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20.437 / 20.438 Parlamentarische Initiativen Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessern / Nutzung der Notrechtskompetenzen und Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts in Krisensituationen Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 27. Januar 2022

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen Entwürfe zu einer Änderung des Parlamentsgesetzes, der Parlamentsverwaltungsverordnung und des Geschäftsreglements des Nationalrates. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, den beiliegenden Entwürfen zuzustimmen.

27. Januar 2022

Im Namen der Kommission Der Präsident: Marco Romano

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Übersicht Die Pandemie der Jahre 2020 und 2021 hat die Schweizerische Bundesversammlung vor grosse Herausforderungen gestellt. Zum einen musste das Parlament Vorkehrungen treffen, damit seine Mitglieder möglichst geschützt vor Ansteckungen tagen können. Zum anderen musste es darauf achten, dass es sich als oberste Gewalt im Bunde adäquat in den Entscheidungsprozess einbringen konnte, auch wenn gestützt auf das Epidemiengesetz und auf verfassungsmässige Rechte viele Kompetenzen beim Bundesrat lagen.

Die dritte Woche der Frühjahrssession 2020 wurde aufgrund der rapid steigenden Zahl infizierter Personen, welche auf eine hohe Ansteckungsgefahr hinwiesen, nicht mehr durchgeführt.

Nach dem Abbruch der Frühjahrssession 2020 stellten sich viele offene Fragen im Zusammenhang mit dem neuartigen Virus und die Unklarheiten im Umgang damit waren gross. U.a. mussten zuerst geeignete Sitzungszimmer gefunden werden, in welchen die Abhaltung von Kommissionssitzungen unter Einhaltung der geforderten Abstände zwischen den Mitgliedern möglich war. Die parlamentarischen Kommissionen konnten somit ihre Arbeiten nur sukzessive und in reduziertem Ausmass wiederaufnehmen.

Ziel dieser Vorlage ist es deshalb, die Handlungsfähigkeit der Bundesversammlung in Krisenzeiten zu verbessern: Die Räte und die weiteren Organe des Parlamentes sollen rasch einberufen werden können und das parlamentarische Instrumentarium soll so flexibilisiert werden, dass es in Krisenzeiten zielgerecht eingesetzt werden kann.

Mit dieser Vorlage sollen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Bundesversammlung und ihre Organe ihre Kompetenzen auch unter widrigen Umständen in jedem Fall ausüben können. Notfalls sind Sitzungen auch virtuell durchzuführen, wenn ein physisches Zusammenkommen verunmöglicht ist. Ein physisches Zusammenkommen kann nicht nur durch Pandemien, sondern z.B. auch durch Naturkatastrophen verhindert werden. Handelt es sich um regionale Ereignisse, kann es sinnvoll sein, einzelne Ratsmitglieder mit technischen Mitteln zu den Verhandlungen der Räte zuzuschalten. Virtuell durchgeführte Sitzungen stellen aber immer nur die letzte Ausweichmöglichkeit dar, wenn es der Bundesversammlung ansonsten nicht möglich wäre, sich im Sinne von Artikel 148 als oberste Gewalt im Bunde in den politischen Entscheidungsprozess
einzubringen. Ansonsten verlangt die Bundesverfassung ein physisches Versammeln der Ratsmitglieder.

Gerade in einer Krise braucht das Parlament starke und unabhängige Führungsorgane. Die als Delegation der Ratsbüros konzipierte Verwaltungsdelegation soll deshalb durch eine Verwaltungskommission ersetzt werden, deren Mitglieder für vier Jahre gewählt sind und nicht gleichzeitig den Ratsbüros angehören. Somit entsteht eine grössere personelle Kontinuität in der obersten Leitung der Parlamentsverwaltung, die personelle Verflechtung mit den Büros wird geringer und letztere werden von Verwaltungsaufgaben entlastet.

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Die Bundesversammlung verfügt über ein vielfältiges rechtliches Instrumentarium, um sich auch in Notsituationen in den politischen Entscheidungsprozess einbringen zu können. In der Pandemie hat es sich jedoch gezeigt, dass die Nutzung dieser Instrumente bisweilen schwerfällig ist. Zum Teil ist die Ausübung der Rechte an das Stattfinden von Sessionen gebunden, zum Teil behindern Fristen das schnelle Einwirken auf Entscheide des Bundesrates oder die schnelle Erarbeitung von Regelungen.

In dieser Vorlage soll rechtlich festgehalten werden, dass ausserordentliche Session unter bestimmten Voraussetzungen «unverzüglich» einberufen werden müssen, wenn dies ein Viertel der Mitglieder eines Rates oder der Bundesrat verlangt. Damit soll sichergestellt werden, dass das Parlament rasch agieren kann. Auch sollen die parlamentarischen Instrumente wie die Motion und die parlamentarische Initiative unter bestimmten Voraussetzungen rasch eingesetzt werden können, indem bestimmte Fristen verkürzt werden.

Schliesslich soll der Bundesrat Entwürfe für sogenannte «Notverordnungen» den parlamentarischen Kommissionen immer zur Konsultation vorlegen müssen, damit diese allenfalls eine Stellungnahme abgeben können. Die Schaffung von neuen parlamentarischen Instrumenten oder Organen erachtet die Kommission jedoch nicht als notwendig. Die Bundesversammlung verfügt über ein Modifikations- und Annullationsrecht gegenüber Notverordnungen des Bundesrates, welches sie durch die Ergreifung eigener Massnahmen mittels ihrer verfassungsunmittelbaren Notverordnungskompetenzen oder mittels dringlichem Bundesgesetz ausüben kann.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Entstehungsgeschichte 1.1 Die Einreichung von parlamentarischen Initiativen 1.2 Der Inhalt der parlamentarischen Initiativen 20.437/20.438 und weitere Initiativen 1.3 Durchführung von Anhörungen 1.4 Die Arbeiten der Subkommission 1.5 Die Beratung der Vorlage in der SPK des Nationalrates inkl. Stellungnahmen der Verwaltungsdelegation und des Büros 1.6 Behandlung einer Petition Ausgangslage: Rechtliche Grundlagen und Praxis während der Pandemie 2.1 Zusammentreten von Kommissionen, parlamentarische Leitungsorgane 2.1.1 Rechtliche Grundlagen 2.1.1.1 Relevante Bestimmungen 2.1.1.2 Fazit aus den rechtlichen Bestimmungen 2.1.2 Praxis während der Pandemie 2.1.2.1 Beschlüsse der Büros 2.1.2.2 Durchgeführte Kommissionssitzungen 2.1.2.3 Fazit 2.1.3 Beurteilung der Kommissionsarbeit während der Pandemie durch die Wissenschaft 2.1.3.1 Tagungsrecht der Kommissionen: Abgrenzung der Befugnisse der Kommissionen gegenüber den Befugnissen der parlamentarischen Leitungsorgane 2.1.3.2 Virtuelle Kommissionssitzungen 2.2 Zusammentreten der Räte 2.2.1 Rechtliche Grundlagen 2.2.1.1 Relevante Bestimmungen 2.2.1.2 Fazit aus den rechtlichen Bestimmungen 2.2.2 Praxis während der Pandemie im Jahr 2020 2.2.2.1 Beschlüsse vor und während der Frühjahrssession (2. ­ 15. März 2020) 2.2.2.2 Beschlüsse vor und während der ausserordentlichen Session (4. ­ 6. Mai 2020) 2.2.2.3 Beschlüsse vor und während der Sommersession (02. ­ 19. Juni 2020) 2.2.2.4 Beschlüsse vor und während der Herbstsession (07. ­ 25. September 2020)

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2.2.2.5

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Beschlüsse vor und während der Sondersession des Nationalrates (29./30. Oktober 2020) 2.2.2.6 Beschlüsse vor und während der Wintersession 2020 (30. November ­ 18. Dezember 2020) 2.2.2.7 Fazit 2.2.3 Beurteilung der Parlamentstätigkeit während der Pandemie durch die Wissenschaft 2.2.3.1 Tagungsrecht des Parlaments 2.2.3.2 Abbruch der Frühjahrssession 2.2.3.3 Ausserordentliche Session 2.2.3.4 Virtuelle oder hybride Session (nichtphysische Teilnahme eines Teils der Mitglieder) Nutzung parlamentarischer Instrumente 2.3.1 Rechtliche Grundlagen: Übersicht über die Instrumente 2.3.1.1 Kommissionsmotionen 2.3.1.2 Kommissionsinitiativen 2.3.1.3 Erklärungen eines Rates 2.3.1.4 Mitberichte an die Finanzkommission 2.3.2 Praxis während der Pandemie 2.3.3 Beurteilung der Parlamentstätigkeit während der Pandemie durch die Wissenschaft 2.3.4 Fazit Ausübung von Notrechtskompetenzen 2.4.1 Rechtliche Grundlagen 2.4.1.1 Kompetenzen des Bundesrates 2.4.1.2 Kompetenzen des Parlaments 2.4.2 Praxis während der Pandemie 2.4.3 Beurteilung der Parlamentstätigkeit und Ausübung der Notrechtskompetenzen durch den Bundesrat während der Pandemie durch die Wissenschaft 2.4.3.1 Verfassungsrechtliche Grundlagen des «Notrechts» 2.4.3.2 Notrecht und spezialrechtliche Grundlagen der Krisenbekämpfung 2.4.3.3 Überführung von Notrecht in ordentliches Recht (Art. 7d RVOG) Generelles Fazit zum Funktionieren der Bundesversammlung während der Krise

Grundzüge der Vorlage 3.1 Anforderung an ein Parlament in Krisensituationen: Grundsätze 3.2 Reformvorschläge 3.2.1 Zusammentreten von Kommissionen 3.2.1.1 Tagungsrecht der Kommissionen 3.2.1.2 Virtuell durchgeführte Kommissionssitzungen

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3.2.2 3.2.3

3.2.4

3.2.5

Parlamentarische Leitungsorgane Zusammentreten der Räte 3.2.3.1 Ausserordentliche Sessionen 3.2.3.2 Verschiebung und vorzeitige Beendigung einer Session 3.2.3.3 Festlegung eines anderen Tagungsortes 3.2.3.4 Verfassungsmässigkeit von virtuellen Ratssitzungen 3.2.3.5 Virtuelle Ratssitzungen in Notsituationen 3.2.3.6 Virtuelle Teilnahme an Ratssitzungen Nutzung parlamentarischer Instrumente 3.2.4.1 Kommissionsmotionen zur Einwirkung auf Notverordnungen 3.2.4.2 Generell beschleunigte Umsetzung von Motionen, welche auf Verordnungen einwirken 3.2.4.3 Stärkung des Instruments der gleich lautenden Kommissionsmotion 3.2.4.4 Ausarbeitung von Erlassentwürfen mit dem Instrument der parlamentarischen Initiative Ausübung von Notrechtskompetenzen 3.2.5.1 Begleitung der bundesrätlichen Verordnungsgebung 3.2.5.2 Verzicht auf die Einführung einer abstrakten Normenkontrolle von Notverordnungen 3.2.5.3 Verzicht auf die Schaffung weiterer parlamentarischer Organe und Instrumente 3.2.5.4 Verzicht auf eine Ergänzung oder Änderung von Krisenbestimmungen in Spezialgesetzen 3.2.5.5 Verzicht auf eine engere Definition von Artikel 185 Absatz 3 BV 3.2.5.6 Verzicht auf eine Änderung von Artikel 7d RVOG 3.2.5.7 Notwendige Ressourcen zur Wahrnehmung parlamentarischer Notrechtskompetenzen 3.2.5.8 Exkurs zum Instrument des dringlichen Bundesgesetzes

41 43 43 44 45 45 47 48 49 49 50 50 50 51 51 52 53 54 55 57 57 58

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 4.1 Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002 4.2 Parlamentsverwaltungsverordnung vom 3. Oktober 2003 4.3 Geschäftsreglement des Nationalrates vom 3. Oktober 2003

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Auswirkungen 5.1 Finanzielle Auswirkungen

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6

Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit

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6.2

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

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Vorlage 1 Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) (Verbesserungen der Funktionsweise des Parlamentes, insbesondere in Krisen-situationen) (Entwurf) BBl 2022 302 Vorlage 2 Verordnung der Bundesversammlung zum Parlamentsgesetz und über die Parlamentsverwaltung (Parlamentsverwaltungsverordnung, ParlVV) (Verbesserungen der Funktionsweise des Parlamentes, insbesondere in Krisensituationen) (Entwurf) BBl 2022 303 Vorlage 3 Geschäftsreglement des Nationalrates (GRN) (Verbesserungen der Funktionsweise des Parlamentes, insbesondere in Krisensituationen) (Entwurf)

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Die Einreichung von parlamentarischen Initiativen

Am 22. April 2020 führte die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates ihre erste Sitzung nach der verkürzten Frühjahrssession durch. In der Kommission wurde dem Unbehagen Ausdruck verliehen über die beschränkten Möglichkeiten zur Durchführung von Kommissionssitzungen und über den Abbruch der Frühjahrssession. Die Kommission richtete deshalb ein Schreiben an die Verwaltungsdelegation, in welchem diese aufgefordert wurde, dafür zu sorgen, dass nach der Sommersession die Kommissionssitzungen wieder im gewohnten Umfang stattfinden können.

Zudem war die Kommission der Ansicht, dass das parlamentarische Instrumentarium im Hinblick auf spätere Krisen einer Überprüfung unterzogen werden muss. Die Kommission hat deshalb an ihrer Sitzung vom 29. Mai 2020 einstimmig bzw. mit 24 zu 1 Stimmen zwei parlamentarischen Initiativen beschlossen. Gemäss der Initiative «20.437 Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessern» sollen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit das Parlament und seine Organe auch in Krisenzeiten tagen und ihre Aufgaben wahrnehmen können.

Die Initiative «20.438 Nutzung der Notrechtskompetenzen und Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts in Krisen» verlangt die Überprüfung des parlamentarischen Instrumentariums, mit welchen sich das Parlament in den Prozess des Erlasses von «Notrecht»1 einbringen kann.

Die SPK des Ständerates hat am 25. Juni 2020 der parlamentarischen Initiative 20.437 einstimmig ihre Zustimmung erteilt. Der Initiative 20.438 hat sie mit 9 zu 0 Stimmen und 2 Enthaltungen zugestimmt.

Daraufhin setzte die SPK des Nationalrates am 2. Juli 2020 eine Subkommission bestehend aus 12 Mitgliedern2 unter dem Präsidium von Nationalrat Gregor Rutz (V, ZH) ein. Diese bekam den Auftrag, Vorschläge zur Umsetzung der parlamentarischen Initiativen auszuarbeiten.

1.2

Der Inhalt der parlamentarischen Initiativen 20.437/20.438 und weitere Initiativen

Bei der parlamentarischen Initiative 20.437 geht es um die Organisation und Strukturen des Parlamentes und seiner Organe. Die rechtlichen Grundlagen sollen so ange-

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2

Der Begriff «Notrecht» ist umgangssprachlich, wird in diesem Bericht aber aus Gründen der Lesbarkeit verwendet für Verordnungen, welche der Bundesrat gestützt auf Artikel 184 Absatz 3 und Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung oder gestützt auf spezialgesetzliche Bestimmungen wie Artikel 6 oder 7 des Epidemiengesetzes erlässt.

Mitglieder: Rutz Gregor, Addor, Barrile (ab 27.1.2021 ersetzt durch Marti Samira), Binder, Cottier, Fluri, Glättli, Kälin, Moser, Steinemann, Streiff, Widmer Céline.

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passt werden, dass die Handlungsfähigkeit der Bundesversammlung in ausserordentlichen Situationen und Krisen sichergestellt wird. Insbesondere ist zu prüfen, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht bezüglich: ­

die Einberufung und den Abbruch von ordentlichen und ausserordentlichen Sessionen (auch gemäss Art. 28 und 34 des Finanzhaushaltsgesetzes, FHG, SR 611.0),

­

der Durchführung von Ratssitzungen extra muros und ausserhalb von Bern (inkl. des Verfahrens an diesen Sitzungen), allenfalls auch virtuell,

­

der Nutzung parlamentarischer Instrumente während Krisenzeiten (insbesondere die Fristen für die Beantwortung von Vorstössen durch den Bundesrat),

­

der Klärung der Kompetenzen der Verwaltungsdelegation, der Ratsbüros und der Kommissionspräsidien im Hinblick auf die Einberufung von Kommissionssitzungen (wo sind die Grenzen des Hausrechts?),

­

der Durchführung von virtuellen Kommissionssitzungen,

­

der länger dauernden Absenz einer beschränkten Anzahl Ratsmitglieder (z.B: aus einer bestimmten Region) aufgrund höherer Gewalt.

Gemäss der zweiten parlamentarische Initiative 20.438 sollte geprüft werden, wie sich die Bundesversammlung in den Prozess des Erlasses von Notrecht einbringen kann.

Es sind, wenn nötig, die rechtlichen Grundlagen dahingehend anzupassen, dass die Bundesversammlung in Krisensituationen ihre Notrechtskompetenzen adäquat nutzen und das Notrecht des Bundesrates wirkungsvoll überprüfen kann. Dabei wird zum Beispiel zu prüfen sein, ob Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c sowie Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV, SR 101) gesetzlicher Konkretisierungen bedürfen, ob es Änderungen von Artikel 7d und 7e des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes (RVOG, SR 172.010) braucht und ob die Schaffung von neuen parlamentarischen Organen notwendig ist.

Auch verschiedene Ratsmitglieder haben parlamentarische Initiativen eingereicht, welche auf einen Handlungsbedarf im Bereich der parlamentarischen Mitwirkung in Krisenzeiten hinweisen. Etliche Initiativen betreffen die Möglichkeit des Parlamentes, auch in Krisenzeiten flexibel tagen zu können (20.423 n Pa.Iv. Brunner. Situationsgerechte Flexibilisierungsmöglichkeiten des Parlamentsbetriebs in aussergewöhnlichen Umständen, 20.425 n Pa.Iv. Christ. Schaffung der rechtlichen Grundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb respektive die digitale Teilnahme am physischen Betrieb, 20.431 n Pa.Iv. Rutz Gregor. Festsetzung der Entschädigung für Videokonferenzen, 20.460 n Pa.Iv. Mäder. Sessionsplanung in ausserordentlichen Lagen gemäss Epidemiengesetz, 20.476 n Pa.Iv. Marra. Im Hinblick auf die Bewältigung von nationalen Krisen muss die Arbeitsorganisation unseres Parlamentes angepasst werden, 20.479 n Pa.Iv. Reimann Lukas. Beschlussfähige Bundesversammlung sicherstellen).

Weitere Initiativen betreffen die Mitwirkung des Parlamentes oder der Gerichte im Bereich des Erlasses von «Notverordnungen» (20.414 s Pa.Iv. Rieder / 20.418 n Pa.Iv.

M-CEB. Schaffung einer Rechtsdelegation, 20.430 n Pa.Iv. Fraktion G. Abstrakte Normenkontrolle von Notverordnungen, 20.452 n Pa.Iv. Heer. Notrecht nur mit dem Parlament, 21.404 n Pa.Iv. Addor. Für eine gerichtliche Kontrolle der auf Notrecht

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gestützten Akte des Bundesrates, 21.407 n Pa.Iv. Fraktion V. Epidemiengesetz. Mitsprache des Parlamentes sichern).

Auch andere Kommissionen haben Handlungsbedarf festgestellt: So richtete die Rechtskommission des Ständerates am 24. April 2020 ein Schreiben an die SPK des Ständerates, wonach die SPK prüfen soll, wie der Einfluss der Bundesversammlung auf die verfassungsunmittelbaren Verordnungen des Bundesrates verbessert und die Mitwirkung des Parlamentes in Krisenzeiten generell verbessert werden kann.

Diese Anliegen wurden im Rahmen der Ausarbeitung dieser Vorlage geprüft. Die Überlegungen dazu finden sich bei der Abhandlung der einzelnen Themenbereiche unter den Kapiteln 2 und 3.

1.3

Durchführung von Anhörungen

Am 22. Oktober 2020 führten die beiden Staatspolitischen Kommissionen Anhörungen von verschiedenen Experten des Verfassungs- und des Parlamentsrechts sowie eines Mitglieds der Zürcher Kantonsrats durch. Folgende Personen wurden angehört: ­

Prof. Giovanni Biaggini, Universität Zürich

­

Martin Graf, ehemaliger Sekretär der SPKs

­

Esther Guyer, Vizepräsidentin des Kantonsrates Zürich

­

Prof. Andreas Kley, Universität Zürich

­

Prof. Pascal Mahon, Université de Neuchâtel

­

Prof. Andreas Stöckli, Universität Freiburg

­

Prof. Felix Uhlmann, Universität Zürich

Die in den Anhörungen vorgetragenen Analysen und Reformvorschläge dienten u.a. als Grundlage für die Bearbeitung der einzelnen Themenbereiche (vgl. Kapitel 2 und 3).

1.4

Die Arbeiten der Subkommission

Die Subkommission nahm ihre Arbeiten am 25. November 2020 auf. Bis zur Frühjahrssession 2021 führte sie vier Sitzungen durch, in welchen sie verschiedene Themenbereiche behandelte und Vorentscheide fällte, zu welchen Problemen rechtliche Lösungsvorschläge ausgearbeitet werden sollten.

Dabei wurden entsprechend der Auflistungen in den parlamentarischen Initiativen 20.437 und 20.438 die folgenden Themenbereiche behandelt: ­

Zusammentreten von Kommissionen und parlamentarische Leitungsorgane

­

Zusammentreten der Räte

­

Nutzung parlamentarischer Instrumente

­

Ausübung von Notrechtskompetenzen

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In vier weiteren Sitzungen bis zur Herbstsession 2021 hat die Subkommission entsprechende Vorschläge des Sekretariates zur Änderung der geltenden rechtlichen Bestimmungen beraten und dann diese ihrer Plenarkommission zusammen mit einem erläuternden Bericht unterbreitet.

1.5

Die Beratung der Vorlage in der SPK des Nationalrates inkl. Stellungnahmen der Verwaltungsdelegation und des Büros

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat an ihrer Sitzung vom 15. Oktober 2021 eine erste Beratung der Vorlage vorgenommen. In der provisorischen Gesamtabstimmung stimmte sie dieser mit 24 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung zu und unterbreitete sie der Verwaltungsdelegation (VD) und dem Büro des Nationalrates zur Stellungnahme.

Die VD begrüsst die Vorlage, welche ihrer Ansicht nach wichtige Präzisierungen enthält, mit denen die Räte und die parlamentarischen Organe in künftigen Krisenzeiten schneller und flexibler agieren und ihre Notrechtskompetenzen wahrnehmen können.

In ihrer Stellungnahme vom 8. Dezember 2021 hat die VD verschiedene Fragen zum Funktionieren der neuen Verwaltungskommission der Bundesversammlung gestellt.

Im vorliegenden Bericht wird an den entsprechenden Stellen auf diese Fragen eingegangen.

Das Büro des Nationalrates unterstützt die Vorlage und begrüsst insbesondere die Präzisierungen bezüglich des Zusammentretens der Räte und Kommissionen sowie die Regelung der virtuellen Sitzungen. In seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 2021 hat das Büro Anträge zur Zusammensetzung der neuen Verwaltungskommission sowie zur Einsetzung von Subkommissionen gestellt. Die Entscheide der SPK hierzu sind bei den Ausführungen zu den entsprechenden Bestimmungen dargestellt. Im Weiteren hat das Büro eine Frage zur Befristung von Artikel 7 des Epidemiengesetzes gestellt, welche im Bericht unter Ziff. 3.2.5.4 abgehandelt ist.

Die SPK hat an ihrer Sitzung vom 27. Januar 2022 von diesen Stellungnahmen Kenntnis genommen und die verlangten Klärungen im vorliegenden Bericht vorgenommen.

Schliesslich hat die Kommission in der definitiven Gesamtabstimmung den drei Erlassentwürfen einstimmig zugestimmt. Auf die Durchführung einer Vernehmlassung wurde gemäss Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe a Vernehmlassungsgesetz verzichtet, da in der Vorlage Fragen der Organisation, des Verfahrens und der Zuständigkeiten des Parlamentes geregelt werden, welche keine externen Akteure betreffen. Der Bundesrat erhält Gelegenheit zur Stellungnahme.

1.6

Behandlung einer Petition

Im Rahmen dieser Vorlage hat die Kommission auch die Petition 21.2010 «Komitee Frühling2020. Ausserparlamentarische unabhängige Untersuchungskommission betreffend die Ausrufung der ausserordentlichen Lage im Frühling 2020» gemäss Artikel 126 Absatz 2 ParlG behandelt. In der Kommission wurde kein Antrag gestellt für 11 / 76

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die Schaffung der rechtlichen Grundlage einer entsprechenden ausserparlamentarischen Kommission, da sich schon genügend Organe mit der Evaluation der Ereignisse im Frühling 2020 befassen.

