the 1958 Agreement) > Regulations 141­160.

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Versuche sind von der den Versuch durchführenden Einrichtung zu dokumentieren und die entsprechenden Berichte sind vom ASTRA nach Abschluss des Versuchs unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der am Versuch beteiligten Personen zu publizieren. Damit das ASTRA die Versuchsbedingungen überwachen und daraus nötige Handlungen ableiten kann, muss der Zugang zu sämtlichen Versuchsdaten möglich sein. Damit kann der Bund zudem Erkenntnisse für die weitere Gesetzgebung gewinnen. Überall dort, wo der Versuch den regionalen Rahmen nicht überschreitet und spezifischere Bedürfnisse wie die Erforschung besonderer Geschäftsmodelle, die Einbindung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem in den lokalen öffentlichen Verkehr oder die Vertiefung bereits vorliegender Erkenntnisse aus ähnlich gelagerten Versuchen im Vordergrund stehen, soll das ASTRA die Bewilligungskompetenz an die Kantone delegieren können, wobei es die entsprechenden Rahmenbedingungen festlegt. Damit kann dem Bedürfnis von Städten und Gemeinden sowie von Verkehrsbetrieben entsprochen werden, solche Fahrzeuge versuchsweise im lokalen Verkehr einzusetzen, respektive bereits gewonnene Erkenntnisse zu vertiefen. Es ist zu beachten, dass je nach Konstellation zusätzliche Bewilligungen ausserhalb des Strassenverkehrsrechts erforderlich sind (z. B. eine Funkversuchskonzession des Bundesamts für Kommunikation nach Artikel 31 der Verordnung vom 18. November 202058 über die Nutzung des Funkfrequenzspektrums).

Des Weiteren soll dem ASTRA eine Förderungskompetenz eingeräumt werden. Damit der Bund weitere Erkenntnisse gewinnen und die Weiterentwicklung gezielt steuern kann, sollen Projekte im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Technologien finanziell unterstützt werden können. Mit dieser Unterstützung will das ASTRA unter anderem Erkenntnisse unter realen Bedingungen gewinnen. Die fachlichen Anforderungen können nach dem heutigen Kenntnisstand noch nicht umfassend formuliert werden. Aus diesem Grund wurde eine subventionsgesetzkonforme, aber möglichst offene Formulierung gewählt, sodass die Finanzierung auch für künftige, heute noch nicht bekannte Bedürfnisse ermöglicht wird. Mit dieser Bestimmung würde das ASTRA bei der Unterstützung neuer Technologien über ähnliche Möglichkeiten verfügen, wie sie der öffentliche Verkehr bereits kennt (vgl. Art. 31 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 200959 [PBG]).

Mit der vorgeschlagenen Lösung werden verschiedene Anliegen erfüllt:

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­

Formell-gesetzliche Rechtsgrundlage: Mit diesen neuen Bestimmungen wird eine formell-gesetzliche Rechtsgrundlage zur Regelung des automatisierten Fahrens geschaffen. Bisher war dies nur im Rahmen von vorläufigen Massnahmen möglich, die dazu verpflichten, umgehend eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Die Regelung auf formell-gesetzlicher Stufe stellt klar, dass wesentliche Abweichungen von den SVG-Bestimmungen wie die Relativierung oder die Aufhebung der Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten oder gar der Verzicht auf eine Führerin oder einen Führer zulässig sind.

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Zeitgerechte Anpassung der Regelung: Der Rahmen für das nationale Strassenverkehrsrecht wird zu einem grossen Teil durch internationale Staatsverträge festgelegt. Damit die Befreiung der Fahrzeuglenkenden von ihren SR 784.102.1 SR 745.1

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Pflichten rechtlich möglich ist, werden die internationalen Regelungen zwingend weiterentwickelt werden müssen. Die Kompetenzdelegation an den Bundesrat stellt insbesondere in der Anfangsphase dieser neuen Technologie sicher, dass das nationale Recht zeitgerecht und im Einklang mit den Entwicklungen auf internationaler Ebene angepasst werden kann. Ebenso wird dem Bundesrat ermöglicht, relativ kurzfristig auf technische Entwicklungen zu reagieren und das nationale Recht in einem beschränkten Rahmen bereits vor allfälligen Anpassungen auf internationaler Ebene weiterzuentwickeln (z. B.

für führerlose Fahrzeuge der Stufe 4).

­

Einräumung des erforderlichen Spielraums: Aufgrund der dynamischen und noch unsicheren Entwicklung in diesem Gebiet wird dem Bundesrat eine breite Kompetenz eingeräumt. Auf diese Weise wird die notwendige Flexibilität für eine nachfolgende Regelung gewahrt.

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Sammlung notwendiger Erkenntnisse: Fahrzeuge mit Automatisierungssystemen stellen eine Weiterentwicklung der Technik dar, die tiefgreifende Änderungen in Bezug auf die Verwendung der Fahrzeuge mit sich bringt. Damit das ASTRA entsprechende materielle Regeln erarbeiten kann, muss es Erkenntnisse unter realen Bedingungen gewinnen. Dazu dienen einerseits die beantragten Kompetenzen für die Bewilligung von Versuchen und die Ausrichtung von Unterstützungsbeiträgen. Anderseits hat der Bundesrat im Rahmen der vorgeschlagenen Regelungskompetenz auch die Möglichkeit, Regelungen, die mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind, bloss befristet und versuchsweise einzuführen und sie zu evaluieren. Auf dieser Grundlage kann beurteilt werden, ob sich die Automatisierungssysteme auch tatsächlich bewähren und ob die versuchsweise Regelung beibehalten und allenfalls weiterentwickelt werden soll.

Weitere Regelungsgegenstände im Zusammenhang mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem werden von der vorliegenden Revision noch nicht erfasst, da derzeit, insbesondere bei der Regelung der straf- und zivilrechtlichen Verantwortung, noch kein entsprechender Handlungsbedarf besteht. Die hier vorgeschlagene Regelung hat jedoch zumindest indirekte Auswirkungen auf folgende Aspekte: ­

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Strafrechtliche Verantwortung: 1. Fahrzeugführerinnen und -führer: Bisher trägt die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer die volle Verantwortung für Verkehrsverstösse und damit auch die strafrechtlichen Konsequenzen. Soweit ein zugelassenes Automatisierungssystem die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer von ihren oder seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten befreit, entfällt deren oder dessen Verantwortlichkeit. Dies gilt aber nur, sofern das Automatisierungssystem bestimmungsgemäss verwendet wird und keine Umstände gegeben sind, aufgrund deren der Fahrzeugführerin oder dem Fahrzeugführer der Vorwurf gemacht werden kann, dass sie oder er erkannt hat oder hätte erkennen können, dass das Automatisierungssystem nicht in einem ordnungsgemässen Zustand ist oder sie oder er die Fahrzeugführung aufgrund eines äusseren Ereignisses wieder selbst hätte übernehmen müssen, um einer Gefahrensituation zu

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begegnen bzw. die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Wird ein Automatisierungssystem nicht bestimmungsgemäss verwendet, d. h. in einer Situation, für die das System nicht ausgelegt ist, oder reagiert die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer auf eine Aufforderung des Systems zur Übernahme der Fahrzeugführung nicht oder nicht angemessen, liegt hierin eine Pflichtverletzung, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers begründen kann.

Hersteller: Mit der Kontrolle der Fahraufgaben durch das Automatisierungssystem rückt in dem Umfang, in dem die Fahrzeuglenkenden strafrechtlich befreit werden, die Verantwortlichkeit des Herstellers in den Fokus. Sofern ein Unfall durch ein Fahrzeug verursacht wird, dessen dynamische Fahrfunktion im Unfallzeitpunkt von einem Automatisierungssystem ausgeführt wird, stellt sich die Frage, ob der Unfall auf einen Produktmangel zurückzuführen ist, den der Hersteller erkannt hatte oder bei sorgfaltsgemässem Vorgehen hätte erkennen müssen. Ist dies der Fall und kann die Sorgfaltspflichtverletzung dem Hersteller individuell zugerechnet werden, können die Personen, die individuell verantwortlich sind, zur Verantwortung gezogen werden. Ist die individuelle Zurechnung nicht möglich, kann gegebenenfalls auch eine subsidiäre Verantwortlichkeit des Herstellerunternehmens (Art. 102 Abs. 1 StGB) in Betracht kommen. Gemäss Rechtsprechung wird der Hersteller zudem aufgrund der gesetzlich normierten Beobachtungspflichten zu einem Tun verpflichtet, sobald beim Fahrzeug ein Risikopotenzial erkennbar ist.

Hier greift das Strafrecht im Wesentlichen auf das zivilrechtliche Produkthaftungsrecht für die Bestimmung der Sorgfaltspflichten zurück (Instruktions-, Dokumentations-, Warnpflicht etc.). Trifft der Hersteller keine entsprechenden Massnahmen zur Eindämmung der Gefahren, kann er sich wegen Unterlassens strafbar machen.

Halterin oder Halter: Eine Strafbarkeit der Halterin oder des Halters kommt in Betracht, wenn ihr oder ihm eine Sorgfaltspflichtverletzung zugerechnet werden kann, die für einen Unfall kausal ist. Dies kann beispielsweise die Pflicht betreffen, das Fahrzeug regelmässig zu warten, oder der Fall sein, wenn versteckte Mängel bestehen, von denen die Halterin oder der Halter Kenntnis hat.

Operatorin oder Operator: Für führerlose
Fahrzeuge, die auf bestimmten Strecken verkehren, wird eine Person vorgesehen, der verkehrsrechtliche Pflichten auferlegt werden sollen. Verstösst eine Operatorin oder ein Operator gegen diese Pflichten, soll sie oder er bestraft und ihr oder ihm eine Busse auferlegt werden können. Die Pflichten der Operatorin oder des Operators und ein entsprechender Straftatbestand sollen auf Verordnungsebene geregelt werden.

Es sind aber auch Konstellationen denkbar, bei denen letztlich niemand für einen Personenschaden, der auf den Einsatz eines Fahrzeugs mit einem Automatisierungssystem zurückzuführen ist, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Trotz solchen Ausnahmefällen erscheinen die heutigen Prinzipien des Strafrechts weiterhin

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als angemessen, insbesondere insofern, als die Strafbarkeit an eine Sorgfaltswidrigkeit gebunden sein muss.

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Zivilrechtliche Verantwortung: 1. Haftung/Versicherungspflicht der Halterin oder des Halters: Die Gefährdungshaftung der Halterin oder des Halters (Art. 58 SVG), die obligatorische Haftpflichtversicherung und der direkte Forderungsanspruch der/des Geschädigten gegenüber dem Versicherer stellen die Entschädigung von Verkehrsopfern auch beim Einsatz von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem sicher und bleiben adäquat. Die Begründung der Gefährdungshaftung für Motorfahrzeuge, nämlich die Schaffung einer Gefahr durch den Betrieb eines Motorfahrzeugs, gilt genauso beim Einsatz eines Automatisierungssystems. Das Betriebsrisiko kann sich sowohl bei der Steuerung durch eine menschliche Führerin oder einen menschlichen Führer als auch durch ein Automatisierungssystem verwirklichen. Es ist daher sachgerecht, dass die Halterin oder der Halter zumindest vorläufig weiterhin für das Risiko des Betriebs eines Motorfahrzeugs einstehen muss.

2. Haftung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers: Die Haftung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers für Schäden beruht auf Artikel 41 des Obligationenrechts (OR)60 und setzt ein Verschulden (Sorgfaltspflichtverletzung) voraus. Soweit das Automatisierungssystem gewisse Fahraufgaben vorübergehend eigenständig übernimmt, kann die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer von ihren oder seinen diesbezüglichen strassenverkehrsrechtlichen Pflichten befreit werden. Dies schliesst allerdings nicht jegliche Haftung aus. Die Fahrzeuglenkenden müssen beim Einsatz von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem bestimmte Sorgfaltspflichten beachten. So müssen sie etwa das System bestimmungsgemäss verwenden, die Aufforderung des Systems zur Rückübernahme der Steuerung befolgen und sich vor der Benutzung mit dem System vertraut machen. Durch die steigende Automatisierung und die zunehmende Steuerung des Fahrzeugs durch Automatisierungssysteme wird die Haftung der Fahrzeuglenkenden allerdings vermehrt in den Hintergrund treten. Die Haftung des Herstellers dürfte hingegen an Bedeutung gewinnen.

3. Haftung des Herstellers: Gemäss dem Produktehaftpflichtgesetz vom 18. Juni 199361 (PrHG) haftet der Hersteller, wenn ein fehlerhaftes Produkt zu einem Schaden führt (Art. 1 Abs. 1). Ein Produkt gilt als fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung
aller Umstände ­ wie der vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendung ­ zu erwarten berechtigt ist (Art. 4 PrHG). In diesem Sinne kommen dem Hersteller Sorgfaltspflichten zu, die er zu beachten hat, wenn er ein Produkt auf den Markt bringt. Dazu gehören insbesondere die Instruktions-, Dokumentations- und Warnpflichten, die dem spezifischen SR 220 SR 221.112.944

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Gefährdungspotenzial eines Produkts entsprechen müssen. Die Haftung entfällt, wenn der Fehler bei Inverkehrbringen des Produkts noch nicht vorlag oder nach dem Stand von Wissenschaft und Technik noch nicht erkannt werden konnte (Art. 5 Abs. 1 Bst. b und e PrHG). Dadurch wird die Haftung für sogenannte Entwicklungsrisiken grundsätzlich ausgeschlossen. Nach dem Inverkehrbringen treffen den Hersteller aber sogenannte Nachmarktpflichten, insbesondere die Pflicht, sein Produkt zu beobachten. Diese Beobachtungspflicht ergab sich nach der Lehre bereits aus dem Gefahrensatz und ist seit 2010 explizit in Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 200962 über die Produktesicherheit statuiert. Zwar wird auch hier nicht für Entwicklungsrisiken an sich gehaftet, sobald aber konkrete Risiken entdeckt werden, können sie Warn- oder Rückrufpflichten auslösen. Gemäss überwiegender Mehrheit der Lehre kann die Missachtung dieser Pflichten im Schadenfall eine Schadenersatzforderung begründen. Die Anforderungen an die Beobachtungspflicht des Herstellers bei den Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem sind naturgemäss erhöht, da es sich hierbei um eine neue Technologie handelt, die sich noch in der Entwicklung befindet und mit gewissen Unsicherheiten sowie Gefahren behaftet ist. Hier muss besonders schnell auf mögliche Fehlfunktionen und neu entdeckte Risiken reagiert werden (insbesondere bezüglich Software und Cybersicherheit).

Es zeigt sich aber, dass die heutige Produktehaftpflichtgesetzgebung grundsätzlich auf herkömmliche Produkte ausgerichtet ist. Die mit der Robotik und der künstlichen Intelligenz verbundenen Besonderheiten werden nicht optimal abgedeckt. Hier gelangt das heutige Produktehaftpflichtrecht an seine Grenzen. Deshalb prüft die EU, wie die entsprechende Richtlinie weiterzuentwickeln ist. Sobald sich zeigt, wie sie ergänzt werden soll, ist auch eine Überprüfung der schweizerischen Rechtsgrundlagen erforderlich.

Daneben kann auch eine Haftung des Herstellers nach Artikel 55 OR in Betracht fallen. Demnach haftet er als Geschäftsherr für den Schaden, den seine Arbeitnehmenden oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben. Die Haftung besteht auch dann, wenn keine Sorgfaltspflichtverletzung der Hilfsperson vorliegt. Der Geschäftsherr kann sich mit dem Nachweis
befreien, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.

Die Geschädigten könnten einen allfälligen Anspruch zwar gegen den Hersteller geltend machen, aber in der Praxis werden sie sich aufgrund des direkten Forderungsrechts regelmässig an den Versicherer der Halterin oder des Halters wenden, der sodann auf den Hersteller zurückgreifen kann. Bislang war dies problematisch, da ein Rückgriff des Versicherers auf den Hersteller in dem Sinn eingeschränkt war, als grundsätzlich nur ein Ersatzanspruch der Geschädigten aus schuldhafter unerlaubter

SR 930.11

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Handlung auf ihn überging. Das Bundesgericht hat nun seine langjährige Praxis geändert63, weshalb der Versicherer im Umfang seiner Entschädigungsleistungen auch auf die kausal haftpflichtige Unfallverursacherin oder den kausal haftpflichtigen Unfallverursacher zurückgreifen kann, also je nach Sachlage auch auf den Hersteller. Ab 1. Januar 202264 sieht auch das geänderte VVG vor, dass das Versicherungsunternehmen für die von ihm gedeckten Schadensposten im Umfang und zum Zeitpunkt seiner Leistungen in die Rechte des Versicherten eintritt (Art. 95c Abs. 2 VVG).

­

Fahrausbildung: Die Verwendung von Automatisierungssystemen soll, wie die Verwendung von Assistenzsystemen, vorderhand nicht an das Absolvieren einer spezifischen Führerprüfung gebunden werden. Es soll grundsätzlich in der Verantwortung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers bleiben, sich mit den Funktionen und den Anforderungen des spezifischen Automatisierungssystems vertraut zu machen. Die Benutzung ohne ausreichende Vorbereitung stellt eine Pflichtverletzung dar. Für den Hersteller besteht eine entsprechende Instruktionspflicht. Die Instruktion kann z. B. durch Bedienungsanleitungen, Video-Tutorials, Auskünfte, Informationen sowie allenfalls freiwillige Kurse für Autokäuferinnen und Autokäufer erfolgen. Je mehr Fertigkeiten erforderlich sind, um ein System bestimmungsgemäss bedienen zu können, desto höher sind auch die Anforderungen an die Pflichten des Herstellers. Deshalb kann seine Instruktionspflicht bei Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem unter Umständen über einfache Warn- und Sicherheitshinweise oder Bedienungsanleitungen hinausgehen.

Ergänzend zu diesen Pflichten prüft das ASTRA, wie sich die zunehmende Ausbreitung der Assistenz- und Automatisierungssysteme auf die bestehende Fahraus- und Weiterbildung auswirken soll und wie das damit verbundene Potenzial optimal ausgeschöpft werden kann. Dazu hat es zum einen ein Projekt initiiert: In Zusammenarbeit mit Fachleuten soll festgelegt werden, wie Assistenzsysteme in die Aus- und Weiterbildung zu integrieren und im Rahmen von Führerprüfungen insbesondere zum Erwerb des Ausweises für leichte Motorwagen zu berücksichtigen sind. Zudem hat das ASTRA ein Forschungsvorhaben lanciert, das den Fokus auf Fahrzeuge ab Stufe 3 legt. Es soll aufzeigen, wie die neuen Kompetenzanforderungen an die Fahrzeugführerinnen und -führer in Bezug auf Automatisierungssysteme künftig in der Aus- und Weiterbildung vermittelt werden können.

Nicht einen eigentlichen Gegenstand der vorliegenden Revision bildet die Vernetzung. Parallel zur Automatisierung der Fahrzeuge entwickeln sich die Vernetzung der Fahrzeuge und die damit zusammenhängende Datenbearbeitung. Die Vernetzung der Fahrzeuge stellt ebenfalls ein zentrales Element der digitalen Transformation dar. Es sind aber zwei Aspekte, die voneinander abzugrenzen sind. Weder muss ein vernetztes Fahrzeug automatisiert sein, noch muss ein Fahrzeug mit einem Automatisierungs-

63 64

Urteil des Bundesgerichts 4A_602/2017 vom 7. Mai 2018.

AS 2020 4969

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system zwingend vernetzt sein. Auch zeitlich können sich die beiden Aspekte unterschiedlich entwickeln. Im Rahmen der aktuellen Vorlage wird festgelegt, dass Automatisierungssysteme Daten nur bearbeiten dürfen, wenn deren Richtigkeit und Integrität gewährleistet ist. Dies ist insbesondere für Daten, die aus externen Quellen ins Automatisierungssystem eingespiesen werden sollen, von Bedeutung. Damit wird die Schnittstelle zwischen der Automatisierung und der Vernetzung geregelt. Eine entsprechende Vernetzung wird nicht ausgeschlossen, aber es werden gewisse qualitative Anforderungen gestellt. Ein Element der Vernetzung wird im Gesetzesentwurf ausdrücklich verlangt, nämlich bei den führerlosen Fahrzeugen, die durch eine Operatorin oder einen Operator zu beaufsichtigen sind. Damit die Operatorin oder der Operator seinen Aufsichtsaufgaben nachkommen kann, ist er auf eine Kommunikationsverbindung mit dem Fahrzeug angewiesen. Das Unterbrechen der Kommunikationsverbindung zur Operatorin oder zum Operator ist ein Ereignis, das im Fahrmodusspeicher aufzuzeichnen ist.

