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Schweizerisches Bundesblatt.

4l. Jahrgang. I.

Nr. 5.

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2. Februar

1889.

Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Frage, ob eine neue amtliche Ausgabe der eidgenössischen Gesetzessammlung zu veranstalten sei.

(Vom 25. Januar 1889.)

Tit.

Der Ständerath hat am 21. Juni 1888 folgende von den HH.

Ständeräthen Haberstich, Kellers berger, Loretan, Munzinger und Schmid gestellte Motion erheblich erklärt und uns zur Berichterstattung überwiesen : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, eine revidirte Ausgabe der eidgenössischen Gesetzessammlung mit Register, unter Weglassung der außer Kraft getretenen Gesetze und Verordnungen, zu veranstalten."

* Die durch diese Motion in Ihrer Mitte zur Sprache gebrachte Frage hat uns seit längerer Zeit schon beschäftigt.

Unser Departement des Innern legte uns in unserer Sitzung vom 20. Juni 1887 mehrere auf die offizielle Gesetzessammlung und das Bundesblatt sich beziehende Anträge des Bundeskanzlers vor, im Anschluß an welche wir das genannte Departement eingeladen haben, in Verbindung mit dem Justiz- und Polizeidepartement, die Frage zu prüfen, ob nicht eine neue Ausgabe der alten amtliehen Sammlung zu veranstalten wäre, welche nur das noch in Kraft Bestehende enthielte.

Bundesblatt. 41. Jahrg. Bd. I.

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226 Das Departement des Innern holte darüber das Gutachten des Bundeskanzlers ein.

Wir gestatten uns, den sehr einläßlichen Bericht des letztern, vom 2. Mai 1888 hier in extenso einzuschalten.

Derselbe lautet: ,,Mit Schreiben vom 27. Juni vorigen Jahres haben Sie mich eingeladen, die durch bundesräthliche Schlußnahme vom 20. gleichen Monats den Departementen des Innern und der Justiz und Polizei zur Prüfung überwiesene Frage zu begutachten, ob n i c h t e i n e n e u e A u s g a b e der alten a m t l i c h e n S a m m l u n g e n z n v e r a n s t a l t e n wäre, w e l c h e nur das in K r a f t Bestehende enthielte.

,,Ich beehre mich, dieser Aufforderung mit folgenden Auseinandersetzungen nachzukommen.

,,Die Frage selbst prasentirt sich mir unter drei Gesichtspunkten: 1. Ist die Veranstaltung einer solchen Ausgabe überhaupt wünschenswerth ?

2. Wenn ja, auf welche Gesetze und Gesetzessammlungen hat sich dieselbe auszudehnen?

3. Wie und durch wen ist die Sache an die Hand zu nehmen ?

^Ad i. Daß es bequemer ist, die Gesetzestexte, deren man, bedarf, in einem Nachschlagewerk von nur 5 Bänden zu finden, statt deren 10 konsultiren zu müssen, liegt auf der Hand. Zu der Zeitersparniß, welche mit dieser Kondensation des Stoffes gewonnen wird, kommt die Raumersparniß. Das Schreibpult des Beamten vermag die vielbändige Gesetzessammlung des Bundes kaum mehr zu fassen. Er wird genöthigt, sie theilweise von dort zu verbannen, auf^die Gefahr hin, demnächst gerade die Bände nachschlagen zu müssen, welche er auf solche Weise entfernt hat, oder aber dann sich der Bequemlichkeit zu begeben, andere Werke, die er ebenso oft zu konsultiren im B'alle ist, sofort bei der Hand zu haben.

,,Allerdings würde man den Nutzen der revidirten Ausgabe überschätzen, wenn man glaubte, durch dieselbe die alte Ausgabe entbehrlich machen zu können. Es wäre das selbst für den Fall nicht anzunehmen, wenn die revidirte Ausgabe durch eigentlich legislatorischen Akt in der Weise an die Stelle der alten träte, daß letztere expressis verbis außer Kraft gesetzt würde. Richter und Gesetzgeber, Anwalt und Beamter, vom Gelehrten (Professor, Geschichtsschreiber, Rechtshistoriker) ganz abgesehen, werden der

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alten Sammlungen nicht entrathen können. Nach wie vor werden diese ihre Bedeutung für die Interpretation des geltenden Rechtes behfllten. Oft kann, was der Gesetzgeber will, nur aus dem klar erkannt werden, was er nicht mehr will. So bielet der Text des aufgehobenen Gesetzes ein negatives Element der Interpretation, während das positive Element in dem Texte des neuen Gesetzes liegt, welches an die Stelle des alten getreten ist.