2

Ausgangslage: Rechtliche Grundlagen und Praxis während der Pandemie

Im Hinblick auf die Klärung des Handlungsbedarfs sollen die bestehenden rechtlichen Grundlagen sowie die Praxis während der Pandemie analysiert werden. Nachfolgend soll die Analyse für die vier Themenbereiche «Zusammentreten von Kommissionen und parlamentarische Leitungsorgane», «Zusammentreten der Räte», «Nutzung parlamentarischer Instrumente» und «Ausübung von Notrechtskompetenzen» vorgenommen werden.

2.1

Zusammentreten von Kommissionen, parlamentarische Leitungsorgane

2.1.1

Rechtliche Grundlagen

2.1.1.1

Relevante Bestimmungen

Tagungsrecht der Kommissionen: Abgrenzung der Befugnisse der Kommissionen gegenüber den Befugnissen der parlamentarischen Leitungsorgane a.

Selbstbefassungsrecht: Gemäss Artikel 44 des Parlamentsgesetzes (ParlG, SR 171.10) (insb. Abs. 1 Bst. c und d) verfügen die Kommissionen über ein «Selbstbefassungsrecht»: in ihren Zuständigkeitsbereichen verfolgen sie die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und arbeiten dazu Vorschläge aus.

b.

Personelle und finanzielle Mittel von Kommissionen: Die Koordinationskonferenz (KoKo: Büro Nationalrat und Büro Ständerat) hat gestützt auf Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe c ParlG das Recht, Weisungen zu erlassen über die Zuteilung der personellen und finanziellen Mittel an die Organe der Bundesversammlung. Artikel 65 Absatz 3 ParlG bestimmt, dass wenn Dienststellen der Parlamentsdienste für Organe der Bundesversammlung tätig sind, sie nach deren Weisungen arbeiten.

c.

Ausübung des Hausrechts: Die Ratspräsidien bzw. die Verwaltungsdelegation (VD) sind für die Ausübung des Hausrechts (Art. 69 ParlG) zuständig. Daraus wurde die Verantwortlichkeit für gesundheitspolitische Massnahmen im Parlamentsgebäude abgeleitet. Gemäss Notiz des Rechtsdienstes vom 30. März 2020 legen die Ratspräsidien auch fest, «unter welchen Voraussetzungen die parlamentarischen Organe tagen».

d.

Artikel 9 Absatz 1 des Geschäftsreglements des Nationalrates (GRN, SR 171.13) bzw. Artikel 6 Absatz 1 des Geschäftsreglements des Ständerates

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(GRS, SR 171.14) geben den Ratsbüros u.a. die Kompetenzen zur Bestimmung der Sachbereiche der Kommissionen, zur Zuteilung der Geschäfte an dieselben und zur Festlegung eines Jahressitzungsplans. Gemäss Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe d GRN sorgt das Büro des Nationalrates für die Koordination der Tätigkeiten der Kommissionen und entscheidet bei Kompetenzstreitigkeiten. Das GRS sieht nur eine Koordinationsfunktion vor.

Kommissionsinterne Zuständigkeiten für die Einberufung von Kommissionsitzungen und virtuelle Kommissionssitzungen a.

Einberufung der Kommissionen: Für die Einberufung der parlamentarischen Kommissionen sind deren Präsidentinnen und Präsidenten zuständig. Die Geschäftsreglemente übertragen die Kompetenz zur Planung der Kommissionstätigkeiten den Kommissionspräsidenten (Art. 16 GRN, Artikel 12 GRS).

b.

Anwesenheitspflicht, aber kein Anwesenheitsquorum: Ratsmitglieder sind verpflichtet, an den Sitzungen der Räte und der Kommissionen teilzunehmen (Art. 10 ParlG). Für Kommissionssitzungen gilt aber anders als in den Räten kein Anwesenheitsquorum. Artikel 18 GRN und Artikel 14 GRS ermöglichen (mit Ausnahme der Geschäftsprüfungskommissionen [GPK] und der Geschäftsprüfungsdelegation [GPDel]) die Stellvertretung.

c.

Vertraulichkeit der Kommissionssitzungen: Gemäss Artikel 47 Absatz 1 ParlG sind die Beratungen der Kommissionen vertraulich.

2.1.1.2

Fazit aus den rechtlichen Bestimmungen

In seiner Notiz vom 30. März 20203 zieht der Rechtsdienst folgendes Fazit: «Es liegt nicht in der Kompetenz der Büros, den Kommissionen Sitzungen zu verbieten. Es ist aber die Aufgabe der Büros und der VD, in dieser ausserordentlichen Lage die Sitzungen so zu organisieren und zu planen, dass die Gesundheit der Ratsmitglieder, der Bundesrätinnen und Bundesräte, der Mitarbeitenden der beteiligten Verwaltungsstellen und der Parlamentsdienste gewährleistet werden kann».

In seiner Notiz vom 25. März 20204 hält der damalige Ständeratspräsident Hans Stöckli fest: «Gestützt auf die Modifikations- und Annullationsrechte des Parlamentes und die Verpflichtung zur Ablösung der Notverordnungen des Bundesrates durch Parlamentserlasse, ist es ein Gebot der Vernunft und der politischen Klugheit, wenn der Bundesrat nach dem Erlass von notrechtlichen Massnahmen eng mit den federführenden Kommissionen zusammenarbeitet. Die Kommissionen müssen in die Lage versetzt werden, dass sie rechtzeitig die ihnen gesetzlich zugeteilten Aufgaben erfüllen können».

Auch nach einhelliger Auffassung der Subkommission «Parlament in Krisensituationen» ist es unbestritten, dass die Kommissionen jederzeit das Recht haben, zu tagen.

In Krisensituationen ist es sogar wichtig, dass sie der Exekutive als parlamentarische 3 4

Kommissionen und Coronakrise. Notiz des Rechtsdienstes vom 30. März 2020, S. 2.

Rechte des Parlamentes in ausserordentlichen Lagen. Vom Ständeratspräsidenten ergänzte Notiz des SPK-Sekretariates vom 25. März 2020, S. 4.

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Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Die Herausforderung besteht darin, die Durchführung auch unter erschwerten Bedingungen ­ im vorliegenden Fall der Gewährleistung der Gesundheit der Beteiligten ­ zu ermöglichen. Somit geht es primär um Fragen der Organisation und der Infrastruktur und weniger um rechtliche Kompetenzen.

Was die Einberufung von Kommissionssitzungen betrifft, so besteht eine verbreitete Praxis darin, dass der Präsident Sitzungen dann einberuft, wenn eine Kommissionsmehrheit das will. Würde er eine Sitzung ohne Zustimmung der Kommission einberufen, dann könnte diese durch Ordnungsantrag die Sitzung gleich wieder schliessen.

2.1.2

Praxis während der Pandemie

2.1.2.1

Beschlüsse der Büros

Am 19. März 2020 haben die Büros bezüglich der Durchführung der Sitzungen der Organe der Bundesversammlung bis zum 19. April 2020 folgende Beschlüsse gefasst: a.

Es werden nur diejenigen Sitzungen der parlamentarischen Organe abgehalten, die für die Mai- und Juni-Session als «dringend» eingestufte Geschäfte vorberaten. Als «dringend» gelten Geschäfte zum Bewältigen der ausserordentlichen Lage aufgrund der Corona-Pandemie, z.B. die Zustimmung der Finanzdelegation (FinDel) zu dringlichen Krediten des Bundesrates (Art. 28 und 34 FHG).

b.

Die Abstandsregeln sind bei solchen Sitzungen physisch einzuhalten oder es sind Video- oder Telefonkonferenzen durchzuführen.

c.

Nur für solch dringende Geschäfte ist Personal der Parlamentsdienste aufzubieten.

d.

Präsidentinnen und Präsidenten der Organe wenden sich vor Einberufen der Sitzungen an die Präsidentin oder den Präsidenten ihres Rates. Die Ratspräsidenten sprechen sich ab.

Am 26. März 2020 legten die Büros im Hinblick auf die Durchführung der ausserordentlichen Session im Mai fest, dass ein Sitzungsplan für die Kommissionen, welche das Geschäft 20.007 (Nachtrag I zum Voranschlag) vorzuberaten hatten (Finanzkommissionen [FK], Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben [WAK], Kommissionen für Wissenschaft, Bildung und Kultur [WBK], Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit [SGK]), erstellt werden soll. Zudem wurde die Zeit festgelegt, welche Mitglieder des Bundesrates und Chefbeamte diesen Kommissionen zur Verfügung stehen sollen. Den übrigen, nicht mit der Vorlage 20.007 betrauten Kommissionen wurde freigestellt, per Telefon- oder Videokonferenzen informelle Austausche durchzuführen, welche von den Parlamentsdiensten in technischer Hinsicht unterstützt würden. Diese Telefon- oder Videokonferenzen galten gemäss damaligem Beschluss nicht als Kommissionssitzungen und gaben keinen Anspruch auf Entschädigung.

Am 6. April 2020 legte die KoKo für den Kommissionbetrieb bis zum 4. Mai 2020 fest, dass auch den übrigen Kommissionen, denen kein Beratungsgegenstand für die

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ausserordentliche Session zugewiesen worden ist, in beschränktem Mass Räumlichkeiten für Sitzungen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere für die Vorbereitung der ausserordentlichen Session und der Sommersession. Die Kommissionen wurden gebeten, nach dem empfohlenen Sitzungsplan zu tagen, wonach für die Kommissionen Zeitfenster von einem halben Tag reserviert wurden. Wollten die Kommissionspräsidien länger tagen, hatten sie sich an ihre Ratspräsidenten zu wenden. Die am 19. und 26. März beschlossenen Einschränkungen betreffend Teilnahme der Bundesverwaltung und Einsatz des Personals der Parlamentsdienste sollten weiterhin gelten. Auf die Abgabe von Papier sollte verzichtet werden.

Für den Kommissionsbetrieb vom 11. ­ 29. Mai 2020 (nach der ausserordentlichen Session) legten die Büros einen Sitzungsplan fest, wonach jeder Kommission ein Sitzungstag für eine ordentliche Sitzung zugeteilt wurde.

Nach Abklärungen insbesondere betreffend die Frage der Vertraulichkeit legte die KoKo am 6. April die Grundsätze für die Durchführung von Sitzungen in der Form von Videokonferenzen fest. Die Teilnahme an solchen Sitzungen soll entschädigt werden und sie sollen sich auf «intern» klassifizierte Sitzungen beschränken.

Am 28. April 2020 teilten die Ratspräsidien in einem Brief an die Kommissionspräsidien mit, dass die Büros am 23. April 2020 beschlossen hätten, sämtliche Einschränkungen für die Kommissionsarbeit aufzuheben. Durch die Miete von vier zusätzlichen Räumen in der BernExpo konnte der Engpass an Sitzungszimmern beseitigt werden.

2.1.2.2

Durchgeführte Kommissionssitzungen

Die unmittelbar nach der Frühjahrsession im ordentlichen Sitzungsplan vorgesehenen Kommissionssitzungen wurden annulliert. Während zwei Wochen fanden somit keine Kommissionssitzungen statt. Ab dem 6. April 2020 tagten die FK, die SGK, die WAK und die WBK beider Räte und berieten die Geschäfte der ausserordentlichen Session vor. Ab dem 20. April 2020 führten auch die übrigen Kommissionen zumindest halbtätige Sitzungen durch. Im Hotel Bellevue konnte ein zusätzliches Sitzungszimmer für Nationalratskommissionen bereitgestellt werden. Bis zur ausserordentlichen Session führten die Sachbereichskommissionen des Nationalrates insgesamt dreizehn, jene des Ständerates elf Sitzungen durch. Drei Sitzungen wurden als Videokonferenz durchgeführt. Im Vordergrund der Kommissionstätigkeit stand die Information über die bundesrätlichen Notverordnungen. Es wurden insgesamt 44 Vorstösse (davon 40 Motionen) eingereicht, um auf diese Verordnungen einzuwirken.

Nach der ausserordentlichen Session führten die Kommissionen gemäss einem neu erarbeiteten Plan Sitzungen zur Vorbereitung der Sommersession durch. Nach der Sommersession fanden die Kommissionssitzungen wieder gemäss dem ordentlichen Sitzungsplan statt.

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2.1.2.3

Fazit

Insbesondere zwei Gründe waren dafür verantwortlich, dass während zwei Wochen keine Kommissionssitzungen durchgeführt werden konnten: Zum einen mussten zuerst den besonderen Bedürfnissen angepasste Voraussetzungen (Sitzungszimmer, elektronische Infrastruktur) für die Durchführung von Sitzungen unter Einhaltung der Vorgaben des BAG geschaffen werden. Zum anderen stellte sich die Frage, welche Geschäfte die Kommissionen überhaupt beraten sollen. Die Beratungsgegenstände ergaben sich erst mit der Festlegung der nächsten Sessionen und mit dem Erlass von immer mehr Notverordnungen durch den Bundesrat.

Die nach dem 6. April abgehaltenen Kommissionssitzungen entsprachen ungefähr der gewohnten Zahl in diesem Zeitraum abgehaltene Sitzungen, waren jedoch kürzer. Inhaltlich fokussierten die Kommissionen in den ersten Sitzungen auf die Beurteilungen des bundesrätlichen Notverordnungsrechts.

Die Legalität der Durchführung von Sitzungen auf digitalem Weg war unbestritten, weil für Kommissionssitzungen keine physische Präsenz erforderlich ist. Die Büros haben hierfür Grundsätze aufgestellt. In der Praxis erwiesen sich digitale Sitzungen in der Vorbereitung und technischen Begleitung als aufwändig, aber machbar. Die Praxis hat aber gezeigt, dass sich virtuelle Sitzungen nicht für komplizierte Beratungen eignen.

2.1.3

Beurteilung der Kommissionsarbeit während der Pandemie durch die Wissenschaft

2.1.3.1

Tagungsrecht der Kommissionen: Abgrenzung der Befugnisse der Kommissionen gegenüber den Befugnissen der parlamentarischen Leitungsorgane

Felix Uhlmann stellt in seinem Kurzgutachten vom 3. April 2020 eine gewisse Diskrepanz der aufgrund von Verfassung und Gesetz starken Stellung der Kommissionen mit den in den Ratsreglementen festgehaltenen Leitungsfunktionen der Ratsbüros fest.

Er hält dazu fest: «Es ist dementsprechend fraglich, ob die Büros allein gestützt auf ihre (allgemeine) Leitungskompetenz und Bestimmungen unterhalb der Gesetzesstufe Massnahmen treffen können, welche die Kommissionen in der Wahrnehmung ihrer Rechte empfindlich treffen»5. Uhlmann kommt deshalb zum Schluss, dass es fraglich ist, ob die Büros und Verwaltungsdelegation den Kommissionen Sitzungen verbieten können. Unzulässig wäre seiner Ansicht nach ein Verbot, welches mehrere Monate andauern würde.

5

Uhlmann, Felix/Wilhelm, Martin: Kurzgutachten vom 3. April 2020 zuhanden der sozialdemokratischen Fraktion der eidgenössischen Räte betreffend die Durchführung von Sessionen und Kommissionssitzungen in ausserordentlichen Lagen, S. 19.

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Andreas Glaser und Katja Gfeller kommen ebenfalls zum Schluss, dass sich aus der Leitungsfunktion der Büros nicht das Recht ergibt, Kommissionssitzungen abzusagen oder diese für eine bestimmte Zeit zu verbieten.6 Auch Andrea Caroni und Stefan Schmid stellen eine Diskrepanz zwischen Leitungsbefugnissen der Büros und der Stellung der Kommissionen fest: «Die Lehre leitet daraus zu Recht ab, dass die Leitungsbefugnisse des Büros primär administrative Natur seien und es verfassungs- und gesetzeswidrig wäre, die Kommissionen über längere Zeit in ihrer Tätigkeit einzuschränken.»7

2.1.3.2

Virtuelle Kommissionssitzungen

In der Wissenschaft werden virtuelle Kommissionssitzungen nach geltendem Recht als zulässig erachtet. Martin Wilhelm und Felix Uhlmann schreiben dazu: «Soweit die Verfahrensvorschriften eingehalten werden können, wozu insbesondere die Vertraulichkeit gehört (vgl. Art. 47 ParlG), erscheinen Kommissionssitzungen auf elektronischem Wege als zulässig».8 Schmid/Caroni kritisieren, dass das Parlament punkto «Home-Office» (d.h. punkto digital durchgeführten Sitzungen von Ratsmitgliedern) auf dem falschen Fuss erwischt wurde. Sie begrüssen aber, dass innert weniger Wochen ein technologischer Sprung gemacht wurde.9

2.2

Zusammentreten der Räte

2.2.1

Rechtliche Grundlagen

2.2.1.1

Relevante Bestimmungen

Folgende Rechtsbestimmungen sind für die Ratssitzungen massgeblich:

6 7 8 9

a.

Allgemeines: Die Organisation, das Verfahren und die Zuständigkeiten der Bundesversammlung sind in den Artikeln 148­173 der Bundesverfassung geregelt. Nationalrat und Ständerat verhandeln ­ mit Ausnahme zur Ausübung der Aufgaben der Vereinigten Bundesversammlung (Art. 157 BV) ­ getrennt.

Für Beschlüsse der Bundesversammlung ist die Übereinstimmung beider Räte erforderlich (Art. 156 BV).

b.

Sitzungsort: Gemäss Artikel 32 ParlG versammelt sich die Bundesversammlung in Bern. Sie kann mit einfachem Bundesbeschluss von diesem Grundsatz abweichen.

Glaser, Andreas/Gfeller, Katja: Das Ringen des Parlaments um mehr Macht. Rückschlag infolge der Corona-Pandemie? In: Jusletter 5. Oktober 2020, S. 17.

Andrea Caroni/Stefan G. Schmid: Notstand im Bundeshaus: Die Rolle der Bundesversammlung in der (Corona-)Krise. In: AJP/PJA 6/2020, S. 717.

Wilhelm, Martin/Uhlmann, Felix: Herausforderungen für Parlamente in der CoronaKrise ­ Versuch eines Überblicks. In: Parlament/Parlement/Parlamento, 2/20, S. 11.

Caroni/Schmid, 2020, S. 718.

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10

c.

Ratssitzungen / ordentliche Session: Gemäss Artikel 151 Absatz 1 BV in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 ParlG versammeln sich die Räte regelmässig zu ordentlichen Sessionen. Der Nationalrat und der Ständerat werden von ihren Büros einberufen, welche auch das Sessionsprogramm festlegen (Art. 33 Abs. 1 ParlG, Art. 9 Abs. 1 Bst. a GRN und Art. 6 Abs. 1 Bst. a GRS). Die Koordinationskonferenz legt fest, in welchen Kalenderwochen die ordentlichen und die ausserordentlichen Sessionen stattfinden (Art. 37 Abs. 2 Bst. a ParlG).

d.

Verhandlungsfähigkeit und Präsenzpflicht: Artikel 159 Absatz 1 BV regelt die Verhandlungsfähigkeit der Räte. Er bestimmt, dass die Räte gültig verhandeln können, wenn die Mehrheit ihrer Mitglieder anwesend ist. Die Ratsmitglieder sind gemäss Artikel 10 ParlG verpflichtet, an den Sitzungen der Räte und Kommissionen teilzunehmen. Im Gegensatz zu den Sitzungen der Sachbereichskommissionen gibt es für Ratssitzungen kein Stellvertretungssystem: Ratsmitglieder, die verhindert sind, können sich nicht vertreten lassen. Artikel 56 Absatz 3 GRN hält ausdrücklich fest, dass die Stimmabgabe durch Stellvertretung ausgeschlossen ist. Die Bestimmungen zur Verhandlungsfähigkeit (Art. 159 Abs. 1 BV) und zur Präsenzpflicht (Art. 10 ParlG) werden relativ locker ausgelegt.10 So reicht in der Praxis die Präsenz in den umliegenden Räumen aus. Üblicherweise wird nur vor den Abstimmungen überprüft, ob die Verhandlungsfähigkeit gegeben ist.

e.

Hausrecht: Die Ratspräsidentinnen bzw. Ratspräsidenten und die Verwaltungsdelegation üben das Hausrecht aus und regeln den Zutritt zum Parlamentsgebäude (Art. 69 Abs. 1 ParlG). Daraus leitet sich auch die Zuständigkeit dieser Organe ab, Hygienemassnahmen im Parlamentsgebäude zu ergreifen.

f.

Öffentlichkeit der Ratsverhandlungen: Die Sitzungen der Räte sind öffentlich (Art. 158 BV und Art. 4 ParlG).

g.

Ausserordentliche Session: Gemäss Artikel 151 Absatz 2 BV kann ein Viertel der Mitglieder eines Rates oder der Bundesrat die Einberufung der Räte zu einer ausserordentlichen Session verlangen. Artikel 2 Absatz 3 ParlG nennt die Beratungsgegenstände, für deren Behandlung eine ausserordentliche Session einberufen werden kann. Es handelt sich dabei insbesondere um Entwürfe des Bundesrates oder einer parlamentarischen Kommission zu einem Erlass der Bundesversammlung und um in beiden Räten eingereichte gleichlautende Motionen. In welchen Kalenderwochen die ordentlichen und die aus-

Von Wyss Moritz, Kommentar ParlG, Art. 78 Nr. 8: «Das Verhandlungsquorum muss während der ganzen Zeit der Beratungen bestehen, wobei dies in der Praxis die Anwesenheit in den umliegenden Räumen einschliesst (Wandelhalle, Arbeitsräume für Ratsmitglieder, Sitzungszimmer). Die Ratsmitglieder können, insb. für Abstimmungen, mit einem akustischen Signal in den Saal gerufen werden. Die Feststellung des Verhandlungsquorums kann in den Räten jederzeit von jedem Ratsmitglied verlangt werden und ist von der Präsidentin oder dem Präsidenten vor Wahlen, Gesamt- und Schlussabstimmungen und Abstimmungen gemäss Art. 159 Abs. 3 BV zu überprüfen (Art. 38 GRN; Art. 31 GRS)».

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serordentlichen Sessionen stattfinden, legt gemäss Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe a ParlG die Koordinationskonferenz fest. Gemäss Artikel 2 Absatz 4 ParlG findet eine ausserordentliche Session in beiden Räten in der Regel in denselben Kalenderwochen statt. Artikel 28 und Artikel 34 des Finanzhaushaltgesetzes regeln das Vorgehen bei dringlichen Verpflichtungskrediten und dringlichen Nachträgen. Diese werden der Bundesversammlung nach der Zustimmung durch die Finanzdelegation zur nachträglichen Genehmigung unterbreitet. Bei Beträgen von mehr als 500 Millionen Franken kann von einem Viertel der Mitglieder eines Rates innert einer Woche nach der Zustimmung der Finanzdelegation das Einberufen einer ausserordentlichen Session für diese nachträgliche Genehmigung verlangt werden. Die entsprechende ausserordentliche Session findet dann in der dritten Kalenderwoche nach dem Einreichen dieses Begehrens statt. Gemäss Artikel 185 Absatz 4 BV ist die Bundesversammlung unverzüglich einzuberufen, wenn der Bundesrat mehr als 4000 Angehörige der Armee für den Aktivdienst aufbietet oder dieser Einsatz voraussichtlich länger als drei Wochen dauert (siehe auch Art. 77 Abs. 3 des Militärgesetzes [MG, SR 510.10]; es ist dabei zu unterscheiden zwischen Aktiv- und Unterstützungsdienst der Armee. Für letzteren sieht Art. 70 Abs. 2 MG eine Genehmigung durch die Bundesversammlung in der nächsten Session vor, wenn mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten werden oder der Einsatz länger als drei Wochen dauert). Artikel 33 Absatz 3 ParlG sieht ausserdem vor, dass die Präsidentin oder der Präsident des Nationalrates oder, im Verhinderungsfall, die Präsidentin oder der Präsident des Ständerates verpflichtet ist, die Räte einzuberufen, wenn die Sicherheit der Bundesbehörden gefährdet ist oder der Bundesrat nicht in der Lage ist zu handeln.