Im Rahmen der Revisionsvorlage wird verlangt, dass Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem einen Fahrmodusspeicher aufweisen müssen, der gewisse Daten aufzeichnet. In Bezug auf diesen Ausrüstungsgegenstand erfolgt zur Umsetzung der datenschutzrechtlichen Anforderungen eine detaillierte Regelung und es wird festgelegt, welche Daten aufzuzeichnen sind und wer aus welchen Gründen auf diese Daten zugreifen darf. Die Datenthematik ist aber beschränkt auf den Fahrmodusspeicher und damit auf jenes Element, das sich direkt aus den Anforderungen an Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem ergibt, und wird nicht ausgedehnt oder gar in einem umfassenden Sinn behandelt. Die Datenbearbeitung im Zusammenhang mit der Vernetzung durch Behörden, Hersteller oder Dritte wird durch die aktuellen Datenschutzgesetze erfasst und vorliegend nicht betrachtet. Es erfolgt keine Regelung von weiteren Geräten zur Datenaufzeichnung (wie Unfalldatenschreiber) und es werden keine weiteren Rechtsgrundlagen für eine Datenbearbeitung durch Behörden geschaffen.

4.1.3

Umsetzung parlamentarischer Vorstösse

Motion 13.3572 Hess ­ Ab- und Auflastung von Nutzfahrzeugen Das Gesamtgewicht eines Motorfahrzeugs oder Anhängers soll jederzeit geändert werden können (Art. 9 Abs. 3bis E-SVG). Mit dieser Möglichkeit können Fahrzeughalterinnen und -halter flexibler auf die Gegebenheiten des Marktes reagieren. Sie werden nicht unnötig durch Abgaben für Transportkapazitäten belastet, die sie aufgrund von kurzfristig geänderten Transportbedürfnissen gar nicht ausnützen können.

Die Modalitäten für eine unkomplizierte Ab- und Auflastung der Motorfahrzeuge oder Anhänger soll der Bundesrat auf Verordnungsstufe festlegen. Zum Beispiel, wie sichergestellt wird, dass das Fahrzeug bei einer Auflastung für das höhere Gewicht geeignet ist (z. B. Reifentragkraft).

Motion 15.3574 Freysinger ­ Annullation des Führerausweises auf Probe Die Probezeit soll nur verlängert werden, wenn der Inhaberin oder dem Inhaber der Führerausweis während der Probezeit wegen einer mittelschweren oder schweren Widerhandlung entzogen wird. Verfallen soll der Führerausweis auf Probe künftig nur 43 / 88

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dann, wenn dessen Inhaberin oder Inhaber während der Probezeit eine weitere mittelschwere oder schwere Widerhandlung begeht. Leichte Widerhandlungen während der Probezeit sollen weder zu deren Verlängerung noch zu einer Annullation des Führerausweises führen.

Indem der Führerausweis nur annulliert wird, wenn während der Probezeit zwei mindestens mittelschwere Widerhandlungen begangen werden, kann dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit besser Rechnung getragen werden und zu strenge Sanktionen können verhindert werden. Ausserhalb der Probezeit führt eine leichte Widerhandlung höchstens zu einem mindestens einmonatigen Führerausweisentzug, auch bei wiederholter Begehung. Im Kaskadensystem wird die leichte Widerhandlung somit privilegiert. Diese Privilegierung soll auch bei Inhaberinnen und Inhabern eines Führerausweises auf Probe zur Anwendung kommen. Eine leichte Widerhandlung soll somit weder zur Verlängerung der Probezeit noch zur Annullation des Führerausweises führen.

Leichte Widerhandlungen während der Probezeit bleiben mit dieser Regelung aber nicht ungesühnt. So droht Ersttäterinnen und -tätern eine Verwarnung und Personen, die innert zwei Jahren seit der Verwarnung erneut eine leichte Widerhandlung begehen, ein Führerausweisentzug von mindestens einem Monat (Art. 16a SVG). Mit der vorgeschlagenen Anpassung kann auch die stossende Folge behoben werden, wonach die Annullation des Führerausweises von der zufälligen Reihenfolge der Begehung der Widerhandlungen abhängen kann. So wird der Führerausweis auf Probe künftig immer annulliert, egal ob dessen Inhaberin oder Inhaber zuerst eine mittelschwere und dann eine schwere oder zuerst eine schwere und anschliessend eine mittelschwere Widerhandlung begangen hat.

Die Wirkung des Führerausweises auf Probe wird durch die Vorlage nicht in Frage gestellt. Es wird lediglich auf überharte Sanktionen wie die Annullation des Führerausweises nach Begehung einer leichten Widerhandlung verzichtet.

Motion 17.3632 KVF-S ­ Via sicura. Anpassungen Diese Vorlage soll die Rasermassnahmen verhältnismässiger ausgestalten und ungewollte Härten beseitigen. Heute kann der Wortlaut des Gesetzes dahingehend interpretiert werden, dass der Rasertatbestand automatisch zur Anwendung gelangt, wenn eine der im SVG genannten Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen wurde.
Dies auch dann, wenn kein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Toten bestand oder die betroffene Person innerorts nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig zu schnell fuhr, weil sie sich beispielsweise ausserorts wähnte. Künftig soll aus dem Wortlaut dieser Bestimmung klar hervorgehen, dass auch beim Vorliegen von Geschwindigkeitsüberschreitungen nach Artikel 90 Absatz 4 SVG der Einzelfall geprüft werden muss. Dadurch wird die bundesgerichtliche Rechtsprechung im Gesetzestext abgebildet. Es soll klargestellt werden, dass die Gerichte die Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen haben und bei fahrlässiger Tatbegehung, oder wenn kein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Toten bestand, von der Anwendung des Rasertatbestandes absehen können. Weiter soll es keine Mindestfreiheitsstrafe mehr geben, weshalb künftig auch nur eine Geldstrafe ausgesprochen werden kann. Die Gerichte sollen frei entscheiden können, welches Strafmass dem konkreten

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Fall Rechnung trägt. Damit erfolgt zudem eine Harmonisierung mit dem Straftatbestand der Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB). Beibehalten werden soll jedoch die Strafobergrenze von vier Jahren Freiheitsstrafe. Somit bleiben Raserdelikte ein Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB). Es ist darauf hinzuweisen, dass die Aufhebung der Mindestfreiheitsstrafe bei Raserdelikten ebenfalls einen Gegenstand der Vorlage zur Harmonisierung der Strafrahmen65 bildet. Nach Abschluss dieses Verfahrens muss gegebenenfalls eine Koordination mit der vorliegenden Anpassung des SVG erfolgen.

Schliesslich soll bei Raserdelikten die Mindestdauer des Führerausweisentzuges bei Ersttäterinnen und -tätern von 24 auf 12 Monate gesenkt werden. Damit ist sie immer noch viermal so lange wie bei einer normalen schweren Widerhandlung, für die ein mindestens dreimonatiger Führerausweisentzug droht (Art. 16c SVG). Weiterhin kann sie nach Ermessen der kantonalen Vollzugsbehörden erhöht werden, je nach den konkreten Umständen der Tat und dem automobilistischen Leumund. Das Kernanliegen der Volksinitiative «Schutz vor Rasern» wird damit weiterhin erfüllt.

Die Rückgriffspflicht der Versicherer bei Schäden, die durch Fahren in fahrunfähigem Zustand oder Rasen verursacht wurden, soll wieder in ein Rückgriffsrecht umgewandelt werden, und zwar so, dass die Regelung gilt, die vor «Via sicura» bestand. Danach können die Versicherer bei grobfahrlässig verursachten Schäden auf die Unfallverursacherin oder den Unfallverursacher zurückgreifen (Art. 65 Abs. 3 E-SVG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 VVG). Mit dieser Änderung kann das Verkehrssicherheitspaket «Via sicura» verträglicher gestaltet werden, ohne dass dessen Nutzen für die Verkehrssicherheit abnimmt.

Die Massnahmen «Datenaufzeichnungsgerät» und «Alkohol-Wegfahrsperre» sollen aufgehoben werden. Die Massnahme «Datenaufzeichnungsgerät» stellte der Bundesrat im Jahr 2008, also vor über zehn Jahren, im Vernehmlassungsverfahren zu «Via sicura» zur Diskussion66. Die Alkohol-Wegfahrsperre wurde von den Teilnehmenden dieses Vernehmlassungsverfahrens gefordert.67 Seither hat sich die Zahl schwerer Unfälle um einen Fünftel reduziert. Dabei nahmen die beiden Unfallursachen Geschwindigkeit um gut 28 Prozent und Alkohol um rund 32 Prozent stark ab.68 Mit den Massnahmen «Datenaufzeichnungsgerät» und
«Alkohol-Wegfahrsperre» kann somit nicht mehr die damals beabsichtigte Wirkung erzielt werden. Hinzu kommt: Personen, die den Führerausweis wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand oder Geschwindigkeitsdelikten auf unbestimmte Zeit abgeben müssen, bekommen ihn nur wieder erteilt, wenn sie mit einem verkehrsmedizinischen oder -psychologischen Gutachten nachweisen, dass sie ihr Sucht- oder Charakterproblem überwunden haben und fahrgeeignet sind. Bestätigen die Gutachterinnen und Gutachter die Fahreignung, gehen sie nicht von einem Rückfall aus. Der zusätzliche Nutzen des Datenaufzeichnungsgeräts 65 66

67

68

18.043 Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht.

Vernehmlassungsvorlage, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2008 > UVEK > Via sicura; Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr.

Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zu «Via sicura. Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr», abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2008 > UVEK.

Quelle: ASTRA, Daten aus dem Informationssystem Strassenverkehrsunfälle.

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und der Alkohol-Wegfahrsperre ist somit gering. Diesem geringen Nutzen steht ein hoher Aufwand gegenüber. So entstehen Kosten bei der Entwicklung der Massnahmen, z. B. für die Ausarbeitung der Anforderungen an das Datenaufzeichnungsgerät und die Alkohol-Wegfahrsperre oder der datenschutzrechtlichen Bestimmungen für den Betrieb und die Auswertung der Geräte69. Diese Kosten können nicht auf die betroffenen Automobilistinnen und Automobilisten abgewälzt werden. Später entstehen Kosten für den Betrieb, beispielsweise für die Zertifizierung der Geräte oder die Umsetzung der Massnahmen durch die kantonalen Behörden. Auch diese Kosten können nicht alle den Betroffenen auferlegt werden. Schliesslich könnten die Massnahmen die Betroffenen in der Praxis unverhältnismässig benachteiligen. Beispiel: Weil Arbeitgeber ihre Geschäftsfahrzeuge nicht mit einem Datenaufzeichnungsgerät oder einer Alkohol-Wegfahrsperre ausrüsten können oder wollen, könnte den Betroffenen während fünf Jahren die Berufsausübung erschwert sein.

4.1.4

Weiterer Revisionsbedarf

Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot Neu soll auch die bereits bis 2001 im Gesetz vorgesehene Kompetenz des Bundesrats, die Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot festzulegen, wieder ausdrücklich erwähnt werden. Die Ermöglichung von Ausnahmen dient unterschiedlichen Zwecken (z. B. Einsatzfahrten von Feuerwehr, Zivilschutz und Sanität, Fahrten im Rahmen des Grundversorgungsauftrags der Post, Transport leichtverderblicher Lebensmittel, Transport von Zirkus- und Schaustellermaterial, Fahrten von Oldtimern) und entspricht auch politischen Bedürfnissen.

Bauliche Ausgestaltung von Fussgängerstreifen Die Verpflichtung des Bundesrats, Vorschriften über die bauliche Ausgestaltung von Fussgängerstreifen zu erlassen, soll aufgehoben werden. Das Bedürfnis nach einer schweizweit einheitlichen Regelung zur Ausgestaltung der Fussgängerstreifen und einem gleich hohen Sicherheitsniveau lässt sich auch mit der vom VSS im Jahr 2016 revidierten Norm zu den Fussgängerstreifen erfüllen70. An der Revision mitgearbeitet haben sowohl Expertinnen und Experten der Kantone als auch des Bundes. Die Norm beschreibt ausführlich, wie Fussgängerstreifen ausgestaltet sein müssen, damit sie sicher benutzt werden können. Die kantonalen Behörden halten sich an diese Norm.

Normwidrige Bauten wären zwar nicht widerrechtlich, die Strasseneigentümerinnen und -eigentümer müssten in diesem Fall aber jeweils nachweisen, dass sie ihre Sorgfaltspflicht trotzdem erfüllt haben. Damit wird dem Anliegen, dass nur sichere Fussgängerstreifen gebaut werden, ausreichend Rechnung getragen.

Ausnahmen vom Verbot für Rundstreckenrennen Die Kompetenz des Bundesrats, Ausnahmen vom Verbot öffentlicher Rundstreckenrennen vorzusehen, soll erweitert werden. Dabei soll er neben den Erfordernissen der 69 70

Siehe Art. 17a Abs. 6 SVG in der Fassung vom 15. Juni 2012, AS 2012 6291.

SN 640 241 «Querungen für den Fussgänger- und leichten Zweiradverkehr».

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Verkehrssicherheit und der Verkehrserziehung auch jene des Umweltschutzes berücksichtigen.

Die vom Verbot ausgenommenen Rundstreckenrennen werden wie motor- und radsportliche Veranstaltungen auf öffentlichen Strassen zu bewilligungsfähigen Veranstaltungen. Die Bewilligung soll die kantonale Behörde erteilen.

Damit kann eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die in der VRV enthaltene Ausnahme für Formel-E-Rennen (Art. 94 Abs. 3 Bst. e VRV) geschaffen und deren Befristung aufgehoben werden. Gemäss heutiger VRV-Regelung muss eine Bewilligung für Formel-E-Rennen mit Auflagen verbunden werden, wobei unter anderem zwingend eine für Rennkurs und Fahrzeuge angemessene Höchstgeschwindigkeit festzulegen ist.

Formel-E-Rennen sind mit ähnlichen Sicherheitsrisiken behaftet wie Formel-1-Rennen. Aufgrund der strengen Sicherheitsvorkehrungen und der verbesserten FahrzeugTechnologie im Motorsport würde seitens Verkehrssicherheit heute nichts mehr gegen die Durchführung von Rundstreckenrennen mit Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren sprechen.

Das Parlament lehnte die generelle Aufhebung des Verbots von Rundstreckenrennen mit Motorfahrzeugen zuletzt im Jahr 2011 aus Gründen des Umweltschutzes ab, insbesondere wegen der Lärmemissionen. Rennen der Formel-E-Meisterschaft verursachen, verglichen mit herkömmlichen Rundstreckenrennen, deutlich weniger Lärm, weshalb es der Bundesrat als gerechtfertigt erachtet, die beiden Arten von Rennen unterschiedlich zu behandeln.

Die Zulassung von Formel-E-Rennen bezweckt zudem, den Forschungsstandort Schweiz im Bereich der Elektromobilität zu fördern. Dies trägt zu einer saubereren und umweltfreundlicheren Motorentechnik bei. Für die Rennstandorte sind auch gewisse positive Effekte auf Tourismus und Wirtschaft zu erwarten.

Aus diesen Gründen wird nicht eine Aufhebung des Verbots der Rundstreckenrennen vorgeschlagen, sondern bloss eine erweiterte Kompetenz des Bundesrats, Ausnahmen von diesem Verbot zu regeln.

Velohelmtragpflicht für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre Dem Bundesrat soll die Kompetenz eingeräumt werden, eine Velohelmtragpflicht für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre einzuführen. Älteren Jugendlichen und Erwachsenen soll das Tragen eines Helms beim Radfahren im Rahmen von Kampagnen weiterhin empfohlen werden, für diese aber freiwillig bleiben.

Strafrechtliche
Sanktionen bei Widerhandlungen mit Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit Widerhandlungen mit Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit sollen ­ wie heute jene mit motorlosen Fahrzeugen (z. B. Fahrräder) ­ grundsätzlich als Übertretungen gelten und somit mit einer Busse bis maximal 10 000 Franken geahndet werden (Art. 103 in Verbindung mit Art. 106 StGB).

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Unter «Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit» sollen beispielsweise Motorfahrräder (z. B. E-Bikes), Motorhandwagen, Motoreinachser oder Behindertenfahrstühle (vgl. auch Art. 25 Abs. 1 Bst. a und Art. 89 Abs. 1 SVG) fallen, aber auch Trendfahrzeuge, die allenfalls künftig zum Verkehr zugelassen werden sollen.

Diese Fahrzeuge dürfen eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von bis zu 30 km/h sowie eine Leistung von maximal 2,00 kW aufweisen. Der Bundesrat soll diese Fahrzeuge auf Verordnungsstufe bestimmen. Somit wissen die Verkehrsteilnehmenden, beim Lenken welcher Fahrzeuge die Straferleichterungen gelten, und das Bestimmtheitsgebot wird erfüllt. Eine Bestimmung der Fahrzeuge auf Gesetzesstufe wäre systemfremd und würde dazu führen, dass die Regelung mit Blick auf die raschen Veränderungen bei der Entwicklung neuer Fahrzeuge nicht zeitgerecht angepasst werden kann.

Die Straferleichterung rechtfertigt sich damit, dass Widerhandlungen dieser Verkehrsteilnehmenden in der Regel eine geringere Gefahr für die Verkehrssicherheit schaffen.

Zudem braucht es zum Führen dieser Fahrzeuge keine oder nur eine rudimentäre Ausbildung. Schliesslich müssen Fahrrad- und Motorfahrradlenkende die gleichen Verkehrsregeln beachten und sollen deshalb bei Verstössen auch gleich bestraft werden.

Schwere Widerhandlungen wie grobe Verkehrsregelverletzungen gelten weiterhin als Vergehen und werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet (Art. 90 Abs. 2 SVG).

Strafmilderung bei Widerhandlungen auf dringlichen oder taktisch notwendigen Dienstfahrten der Polizei, der Feuerwehr, der Sanität und des Zolls Entsprechend seinem Bericht vom 31. März 202171 in Erfüllung des Postulats 19.4113 Aebischer «Anpassung der Bussen bei Blaulichtfahrern im Notfalleinsatz» schlägt der Bundesrat vor, die Möglichkeit zur Strafmilderung bei Widerhandlung auf dringlichen oder taktisch notwendigen Dienstfahrten der Polizei, der Feuerwehr, der Sanität und des Zolls in eine Pflicht zur Strafmilderung umzuwandeln. Damit kann sichergestellt werden, dass die besondere Situation der Blaulichtfahrerinnen und -fahrer im Rahmen einer strafrechtlichen Beurteilung einer Widerhandlung auf Dienstfahrten in jedem Einzelfall berücksichtigt werden muss. Dies war das hauptsächliche Anliegen der überwiesenen Vorstösse.
Ermächtigung des ASTRA, im Einzelfall Ausnahmen von einzelnen Verordnungsbestimmungen zu verfügen Mit diesem Änderungsvorschlag wird eine klare gesetzliche Grundlage geschaffen für die Einräumung einer Ausnahmebewilligungskompetenz des Bundesrats ans ASTRA, wie sie heute bereits in verschiedenen strassenverkehrsrechtlichen Verordnungen enthalten ist. Eine solche Möglichkeit ist notwendig, um den teilweise rasanten und unvorhersehbaren Entwicklungen im Strassenverkehr zu begegnen und entsprechende rasche und flexible Lösungen zu ermöglichen. Dies hat beispielsweise die plötzliche Sperrung der Rheintalstrecke im Jahr 2017 gezeigt, die den Güterverkehr vor grosse 71

Bericht des Bundesrats vom 31. März 2021 in Erfüllung des Postulates 19.4113 Aebischer, abrufbar unter: www.parlament.ch > 19.4113 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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Herausforderungen stellte. Das ASTRA konnte hier gestützt auf seine Bewilligungskompetenz, die ihm der Bundesrat in Artikel 97 Absatz 1 VRV einräumt, rasch handeln und grössere Schäden für die schweizerische Wirtschaft abwenden.72 Aufgrund der Unvorhersehbarkeit und Vielfalt der möglichen Gründe, die einen Einzelfallentscheid des ASTRA erfordern, können die besonderen Fallkonstellationen nicht im Gesetz konkretisiert werden. Klar ist, dass im Rahmen der Verhältnismässigkeit ein dringendes Handeln des ASTRA erforderlich sein muss und die verschiedenen Strassenverkehrsteilnehmenden und Interessengruppen gleichberechtigt berücksichtigt werden.