,,Immerhin mag zugegeben werden, daß die Nothwendigkeit, auf die alten Sammlungen zurückzugreifen, so sehr oft nicht eintreten wird. In der Regel wird der Wortlaut des neuen Erlasses nicht so unklar sein, dass er nicht ama sich selbst und ohne Zuratheziehung des früher gültigen Rechtes interpretirt werden könnte.

,,Ein Hauptgrund der Unbeliebtheit der ersten, die Jahre 1848--74 umfassenden 11 Bände der sogenannten neuen Sammlung liegt offenbar in der Mangelhaftigkeit der Register. Die nach Materien resp. Departementen geordnete Eintheilung dieser Register hat sich in keiner Weise bewährt. Sie erschwert das Auffinden eines beliebigen Erlasses in ganz merkwürdiger Weise. Die Organisation des Bnndesrathes und damit die Zuscheidung der Kompetenzen an die einzelnen Departemente desselben hat schon so viele Wandlungen durchgemacht, die zur Zeit gültige Organisation z. B. weicht von der für die Anordnung jener frühern Register maßgebenden so erheblich ab, daß es, mit einziger Ausnahme der Registraturbeamten, wohl für jedermann ein Ding der Unmöglichkeit ist, zu wissen, unter welcher Rubrik er einen gegebenen Erlaß zu suchen hat.

,,Allerdings hat die vom Bunde unterstützte Privatarbeit des Advokaten Hotz in Oberrieden, nämlich: das Verzeichniß der ganz oder theilweise in Kraft stehenden, in die eidgenössischen amtlichen Sammlungen aufgenommenen Bundesgesetze und Verordnungen -- diesen Mängeln einigermaßen abgeholfen. Abgesehen davon, daß sie, neben einem chronologischen Verzeichniß und einem (nach Departementen geordneten) Materienregister, auch ein alphabetisches Register bringt, enthält sie die Aufzählung der jetzt noch gültigen Bestimmungen in wünschenswerter Vollständigkeit. Man kann sich an der Hand derselben in unserer, inklusive der ältesten Sammlung nun schon 23 Bände zählenden, Gesetzessammlung leicht und sicher orientiren. Mich wenigstens hat sie noch nie im Stich gelassen.
Immerhin handelt es sich, wie gesagt, um eine bloße Privatarbeit, und dieser Umstand mag mit Schuld daran sein, daß das Büchlein, dem die weiteste Verbreitung zu wünschen wäre, vielerorts noch unbekannt ist. Es kann das freilich nicht auffallen, wenn mau weiß, wie Leute, bei denen man sich dessen am allerwenigsten versehen sollte, heute, d. h. nach Erscheinen, des 9. Bandes der ,,Neuen Folge",

228 darüber noch nicht im Klaren sind, daß jeder Banrl das alphabetische Gesammtvegister sämmtlicher frühern Bände mit enthält. Diese ziemlich weit verbreitete Unbeholfenheit im Gebrauche der Register wird ein Unternehmen, welches das Nachschlagen wesentlich erleichtert, jedenfalls mit Freude begrüßen lassen.

,,Uebrigens beweist schon der Umstand, daß die Frage der Revision nicht nur im Schöße des Bundesralhes, sondern früher schon im Schöße des Nationalrathes angeregt worden ist, die Wünschbarkeit derselben. Denn als wünschenswerth muß doch angesehen werden, was von verschiedenen Seiten gewünscht wird.

,,Ad 2. Den U m f a n g der Revision betreffend, so spricht die bundesräthliche Schlußnahme nur von den alten amtlichen Sammlungen.

,,Darunter ist zu verstehen: 1) die in 3 Quartbänden bei Orell, Füssli & Cie. erschienene, bis Ende -1848 reichende ,,Offizielle Sammlung"; 2) die ,,Neue Offizielle Sammlung*, sog. ,,Alte Folge", die gesetzgeberischen Erlasse von 1848 bis Anfang 1874 umfassend.