2.2.1.2

Fazit aus den rechtlichen Bestimmungen

Der Rechtsdienst, das Sekretariat der Finanzkommissionen und das Sekretariat der Staatspolitischen Kommissionen kommen in ihrer gemeinsamen Notiz vom 25. März 2020 zum Schluss, dass das «Parlament als oberste Gewalt im Bund (Art. 148 Abs. 1 BV) [...] jederzeit das Recht [hat], sich zu versammeln, auch wenn der Bundesrat Massnahmen angeordnet hat, die Versammlungen allgemein verbieten.»11 In der Notiz des Sekretariats der SPK vom 25. März 2020, die vom damaligen Ständeratspräsidenten mit Informationen zu den Rechten des Parlaments in Notsituationen ergänzt wurde, wird die Ansicht vertreten, dass «allein parlamentarische Organe für die Ergreifung z. B. von Hygienemassnahmen im Parlamentsgebäude verantwortlich sind. Diese Massnahmen dürfen auch von entsprechenden Verordnungen des Bundesrates abweichen: Ob es verantwortbar ist, in einem Pandemiefall im Ratssaal zu tagen oder nicht, entscheiden somit allein die zuständigen parlamentarischen Organe.»12 Es ist folglich unstrittig, dass die Räte unabhängig von bundesrätlichen 11

12

Kompetenzen des Parlamentes und des Bundesrates in ausserordentlichen Lagen: Notiz des Rechtsdienstes, des Sekretariates der Finanzkommissionen und des Sekretariates der Staatspolitischen Kommissionen zuhanden der Ratspräsidien vom 25. März 2020, S. 5.

Vom Ständeratspräsidenten ergänzte Notiz, S. 4.

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Krisenmassnahmen das Recht haben, zu einer ordentlichen oder ausserordentlichen Session zusammenzukommen, und dass die Ratspräsidentinnen und Ratspräsidenten sowie die Verwaltungsdelegation für das Parlamentsgebäude eigene Hygienemassnahmen ergreifen können. Diese Meinung teilt auch die Subkommission «Parlament in Krisensituationen». Natürlich braucht es aber die nötige Infrastruktur, um Sessionen unter solch aussergewöhnlichen Bedingungen durchführen und namentlich die Gesundheit der Teilnehmenden schützen zu können. Die Herausforderungen im Zusammenhang mit den Ratssitzungen liegen also vielmehr in der Infrastruktur und den Ressourcen als in den Rechtskompetenzen.

Weniger klar geregelt sind die Zuständigkeiten für den Abbruch, den Unterbruch oder die Verschiebung einer Session: Während es selbstverständlich ist, dass die Mehrheit der Ratsmitglieder die Beratungen innerhalb der von der Koordinationskonferenz festgelegten Sessionswochen einige Tage sistieren kann, sind die Szenarien für den Abbruch oder die Verschiebung einer Session weniger eindeutig. In diesem Fall müsste der Beschluss der Mehrheit der Mitglieder eines Rates wahrscheinlich durch einen gleichlautenden Beschluss des anderen Rates bestätigt werden, um die Beratungen und namentlich die Schlussabstimmungen zu synchronisieren. Eine Zuständigkeit der Büros, die in einem solchen Fall ebenfalls denkbar wäre, ist nicht ausdrücklich vorgesehen.

In den einschlägigen Rechtsbestimmungen ist nicht vorgesehen, dass anstelle von Sitzungen mit Präsenz vor Ort Telefon- oder Videokonferenzen durchgeführt werden können.

2.2.2

Praxis während der Pandemie im Jahr 202013

2.2.2.1

Beschlüsse vor und während der Frühjahrssession (2. ­ 15. März 2020)

28.2.2020 ­ Die VD beschliesst, den Zugang zum Parlamentsgebäude während der Frühjahrssession zu beschränken.

9.3.2020 ­ Beginn der zweiten Sessionswoche. Die VD beschliesst, die Session weiterzuführen, und verschärft den Zugang zum Parlamentsgebäude.

Im Nationalrat wird ein Ordnungsantrag mit 155 zu 13 Stimmen bei 8 Enthaltungen abgelehnt, der einen sofortigen Unterbruch der Session für mindestens eine Woche verlangt.

13.3.2020 ­ Die VD beschliesst für die dritte Sessionswoche weitere Massnahmen gegen das Coronavirus: Personen, die eine Zutrittskarte von einem Ratsmitglied erhalten haben, dürfen das Parlamentsgebäude nicht mehr betreten. Die Schlussabstimmungen finden einen Tag früher statt und auf die Durchführung der Vereinigten

13

Für die Angaben zum Jahr 2021 vgl. den ständig aktualisierten Bericht der Parlamentsbibliothek: Die Bundesversammlung und die Covid-19-Krise. Ein chronologischer Überblick.

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Bundesversammlung am 18. März 2020 wird verzichtet. Als Massnahme des gegenseitigen Abstandhaltens können die Ratsmitglieder die Tribünen nutzen, um die Debatten zu verfolgen.

15.3.2020 ­ Die Ratsbüros beschliessen auf Antrag der Mehrheit der Fraktionspräsidentinnen und -präsidenten, auf die Durchführung der dritten Woche der Frühjahrssession zu verzichten.

2.2.2.2

Beschlüsse vor und während der ausserordentlichen Session (4. ­ 6. Mai 2020)

23.3.2020 ­ Der Bundesrat beantragt die Einberufung einer ausserordentlichen Session zur Behandlung der Botschaft vom 20. März 2020 über den Nachtrag I zum Voranschlag 2020.

25.3.2020 ­ 31 Mitglieder des Ständerates beantragen die Einberufung einer ausserordentlichen Session zur Covid-19-Krise und zur allfälligen Behandlung der Beschlüsse auf der Grundlage von Artikel 28 Absatz 3 FHG, Artikel 34 Absatz 4 FHG und Artikel 70 Absatz 2 MG.

26.3.2020 ­ Die Ratsbüros und die VD beschliessen die Einberufung einer ausserordentlichen Session zur Beratung der dringlichen Kredite gemäss den Nachmeldungen zum Nachtrag I zum Voranschlag 2020. Diese soll Anfang Mai in der Bernexpo durchgeführt werden. Die am 13. März 2020 von der Verwaltungsdelegation erlassenen Zutrittsbeschränkungen gelten auch für die ausserordentliche Session.

4.5.2020 ­ Die ausserordentliche Session findet in der Bernexpo statt. Der Zugang zum Bernexpo-Gebäude ist beschränkt. Die Debatten können von den Medienschaffenden und Interessierten jedoch per Livestream mitverfolgt werden.

Jeder Rat beschliesst zu Beginn seiner Sitzungen für die Zeit, in welcher er ausserhalb des Parlamentsgebäudes tagt, kleinere Anpassungen seines Geschäftsreglements (20.409 / 20.408). Der Ständerat beschliesst zudem, durch Aufstehen abzustimmen, da es mit der für die ausserordentliche Session gemieteten elektronischen Abstimmungsanlage nicht möglich ist, das Stimmverhalten der Ratsmitglieder auf elektronischen Anzeigetafeln anzuzeigen. Im Gegensatz zum Nationalrat wird im Ständerat das Stimmverhalten der Ratsmitglieder nicht bei allen Abstimmungen in Form von Namenslisten veröffentlicht.

In der ausserordentlichen Session werden ausschliesslich Covid-19-bezogene Geschäfte beraten.

2.2.2.3

Beschlüsse vor und während der Sommersession (02. ­ 19. Juni 2020)

2.6.2020 ­ Beginn der Sommersession in der Bernexpo. Der Zugang zur Bernexpo ist weiterhin beschränkt. Neu gibt es im Nationalrat und im Ständerat reservierte Plätze für die Medienschaffenden. Wie bisher können interessierte Bürgerinnen und Bürger

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die Debatte per Livestream mitverfolgen. Der Ständerat stimmt wieder mit der elektronischen Abstimmungsanlage ab. In der Zwischenzeit wurde die Anlage weiterentwickelt und das Stimmverhalten der Ratsmitglieder kann nun angezeigt werden.

Im Gegensatz zur ausserordentlichen Session im Mai ist die dreiwöchige Sommersession hauptsächlich ordentlichen Geschäften gewidmet.

3.6.2020 ­ Die VD beschliesst, dass das Parlament nach der Sommersession wieder im Parlamentsgebäude arbeiten soll. Auch die Herbstsession soll wieder im Parlamentsgebäude stattfinden.

2.2.2.4

Beschlüsse vor und während der Herbstsession (07. ­ 25. September 2020)

21.6.2020 ­ 64 Mitglieder des Nationalrates verlangen die Einberufung einer ausserordentlichen Session zur Behandlung verschiedener gleich lautender Motionen .

25.6.2020 ­ Die Ratsbüros beschliessen, dass die von 64 Mitgliedern des Nationalrates verlangte ausserordentliche Session in der Kalenderwoche 37, also erst während der Herbstsession, durchgeführt wird.

3.7.2020 ­ Die VD beschliesst, dass als Schutzmassnahme in den Ratssälen sowie in verschiedenen Sitzungszimmern Plexiglas-Trennwände montiert werden.

13.8.2020 ­ Die VD beschliesst, die aufgrund der Covid-19-Pandemie erlassenen Beschränkungen des Zutritts zum Parlamentsgebäude zu lockern.

8.9.2020 ­ Der Nationalrat führt die im Juni von 64 Mitgliedern des Nationalrates verlangte ausserordentliche Session durch. Nach Abschluss der ausserordentlichen Session setzt er die ordentliche Herbstsession fort.

9.9.2020 ­ Der Ständerat führt die ausserordentliche Session durch und setzt danach die ordentliche Herbstsession fort.

2.2.2.5

Beschlüsse vor und während der Sondersession des Nationalrates (29./30. Oktober 2020)

23.10.2020 ­ Die Ratspräsidentin und der Ratspräsident informieren die Ratsmitglieder, dass ab sofort eine Maskenpflicht im Parlamentsgebäude gilt: «Für das Zirkulieren im Ratssaal gilt eine Maskenpflicht. Während des Sitzens an von Plexiglas geschützten Plätzen kann die Maske ausgezogen werden, wenn die Seitenteile der Plexiglasscheibe heruntergeklappt sind».

2.2.2.6

Beschlüsse vor und während der Wintersession 2020 (30. November ­ 18. Dezember 2020)

12.11.2020 ­ Besorgt, dass die Bundesversammlung den Voranschlag 2021 nicht bis Ende 2020 zu Ende beraten kann, reicht die FK-N eine parlamentarische Initiative ein, 22 / 76

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die verlangt, dass die Grundlagen für ein Notbudget ausgearbeitet werden (20.481).

Ihre Schwesterkommission gibt der Initiative Folge. Die FK-N arbeitet sodann einen Entwurf für einen Bundesbeschluss zu einem Übergangsvoranschlag aus, der bis zur Verabschiedung des Voranschlags 2021 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2022­2024 gelten soll. Dieser Entwurf wird von beiden Räten zu Beginn der Wintersession angenommen.

13.11.2020 ­ Die VD fällt den Beschluss, den Zutritt zum Parlamentsgebäude ab dem 16. November wieder stärker einzuschränken.

20.11.2020 ­ Die SPK-N reicht eine parlamentarische Initiative ein, die verlangt, Nationalratsmitgliedern, die wegen der Covid-19-Epidemie nicht an Nationalratssitzungen teilnehmen können, das Abstimmen in Abwesenheit zu ermöglichen (20.483).

Nach der Zustimmung ihrer Schwesterkommission unterbreitet sie den Räten den Entwurf eines dringlichen Bundesgesetzes zur Änderung des Parlamentsgesetzes. Dieser Entwurf wird von den Räten in der zweiten Sessionswoche angenommen und rechtzeitig für die dritte Sessionswoche in Kraft gesetzt. Zwei Nationalratsmitglieder machen in den letzten Sessionstagen Gebrauch von der Möglichkeit, ohne Präsenz vor Ort abzustimmen.

2.2.2.7

Fazit

Die geltenden Rechtsbestimmungen haben sich als ausreichend flexibel erwiesen, um dem Parlament eine Anpassung an die pandemiebedingten Hygienevorschriften zu ermöglichen. So konnte zunächst das Gebäude14 gewechselt (Bernexpo statt Parlamentsgebäude) und dann das Parlamentsgebäude mit Plexiglas-Trennwänden ausgestattet werden. Auch der Zugang der Öffentlichkeit konnte neu geregelt werden: So war es eine Zeit lang untersagt, die Sitzungen auf den Tribünen der Ratssäle mitzuverfolgen. Die Öffentlichkeit der Sitzungen wurde durch den Livestream im Internet sichergestellt.

Die geltenden Rechtsbestimmungen ermöglichten es dem Parlament auch, seine Rolle in der Krisenbewältigung wahrzunehmen, namentlich indem relativ schnell die ausserordentliche Session im Mai organisiert wurde, in der die dringlichen Geschäfte im Zusammenhang mit der Coronakrise behandelt werden konnten. Aus formeller Sicht bezog sich die Einberufung der ausserordentlichen Session nur auf hängige Geschäfte, und zwar auf den Assistenzdienst der Armee und die Nachtragskredite. Erst nachträglich fügten die Büros weitere von den Kommissionen behandelte Geschäfte, namentlich parlamentarische Vorstösse, hinzu.

In der ersten Pandemiewelle zeigte sich zudem, welch wichtige Rolle den Büros in der Praxis zukommt: Letztlich waren sie es, die den Abbruch der Frühjahrssession beschlossen. Die Büros waren es auch, die das Datum der ausserordentlichen Session im Mai festlegten und beschlossen, die für Juli geforderte ausserordentliche Session in der Herbstsession durchzuführen. Dies zeigt, dass die Büros durch ihre Kompetenz,

14

Da gemäss Artikel 32 des Parlamentsgesetzes der Tagungsort Bern festgelegt ist, war nur der Umzug in ein Gebäude in Bern möglich.

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die Räte einzuberufen und das Sessionsprogramm festzulegen, in einer starken Position sind. Es verdeutlicht auch, dass ­ ausser in den gesetzlich vorgesehenen Fällen ­ die Personen oder Organe, die berechtigt sind, die Einberufung einer ausserordentlichen Session zu beantragen, nicht bestimmen können, wann diese stattzufinden hat.

2.2.3

Beurteilung der Parlamentstätigkeit während der Pandemie durch die Wissenschaft

2.2.3.1

Tagungsrecht des Parlaments

Felix Uhlmann15 sowie Andrea Caroni und Stefan Schmid kommen mit Verweis auf die Gewaltenteilung zum Schluss, dass der Bundesrat die Bundesversammlung selbst in Krisensituationen nicht daran hindern kann, zu tagen und ihre verfassungsmässigen Kompetenzen wahrzunehmen.16 Andreas Stöckli vertritt dieselbe Ansicht und bezeichnet diese Frage als nicht mehr strittig.17

2.2.3.2

Abbruch der Frühjahrssession

In den Expertenanhörungen vom 22. Oktober 2020 wurde die Ansicht vertreten, dass der Beschluss der Büros vom 15. März 2020, die Frühjahrssession abzubrechen, das Recht der Ratsplenen (und jedes einzelnen Ratsmitglieds) verletzt, letztinstanzlich über das Sessionsprogramm zu befinden (Art. 9 Abs. 1 Bst. a GRN, Art. 6 Abs. 1 Bst. a GRS).

Demnach hätte die Bundesversammlung vor dem Abbruch der Session selbst die entsprechenden Beschlüsse fassen und insbesondere alternative Sitzungsmöglichkeiten und -orte für die Räte vorsehen müssen.

Felix Uhlmann vertritt in seinem Kurzgutachten vom 16. April 2020 eine differenziertere Position: Seiner Ansicht nach kann die Frage, ob der Sessionsabbruch in der Kompetenz der Büros lag, offengelassen werden. Es sei jedoch klar, dass die Ratsmitglieder auf jeden Fall die Möglichkeit haben müssten, den Beschluss der Büros zu korrigieren, wenn sie mit diesem nicht einverstanden sind, da der Beschluss anderenfalls unrechtmässig sei. Diese Bedingung ergebe sich auch aus dem Grundsatz der Gleichheit der Ratsmitglieder.18 Andrea Caroni und Stefan Schmid weisen darauf hin, dass der Abbruch einer Session nicht ausdrücklich geregelt ist, und kommen deshalb zum Schluss, dass dasjenige Organ, das für die Einberufung der Sessionen zuständig ist, auch die Kompetenz zum

15 16 17 18

Uhlmann, Felix: Kurzgutachten vom 16. April 2020 zuhanden des Stadtrats Frauenfeld betreffend die Durchführung von Sitzungen des Gemeinderats während der Corona-Krise.

Caroni/Schmid, 2020, S. 717.

Stöckli, Andreas: Regierung und Parlament in Pandemiezeiten. In: ZSR/RDS, 139(2020), I, Sondernummer, S. 10 und 40.

Uhlmann, Kurzgutachten 16. April 2020, S. 9f.

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Abbruch einer Session hat und der Beschluss der Büros vom 15. März 2020 deshalb rechtskonform war.19 Nach Ansicht von Andreas Glaser und Katja Gfeller scheint es offensichtlich, dass sich die Kompetenz der Büros für den Abbruch aus ihrer Kompetenz für die Einberufung der Session ergibt (Art. 33 Abs. 1 ParlG); diese Schlussfolgerung müsse jedoch kritisch betrachtet werden, da sie zur Folge habe, dass eine kleine Gruppe von Personen im Parlament die Befugnis hat, einen Beschluss zu fassen, der erhebliche Auswirkungen auf das Plenum als Ganzes hat.20

2.2.3.3

Ausserordentliche Session

In den Anhörungen wurde die Ansicht vertreten, dass die Einberufung der ausserordentlichen Session von Mai 2020 durch die Büros nicht fristgerecht erfolgte, da die in Artikel 28 und Artikel 34 FHG vorgesehene Frist von drei Wochen nicht eingehalten wurde.

Andreas Glaser und Katja Gfeller vertreten dieselbe Auffassung. Die in Artikel 28 Absatz 3 und Artikel 34 Absatz 4 FHG vorgesehene Frist von drei Wochen sei zu Unrecht missachtet worden.21 Darüber hinaus sei die ausserordentliche Session aber auch aus materiellen Gründen zu spät erfolgt. Da das Parlament erst sechs Wochen nach der Erklärung der ausserordentlichen Lage durch den Bundesrat einberufen wurde, habe es bei einer Vielzahl von Massnahmen vor vollendeten Tatsachen gestanden.

Andrea Caroni und Stefan Schmid sind hingegen der Meinung, dass der Beschluss der Büros, im Mai eine ausserordentliche Session durchzuführen, in diesem speziellen Fall eine flexible und angemessene Reaktion war. Das auf Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe a ParlG gestützte Gesuch der Ständeratsmitglieder um Einberufung einer ausserordentlichen Session habe die Besonderheit aufgewiesen, sich ausschliesslich auf künftige Geschäfte zu beziehen, die noch nicht von den Kommissionen behandelt worden waren, da diese noch keine Gelegenheit zu Sitzungen gehabt hatten. Die Büros hätten die ausserordentliche Session formell nur deshalb einberufen, um finanzielle und militärische Themen zu behandeln, hätten sich aber das Recht vorbehalten, weitere in den Kommissionen behandelte Covid-19-Geschäfte ins Programm aufzunehmen.22

2.2.3.4

Virtuelle oder hybride Session (nichtphysische Teilnahme eines Teils der Mitglieder)

Felix Uhlmann hält fest, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, Debatten mit Präsenz der Ratsmitglieder vor Ort durch Telefon- oder Videokonferenzen zu ersetzen, 19 20 21 22

Caroni/Schmid, 2020, S. 719.

Glaser/Gfeller, 2020, S. 17.

Glaser/Gfeller, 2020, S. 19.

Caroni/Schmid, 2020, S. 719.

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und es somit nicht rechtskonform wäre, Ratssitzungen per Videokonferenz durchzuführen. In seinen Augen bräuchte es für die Einführung solcher Instrumente eine Gesetzesrevision oder sogar eine Verfassungsänderung.23 Andrea Caroni und Stefan Schmid sind der Auffassung, dass es einer Verfassungsänderung bedarf, um die Möglichkeit virtueller Ratssitzungen einzuführen, da eine virtuelle Session nicht nur eine Frage der technischen Machbarkeit sei, sondern Auswirkungen auf das gesamte parlamentarische Verfahren habe.24 Andreas Stöckli teilt die Ansicht, dass die Rechtsgrundlagen geändert werden müssen, um virtuelle Sessionen einführen zu können. Er erachtet es nicht für ausgeschlossen, diese Möglichkeit für die Dauer der Krise über ein dringliches Bundesgesetz oder eine Notverordnung des Parlaments einzuführen.25 Diese Möglichkeit sehen auch Andrea Caroni und Martin Graf. Sie schlagen vor, dass ein dringliches und nicht verfassungskonformes Bundesgesetz im Entwurf vorbereitet wird, welches im Bedarfsfall in kurzer Zeit von der Bundesversammlung beraten und beschlossen werden kann. Oder es könnte die ihrer Ansicht nach kompliziertere Weg der Verfassungsreform gewählt und in Artikel 151 und 159 BV Ausnahmebestimmungen aufgenommen werden.26 Gemäss Caroni und Graf setzen die in diesen beiden Verfassungsbestimmungen verwendeten Begriffe «Die Räte versammeln sich...» und die Räte «können gültig verhandeln, wenn die Mehrheit ihrer Mitglieder anwesend ist» gemäss heutigem Sprachgebrauch eine physische Anwesenheit voraus. Die Auslegung einer Verfassungsbestimmung dürfe sich zudem nicht auf den reinen Wortlaut beschränken. Die physische Anwesenheit ermöglicht eine Unmittelbarkeit des persönlichen Kontaktes unter den Ratsmitgliedern, welche für die Meinungsbildung und Entscheidfindung im Parlament unerlässlich ist.27 Im Gegensatz zu diesen Autoren werden die Begriffe «sich versammeln» und «anwesend sein» im von der Subkommission «Parlament in Krisensituationen» in Auftrag gegebenen Gutachten des Bundesamtes für Justiz (BJ) vom 1. April 2021 so interpretiert, dass darunter auch eine nicht-physische Anwesenheit verstanden werden kann.

Im Gutachten wird weniger auf ein historisches Verständnis der Begriffe, denn auf deren heutigen Gebrauch abgestellt. Im Weiteren wird im Gutachten dafür plädiert, die Artikel 151 und
159 BV nicht isoliert zu betrachten, sondern auch in Bezug zu setzen zu Artikel 148 Absatz 1 BV, wonach die Bundesversammlung unter Vorbehalt der Rechte von Volk und Ständen die oberste Gewalt im Bund ausübt. Dabei sei nicht nur sprachlich, sondern auch vom Inhalt klar, dass nur eine Bundesversammlung, die tatsächlich verhandelt und entscheidet, gemeint sein kann. Gemäss Gutachten, ist die Zulässigkeit von Notlösungen an dem zu messen, was sich in einer Gesamtbetrachtung konfligierender Verfassungsbestimmungen als überzeugende Auslegung und Umsetzung der Verfassung insgesamt ergibt. Ein als Notlösung konzipierte Regelung

23 24 25 26 27

Uhlmann/ Wilhelm, 2020 Herausforderungen, S. 11.

Caroni/Schmid, 2020, S. 719f.

Stöckli Andreas, 2020, S. 41f.

Caroni, Andrea / Graf, Martin: Abstimmen von zu Hause statt im Bundeshaus.

In: Parlament/ Parlement/ Parlamento 1/2021, S. 12f.

Caroni/Graf, 2021, S. 12.

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für einen digitalen Ratsbetrieb sei deshalb vor dem Hintergrund der Maxime des geringsten verfassungsrechtlichen Schadens zu beurteilen.28 Unabhängig der Beurteilung von Notlösungen erachtet das Gutachten des BJ eine gesetzliche Regelung von Beratungen auf Distanz gemäss der geltenden Bundesverfassung auch im Grundbetrieb als zulässig, «sofern die Beteiligung über elektronische Kommunikationsmittel der Beteiligung vor Ort in einer Gesamtbetrachtung gleichwertig ist.»29

2.3

Nutzung parlamentarischer Instrumente

2.3.1

Rechtliche Grundlagen: Übersicht über die Instrumente

Nachfolgend werden in erster Line die Instrumente parlamentarischer Organe aufgelistet, die geeignet sind, möglichst rasch Entscheide der Bundesversammlung herbeizuführen. Auf eine Auflistung der Instrumente der einzelnen Ratsmitglieder wird hier verzichtet. Will ein einzelnes Ratsmitglied in einer Krisensituation einen raschen Entscheid der Bundesversammlung herbeiführen, dann stellt es sinnvollerweise Antrag im zuständigen Organ.