Ermächtigung des Bundesrates zum Abschluss von Verträgen mit ausländischen Staaten Im SVG soll eine klare Rechtsgrundlage geschaffen werden, die dem Bundesrat die Kompetenz gibt, Änderungen an bestimmten, im SVG aufgelisteten internationalen Abkommen zu genehmigen oder vorzuschlagen sowie völkerrechtliche Verträge über den grenzüberschreitenden Motorfahrzeugverkehr abzuschliessen. Die Abschlusskompetenz umfasst Regelungsgegenstände, die der Bundesrat auf Verordnungsebene (national) selbst regeln darf. Dieser Grundsatz soll explizit ins Gesetz aufgenommen werden. Damit wird der Forderung der SVP, dass völkerrechtliche Verträge mit erheblicher Tragweite der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet werden müssen, und jener der GLP, dass Verträge generell der Bundesversammlung zwecks Ausübung eines Vetorechts zu unterbreiten sind, Rechnung getragen. Beim AETR soll der Bundesrat neu die Kompetenz haben, selber Änderungen vorzuschlagen, statt nur Änderungsvorschläge von Dritten genehmigen zu können. Das AETR befasst sich mit Arbeits- und Ruhezeitvorschriften für Berufschauffeusen und Berufschauffeure, für die im Landesrecht der Bundesrat zuständig ist (Art. 56 SVG). Es erscheint daher folgerichtig, dass der Bundesrat auch aktiv zur Weiterentwicklung des AETR beitragen kann.

Änderung des OBG ­ Ausdehnung der Halterhaftung auf juristische Personen Artikel 7 OBG soll dahingehend ergänzt werden, dass als mögliche Fahrzeughalterinnen und -halter, denen die Busse für die Ordnungswidrigkeit auferlegt werden kann, sowohl natürliche als auch juristische Personen genannt werden. Dies ist für Ordnungsbussen, die pro Widerhandlung zwischen 10 und 260 Franken betragen,
nach Ansicht des Bundesrates gerechtfertigt. Die juristische Person hat es in der Hand, sich so zu organisieren, dass bekannt ist, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt das unternehmenseigene Fahrzeug gelenkt hat, und diese Person der Polizei zu melden. Tut oder kann sie das nicht, so wäre es für die Strafverfolgungsbehörden mit einem im Vergleich zum Bussenbetrag unverhältnismässigen Aufwand verbunden, die Lenkerin oder den Lenker des Fahrzeugs zu ermitteln.

72

Siehe die Verfügung vom 18. Aug. 2017 betreffend den unbegleiteten kombinierten Verkehr im Zusammenhang mit der Sperrung der Rheintalbahnstrecke zwischen Rastatt und Baden-Baden, BBl 2017 5838.

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4.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Die finanziellen Aufwände des Bundes im Zusammenhang mit der Vorlage beschränken sich auf die Zusatzmittel für neue Technologien (s. Ziff. 6.1). Die neuen Technologien eröffnen ein grosses Potenzial für die Wirtschaft und die Mobilitätsdienstleister und ermöglichen die digitale Transformation im Verkehrsbereich mit positiven Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Die Bedeutung der Aufgabe und der Aufwand stehen daher in einem günstigen Verhältnis zueinander.

4.3

Umsetzungsfragen

Verschiedene Gesetzesbestimmungen bedingen eine Umsetzung auf Verordnungsebene, sofern sie vom Parlament beschlossen werden. Die Umsetzung soll im Rahmen von zwei Revisionspaketen erfolgen. Das erste Paket soll rasch nach Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmungen lanciert werden und sich auf jene Bestimmungen beziehen, die sich rasch erarbeiten lassen (Art. 9 Abs. 2bis und 3bis, 52 Abs. 1 und 2 und 99a Abs. 2). Das zweite Paket wird jene Bestimmungen enthalten, die einen hohen Erarbeitungsaufwand bedingen. Dies betrifft einerseits die Regelungen im Zusammenhang mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem und anderseits die völkerrechtlichen Verträge. Voraussichtlich wird zu beiden Themen je eine eigenständige Verordnung erstellt.

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem Mit den Artikeln 25b­25d werden dem Bundesrat weitgehende Kompetenzen eingeräumt, mit denen er von zentralen Grundsätzen des Strassenverkehrsrechts abweichen kann. Dabei werden verschiedene Rahmenbedingungen festgelegt, die er zu beachten hat. Trotzdem bleibt dem Bundesrat ein grosser Spielraum, und es ist von besonderem Interesse, wie er diesen wahrnehmen will. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde in zahlreichen Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass die Tragweite des Revisionsvorschlags ohne konkretisierende Regelung nicht abschätzbar ist. Im Folgenden soll in einem nicht abschliessenden Sinn aufgezeigt werden, was bei einer nachfolgenden Regelung beachtet werden muss, welche Fragen sich stellen und wie die Regelung erarbeitet werden soll.

Zunächst ist auf internationale Regelungen hinzuweisen, die für Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem von hoher Bedeutung sind.

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Die Verordnung (EU) 2018/85873 verlangt, dass Fahrzeuge nicht bloss im Rahmen der Typengenehmigung geprüft, sondern bis zum Ende ihrer Lebensdauer durch die Behörden überwacht werden. Die Verordnung schafft die Grundlage für eine wirksame, international koordinierte Marktüberwachung.

Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG; geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2021/1445, ABl. L 313 vom 6.9.2021, S. 4.

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Die Verordnung (EU) 2019/214474 verlangt, dass Fahrzeuge mit verschiedenen hochentwickelten Fahrassistenzsystemen ausgerüstet sein müssen. Diese Verordnung wurde im Rahmen eines integrierten Ansatzes zur Verbesserung der Strassenverkehrssicherheit und des besseren Schutzes von ungeschützten Verkehrsteilnehmenden erlassen.

Gemäss dieser Verordnung müssen alle Motorwagen mit folgenden hochentwickelten Fahrerassistenzsystemen ausgerüstet sein: ­ einem intelligenten Geschwindigkeitsassistenten, welcher die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer durch gezielte und angemessene Rückmeldungen dabei unterstützt, die für die Strassenbedingungen angemessene Geschwindigkeit beizubehalten; ­ einer Vorrichtung zum Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre, wobei bloss die Ausrüstung mit einer entsprechenden Schnittstelle und nicht auch die Bestückung der Schnittstelle mit einer Wegfahrsperre verlangt ist; ­ einem Warnsystem bei Müdigkeit und nachlassender Aufmerksamkeit der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers; ­ einem hochentwickelten Warnsystem bei nachlassender Konzentration der Fahrerin oder des Fahrers; ­ einem Notbremslicht; ­ einem Rückfahrassistenten; und ­ einer ereignisbezogenen Datenaufzeichnung (Unfalldatenschreiber), mit welcher unfallrelevante Daten (wie Fahrzeuggeschwindigkeit, Abbremsen, Zustand und Grad der Aktivierung aller Sicherheitssysteme, relevante Eingabeparameter für die bordeigenen aktiven Sicherheitssysteme) kurz vor, während und unmittelbar nach einem Zusammenstoss gespeichert werden.

Leichte Motorwagen müssen zudem über ein hochentwickeltes Notbremsassistenzsystem sowie über einen Notfall-Spurhalteassistenten verfügen.

Für Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem legt die Verordnung besondere Anforderungen fest. So müssen solche Fahrzeuge zusätzlich etwa

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Verordnung (EU) 2019/2144 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre allgemeine Sicherheit und den Schutz der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern, zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 78/2009, (EG) Nr. 79/2009 und (EG) Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 631/2009, (EU) Nr. 406/2010, (EU) Nr. 672/2010, (EU) Nr. 1003/2010, (EU) Nr. 1005/2010, (EU) Nr. 1008/2010, (EU) Nr. 1009/2010, (EU) Nr. 19/2011, (EU) Nr. 109/2011, (EU) Nr. 458/2011, (EU) Nr. 65/2012, (EU) Nr. 130/2012, (EU) Nr. 347/2012, (EU) Nr. 351/2012, (EU) Nr. 1230/2012 und (EU) 2015/166 der Kommission; zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2021/1341, ABl. L 292 vom 16.8.2021, S. 4.

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über Systeme zur Überwachung der Fahrerverfügbarkeit und eine ereignisbezogene Datenaufzeichnung für automatisierte Fahrzeuge (Fahrmodusspeicher) verfügen.

Die Pflicht zur Ausrüstung mit den genannten hochentwickelten Fahrassistenzsystemen gilt bei leichten Motorwagen ab Juli 2022 für alle neuen Typen und ab Juli 2024 für alle neu in Verkehr gesetzten Fahrzeuge. Davon ausgenommen ist das hochentwickelte Warnsystem bei nachlassender Konzentration der Fahrerin oder des Fahrers, das ab Juli 2024 bzw. Juli 2026 vorgeschrieben ist.

­

Mit dem UN-Reglement Nr. 157 wird erstmals ein Automatisierungssystem der Stufe 3 reglementiert, nämlich ein Staupilot für Autobahnen. Der Einsatzbereich dieses Systems ist zwar eng begrenzt (nur auf richtungsgetrennten Strassen ohne Langsamverkehr und ohne Querverkehr, nur das Befahren der eigenen Fahrspur, d. h. ohne Spurwechsel, und nur bis zu einer Geschwindigkeit von maximal 60 km/h), das Reglement ist aber vor allem deshalb bedeutungsvoll, weil darin gewisse Prinzipien für Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem und deren Genehmigung festgehalten werden. Zudem ist vorgesehen, das Reglement in einer späteren Phase zu erweitern und die zulässige Geschwindigkeit auf maximal 130 km/h anzuheben. Damit würde also ein Autobahnpilot reglementiert. Es bleibt schwierig abzuschätzen, auf welchen Zeitpunkt hin dies erfolgen wird, es kann aber damit gerechnet werden, dass diese Erweiterung 2022 oder 2023 erfolgt.

Das Reglement verlangt, dass der aktivierte Staupilot alle Situationen erkennen können muss, in denen er an seine Systemgrenzen gelangt und die Fahrzeugsteuerung wieder durch die Fahrzeuglenkerin oder den Fahrzeuglenker übernommen werden muss. In solchen Situationen erfolgt eine Übernahmeaufforderung an die Lenkerin oder den Lenker. Spätestens vier Sekunden nach Beginn muss sich die Übernahmeaufforderung intensivieren. Das Fahrzeug muss bei aktiviertem Assistenzsystem risikominimierende Manöver und Notfallmanöver ausführen können. Ein risikominimierendes Manöver führt das Fahrzeug frühestens zehn Sekunden nach Beginn der Übernahmeaufforderung aus, wenn bis dann die Fahrzeugsteuerung nicht wieder durch die Lenkerin oder den Lenker übernommen wurde. Wenn sich allerdings das Risiko einer Kollision ergibt, ist das risikominimierende Manöver oder gar ein Notfallmanöver durch das Automatisierungssystem sofort auszulösen.

Das Reglement schreibt auch gewisse zusätzliche Ausrüstungen vor. Ein System zur Erkennbarkeit der Fahrerverfügbarkeit muss überprüfen, ob sich die oder der Fahrzeugführende in der Fahrposition befindet, ob der Sicherheitsgurt angelegt ist und ob die oder der Fahrzeugführende für die Übernahme der Fahraufgabe bereit ist. Ein weiteres System muss die Aufmerksamkeit der fahrenden Person überwachen. Vorausgesetzt wird ebenfalls eine ereignisbezogene Datenaufzeichnung für das Automatisierungssystem (Fahrmodusspeicher), das insbesondere die Interaktionen zwischen dem Automatisierungssystem und der oder dem Fahrzeugführenden aufzeichnet.

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Der Hersteller muss der Genehmigungsbehörde für die Genehmigung eines Fahrzeugs mit einem Staupiloten eine umfangreiche Dokumentation einreichen, mit der er die Erfüllung der Anforderungen bestätigt und aufzeigt, wie die Einhaltung des Reglements und insbesondere der funktionellen und operationellen Sicherheit des Staupiloten sowohl während des Entwicklungs- und Produktionsprozesses als auch während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugtyps sichergestellt wird.

Die Prüfstelle führt beim Hersteller ein Assessment durch und prüft das Fahrzeug. Im Rahmen des Assessments muss die Prüfstelle die Angaben des Herstellers darüber bewerten, dass und wie er die Anforderungen des Reglements erfüllt. Im Reglement sind verschiedene Prüfszenarien beschrieben, die auf abgesperrtem Gelände durchzuführen sind: die Spurhaltung in Längsrichtung, das Verhalten, wenn das Fahrzeug einem vorausfahrenden Fahrzeug folgt, der Spurwechsel eines anderen Fahrzeugs in die eigene Fahrspur, das Verhalten bei einem plötzlich auftauchenden Hindernis nach einem Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs und das Erfassungsfeld der Sensoren nach vorne sowie seitlich. Weitere Tests werden vorbehalten. Sind die Prüfungen auf abgesperrtem Gelände erfolgreich, wird anschliessend ein Test auf der öffentlichen Strasse durchgeführt. Wenn das Assessment und die Tests bestätigen, dass alle Anforderungen erfüllt sind, wird die Typengenehmigung für den Staupiloten erteilt.

Aus diesen Regelungen zeigen sich also die Prinzipien für die Genehmigung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem: ­

Viele Anforderungen an das Automatisierungssystem bleiben auf einer abstrakten Ebene (z. B. dass es für alle Situationen, samt Fehlern, Lösungsoptionen bereithält und seine Benutzung mit keinen unvernünftigen Risiken für die Fahrzeuginsassinnen und ­insassen und die übrigen Strassenbenützenden verbunden sein darf).

­

Der Hersteller hat gegenüber der Prüfstelle zu dokumentieren, dass und wie er die Anforderungen an die funktionelle und die betriebliche Sicherheit des Automatisierungssystems erfüllt.

­

Im Rahmen des Assessments bewertet die Prüfstelle die Dokumentation und bestätigt dem Hersteller, dass er die Anforderungen erfüllt. Die Prüfstelle führt zudem verschiedene Tests durch, vorwiegend auf abgesperrtem Gelände, aber auch im öffentlichen Strassenraum. Diese Tests sind primär auf grundlegende Elemente und Situationen ausgelegt, mit deren Auftreten naheliegenderweise gerechnet werden muss.

­

Der Hersteller hat einen Prozess zu entwickeln, wie er die Sicherheit und die Vorschriftskonformität des Fahrzeugs während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugtyps überprüft und sicherstellt, dass er bei Bedarf die entsprechenden Massnahmen ergreift.

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Die Behörden üben eine Marktüberwachung aus und lösen bei Fahrzeugtypen, bei denen Anzeichen auf Probleme bezüglich Sicherheit oder Vorschriftskonformität bestehen, die erforderlichen Massnahmen aus.

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Auf die fahrzeugtechnischen Anforderungen und die Genehmigung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem hat die Schweiz einen beschränkten Einfluss. Hingegen kann sie entscheiden, in welchem Rahmen und Ausmass die Aktivierung des Automatisierungssystems mit Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten der Fahrzeugführenden verbunden ist. Diese nationale Kompetenz wird auch im UNReglement Nr. 157 erwähnt und bildet ausdrücklich Gegenstand der neusten Änderung des Übereinkommens über den Strassenverkehr.

Für das schweizerische Recht stellt sich daher primär die Frage, ab wann und unter welchen Umständen die oder der Fahrzeuglenkende von ihrer oder seinen Beherrschungs- und Aufmerksamkeitspflichten befreit werden soll. Soll dies bereits mit nach dem Reglement Nr. 157 genehmigten Fahrzeugen mit einem Staupiloten ermöglicht werden? Auch wenn der Staupilot zu einem Autobahnpiloten erweitert wird? Soll dies bereits in einer Anfangsphase erfolgen oder soll zugewartet werden, bis die Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit und den Verkehrsfluss besser beurteilt werden können? Wie soll grundsätzlich mit Fahrzeugen der Stufe 3 umgegangen werden? Wird die oder der Fahrzeugführende mit einer kurzzeitigen Übernahmepflicht überfordert (in diesem Zusammenhang kann darauf verwiesen werden, dass im Reglement Nr. 157 keine minimale Übernahmezeit für die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer vorgeschrieben wird)? Müssen weiterentwickelte Fahrzeuge der Stufe 4 abgewartet werden oder soll gar eine Vernetzung mit der Infrastruktur vorausgesetzt werden?

Die verschiedenen Möglichkeiten sind mit diversen Chancen und Risiken verbunden.

Je nach Betrachtungsweise können sie unterschiedlich bewertet und gegeneinander abgewogen werden. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass sich die Interessenlage der Schweiz möglicherweise von Ländern mit einer starken Fahrzeugproduktionsindustrie unterscheidet. Um diese Fragen in einem breiten Rahmen diskutieren und umfassend beurteilen zu können, soll für die Umsetzungsarbeiten und die Erarbeitung der bundesrätlichen Verordnungen ein interdisziplinäres Expertengremium eingesetzt werden. Diese Forderung wurde auch in verschiedenen Vernehmlassungseingaben gestellt. Zu diesem Zweck wurde das Gremium der juristischen Expertinnen und Experten, das sich bereits an der Erarbeitung des
Vorentwurfs und des Entwurfs beteiligt hatte, erweitert und interdisziplinär ausgerichtet (Vertreter/innen von Strassenverkehrsämtern, Polizeien, Datenschutzbeauftragten, Verkehrsverbänden, Wirtschaft, Psychologie und Sicherheitsorganisationen). Damit die Fragestellungen zeitgerecht behandelt werden können und bei Bedarf möglichst rasch nach dem allfälligen Inkrafttreten der Gesetzesänderung ein Verordnungsentwurf vorgelegt werden kann, wurde diese Expertengruppe bereits bei Verabschiedung der vorliegenden Botschaft eingesetzt. Die Entwürfe dieser Expertenkommission sollen zudem den Verkehrskommissionen der beiden Räte zur Stellungnahme unterbreitet werden, bevor sie in Vernehmlassung gegeben werden.

Mit der vorliegenden Revision sollen vier Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens abgedeckt werden.

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Befreiung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers von den Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten bei aktiviertem Automatisierungssystem (z. B. bei Verwendung eines Staupiloten auf Autobahnen):

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Diese Regelung bezieht sich auf Fahrzeuge, die nach wie vor eine Fahrzeugführerin oder einen Fahrzeugführer benötigen, aber auf gewissen Streckenabschnitten die Fahraufgaben umfassend und dauernd übernehmen können. Solche Fahrzeuge und ihre Automatisierungssysteme haben den geltenden bzw.

den noch zu entwickelnden internationalen Regelungen zu entsprechen. Mit einer europäischen Typengenehmigung können solche Fahrzeuge grundsätzlich bereits nach geltendem Recht in der Schweiz immatrikuliert werden. Mit der vorgeschlagenen Regelung werden Fahrzeuge der Stufen 3 und 4 abgedeckt. Bei Fahrzeugen der Stufe 3 muss die oder der Lenkende die Fahrzeugsteuerung wieder übernehmen, wenn ihn das Automatisierungssystem dazu auffordert, während dies bei Fahrzeugen der Stufe 4 konzeptionsgemäss nicht verlangt wird. Dementsprechend kann die Befreiung der Fahrzeugführenden bei Fahrzeugen der Stufe 3 nicht gleichermassen weit gehen wie bei solchen der Stufe 4. Bei Fahrzeugen der Stufe 3 wird es darum gehen zu bestimmen, wie weit die oder der Fahrzeugführende nicht nur von seinen Bedienpflichten, sondern auch von seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten befreit wird, welche Restaufmerksamkeit sie oder er aufrechterhalten muss und welche Nebentätigkeiten sie oder er vornehmen darf. Bei Fahrzeugen der Stufe 4 wird die oder der Fahrzeugführende bei aktiviertem Automatisierungssystem von seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten weitgehend befreit und sich anderen Tätigkeit widmen können.