,,Natürlich findet sich des Veralteten in diesen zwei Sammlungen am meisten. Allein ich würde mich auf eine Revision bloß dieser nicht beschränken. Wir leben im Zeitalter des Dampfes, und auch unsere Gesetzgebungsmaschine arbeitet mit Dampfkraft.

Trotz des Hemmschuh's des Referendums, welches seit der 74er Verfassung nicht weniger als 13 gesetzgeberische Erlasse verworfen und damit, abgesehen von der nächsten direkten Wirkung, die gesetzgeberische Thätigkeit in den betreffenden Materien auf Jahre hinaus lahmgelegt hat, wird das Jahr 1888 den 10. Band der Neuen Offiziellen Sammlung, Neue Folge, voll machen, woraus sich ergibt, daß in den letzten 15 Jahren annähernd so viel legiferirt und reglementirt wurde, als früher in 26. Mit dieser Fruchtbarkeit wächst natürlich auch die Proportion des sich Ueberlebenden.

Eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, die zu Anfang dieser, von Einführung der 74er Verfassung datirenden, Gesetzgebungsperiode erlassen wurden, sind bereits durch neue verdrängt, oder sollen demnächst durch neue verdrängt werden, die an ihre Stelle zu treten hätten. Ich erinnere an das Fischereigesetz, das Auswanderungsgesetz, die Zolltarifgesetze. Die Vollziehungsverordnung zum Viehseuchengesetz vom 17. Dezember 1886 ist bereits im Oktober 1887 durch eine neue ersetzt worden. In der Alkohol frage vollends findet fortwährender Wandel statt. Man kann wohl,

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ohne sich einer Uebertreibung schuldig zu machen, die Behauptung aufstellen, daß von den Erlassen seit 1874, die den Inhalt der ,,Neuen Folge" bilden, Ende laufenden Jahres reichlich ein Dritttheil aufgehoben und neu ersetzt, also antiquirt sein wird.

,,Unter solchen Umständen schiene es mir geboten, gleich auch die neue Folge, erste Dekade, in den Kreis der Revision zu ziehen, zumal vorauszusehen ist, daß bis Ende laufenden Jahres die Alkoholfrage wenigstens einigermaßen zur Ruhe gekommen sein, resp. ihren gesetzgeberischen Abschluß gefunden haben wird, somit anzunehmen sein dürfte, daß man trotz dieser Erweiterung des Programms etwas schafft, was einige Gewähr der Dauer in sich trägt.

"Ad 3. Das W i e ? der Anhandnahme der Revision hängt zunächst von dem Zwecke ab, den man dabei verfolgt.

,,Der Rechtsregel , daß das spätere Gesetz dem frühern derogire, wird nämlich vom Gesetzgeber, und auch vom Bundesrathe, wenn er durch Erlaß von Vollziehungsverordnungen und Keglernenten legislatorische Funktionen ausübt, in sehr verschiedener Weise Ausdruck gegeben : ,,I. Es werden einzelne bestimmt genannte frühere gesetzgeberische Erlasse oder einzelne bestimmt genannte Abschnitte und Artikel derselben expressis verbis außer Kraft gesetzt.

,,Beispiele: ,,a. Bundesgesetz über Bau und Betrieb der Eisenbahnen, vom 23. Dezember 1872 (Amtl. Sammlung a. F. XI, S. l u. ff.); ,,b. Bundesgesetz über Maß und Gewicht, vom 3. Juli 1875 (Amtl. Samml. n. F. I, 8. 752 u. ff.); ,,c. Verordnung über die Militärtransporte auf Eisenbahnen (Amtl. Samml. n. F. I, S. 229 u. ff.); ,,d. Reglement für die schweizerischen Konsularbeamten (Amtl. Samml. n. F. I, S. 528 u. ff.).

,,II. Es geschieht dies, und gleichzeitig wird die salvatorische Klausel aufgenommen : ,,daß im Fernern alle mit dem neuen Erlaß im Widerspruch stehenden Bestimmungen aufgehoben seien, ,,und zwar oft mit dem ausdrücklichen Beisafze, daß unter den aufgehobenen Bestimmungen neben den eidgenössischen auch die kantonalen zu verstehen seieu.