2.3.1.1

Kommissionsmotionen

Gemäss Artikel 120 des Parlamentsgesetzes (ParlG) kann vom Bundesrat mit einer Motion verlangt werden, dass er einen Entwurf für einen Erlass der Bundesversammlung vorlegt oder eine Massnahme trifft. Somit kann in Krisenzeiten z.B. verlangt werden, dass der Bundesrat eine von ihm aufgrund von Artikel 185 der Bundesverfassung erlassene Verordnung abändert oder eine Verordnung erlässt. Voraussetzung für die Behandlung einer Motion in den Räten ist das Vorliegen einer Stellungnahme des Bundesrates. Gemäss Artikel 121 Absatz 1 ParlG hat er dafür bis zur nächsten ordentlichen Session Zeit. Wenn die Motion weniger als einen Monat vor Beginn der nächsten ordentlichen Session eingereicht wurde, muss der Bundesrat seinen Antrag spätestens bis zur übernächsten Session stellen.

Das Verfahren in den Räten kann beschleunigt werden, wenn die Kommissionen beider Räte einen gleich lautenden Vorstoss einreichen und der Bundesrat dazu Stellung nimmt. Stimmen beide Räte einer gleichlautenden Kommissionsmotion zu, so ist der Auftrag an den Bundesrat definitiv erteilt (Art. 121 Abs. 5 Bst. b ParlG).

Ist eine Motion von beiden Räten beschlossen, obliegt die Umsetzung dem Bundesrat.

Ist die Motion nach zwei Jahren noch nicht erfüllt, so hat der Bundesrat der Bundesversammlung Bericht zu erstatten (Art. 122 Abs. 1 ParlG).

28 29

Bundesamt für Justiz: Gutachten: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit virtueller Beratungen der Bundesversammlung. 1. April 2021, S. 15­17.

Bundesamt für Justiz, 2021, S. 2.

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2.3.1.2

Kommissionsinitiativen

Das Instrument der parlamentarischen Initiative (Art. 107 ParlG ff.) kann geeignet sein, in dringenden Situationen oder Krisenzeiten den Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes oder einer Parlamentsverordnung in die Wege zu leiten. Der Bundesversammlung steht gemäss Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV das Recht zu, Verordnungen zu erlassen, wenn für eine nötige Regelung keine gesetzliche Grundlage besteht und dringlicher Handlungsbedarf gegeben ist. Mit einer Parlamentsverordnung können z.B. auf Artikel 184 und/oder Artikel 185 BV gestützte Notverordnungen des Bundesrates abgelöst und auch geändert werden, um die Massnahmen demokratischer abzustützen. Das Instrument ermöglicht es der Bundesversammlung auch, eigene Massnahmen zu ergreifen, wenn der Bundesrat in einem bestimmten Bereich nicht rechtsetzend tätig wird.

Mit dem Instrument der parlamentarischen Initiative wird ein Erlass der Bundesversammlung erarbeitet. Dabei sind ­ wie bei Gesetzgebungsverfahren üblich ­ alle interessierten Akteure einzubeziehen. So hat vor der Beratung in den Räten eine Stellungnahme des Bundesrates vorzuliegen (Art. 112 Abs. 3 ParlG) und es ist auch ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen (Art. 112 Abs. 2 ParlG, Art. 3 Vernehmlassungsgesetz, VlG. SR 172.061). Allerdings äussert sich das Vernehmlassungsgesetz nicht zum Erlass von Verordnungen, welche auf Artikel 173, 184 oder 185 BV gestützt sind. In solchen Fällen ist die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens wenig realistisch. Die Ausarbeitung der Entwürfe obliegt dem Kommissionssekretariat, welches zu diesem Zweck das zuständige Departement beiziehen kann (Art. 112 Abs. 1 ParlG).

2.3.1.3

Erklärungen eines Rates

Die beiden Räte können unabhängig voneinander Erklärungen verabschieden.

Die Mehrheit einer Kommission des Nationalrates kann einen Entwurf einer Erklärung des Nationalrats einreichen (Art. 32 GRN). Im Ständerat kann auch jedes Ratsmitglied eine Erklärung beantragen (Art. 27 GRS).

2.3.1.4

Mitberichte an die Finanzkommission

In Krisensituationen hat die Bundesversammlung häufig nachträglich dringlich bewilligte Kredite zu genehmigen. Die Vorberatung solcher Kredite, welche von der Finanzdelegation bereits bewilligt worden sind, obliegt in der Regel den Finanzkommissionen. Gemäss Artikel 49 Absatz 4 ParlG können die Sachbereichskommissionen Mitberichte an die vorberatende Kommission richten, welche über konkrete Anträge abstimmen muss. Konkret könnte z.B. Folgendes beantragt werden: Genehmigung der Kredite, Nichtgenehmigung der Kredite (der Bundesrat müsse noch nicht ausbezahlte Gelder stoppen), Erhöhung der Kredite, Kürzung der Kredite (soweit das Geld noch nicht ausgegeben ist), Regelungen der Rahmenbedingungen der Kreditverwendung.

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Zusätzliche Kredite können dann beantragt werden, wenn eine Rechtsgrundlage vorliegt. Ansonsten müsste diese mit dem Instrument der parlamentarischen Initiative oder der Motion geschaffen werden.

2.3.2

Praxis während der Pandemie

In der ersten Phase der Pandemie haben die Kommissionen intensiv mit dem Instrument der Motion gearbeitet: Bis zur Sommersession 2020 wurden 49 Kommissionsmotionen im Zusammenhang mit Covid-19 eingereicht. Das Parlament nahm bis zum Ende der Herbstsession 2020 23 Motionen an. Eine Analyse dieser Motionen hat gezeigt, dass z.T. mit beeindruckendem Tempo gearbeitet wurde: So vergingen im Durchschnitt lediglich 11 Tage vom Einreichen einer gleichlautenden Kommissionsmotion bis zu deren Annahme durch die Räte (Durchschnitt letzte Legislatur: 112 Tage). Auch die Bilanz der Umsetzung durch den Bundesrat lässt sich sehen: Verordnungen zur Umsetzung wurden spätestens 15 Tage nach Annahme der Motionen erlassen und die Entwürfe der dringlichen Bundesgesetze wurden innert viereinhalb Monate nach der Annahme der Motionen veröffentlicht.30 Das Instrument der Kommissionsmotion hat sich in der Pandemie bewährt, weil der Bundesrat nicht auf der Einhaltung der ihm zustehenden Frist für die Beantwortung der Vorstösse beharrt hat. Somit war es möglich, auch kurzfristig vor der Session eingereichte Vorstösse bereits in dieser zu behandeln. Zudem hat der Bundesrat angenommene Motionen sehr schnell umgesetzt. Die Bundesversammlung war aber auf das Entgegenkommen des Bundesrates angewiesen.

Das Instrument der parlamentarischen Initiative für kurzfristige Massnahmen aufgrund von Covid-19 wurde von den Kommissionen nur in drei Fällen genutzt. Mit der parlamentarischen Initiative 20.481 (Übergangsvoranschlag bis zur Verabschiedung des Voranschlags 2021 mit integriertem Finanzplan 2022­2024) unterbreitete die Finanzkommission des Nationalrates ein «Notbudget» für den Fall, dass es der Bundesversammlung aufgrund der Entwicklung der Pandemie nicht gelungen wäre, das ordentliche Budget vor Jahresende zu verabschieden. Mit der von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates ausgearbeiteten Vorlage 20.483 wurde aufgrund von Covid-19 verhinderten Mitgliedern des Nationalrates das Abstimmen in Abwesenheit ermöglicht. Die von der Staatspolitischen Kommission des Ständerates ausgearbeitete Vorlage 21.482 schliesslich brachte die Zertifikatspflicht für den Zugang zum Parlamentsgebäude. Hier handelte es sich allerdings um den Bereich des Parlamentsrechts, in welchem eine Motion nicht möglich gewesen wäre. Die Kommission für
Wissenschaft, Bildung und Kultur hat mit einer Kommissionsinitiative beabsichtigt, eine Notverordnung für die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung auszuarbeiten (20.407). Schliesslich wurde aber doch zum Instrument der Motion gegriffen.

30

Parlamentsbibliothek: Covid 19: Die Kommissionsmotionen in der ersten Pandemiephase.

Zusammenfassung, S. 2ff.

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2.3.3

Beurteilung der Parlamentstätigkeit während der Pandemie durch die Wissenschaft

Andrea Caroni und Stefan G. Schmid halten fest, dass die Kommissionen über zahlreiche Instrumente verfügen, um auch im Notstand neue Beratungsgegenstände in den Räten anhängig zu machen. Sie verweisen jedoch auch auf die Nachteile der Instrumente: Bei der Motion liegt der Ball beim Bundesrat, welcher seinen Antrag auf Ablehnung oder Annahme der Motion stellen muss. Eine kurzfristige Ausarbeitung von Notverordnungen oder dringlichen Bundesgesetzen durch das Parlament erachten sie zumeist als unmöglich.31 Andreas Stöckli hält zu den parlamentarischen Instrumenten fest: «Wenngleich auch für das Parlament Mechanismen zur Verfahrensbeschleunigung und der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen bestehen, erschweren die Milizstrukturen, die nicht permanent stattfindenden Verhandlungen, die Grösse, die Zusammensetzung, die unübersichtlichen und unstabilen Mehrheitsverhältnisse sowie das schwerfälligere Entscheidverfahren eine rasche Intervention». Und konkret zu den Instrumenten Motion und parlamentarische Initiative: «Die entsprechenden Verfahrensvorschriften sind allerdings nicht auf Dringlichkeit und Raschheit ausgerichtet; auch kommt dem Bundesrat bezüglich der Umsetzung einer angenommenen Motion (gerade auch in zeitlicher Hinsicht) ein erheblicher Spielraum zu (vgl. Art. 119, Art. 121 und Art. 122 ParlG)». Stöckli fordert deshalb die Einrichtung eines schnellen Verfahrens für den Erlass von parlamentarischen Notverordnungen.32 In den Anhörungen der SPK vom Oktober 2020 wurde die Einführung einer «dringenden Motion» vorgeschlagen.

Die Experten fordern also flexible Instrumente, die ein schnelles Verfahren zulassen.

Allerdings werden keine konkreten, ausgearbeiteten Vorschläge gemacht.

2.3.4

Fazit

Den parlamentarischen Organen steht ein umfangreiches parlamentarisches Instrumentarium zur Verfügung, mit welchem auch in Krisensituationen agiert werden kann. Sehr effizient ist das Instrument der gleichlautenden Motionen der Kommissionen beider Räte.

Die Problematik besteht bei der Motion in der Einhaltung der Frist für die Stellungnahme des Bundesrates, welche für die Behandlung im Rat vorliegen muss. Dies kann ein zeitnahes Einwirken erschweren. Auch kann die Bundesversammlung nicht eine beschleunigte Umsetzung der Motion durch den Bundesrat verlangen.

Bei der parlamentarischen Initiative besteht die Problematik im Einbezug der anderen Akteure (Bundesrat, Kantone und übrige interessierte Kreise) sowie in der Schwierigkeit, innert kürzester Zeit mit bescheidenen Ressourcen einen Erlassentwurf auszuar-

31 32

Caroni/Schmid, 2020, S. 718.

Stöckli Andreas, 2020.

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beiten. Faktisch ist der Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes oder einer Parlamentsverordnung mittels einer parlamentarischen Initiative dann möglich, wenn klare Mehrheiten in beiden Räten einen begrenzten Sachverhalt, welcher höchstens einen beschränkten Teil externer Akteure betrifft, regeln wollen.

In der Covid-Krise hat sich gezeigt, dass die Bundesversammlung auch mit eher informellen Instrumenten rasch und wirksam Einfluss nehmen kann: So haben Kommissionen in Aussprachen mit Vertretungen des Bundesrates diesen Anliegen für die Änderungen von Verordnungen mitgegeben, welche aufgenommen wurden. Häufig wurden solche Anliegen auch mit Schreiben an den Bundesrat eingegeben.

2.4

Ausübung von Notrechtskompetenzen

2.4.1

Rechtliche Grundlagen

2.4.1.1

Kompetenzen des Bundesrates

Artikel 185 Absatz 3 BV und Artikel 184 Absatz 3 BV ermächtigen den Bundesrat, verfassungsunmittelbare Verordnungen zu erlassen. Während Artikel 184 Absatz 3 BV die Grundlage für den Erlass von Verordnungen zur Wahrung der Interessen des Landes bildet, steht Artikel 185 Absatz 3 BV für Massnahmen, «um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen».

Artikel 185 Absatz 3 BV ermächtigt den Bundesrat, mit Verordnungsrecht Massnahmen zu ergreifen, ohne dass dafür eine spezifische formellgesetzliche Grundlage nötig wäre. Dabei geht es grundsätzlich um den Schutz von Polizeigütern. Solche bundesrätlichen Verordnungen sind nur zulässig, wenn sachlich und zeitlich dringliches Handeln geboten ist. Verordnungen nach Artikel 185 Absatz 3 BV stellen grundsätzlich eine genügende Rechtsgrundlage selbst für schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen dar. Sie müssen aber ­ wie alle Grundrechtseingriffe ­ durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt und verhältnismässig sein sowie die Rechtsgleichheit und den Grundsatz von Treu und Glauben wahren. Beim Erlass einer auf Artikel 185 Absatz 3 gestützten Verordnung ist der Bundesrat grundsätzlich an Verfassung und Gesetz gebunden (es handelt sich um «intrakonstitutionelles» Notrecht; im Gegensatz zum «extrakonstitutionellen» Notrecht, das nicht an die Verfassung gebunden ist und einen eigentlichen Staatsnotstand voraussetzt). Verordnungen, die sich auf Artikel 185 Absatz 3 BV abstützen, sind einer Überprüfung durch das Bundesgericht prinzipiell zugänglich (konkrete Normenkontrolle).

Seit dem 1. Mai 2011 konkretisiert Artikel 7d des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes die verfassungsrechtlichen Vorgaben und setzt damit dem Bundesrat gewisse Schranken. Nach Artikel 7d Absatz 2 Buchstabe a RVOG tritt eine Verordnung nach Artikel 185 Absatz 3 BV sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten ausser Kraft, wenn der Bundesrat bis dahin der Bundesversammlung keinen Entwurf einer gesetzlichen Grundlage für den Inhalt der Verordnung oder einer Verordnung des Parlaments gemäss Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV, welche die Verordnung des Bundesrates ersetzt, unterbreitet. Verabschiedet der Bundesrat indessen innerhalb der

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sechsmonatigen Frist eine solche Botschaft, so kann eine solche Verordnung weiterhin in Kraft bleiben, bis die gesetzliche Grundlage oder die Parlamentsnotverordnung in Kraft tritt oder der Entwurf vom Parlament abgelehnt wird. Ferner tritt eine auf Artikel 185 Absatz 3 BV gestützte Verordnung ausser Kraft nach der Ablehnung des Entwurfes durch das Parlament (Art. 7d Abs. 2 Bst. b RVOG) oder wenn die gesetzliche Grundlage oder die sie ersetzende Verordnung des Parlaments in Kraft tritt (Art. 7d Abs. 2 Bst. c RVOG).

2.4.1.2

Kompetenzen des Parlaments

Parallel zum Notverordnungsrecht des Bundesrates kann das Parlament seine auf Artikel 173 Absatz 2 Buchstabe c BV gestützten Notverordnungskompetenzen ausüben: Wenn ausserordentliche Umstände es erfordern, kann es zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz sowie zur Wahrung der inneren Sicherheit Verordnungen oder einfache Bundesbeschlüsse erlassen. Wenn auch die Befugnisse von Bundesrat und Parlament in der BV parallel ausgestaltet sind, so haben Notverordnungen des Parlaments aufgrund der höheren demokratischen Legitimation Vorrang, soweit sie den gleichen Gegenstand betreffen wie eine Notverordnung des Bundesrates.

Das Parlament kann somit die Notverordnungen des Bundesrates übersteuern. Für den Erlass von Notverordnungen aus eigener Initiative steht das Instrument der parlamentarischen Initiative nach Artikel 107 ff. ParlG zur Verfügung.

Eine Notverordnung des Parlamentes würde einer bereits bestehenden Notverordnung des Bundesrates zum gleichen Gegenstand vorgehen. Es ist jedoch möglich, dass die Notverordnung des Parlaments nicht deckungsgleich mit der Notverordnung des Bundesrates ist, was zu Abgrenzungs- und Auslegungsschwierigkeiten führen könnte.

2.4.2

Praxis während der Pandemie

Der Bundesrat hat ab dem 13. März 2020 verschiedene Verordnungen zur Bewältigung der Corona-Krise erlassen.

Die Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) (COVID-19-Verordnung 2; insbes. AS 2020 773 und AS 2020 783) stützte sich ab dem 16. März 2020 bis und mit 21. Juni 2020 auf Artikel 7 des Epidemiengesetzes vom 28. September 2012 (EpG; SR 818.101). Alle Massnahmen, die weitgehend direkt unter epidemiologischem Gesichtspunkt als Massnahmen nach EpG zur Verminderung der Verbreitung des Coronavirus bzw. zum Erhalt der medizinischen Kapazitäten zur Bewältigung der Epidemie zu rechtfertigen sind («Primärmassnahmen»), wurden ausschliesslich gestützt auf den einschlägigen Grundlagen des Epidemiengesetzes, namentlich Artikel 7 EpG, erlassen und in die COVID-19-Verordnung 2 integriert.

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Demgegenüber wurden Massnahmen zur Bewältigung von Folgeproblemen, die sich erst durch die Ergreifung der Massnahmen nach EpG («Primärmassnahmen») ergeben, in je separaten Verordnungen, erlassen. Solche «Sekundärmassnahmen» in der Form bundesrätlichen Verordnungsrechts stützten sich soweit möglich auf formellgesetzliche Delegationsnormen und gesetzliche Aufträge an den Bundesrat zum Erlass von Ausführungsbestimmungen. Wo solche nicht bestanden oder nicht ausreichten, stützte sich die bundesrätliche Verordnungskompetenz auf Artikel 185 Absatz 3 BV, wenn die entsprechenden verfassungsrechtlichen Voraussetzungen (insbesondere der zeitlichen und sachlichen Dringlichkeit) erfüllt waren. Solche direkt auf die Verfassung gestützten Verordnungen wurden auf sechs Monate befristet (vgl.

Art. 7d RVOG).

Mit dem Übergang in die besondere Lage wurde die COVID-19-Verordnung 2 durch die auf Artikel 185 Absatz 3 BV abgestützte Verordnung 3 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung 3; SR 818.101.24) und die auf Artikel 6 EpG betr. besondere Lage abgestützte Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26) abgelöst.

Bereits am 29. April 2020 hat der Bundesrat die Bundeskanzlei und das EJPD (BJ) beauftragt, eine Vernehmlassungsvorlage für ein dringliches und befristetes Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid- 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) auszuarbeiten. Am 19. Juni 2020 eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren zum Covid-19-Gesetz, welche bis am 10. Juli 2020 lief. Am 12. August 2020 verabschiedetet der Bundesrat die Botschaft zum Covid-19-Gesetz (BBl 2020 6563), womit für jene auf Artikel 185 Absatz 3 gestützten Verordnungen, für die im Gesetz eine Grundlage geschaffen werden sollte, die Bedingung für eine weitere Geltung nach Ablauf der ersten sechs Monate seit Inkrafttreten nach Artikel 7d Absatz 2 RVOG erfüllt wurde.

Das Parlament verabschiedete das Covid-19-Gesetz am 25. September 2020, erklärte es für dringlich und setzte es per 26. September 2020 in Kraft (AS 2020 3835; SR 818.1012). In den nachfolgenden Sessionen wurden verschiedene Änderungen des Gesetzes vorgenommen. Das Gesetz enthält die erforderlichen
inhaltlichen Festlegungen und die notwendigen Delegationsgrundlagen für die vom Bundesrat in den auf Artikel 185 Absatz 3 BV gestützten Verordnungen geregelten Massnahmen namentlich in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Verfahrensrecht, Kultur, Härtefälle, Mannschaftssport, Medien, Erwerbsausfall und Arbeitslosenversicherung.

In seiner Erklärung vom 4. Mai 2020 (20.208) sicherte der Bundesrat zu, dass er zu Kommissionsmotionen, die sich auf notrechtliche Verordnungen beziehen und die bis zwei Wochen vor einer Session eingereicht werden, Stellung nimmt, so dass sie in der Session behandelt werden können. Er erklärte sich bereit, breit abgestützte Kommissionsmotionen schnellstmöglich umzusetzen. Zudem erklärte sich der Bundesrat dazu bereit, vor allfälligen neuen, wichtigen notrechtlichen Bestimmungen die Präsidentinnen und Präsidenten der zuständigen Kommissionen konsultieren; wo dies nicht rechtzeitig möglich ist, sicherte der Bundesrat zu, sie zumindest informieren. Diese Zusicherungen wurden in der Folge soweit möglich umgesetzt. Die Konsultationspflicht des Bundesrates wurde anschliessend in das Covid-19-Gesetz überführt

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(AS 2020 3835). Nach Artikel 1 Absatz 4 des Covid-19-Gesetzes informiert der Bundesrat das Parlament regelmässig, frühzeitig und umfassend über die Umsetzung dieses Gesetzes. Er konsultiert die zuständigen Kommissionen vorgängig über die geplanten Verordnungen und Verordnungsänderungen. In dringlichen Fällen informiert der Bundesrat die Präsidentinnen oder Präsidenten der zuständigen Kommissionen.

Diese informieren umgehend ihre Kommissionen (Art. 1 Abs. 5 Covid-19-Gesetz).

Eine weitere für das Parlament wichtige Bestimmung wurde in Artikel 1 Absatz 2 des Covid-Gesetzes aufgenommen: Danach macht der Bundesrat von dem ihm im CovidGesetz zugewiesenen Befugnissen nur so weit Gebrauch, als dies zur Bewältigung der Epidemie notwendig ist. Insbesondere macht er davon keinen Gebrauch, wenn das Ziel auch im ordentlichen oder dringlichen Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig erreicht werden kann.

2.4.3

Beurteilung der Parlamentstätigkeit und Ausübung der Notrechtskompetenzen durch den Bundesrat während der Pandemie durch die Wissenschaft

Nachstehend werden die wesentlichen Kritikpunkte zu verschiedenen Aspekten des notrechtlichen Handelns des Bundesrates zusammengefasst, die an den Anhörungen der SPK am 22. Oktober 2020 geäussert wurden.

2.4.3.1

Verfassungsrechtliche Grundlagen des «Notrechts»

Einige Teilnehmer an der Anhörung vertraten die Auffassung, dass der Bundessrat Art. 185 Abs. 3 BV viel weiter auslegte als nach bisherigen Verständnis. Sie wiesen insbesondere darauf hin, dass das Parlament anlässlich der Beratung der BV 1999 die vom Bundesrat vorgeschlagene Erweiterung beim Notrecht ablehnte. Biaggini fasst es so zusammen: «In der Coronavirus-Pandemie scheint aus der Generalklausel polizeilicher Natur des Art. 185 Absatz 3 BV eine Art Wohlfahrtsstaats-Generalklausel geworden zu sein. Artikel 185 Absatz 3 BV ist kaum mehr wiederzuerkennen.»33.

Kley und Biaggini kritisieren auch, dass die Covid-19-«Notrechts»-Verordnungen gesetzesderogierende Vorschriften in grosser Zahl sowie vereinzelt auch Regelungen enthielten, die von der Verfassung abwichen.34 Biaggini regt an, die Rückkehr zum klassischen Verständnis von Artikel 185 Absatz 3 BV zu prüfen.35 Wenn man die weite Auslegung von Artikel 185 der Bundesverfassung, die der Bundesrat vorgenommen hat, weiterführen möchte, müsste man gemäss Biaggini darüber nachdenken, ob es nicht künftig eine Validierung durch das Parlament im Vorfeld brauchen würde (wie KV GE/NE).36 33 34

35 36

Biaggini, Gioavanni: «Notrecht» in Zeiten des Coronavirus ­ Eine Kritik der jüngsten Praxis des Bundesrats zu Art. 185 Abs. 3 BV. In: ZBl 5/2020, S. 257.

Biaggini, 2020, S. 256 und Kley, Andreas: «Ausserordentliche Situationen verlangen nach ausserordentlichen Lösungen» ­ Ein staatsrechtliches Lehrstück zu Art. 7 EpG und Art. 185 Abs. 3 BV. In: ZBl 121/2020, S. 275.

Biaggini, 2020, S. 267.

Kley, 2020, S. 276.