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Führerloses Parkieren auf abgegrenzten Parkierungsflächen («Automated Valet Parking»): Hinsichtlich oben erwähnter Fahrzeuge der Stufen 3 und 4, die nach wie vor eine Fahrzeugführerin oder einen Fahrzeugführer benötigen, soll dem Bundesrat aber noch eine weitergehende Kompetenz eingeräumt werden. Er soll das selbstständige Parkieren des Fahrzeugs ohne Anwesenheit der oder des Fahrzeugführenden erlauben können. Voraussetzung dazu ist, dass es sich um Parkierungsflächen handelt, die vom übrigen Verkehr abgetrennt sind. Der Bundesrat wird die Anforderungen an die Parkierungsflächen festlegen. Die Parkierungsflächen werden durch den Betreiber überwacht werden und geschützte Bereiche für Fussgängerinnen und Fussgänger aufweisen müssen.

Nicht ausgeschlossen sind spezielle Einrichtungselemente wie z. B. Leitelemente im Parkierungsbereich. Erforderlich ist eine Kennzeichnung derartiger Parkierungsflächen, einerseits damit der zulässige Einsatzbereich des automatisierten Parkierens gegenüber der Fahrerin oder dem Fahrer des Fahrzeugs mit einem Automatisierungssystem deklariert wird, anderseits damit die übrigen Benützenden der Parkierungsfläche darauf aufmerksam gemacht werden, dass mit führerlosen Fahrzeugen zu rechnen ist. Sind die an die Parkierungsfläche gestellten Anforderungen erfüllt, so soll die Behörde deren Kennzeichnung bewilligen können. Zu prüfen ist auch, ob in einer ersten Phase Flächen für das automatisierte Parkieren ausgesondert werden müssen und übrigen Verkehrsteilnehmenden (insbesondere auch Fahrzeugen mit Insassinnen und Insassen) nicht zugänglich sein dürfen. Anforderungen werden auch an das Fahrzeug und dessen Verhalten gestellt, etwa, dass es eine bestimmte, niedrige Geschwindigkeit nicht überschreiten darf.

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Zulassung von führerlosen Fahrzeugen auf festgelegten Fahrstrecken (z. B.

Shuttlebusse): Ebenfalls unter die Stufe 4 fallen Fahrzeuge, die zwar dazu bestimmt sind, ganz ohne Fahrzeugführerin oder Fahrzeugführer zu verkehren, die aber nur eingesetzt werden können, wenn bestimmte Verhältnisse gegeben sind. Es handelt sich um Fahrzeuge, mit denen in den vergangenen Jahren mehrere Versuche vorwiegend von Unternehmen des öffentlichen Verkehrs durchgeführt wurden. Auch für derartige Fahrzeuge soll dem Bundesrat eine Regelungskompetenz eingeräumt werden. Im Gesetz wird festgehalten, dass Fahrzeuge, die keine Führerin oder keinen Führer mehr benötigen, nur auf festgelegten Fahrstrecken zugelassen werden dürfen und durch eine Operatorin oder einen Operator beaufsichtigt werden müssen. Der Bundesrat soll die weiteren Zulassungs- und Verwendungsvoraussetzungen und das Zulassungsverfahren für die Fahrzeuge sowie die Rechte und Pflichten der Operatorinnen und Operatoren regeln. Die Zulassungsbehörde legt die Fahrstrecken im Einzelfall fest, ebenso die allfälligen weiteren Bedingungen, unter denen das führerlose Fahrzeug auf den festgelegten Strecken betrieben werden darf (s.

Ziff. 4.1.2).

Anders als Fahrzeuge der Stufe 3 und jene Fahrzeuge der Stufe 4, die weiterhin auf das Vorhandensein einer oder eines Fahrzeugführenden ausgerichtet sind und durch die ersten beiden Anwendungsfälle abgedeckt werden, können führerlos konzipierte Fahrzeuge der Stufe 4 in absehbarer Zeit die massgebenden fahrzeugtechnischen Vorschriften nicht erfüllen. Die Erstellung von Reglementen für führerlose Fahrzeuge wurde auf internationaler Ebene noch nicht in Angriff genommen. Der Bundesrat wird die Voraussetzungen für die Zulassung solcher Fahrzeuge, insbesondere die fahrzeugtechnischen Voraussetzungen, und die Anforderungen an die Hersteller der Fahrzeuge unter Berücksichtigung der ausländischen Regelungen und Regelungsvorschläge eigenständig festlegen. Dabei kann er sich an den Prinzipien des UNReglements für den Staupiloten orientieren: Die Anforderungen, die das Fahrzeug erfüllen muss, können auf einer abstrakten Ebene formuliert werden, und der Hersteller hat aufzuzeigen, wie sie erfüllt werden. Nebst dem sicheren Betrieb ist ein hohes Gewicht auf die Ausfallsicherheit und die Systeme zur Risikominimierung und zur Bewältigung
von Notsituationen zu legen.

Eine Zulassungsbedingung ist bereits im Gesetz enthalten. Die Zulassung muss nämlich auf einzelne, im Voraus bestimmte Strecken beschränkt werden. Die Strecken, die befahren werden dürfen, müssen von den Zulassungsbehörden festgelegt werden, ebenso die weiteren Bedingungen für den Verkehr (z. B. die zulässige Höchstgeschwindigkeit oder tageszeitliche Beschränkungen). Voraussichtlich wird der Bundesrat die Einsatzbedingungen nicht weiter einengen, damit diese im Einzelfall aufgrund der Eigenschaften des Fahrzeugs und in Abhängigkeit von den Strecken, die befahren werden sollen, festgelegt werden können. Die Bedingungen richten sich wesentlich an den Systemgrenzen des Fahrzeugs aus und sind von der Halterin oder vom Halter im Gesuch um eine Zulassung zu beantragen.

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Ein hohes Gewicht soll bei der bundesrätlichen Regelung dem Zulassungsverfahren zukommen. Die Zulassung ist auf die konkreten Strecken und die vorgesehenen Einsatzbedingungen auszurichten. Dabei sind die Strecken im Detail zu analysieren und Gefahrenstellen im Einzelnen zu evaluieren. Das Verfahren soll Computersimulationen, Tests auf abgesperrtem Gelände sowie überwachte Tests auf jenen Strecken umfassen, die von der Zulassung abgedeckt werden sollen. Der Berücksichtigung der Anliegen des Fuss- und Radverkehrs ist dabei ein hohes Gewicht beizumessen. Wenn alle diese Tests erfolgreich absolviert wurden, könnte von der Zulassungsbehörde eine provisorische Zulassung erteilt werden. Mit einer solchen provisorischen Zulassung könnte das Fahrzeug in Betrieb genommen werden, müsste während einer Übergangsphase aber weiterhin von einer Aufsichtsperson begleitet und überwacht werden. Wenn auch diese Übergangsphase die Funktionalitäten und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs bestätigt, könnte eine definitive Zulassung erfolgen. Ab diesem Zeitpunkt wäre dann eine Beaufsichtigung durch eine Operatorin oder einen Operator ausreichend. Eine derartige stufenweise Zulassung würde es ermöglichen, dass Fahrdienstanbieter führerlose Fahrzeuge betreiben könnten, ohne dass sie vorgängig einen unzumutbaren Aufwand auf sich zu nehmen haben und ohne dass mit diesem Betrieb nicht vertretbare Sicherheitsrisiken erzeugt werden.

Solche Fahrzeuge sollen ohne Führerin oder Führer verkehren können, wenn sie von der kantonalen Behörde zugelassen wurden. Eine Aufsicht benötigen sie trotzdem. Diese soll durch eine Operatorin oder einen Operator wahrgenommen werden, die oder der sich ausserhalb des Sichtfelds zum Fahrzeug befinden kann, etwa in einer Betriebszentrale. Dazu muss die Operatorin oder der Operator über eine Kommunikationsverbindung mit dem Fahrzeug verfügen. Der Bundesrat soll die Aufgaben der Operatorinnen und Operatoren regeln. Diese werden das Fahrzeug nicht ständig überwachen, sondern primär dann reagieren müssen, wenn ihnen seitens des Fahrzeugs ein Handlungsbedarf angezeigt wird. Sie müssen die Möglichkeit haben, zumindest in einem bestimmten Rahmen Einfluss auf die Steuerung des Fahrzeugs zu nehmen.

Zudem haben sie im Bedarfsfall die Information der Passagiere vorzunehmen.

Die Verantwortung, dass ein Fahrzeug
nur unter Aufsicht einer Operatorin oder eines Operators in Betrieb gesetzt werden darf, wird der Halterin oder dem Halter des Fahrzeugs auferlegt werden müssen. Zur Sanktionierung der Verletzung dieser neuen Pflichten soll ein entsprechender Straftatbestand eingeführt werden (s. Ziff. 4.1.2).

Der Bundesrat kann weitere Verwendungsvoraussetzungen für führerlose Fahrzeuge festlegen. In Betracht fallen kann etwa eine Pflicht, solche Fahrzeuge während des Betriebs speziell zu kennzeichnen, damit sie für die übrigen Verkehrsteilnehmenden klar erkennbar sind.

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Streckenunabhängige Zulassung von führerlosen Fahrzeugen mit geringen Dimensionen und niedrigen Geschwindigkeiten (z. B. Lieferroboter): Ein weiterer möglicher Anwendungsfall von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem sind Lieferroboter und ähnliche Kleinfahrzeuge. Auch in der Schweiz wurden bereits Versuche mit derartigen Fahrzeugen durchgeführt. Es 57 / 88

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wäre nicht ganz ausgeschlossen, solche Fahrzeuge wie die oben erwähnten führerlosen Fahrzeuge der Stufe 4 auf bestimmten Strecken zuzulassen und durch eine Operatorin oder einen Operator beaufsichtigen zu lassen. Eine Zulassung auf bestimmte Strecken wie bei führerlosen Fahrzeugen dürfte sich für Lieferroboter aber nur als beschränkt praktikabel erweisen. Auch die Pflichten der Operatorin oder des Operators können bei Fahrzeugen mit geringen Dimensionen und niedrigen Geschwindigkeiten weniger weit gehen als bei den anderen führerlosen Fahrzeugen (z. B. bei Shuttles).

Der Bundesrat soll daher vorsehen können, dass Lieferroboter und ähnliche Fahrzeuge zugelassen werden können, ohne dass die Fahrstrecken einzeln bestimmt werden. Zudem soll er die Operatorin oder den Operator von bestimmten Pflichten befreien können. Diese Kompetenz bezieht sich auf Fahrzeuge mit geringen Dimensionen und niedrigen Geschwindigkeiten. Um mögliche neue, mit Lieferrobotern vergleichbare Anwendungsfälle (inklusive Kleinfahrzeuge für den Transport einzelner Personen) nicht auszuschliessen, sollen diese Fahrzeuge auf Gesetzesebene nicht weiter eingeschränkt werden. Die Anforderungen sollen auf Verordnungsebene konkretisiert werden. Bereits mit der Begrenzung der Abmessungen, des Gewichts und der zulässigen Geschwindigkeit auf Verordnungsebene können die Betriebsgefahren der Fahrzeuge deutlich eingeschränkt werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Lieferroboter serien- und standardmässig in relativ hohen Stückzahlen produziert werden, falls sich ein ausgewiesener Bedarf für solche Fahrzeuge ergeben sollte. Im Rahmen der Regelung des Zulassungsverfahrens müsste deshalb geprüft werden, welche Nachweise vom Hersteller zu erbringen sind und in welchem Rahmen Tests auf öffentlichen Strassen unter den jeweiligen Einsatzbedingungen durchzuführen sind.

Aus heutiger Sicht löst der Einsatz derartiger Fahrzeuge ernsthafte Zielkonflikte aus. Angesichts ihrer Eigenschaften und Einsatzbereiche sowie der niedrigen Geschwindigkeiten stellt sich insbesondere die Frage, auf welchen Flächen solche Fahrzeuge verkehren sollen. Daher ist nicht vorgesehen, dass der Bundesrat diese Kompetenz bereits in einer ersten Phase wahrnimmt. Die Delegationsnorm soll aber trotzdem ins Gesetz aufgenommen werden, falls sich in einer späteren Phase ein
ausgewiesener Bedarf, insbesondere aus Sicht der Citylogistik, nach solchen Fahrzeugen ergeben sollte.

Völkerrechtliche Verträge Nach Artikel 106a Absätze 1 und 2 E-SVG kann der Bundesrat völkerrechtliche Verträge abschliessen und Änderungen von multilateralen Verträgen genehmigen. Dazu wird er eine Verordnung erlassen und transparent festlegen, in welchen Fällen er diese Kompetenz wahrnehmen, in welchen klar umschriebenen Fällen er nach Absatz 4 die Zuständigkeit an das ASTRA delegieren und gegebenenfalls in welchen Fällen er die Kompetenz beim Parlament belassen wird.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Strassenverkehrsgesetz

Art. 2 Abs. 2 zweiter Satz Mit dieser Bestimmung wird eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Regelung der Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot auf Verordnungsebene geschaffen. Diese Ausnahmen sind bereits heute in den Artikeln 91a­93 VRV geregelt.

Art. 6a Abs. 2 und 4 Absatz 2 soll aufgehoben werden. Damit bleibt die bauliche Ausgestaltung der Fussgängerstreifen wie vor der Inkraftsetzung von Artikel 6a Absatz 2 SVG in der alleinigen Kompetenz der Kantone, und diese orientieren sich dabei an den einschlägigen Normen (s. Ziff. 1.1.4).

Absatz 4 soll redaktionell angepasst werden. Die Praxis zeigt, dass die Bestimmung hinsichtlich der Zuständigkeit der oder des Sicherheitsbeauftragten in den drei Sprachversionen unterschiedlich interpretiert werden kann. Mit der Umformulierung wird die Funktion des Sicherheitsbeauftragten als Ansprechstelle für die Belange der Verkehrssicherheit in allen drei Sprachen konsistent umschrieben.

Art. 9 Abs. 2bis und 3bis erster Satz Absatz 2bis räumt dem Bundesrat die Kompetenz ein, die in Absatz 1 festgelegten Werte für das höchstzulässige Gewicht für Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen und die Höchstlänge für Fahrzeugkombinationen zu erhöhen.

Die Kompetenz des Bundesrats wird in dem Sinn beschränkt, dass er die gesetzlich festgelegten Werte bloss so weit erhöhen darf, dass die durch die besondere Ausrüstung zugunsten der Umwelt verursachten zusätzlichen Gewichte und Längen ausgeglichen werden können. Ausdrücklich festgehalten wird, dass die Anhebung des höchstzulässigen Gewichts und der Höchstlänge nicht eine Erhöhung der Ladekapazität (Nutzlast oder Ladevolumen) zur Folge haben darf.

Wie weit der Bundesrat die gesetzlichen Werte konkret anheben kann, soll im Gesetz nicht festgelegt werden. Auf Verordnungsebene richtet sich der Bundesrat nach der europäischen Gesetzgebung aus. So wird in der europäischen Verordnung75 das maximal zulässige Mehrgewicht für emissionsfreie Fahrzeuge auf 2 Tonnen und jenes für Fahrzeuge mit alternativem Antrieb auf 1 Tonne festgelegt. Die Höchstlänge von Fahrzeugkombinationen mit aerodynamischen Führerkabinen wird in der EU nicht

75

Verordnung (EU) 2019/1242 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Festlegung von CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 595/2009 und (EU) 2018/956 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 96/53/EG des Rates, Fassung gemäss ABl. L 198 vom 25.7.2019, S. 202.

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begrenzt, hingegen wird festgelegt, dass die Kreisfahrbedingungen eingehalten bleiben müssen.76 Dieser Ansatz soll in der Schweiz auch auf Fahrzeuge angewandt werden, die aufgrund des alternativen Antriebs eine Überlänge aufweisen.

In Absatz 3bis soll die Einschränkung gestrichen werden, wonach das Gesamtgewicht eines Motorfahrzeugs oder Anhängers höchstens einmal jährlich oder bei einem Halterwechsel verändert werden darf. Damit wird eine Änderung des Gesamtgewichts auf Gesuch der Fahrzeughalterin oder des Fahrzeughalters bei der kantonalen Behörde jederzeit möglich. Die neuen Berechnungsgrundlagen für die LSVA betreffend Anhänger können unter Umständen zu einer Mehrbelastung des Fahrzeughalters oder der Fahrzeughalterin führen. Mit der flexiblen Anpassung des Gesamtgewichts können diese Folgen geschmälert werden.

Art. 15a Abs. 3 erster Satz und 4 Die Probezeit soll nur dann um ein Jahr verlängert werden, wenn der Inhaberin oder dem Inhaber der Führerausweis auf Probe wegen Begehung einer mittelschweren (Art. 16b SVG) oder schweren Widerhandlung (Art. 16c SVG) entzogen wird.

Der Führerausweis auf Probe soll nur verfallen, wenn die Inhaberin oder der Inhaber während der Probezeit eine weitere mittelschwere oder schwere Widerhandlung begeht. Für die Annullation des Ausweises spielt es keine Rolle, ob zuerst eine mittelschwere Widerhandlung und später eine schwere Widerhandlung oder umgekehrt zuerst eine schwere und danach eine mittelschwere Widerhandlung begangen wurde.

Der Führerausweis auf Probe wird selbstverständlich auch annulliert, wenn während der Probezeit zwei mittelschwere oder zwei schwere Widerhandlungen begangen wurden. Die Präzisierung, dass die Widerhandlung zum Entzug führen muss, kann weggelassen werden. Mittelschwere oder schwere Widerhandlungen führen immer zu einem Entzug (Art. 16b und 16c SVG).

Art. 16 Abs. 2 Redaktionelle Änderung. Es wird auf das neue Ordnungsbussengesetz verwiesen.

Art. 16c Abs. 2 Bst. abis Personen, die elementare Verkehrsregeln vorsätzlich in einem Ausmass verletzen, das ein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern bewirkt (Art. 90 Abs. 3 und 4 E-SVG), soll der Führerausweis für mindestens zwölf Monate entzogen werden. Die Vollzugsbehörden können die Entzugsdauer je nach den konkreten Umständen der Tat nach ihrem Ermessen erhöhen.

76

Anhang 1 Teil C Ziffer 6 der Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 der Kommission vom 12. Dezember 2012 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Anforderungen an die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern bezüglich ihrer Massen und Abmessungen und zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 353 vom 21.12.2012, S. 31; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2019/1892, ABl. L 291 vom 12.11.2019, S. 17.

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Art. 17a Die bisher nicht in Kraft gesetzte Bestimmung zu Datenaufzeichnungsgerät und Alkohol-Wegfahrsperre77 soll aufgehoben werden.

Art. 25 Abs. 2 Bst. i und 2bis Als Folge der Aufhebung von Artikel 17a (Datenaufzeichnungsgerät und AlkoholWegfahrsperre) soll auch die vom Parlament im Jahr 2012 beschlossene, aber noch nicht in Kraft gesetzte Änderung von Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe i78 aufgehoben werden.

Die geltende Version von Absatz 2 Buchstabe i soll mit einer Regelung ergänzt werden, wonach der Bundesrat anstelle eines Geräts zur Aufzeichnung gewisser Daten auch andere Hilfsmittel wie zum Beispiel Apps vorsehen kann (Abs. 2bis). Es ist damit zu rechnen, dass die nächste Generation der auf internationaler Ebene geregelten Fahrtenschreiber nicht mehr im Fahrzeug eingebaute Geräte erfordert. Mit der vorliegenden Anpassung kann sichergestellt werden, dass der Bundesrat auch derartige Hilfsmittel zulassen kann. Der fortschreitenden Digitalisierung wird so auch in diesem Bereich Rechnung getragen.

IIa Titel

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem

Neu soll ein Titel über Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem ins SVG eingefügt werden. Angesichts der Eigenschaften dieser Fahrzeuge und der potenziellen Auswirkungen auf verschiedene Gebiete des Strassenverkehrsrechts erscheint die integrale Regelung ihrer spezifischen Eigenheiten in einer eigenen Gliederungseinheit als angemessen. In einer späteren Revision können weitergehende und materielle Regelungen integriert werden.