230 ,,Beispiele: ,,a. Gesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 27. Juni 1874 (Amtl. Samml. n. F. I, 8.136 u. ff.); ,,b. Militärorganisation vom 15. November 1874 (Amtliche Sammlung n. F. I, S. 257 u. ff.).

,,III. Es geschieht das Letztere einzig und allein, d. h. es wird ganz allgemein gesagt, daß alle mit dem neuen Erlaß im Widerspruch stehenden Bestimmungen aufgehoben seien.

,,Beispiele: ,,a. Bundesgesetz betreffend den Transport auf Bisenbahnen, vom 20. März 1875 (Amtl. Samml. n. F. I, S. 682 u. ff.) ; ,,b. Bundesgesetz über Haftpflicht der Bisenbahn- und Dampfschifffahrtsunternehmungen, vom 1. Juli 1875 (Amtl. Samml. n. F. I, S. 787 u. ff.).

,,IV. Es wird endlich in dieser Richtung gar nichts gesagt.

,,Beispiel: ,,Bundesgesetz über Liquidation und Verpfändung von Bisenbahnen, vom 24. Juni 1874 (Amtl. Sanimi, n. F. I, S. 121 u. f f ) .

,,Im Falle von I und II, zumal im ersteren, ist die Aufgabe der Revision eine relativ leichte. Was expressis verbis aufgehoben ist, gehört a priori nicht in die revidirte Sammlung, [m Falle I ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber das zur Zeit bestehende Recht, abgesehen von den durch ihn ausdrücklich namhaft gemachten Bestimmungen, habe schonen wollen, weßhalb der Aufnahme früherer, wenn auch mit der Materie des neuen Erlasses verwandter, Erlasse nichts entgegensteht; und auch im Falle II wird die Arbeit durch den vom Gesetzgeber selbst aufgestellten Katalog des Antiquirten wesentlich erleichtert.

,,Erheblich schwieriger wird die Aufgabe der Revision in den Fällen III und IV. Die Frage, welche Bestimmungen früherer Erlasse durch den neuesten Erlaß aufgehoben seien, ist eine oft außerordentlich heikle; ihre richtige Lösung setzt umfassende Studien, eine eigentliche Versenkung in Sinn und Geist der Gesetzgebung voraus. Und selbst beim Vorhandensein dieser Voraussetzungen in der Persönlichkeit des Redaktors, resp. den Persönlichkeiten des zur endgültigen Redaktion berufenen Kollegiums ist es denkbar, daß da und dort ein Versehen mit unterläuft, daß da und dort eine frühere Bestimmung weggelassen wird, die nicht aufgehoben, weil mit dem neuen Rechte nicht im Widerspruch ist, oder aber stehen bleibt, obgleich sie aufgehoben, weil mit dem neuen Recht im Widerspruch ist.

231 ,,Solche Zweifel zu heben, dazu gehört aber nicht nur m o r a u s c h e , sondern dazu gehört l e g a l e Autorität, mit anderen Worten: die gesetzgeberische Sanktion.

,,Eine Revision, wenn auch vom Bundesrathe angeordnet, einem seiner Dikasterien übertragen, unter Zuziehung eines Expertenkollegiums zu Ende geführt und in letzter Linie von ihm genehmigt, würde immerhin nur für von ihm selbst ausgegangene Erlasse (Verordnungen, Réglemente, Instruktionen) bindende Autorität beanspruchen können ; damit sie diese auch für Gesetze, Bundesbeschlüsse, Verträge u. s. w., d. h. für Erlasse der eigentlichen Legislative, erhielte, wäre die Sanktion des gesetzgebenden Körpers nöthig, und zwar müßte diese Sanktion expressis verbis in dem Sinne ertheilt werden, daß durch die neue Sammlung alle frühem Sammlungen außer Kraft gesetzt seien.

,,In dieser Weise ist z. B. der bernische Große Rath in seiner Promulgationsverordnung zur neuen revidirten Gesetzessammlung vorgegangen (17. Dezember 1862), während der aargauische Große Rath seiner Sanktion der Revision der Gesetzesbände I--IV die Bemerkung beifügen ließ, daß durch Nichtaufnahme von in den bisherigen Gesetzesbänden enthaltenen Gesetzen und Verordnungen etc. in den neuen Gesetzesband keinerlei Präjudiz dafür ausgesprochen sein solle, daß diese nicht reproduzirten Theile ihre Rechtsverbindlichkeit verloren hätten (9. Juni 1882).