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Andere Teilnehmer der Anhörungen äusserten sich dagegen dahingehend, dass die Auffassung von Biaggini und Kley der in Artikel 185 Absatz 3 BV vorgesehenen Kompetenzen des Bundesrates BV zu einschränkend sei. Vielmehr könne man argumentieren, Artikel 185 Absatz 3 BV lasse auch andere Maßnahmen als blosse «Polizeimaßnahmen» sowie Abweichungen von Gesetzen und sogar von der BV zu. Der Bundesrat muss in der Krise schnell handeln können. So meint etwa Stöckli: «Der Bundesrat ist besser als das Parlament in der Lage, zeitgerecht die erforderlichen Massnahmen zu treffen und auf sich verändernde Situationen zu reagieren. ... Während Art. 7 EpG epidemiologisch motivierte Primärmassnahmen zum Schutz der Bevölkerung ermöglicht, müssen darüber hinausgehende Massnahmen, insbesondere solche zur Bewältigung von Folgeproblemen (wie etwa auch Massnahmen zur Abfederung von wirtschaftlichen Folgen der Pandemie), auf andere gesetzliche Bestimmungen oder bei deren Fehlen auf die konstitutionellen Notrechtszuständigkeiten (insbesondere Art. 185 Abs. 3 BV) abgestützt werden.»37 Für einige Experten ist Artikel 165 BV der eigentliche Schlüssel zur Bewältigung der Krise. Die Bundesversammlung kann gestützt auf diese Bestimmung auf dem Dringlichkeitsweg für ein Jahr die Verfassung abändern, ohne dass ein Referendum nötig ist. Dieses Instrument eröffnet sehr weitreichende Möglichkeiten.

2.4.3.2

Notrecht und spezialrechtliche Grundlagen der Krisenbekämpfung

Einen wichtigen Grund für die Notrechtswelle sieht Biaggini in Defiziten im Bereich der spezialrechtlichen Gesetzgebung in den betroffenen Sachbereichen, namentlich im Epidemienrecht. Er bemängelt, das Epidemiengesetz enthalte keine inhaltliche Vorgaben für die ausserordentliche Lage.38 In den Anhörungen wurde die Ansicht geäussert, der Bundesrat hätte gleich zu Beginn der Krise dem Parlament ein Gesetz mit Delegationsklauseln im dringlichen Verfahren unterbreiten sollen ­ was aber natürlich nur möglich gewesen wäre, wenn das Parlament präsent gewesen wäre. Man hätte auch Regelungen beschliessen und diese dann rückwirkend in Kraft setzen können.

Kley hält den Ansatz des Epidemiengesetzes für eine gute Lösung und bedauert, dass der Bundesrat nicht sehr viel mehr Massnahmen darauf abgestützt hatte, statt auf die BV. Er hält es gestützt auf eine historische Auslegung insb. für falsch, Artikel 7 EpG als lediglich deklaratorischen Verweis auf Artikel 185 Absatz 3 BV zu betrachten.39

37 38 39

Stöckli, 2020.

Biaggini, 2020,S. 260ff.

Kley, 2020.

35 / 76

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2.4.3.3

Überführung von Notrecht in ordentliches Recht (Art. 7d RVOG)

Hinsichtlich der Überführung des Notrechts in ordentliches Recht war die Beurteilung uneinheitlich. Es wurde die Auffassung vertreten, dass der Überführungsmechanismus funktioniert hat.

Für andere hingegen ist fraglich, ob der Überführungsmechanismus sinnvoll ist. Es wurde angemerkt, dass Art. 7d RVOG vor allem auf statische und weniger auf länger dauernde und dynamische Krisen ausgerichtet ist.

Was das auf das Epidemiengesetz gestützte Notrecht betrifft, so kritisiert Biaggini, dass für Verordnungen, welche sich auf Artikel 7 des Epidemiengesetzes stützen, das Gesetz weder eine Pflicht zur Befristung noch einen kanalisierenden und disziplinierenden Überführungsmechanismus nach dem Muster von Artikel 7d des Regierungsund Verwaltungsorganisationsgesetzes vorsehen.40 Auch gemäss Stöckli sprechen gute Gründe dafür, dass Art. 7d des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes auch bei auf Artikel 7 Epidemiengesetz abgestützten Verordnungen zur Anwendung kommt. Er stellt aber auch die Frage, ob Artikel 7d des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes auf länger dauernde und dynamisch ausserordentliche Lagen genügend gut eingestellt ist.41

2.5

Generelles Fazit zum Funktionieren der Bundesversammlung während der Krise

Die Bundesversammlung hat einen schlechten Start in die durch die Corona-Pandemie 2020/21 verursachte Krise erwischt. Am Sonntag vor Beginn der dritten Woche der Frühjahrssession 2020 präsentierte sich die epidemiologische Lage unvorhersehbar und gefährlich. Es wäre wohl kaum vermittelbar gewesen, wenn die Räte am Tag darauf zusammengetreten wären, um unabhängig von Fragen im Zusammenhang mit der Covidkrise die vorgesehenen Geschäfte zu behandeln, Die dritte Woche der Frühjahrssession 2020 wurde deshalb abgebrochen, ohne dass eine Perspektive für das weitere Vorgehen gegeben wurde. Auch die Tätigkeit der Kommissionen war eingeschränkt und das Tagungsrecht wurde vorerst nur vereinzelten Kommissionen zugestanden. Auch zeigte sich, dass den parlamentarischen Organen zur Wahrnehmung ihrer verfassungsmässigen Rechte, z.B. für die Ausarbeitungen von Verordnungen gemäss Artikel 173 der Bundesverfassung, nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung standen.

Die Bundesversammlung hat dann aber wieder Tritt gefasst, als im Laufe des Monats April 2020 wieder Kommissionssitzungen stattfanden und sich schliesslich die Räte Anfang Mai 2020 zu einer ausserordentlichen Session versammelten. Kommissionen und Räte haben sich intensiv mit dem vom Bundesrat erlassenen Recht zur Krisenbewältigung auseinandergesetzt. Sie taten dies, indem sie einerseits mit den formalen

40 41

Biaggini, 2020. S. 265.

Stöckli, 2020.

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Instrumenten, insbesondere der Motion, arbeiteten. Die Kommissionen nutzten andererseits auch informelle Mittel der Einflussnahme, indem sie Aussprachen mit Vertretungen des Bundesrates hielten oder letzterem Empfehlungen in Briefform abgaben.

Somit entstand ein reger Austausch zwischen Regierung und Parlament. Die eingereichten Motionen wurden zügig behandelt und die angenommenen Motionen rasch umgesetzt. Dies war insbesondere auch deshalb möglich, weil der Bundesrat die ihm zugestandenen Fristen nicht ausnutzte und sehr schnell zu Motionen betreffend die Krisenbewältigung Stellung nahm. Ohne dieses Entgegenkommen des Bundesrates, hätte die Bundesversammlung das Instrument der Motion nicht so flexibel nutzen können.

Mit dem Instrument der Motion konnte die Bundesversammlung Massnahmen zur Krisenbewältigung auf Gesetzesstufe holen, wenn sie eine breitere demokratische Legitimation für sinnvoll erachtete. Beispiel hierfür sind die Motionen der SPK zur Corona-Proximity-Tracing-App (20.3168/20.3144). Mit diesen Motionen verlangte die Bundesversammlung die Ausarbeitung einer gesetzlichen Grundlage für diese App, weil sie eine auf das Epidemiengesetz des Bundesrates abgestützte Verordnung nicht als ausreichend erachtete.

Hingegen hat die Bundesversammlung ­ mit Ausnahme der Vorlagen für ein Notbudget und für die Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit im Nationalrat sowie für die Zertifikatspflicht der Ratsmitglieder ­ keine eigenen Vorlagen zur Krisenbewältigung ausgearbeitet. Dabei ist auch in Krisenzeiten gemäss den in Artikel 110 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes aufgeführten Kriterien im Einzelfall zu beurteilen, ob das Instrument der Motion oder der parlamentarischen Initiative geeigneter ist, um einen Erlassentwurf auszuarbeiten. Wenn z.B. wie im Fall der Unterstützung von Kitas in Krisensituationen schon konkrete Entwürfe vorliegen, die aber im Bundesrat keine Mehrheit gefunden haben, dann wäre das Parlament sicher mit dem Instrument der parlamentarischen Initiative schneller unterwegs. Auch zur Regelung der Frage, ob Geschäftsmieten erlassen oder reduziert werden sollen, wäre vielleicht das Instrument der parlamentarischen Initiative geeigneter gewesen: Wenn die Bundesversammlung hier mit dem Instrument der parlamentarischen Initiative und nicht mit der Motion gearbeitet hätte, wäre vielleicht
früher festgestanden, dass es keine parlamentarische Mehrheit für eine Lösung gibt und die betroffenen Personen hätten Klarheit gehabt.

Der Bundesversammlung steht ein vielfältiges Instrumentarium zur Verfügung, um in Krisenzeiten auf die Verordnungsgebung des Bundesrates Einfluss zu nehmen und auch selber Regeln zur Krisenbewältigung zu erlassen. Im Weg stehen ihr dabei in erster Linie die fehlenden Mehrheiten, die fehlenden Ressourcen und teilweise träge Strukturen und Instrumente.

Damit die Bundesversammlung überhaupt agieren kann, braucht es Mehrheiten in beiden Kammern. Diese sind nicht immer leicht zu finden, sodass die Trägheit des parlamentarischen Prozesses in erster Line der komplexen Mehrheitsfindung geschuldet ist. Sind die Mehrheiten jedoch vorhanden, dann sollte das Parlament nicht durch die Trägheit von Strukturen und Instrumenten, die auf die komplexe parlamentarische Mehrheitsfindung in Normalzeiten ausgerichtet sind, am Agieren gehindert werden.

Die entsprechenden Strukturen und Instrumente sind deshalb auf ihre Krisentauglichkeit zu überprüfen.

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Schliesslich ist festzuhalten, dass durch den in Artikel 7d des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes (SR 172.010) vorgegebenen Mechanismus dem bundesrätlichen Verordnungsrecht in Krisenzeiten ein enger zeitlicher Rahmen gesetzt ist und der Bundesversammlung bereits im Herbst 2020 die noch notwendigen Massnahmen in ordentliches Gesetzesrecht überführt werden konnten. Im Rahmen der Vorlage für ein Covid-Gesetz konnten auch Massnahmen zur direkten Bewältigung der Krise diskutiert und eingebracht werden. Regelungen auf Gesetzesstufe müssen jedoch für einen längeren Zeithorizont tauglich sein und somit ­ wie in Gesetzen üblich ­ so generell-abstrakt wie möglich formuliert sein. So stellt sich die berechtigte Frage, ob es sinnvoll ist, wenn der Gesetzgeber Daten für Restaurantöffnungen festlegt. Hingegen könnte der Gesetzgeber definieren, unter welchen Voraussetzungen (Fallzahlen, R-Wert etc.) bestimmte Massnahmen (Restaurantschliessungen, Versammlungen, Tragen von Masken etc.) ergriffen werden sollen.

3

Grundzüge der Vorlage

3.1

Anforderung an ein Parlament in Krisensituationen: Grundsätze

Bei der Auswahl der Reformvorschläge sollen nach einhelliger Auffassung der Subkommission «Parlament in Krisensituationen» folgende Grundsätze massgebend sein: 1.

Das Parlament als «oberste Gewalt im Bunde» (Art. 148 BV) muss auch in Krisenzeiten jederzeit handlungsfähig sein.

2.

Die Räte sollen jederzeit tagen können. Dazu sollen sie sich unbürokratisch an alternativen Tagungsorten versammeln und auch Sitzungen virtuell durchführen können. Das Tagungsrecht der Räte darf durch keine andere Behörde eingeschränkt werden.

3.

Die parlamentarischen Kommissionen müssen ihr Selbstbefassungsrecht wahrnehmen können. Somit sollen sie jederzeit eigenständig beschliessen können, Sitzungen durchzuführen. Auch sie sollen dazu digitale Instrumente und alternative Tagungsorte nutzen können.

4.

Das parlamentarische Instrumentarium muss in Krisenzeiten effizient genutzt werden können. Dazu müssen für Krisenzeiten allenfalls flexiblere Fristen vorgesehen werden.

5.

Dem Parlament und seinen Organen müssen genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, damit die parlamentarischen Rechte auch in Krisenzeiten effizient wahrgenommen werden können.

3.2

Reformvorschläge

Nachfolgend sollen Reformvorschläge dargelegt werden, welche den oben dargelegten Anforderungen genügen und somit die Handlungsfähigkeit des Parlamentes in

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Krisensituationen verbessern sollen. Es wird auch auf nicht weiterverfolgte Reformvorschläge eingegangen.

3.2.1

Zusammentreten von Kommissionen

3.2.1.1

Tagungsrecht der Kommissionen

Die Schweizerische Bundesversammlung ist ein Arbeitsparlament. Die parlamentarischen Kommissionen bereiten nicht nur die ihnen zur Vorberatung zugewiesenen Geschäfte zuhanden des Rates vor, sondern können gemäss Artikel 45 des ParlG auch von sich aus tätig werden. Da es für die meisten Beratungsgegenstände der Bundesversammlung eine Vorberatung durch die zuständige Kommission braucht, hängt die Handlungsfähigkeit des Parlamentes auch in grossem Ausmass vom funktionierenden Kommissionsbetrieb ab. Dies zeigte sich im Frühling 2020, als vor der Durchführung der ausserordentlichen Session im Mai die zur Vorbereitung der Geschäfte notwendigen Kommissionssitzungen eingeplant werden mussten.

Die Kommissionen müssen deshalb Sitzungen abhalten dürfen, nicht nur um ihre Rechte wahrnehmen, sondern auch um das Funktionieren des Parlamentsbetriebs gewährleisten zu können. Dieses Tagungsrecht darf weder durch administrative Vorschriften der parlamentarischen Leitungsorgane (Büros, Verwaltungsdelegation), noch aufgrund mangelnder Ressourcen eingeschränkt werden. Die parlamentarischen Leitungsorgane haben deshalb in allen Situationen dafür zu sorgen, dass die nötigen Infrastrukturen und Ressourcen vorhanden sind, damit die parlamentarischen Kommissionen tagen können.

Da sich im ParlG keine Bestimmung betreffend das Zusammentreten von Kommissionen findet, ist eine solche zu ergänzen. Dabei kann der Grundsatz der regelmässig stattfindenden Sitzungen sowie das Recht, zusätzliche Sitzungen festzulegen, festgehalten werden.

Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, dass die Kommissionen auch zwischen den ordentlichen Sitzungsterminen Zusatzsitzungen festlegen können. Ein solcher Antrag für eine Zusatzsitzung soll gemäss heutiger Praxis auch aus den Reihen der Kommission gestellt werden können. Stimmt die Mehrheit der Kommissionsmitglieder zu, findet eine Kommissionssitzung statt. Eine Minderheit (Marti Samira, Barrile, Flach, Glättli, Gredig, Gysin Greta, Kälin, Marra, Suter, Widmer Céline) möchte, dass auch dann eine Kommissionssitzung stattfinden soll, wenn ein Drittel der Kommissionsmitglieder dies wünscht. Es soll auf Kommissionsebene ein analoges Minderheitenrecht wie bei der Einberufung von ausserordentlichen Sessionen vorgesehen werden.

Die Mehrheit hingegen befürchtet, dass solche Sitzungen durch Ordnungsantrag
gleich wieder geschlossen werden könnten, weil die Mehrheit keinen Bedarf sieht.

Somit würde lediglich bürokratischer Leerlauf entstehen und das Parlament in keiner Weise gestärkt.

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3.2.1.2

Virtuell durchgeführte Kommissionssitzungen

In gewissen Situationen wie einer Pandemie oder einer Naturkatastrophe ist physisches Zusammentreten nicht möglich. Bereits während der Corona-Pandemie haben Kommissionen digitale Möglichkeiten zur Durchführung von Sitzungen genutzt. Die Voraussetzungen hierfür sollen gesetzlich verankert werden. Dabei tagen die Kommissionen entweder virtuell oder physisch und nicht in hybrider Form. In einer Kommissionssitzung erfolgen Wortmeldungen spontan und Anträge können auch kurzfristig eingereicht werden. Es wäre für die Präsidentin oder den Präsidenten eine recht grosse Herausforderung, in gerechter Weise physisch und nicht physisch anwesende Mitglieder zu berücksichtigen. Zwei Ausnahmen soll es allerdings geben: In bestimmten Kommissionen sind Stellvertretungen rechtlich nicht möglich (Art. 18 Abs. 4 GRN, Art. 14 Abs. 4 GRS). Einzelne Mitglieder solcher Kommissionen sollen in einer physisch stattfindenden Sitzung digital zugeschaltet werden können. Auch kann es sinnvoll sein, Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Anhörungen digital zuzuschalten.

Eine Minderheit (Addor, Bircher, Buffat, Glarner, Marchesi, Pfister Gerhard, Rutz Gregor, Steinemann) will nicht, dass einzelne Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmer digital zu physisch stattfindenden Sitzungen zugeschaltet werden können. Eine weitere Minderheit (Addor, Bircher, Buffat, Glarner, Marchesi, Pfister Gerhard, Romano, Rutz Gregor, Steinemann) möchte ­ wenn schon ­ die digitale Zuschaltung nur für externe Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ermöglichen, nicht jedoch für Kommissionsmitglieder. Eine andere Minderheit (Cottier, Flach, Gredig, Moret) hingegen möchte die digitale Sitzungsteilnahme für Kommissionsmitglieder ohne Stellvertretungsmöglichkeit erlauben, jedoch nur, falls die betroffene Kommission dem zustimmt.

Die Teilnahme an einer virtuell durchgeführten Kommissionssitzung soll gleich entschädigt werden wie die Teilnahme an einer Sitzung mit physischer Teilnahme. Die SPK hat sich mit 16 zu 7 Stimmen gegen eine parlamentarische Initiative ausgesprochen, welche für die Teilnahme an Videokonferenzen ein reduziertes Taggeld vorsehen wollte (20.431 n Pa.Iv. Rutz Gregor. Festsetzung der Entschädigung von Videokonferenzen).

Schliesslich sollen Kommissionen jederzeit Subkommissionen einsetzen können, wie dies Artikel 45 Absatz 2 des ParlG vorsieht:
Die auf Reglementsstufe vorgesehene notwendige Zustimmung des Büros (Art. 14 Abs. 1 GRN) soll deshalb aufgehoben werden. Die Kommission lehnt einen Antrag des Büros auf Beibehaltung dieser Bestimmung einstimmig ab.

Kein Handlungsbedarf wurde bezüglich der Organisation von Kommissionen festgestellt. So soll darauf verzichtet werden, ein Kommissionsbüro (z.B. bestehend aus der Präsidentin oder dem Präsidenten, der Vizepräsidentin oder dem Vizepräsidenten sowie den Leadern der Fraktionsdelegationen) vorzusehen. Die Präsidentin oder der Präsident kann und soll sich mit diesen Akteurinnen und Akteuren jederzeit absprechen, dazu braucht es keine rechtlichen Vorgaben.

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3.2.2

Parlamentarische Leitungsorgane

Die Krise hat gezeigt, dass das Parlament über starke, unabhängige Führungsorgane verfügen muss. Die bisher als Delegation der Ratsbüros konzipierte Verwaltungsdelegation (VD) soll neu so zusammengesetzt werden, dass eine grössere personelle Kontinuität in der Parlamentsführung erreicht wird. Die personelle Verflechtung mit den Büros wird geringer und die Büros werden von Verwaltungsaufgaben entlastet. Beim neuen Organ handelt es sich nicht mehr um eine Delegation der Büros, sondern um eine eigenständige Kommission beider Räte.

Der neuen Verwaltungskommission (VK) sollen je vier für vier Jahre gewählte Mitglieder von National- und Ständerat angehören, welche nicht gleichzeitig Mitglied der Ratsbüros sind. Mit der vierjährigen Amtsdauer soll die Kontinuität der Arbeit dieses Leitungsorgans verbessert werden. Für die Mitarbeit in dieser Kommission sind insbesondere Ratsmitglieder geeignet, welche den Parlamentsbetrieb bereits gut kennen.

Es ist deshalb wünschenswert, wenn die Fraktionen erfahrene Ratsmitglieder in die VK delegieren. Zudem sollen auch die Präsidentinnen oder Präsidenten der Räte während ihrem Amtsjahr der VK angehören, um die Koordination mit den Ratsbüros sicher zu stellen. Eine Minderheit (Moret, Cottier, Pfister Gerhard, Romano, Silberschmidt) schlägt vor, dass auch die ersten Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten beider Räte der VK angehören, um eine bessere Kontinuität in der Zusammenarbeit mit den Ratsleitungen zu gewährleisten. Dieser Antrag wurde auch vom Büro gestellt.

Die Mehrheit ist der Ansicht, dass damit das Anliegen des Vorschlags ­ eine personelle Entflechtung zwischen den verschiedenen Organen ­ unterlaufen wird. Aus diesem Grund wurde auch ein weiterer Antrag des Büros, wonach alle Büromitglieder auch in der VK Einsitz nehmen können sollen, einstimmig abgelehnt.

Der VK sollen die gleichen Aufgaben zukommen wie der bisherigen VD. Somit ist dieses Organ auch für alle bisher von der VD ausgeübten Zuständigkeiten im Bereich der Parlamentsdienste zuständig. In ihrer Stellungnahme macht die VD darauf aufmerksam, dass sie sich mit ihrer Funktionsweise befassen wird, vor allem mit Blick auf das Inkrafttreten des Informationssicherheitsgesetzes am 1. Januar 2023 und ihrer Rolle als Aufsichtsorgan im Bereich der Digitalisierung. Diese Arbeiten haben einen kürzeren zeitlichen
Horizont als die vorliegende Gesetzesrevision und werden durch diese auch nicht behindert. Erkenntnisse der Arbeiten der VD werden von der neuen VK bei der Organisation ihrer Arbeiten sicher berücksichtigt werden.

Im Gegensatz zur bisherigen VD soll die VK alle Sekretärinnen und Sekretäre der parlamentarischen Kommissionen anstellen. Es ist nicht einsichtig, warum nur die Sekretärinnen und Sekretäre der Geschäftsprüfungs- und Finanzkommissionen durch ein parlamentarisches Organ angestellt werden sollen, während für die Anstellung der Sekretärinnen und Sekretäre der übrigen Kommissionen der Generalsekretär zuständig ist.

Eine wichtige Funktion der VK ist die Zuständigkeit für den Voranschlag der Bundesversammlung. Diese bisher nur in der Parlamentsverwaltungsverordnung (ParlVV, SR 171.115) enthaltene Kompetenz soll explizit auf Gesetzesstufe erwähnt werden. Dabei soll verdeutlich werden, dass die VK dafür zu sorgen hat, dass die

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Bundesversammlung und ihre Organe über die nötigen Infrastrukturen und Ressourcen verfügen. Diese Aufgabe kann in Krisenzeiten besonders wichtig sein, wie die Erfahrung im Frühling 2020 gezeigt hat.

Mit der VK soll somit ein Leitungsorgan geschaffen werden, welches auch in Krisensituationen für die Weiterführung der parlamentarischen Tätigkeit sorgen soll. Dazu gehört die möglichst zeitnahe Bereitstellung der nötigen Infrastrukturen, damit die parlamentarischen Organe ihre Aufgaben wahrnehmen können. Keinesfalls soll ihr aber die Kompetenz zukommen, in bestimmten Situationen die Rechte anderer parlamentarischer Organe zu beschränken, wie dies in der Stellungnahme der VD vorgeschlagen wird. Das Parlament muss seine verfassungsmässigen Kompetenzen auch in Krisensituationen wahrnehmen können. Parlamentarische Kommissionen müssen somit u.U. in der Lage sein, einen Entwurf für ein dringliches Bundesgesetz oder eine Verordnung der Bundesversammlung auszuarbeiten. Auch in Krisenzeiten gelten die Rechte bezüglich des Beizugs der Bundesverwaltung, wobei natürlich ­ wie in den übrigen Zeiten auch ­ mit denen Mittel gearbeitet werden muss, die man zur Verfügung hat. Je nach Situation wird Flexibilität von allen Seiten gefragt sein und es werden allenfalls Abstriche an der Qualität gemacht werden müssen.

Die Aufgaben zur Organisation und Planung der Ratsarbeit einerseits sowie zur obersten Leitung (Aufsicht) der Parlamentsverwaltung andererseits sollen somit auf verschiedene Organe aufgeteilt werden. Der VK soll ein eigenes Sekretariat zur Verfügung stehen. Somit soll auch eine Entflechtung zwischen dem Organ, welches für die Aufsicht der Parlamentsdienste zuständig ist, und der Leitung der Parlamentsdienste stattfinden. Gemäss Artikel 65 Absatz 3 ParlG arbeiten Dienststellen der Parlamentsdienste, welche für Organe der Bundesversammlung tätig sind, nach den Weisungen dieser Organe. Die Leitung der Parlamentsdienste kann somit dem Sekretariat der VK keine Weisungen betreffend die Erfüllung von Aufgaben für die VK erteilen. Um die Unabhängigkeit des Sekretariats zu gewährleisten, braucht es keine externe Stelle, wie in der Stellungnahme der VD vorgeschlagen wird.