Art. 25a

Begriff

Zunächst wird die im neuen Titel verwendete Begrifflichkeit definiert. Unter Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem werden Fahrzeuge verstanden, die in der Lage sind, die Fahraufgaben zumindest unter bestimmten Bedingungen (z. B. bei Stau auf der Autobahn) dauerhaft und umfassend zu übernehmen. Damit unterscheiden sie sich von Fahrzeugen mit Assistenzsystemen, die bloss punktuell ins Fahrgeschehen eingreifen (z. B. ein Notbrems- oder Ausweichassistent) oder in der Lage sind, zwar die Bedienung des Fahrzeugs dauerhaft zu übernehmen, nicht aber die umfassende Beherrschung des Fahrzeugs (z. B. adaptiver Tempomat kombiniert mit einem Spurhaltesystem). Mit der vorgeschlagenen Definition werden Fahrzeuge der Stufen 3­5 nach Norm SAE J3016 abgedeckt. Die in den nachfolgenden Artikeln vorgeschlagene Regelungskompetenz des Bundesrats ist aber auf die Fahrzeuge der Stufen 3 und 4 beschränkt. Für führerlose Fahrzeuge der Stufe 5, die jederzeit und unter allen Bedingungen auf allen Strassen verwendet werden können, besteht kurz- bis mittelfristig

77 78

AS 2012 6291 AS 2012 6291

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noch kein Regelungsbedarf. Hingegen werden Fahrzeuge der Stufe 5 von der Versuchskompetenz nach Artikel 25h E-SVG erfasst.

Die Bedingungen beschränken den Bereich, in dem die Übernahme der Fahrzeugsteuerung durch das Automatisierungssystem und die Befreiung des Fahrzeugführers von seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten zulässig ist. Dieser Bereich kann durch unterschiedliche Elemente beschränkt werden (z. B. durch Anforderungen an die Strasseninfrastruktur, die Lichtverhältnisse oder die Geschwindigkeit des Fahrzeugs). Er wird in jedem Fall durch die Systemgrenzen beschränkt und vom Hersteller festgelegt (z. B. Staupilot, der bis 60 km/h funktioniert). Er kann aber durch internationale Regelungen oder Reglemente (z. B. ein Reglement, das den Staupiloten einzig für Autobahnen vorsieht) sowie durch nationales Recht (z. B. indem dieses vorsieht, dass der reglementierte Staupilot einzig auf speziell gekennzeichneten Autobahnen eingesetzt werden darf) weiter beschränkt werden. Diese weiteren Beschränkungen sind vom Hersteller selbstverständlich zu berücksichtigen, insbesondere bei der Instruktion und im Bedienungshandbuch.

Art. 25b

Befreiung des Fahrzeugführers von seinen Pflichten

Abs. 1 Mit dieser Regelung soll dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt werden, Fahrzeuglenkende von ihren Beherrschungs- und Aufmerksamkeitspflichten zu befreien, wenn das Automatisierungssystem aktiviert ist.

Dieser Absatz ist ausgerichtet auf serienmässig produzierte Fahrzeuge der Stufen 3 und 4, die ein Automatisierungssystem aufweisen, das die Fahraufgaben bei bestimmten Gegebenheiten (z. B. bei schönem Wetter auf Autobahnen) umfassend übernehmen kann. Aufgrund des beschränkten Einsatzbereichs des Automatisierungssystems benötigen diese Fahrzeuge weiterhin eine Fahrzeugführerin oder einen Fahrzeugführer und müssen mit den entsprechenden Bedienelementen (z. B. Lenkrad) versehen sein. Diese Fahrzeuge weisen eine Typengenehmigung auf. Im Rahmen einer Typengenehmigung wird geprüft, ob ein Ausrüstungsgegenstand oder ein Fahrzeugsystem den festgelegten technischen Anforderungen entspricht. Soweit entsprechende Reglemente vorliegen, umfasst die Typengenehmigung auch das Automatisierungssystem.

Derzeit liegt einzig für den Autobahn-Staupiloten ein Reglement vor. Weitere Reglemente werden vorbereitet.

Die Typengenehmigung des Automatisierungssystems stellt grundsätzlich eine Voraussetzung dar, damit die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer während dessen Verwendung von ihren oder seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten befreit werden kann. Eine weitere Voraussetzung besteht darin, dass das Automatisierungssystem bestimmungsgemäss, das heisst innerhalb der zulässigen Einsatzbedingungen unter Beachtung der Regeln, verwendet wird.

In welchem Rahmen die Fahrzeuglenkenden von ihren Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten nach Artikel 31 Absatz 1 SVG befreit werden können und ihnen während der Fahrt andere Verrichtungen erlaubt sind, hängt wesentlich von den Funktionalitäten des Automatisierungssystems ab. Dabei muss die Verkehrssicherheit jederzeit gewährleistet sein, was bedingt, dass die Verhaltensregeln auch im automatisierten Modus vollumfänglich beachtet werden. Eine Hauptmotivation der Industrie 62 / 88

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für die Entwicklung dieser Systeme liegt im Komfortgewinn der Konsumentinnen und Konsumenten, der eine möglichst weitgehende Befreiung der Fahrzeuglenkenden von ihren Pflichten im Strassenverkehr voraussetzt. In einer ersten Phase wird dies aber nur beschränkt möglich sein. Bei den Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem der Stufe 3 nach Norm SAE J3016 muss die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer die Steuerung wieder übernehmen, sobald sie oder er vom System dazu aufgefordert wird. Unter Berücksichtigung der Sicherheitsaspekte wird es bei diesen Systemen wesentlich von der Dauer der Vorwarnzeit für die Rückübernahme der Steuerung und der Reaktionsweise und -zuverlässigkeit des Automatisierungssystems bei Nichtübernahme abhängen, in welchem Rahmen und ob überhaupt die Fahrzeuglenkenden von ihren Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten befreit werden können. In jedem Fall müssen sie ständig eine Restaufmerksamkeit aufrechterhalten und in der Lage sein, rechtzeitig und angemessen auf eine Übernahmeaufforderung des Automatisierungssystems zu reagieren und die Fahrzeugsteuerung wieder zu übernehmen. Eine weitergehende Befreiung der Fahrzeuglenkenden wird möglich sein, sobald Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem keine Rückübernahme der Fahrzeugsteuerung durch die Lenkerin oder den Lenker mehr verlangen, sondern sich selber in einen sicheren Zustand versetzen können, sobald die Bedingungen, unter denen ihr Einsatz zulässig ist, nicht mehr gegeben sind (Stufe 4 nach Norm SAE J3016).

Neben der Befreiung der Fahrzeuglenkenden von ihren Pflichten fällt die Änderung weiterer Verhaltensregeln in Betracht. Aus Sicht des Verkehrsflusses ist eine Verkürzung des Abstands zum vorangehenden Fahrzeug anzustreben, wenn die Fahrzeugsteuerung durch ein Automatisierungssystem ausgeübt wird. Die Kompetenz, den Mindestabstand differenziert zu regeln, kommt dem Bundesrat aber bereits heute zu und erfordert keine Änderung des Gesetzes.

Abs. 2 Diese Bestimmung bezieht sich auf das automatisierte Parkieren («Automated Valet Parking»). Dabei verlässt die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer eingangs der Parkierungsfläche das Fahrzeug und aktiviert das automatisierte Parkierungssystem.

Das Fahrzeug fährt dann selbstständig in die Parkierungsfläche, sucht ein Parkfeld und parkt dort ein, ohne dass es
beaufsichtigt wird.

Für die Regelung dieses Anwendungsfalls benötigt der Bundesrat weitergehende Kompetenzen, als ihm mit Absatz 1 eingeräumt werden sollen. Über die Beherrschungspflicht hinausgehend soll er die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer auch von der Pflicht befreien können, im Fahrzeug anwesend zu sein. Damit kann das Fahrzeug in einem sehr eingeschränkten Rahmen ohne Führerin oder Führer verwendet werden, ohne dass es grundsätzlich als führerloses Fahrzeug konzipiert ist bzw.

ohne dass es die Bedingungen der nachfolgenden beiden Artikel erfüllt.

Diese Möglichkeit kann nur auf Parkierungsflächen in Betracht kommen, die vom übrigen Verkehr abgegrenzt sind. Der Bundesrat soll die Anforderungen an solche Parkierungsflächen festlegen. Dabei wird auf eine Abgrenzung gegenüber den Fussgängerinnen und Fussgängern auf der Parkierungsfläche geachtet und eine Kennzeichnung vorgeschrieben werden müssen. Ebenso soll der Bundesrat die Anforderungen an das Fahrzeug und dessen Verwendung (z. B. Maximalgeschwindigkeit) festlegen.

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Art. 25c

Führerlose Fahrzeuge auf bestimmten Strecken

Der Bundesrat soll die Voraussetzungen festlegen können, damit ein führerloses Fahrzeug zugelassen werden kann. Im Gesetz wird unter anderem festgelegt, dass die Zulassung auf bestimmte Fahrstrecken zu beschränken ist, wobei die Strecken ebenso wie allfällige weitergehende Bedingungen, unter denen ein führerloses Fahrzeug auf diesen Strecken zum Einsatz kommen darf, durch die Zulassungsbehörde festzulegen sind. Soweit andere Kantone oder Nationalstrassen betroffen sind, hat diese sich mit den entsprechenden Hoheitsträgern zu verständigen. Die örtliche Zuständigkeit für die Zulassung ergibt sich aus Artikel 22 SVG.

Dieser Artikel ist ausgerichtet auf die sogenannten Shuttlebusse, die heute im Versuchsbetrieb in verschiedenen schweizerischen Städten getestet werden, und andere führerlose Fahrzeuge der Stufe 4. Diese Fahrzeuge sind als führerlose Fahrzeuge konzipiert, verfügen über keine herkömmlichen Bedienelemente für Fahrzeuglenkende (z. B. Lenkrad) und weisen keine Typengenehmigung für das Fahrzeug auf, weil dieses aufgrund seiner Konzeption nicht alle aktuellen Anforderungen erfüllt. Sie unterscheiden sich von den übrigen, von Artikel 25b abgedeckten Fahrzeugen der Stufen 3 und 4 dadurch, dass sie dazu bestimmt sind, die ganze Fahrstrecke ohne Fahrzeugführerin oder Fahrzeugführer zurückzulegen. Von der Stufe 5 unterscheiden sie sich dadurch, dass sie nicht in der Lage sind, überall unter allen Bedingungen zu verkehren.

In den laufenden Versuchsbetrieben werden Shuttlebusse der Stufe 4 auf einer vordefinierten, fixen Strecke eingesetzt, die eine zusätzliche Linie des öffentlichen Verkehrs bildet. Der Nachweis, dass ein Fahrzeug auf einer festgelegten Strecke und unter bestimmten Einsatzbedingungen sicher verkehren kann, ist ungleich einfacher zu erbringen als der Nachweis, dass ein Fahrzeug diese Anforderung auf allen Strecken und unter allen Bedingungen erfüllen kann. Wenn der automatisierte Betrieb eines Fahrzeugs auf eine festgelegte Strecke beschränkt ist, können die Gefahren und Schwierigkeiten, die mit dieser Strecke verbunden sind, im Detail evaluiert und das Fahrzeug kann am Ergebnis der Evaluation gemessen werden. Diese Fahrzeuge sollen zwar ohne Führerin oder Führer verkehren dürfen, aber das Gesetz schreibt vor, dass sie durch eine Operatorin oder einen Operator beaufsichtigt werden
müssen. Die Operatorinnen und Operatoren müssen das Fahrzeug nicht ständig überwachen, aber sie müssen jederzeit bereit sein, auf Aufforderung des Fahrzeugs hin zu reagieren (z. B.

Deaktivierung des Systems, Übernahme der Fahrzeugsteuerung, Information der Passagiere). Damit die Operatorin oder der Operator ihre oder seine Aufgabe wahrnehmen kann, benötigt sie oder er eine ständige Verbindung zum Fahrzeug sowie die aktuellsten Umgebungsinformationen. Soweit die Wahrnehmung ihrer oder seiner Aufgaben gewährleistet ist, soll eine einzelne Operatorin oder ein einzelner Operator die Beaufsichtigung einer Vielzahl von Fahrzeugen übernehmen können. Soweit dies die Ausübung der Überwachungsfunktion nicht beeinträchtigt, kann die Operatorin oder der Operator auch weitere Tätigkeiten, etwa betrieblicher Natur, ausüben.

Der Bundesrat soll die weiteren Zulassungs- und die Verwendungsvoraussetzungen sowie die Rechte und Pflichten der Operatorinnen und Operatoren regeln. Ein hohes Gewicht wird dem Zulassungsverfahren zukommen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in Ziffer 4.3 verwiesen.

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Die Beschränkung der Zulassung auf festgelegte Strecken bedeutet nicht eine Beschränkung auf eine Einzelstrecke. Massgebend ist vielmehr, dass auf allen von einer Zulassung eines führerlosen Fahrzeugs betroffenen Streckenabschnitten die Zulassungsbedingungen erfüllt sind. Ist dies der Fall, kann eine Zulassung auch längere Strecken oder eine Vielzahl von Strecken umfassen und so ganze Zonen oder Gebiete abdecken. Damit können auch die Grundlagen geschaffen werden für den Betrieb von On-Demand-Verkehrssystemen mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem.

Art. 25d

Führerlose Fahrzeuge mit geringen Dimensionen und niedriger Geschwindigkeit

Diese Bestimmung soll den letzten der bis Anfang der 30er-Jahre voraussichtlich möglichen Anwendungsfall abdecken. Es handelt sich um einen Spezialfall der führerlos konzipierten Fahrzeuge, die sich durch geringe Abmessungen sowie niedrige Geschwindigkeiten kennzeichnen. In diese Kategorie fallen Lieferroboter, wie sie in der Schweiz bereits versuchsweise erprobt wurden; auch Kleinfahrzeuge für den Transport von einzelnen Personen sind nicht ausgeschlossen.

Es wird davon ausgegangen, dass solche Fahrzeuge auf andere Zulassungsvoraussetzungen angewiesen sind als Fahrzeuge nach Artikel 25c, damit sie nutzbringend betrieben werden könnten. Die Beschränkung auf bestimmte Strecken scheint den möglichen Einsatz zu stark einzuschränken. Zudem ist denkbar, dass eine Operatorin oder ein Operator bei diesen Fahrzeugen von bestimmten Pflichten befreit werden kann.

Unter Umständen ist das Vorhandensein einer Ansprechperson, die bei einem Ereignis kontaktiert werden könnte, ausreichend. Angesichts der geringen Betriebsgefahr, mit der solche Fahrzeuge verbunden sind, scheint es vertretbar, dem Bundesrat die Kompetenz einzuräumen, von der Anforderung der Festlegung einzelner Fahrstrecken abweichen und die Operatorin oder den Operator von bestimmten Pflichten befreien zu können.

Aus heutiger Sicht sind derartige Fahrzeuge problematisch. Angesichts ihrer geringen Geschwindigkeiten sind sie auf den Fahrbahnen kaum vertretbar, ebenso wenig aber auch auf Flächen für den Fussverkehr. Die Zulassung solcher Fahrzeuge auf Fussverkehrsflächen wäre auch mit den Erkenntnissen des bundesrätlichen Berichts zum Postulat 18.4291 Burkart «Langsamverkehr. Eine Gesamtsicht ist erforderlich» nicht vereinbar. Der Bundesrat beabsichtigt deshalb nicht, die Kompetenz des vorliegenden Artikels in der ersten Phase der Umsetzung der Gesetzesbestimmungen wahrzunehmen. Vielmehr soll damit eine Handlungsmöglichkeit geschaffen werden, falls sich in einer späteren Phase (allenfalls in einer späteren Verordnungsrevision) eine abweichende Beurteilung ergäbe und solchen Fahrzeugen aus bestimmten Gründen eine hohe Bedeutung beigemessen würde (z. B. Auslieferungsfahrten in verkehrsfreie städtische Quartiere, Mobilitätsgewinne für ältere Personen und Menschen mit Behinderungen).

Art. 25e

Gemeinsame Bestimmungen

Dieser Artikel legt die Rahmenbedingungen fest, die der Bundesrat im Rahmen einer Regelung nach den Artikeln 25b­25d zu beachten hat.

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Abs. 1 Bei der Regelung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem muss die Verkehrssicherheit aller beteiligten Strassenverkehrsteilnehmenden, insbesondere auch der schwächeren Strassenverkehrsteilnehmenden - beispielsweise Fussgängerinnen und Fussgänger, Velofahrerinnen und Velofahrer - priorisiert berücksichtigt werden.

Dies bedeutet etwa, dass das Ausmass der Befreiung der Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführer von ihren Pflichten auf die Funktionalitäten des Automatisierungssystems abgestimmt sein muss. Auch wenn ein Fahrzeug der Stufe 3 zugeordnet ist, kann eine Fahrzeugführerin oder ein Fahrzeugführer nicht weitgehend von ihren oder seinen Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten befreit werden, wenn nicht zumindest sichergestellt ist, dass ihr oder ihm nach einer Aufforderung, die Fahrzeugsteuerung wieder zu übernehmen, dafür ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung steht. Dies gilt auch dann, wenn das Stufe-3-Fahrzeug Risiken minimieren und Notfallmanöver ausführen kann, falls die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer die Fahrzeugsteuerung nach einer Rückübernahmeaufforderung nicht rechtzeitig übernimmt. Schliesslich stellt sich die Frage, ob eine weitgehende Befreiung von den Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten bei Fahrzeugen der Stufe 3 überhaupt vertretbar ist, weil nicht ausgeschlossen ist, dass die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer mit einer kurzfristigen Übernahmepflicht überfordert wird, oder ob eine weitgehende Befreiung nicht Fahrzeuge der Stufe 4 bedingt, die keine erneute Übernahme der Fahrzeugsteuerung durch die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer verlangen, wenn ihr Automatisierungssystem an seine Grenzen gelangt. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass bei Fahrzeugen der Stufe 3 die Anforderungen an kompensierende technische Massnahmen (wie risikominimierende Manöver) umso höher sein müssen, je geringer die garantierte minimale Übernahmezeit ist, die der Fahrzeugführerin oder dem Fahrzeugführer für die erneute Übernahme der Fahrzeugsteuerung eingeräumt wird, damit eine weitgehende Befreiung bei aktivierten Automatisierungssystem von den Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflichten als vertretbar erscheint.

Die Verkehrssicherheit bedingt die Zuverlässigkeit der Automatisierungssysteme auch beim Auftreten von besonderen Problemsituationen
beziehungsweise das zuverlässige Erkennen derselben, seien dies interne Fehlfunktionen (z. B. Ausfall von einzelnen Sensoren) oder besondere äussere Einflüsse (Nebel, starker Regen, Windböen). Das mit der Benutzung von Fahrzeugen verbundene inhärente Risiko darf durch das Automatisierungssystem jedenfalls nicht erhöht werden. Für die Funktionssicherheit müssen die Systeme dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, wofür aktuell insbesondere die Norm ISO 26262 heranzuziehen ist. Diese Norm stellt einen Mindeststandard für die funktionale Sicherheit in Fahrzeugen dar und beschreibt Methoden sowie Prozesse, um mögliche Risiken elektrischer und elektronischer Komponenten sowie des Gesamtfahrzeugs während dem gesamten Lebenszyklus zu identifizieren und die nötigen Vorkehrungen für die Sicherheit zu treffen.

Aus Verkehrssicherheitsgründen muss verlangt werden, dass die Einhaltung der Verkehrsregeln auch mit aktiviertem Automatisierungssystem gewährleistet ist, zumindest in jenem Bereich, in dem die Fahrzeuge eingesetzt werden sollen. Dies umfasst auch spezielle Pflichten, wie etwa die Rettungsgassenbildung, das Verhalten gegen-

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über Fahrzeugen mit Blaulicht und Wechselklanghorn, die Beachtung der polizeilichen Zeichen oder die geforderte Vorsicht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich eine Strassenbenützerin oder ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. Ausreichend zur Erfüllung dieser Anforderung wäre auch, wenn das Automatisierungssystem die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer rechtzeitig dazu auffordert, die Fahrzeugsteuerung wieder zu übernehmen.

Angesichts der hohen Sicherheits- und Verkehrsflussrelevanz von Automatisierungssystemen kommt der Qualität der von diesen bearbeiteten Daten ein hohes Gewicht zu. Daher wird festgelegt, dass die Automatisierungssysteme Daten nur dann bearbeiten dürfen, wenn Richtigkeit und Integrität der Daten sichergestellt sind. Dabei handelt sich um Begriffe, die ihren Ursprung in der Terminologie der Informationstechnologie haben. Der Hersteller hat nachzuweisen, dass die Anforderungen erfüllt sind.