,,Hiernach muß man sagen : die bernische revidirte Sammlunghat legale, die aargauische bloß moralische Autorität.

,,Die Gründe, welche den aargauischen Großen Rath veranlaßten, ein solches Sicherheitsventil anzubringen, sind mir nicht bekannt. Indessen ist vorauszusetzen, daß diese Vorsichtsmaßregel mit den dortseitigen Anschauungen über die Bedeutung des Referendums zusammenhängt. Man wird raisonnirt haben, so wenig die vollziehende Behörde gesetzgeberische Erlasse des Großen Rathes außer Kraft zu setzen vermöge, ebenso wenig stehe ein solches Recht dem Großen Rathe gegenüber Erlassen zu, welche die Sanktion des Volkes erhalten hätten.

,,Sei dem übrigens wie ihm wolle, so muß von einem Vorgehen in diesem Sinne aus praktischen Gründen abgerathen werden.

Wenn man etwas wahrhaft Nützliches schaffen will , so hat man dafür zu sorgen, daß dem Geschaffenen mehr als bloß moralische Autorität innewohne. Es geht nicht wohl an, dem
Bürger eine Gesetzessammlung in die Hand zu geben, von der er schließlich, da die frühere nicht außer Kraft gesetzt ist, doch nie wissen kann, wie weit sie a u s s c h l i e ß l i c h , wie weit n e b e n ihr noch anderes Recht gilt.

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,,Von selbst versteht sich nun aber, daß, wenn man im Sinne des bernischen Gesetzgebers vorgehen, wenn man der revidirten Sammlung legale Autorität verleihen, sie in der That und Wahrheit an die Stelle der frühem Sammlungen setzen, die beiden Sammlungen nicht mit und neben einander fortbestehen lassen will, mit weit größerer Sorgfalt zu Werke gegangen werden muß, als wenn man bloß ein etwas handlicheres Nachschlagebuch im Auge hat.

,,Ein solches zusammenzustellen könnte einem gewissenhaften Kompilator überlassen werden, der absolut keiner höhern wissenschaftlichen Bildung bedürfte. Es würde genügen, ihn anzuweisen, in die revidirte Sammlung Alles aufzunehmen, was nicht expressis verbis außer Kraft gesetzt sei. Ein fleißiger Kanzlist könnte dos ganz gut allein besorgen.

,,Anders, wenn man in ersterem Sinne vorgehen will.

,,Hier bedarf es der tüchtigen und nachhaltigen Arbeit gebildeter Juristen. Man wird sich der Anstellung eines besondern Redaktors und der gründlichen Vorprüfung durch das hiezu vorab berufene Justizdepartement, welches je nach Urnständen noch ein Expertenkollegium einzuberufen hätte, nicht entschlagen können.

In zweiter Linie käme die Prüfung der Vorlage durch den Bundesrath; endlich die Sanktion der gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft.

,,Daß der Redaktor seinerseits in kontroversen Fragen an die Departemente des Bundesrathes sich zu wenden hätte, um sieh bei ihnen über die Anwendbarkeit gewisser in ihren Geschäftskreis einschlagender Bestimmungen Raths zu erholen, versteht sich von selbst.

,,Man möchte versucht sein, hiebei an die Mitwirkung des Kanzlers zu denken, welcher nach Mitgabe des Bundesbeschlusses über die Organisation und den Geschäftsgang des Bundesrathes die Herausgabe der Bundesgesetze, Verordnungen und Beschlüsse der eidgenössischen Behörden zu besorgen hat.