Eine Minderheit (Pfister Gerhard, Addor, Binder, Bircher, Buffat, Cottier, Glarner, Marchesi, Moret, Romano, Steinemann) schlägt vor, dass die
Generalsekretärin oder der Generalsekretär der Bundesversammlung neu durch die Vereinigte Bundesversammlung gewählt wird. Heute kann die Bundesversammlung lediglich eine Bestätigung der durch die Koordinationskonferenz getroffenen Wahl vornehmen. Gemäss Artikel 26 der ParlVV verlängert sich zudem die Amtsperiode der Generalsekretärin oder des Generalsekretärs um weitere vier Jahre, wenn die Koordinationskonferenz das Arbeitsverhältnis bis zum 30. Juni des letzten Amtsjahres nicht aufgelöst hat. Die Minderheit ist der Meinung, dass die Bundesversammlung über die Besetzung des für sie wichtigen Amtes entscheiden soll. Insbesondere muss sie auch die Möglichkeit haben, sich nach der vierjährigen Amtsdauer wieder über die Besetzung des Amtes aussprechen zu können. Die Leitung der Parlamentsverwaltung könnte durch diese Parlamentswahl gestärkt werden, was auch in Krisenzeiten von Vorteil wäre. Die Mehrheit spricht sich gegen diesen Antrag aus, da dies zu einer Verpolitisierung des Amtes führen könnte.

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3.2.3

Zusammentreten der Räte

3.2.3.1

Ausserordentliche Sessionen

In Krisenzeiten muss sich das Parlament rasch versammeln können. Da bietet sich das in Artikel 151 Absatz 2 BV vorgesehene Instrument der ausserordentlichen Session geradezu an. Danach können ein Viertel der Mitglieder eines Rates oder der Bundesrat die Einberufung der Räte zu einer ausserordentlichen Session verlangen. Zweck dieser Bestimmung ist es, dass die Bundesversammlung rasch die notwendigen Beschlüsse fassen kann, wenn dies aufgrund ausserordentlicher Umstände notwendig ist. Im Zentrum steht dabei die staatliche Handlungsfähigkeit und somit die entsprechende Beschlussfassung in beiden Räten. Deshalb ist in Artikel 2 Absatz 3 ParlG vorgesehen, dass in beiden Räten hängige Beratungsgegenstände vorhanden sein müssen, damit eine ausserordentliche Session stattfinden kann. Diese Ergänzung des Parlamentsgesetzes wurde von den Räten am 21. Juni 2013 aufgrund einer parlamentarischen Initiative der SPK des Ständerates beschlossen.42 Damit sollte verhindert werden, dass Mitglieder des Nationalrates allein zur Diskussion eines Themas eine ausserordentliche Session verlangten und dann im Ständerat gar kein Beratungsgegenstand vorlag und dieser die Session gleich nach Beginn wieder schliessen musste. Um dem Bedürfnis des Nationalrates zur Durchführung aktueller Debatten gerecht zu werden, wurde das Instrument einer aktuellen Debatte in Artikel 30a GRN eingefügt.

Das Ziel der Reform ist nur bedingt erfüllt, indem inzwischen auch im Ständerat Motionen eingereicht werden, deren Ziel es primär ist, eine Debatte zu führen und nicht einen Beschluss der Bundesversammlung zu bewirken. Die Büros der Räte haben auf diesen Umstand reagiert, indem sie die ausserordentlichen Sessionen häufig im Rahmen der nächsten ordentlichen Session ansetzen.

In Krisensituationen geht es jedoch nicht darum, eine Debatte zu einem beliebigen Thema zu führen, sondern allenfalls mit demokratisch breiter legitimierten Beschlüssen zur Krisenbewältigung auch zwischen den ordentlichen Sessionen beizutragen.

Besteht eine Krisensituation soll deshalb die Bundesversammlung auch zwischen ordentlichen Sessionen unverzüglich einberufen werden können, um einen in beiden Räten hängigen Beratungsgegenstand gemäss Absatz 3 zu behandeln. Eine Krisensituation liegt gemäss dem neu eingefügten Absatz 3bis dann vor, wenn eine von drei Bedingungen erfüllt ist: 1.

Der Bundesrat hat eine Notverordnung erlassen.

2.

Das Parlament will selber dringlich Recht setzen.

3.

Es wurde die Verschiebung oder vorzeitige Beendigung der Session beschlossen.

Ist eine dieser Voraussetzungen gegeben, soll ein Viertel der Mitglieder das Recht haben, die unverzügliche Einberufung der Räte zu verlangen, um ein in beiden Räten hängigen Beratungsgegenstand zu behandeln.

42

10.440 Verbesserungen der Organisation und der Verfahren des Parlamentes.

BBl 2011 6793 6829.

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Damit die ausserordentliche Session stattfinden kann, muss ein Beratungsgegenstand gemäss Artikel 2 Absatz 3 ParlG vorliegen. Im Vordergrund stehen dabei Entwürfe des Bundesrates oder einer Kommission für einen Erlass der Bundesversammlung, deren Beratung ein Viertel der Mitglieder des Rates als dringlich erachtet. Ebenso ist es möglich, dass in beiden Räten gleichlautende Kommissionsmotionen eingereicht werden, die schnell von den Räten behandelt werden sollen. Es sind also Beratungsgegenstände, hinter denen der Bundesrat oder die Mehrheit einer parlamentarischen Kommission stehen, welche zwischen den ordentlichen Sessionen die Einberufung einer ausserordentlichen Session ermöglichen. Somit kann verhindert werden, dass die Räte zwischen den ordentlichen Sessionen einberufen werden, um über ein nicht mehrheitsfähiges Anliegen einer Minderheit, welches allenfalls auch nichts mit der Krisenbewältigung zu tun hat, eine Diskussion zu führen.

Eine unverzügliche Einberufung ist zudem auch möglich gemäss Artikel 185 Absatz 4 BV, wenn der Bundesrat mehr als 4000 Angehörige der Armee für den Aktivdienst aufbietet oder der dringliche Einsatz von Truppen voraussichtlich länger als drei Wochen dauert.

Ebenfalls als Minderheitenrecht konzipiert ist die in Artikel 28 Absatz 3 und 34 Absatz 4 des Finanzhaushaltsgesetzes vorgesehene Einberufung der Bundesversammlung innert einer bestimmten Frist, wenn dringliche Kredite einen bestimmten Betrag übersteigen.

Mit dem Instrument der ausserordentlichen Session ist es der Bundesversammlung möglich, kurzfristig zu tagen und allenfalls nötige Beschlüsse zu fassen. Eine Umstellung auf einen anderen Sessionsrhythmus in Krisenzeiten dürfte eine nicht einfache Herausforderung sein. Die SPK-N hat deshalb eine entsprechende parlamentarische Initiative mit 17 zu 3 Stimmen und 4 Enthaltungen abgelehnt (20.460 n Pa.Iv. Mäder.

Sessionsplanung in ausserordentlichen Lagen gemäss Epidemiengesetz). Der Rat hat dies am 28. September mit 124 zu 51 Stimmen ebenfalls getan. Hingegen kann es sinnvoll sein, den Sessionsrhythmus allgemein wieder einmal zu überprüfen.

Die SPK-N hat deshalb einer entsprechenden parlamentarischen Initiative mit 12 zu 11 Stimmen und einer Enthaltung zugestimmt (20.476 n Pa.Iv. Marra. Im Hinblick auf die Bewältigung von nationalen Krisen muss die Arbeitsorganisation unseres Parlamentes angepasst werden.)

3.2.3.2

Verschiebung und vorzeitige Beendigung einer Session

Im März 2020 wurde die Frühjahrssession vorzeitig abgebrochen. Die Zuständigkeiten hierfür sind im Parlamentsgesetz nicht geregelt. Artikel 33 regelt die Einberufung der Räte. Daran anschliessend soll neu eine Bestimmung vorgesehen werden, welche die Verschiebung oder vorzeitige Beendigung von Sessionen regelt. Es werden hier die Begriffe «Verschiebung» und «vorzeitige Beendigung» verwendet: Sessionen sollen nicht einfach abgebrochen werden, ohne dass man sich Gedanken macht über die Fortführung der parlamentarischen Arbeit. Wird z.B. die Durchführung der letzten Sessionswoche aufgrund äusserer Gründe in Frage gestellt, dann ist zu prüfen, ob die anstehenden Geschäfte innert nützlicher Frist behandelt werden sollen, die Session 44 / 76

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also zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt wird, oder ob die entsprechenden Geschäfte vorläufig nicht behandelt werden sollen und die Session vorzeitig beendet wird.

Ist eine Minderheit mit der Verschiebung oder vorzeitigen Beendigung einer Session nicht einverstanden, so kann sie die Einberufung einer ausserordentlichen Session gemäss Artikel 2 ParlG verlangen.

Als Alternative zur Verschiebung oder vorzeitigen Beendigung der Session haben die Büros auch die Möglichkeit gemäss dem neuen Artikel 32a zur Verfügung, die Durchführung einer virtuellen Sitzung vorzusehen, wenn es die Umstände zulassen.

3.2.3.3

Festlegung eines anderen Tagungsortes

Gemäss Artikel 32 ParlG versammelt sich die Bundesversammlung in Bern. Damit sie ausnahmsweise an einem anderen Ort tagen kann, braucht es die Zustimmung beider Räte in Form eines einfachen Bundesbeschlusses. Für die Durchführung der ausserordentlichen Session im Mai 2020 musste also ein Tagungsort in der Stadt Bern gefunden werden, ansonsten hätte man die Räte zuerst in den Räumen des Bundeshauses, welche den epidemiologischen Erfordernissen nicht entsprachen, einberufen müssen, damit sie einen anderen Tagungsort bestimmen können. Für den Fall, dass ein Versammeln in Bern nicht möglich ist, soll deshalb neu die Koordinationskonferenz einen alternativen Tagungsort festlegen können. Damit wird auch eine Forderung einer parlamentarischen Initiative aufgenommen, welcher die SPK-N einstimmig Folge gegeben hat (20.479 n Pa.Iv. Reimann Lukas. Beschlussfähige Bundesversammlung sicherstellen).

Es könnte die Frage gestellt werden, ob die Koordinationskonferenz auch einen alternativen Tagungsort bestimmen können soll, wenn ein Versammeln in Bern möglich wäre. Hierzu ist anzumerken, dass bei Beratungen der Räte auch die zuständigen Mitglieder des Bundesrates und der Verwaltung anwesend sein müssen. Gerade in Krisenzeiten ist es nicht sinnvoll, wenn diese Personen in der ganzen Schweiz herumreisen müssen.

3.2.3.4

Verfassungsmässigkeit von virtuellen Ratssitzungen

Eine elektronische Zuschaltung von Ratsmitgliedern oder gar die virtuelle Durchführung von Ratssitzungen ohne Not kann nach Auffassung der Mehrheit der Subkommission «Parlament in Krisensituationen» vor dem Hintergrund von Artikel 151 BV und Artikel 159 BV ohne Verfassungsänderung nicht vorgenommen werden. Die Subkommission schliesst sich hier der Meinung der angehörten Experten an. Einen derart gewichtigen Eingriff in den Parlamentsbetrieb nur aufgrund einer Uminterpretierung des Wortlautes vorzunehmen, wie es im Gutachten des Bundesamtes für Justiz vorgeschlagen wird (vgl. oben Ziff. 2.2.3.4), erscheint nicht als gerechtfertigt. Die Mehrheit erachtet deshalb virtuelle Sessionen höchstens in Notsituationen als verfassungsmässig zulässig. Eine Minderheit der Subkommission schliesst sich hingegen der im Gut-

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achten des BJ geäusserten Meinung an und sieht eine ausreichende Verfassungsgrundlage für die virtuelle Zuschaltung von Ratsmitgliedern oder der Durchführung von virtuellen Ratssitzungen auch ausserhalb von Krisensituationen als gegeben.

Allerdings erachtet auch das Gutachten des BJ eine gesetzliche Regelung von Beratungen auf Distanz nur dann gemäss der heutigen Verfassung als zulässig, «sofern die Beteiligung über die elektronischen Kommunikationsmittel der Beteiligung vor Ort in einer Gesamtbetrachtung gleichwertig ist».43 Doch auch unter der Voraussetzung immer besser werdenden digitalen Kommunikationsmittel scheint es schwer vorstellbar, dass diese Gleichwertigkeit hergestellt werden kann. So hat z.B. Moritz von Wyss festgehalten, «dass die Identitätsfunktion und damit die Gesamtheit der Vielfalt eines Parlaments in einer Video-Konferenz kaum abgebildet werden kann».44 Oder wie es Caroni/Graf festhalten: «Das Parlament braucht einen physischen Ort, um seine Funktion als zu erfüllen».45 Hingegen haben viele Autoren zu Recht gefordert, dass die rechtlichen und technischen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Bundesversammlung vorübergehend in Notsituationen virtuell tagen kann. Eine harmonisierende Auslegung der Bundesverfassung, wie dies im Gutachten des BJ vorgeschlagen wird (vgl. oben Ziff. 2.2.3.4) kann dies ohne Verfassungsänderung ermöglichen: Artikel 148 der Bundesverfassung überträgt der Bundesversammlung die oberste Gewalt im Bunde. Diese muss sie auch in Krisenzeiten ausüben können. Es kann nicht sein, dass das Parlament aufgrund äusserer Umstände gezwungen ist, seine Funktionen nicht mehr wahrnehmen zu können.

Ebensowenig kann es angehen, dass ein Mitglied aufgrund äusserer Umstände und noch weniger aufgrund der Anordnung einer kantonalen Exekutivbehörde an der Wahrnehmung seiner Repräsentationsfunktion gehindert wird. Im Sinne eines Notbehelfs und nur in ausserordentlichen Situationen soll es deshalb möglich sein, dass einzelne Ratsmitglieder elektronisch zu Ratssitzungen zugeschaltet werden. Zwar hat sich das Bundesamt für Justiz in seinem Gutachten vor dem Hintergrund der Rechtsgleichheit zu Recht skeptisch gegenüber hybriden Sitzungen geäussert. Tolerieren könne man diese am ehesten, wenn sie eine Randerscheinung bleiben.46 Um genau so eine Randerscheinung
geht es im vorliegenden Fall: Die elektronische Zuschaltung von Ratsmitgliedern soll vom jeweiligen Rat nur in ausserordentlichen Situationen ermöglicht werden. Es braucht eine Feststellung des Rates, wonach eine Situation vorliegt, welche mehreren Ratsmitgliedern die physische Teilnahme an Ratssitzungen verunmöglichen könnte. Erst dann kann ein Ratsmitglied von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und dies auch nur dann, wenn es aufgrund einer behördlichen Anordnung oder wenn ein anderer Fall höherer Gewalt vorliegt an der physischen Teilnahme gehindert wird.

43 44 45 46

Gutachten BJ, 2021, S. 2.

Von Wyss, Moritz: Wie virtuell kann ein Parlament sein? In: Parlament/Parlement/ Parlamento 2/2020, S .19.

Caroni/Graf, 2021, S. 12.

Gutachten BJ, 2021, S. 19.

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3.2.3.5

Virtuelle Ratssitzungen in Notsituationen

Das Parlament muss gemäss Artikel 148 der Bundesverfassung jederzeit handlungsfähig sein. Dieses Gebot kann für beschränkte Zeit die Verfassungsnormen in Artikel 151 und 159 BV, welche von einer physischen Versammlung ausgehen, in den Hintergrund treten lassen. Es muss jedoch die Voraussetzung gegeben sein, dass ein physisches Zusammentreten verunmöglicht ist, damit ein Ratsbüro beschliessen kann, dass der Rat eine oder mehrere Sitzungen virtuell durchführt. «Verunmöglicht» bedeutet, dass irgendwelche äusseren Umstände ein physisches Zusammentreten im Parlamentsgebäude oder an einem anderen Ort verunmöglichen, was eher selten der Fall sein dürfte. Dabei ist denkbar, dass ein physisches Zusammenkommen des Ständerates z.B. in einem grossen Saal möglich ist, hingegen das Versammeln von mehr als 200 Personen nicht verantwortbar ist. Die Büros der Räte sollen deshalb unterschiedliche Lösungen vorsehen können.

Ist der Rat mit dem Beschluss des Büros zur Durchführung einer virtuellen Sitzung nicht einverstanden, so kann er an der ersten virtuellen Sitzung beschliessen, wieder physisch zu tagen. Umgekehrt kann eine virtuelle Sitzung auch vom Rat beschlossen werden.

Die Voraussetzungen für virtuelle Ratssitzungen werden in einem neuen Artikel 32a ParlG festgehalten. Je nach Situation und konkreter Ausgestaltung des technischen Systems, welches verwendet werden wird, können unterschiedliche temporäre Anpassungen der Ratsreglemente notwendig sein. Der Entwurf für allenfalls notwendige Anpassungen kann dem Rat zu Beginn der ersten virtuell durchgeführten Sitzung unterbreitet werden. Allenfalls werden die Sitzungszeiten gemäss Artikel 34 GRN gemäss den in der entsprechenden Situation vorhandenen Bedürfnissen anzupassen sein.

Oder es werden Anpassungen der Bestimmungen betreffend die schriftliche Einreichung von Vorstössen usw. nötig sein. Allenfalls werden Anpassungen betreffend die Schriftlichkeit nicht mehr nötig sein, wenn das Projekt der Digitalisierung des Parlamentsbetriebs entsprechend fortgeschritten ist. Ebenfalls könnten die Bestimmungen betreffend die Stimmabgabe betroffen sein. Mit der Vorlage 20.409, welche der Nationalrat zu Beginn der ausserordentlichen Session in der Bernexpo angenommen hat, liegt bereits eine Mustervorlage vor, auf welcher aufgebaut werden kann. Im Reglement des Ständerates
werden wohl weniger Anpassungen notwendig sein, wie auch wiederum das Beispiel für die Bernexpo zeigt (Vorlage 20.435).

Mit den vorgeschlagenen gesetzlichen Grundlagen für virtuelle Ratssitzungen können auch verschiedene parlamentarische Initiativen umgesetzt werden, denen die SPK-N Folge gegeben hat (20.423 n Pa.Iv. Brunner. Situationsgerechte Flexibilisierungsmöglichkeiten für den Parlamentsbetrieb in aussergewöhnlichen Umständen, 20.425 n Pa.Iv. Christ. Schaffung der rechtlichen Grundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb respektive die digitale Teilnahme am physischen Betrieb, 20.479 Pa.Iv. Reimann Lukas. Beschlussfähige Bundesversammlung sicherstellen).

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3.2.3.6

Virtuelle Teilnahme an Ratssitzungen

Am 10. Dezember 2020 haben die Räte in den Schlussabstimmungen eine Änderung des Parlamentsgesetzes angenommen, wonach ein Mitglied des Nationalrates, welches sich aufgrund behördlicher Weisungen wegen Covid-19 in Isolation oder Quarantäne befindet, in Abwesenheit an Abstimmungen des Nationalrates teilnehmen kann.47 Diese Bestimmung war befristet bis Ende der Herbstsession 2021. Sie wurde in Form eines dringlichen Bundesgesetzes ohne Verfassungsgrundlage beschlossen, da die Verfassungsmässigkeit vor dem Hintergrund insbesondere von Artikel 159 BV, welcher von den «anwesenden» Mitgliedern der Bundesversammlung spricht, zumindest als zweifelhaft angesehen wurde. Mit der oben dargelegten Begründung einer harmonisierenden Verfassungsauslegung soll jedoch die elektronische Zuschaltung einzelner Ratsmitglieder in ausserordentlichen Fällen möglich sein. Eine Minderheit der Subkommission vertritt die Ansicht, dass es verfassungsmässig auch möglich ist, die Zuschaltung einzelner Ratsmitglieder im Normalbetrieb vorzusehen (vgl.

Ziff. 3.2.3.4).

Mit dem mit dieser Vorlage neu vorgeschlagenen Artikel 10a soll eine Bestimmung im ParlG vorgesehen werden, welche die Zuschaltung einzelner Ratsmitglieder zu den Verhandlungen ihres Rates unter bestimmten Umständen ermöglichen soll. Dabei kann es sich nicht um eine Zuschaltung von Ratsmitgliedern im parlamentarischen Normalbetrieb handeln, sollten diese aufgrund von Krankheit oder anderen persönlichen Gründe an der physischen Teilnahme an Ratssitzungen verhindert sein.

Im Gegensatz zur Vorlage, welche die Räte in der Wintersession 2020 verabschiedet haben, sollten es die technischen Mittel inskünftig ermöglichen, den physisch nicht anwesenden Ratsmitgliedern mit Ausnahme der Teilnahme an Wahlen und geheimen Beratungen die gleichen Teilnahmerechte zu gewähren wie den physisch anwesenden.

Dies mildert auch den Einwand der Rechtsungleichheit.

Keine Rechtsungleichheit besteht hingegen gegenüber Ratsmitgliedern, die aus anderen Gründen nicht physisch an einer Ratssitzung teilnehmen können.48 Zweck der Ausnahmeregelung ist, dass Ratsmitglieder, die aufgrund von Ausnahmesituationen an einer physischen Teilnahme an Ratssitzungen verhindert sind, teilnehmen können.

Könnten in dieser Ausnahmesituation auch Ratsmitglieder, die aufgrund von Krankheit, Unfall oder Elternschaft
an einer Teilnahme an den Ratssitzungen verhindert sind, virtuell teilnehmen, dann würde eine neue Rechtsungleichheit geschaffen gegenüber Ratsmitgliedern, die im parlamentarischen Normalbetrieb in einer solchen Situation sind.

47 48

20.483 Pa.Iv. SPK-NR. Nationalratsmitglieder, die wegen der Covid-19-Krise verhindert sind. Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit. BBl 2020 9271, AS 2020 5375.

Gegenteiliger Ansicht: Gutachten BJ, 2021, S. 2 und Martenet, Vincent: La participation à distance aux débats et aux votes d'un parlement cantonal, spécialement dans le canton de Fribourg, in: Parlament, Parlement, Parlamento, 1/2021, S. 15f.

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3.2.4

Nutzung parlamentarischer Instrumente

In der Coronakrise hat sich gezeigt, dass sich das Instrument der Motion in vielerlei Hinsicht eignet, damit sich das Parlament am Krisenmanagement beteiligen kann. Mit Motionen können z.B. Änderungen von Notverordnungen verlangt werden. Mit einer Motion kann aber auch verlangt werden, dass der Bundesrat dem Parlament Gesetzesentwürfe unterbreitet, wenn bestimmte Massnahmen zur Krisenbewältigung nicht durch bundesrätliches Verordnungsrecht geregelt werden sollen. Mit Motionen können vom Bundesrat Gesetzesentwürfe verlangt werden, welche den Rahmen für die mit bundesrätlichem Verordnungsrecht zu treffenden Massnahmen abstecken. Das Instrument der Motion wurde insbesondere zu Beginn der Coronakrise intensiv genutzt, ab Herbst 2020 bot das Covid-Gesetz den Rahmen für Vorgaben an den Bundesrat zur Bewältigung der Krise.

Damit das Instrument der Motion auch unabhängig vom Entgegenkommen der Regierung auch in künftigen Krisen funktionieren kann, sind für bestimmte Situationen Flexibilisierungen des Instruments vorzusehen, insbesondere die Fristen betreffend.

Im Fokus steht dabei die Kommissionsmotion, welche von einer Kommissionsmehrheit unterstützt worden sind und somit auch das Potenzial haben, im Rat eine Mehrheit zu erhalten. Dabei können einige Anpassungen auch unabhängig von Krisensituationen sinnvoll sein.

3.2.4.1

Kommissionsmotionen zur Einwirkung auf Notverordnungen

Das Instrument der Kommissionsmotion kann in Krisenzeiten geeignet sein, um auf die bundesrätliche Verordnungsgebung einwirken zu können. Damit solche Motionen, mit welchen auf Notverordnungen eingewirkt werden soll, auch rechtzeitig in den Räten zur Behandlung kommen, sollen sie in der nächsten ordentlichen oder ausserordentlichen Session behandelt werden. Allenfalls wird eine Motion auch im Rahmen einer Kommissionssitzung, die während einer Session stattfindet eingereicht: In diesen Fällen soll die Möglichkeit bestehen, die Motion noch in der laufenden Session zu traktandieren. Die neue Bestimmung gilt nur für Motionen von Kommissionen.

Bundesrat und Verwaltung sollen nicht mit der dringenden Beantwortung einer Flut von Vorstössen lahmgelegt werden, von denen nur wenige die Zustimmung der Räte erhalten werden.