Besonders heikel sind jene Daten, die von ausserhalb in das System eingespiesen werden. Um den Datenschutz und die Datensicherheit zu gewährleisten, könnte die Zuverlässigkeit der externen Daten z. B. mit Zertifikaten von vertrauenswürdigen Herausgebern oder unter Zuhilfenahme einer Zertifizierungsstelle im Sinne von Artikel 11 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199279 über den Datenschutz (DSG) bzw.

Artikel 13 des vom Parlament verabschiedeten Datenschutzgesetzes vom 25. September 202080, das am 1. Januar 2023 in Kraft treten wird, sichergestellt werden. Soweit der Hersteller Software-Updates für das Automatisierungssystem übermitteln will, hat er sich nach dem UN-Reglement Nr. 156 über einheitliche Vorschriften für die Genehmigung von Fahrzeugen hinsichtlich der Softwareaktualisierung und des Softwareaktualisierungs-Managementssytems zu richten.81 Die Anforderung an die Richtigkeit und Integrität der Daten bedingt aber auch, dass das Fahrzeug Situationen erkennt, in denen die von ihm selber erhobenen Daten nicht zuverlässig sind (z. B.

aufgrund der Witterungsverhältnisse oder der Alterung der Sensoren). Gerade zu Beginn des Einsatzes einer neuen Technologie, deren Auswirkungen noch nicht vollständig überblickt werden können, ist betreffend Sicherheit der Automatisierungssysteme eine entsprechend hohe Hürde anzusetzen.

Abs. 2 Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem
müssen mit einem Fahrmodusspeicher ausgerüstet sein, der gewisse Ereignisse aufzeichnet. Die Aufzeichnung gewisser Daten ist aus verschiedenen Gründen notwendig.

Soweit die Fahrzeuglenkenden von ihren Verkehrspflichten befreit werden, entfällt grundsätzlich auch ihre an eine Verletzung der Aufmerksamkeits- und Beherrschungspflicht anknüpfende zivilrechtliche Haftbarkeit als Lenkende sowie ihre Strafbarkeit. Um im Nachhinein nachvollziehen zu können, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt das Automatisierungssystem oder die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer für ein bestimmtes Fahrverhalten verantwortlich war, müssen die Interaktionen

79 80 81

SR 235.1 BBl 2020 7639 www.unece.org/transport > Vehicle Regulations > Agreements and Regulations > UN Regulations (1958 Agreement) > UN Regulations (Addenda to the 1958 Agreement) > Regulations 141­160.

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zwischen der Fahrzeugführerin oder dem Fahrzeugführer und dem Automatisierungssystem festgehalten werden.

Die funktionelle und operationelle Sicherheit des Automatisierungssystems muss während der gesamten Lebensdauer eines Fahrzeugtyps sichergestellt werden. Der Überwachung nach Inverkehrbringen kommt daher ein hohes Gewicht zu. Diese hat primär durch den Hersteller zu erfolgen. Erforderlich ist aber auch eine behördliche Kontrolle im Rahmen der periodischen Prüfungen des Fahrzeugs einerseits und der Marktüberwachung anderseits. Damit dies auf eine effektive Weise erfolgen kann, müssen den Behörden gewisse Daten zur Verfügung stehen, aus denen sich Rückschlüsse in Bezug auf die Verkehrssicherheit und -tauglichkeit des Automatisierungssystems ziehen lassen.

Entsprechend den Rückmeldungen aus der Vernehmlassung wird im Gesetz festgelegt, welche Daten durch den Fahrmodusspeicher aufgezeichnet werden müssen (Art. 25f) und wer einen Anspruch auf diese Daten geltend machen kann (Art. 25g).

Abs. 3 In jedem Fall muss - so gut wie möglich - verhindert werden, dass unbefugt in das Automatisierungssystem oder den Fahrmodusspeicher des Fahrzeugs eingedrungen werden kann und dass beispielsweise Daten aus dem Fahrzeug oder Daten, die von diesem oder an dieses übermittelt werden, unbefugt beschafft, verändert, gelöscht oder unbrauchbar gemacht werden.

Der Schutz der Automatisierungssysteme und des Fahrmodusspeichers gegen unbefugten Zugriff muss dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Dieser ist heute im UN-Reglement Nr. 155 über einheitliche Vorschriften für die Genehmigung von Fahrzeugen hinsichtlich der Cybersicherheit und des Cybersicherheits-Managementsystems festgehalten.

Art. 25f

Anforderungen an den Fahrmodusspeicher

Gespeichert werden müssen die Aktivierung des Automatisierungssystems, die Deaktivierung des Automatisierungssystems und dessen Grund, die Übernahmeaufforderungen und deren Gründe, das Unterdrücken oder Abschwächen von Eingriffen der Fahrzeuglenkenden durch das Automatisierungssystem, das Auslösen von Manövern zur Risikominimierung oder in Notfällen sowie das Auftreten von sicherheitsrelevanten Störungen. Bei führerlos konzipierten Fahrzeugen sind zusätzlich das Erteilen von Befehlen der Operatorin oder des Operators sowie Unterbrüche der Kommunikationsverbindung zur Operatorin oder zum Operator aufzuzeichnen. Die Speicherung dieser Ereignisse muss zusammen mit der Angabe der installierten Softwareversion und einem Zeitstempel erfolgen. Die aufgezeichneten Daten dürfen nicht veränderbar sein.

Bei vollem Speicher werden die ältesten Daten überschrieben. Dadurch ergibt sich eine breite Spannweite in Bezug auf die Löschfrist der Daten, was im Einzelfall den datenschutzrechtlichen Grundsatz der zeitlichen Verhältnismässigkeit verletzen kann.

Die notwendigen Anforderungen an den Fahrmodusspeicher wie etwa die minimale Speicherkapazität wird der Bundesrat auf der Basis von Artikel 106 Absatz 1 SVG in Abstimmung mit den Vorgaben auf internationaler Ebene festlegen.

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Aus den aufgezeichneten Daten lassen sich zum einen Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit des Automatisierungssystems ziehen. Zum andern ermöglichen sie auch Rückschlüsse auf die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer, insbesondere ob sie oder er das Automatisierungssystem aktiviert und rechtzeitig auf Übernahmeaufforderungen des Automatisierungssystems reagiert hat sowie ob sie oder er bei aktiviertem Automatisierungssystem Eingriffe ins Fahrgeschehen vorgenommen hat, die vom Automatisierungssystem aus Sicherheitsgründen unterdrückt oder abgeschwächt wurden.

Die möglichen Rückschlüsse auf die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer sind also bloss in einem eng begrenzten Ausmass möglich. Die Daten im Fahrmodusspeicher sind daher nicht dazu geeignet, Persönlichkeitsprofile zu erstellen.

Der Bundesrat wird die Anforderungen an den Zeitstempel und die aufzuzeichnenden Gründe für eine Deaktivierung der Automatisierungssystems (z. B. Deaktivierung des Systems oder Vornahme einer Lenkbewegung durch die Fahrzeugführerin oder den Fahrzeugführer) oder für eine Übernahmeaufforderung (z. B. Erreichen der Systemgrenzen oder Auftreten von technischen Störungen) in Abstimmung mit dem internationalen Recht festlegen.

Zudem wird dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt, Fahrzeuge mit geringen Dimensionen und niedriger Geschwindigkeit angesichts ihres reduzierten Betriebsrisikos von der Pflicht zur Ausrüstung mit einem Fahrmodusspeicher auszunehmen oder die Ereignisse, die aufgezeichnet werden müssen, zu beschränken.

Die vom Fahrmodusspeicher aufgezeichneten Daten lassen Rückschlüsse auf die Verantwortung für das Fahrverhalten zu einem bestimmten Zeitpunkt sowie auf die Funktionsfähigkeit des Automatisierungssystems zu. Hingegen lassen sich mit diesen Daten keine Unfälle rekonstruieren. Diesem Zweck dienen andere Geräte, nämlich die Unfalldatenschreiber. Heute müssen bereits Blaulichtfahrzeuge mit einem derartigen Gerät ausgerüstet sein. Gemäss der Verordnung (EU) 2019/214482 müssen neu zugelassene Fahrzeuge mit oder ohne Automatisierungssystem ab Mitte 2024, neue Fahrzeugtypen bereits ab Mitte 2022 mit einem Unfalldatenschreiber ausgerüstet sein, der die für die Unfallanalyse relevanten Daten aufzeichnet.

Art. 25g

Zugriff auf die Daten des Fahrmodusspeichers

Diese Bestimmung regelt die Datenzugriffsrechte.

82

Verordnung (EU) 2019/2144 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre allgemeine Sicherheit und den Schutz der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern, zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 78/2009, (EG) Nr. 79/2009 und (EG) Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 631/2009, (EU) Nr. 406/2010, (EU) Nr. 672/2010, (EU) Nr. 1003/2010, (EU) Nr. 1005/2010, (EU) Nr. 1008/2010, (EU) Nr. 1009/2010, (EU) Nr. 19/2011, (EU) Nr. 109/2011, (EU) Nr. 458/2011, (EU) Nr. 65/2012, (EU) Nr. 130/2012, (EU) Nr. 347/2012, (EU) Nr. 351/2012, (EU) Nr. 1230/2012 und (EU) 2015/166 der Kommission; zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2021/1341, ABl. L 292 vom 16.8.2021, S. 4.

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Die vom Fahrmodusspeicher aufgezeichneten Daten sollen der Fahrzeughalterin oder dem Fahrzeughalter jederzeit in einer einfach lesbaren Form über eine Standardschnittstelle zugänglich sein. Auf jene Daten, die während ihren oder seinen Fahrten erzeugt wurden, darf sie oder er jederzeit zugreifen, auf Daten, die während den Fahrten von Dritten erzeugt wurden, nur dann, wenn sie oder er ein berechtigtes Interesse in Zusammenhang mit einem Unfall oder einer Verkehrswiderhandlung geltend machen kann. Die Einhaltung dieser Bestimmung wird primär der Selbstverantwortung des Halters oder der Halterin überlassen. Vorbehalten bleibt selbstverständlich der Zugriff mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Dritten.

Führt eine Drittperson das Fahrzeug, so stellt die Fahrzeughalteirn oder der Fahrzeughalter jene Daten zur Verfügung, an denen die Drittlenkerin ein berechtigtes Interesse geltend machen kann. Es soll vermieden werden, dass die Halterin oder der Halter verpflichtet ist, der Drittlenkerin oder dem Drittlenker eine Vielzahl von Daten zur Verfügung zu stellen, ohne dass ein objektiver Mehrwert für diese oder diesen damit verbunden ist. Diese Beschränkung verhindert insbesondere bei Unternehmen, die Mietfahrzeuge anbieten, einen unverhältnismässigen Aufwand und stellt einen angemessenen Ausgleich zum Interesse des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts (Art. 8 DSG) dar. Die gleiche Regelung gilt für Operatorinnen und Operatoren.

Bei Unfällen und Verkehrswiderhandlungen sollen die damit zusammenhängenden Daten den Polizei-, Justiz- und Administrativbehörden zur Verfügung stehen, damit geklärt werden kann, ob ein bestimmtes Fahrverhalten der Fahrzeugführerin oder dem Fahrzeugführer oder dem Automatisierungssystem zuzurechnen ist. Diese Behörden haben die Daten zu löschen, sobald sie nicht mehr benötigt werden, spätestens aber sechs Monate nach Abschluss eines allfälligen Straf- oder Administrativverfahrens.

Auf diese Weise können die Behörden klären, ob ein Fahrverhalten, das zu einer Verkehrsregelverletzung oder gar einem Unfall geführt hat, der Fahrzeugführerin oder dem Fahrzeugführer zuzurechnen ist.

Die Daten sollen ebenfalls von den Zulassungsbehörden im Rahmen von Nachkontrollen der Fahrzeuge, insbesondere bei der periodischen Prüfungspflicht, ausgelesen und anschliessend bearbeitet werden
können. Diese Daten erlauben gewisse Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit des Automatisierungssystems und die Betriebssicherheit des Fahrzeugs. Eine Bearbeitung von Personendaten ist zu diesem Zweck nicht erforderlich und damit nicht zulässig. Die Daten sind spätestens zwei Jahre nach der Ausserverkehrsetzung des Fahrzeugs zu löschen. Die unterschiedliche Frist für die Löschung der Daten gegenüber Polizei-, Justiz- und Administrativbehörden erklärt sich mit dem unterschiedlichen Zweck der Datenerhebung. Für die Rückschlüsse auf das Automatisierungssystem ist es zweckdienlich, dass die Daten des Fahrmodusspeichers möglichst während der ganzen Betriebsdauer des Fahrzeugs zur Verfügung stehen. Da die Fahrzeuge ausser Verkehr gesetzt und später wieder immatrikuliert werden können, sollen die Daten auch während einer bestimmten Dauer nach einer Ausserverkehrsetzung noch beibehalten werden können. Eine Löschungsfrist von zwei Jahren schafft einen angemessenen Interessenausgleich.

Soweit die Zulassungsbehörde Daten aus dem Fahrmodusspeicher erhebt, hat sie diese in einer anonymisierten Form dem ASTRA zu übermitteln. Das ASTRA verwendet

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diese Daten einerseits für die Marktüberwachung und anderseits stellt es sie für Forschungen und Analysen zur Verfügung, die durch das ASTRA selbst oder Dritte durchgeführt werden.

Art. 25h

Versuche mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem

Neben der Regelungskompetenz des Bunderats soll auch die Kompetenz für die Erteilung von Ausnahmebewilligungen zur Durchführung von Versuchen geregelt werden, bei denen die Fahrzeuge nicht in allen Teilen den geltenden Ausrüstungsvorschriften entsprechen und nicht alle Verkehrsregeln eingehalten werden. Diese Bewilligungskompetenz erstreckt sich bis hin zu führerlosen Fahrzeugen der Stufe 5 nach Norm SAE J3016. Zudem soll das Verfahren für die Bewilligung von befristeten Versuchen vereinfacht werden.

Mit der vorliegenden Bestimmung wird dem ASTRA die Kompetenz eingeräumt, befristete Versuche mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem zu bewilligen.

Für den Bund sind solche Versuche in erster Linie von Bedeutung, um den aktuellen Stand der Technik bestimmen und den Bedarf nach einer Weiterentwicklung der Rechtsgrundlagen einschätzen zu können. Weitere Bedürfnisse können sich beispielsweise aus der Rolle des Bundes als Ersteller und als Betreiber der Nationalstrasseninfrastruktur oder der Erprobung technischer Innovationen im Verkehrswesen ergeben.

Im Rahmen der bisherigen Versuche mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem zeigt sich, dass für die Gesuchstellenden andere Erkenntnisse im Vordergrund stehen. Verkehrsbetriebe und Städte wollen mit solchen Versuchen die Möglichkeiten neuer Geschäftskonzepte, die Weiterentwicklung des Angebots des öffentlichen Verkehrs und die Einbindungsmöglichkeiten in den lokalen öffentlichen Verkehr evaluieren. Damit auch derartige Bedürfnisse abgedeckt werden können, soll die vorgeschlagene Bewilligungskompetenz einzig an die Bedingung gebunden werden, dass die Verkehrssicherheit gewährleistet bleibt. Für die Beurteilung ist hierfür auf die konkreten Gegebenheiten des Versuchs sowie auf die Kompensationsmassnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit abzustellen. Zum Beispiel müssen die beim Versuch eingesetzten Begleitpersonen entsprechend geschult sein, die Strecke sowie die Versuchsanordnung müssen geeignet sein und die Funktionalität des Fahrzeugs muss vorher auf einem gesperrten Areal getestet werden. Je nach Entwicklungsstand des Fahrzeugs sind mehr oder weniger Kompensationsmassnahmen erforderlich, um die Sicherheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu garantieren. Wie bereits unter Ziffer 4.1.2 erwähnt, sind je nach Konstellation zusätzliche
Bewilligungen ausserhalb des Strassenverkehrsrechts erforderlich (z.B. eine Funkversuchskonzession des Bundesamts für Kommunikation).

Aufgrund verschiedener Eingaben aus der Vernehmlassung sollen die Berichte, die die den Versuch durchführende Einrichtung über den Versuch und dessen Erkenntnisse erstellt, nach Abschluss des Versuchs durch das ASTRA publiziert werden. Um die Versuche möglichst umfassend analysieren und entsprechende Rückschlüsse ziehen zu können, sind für das ASTRA unter Umständen Einzelheiten entscheidend, die sich aus den Berichten der Versuchsführenden nicht ergeben. Daher haben diese dem ASTRA den Zugang zu sämtlichen mit dem Versuch in Zusammenhang stehenden Daten zu gewähren.

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Die Bewilligungskompetenz soll insbesondere dann an die Kantone delegiert werden können, wenn mit der Durchführung des Versuchs keine Erkenntnisse verbunden sind, die für den Bund von Bedeutung sein könnten. Voraussetzung der Delegation an die Kantone ist allerdings, dass der Versuch den regionalen Rahmen nicht überschreitet. Das ASTRA wird die Rahmenbedingungen für diese regionalen Versuche festlegen (z. B. Anforderungen an die Begleitung solcher Versuche).

Art. 52 Abs. 1 zweiter und dritter Satz sowie 2 Gemäss dem bisherigen Gesetzestext kommt dem Bundesrat die Kompetenz zu, einzelne Ausnahmen vom Rundstreckenrennenverbot zu gestatten. Diese Bestimmung wurde als ausreichende Gesetzesgrundlage für die vor 2015 geregelten Ausnahmen (wie Rasenrennen mit Motorrädern und Kart-Rennen) betrachtet, nicht aber für die 2015 beschlossene Ausnahme für Rennen im Rahmen der Formel-E-Meisterschaft (Art. 94 Abs. 3 Bst. e VRV). Diese Massnahme musste deshalb auf der Basis von Artikel 106 Absatz 5 SVG beschlossen und befristet werden. Mit der Streichung des Begriffs «einzelne» wird die Kompetenz des Bundesrats erweitert, sodass die Bestimmung als ausreichende Gesetzesgrundlage für die auf Verordnungsebene geregelte Ausnahme der Formel-E-Rennen betrachtet und die bestehende Befristung aufgehoben werden kann. Das Wort «gestatten» soll durch «vorsehen» ersetzt werden. Damit kommt klarer zum Ausdruck, dass der Bundesrat hier eine Rechtsetzungskompetenz erhält (generell-abstrakt) und nicht eine Kompetenz zur Ausstellung von Ausnahmebewilligungen (individuell-konkret). Als zusätzliches Kriterium für Ausnahmen sollen die Erfordernisse des Umweltschutzes genannt werden (Abs. 1).

Klargestellt wird, dass vom Verbot ausgenommene Rundstreckenrennen gleichermassen wie andere motor- und radsportliche Veranstaltungen auf öffentlichen Strassen einer Bewilligungspflicht unterliegen. Die Bewilligung wird von jenen Kantonen ausgestellt, deren Gebiet befahren wird (Abs. 2).

Art. 57 Abs. 5 Bst. c Wie bei den Sicherheitsgurten und den Helmen für Motorfahrzeuge soll dem Bundesrat die Möglichkeit eingeräumt werden, bei den Velohelmen eine Tragpflicht für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre einzuführen.

Art. 59 Einleitungssatz und Abs. 4 Bst. b Redaktionelle Änderung. Es wird auf das Personenbeförderungsgesetz verwiesen, welches das
Transportgesetz abgelöst hat.

Art. 65 Abs. 2 und 3 Absatz 2 erhält nur eine redaktionelle Anpassung.

Die Pflicht der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer zum Rückgriff bei Schäden, die durch Fahren in fahrunfähigem Zustand oder Rasen verursacht wurden, wird aufgehoben. In diesen Fällen haben die Versicherer neu, wie bei allen anderen grobfahrlässigen Widerhandlungen auch, lediglich ein Rückgriffsrecht. Die Regelung zur 72 / 88

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Bemessung des Rückgriffs, wonach die Versicherer das Verschulden sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Person berücksichtigen müssen, ist mit der Umwandlung der Rückgriffspflicht in ein Rückgriffsrecht nicht mehr nötig. Das Parlament wollte bei der Verankerung der Rückgriffspflicht mit dieser Vorgabe verhindern, dass die Versicherer nur symbolisch regressieren (s. Botschaft vom 20. Oktober 201083 zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr).