,,Allein diese Thätigkeit ist doch eine mehr nur f o r m a l e , und der Kanzler ist vermöge der Natur derselben bei Weitem nicht in dem Maße geeignet, über die Frage der Anwendbarkeit früherer Erlasse und des Umfanges dieser Anwendbarkeit so sichere Auskunft zu ertheilen, wie die Departemente des Bundesrathes, welche die Gesetze und Verordnungeil des Bundes tagtäglich anzuwenden und damit auf ihre Gültigkeit zu prüfen berufen sind. Es gilt dies namentlich auch mit Bezug auf solche Erlasse, die zwar

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weder expressis verbis, noch implicite -- durch spätere widersprechende Bestimmungen -- aufgehoben worden, wohl aber aus andern Gründen außer Anwendung gekommen sind. Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements hat, wie ich mich erinnere, derartige in desuetudinem gekommene Erlasse in der Buadesrathssitzung vom 20. Juni vorigen Jahres citirt.

.;1Was die bei A n o r d n u ng der revidirten Ausgabe zu befolgende Methode betrifft, so wäre meines Erachtens die chronologische der pragmatischen, d. h. materienweisen, entschieden vorzuziehen, in dem Sinne immerhin, daß bei den frühesten eine bestimmte Materie regelnden Erlassen schon auf alle späteren sie rnodih'zireudeo Erlasse hingewiesen würde. Eigentliche Codifikationen, sowie alle Beschlüsse von blos vorübergehender BedeutungWaren wegzulassen. Konkordate und Verträge wären in eine besondere Abtheilung zu verweisen.

,,Die K o s t e n f r a g e endlich betreffend, so wird ein besonderer Kredit zu erwirken sein. Die Kosten sind nicht gering zu veranschlagen. Abgesehen von denjenigen der Redaktion, werden sich die Druckkosten auf eine erhebliche Summe beziffern.

,,Gegenwärtig erscheint die Gesetzessammlung als Beilage zum Bundesblatt in 2500 deutschen und 1500 französischen Exemplaren; darUher hinaus werden noch 750 deutsche und 200 französische Exemplare separat gedruckt. Will man nun von der revidirten Ausgabe nur so viel Exemplare erstellen, als zur Zeit mit dem Bundesblatt versandt werden, d. h. 2500 deutsehe und 1500 französische, und nimmt man an, daß der gegenwärtig in 23, bis Ende 1888 in 24 Bänden enthaltene Stoff sich in 10 Bauden von 50 bis 60 Bogen kondensiren läßt, so haben wir immerhin eine Zahl von 40,000 Bänden, deren Erstellungsko'steo sich auf wenigstens 60,000 Franken belaufen dürften, von einer italienischen Ausgabe vorerst gar nicht zu sprechen. Allerdings würde der Druck einen längern Zeitraum in Anspruch nehmen und sich vielleicht auf 2 - 3 Jahre vertheilen lassen; immerhin leuchtet ein, daß die Bundeskanzlei denselben so wenig wie ein Departement auf ihr ordentliches Budget nehmen könnte.

,,Indem ich noch zwei Druckschriften (Auszug aus dein Protokoll der Kommission für die Revision der hernischen Gesetze etc., vom 19. November 1861, und Beschluß des aargauischen Großen Käthes über Revision und Herausgabe der Gesetzessammlung
etc., vom 17. November 1876) beilege, denen zu entnehmen ist, wie die hier erörterte Frage von den bernischen und von den aargauischen Behörden an die Hand genommen wurde, und von deneu narnent-

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lieh die erstere mehrfache werthvolle Fingerzeige enthält, fasse ich meine Auseinandersetzungen dahin zusammen, daß ich sage: 1. Die Veranstaltung einer revidirten Ausgabe der amtlichen Gesetzessammlung, welche nur das noch in Kraft Bestehende enthielte, erscheint wünschenswerth.

2. Sie wäre auch auf die neue Folge (seit 1874) auszudehnen.

3. Sie wäre in angedeutetem Sinne dem Justiz- und Polizeidepartement zu übertragen.tl Unser Justiz- und Polizeidepartement hat sich hierauf in einem Vortrage vom 21. Januar 1889 über die Frage folgendermaßen vernehmen lassen : ,,Unseres Erachtens steht die Wiinschbarkeit der Herstellung einer neuen, nur das in Kraft Bestehende enthaltenden eidgenössischen Gesetzessammlung außer Frage; sie wird von Jedermann erkannt.