Soll eine von den Räten angenommene Kommissionsmotion, welche auf Notverordnungen des Bundesrates Einfluss nehmen will, Wirkung entfalten, dann muss sie auch rasch umgesetzt werden. Es wird deshalb die Möglichkeit vorgesehen, dass in der Motion selber eine kürzere Frist zur Berichterstattung als die generell vorgesehene von zwei Jahren gesetzt wird.

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3.2.4.2

Generell beschleunigte Umsetzung von Motionen, welche auf Verordnungen einwirken

Bei Gelegenheit kann auch eine parlamentarische Initiative der SPK des Ständerates, welcher auch die SPK-N zugestimmt hat, erfüllt werden (20.402 Pa.Iv. Kommissionsmotionen zur Änderung von Verordnungen und Verordnungsentwürfen). Danach soll der Bundesrat bereits innerhalb von sechs Monaten Bericht erstatten, wenn er Kommissionsmotionen, welche auf Verordnungen oder Verordnungsentwürfe des Bundesrates einwirken wollen, noch nicht erfüllt hat. Dabei geht es generell um Verordnungen und nicht nur um Notverordnungen.

3.2.4.3

Stärkung des Instruments der gleich lautenden Kommissionsmotion

Unabhängig von Krisensituationen soll das Instrument der gleichlautenden Kommissionsmotionen gestärkt werden. Wenn Kommissionen beider Räte bis eine Woche vor der Session gleichlautende Motionen einreichen, dann sollen diese noch in dieser Session mit Antrag des Bundesrates behandelt werden können. Somit hat die Bundesversammlung ein Instrument, mit welchem dem Bundesrat rasch Aufträge erteilt werden können, wenn die entsprechenden Mehrheiten in beiden Räten vorhanden sind.

3.2.4.4

Ausarbeitung von Erlassentwürfen mit dem Instrument der parlamentarischen Initiative

Allenfalls kann es sinnvoller sein, wenn die Bundesversammlung den Erlass, mit welchen sie auf die Krisenbewältigung einwirken will, selber ausarbeitet und nicht den Bundesrat damit beauftragt. Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn der Regelungsinhalt klar ist und leicht in Erlassform zu giessen ist. Will die Bundesversammlung rasch tätig werden, dann kann sie eine Parlamentsverordnung gemäss Artikel 173 Absatz 1 oder ein dringliches Bundesgesetz erlassen. In solchen Fällen muss die Erarbeitung des Entwurfs häufig in kurzer Zeit, im Hinblick auf eine Behandlung in der nachfolgenden Session erfolgen und dem Bundesrat kann nur eine sehr kurze Frist für seine Stellungnahme gesetzt werden. Dies soll im ParlG neu so verankert werden.

Will die Bundesversammlung in Krisenzeiten rasch rechtsetzend tätig werden, dann ist es nicht immer möglich, ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Im Vernehmlassungsgesetz soll deshalb explizit vorgesehen werden, dass für solche Vorhaben auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden kann und eine Konsultation der Kantonsregierungen und der vom Vorhaben in erheblichem Mass Betroffenen durchgeführt wird. Diese Möglichkeit sollte auch der Bundesrat beim Erlass seiner Notverordnungen haben.

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3.2.5

Ausübung von Notrechtskompetenzen

3.2.5.1

Begleitung der bundesrätlichen Verordnungsgebung

In Krisenzeiten steht die Rechtsetzung durch den Bundesrat im Vordergrund, weil es um den Erlass konkreter Massnahmen geht. Dauert eine Krise länger oder sind Massnahmen zur Bewältigung von Folgen (Sekundärmassnahmen) der Krise zu treffen, steht allerdings auch das Parlament in der Pflicht, indem es Massnahmen auf dem Gesetzesweg erlässt. Soll eine Massnahme breiter abgestützt werden und ist ihr Erlass nicht innert kürzester Frist notwendig, ist es auch in Krisenzeiten angezeigt, dass der Gesetzgebungsweg beschritten wird. Das ist so zum Beispiel mit der Vorlage für die Schaffung der Tracing-App geschehen (20.040 Dringliche Änderung des Epidemiengesetzes angesichts der COVID-Krise [Proximity-Tracing-System]). Durch die Befristung des bundesrätlichen Notverordnungsrecht liegt die Zuständigkeit sowieso nach sechs Monaten wieder bei der Bundesversammlung. Das Beispiel der TracingApp zeigt, dass die parallelen Kompetenzen keine Probleme verursachen, solange sich das Parlament im Bereich der Massnahmen mit kurzfristiger Wirkung zurückhält. Ist das Parlament mit den kurzfristig vom Bundesrat getroffenen Massnahmen unzufrieden, dann kann es auf dem Gesetzesweg den Rahmen dieser Massnahmen jederzeit enger definieren.

Auch wenn das Parlament im Verlauf der Krise wieder gesetzgeberisch mitwirkt, kann das vom Bundesrat erlassene Verordnungsrecht doch einen beachtlichen Umfang annehmen. Es ist deshalb sinnvoll, wenn die zuständigen Sachbereichskommissionen des Parlamentes einen Überblick über das in ihrem Bereich zu erlassende Verordnungsrecht erhalten und allenfalls dem Bundesrat auch Empfehlungen abgeben können. Es wird deshalb eine Ausweitung des bereits existierenden Konsultationsrecht bei Verordnungsentwürfen vorgeschlagen. Das bisherige Holprinzip, wonach eine parlamentarische Kommission verlangen kann, zu einer Verordnung konsultiert zu werden, wird durch ein Bringprinzip im Bereich der Verordnungsgebung in Krisenzeiten ergänzt: Will der Bundesrat eine Verordnung zur Bewältigung einer Krise erlassen, dann hat er den Entwurf den zuständigen Kommissionen zur Konsultation zu unterbreiten. Es obliegt dann den zuständigen Kommissionen, ob sie eine Stellungnahme abgeben wollen oder nicht. Dabei werden die Kommissionen allenfalls mit sehr kurzen Fristen umgehen müssen. Die Handlungsfähigkeit des Bunderates
wird in keiner Weise eingeschränkt: Die Kommission kann ihr Konsultationsrecht nur innerhalb der vorgegebenen Frist wahrnehmen. Dieses Vorgehen entspricht dem im CovidGesetz vorgesehenen Konsultationsrecht zu den auf dieses Gesetz gestützten Verordnungen.

Dieser Vorschlag ermöglicht eine inhaltliche Auseinandersetzung der zuständigen Parlamentskommissionen mit dem Verordnungsrecht des Bundesrates und ein allfälliges Eingreifen. Berücksichtigt der Bundesrat allfällige Empfehlungen seitens der Kommissionen in ungenügender Weise, kann das Parlament den Inhalt der Verordnung auf Gesetzesstufe regeln. Auf der anderen Seite wird die Handlungsfähigkeit des Bundesrates nicht eingeschränkt: Muss gehandelt werden, um zum Beispiel Leben zu retten, kann er allenfalls dem Parlament auch eine Frist von nur ein paar Stunden setzen.

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Nicht krisentauglich sind hingegen Vorschläge, welche ein Veto oder sogar eine Genehmigung von bundesrätlichen Verordnungen zur Bewältigung einer Krise vorsehen (21.407 n Pa.Iv. Fraktion V. Epidemiengesetz. Mitsprache des Parlamentes sichern, Mo. Stark 21.3033 «Besserer Einbezug des Parlamentes bei der Bekämpfung zukünftiger Pandemien»). Bei Verordnungen handelt es sich um rechtsetzende Bestimmungen, welche gemäss Artikel 153 Absatz 3 BV nicht an die Kommissionen delegiert werden können. Eine Genehmigung einer Verordnung oder die Einlegung eines Vetos müsste also durch die Räte geschehen mit allfälliger Differenzbereinigung. Auch wenn die Räte virtuell tagen, käme ein Entscheid der Bundesversammlung in der Regel zu spät. Eine Nichtgenehmigung einer Verordnung, die bereits in Kraft ist, würde insbesondere in Krisenzeiten wohl grosse Rechtsunsicherheit schaffen. Wenn genügend Zeit besteht, um den Räten einen Verordnungsentwurf vorzulegen, dann ist zudem nicht ersichtlich, warum ihnen dann nicht gerade der Entwurf für ein Gesetz vorgelegt wird. Ist genügend Zeit vorhanden und die Bundesversammlung will nicht, dass der Bundesrat in einem bestimmten Bereich eine Massnahme erlässt oder sie will eine Verordnung ändern, dann kann sie mit einer Motion den Entwurf für ein Gesetz verlangen oder selber ein solches erarbeiten.

3.2.5.2

Verzicht auf die Einführung einer abstrakten Normenkontrolle von Notverordnungen

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Notverordnungen des Bundesrats äusserst weitreichende Einschränkungen von zentralen Grundrechten mit sich bringen können, welche über Monaten dauern können. Vor diesem Hintergrund ist die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit solcher Eingriffe von zentraler Bedeutung. Die Subkommission und auch die Plenarkommission haben sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine gerichtliche Kontrolle solcher Verordnungen sowie von Notverordnungen der Bundesversammlung vorgesehen werden soll. Nachdem die SPK-N am 25. Mai 2021 einer entsprechenden parlamentarischen Initiative der Grünen Fraktion mit 13 zu 10 Stimmen bei zwei Enthaltungen Folge gegeben hatte (20.430 Pa.Iv. Abstrakte Normenkontrolle von Notverordnungen), hat die Subkommission entsprechende Vorschläge für gesetzliche Anpassungen ausgearbeitet. Bei der Beratung der Vorlage am 15. Oktober 2021 kam die Kommission jedoch zum Schluss, dass die Einführung einer abstrakten Normenkontrolle von Notverordnungen keinen gangbaren Weg darstellt und lehnte die entsprechenden Vorschläge für Gesetzesänderungen mit 19 zu 5 Stimmen bei einer Enthaltung ab.

Nach Ansicht der Kommission sprechen zum einen grundsätzliche Argumente gegen die Einführung einer gerichtlichen Kontrolle. In einer Krise ist es zwingend, dass ein gewisses Vertrauen in die Behörde, welche schwierige Entscheide innert kürzester Zeit fällen muss, vorhanden ist. Eine Beschwerdemöglichkeit führt zu Unsicherheiten und untergräbt dieses Vertrauen. Die Kontrolle des bundesrätlichen Notverordnungsrechts soll weiterhin dem Parlament und nicht den Gerichten obliegen. Das Instrument hierfür ist gegeben: Bereits nach sechs Monaten muss bundesrätliches Notverordnungsrecht in Gesetzesrecht überführt werden. Somit hat das Parlament die Möglichkeit, allenfalls unverhältnismässigen Verordnungen des Bundesrates die gesetzliche Grundlage zu entziehen. Würde nun das Bundesgericht ebenfalls eine Beurteilung des 52 / 76

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bundesrätlichen Verordnungsrechts vornehmen, und zwar gleichzeitig zu den oder nach den parlamentarischen Gesetzesberatungen, dann würde eine Konkurrenzsituation zwischen Parlament und Bundesgericht entstehen: Das Bundesgericht würde dann die Entscheidungsfreiheit des Parlamentes einschränken, wenn es seinen Entscheid vor der parlamentarischen Gesetzesberatung fällt, oder es würde faktisch eine richterliche Beurteilung der parlamentarischen Gesetzgebung stattfinden, wenn das Bundesgericht nach den Gesetzesberatungen entscheidet. Die Bürgerinnen und Bürger könnten dann mit unterschiedlichen Beurteilungen von bundesrätlichen Notverordnungen durch die Bundesversammlung und durch das Bundesgericht konfrontiert sein, was der Klarheit in einer Krisensituation wohl kaum förderlich ist.

Hier zeigen sich auch die praktischen Probleme einer gerichtlichen Überprüfung von Notverordnungen des Bundesrates. Dieses Instrument würde kaum grosse Wirkung entfalten: Der Gerichtsweg braucht seine Zeit: Bis ein definitiver Entscheid vorliegt, werden mehrere Monate vergehen. Somit kann das Ziel, Rechtssicherheit zu schaffen, nicht erreicht werden. Bis der Gerichtsentscheid vorliegt, wird in den meisten Fällen aufgrund von Artikel 7d RVOG wohl schon eine Botschaft zur Überführung der Notverordnungen in ordentliches Recht vorliegen. Beim Erlass von Notverordnungen haben Bundesrat und Bundesversammlung zudem einen verfassungsmässig begründeten grossen Ermessensspielraum, welcher vom Gericht respektiert werden muss.

Eine Minderheit (Glättli, Flach, Gredig, Gysin Greta, Kälin) ist der Ansicht, dass es das Instrument einer richterlichen Kontrolle von Notverordnungen des Bundesrates und der Bundesversammlung braucht: Die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Eingriffe obliegt gemäss heutigem Recht allein der Behörde, welche die Verordnungen erlässt. Die Einführung der abstrakten gerichtlichen Normenkontrolle von Notverordnungen des Bundesrates und des Parlamentes ermögliche es, die Rechtmässigkeit der Bestimmungen solcher Verordnungen unmittelbar im Anschluss an die Publikation gerichtlich klären zu lassen. Durch die Klärung würde die Rechtssicherheit gestärkt. Niemand wäre ­ wie bei der konkreten Normenkontrolle ­ gezwungen, einen Anwendungsfall in eigener Sache zu provozieren und weiterzuziehen, um ein Präjudiz zu
erreichen. Ist die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle gegeben, könne dies auch präventive Wirkung haben: Wenn beim Erlass einer Notverordnung mit einer abstrakten Normenkontrolle gerechnet werden muss, werden die rechtlichen Argumente gestärkt.

Eine weitere Minderheit (Addor, Bircher, Buffat, Marchesi, Steinemann) ist der Ansicht, dass Erlasse der Bundesversammlung im Gegensatz zu Erlassen des Bundesrates nicht einer gerichtlichen Kontrolle unterstehen dürfen. Die Bundesversammlung, als vom Volk gewählte Behörde, sollte nicht von einer gerichtlichen Behörde kontrolliert werden. Die vorgeschlagene Lösung der Minderheit Glättli stelle einen ersten Schritt zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit dar.

3.2.5.3

Verzicht auf die Schaffung weiterer parlamentarischer Organe und Instrumente

In Krisensituationen sind die verschiedenen parlamentarischen Organe gefordert, sich gemäss ihrem Zuständigkeitsbereich mit der Krise auseinanderzusetzen. Während die 53 / 76

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Finanzkommissionen sich insbesondere mit dringlichen Krediten befassen, obliegt den Geschäftsprüfungskommissionen die Kontrolle des bundesrätlichen Krisenmanagements und die Sachbereichskommissionen haben die Rechtsetzung zu begleiten bzw. vorzubereiten. Somit braucht es kein neues parlamentarisches Organ für die Bewältigung von Krisensituationen, wie dies mit parlamentarischen Initiativen gefordert wurde (20.418 n Pa.Iv. M-CEB. Schaffung einer Rechtsdelegation [zurückgezogen] und 20.414 s Pa.Iv. Rieder Schaffung einer Rechtsdelegation [von der SPK des Ständerates mit 8 zu 0 Stimmen und 4 Enthaltungen abgelehnt]). Im Bereich der Rechtsetzung wird die Begleitung der bundesrätlichen Verordnungsgebung sinnvollerweise durch die zuständigen Sachbereichskommissionen vorgenommen. Weitergehende abschliessende Mitwirkungsmöglichkeiten im Bereich der Rechtsetzung bestehen für parlamentarische Kommissionen und Delegationen gemäss Artikel 153 Absatz 3 BV nicht.

3.2.5.4

Verzicht auf eine Ergänzung oder Änderung von Krisenbestimmungen in Spezialgesetzen

Es wurde auch geprüft, ob ausgewählte Bundesgesetze mit besonderen Bestimmungen zur Krisenbewältigung ergänzt werden sollen. Damit könnte der Kritik begegnet werden, dass der Bundesrat allzu oft auf Artikel 185 Absatz 3 BV zurückgreifen muss.

Es wurde festgestellt, dass heute in Spezialgesetzen bereits über 30 solche Bestimmungen bestehen. Diese Bestimmungen sind massgeschneidert für bestimmte Situationen formuliert. Ob es auch in weiteren Spezialgesetzen Krisenbestimmungen braucht, kann hier nicht beantwortet werden. Die Formulierung solcher Bestimmungen setzt vertiefte Kenntnisse der betroffenen Materie voraus, um mögliche Krisenszenarien und die möglichen Massnahmen zu identifizieren.

Es stellt sich auch grundsätzlich die Frage, ob solche Krisenbestimmungen zu einer höheren Legitimation von Massnahmen in Krisenzeiten führen, als auf Verfassung gestützte Massnahmen. Es würde sich die Frage stellen, wie eng oder wie weit der Gesetzgeber solche Krisenbestimmungen fassen soll: Wird der Handlungsrahmen des Bundesrates eng gefasst, dann kann der Bundesrat aufgrund der Bestimmung vielleicht doch nicht die im Krisenfall notwendigen Massnahmen treffen und muss wieder auf die Verfassung zurückgreifen. Oder aber, dem Bundesrat werden weitgehende Kompetenzen überlassen, was demokratiepolitisch fragwürdig ist. Kommt hinzu, dass beim auf Artikel 185 Absatz 3 BV gestützten Verordnungsrecht ein rascher Überführungsmechanismus in Gesetzesrecht besteht, sodass das Parlament schnell wieder einbezogen wird. Solche Überführungsbestimmungen könnte man auch in Spezialgesetzen vorsehen, allerdings wäre wohl im Einzelfall schwierig zu definieren, welcher Zeithorizont für eine Krisenbewältigung im jeweiligen Bereich vorzusehen ist. Zum Epidemiengesetz ist anzumerken, dass sich in der Praxis die Auffassung durchgesetzt hat, dass die in Artikel 7d des RVOG vorgesehene Befristung auch bei Massnahmen gestützt auf Artikel 7 des Epidemiengesetzes Anwendung finden soll. Dies aufgrund der deklaratorischen Natur von Artikel 7 EpG, die der Bundesrat in seiner Botschaft zum Epidemiengesetz hervorgehoben hatte: «Sie [die Bestimmung] wiederholt auf

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Gesetzesstufe die verfassungsmässige Kompetenz des Bundesrates gemäss Artikel 185 Absatz 3 BV, in ausserordentlichen Situationen ohne Grundlage in einem Bundesgesetz in einem Bundesgesetz Polizeinotverordnungsrecht zu erlassen.»49 Von Vertretern der Lehre wurde auch angeregt, im Epidemiengesetz vorzusehen, dass die Bundesversammlung entscheiden muss, bevor der Bundesrat Massnahmen gemäss Artikel 6 oder 7 des Gesetzes erlässt (vgl. oben sowie auch Motion Salzmann 21.3034 «Das Parlament muss bei der Anordnung einer ausserordentlichen Lage gemäss EpG mit einbezogen werden»). Es ist die Frage zu stellen, wieweit eine solche Forderung nicht Sinn und Zweck der Gesetzesdelegation gemäss Artikel 6 und 7 EpG widerspricht. Ziel dieser Gesetzesdelegationen ist es gerade, dass der Bundesrat unmittelbar auf eine eingetretene Krise reagieren kann. Wenn nun der Gesetzgeber also quasi eine zweite Delegation im konkreten Anwendungsfall vornehmen muss, dann stellt sich die Frage, warum der Bundesrat nicht gerade dem Parlament die konkreten Massnahmen als Entwurf für ein dringliches Bundesgesetz unterbreitet (in diese Richtung geht die pa.Iv. Heer 20.503 «Änderung des Epidemiengesetzes»). Eine solche zweite Gesetzesdelegation müsste mit einer erläuternden Botschaft, in welcher die Gründe für die Notwendigkeit des dringenden Erlasses von Massnahmen dargestellt sind, den parlamentarischen Prozess, allenfalls mit Vorberatung in den Kommissionen und mit Differenzbereinigung zwischen den Räten, durchlaufen. Inzwischen hätte der Bundesrat die Massnahmen längst erlassen können und müssen. Ein solche parlamentarische Zusatzschlaufe wird auch nicht der Dynamik von Krisensituationen gerecht: Wie lange würde zum Beispiel ein Entscheid der Bundesversammlung, der Bundesrat dürfe keine Massnahmen erlassen, gelten? Was ist, wenn ein paar Tage nach dem Entscheid der Bundesversammlung sich die Krisensituation dramatisch verändert hat?

Solche Vorstellungen von «Ausrufungen des Notstandes» durch das Parlament orientieren sich bisweilen auch an Regelungen in anderen Parlamenten. Allerdings kommt dort solchen «Ermächtigungen» häufig nur symbolischen Charakter zu, weil in parlamentarischen Demokratien die Parlamentsmehrheit sowieso gemäss der Regierungsmehrheit entscheiden muss. Tut sie das nicht, entsteht eine Regierungskrise.
Was bezüglich des Epidemiengesetzes allerdings geprüft werden muss, ist die Regelung von Entschädigungen. Eine generelle Regelung scheint sinnvoller als ad hoc Lösungen. Dies gehört allerdings nicht in den Rahmen dieser Vorlage und es wurde deshalb eine entsprechende Motion eingereicht (22.3009).

3.2.5.5

Verzicht auf eine engere Definition von Artikel 185 Absatz 3 BV

Von Vertretern der Wissenschaft wurde die Frage aufgeworfen, ob Artikel 185 Absatz 3 BV in der Covid-19-Krise nicht zu weit interpretiert wurde (vgl.

Ziff. 2.4.3.1). Der Bundesrat hatte sich auf diese Bestimmung gestützt, um insbesondere sogenannte Sekundärmassnahmen zur Abfederung der Massnahmen zur direkten Bewältigung der Krise zu erlassen.

49

Botschaft zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen vom 3. Dezember 2010 (10.107), BBl 2011 365.

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Die zum Teil in der Lehre vertretene Auffassung, wonach die Notverordnungs- und Notverfügungskompetenz des Bundesrats im Fall einer eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störung der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit auf klassische polizeiliche Abwehr begrenzt sein müsse50, entspricht weder den Materialien zur Bundesverfassung noch der Rechtsprechung des Bundesgerichts oder der herrschenden Lehre.

Unbestrittenermassen hat der Bundesrat im Rahmen der Bekämpfung und Bewältigung der Covid-Krise in noch nie dagewesenen Umfang verfassungsunmittelbare Notverordnungen erlassen. Diese breite Anwendung von Artikel 185 Absatz 3 BV war aber keineswegs die Folge einer Praxisänderung auf rechtlicher Ebene, sondern Ausdruck der zu bewältigenden ausserordentlichen Herausforderungen.51 Viele der im März 2020 vom Bundesrat gestützt auf Artikel 185 Absatz 3 BV erlassenen Verordnungen bezweckten die Sicherstellung der wirtschaftlichen Existenz von Einzelpersonen und Unternehmen, die wegen angeordneter Covid-Schutzmassnahmen ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben konnten (Erwerbsausfallentschädigung, Notund Soforthilfe für bestimmte Erwerbszweige und Betriebe). Wie bei der Rettung der UBS stand auch die ökonomische Stabilität auf dem Spiel. Ging es bei der Grossbank um das Problem «too big to fail», stellte sich nun die Frage nach «too many to fail».52 Ein enger Schutzgüterbegriff hätte dazu geführt, dass der Bund gestützt auf das Epidemiegesetz zwar einschneidende Schutzmassnahmen hätte anordnen können. Die von seinen Anordnungen wirtschaftlich und sozial hart getroffenen Personen wären dann aber zumindest bis zum Erlass von dringlichem Gesetzesrecht durch das Parlament mangels eines passenden Schutzguts ihrem Schicksal überlassen worden. Das hätte der Absicht widersprochen, wie sie beim Erlass der Bundesverfassung zum Ausdruck gekommen ist, wonach unter den Begriff der «inneren Sicherheit» auch «soziale Notstände» fallen.53 Teilweise wird in der Lehre gar die Auffassung vertreten, der Bundesrat sei durch grundrechtliche Schutzpflichten verpflichtet gewesen, notrechtlich ökonomischen Abfederungsmassnahmen zu treffen.54 Notverordnungen des Bundesrates machen nur dann wirklich Sinn, wenn sie nicht nur an die Stelle fehlender, sondern auch an die Stelle von in einer
Notsituation unpassender (und damit in einem materiellen Sinn für diese Situation ebenfalls fehlender) Gesetzesnormen treten können. Eine Notsituation richtet sich nie nach dem, was der Gesetzgeber für den Normalfall bedacht hat.

50

51

52 53

54

So z.B. Biaggini, 2020, S. 256f, mit Kritik an den in den Covid-Verordnungen des Bundesrats vorgenommenen «Erweiterung des polizeiliche Instrumentarium[s] der Gefahrenabwehr durch leistungsstaatliche Elemente», z.B. durch Finanzhilfen an Individuen und Unternehmen.