Art. 89b Einleitungssatz (Betrifft nur den französischen Text) und Bst. d, j und m Redaktionelle Änderung im Einleitungssatz der französischen Version und in Buchstabe d.

Bst. j: Aus Gründen der Transparenz wird die Erhebung der Nationalstrassenabgaben in der Zweckbestimmung explizit aufgeführt.

Bst. m: Damit die Bestimmungen im SVG von allfälligen Anpassungen in der CO2-Gesetzgebung künftig unberührt bleiben, wird auf die spezifische Aufzählung einzelner Fahrzeugarten verzichtet und stattdessen direkt auf die CO2-Gesetzgebung verwiesen. Die von den CO2-Vorschriften betroffenen Fahrzeugarten ergeben sich somit direkt und abschliessend aus den Bestimmungen zur Verminderung der CO2-Emissionen.

Art. 89d Bst. e­h Bst. e und f: Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit bearbeitet heute im Informationssystem Verkehrszulassung (IVZ) Daten zur Kontrolle der Verzollung und Versteuerung der zum Strassenverkehr zugelassenen Fahrzeuge nach dem Automobilsteuergesetz vom 21. Juni 199684 sowie zur Erhebung der Schwerverkehrsabgaben nach dem Schwerverkehrsabgabegesetz vom 19. Dezember 199785. Die Rechtsgrundlage dazu befindet sich heute auf Verordnungsebene (Art. 16 Abs. 1 der Verordnung vom 30. November 201886 über das Informationssystem Verkehrszulassung). Sie soll aus systematischen Gründen ins Gesetz überführt werden.

Bst. g: Die für die Erhebung der Nationalstrassenabgaben (Art. 89b Bst. j) zulässige Datenbearbeitung wird festgelegt.

Bst. h: Da die für den Vollzug der Verminderung der CO2-Emissionen zuständigen Behörden gewisse Daten nicht nur einsehen, sondern - insbesondere im Zusammenhang mit der Zulassungsfreigabe - auch bearbeiten müssen, wird in Artikel 89d eine entsprechende Rechtsgrundlage ergänzt.

Art. 89e Bst. a, abis, b und g Bst. a, abis und b: Bereits heute können sämtliche Stellen, die Daten gestützt auf Artikel 89d bearbeiten, diese über einen Zugriff im Abrufverfahren auch einsehen.

83 84 85 86

BBl 2010 8447 Ziff. 1.3.2.17 SR 641.51 SR 641.81 SR 741.58

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Mit der Änderung von Buchstabe a (und der Verschiebung der bisher in Bst. a befindlichen Bestimmung in den neuen Bst. abis) wird dies zur Erhöhung der Klarheit neu explizit festgehalten. Zur Vermeidung von Doppelspurigkeiten wird Buchstabe b entsprechend angepasst.

Bst. g: Damit die Bestimmungen im SVG von allfälligen Anpassungen in der CO2Gesetzgebung künftig unberührt bleiben, wird auf die spezifische Aufzählung einzelner Fahrzeugarten verzichtet und stattdessen direkt auf die CO2-Gesetzgebung verwiesen.

Art. 89e Bst. k sowie 89g Abs. 6 zweiter Satz Die vom Parlament im Rahmen der Revision des Nationalstrassenabgabegesetzes am 18. Dezember 2020 beschlossenen87, aber zum Zeitpunkt der laufenden SVGRevision noch nicht in Kraft gesetzten Änderungen in den Artikeln 89e Buchstabe k und 89g Absatz 6 zweiter Satz werden durch die vorliegenden Anpassungen (Art. 89d Bst. f und g in Verbindung mit Art. 89e Bst. a) obsolet und können aufgehoben werden.

Art. 90 Abs. 3 und 4 Um klarzustellen, dass bei Vorliegen einer der im Gesetz genannten Geschwindigkeitsüberschreitungen der Tatbestand von Artikel 90 Absatz 3 E-SVG nicht automatisch als erfüllt gilt und den Gerichten eine Einzelfallbeurteilung zusteht, wird der Wortlaut dieser Bestimmung angepasst. Absatz 4 legt fest, welche Geschwindigkeitsüberschreitungen als besonders krasse Überschreitungen der signalisierten Höchstgeschwindigkeit zu betrachten sind. Liegt eine solche Geschwindigkeitsüberschreitung vor, bedeutet dies indes nicht, dass von Gesetzes wegen ein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern bestand oder dass die Überschreitung vorsätzlich geschah. Ob der objektive und der subjektive Tatbestand erfüllt sind, haben die Gerichte im konkreten Einzelfall zu beurteilen. Die Widerhandlungen «waghalsiges Überholen», «Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen» und «besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten» werden wie bisher als Beispiele aufgeführt. Somit kann der Rasertatbestand weiterhin auch in weiteren Fällen erfüllt werden, wenn elementare Verkehrsregeln vorsätzlich in einem Ausmass verletzt werden, das ein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern bewirkt.

Damit der objektive Tatbestand erfüllt ist, muss eine oder müssen mehrere elementare Verkehrsregeln
in einem Ausmass verletzt worden sein, das ein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern bewirkt. Das geforderte Risiko muss sich auf einen Unfall mit Todesopfern oder Schwerverletzten beziehen und somit ein qualifiziertes Ausmass erreichen. Der Erfolgseintritt muss zudem vergleichsweise naheliegen. Die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 SVG setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraus. Daher ist für die Erfüllung von Artikel 90 Absatz 3 E-SVG die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung, sozusagen eine qualifiziert erhöhte abstrakte Gefahr, zu 87

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verlangen. Diese muss mithin unmittelbar sein. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt in Anlehnung an Artikel 90 Absatz 2 SVG nur, wenn aufgrund besonderer Umstände wie Tageszeit, Verkehrsdichte, Sichtverhältnisse usw.

der Eintritt einer konkreten Gefahr oder gar einer Verletzung besonders nahelag und es letztlich nur vom Zufall abhing, dass sie sich nicht verwirklicht hat. Eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben ist hingegen auch nach Artikel 90 Absatz 3 E-SVG nicht vorausgesetzt.88 Beim subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt.

Der Vorsatz muss sich zum einen auf die Verletzung der elementaren Verkehrsregeln beziehen und zum anderen darauf, dass durch diese Verkehrsregelverletzung ein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern entsteht (doppelter Vorsatz). Ein Gefährdungsvorsatz oder der Vorsatz, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, ist nicht erforderlich.89 Es gibt keine Mindestfreiheitstrafe mehr, sondern nur noch eine Strafobergrenze von vier Jahren Freiheitsstrafe. Damit bleiben Delikte nach Artikel 90 Absatz 3 E-SVG ein Verbrechen nach Artikel 10 Absatz 2 StGB.

Zudem erfolgt eine Harmonisierung mit dem Straftatbestand der Gefährdung des Lebens nach Artikel 129 StGB, der ebenfalls keine Mindestfreiheitsstrafe vorsieht.

Hat die fehlbare Lenkerin oder der fehlbare Lenker zugleich den Tatbestand der (eventual-)vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) oder der vorsätzlichen schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB) erfüllt, konsumiert das schwere Verletzungsdelikt (Art. 111 oder 122 StGB) das Gefährdungsdelikt (Art. 90 Abs. 3 E-SVG). Das heisst, die Täterin oder der Täter wird gestützt auf Artikel 111 oder 122 StGB bestraft, sofern neben dem konkreten Opfer keine weitere Person gefährdet wurde.90 Der Strafrahmen beträgt somit Freiheitsstrafe von fünf bis zu zwanzig Jahren bei Tötung und Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bei schwerer Körperverletzung.

Sollten weitere Personen gefährdet worden sein, so besteht zwischen Artikel 111 bzw. 122 StGB einerseits und Artikel 90 Absatz 3 E-SVG anderseits echte Konkurrenz.91 Die mögliche Höchststrafe bleibt somit entweder bei zwanzig Jahren Freiheitsstrafe (Art. 40, 49 Abs. 1 und 111 StGB, Art. 90 Abs. 3 E-SVG) bzw. erhöht sich auf fünfzehn Jahre
Freiheitsstrafe (Art. 49 Abs. 1 und 122 StGB, Art. 90 Abs. 3 E-SVG).

Kommt das Gericht zur Auffassung, die Täterin oder der Täter habe die Tötung oder schwere Körperverletzung fahrlässig verursacht (Art. 117 bzw. 125 StGB), so besteht echte Konkurrenz. Das Handlungsunrecht des vorsätzlichen Gefährdungsdelikts (Art. 90 Abs. 3 E-SVG) wird durch das fahrlässige Verletzungsdelikt (Art. 117 bzw. 125 StGB) nicht vollständig abgedeckt. Die Maximalstrafe beträgt somit Freiheitsstrafe bis zu sechs Jahren (Art. 49 Abs. 1 und 117 bzw. 125 StGB, Art. 90 Abs. 3 E-SVG)92.

88 89 90 91 92

Urteil des Bundesgerichts 6B_486/2018 vom 5. Sept. 2018 E. 2.1.

Urteil des Bundesgerichts 6B_567/2017 vom 22. Mai 2018 E. 3.1.

Urteil des Bundesgerichts 6B_567/2017 vom 22. Mai 2018 E. 3.1.

Urteil des Bundesgerichts 6B_567/2017 vom 22. Mai 2018 E. 3.1.

Zu den Konkurrenzen mit anderen Strafbestimmungen siehe Philippe Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2015, Art. 90 SVG N 183 f.

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Art. 91 Abs. 2 Bst. a Fussnote Redaktionelle Anpassung. Es wird lediglich die Fussnote aufgehoben.

Art. 95 Abs. 2 Bisher wird in dieser Bestimmung ausdrücklich gesagt, dass das Strafmass Geldstrafe bis zu 180 Tagessätze ist. Seit dem 1. Januar 2018 beträgt die maximale Geldstrafe 180 Tagessätze (bis 31. Dezember 2017 waren es noch 360 Tagessätze). Die Obergrenze von 180 Tagessätzen muss daher nicht mehr explizit genannt werden.

Art. 96 Abs. 2 Der zweite Satz der geltenden Bestimmung «Mit der Freiheitsstrafe ist eine Geldstrafe zu verbinden» soll gestrichen werden. Diese Verbindungsgeldstrafe kam zum Zug, weil eine (bedingte) Gefängnisstrafe die betroffene Peron zu wenig beeindruckt hätte.

Seit dem 1. Januar 2018 hat Artikel 42 Absatz 4 StGB diese Funktion übernommen.

Somit hat die spezialgesetzliche Verbindungsgeldstrafe im SVG ihre praktische Bedeutung verloren.

Art. 98a Abs. 4 Bisher wird in dieser Bestimmung ausdrücklich gesagt, dass das Strafmass Geldstrafe bis zu 180 Tagessätze ist. Seit dem 1. Januar 2018 beträgt die maximale Geldstrafe 180 Tagessätze (bis 31. Dezember 2017 waren es noch 360 Tagessätze). Die Obergrenze von 180 Tagessätzen muss daher nicht mehr explizit genannt werden.

Art. 99 Abs. 1 Bst. h­j Die Bestimmungen93 sollen als Folge der Aufhebung von Artikel 17a (Datenaufzeichnungsgerät und Alkohol-Wegfahrsperre) ebenfalls aufgehoben werden.

Art. 99a

Strafbarkeit der Führer von Motorfahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit

Bei Widerhandlungen mit Fahrzeugen von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit soll es Straferleichterungen geben, um unnötige Härten zu vermeiden. Diese Taten sollen grundsätzlich als Übertretungen eingestuft und mit Busse geahndet werden.

Zudem sollen die Strafandrohungen bei nicht oder nur schwach motorisierten Verkehrsteilnehmenden vereinheitlicht werden.

Der Bundesrat muss die «Fahrzeuge von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit» auf Verordnungsebene bestimmen. Damit wissen die Verkehrsteilnehmenden, beim Lenken welcher Fahrzeuge die Straferleichterungen gelten, und dem Bestimmtheitsgebot wird Genüge getan. Unter «Fahrzeuge von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit» fallen sollen beispielsweise Motorfahrräder (z. B. langsame E-Bikes), Motorhandwagen, Motoreinachser oder Behindertenfahrstühle (vgl. auch Art. 25 Abs. 1 93

AS 2012 6291

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Bst. a und Art. 89 Abs. 1 SVG). Zudem jene Trendfahrzeuge, die allenfalls künftig zum Verkehr zugelassen werden sollen. Diese Fahrzeuge haben eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h sowie eine Leistung von maximal 2,00 kW.

Art. 100 Ziff. 4 Wenn eine Führerin oder ein Führer eines Polizei-, Feuerwehr-, Sanitäts- oder Zollfahrzeugs auf dringlichen oder taktisch notwendigen Dienstfahrten Verkehrsregeln oder besondere Anordnungen für den Verkehr verletzt, so bleibt sie oder er bereits heute straffrei, sofern sie oder er alle erforderliche Sorgfalt walten lässt und auf dringlichen Dienstfahrten zudem die erforderlichen Warnsignale abgibt. Hat die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer nicht die Sorgfalt walten lassen, die nach den Umständen erforderlich war, oder hat sie oder er auf dringlichen Dienstfahrten nicht die erforderlichen Warnsignale abgegeben, so kann nach aktuellem Recht die Strafe gemildert werden. Mit der vorliegenden Änderung wird die fakultative Strafmilderung zu einer obligatorischen. Das Ermessen der Richterin oder des Richters wird in dem Sinn eingeschränkt, als dass sich die besondere Situation von Blaulichtfahrerinnen und -fahrern stets auf das Strafmass auswirken muss. Diese Einschränkung scheint vertretbar. Zentral ist, dass weiterhin die Richterin oder der Richter anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls festzulegen hat, in welchem Umfang dies erfolgen soll.

Art. 105a

Finanzhilfen für neue Technologien

Mit Absatz 1 soll dem ASTRA die Finanzierung von Fördermassnahmen von Pilotund Demonstrationsanlagen sowie von entsprechenden Projekten oder Feldversuchen für die Erprobung neuer technologischer Entwicklungen ermöglicht werden. Da die fachlichen Anforderungen dafür nach heutigem Kenntnisstand noch nicht umfassend bestimmt werden können, wird die Formulierung subventionsgesetzeskonform, aber relativ offen gehalten. Fördergegenstände können beispielsweise die Mitfinanzierung von Fördermassnahmen im Rahmen der Koordinationsstelle für nachhaltige Mobilität, die Mitfinanzierung von Versuchsanlagen für das automatisierte Fahren sowie von Versuchen mit Platooning (mehrere , die mit Hilfe eines technischen Steuerungssystems in sehr geringem Abstand hintereinander fahren) auf dem schweizerischen Nationalstrassennetz oder die Mitfinanzierung von Pilotanlagen oder von Feldversuchen für den Austausch von Daten zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur sowie zwischen Fahrzeugen untereinander sein. Die vorgeschlagene Bestimmung orientiert sich insbesondere an Regelungen, die in Artikel 31 PBG und Artikel 41 der Verordnung vom 11. November 200994 über die Abgeltung des regionalen Personenverkehrs sowie in Artikel 49 des Energiegesetzes vom 30. September 201695 bereits heute enthalten sind. Im Verhältnis zum PBG ist der Rahmen hier etwas enger gefasst und die förderungswürdigen Anlagen werden vorliegend spezifiziert.

94 95

SR 745.16 SR 730.0

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Nach Absatz 2 soll die Fördertätigkeit des ASTRA primär auf Schweizer Territorium zur Anwendung kommen. Ausnahmsweise soll das ASTRA auch Pilot- und Demonstrationsanlagen mit ausländischem Standort sowie Pilot- und Demonstrationsprojekte, die im Ausland durchgeführt werden, unterstützen können. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass durch die Anlage oder das Projekt eine Wertschöpfung in der Schweiz generiert wird. Dies wäre insbesondere bei einem grenzüberschreitenden Projekt denkbar, bei dem Schweizer Unternehmen aktiv im Projekt mitwirken und in die Schweiz rapportieren müssten.

In Absatz 3 werden dem Subventionsgesetz vom 5. Oktober 199096 (SuG) folgend auf gesetzlicher Ebene die wichtigsten Kriterien aufgeführt, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit eine Förderung überhaupt möglich ist. Hier ist insbesondere das Erfordernis eines positiven Effekts für einen nachhaltigen, sprich verkehrssicheren und flüssigen Verkehr (Bst. b) erwähnenswert.

Der Anteil der Förderung darf nach Absatz 4 höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Kosten ausmachen. Damit wird sichergestellt, dass die allfällige Empfängerin oder der allfällige Empfänger einer Finanzhilfe ein hohes Eigeninteresse und eine genügende Eigenleistung einbringen muss (vgl. auch Art. 7 SuG).

Absatz 5 legt fest, dass der Bundesrat in einer zu erarbeitenden Verordnung die weiteren Vorgaben festhalten wird, insbesondere die Anforderungen an das Gesuch, die anrechenbaren Kosten und die Kompetenz des ASTRA, in begründeten Fällen ein Gesuch um Verlängerung der Projektdauer zu bewilligen. In der Verordnung kann der Bundesrat auch die Voraussetzungen nach Absatz 3 und die der Empfängerin oder dem Empfänger der Finanzhilfe obliegenden Auskunftspflichten nach Artikel 15c SuG näher umschreiben.

Art. 106 Abs. 2bis Der Bundesrat soll ausdrücklich die Kompetenz erhalten, das ASTRA zu ermächtigen, in besonderen Fällen Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen seiner Bundesratsverordnungen zu bewilligen. Somit kann er dem ASTRA in seinen Verordnungen die Kompetenz einräumen, individuell-konkrete Anordnungen in Form einer Verfügung zu erlassen. In verschiedenen Verordnungen enthaltene Regelungen (z. B.

Art. 97 Abs. 1 VRV) erhalten damit eine Rechtsgrundlage, die den heutigen Ansprüchen entspricht.

Art. 106a

Völkerrechtliche Verträge

Abs. 1 Mit dem Fürstentum Liechtenstein hat der Bundesrat am 18. Juni 2015 bereits ein Abkommen abgeschlossen, das Gegenstände nach den Buchstaben a­f zum Inhalt hat.97 Es ist denkbar, dass die Schweiz auch mit anderen Staaten ähnliche Verträge

96 97

SR 616.1 Abkommen vom 18. Juni 2015 über den Strassenverkehr zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein, SR 0.741.531.951.4.

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abschliesst. Dabei muss sich der Bundesrat auf Gegenstände beschränken, für die ihm die Bundesversammlung die Kompetenz zur Rechtsetzung übertragen hat.

Bst. a Redaktionelle Anpassung.

Bst. b und c Der Bundesrat soll mit anderen Staaten Verträge über die An- und Aberkennung von Ausweisen der Fahrzeugführerinnen und -führer und von Fahrzeugen (z. B. KollektivFahrzeugausweise), die Anerkennung von Fähigkeitsausweisen, Weiterbildungen und Bewilligungen (Bst. b) sowie die Zulassung von Fahrzeugen (Bst. c) abschliessen können.

Das oben erwähnte Abkommen zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein regelt beispielsweise, dass Führer- und Lernfahrausweise, Fahrlehrerbewilligungen, Fähigkeitsausweise, Weiterbildungskurse usw. gegenseitig anerkannt werden.

Mit Nachbarstaaten wie beispielsweise Deutschland oder Italien kann der Bundesrat auf der Grundlage von Artikel 106a Absatz 1 auch Verträge über die gegenseitige Anerkennung von Kollektiv-Fahrzeugausweisen und damit der entsprechenden Kontrollschilder abschliessen. Dadurch kann vereinbart werden, dass schweizerische Kollektiv-Fahrzeugausweise im Ausland gleichermassen anerkannt werden, wie die Schweiz ausländische Kollektiv-Fahrzeugausweise bereits heute anerkennt. Das Abkommen zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein regelt weitere Zulassungsfragen, beispielsweise wenn der Standort eines durch eine Vertragspartei immatrikulierten Fahrzeugs in die andere Vertragspartei verlegt wird. Die diesbezügliche Zusammenarbeit soll der Bundesrat weiterhin regeln können.