,,Hinsichtlich des Charakters, der einer solchen Sammlung zu verleihen ist, sprechen wir uns in Uebereinstimmung mit dem Kanzler für denjenigen legaler, nicht bloß moralischer, Autorität, also für das im Kanton Bern im Jahre 1862 befolgte System der legislativen Sanktion der Sammlung aus. Das Publikum verlangt absolute Sicherheit, wenn es eine Gesetzessammlung zur Hand nimmt, es will darin das geltende Rech t, nicht Meinungen über dasselbe finden, es wünscht -- um uns biblisch auszudrücken -- Brod (Gewißheit), nicht Steine (Prozesse). Diesem Bedürfnisse kann nur eine mit Legalcharakter ausgestattete Sammlung genügen.

,,In Bezug auf die Methode der Anordnung des Stoffes können wir ebenfalls unser Einverständnis mit der Ansicht des Kanzlers erklären, welcher der chronologischen vor der pragmatischen (nach Materien geordneten) Eintheilung des Stoffes den Vorzug gibt. Auch allem dem, was im Berichte des Herrn Kanzlers über die Schwierigkeiten der Arbeit u. s. vv. gesagt wird, stimmen wir vollkommen bei.

,,Trotzdem möchten wir gegenwärtig Ihnen nicht beantragen, die Anträge des Herrn Kanzlers zum Beschlüsse Ihrer Behörde zu erheben, bzw. im Sinne derselben einen Bundesbeschluß der gesetzgebenden Räthe zu veranlassen.

Unser Standpunkt ist folgender : Es erscheint gerade jetzt als Privatarbeit des Hrn. Dr. jur. P. Wolf, Advokat, in Basel, eine nach Materien geordnete Sammlung der Gesetze, Beschlüsse. Verordnungen und Staatsverträge der schweizerischen Eidgenossenschaft, sowie der Konkordate. Nach der im Dezember letzten Jahres veröffentlichten ersten Lieferung zu schließen,

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haben wir es hier mit einer Unternehmung zu thun, die vollen Anspruch auf Beachtung hat.

,,Wir sind nun der Ansicht, daß es einer mit der Herstellung einer amtlichen chronologischen Sammlung zu betrauenden Stelle zu Statten kommen werde, die Wolfsche Ausgabe wie diejenige von Hotz als schätzbare Vorarbeiten zur Hand zu haben.

Aus dem angeführten Grunde würden wir unsei'erseits es für angezeigt erachten, mit der Herausgabe einer neuen Amtlichen Sammlung noch einige Zeit -- voraussichtlich nicht länger als il/2--2 Jahre -- zuzuwarten."

Wir schließen uns der Anschauung des Justiz- und Polizeidepartements an und beantragen Ihnen daher, der durch die Motion Haberstich und Genossen angeregten Frage, unter Genehmigung unseres Berichtes, d e r m a l e n keine weitere Folge zu geben.

Empfangen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 25. Januar 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von Johann Bucher und dessen Ehefrau Maria, geb. Christen, von Escholzmatt, in Littau, (Kt. Luzern), betreffend Entzug der Niederlassung.

(Vom 17. Dezember 1888.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e sr ath hat in Sachen des Rekurses von J o h a n n B u c h e r und dessen Ehefrau Maria, geb. Christen, von Escholzmatt, wohnhaft im Reußthal zu Littau, Kantons Luzern, gegen einen Beschluß des Regierungsrathes des Kantons Luzern vom 21. September 1888 betreifend Entzug der Niederlassung; auf den Berieht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger SachVerhältnisse: I. Der Gemeinderath von Littau verfugte im Juli 1. J. die Wegweisung der Bheleute Bucher aus der Gemeinde, gestützt auf die Thatsache der kriminellen und korrektionellen Bestrafung des Ehemannes und weil letzterm durch strafgerichtliches Urtheil die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen worden waren. Eine gegen diese Verfügung bei dem luzernischen Regierungsrathe eingelegte Rekursbeschwerde, d. d. 14. September, wurde mit Beschluß dieser Behörde vom 21. gleichen Monats als unbegründet abgewiesen.

II. In einem Rekursmemorial vom 10. Oktober gelangte Johann Bucher für sieh und Namens seiner Ehefrau an den Bundes

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Frage, ob eine neue amtliche Ausgabe der eidgenössischen Gesetzessammlung zu veranstalten sei. (Vom 25.

Januar 1889.)

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02.02.1889

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