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Schweizerisches Bundesblatt.

4l. Jahrgang. !..

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Nr. 7.

16. Februar

1889.

Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs von Josef Leibacher, von Oberrüti (Aargau), in Luzern, und dessen Ehefrau Philomena geb. Bachmann, gegen einen Beschluß der Regierung des Kts.

Luzern vom 14. Dezember 1888, betreffend Entzug der Niederlassung.

(Vom 25. Januar 1889.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e sr ath hat in Sachen des Rekurses von J o s e f L e i b a c h e r , von Oberrüti (Aargau), in Luzern, und dessen Ehefrau Philomena geb.

Bachmann, gegen einen Beschluß der Regierung des Kantons Luzern vom 14. Dezember 1888, betreffend Entzug der Niederlassung; auf den Bericht des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: I. Josef Leibacher wurde vom Bezirksgericht Muri den 24. Dezember 1881 wegen Unsittlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und vom Bezirksgericht Luzern den 26. Oktober 1888 wegen Vorschubleistung zur Unzucht zu einer Gefängnißstrafe von 14 Tagen verurtheilt.

Dessen Ehefrau Philomena geb. Bachmann ist von den luzernischen Strafgerichtsbehörden vier Mal wegen Vergehen gegen die Sittlichkeit bestraft worden, und zwar vom Statthalteramt Luzern den 2. August 1879 wegen Unzucht mit acht Tilgen Gefängniß, den 1. September 1882 wegen gewerbsmäßiger Unzucht mit vierzehn Tagen Gefängniß und den 21. Juni 1886 wegen gleichem Vergehen im 1. Rückfalle mit vierzehn Tagen Gefängniß; vom Bezirksgericht Luzern den 26. Oktober 1888 wegen gewerbsmäßiger Unzucht im 2. Rückfalle mit einem Monat Arbeitshaus.

Bundesblatt. 41. Jahrg. Bd. I.

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322 Auf Grund dieser Bestrafungen sind die Genannten vom Stadtrath von Luzern mit Erkenntniß vom 15./22. November 1888 aus der Gemeinde Luzern ausgewiesen worden Gegen diesen Ausweisungsbeschluß legten sie am 12. Dezember 18ö8 bei dem Re~ gierungsrathe des Kantons Luzern Beschwerde ein ; der Regierungsrath hat jedoch durch Entscheid vom 14. Dezember gleichen Jahres die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Mit Eingabe vom 5. Januar 1889 rekurrirt Herr Fürsprecher J. Haid in Luzern Namens der Elieleute Leihacher gegen, den vorerwähnten Entscheid und verlangt die Aufhebung des Ausweisungserkenntnisses.

Zur Begründung des Rekurses wird im Wesentlichen ange bracht: Die angeführten Strafurtheile werden nicht in Abrede gesteht, dagegen bezweifelt der Anwalt der Rekurrenteu, daß seine Klienten sich der Vergehen schuldig gemacht haben, deren sie durch die Gerichte schuldig erklärt worden sind. Hauptsächlich aber bestreitet er, daß die Vergehen als ,, s c h w e r e a im Sinne des Art. 45 der Bundesverfassung zu betrachten seien. Er wirft vor Allem die Frage auf, was sind überhaupt s c h w e r e Vergehen?

In Beantwortung derselben verweist er dann auf die Verschiedenheit der Beurtheilung in den verschiedenen Staaten und stellt fest, daß im einen Staate leichte Vergehen zu den schweren uud im ändern schwere zu den leichten gerechnet weiden. So bestrafe sogar der eine Staat die Unzuchtsvergehen gar nicht, der andere nur leicht. Er hält die den Rekun-enten zur Lust fallenden Vergehen keineswegs für geeignet, die. Ausweisungsmaßregel zu be gründen. Schließlich machen die Rekui-renten uoch geltend, daß.

das Ausweisungserkenntniß eine Verletzung der Bundesverfassung, d. h. des darin festgesetzten Grundsatzes, daß alle Bürger vor dem Gesetze gleich seien, involvire. Die Ausweisung sei rein willkür^ lieh ; denn es werden durchaus nicht alle vorbestraften Personen, wie die Rekurrenten, ausgewiesen.

III. In ihrer Vernehmlassung vom 14. Januar 1889 beantragt die Regierung des Kantons Luzern die Abweisung des Rekurses, indem ihre Ausweisungsverfügung gegenüber beiden Kekurrenlen begründet sei. Sie stellt zunächst fest, daß Sittlichkeitsvergehen, welche Freiheitsstrafen von vierzehn Tagen und 3 Monaten zur Folge haben, als schwere Vergehen im Sinne des Art. 45 der Bundesverfassung ungesehen werden, die Praxis
der Bundesbehördenlasse in dieser Beziehung keinen Zweifel aufkommen. Ferner hebt sie hervor, daß Seitens der Bundesbehörden schon oft entschieden wurde, daß, wenn der Entzug der Niederlassung dem Ehemann

323 gegenüber begründet sei, auch die Ehefrau fortgewiesen werden, und umgekehrt, daß die Ausweisung der Ehefrau auch diejenige des Ehemannes zur Folge haben köone. Es wäre daher am getroffenen Entscheide, den beiden Rekurrenten gegenüber, festzuhalten, auch wenn Frau Leibacher nicht wiederholt wegen schweren Vergehen bestraft worden wäre. Frau Leibacher sei aber schon vier Male wegen Unzucht und gewerbsmäßiger Unzucht zu Freiheitsstrafen verurtheilt worden und könnte daher derselben die Niederlassung, auch abgesehen von ihrer Zugehörigkeit zur Familie des Josef Leibacher, entzogen werden. Auf die weitern Ausführungen der Rekurrenten lasse sie sich nicht ein; in E r w ä g u n g : 1) Der Bundesrath nimmt, wie er schon wiederholt erklärt hat, zum Maßstabe seiner Beurtheilung, ob ein Vergehen als ein schweres im Sinne des Art. 45 der Bundesverfassung zu betrachten sei, nicht die in den Strafgesetzbüchern vorgesehenen Unterscheidungen, und er behält sich auch gegenüber der durch die gerichtliche Strafsentenz ausgesprochenen Anschauung die selbständige Würdigung des einzelnen Falles vor, wobei die für die öffentliche Sicherheit und Sittlichkeit zu Tage tretende Gefahr jeweilen ganz besonders in Berücksichtigung fallen muß ; 2") Von diesem Standpunkte aus kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Vergehen gegen die Sittlichkeit, deren sich die beiden Rekurrenten schuldig gemacht haben, zu den schweren gehören und der Entzug der Niederlassung deßhalb die Eheleute Leibacher mit vollem Rechte getroffen hat ; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Entscheid ist der Regierung des Kantons Luzern, sowie zu Händen der Rekurrenten dem Herrn Fürsprecher J. Haid in Luzern, unter Aktenrückschluß, schriltlich zuzufertigen.

B e r n , den 25. Januar 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes : Der Bundespräsident: Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluss über den Rekurs von Josef Leibacher, von Oberrüti (Aargau), in Luzern, und dessen Ehefrau Philomena geb. Bachmann, gegen einen Beschluß der Regierung des Kts. Luzern vom 14. Dezember 1888, betreffend Entzug der Niederlassung.

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16.02.1889

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321-323

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