Bst. d Redaktionelle Änderung. Der Inhalt von Artikel 106a Absatz 1 Buchstabe b in der geltenden Fassung wird in Buchstabe d überführt.

Bst. e Der Inhalt von Artikel 106a Absatz 4 und ein Teil von Artikel 106a Absatz 3 in der geltenden Fassung wird in Absatz 1 Buchstabe e überführt. Redaktionelle Anpassung durch Ersetzen des Begriffs «Nutzung» durch den Begriff «Beteiligung», der im Vertrag mit dem Fürstentum Liechtenstein verwendet wird. Zudem soll der Bundesrat mit anderen ausländischen Staaten Verträge über die Bekanntgabe von Daten aus dem IVZ abschliessen können.

Bst. f Ein Teil des Inhalts von Artikel 106a Absatz 3 in der geltenden Fassung wird in Absatz 1 Buchstabe f überführt.

Bst. g Der Inhalt von Artikel 106a Absatz 2 erster Satz in der geltenden Fassung wird in Absatz 1 Buchstabe g verschoben.

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Abs. 2 Um selbstständig völkerrechtliche Verträge abschliessen zu können, bedarf der Bundesrat einer expliziten Ermächtigung in einem Gesetz oder in einem von der Bundesversammlung genehmigten völkerrechtlichen Vertrag. Aufgrund der Entwicklung hin zu einer restriktiven Tragweite des RVOG bedarf es neu einer expliziten Ermächtigung im SVG (Art. 7a Abs. 1 RVOG), damit allfällige Anpassungen wie bisher vom Bundesrat beschlossen werden können.

Bst. g Die Kompetenz des Bundesrats, Änderungen des AETR zu genehmigen, soll in diese SVG-Bestimmung überführt und das Spezialgesetz vom 18. März 2016 aufgehoben werden. Neu soll der Bundesrat die Kompetenz haben, selber Änderungen des AETR vorzuschlagen, statt nur Änderungsvorschläge von Dritten genehmigen zu können (s. Ziff. 1.1.4).

Abs. 3 Aufgrund der geschehenen Entwicklung hin zu einer restriktiven Tragweite des RVOG und der verzettelten Rechtsgrundlagen bedarf es neu einer expliziten Ermächtigung im SVG, damit allfällige Anpassungen von Anhang 1 LVA wie bisher vom Bundesrat beschlossen werden können.

Im LVA sind für den grenzüberschreitenden Verkehr als höchstzulässige Gewichte und Höchstlängen die heute im SVG festgehaltenen Werte fixiert. Um den Interessen der Schweiz und den mit dem LVA verfolgten Zielen (koordinierte Verkehrspolitik, Berücksichtigung der Anliegen des Umweltschutzes) zu entsprechen, sollen die umweltrechtlich begründeten Ausnahmen von den höchstzulässigen Gewichten und Höchstlängen auch im grenzüberschreitenden Verkehr zur Anwendung gelangen.

Deshalb ist dem Bundesrat die Kompetenz einzuräumen, diesbezügliche Änderungen des massgebenden Anhangs 6 LVA zu genehmigen, soweit die Ausnahmen von den höchstzulässigen Gewichten und Höchstlängen zugunsten der Umwelt auf das für diese Massnahmen erforderliche Mehrgewicht oder die dafür erforderliche Zusatzlänge beschränkt sind.

Abs. 4 Eine entsprechende Kompetenzdelegation ist bereits heute in Artikel 106a Absatz 2 enthalten und ist im vorgesehenen Rahmen sinnvoll.

5.2

Bundesgesetz über die Ermächtigung des Bundesrates zur Genehmigung von Änderungen des Europäischen Übereinkommens vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals

Am 8. Oktober 1999 genehmigte die Bundesversammlung das AETR. Gleichzeitig ermächtigte sie den Bundesrat mittels Spezialgesetz, Änderungen des AETR zu genehmigen. Das Parlament erneuerte dieses Spezialgesetz am 18. März 2016. Vor dem 80 / 88

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Hintergrund der Vereinfachung des Bundesrechts scheint es nicht mehr opportun, ein eigenes Gesetz für diese Kompetenzdelegation aufrechtzuerhalten, es soll deshalb aufgehoben werden (s. Ziff. 1.1.4).

5.3

Ordnungsbussengesetz

Art. 7 Abs. 1 Die Bestimmung wird dahingehend geändert, dass juristische Personen ausdrücklich als Fahrzeughalterinnen genannt werden, denen die Ordnungsbusse auferlegt werden kann (s. Ziff. 1.1.4).

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Die rechtliche Umsetzung des automatisierten Fahrens stellt eine neue Daueraufgabe dar und erfordert beim UVEK (ASTRA) vier zusätzliche Vollzeitstellen. So müssen die materiellen Rechtsgrundlagen für das automatisierte Fahren erarbeitet und weiterentwickelt werden. Dies in Koordination mit den Betroffenen aus Forschung, Lehre und Praxis sowie den politischen Behörden. Intensiviert werden muss auch das Engagement auf internationaler Ebene, indem sich die Schweiz bei neuen internationalen Regelungsvorhaben und Gremien aktiv beteiligt und die Umsetzung abstimmt. Damit den Kantonen mit den neuen Aufgaben nicht ein wesentlicher zusätzlicher Aufwand anfällt, wird ihnen der Bund, wie in der Vernehmlassung gefordert, verschiedene Vollzugshilfen zur Verfügung stellen müssen. Schliesslich wird das ASTRA angesichts der relativierten Bedeutung der Typengenehmigung und der hohen Relevanz der nachträglichen Kontrollen bei Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem eine Marktüberwachung aufbauen und betreiben müssen. Dazu kommen jährlich 200 000 Franken Sachmittel für externe Dienstleistungen (u. a. 1­3 Gutachten zu spezifischen Fragestellung pro Jahr). Diese Aufwände werden innerhalb des Globalbudgets des ASTRA kompensiert.

Aufgrund der Förderbestimmung ergibt sich ein Finanzbedarf von rund 2 Millionen Franken pro Jahr. Der Aufwand wird ebenfalls innerhalb des ordentlichen Budgets des ASTRA kompensiert.

Motion 15.3574 Freysinger ­ Annullation des Führerausweises auf Probe: Zur Umsetzung der vorgeschlagenen Gesetzesänderung muss beim Bund das IVZ angepasst werden. Die dadurch entstehenden Kosten können über das ordentliche Budget des für das System zuständigen ASTRA finanziert werden. Die dafür benötigten personellen Ressourcen können mit dem bestehenden Personalbestand des ASTRA abgedeckt werden.

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Motion 13.3572 Hess ­ Ab- und Auflastung von Nutzfahrzeugen: Da die Anpassung der Gewichte für den Gesuchsteller mit administrativem Aufwand und Kosten verbunden ist, wird keine starke Zunahme der Mutationen erwartet. Die Neuregelung wird sich daher vermutlich nicht spürbar auf die Einnahmen aus der LSVA auswirken.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Gesetzesvorlage kann mit den bestehenden kantonalen Strukturen umgesetzt werden. Folgende Regelungen haben einen Mehr- oder Minderaufwand zur Folge: Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Die Vorlage hat keine wesentlichen Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden. Ein Mehraufwand gegenüber den bisherigen Immatrikulationen entsteht den kantonalen Behörden mit der Zulassung von führerlosen Fahrzeugen. Die Anzahl solcher Fahrzeuge dürfte in den folgenden Jahren aber sehr gering bleiben. Auch die Möglichkeit der Bewilligung von Versuchen im regionalen Rahmen kann zwar mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden sein. Die Mitwirkung der kantonalen Behörden und insbesondere der kantonalen Strassenverkehrsämter ist aber bereits heute im Rahmen der durch den Bund erteilten Bewilligungen erforderlich. Den Kantonen kommt zudem bei der eigenen Beurteilung von Gesuchen ein grosser Spielraum zu. Es bleibt ihnen überlassen, ob sie die Versuche bewilligen wollen oder nicht. In diesem Sinne entsteht für Kantone und Städte kaum ein unerwünschter Mehraufwand. Hingegen erhalten Städte und Gemeinden die Möglichkeit, neue Mobilitätsformen und -angebote zu erproben, um damit die Auswirkungen dieser neuen Technologien sowie die zukünftige Entwicklung des Verkehrs besser abschätzen und planen zu können oder diese Mobilitätsformen auf festgelegten Strecken bereits regulär zu betreiben. Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem verbunden sind, erweitert die Verkehrsangebote und kann sich positiv auf die Erschliessung von kleineren Gemeinden auswirken.

Motion 15.3574 Freysinger ­ Annullation des Führerausweises auf Probe: Zur Umsetzung der vorgeschlagenen Gesetzesänderung müssen die kantonalen Vollzugsbehörden ihre Informatiksysteme anpassen. Dadurch entstehen ihnen gesamtschweizerisch Kosten in der Höhe von schätzungsweise maximal 200 000 Franken.

Die Schätzung basiert auf Erfahrungen mit vergleichbaren Anpassungen. Zudem müssen die kantonalen Vollzugsbehörden ihr Personal in der Anwendung der neuen Regelung schulen.

Motion 13.3572 Hess ­ Ab- und Auflastung von Nutzfahrzeugen: Den für die Ab- und Auflastung von Motorfahrzeugen oder Anhängern zuständigen kantonalen Vollzugsbehörden entsteht ein zusätzlicher Aufwand. Dieser sollte nicht allzu gross sein, da die Fahrzeughalterinnen und -halter das Gesamtgewicht schon 82 / 88

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heute einmal pro Jahr anpassen dürfen. Der Mehraufwand kann durch Gebühren abgegolten werden.

Ausnahmen vom Verbot für Rundstreckenrennen: Für die Austragungsstandorte von zulässigen Rundstreckenrennen entsteht ein Mehraufwand (Bewilligungsverfahren).

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Die Regelung weist positive Auswirkungen auf die Volkswirtschaft auf. Mit der Förderung der digitalen Transformation im Verkehrsbereich werden der Wirtschaft neue, zukunftsorientierte Geschäftsfelder erschlossen. Mit der Möglichkeit der Bewilligung von Versuchen werden Innovationen in zukunftsträchtigen Bereichen gefördert und die Schweiz kann sich in diesem Sinne profilieren, wie schon die bisherigen Versuche zeigen.

Motion 13.3572 Hess ­ Ab- und Auflastung von Nutzfahrzeugen: Für Transporteure, die über die heutige Regelung hinaus von der Flexibilisierung profitieren können, wird die LSVA marginal sinken. Insbesondere können auch die die Folgen einer möglichen Mehrbelastung aufgrund der neuen Berechnungsgrundlagen für die LSVA betreffend Anhänger geschmälert werden. Die Transporteure tragen aber den administrativen Aufwand für die Beantragung der Ab- und Auflastung und die von den Strassenverkehrsämtern auferlegten Gebühren für die Bewilligung und den Eintrag im Fahrzeugausweis.

Ausnahmen vom Verbot für Rundstreckenrennen: Die Zulassung von Formel-E-Rennen wird den Forschungsstandort Schweiz im Bereich der Elektro-Mobilität fördern und dürfte positive touristische und wirtschaftliche Effekte haben.

6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Die Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem erweitern die Mobilitätsangebote und können insbesondere die Mobilität von Personen mit Einschränkungen erleichtern. Mit der Durchführung von Versuchen kann die Akzeptanz der Bevölkerung gesteigert werden, indem diese Technologie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Auf diese Art kann die Bevölkerung die Funktionsweise dieser Fahrzeuge besser verstehen, sich daran gewöhnen und Vertrauen aufbauen.

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Motion 15.3574 Freysinger ­ Annullation des Führerausweises auf Probe: Die Massnahmen bei Widerhandlungen von Inhaberinnen und Inhabern eines Führerausweises auf Probe während der Probezeit sollen verhältnismässiger ausgestaltet werden. Dies kann zu einer besseren Akzeptanz der Massnahmen führen.

Motion 17.3632 KVF-S ­ Anpassung von «Via sicura»: Mit der Anpassung der Rasermassnahmen sollen die Vollzugsbehörden und Gerichte bei Delikten nach Artikel 90 Absatz 3 E-SVG mehr Ermessensspielraum erhalten. Somit können sie die Umstände des Einzelfalls besser berücksichtigen und ungewollte Härten vermeiden. Gleich verhält es sich bei den Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherern dank der Umwandlung ihrer Rückgriffspflicht in ein Rückgriffsrecht. Dies kann zu einer besseren Akzeptanz der Massnahmen führen.

6.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem wirken sich positiv auf die Umwelt aus, indem sie eine defensive sowie effiziente Fahrweise aufweisen, tendenziell die Ausbreitung von Fahrzeugen mit Elektroantrieb fördern und Möglichkeiten für neue, nachhaltige und verkehrsträgerübergreifende Mobilitätsangebote mit optimierter Auslastung und effizienterem Einsatz der Fahrzeuge schaffen. Mit den von der vorliegenden Regelungskompetenz betroffenen Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem dürfte sich die Anzahl der Fahrten kaum wesentlich erhöhen, da diese nach wie vor eine Fahrzeugführerin oder einen Fahrzeugführer benötigen oder bloss auf festgelegten Strecken eingesetzt werden können.

Ausnahmen von den höchstzulässigen Gewichten und der Höchstlänge: Mit dieser Regelung sollen Fahrzeuge mit geringeren Emissionen gefördert werden.

Ausnahmen vom Verbot von Rundstreckenrennen: Das Zulassen von Formel-E-Rennen kann zu einem vermehrten Kauf von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen statt solcher mit Verbrennungsmotor und damit zu weniger Lärm und Schadstoffausstoss im Strassenverkehr führen.

6.6

Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit und den Verkehrsfluss

Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem: Die Einführung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem hat das Potenzial, einen Beitrag zur Verbesserung von Verkehrssicherheit und Verkehrsfluss zu leisten. Wesentliche Verbesserungen in diesen Bereichen sind aber erst mittelfristig zu erwarten, wenn die Technik aufgrund erster Einsätze auf öffentlichen Strassen weiterentwickelt ist und ein grosser Teil der Fahrzeuge im Strassenverkehr über ein 84 / 88

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hochentwickeltes Automatisierungssystem verfügt. In einer ersten Phase muss der Fokus demgegenüber darauf gelegt werden, dass das gegenwärtige Sicherheitsniveau beibehalten werden kann und keine negativen Auswirkungen auf den Verkehrsfluss auftreten. Das Potenzial in Bezug auf Verkehrssicherheit und -fluss wird sich noch optimaler entfalten können, wenn die Fahrzeuge nicht nur mit aktiviertem Automatisierungssystem verkehren, sondern auch weitgehend miteinander vernetzt sind.

Motion 15.3574 Freysinger ­ Annullation des Führerausweises auf Probe: Die Wirkung der Probezeit wird durch die Anpassung nicht beeinträchtigt und es sind keine negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit zu erwarten.

Motion 17.3632 KVF-S ­ Anpassung von «Via sicura»: Die Wirkung der Massnahmen wird durch deren Anpassung nicht wesentlich geschmälert. Eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit ist deshalb nicht zu erwarten.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 82 der Bundesverfassung (BV)98. Dieser gibt dem Bund die Kompetenz, Vorschriften über den Strassenverkehr zu erlassen. Die vorliegende Gesetzesrevision bewegt sich innerhalb des Rahmens dieser Bundeskompetenz.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Die Kompatibilität mit dem Recht der EU ist gewährleistet. Es besteht kein Widerspruch zu den bilateralen Verträgen der Schweiz und der EU (LVA und Abkommen vom 21. Juni 199999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen) und es werden keine technischen Handelshemmnisse geschaffen. Mit der vorgeschlagenen Regelung für Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem wird der von internationalen Staatsverträgen wie dem Übereinkommen über den Strassenverkehr eingeräumte Freiraum weitgehend ausgeschöpft. Mit der Delegation der Kompetenz zur Regelung der Befreiung der Fahrzeuglenkenden kann schneller auf Änderungen der internationalen Verträge reagiert werden und die Schweiz kann somit ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Verkehr zielgerecht wahrnehmen.

98 99

SR 101 SR 0.946.526.81

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7.3

Erlassform

Die Vorlage enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV und Artikel 22 Absatz 1 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002100 (ParlG) in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Der Erlass untersteht dem fakultativen Referendum.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden keine neuen Subventionsbestimmungen geschaffen, die wiederkehrende Subventionen von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

7.5

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Die neue Bestimmung «Finanzhilfen für neue Technologien» (Art. 105a E-SVG) ist subventionsgesetzeskonform und gleichzeitig offen gehalten, da die fachlichen Anforderungen dafür nach heutigem Kenntnisstand noch nicht umfassend bestimmt werden können. Dem SuG folgend werden hier auf gesetzlicher Ebene erste und entscheidende Kriterien aufgeführt, die erfüllt sein müssen, damit eine Förderung überhaupt möglich wäre. Auf der Grundlage dieser entscheidenden Eckpunkte werden die notwendigen Konkretisierungen auf Verordnungsstufe aufgestellt werden.

7.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Folgende Artikel des Entwurfs delegieren neue Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat:

100

­

Artikel 2 Absatz 2: Mit dieser Bestimmung soll dem Bundesrat eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die bereits heute auf Verordnungsstufe geregelten Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot eingeräumt werden.

­

Artikel 9 Absatz 2bis: Mit dieser Bestimmung soll dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt werden, zugunsten der Reduktion des CO2-Ausstosses von den höchstzulässigen Gewichten und der Höchstlänge abzuweichen, wobei sich die Ladekapazität dieser Fahrzeuge nicht erhöhen darf.

­

Artikel 25b­25d: Die Kompetenz zum Erlass von Regelungen im Zusammenhang mit der Zulassung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem und der Befreiung der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers von ihren Pflichten wird an den Bundesrat delegiert. Zur Begründung siehe Ziffer 4.1.2.

SR 171.10

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­

Artikel 57 Absatz 5 Buchstabe c: Dem Bundesrat wird die Kompetenz eingeräumt, für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre ein Velohelmtragpflicht einzuführen.

­

Artikel 99a: Der Bundesrat soll auf Verordnungsebene die « Fahrzeuge von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit» bestimmen, für die Straferleichterungen gelten. Unter «Fahrzeuge von geringer Motorkraft oder Geschwindigkeit» fallen sollen beispielsweise Motorfahrräder (z. B. langsame E-Bikes), Motorhandwagen, Motoreinachser oder Behindertenfahrstühle (vgl.

auch Art. 25 Abs. 1 Bst. a und Art. 89 Abs. 1 SVG). Zudem jene Trendfahrzeuge, die allenfalls künftig zum Verkehr zugelassen werden sollen. Diese Fahrzeuge haben eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h sowie eine Leistung von maximal 2,00 kW.

­

Artikel 106 Absatz 2bis: Der Bundesrat soll das ASTRA ermächtigen können, in besonderen Fällen Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen seiner Verordnungen zu bewilligen. Somit kann er dem ASTRA in seinen Verordnungen die Kompetenz einräumen, individuell-konkrete Verfügungen zu erlassen, beispielsweise zur Vermeidung von Härtefällen (s. Ziff. 4.1.4).

­

Artikel 106a: Nach Artikel 166 BV genehmigt die Bundesversammlung völkerrechtliche Verträge. Ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist. Die Delegation von Vertragsabschlusskompetenzen durch das vorliegende Gesetz ist somit verfassungskonform.

Nach Artikel 48a Absatz 1 RVOG kann der Bundesrat seine Zuständigkeit zum Abschluss, zur Änderung und zur Kündigung völkerrechtlicher Verträge von beschränkter Tragweite an ein Bundesamt übertragen. Der Bundesrat wird die Delegationen an das ASTRA in einer Verordnung festlegen. Da der Bundesrat nach Artikel 22 Absatz 3 ParlG die zuständigen Kommissionen der Bundesversammlung auf Verlangen vor dem Erlass der Verordnung konsultieren muss, sind die Rechte des Parlaments bei der Ermächtigung des Bundesrates zum Abschluss von Verträgen mit ausländischen Staaten vollumfänglich gewahrt.

7.7

Datenschutz

Für den Betrieb von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem wird die Aufzeichnung von gewissen Daten der Fahrzeugführerin oder des Fahrzeugführers in einem Fahrmodusspeicher verlangt. Wie dabei die datenschutzrechtlichen Anforderungen berücksichtigt werden, wird in den Ziffern 4.1.2 und 5 (Art. 25f und 25g) dargelegt.

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