So Susanne Kuster, Navigieren auf Sicht. Grundsatzentscheide hinter den Kulissen zu den Notverordnungen des Bundesrates in der Covid-19-Krise, in: Jusletter vom 15. Februar 2021, N 17.

Tomas Poledna/Ralph Trümpler/Gregori Werder, Entschädigung von Gesundheitseinrichtungen zu Zeiten der Epidemie und Pandemie, ZSR 2020, Sondernummer, S. 116.

Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 399; siehe auch Frédéric Bernard, Les pouvoirs extraordinaires du Conseil fédéral dans la lutte contre les épidémies, ZBl 2021, S. 141.

Florian Brunner/Martin Wilhelm/Felix Uhlmann, Das Coronavirus und die Grenzen des Notrechts, AJP 2020, S. 695; Andreas Stöckli, Gewaltenteilung in ausserordentlichen Lagen ­ quo vadis? Lehren aus der Corona-Krise, Jusletter vom 15. Februar 2021, Rz. 10.

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Dass Notverordnungen des Bundesrats in Situationen eingetretener oder unmittelbar drohender schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit auch dann das richtige Instrument sind, wenn sie von bestehendem Gesetzesrecht abweichen, zeigen die Alternativen, die alles andere als überzeugend sind: Noch überzeugt die Möglichkeit, mit extrakonstitutionellem Notrecht zu arbeiten, noch der Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes zu Beginn der Krise, welches dem Bundesrat die notwendigen Kompetenzen gibt (so vorgeschlagen in den Anhörungen der Staatspolitischen Kommission, vgl. oben Ziff. 2.4.3.2). Zum einen stellt sich das Problem, dass die Räte innert kürzester Frist (das können u.U. wenige Stunden sein) mit kaum vorhandenen Informationen ein Gesetz erlassen müssten. Dazu gehört die Vorberatung in Kommissionen und das Differenzbereinigungsverfahren. Zum anderen ist die Frage zu stellen, was denn solche zwangsläufig offenen Delegationsklauseln mit Blick auf das Legalitätsprinzip und die Gesetzgebungshoheit des Parlaments an zusätzlicher materieller Klarheit, Begrenztheit und Fassbarkeit einer Regelung gebracht hätten. Weil die Entwicklung einer Krise ­ wie gerade die Covid-Pandemie gut zeigt ­ am Anfang nicht immer voll absehbar ist, wäre wohl auch der eine oder andere zu regelnde Bereich vergessen gegangen.

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass das auf Artikel 185 Absatz 3 BV gestützte Notverordnungsrecht des Bundesrats durch Artikel 7d RVOG zeitlich eng befristet ist, und dass das Parlament gestützt auf sein eigenes Notverordnungsrecht in Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV oder auch mit dringlichen Bundesgesetzen Notverordnungen des Bundesrats jederzeit übersteuern kann.

3.2.5.6

Verzicht auf eine Änderung von Artikel 7d RVOG

Wie oben bereits dargelegt, hat sich der in Artikel 7d RVOG vorgesehen Mechanismus bewährt. Danach muss der Bundesrat sechs Monate nach Inkrafttreten einer von ihm erlassenen Notverordnung der Bundesversammlung einen Entwurf für eine gesetzliche Grundlage unterbreiten, wenn der Inhalt der Verordnung weiterhin gelten soll. Gerade wenn eine Krisensituation länger anhält wie bei der Covid-Krise, kann der Entscheidungsprozess innert nützlicher Frist wieder demokratisch breiter abgestützt werden.

Was die Befristungen von Verordnungen der Bundesversammlung betrifft, so kann aufgrund des Wortlauts von Artikel 7d Absatz 3 RVOG der Eindruck entstehen, dass die Befristung von drei Jahren nur für Verordnungen gemäss Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV gilt, welche Notverordnungsrecht des Bundesrates ablösen. Dies kann jedoch nicht gemeint sein. Es soll hier deshalb festgehalten werden, dass auch für alle Notverordnungen der Bundesversammlung eine Befristung gilt.

3.2.5.7

Notwendige Ressourcen zur Wahrnehmung parlamentarischer Notrechtskompetenzen

Es wurde in den vorangehenden Kapiteln dargelegt, dass die Bundesversammlung missliebige Notverordnungen des Bundesrates derogieren kann, indem sie selber 57 / 76

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rechtsetzend tätig wird und selber Notverordnungen oder dringliche Bundesgesetze erlässt. Dies setzt voraus, dass die entsprechenden Normtexte und erläuternden Berichte erarbeitet werden können. Mit dieser Vorlage wurden zudem die parlamentarischen Mitwirkungsrechte in Krisensituationen gestärkt. So wird auch das parlamentarische Konsultationsrecht stark ausgeweitet, indem den zuständigen Kommissionen alle Notverordnungen vorzulegen sind. Dies erfordert, dass die Kommissionen innert kürzester Zeit zu bisweilen komplexen Normtexten Stellung nehmen müssen.

Dazu brauchen die parlamentarischen Kommissionen die Unterstützung der zuständigen Verwaltung und des Kommissionssekretariates. In der vergangenen Pandemie hat sich gezeigt, dass die parlamentarischen Kommissionen gerade in Krisenzeiten nicht immer auf die volle Unterstützung der Verwaltung zählen können und die Ressourcen ihrer Sekretariate ebenfalls beschränkt sind.

Es ist deshalb zu prüfen, wie die fachliche Unterstützung der Kommissionsarbeit in Zukunft auch in Krisenzeiten sichergestellt werden kann. Dazu ist festzuhalten, dass die Wahrnehmung der vielfältigen Rechte des Parlamentes, seiner Organe und Mitglieder auch im parlamentarischen Normalbetrieb durch die bescheidenen Ressourcen beschränkt wird. Umso problematischer ist die Situation in hektischen Krisenzeiten.

Darum ist aus Sicht der Subkommission zu klären, welche Ressourcen wann und wo zur Verfügung gestellt werden müssen, damit das Parlament seine Rechte auch in Krisenzeiten wahrnehmen kann. Bei der Lösung dieses Ressourcenproblems stellen sich schwierige Fragen, welche die Subkommission zum jetzigen Zeitpunkt nicht klären kann. Sie werden zu gegebener Zeit durch das für die Ressourcen zuständige Organ zu prüfen sein. Der vorliegende Entwurf überträgt in Artikel 38 Absatz 3 der neu zu schaffenden Verwaltungskommission explizit den Auftrag, für die nötigen Ressourcen und Infrastrukturen der Bundesversammlung und ihrer Organe zu sorgen.

3.2.5.8

Exkurs zum Instrument des dringlichen Bundesgesetzes

Dauert eine Krise länger, können und müssen Massnahmen zur Krisenbewältigung wieder auf dem ordentlichen Weg der Rechtsetzung unter Einbezug des Parlamentes erlassen werden. Sind dringliche Massnahmen notwendig, steht das dringlich erklärte Bundesgesetz zur Verfügung. So wurden in der Covid-Krise die gesetzlichen Grundlagen für die notwendigen Massnahmen im dringlich erklärten Covid-Gesetz geschaffen. Gerade das Beispiel einer Pandemie zeigt, dass sich die Voraussetzungen dauernd ändern können und immer neue Massnahmen erforderlich sind. Dies bedeutet, dass die entsprechende Gesetzgebung laufend angepasst werden muss. Wird nun ein Referendum gegen ein solches Gesetz ergriffen, kann der Fall eintreten, dass das Gesetz schon wieder geändert worden ist, bevor die Referendumsabstimmung stattfindet. In einer solchen Situation stellt sich die Frage, was mit den Änderungen geschieht, welche nach Ergreifen des Referendums, aber vor der Volksabstimmung vom Parlament verabschiedet worden sind.

Der Bundesrat hat im Zusammenhang mit dem Covid-Gesetz festgehalten, dass die nachträglichen Änderungen bei einer Ablehnung des Gesetzes in der Volksabstimmung ebenfalls dahinfallen würden. Wird gegen den dringlich erklärten Grunderlass 58 / 76

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das Referendum ergriffen, sind die nachfolgenden (allenfalls ebenfalls dringlich erklärten) Änderungen, die noch vor der Referendumsabstimmung vorgenommen wurden, formell nicht Gegenstand der Abstimmung. Jedoch sind sie auf den Grunderlass angewiesen und können rechtlich und praktisch nicht ohne diesen existieren. So gelten Gegenstands- und Grundsatzbestimmungen des Grunderlasses für das ganze Gesetz.

Beziehen sich die späteren Änderungen zudem auf konkrete Bestimmungen des Grunderlasses und sind darum zwingend auf ihn angewiesen (etwa indem in der Änderung ein neuer Absatz zu einem Artikel hinzugefügt wird, der bereits vier Absätze hatte), so könnten die Änderungen nicht mehr weiterbestehen, wenn der Grunderlass in der Volksabstimmung abgelehnt wird (der neue fünfte Absatz kann nicht isoliert und ohne die abgelehnten vier Absätze existieren).

Nachträgliche dringlich erklärte Gesetzesänderungen treten daher zusammen mit dem dringlich erklärten Grunderlass ausser Kraft, wenn der Grunderlass in der Referendumsabstimmung abgelehnt wird.

Die Subkommission teilt diese Auffassung. Für sie stellen sich jedoch noch offene Fragen bezüglich der Auswirkungen dieser Interpretation auf das Erfordernis nach Artikel 165 Absatz 4 der Bundesverfassung, wonach ein dringlich erklärtes Bundesgesetz, das in der Abstimmung nicht angenommen wird, nicht erneuert werden kann.

Es stellt sich die Frage, welche Bestimmungen in welchem Zeitabstand wieder erneuert werden dürfen. Auch müsste jeweils Klarheit geschaffen werden, welche Bestimmungen genau im Falle eines erfolgreichen Referendums dahinfallen und welche nicht. Der Bundesrat soll deshalb mit einem Kommissionspostulat beauftragt werden, diese Fragen abzuklären (22.3019 Po. SPK-N Klarheit schaffen bei Referenden zu dringlichen Bundesgesetzen).

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4.1

Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002

Art. 2 Abs.

Zusammentreten der Räte

3bis

Mit dem Instrument der ausserordentlichen Session soll sichergestellt werden, dass die Bundesversammlung auch dann Entscheide fällen kann, wenn dies dringend Umstände erfordern und gerade keine ordentliche Session stattfindet. In Absatz 3 sind deshalb Beratungsgegenstände als Voraussetzung für das Verlangen einer a.o. Session definiert, die es erlauben, dass die Bundesversammlung Entscheide treffen kann. So kann z.B. durch die Einreichung von gleichlautenden Motionen in beiden Räten erreicht werden, dass ein Auftrag an den Bundesrat verabschiedet werden kann.

Die Festlegung des Zeitpunkts für die Einberufung der Räte obliegt gemäss Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe a der Koordinationskonferenz. Im Interesse der Belastung der Ratsmitglieder und aus verfahrensökonomischen Gründen werden ausserordentliche Sessionen häufig auch während ordentlichen Sessionen abgehalten.

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In Krisensituationen ist es jedoch wichtig, dass die Räte rasch zusammentreten können. Ein Viertel der Mitglieder eines Rates oder der Bundesrat sollen deshalb die «unverzügliche» Einberufung einer ausserordentlichen Session verlangen können, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

Auch in diesen Fällen ist aber auf jeden Fall die Bezeichnung eines Beratungsgegenstandes gemäss Absatz 3 notwendig.

Buchstabe a Die unverzügliche Einberufung der Räte kann verlangt werden, wenn der Bundesrat sogenannte «Notverordnungen» erlässt oder ändert, die er direkt auf die Verfassung oder eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise stützt. Zwar gibt es auch insbesondere auf Artikel 184 der Bundesverfassung gestützte Verordnungen, die weder umstritten sind, noch einer Krisenbewältigung dienen. Es ist aber davon auszugehen, dass in solchen Fällen kein Interesse an der Einberufung einer ausserordentlichen Session besteht. Der Erlass von Verordnungen, die sich auf Artikel 55 des Asylgesetzes (SR 142.31), Artikel 62 des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SR 281.1), Artikel 31­34 des Landesversorgungsgesetzes (SR 531), Artikel 6­7 des Zolltarifgesetzes (SR 632.10), Artikel 48 des Fernmeldegesetzes (SR 784.10) oder auf Artikel 6­7 des Epidemiengesetzes (SR 818.101) stützen, kann ebenfalls Anlass für die unverzügliche Einberufung einer ausserordentlichen Session sein. Dabei handelt es sich um gesetzliche Krisenbewältigungsbestimmungen, die analog zu den Notrechtsverordnungen gemäss Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung den Bundesrat ermächtigen, Verordnungen in einem bestimmten Bereich zu erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren und äusseren Sicherheit zu begegnen.

Als möglicher Beratungsgegenstand sind z.B. in beiden Räten eingereichte gleichlautende Motionen, die auf die Notverordnungen des Bundesrates einwirken wollen, denkbar.

Buchstabe b Zum anderen soll die Einberufung einer ausserordentlichen Session nicht vom Aktivwerden des Bundesrates abhängig sein. Wenn eine parlamentarische Kommission dringlichen Handlungsbedarf sieht, kann sie Erlassentwürfe für eine Verordnung des Parlamentes oder ein dringliches Bundesgesetz ausarbeiten. Findet dieser Erlassentwurf in der Kommission eine Mehrheit, wird er offensichtlich von
mehreren Fraktionen unterstützt, so dass sich ein Viertel der Mitglieder des Rates findet, welcher die unverzügliche Einberufung einer ausserordentlichen Session verlangen kann.

Buchstabe c Schliesslich soll die unverzügliche Einberufung auch dann verlangt werden können, wenn die Verschiebung oder Beendigung der Session gemäss Artikel 33a ParlG beschlossen wurde. Ein Viertel der Mitglieder eines Rates kann die Behandlung der in der verschobenen oder vorzeitig beendigten Session nicht behandelten Geschäfte verlangen oder aber auch neue Beratungsgegenstände vorschlagen.

Mit «unverzüglich» ist der baldmöglichste Zeitpunkt gemeint, in welchem die Räte einberufen werden können. Der gleiche Begriff wird in Artikel 185 Absatz 4 BV verwendet.

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Art. 10a

Virtuelle Teilnahme an Ratssitzungen

Artikel 10a wird als Ausnahme zu der in Artikel 10 ParlG stipulierten Pflicht zur Sitzungsteilnahme eingefügt. Er orientiert sich an dem von den Räten in der Wintersession 2020 verabschiedeten dringlichen Bundesgesetz, welches die Teilnahme an Abstimmungen bei nicht physischer Anwesenheit an den Ratssitzungen erlaubte (20.483). Hier wird nun ein Schritt weitergegangen, indem die physisch nicht anwesenden Ratsmitglieder alle Rechte wahrnehmen können. Die Nutzung des Instruments ist dann sinnvoll, wenn nur eine beschränkte Anzahl Ratsmitglieder an einer physischen Teilnahme gehindert ist, so dass die Durchführung einer vollständig virtuellen Session gemäss Artikel 32a nicht angezeigt ist.

Abs. 1 Das Instrument der virtuellen Teilnahme einzelner Ratsmitglieder soll nur in ausserordentlichen Situationen angewendet werden, wenn die physische Teilnahme von mehreren Ratsmitgliedern ein Problem werden könnte. Dabei ist neben Seuchen z.B.

auch an Naturkatastrophen in bestimmten Regionen zu denken. Ein Rat kann dann, sei es auf Antrag des Büros oder auch von Ratsmitgliedern, entscheiden, dass das Instrument im Rat zur Anwendung kommt. Es handelt sich um ein Instrument, welches in besonderen Krisensituationen die Teilnahme der Ratsmitglieder garantieren soll, nicht um ein Instrument, welches im Normalbetrieb nach Belieben genutzt werden kann (vgl. Abs. 2).

Es stellt einen relativ grossen Eingriff in den Parlamentarismus allgemein und in den Ratsbetrieb im Speziellen dar, wenn nicht alle Ratsmitglieder physisch teilnehmen.

Deshalb soll das Instrument nur dann Anwendung finden, wenn die Situation so ist, dass es eine Mehrheit des Rates als angebracht erachtet. Ob die Anwendung des Instruments sinnvoll ist, soll nicht dem Gutdünken des einzelnen Ratsmitglieds überlassen werden. Es gibt kein Recht auf nicht physische Teilnahme.

Es wird hier nach wie vor die physische Teilnahme von der Mehrheit der Mitglieder gemäss Artikel 159 Absatz 1 BV vorausgesetzt: Es handelt sich nicht um eine virtuell durchgeführte Ratssitzung gemäss Artikel 32a. Ist die physische Teilnahme von mehr als der Hälfte der Ratsmitglieder nicht möglich, dann ist dieses Instrument zu wählen.

Abs. 2 Absatz 2 nennt die Voraussetzungen für die virtuelle Teilnahme eines Ratsmitglieds an Ratssitzungen, sobald der Rat das Instrument frei gegeben
hat. Ein Ratsmitglied sollte nicht durch eine Anordnung einer Behörde daran gehindert werden können, an der Session teilzunehmen. In erster Linie im Visier sind hier natürlich kantonale Massnahmen zur Bekämpfung von Seuchen, wobei auch behördliche Anordnungen mit anderem Ziel denkbar sind. Die Voraussetzung der «behördlichen Anordnung» wurde ergänzt mit dem Begriff «des Vorliegens eines anderen Falls höherer Gewalt». Dieser Begriff orientiert sich an Artikel 1051 Absatz 1 und 1131 Absatz 1 des Obligationenrechts (OR). Dabei könnte es sich z.B. um Naturkatastrophen handeln, welche es Ratsmitgliedern aus einem bestimmten Gebiet verunmöglichen, nach Bern zu reisen. Mit der Orientierung an den Bestimmungen des OR ist auch klargestellt, dass «Tatsachen, die rein persönlich» die bestimmten Personen betreffen, nicht als Fälle höherer Gewalt gelten. Damit sind gesundheitliche Probleme oder Elternschaft ausgeschlossen, d.h., 61 / 76

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die Betreuung eines kranken Kindes rechtfertigt die virtuelle Teilnahme ebenfalls nicht.

Die nicht physische Teilnahme an Ratssitzungen orientiert sich vielmehr am Konzept der Sessionsteilnahmegarantie gemäss Artikel 20 ParlG: Das Ratsmitglied soll nicht durch äussere Gründe und schon gar nicht durch Behörden an der Teilnahme an der Session gehindert werden.

Damit die notwendigen Programmierungen vorgenommen werden können, muss die virtuelle Teilnahme rechtzeitig angemeldet werden.

Abs. 3 Die technologischen Voraussetzungen ermöglichen nun, dass Ratsmitglieder auch Anträge einreichen, Fragen stellen, aus der Kommission Bericht erstatten usw. können. Hingegen wird aufgrund des Erfordernisses der Geheimhaltung die virtuelle Teilnahme an Wahlen und geheimen Beratungen hier ausgeschlossen. Die technischen Voraussetzungen für die Gewährleistung des Wahlgeheimnisses bei virtuell durchgeführten Wahlen durch die Vereinigte Bundesversammlung (z.B. Wahl der Mitglieder des Bundesrates und des Bundesgerichts) sind nicht gegeben. Es gibt keine entsprechenden Standardlösungen und es müsste ein spezifisches System entwickelt werden, welches mit einem beachtlichen Aufwand betrieben, laufend getestet und aktualisiert werden müsste. Es wird hier deshalb darauf verzichtet, das Instrument der nicht physischen Teilnahme von einzelnen Ratsmitgliedern auch für die Vereinigte Bundesversammlung, welche die meisten Wahlen vornimmt, vorzusehen.

Abs. 4 Aus Transparenzgründen muss klar sein, wer ausserhalb des Saales teilnimmt.

Art. 22

Gesetzgebung

Abs. 3 In Artikel 22 ist festgehalten, dass Ausnahmen vom Konsultationsrecht der Kommissionen vorgesehen werden können, wenn die Dringlichkeit es verlangt. Nun soll neu in Artikel 151 Absatz 2bis ein ausgebautes Konsultationsrecht für sogenannte «Notverordnungen» vorgesehen werden, bei welchen Dringlichkeit in der Regel gegeben ist. Es muss hier deshalb ein entsprechender Vorbehalt angebracht werden. «Zur Konsultation unterbreiten» bedeutet, dass der Bundesrat Verordnungsentwürfe der Kommission zustellt. Wenn die Kommission eine Stellungnahme abgeben will, obliegt es ihr, sich auch in allenfalls sehr kurzer Zeit so zu organisieren, dass sie eine Stellungnahme abgeben kann.

Art. 32

Sitz der Bundesversammlung

Abs. 3 Wenn es in einer Krise nicht möglich sein sollte, in Bern zu tagen, so soll die Bundesversammlung rasch einen alternativen Tagungsort bestimmen können, ohne dass die Räte zusammentreten müssen. Die Kompetenz zur Festlegung eines anderen Tagungsortes soll deshalb für diesen Fall an die Koordinationskonferenz delegiert werden.

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Dabei handelt es sich um eine abschliessende Kompetenz. Das Büro des Nationalrates unterstützt diese Anpassung.

Art. 32a

Virtuell durchgeführte Ratssitzungen

Der neu eingefügte Artikel 32a soll den Räten die virtuelle Durchführung von Ratssitzungen ermöglichen.

Abs. 1 Eine Ratssitzung kann nur dann virtuell durchgeführt werden, wenn ein physisches Zusammentreten nicht möglich ist. Jedes Büro kann die virtuelle Durchführung der Ratssitzung seines Rates von sich aus oder auf Antrag eines Ratsmitglieds beschliessen. Dieser Beschluss kann im Rat mit Ordnungsantrag rückgängig gemacht werden.

Es ist nicht zwingend, dass beide Räte virtuell tagen: Vielleicht sind die Voraussetzungen gegeben, dass der Ständerat physisch tagen kann, der Nationalrat jedoch nicht.

Abs. 2 Da die technischen Voraussetzungen für die virtuelle Durchführung von geheimen Beratungen gemäss Artikel 4 Absatz 2 ParlG und Wahlen nicht gegeben sind, müssen diese ausgenommen werden. Es stellt sich die Frage, wie vorgegangen werden müsste, wenn die Vereinigte Bundesversammlung z.B. aufgrund einer Pandemie nicht physisch tagen kann, jedoch die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates oder des Bundegerichts anstehen. Ein Ausweg könnte sein, dass die Bundesversammlung ein dringlich erklärtes Bundesgesetz erlässt, in welchem sie die Amtsdauer des Bundesrates oder des Bundegerichts für den konkreten Fall befristet verlängert. Sollte der Fall eintreten, dass der Bundesrat in einer Krise nicht handlungsfähig ist, dann kommt die Bestimmung gemäss Artikel 33 Absatz 3 ParlG zum Zug, wonach die Präsidentin oder der Präsident des Nationalrates oder, im Verhinderungsfall, die Präsidentin oder der Präsident des Ständerates verpflichtet ist, die Räte einzuberufen. Bevor dies geschieht, ist der Bundesrat aber gemäss Artikel 6 Absatz 3 RVOG selber in der Pflicht, alle Massnahmen zu treffen, welche die Regierungstätigkeit jederzeit sicherstellen.

Dazu gehört z.B. die Bestimmung in Artikel 26 Absatz 2 RVOG, wonach der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin anstelle des Bundesrates entscheidet, wenn die Durchführung einer ordentlichen oder einer ausserordentlichen Verhandlung des Bundesrates nicht möglich ist.

Abs. 3 Virtuelle Sitzungen sollen zeitlich begrenzt werden. Die Büros sollen z.B. nicht beschliessen können, dass die Räte «bis auf Weiteres» virtuell tagen, da insbesondere der informelle Parlamentsbetrieb durch das nicht physische Versammeln massiv eingeschränkt ist. Das Büro soll deshalb festlegen,
welche Sitzungen (nicht Sessionen) mit welchen Traktanden virtuell durchgeführt werden sollen. Wahrscheinlich wird das Büro in einer Krisensituation eine Auswahl von dringlich notwendigen Beschlüssen treffen, welche der Rat zu fällen hat und nur die entsprechenden Geschäfte traktandieren. Je nach Situation kann es sich ergeben, dass eine ganze Session virtuell durchgeführt werden muss.

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Art. 33a

Verschiebung oder vorzeitige Beendigung einer Session

Abs. 1 Ein Rat kann für sich gemäss geltendem Recht mit Ordnungsantrag den Unterbruch seiner Sitzungen beschliessen. Dies kann er jedoch nur soweit tun, als er dadurch das Zusammenwirken mit dem anderen Rat nicht beeinträchtigt. Ein Rat kann deshalb z.B. nicht für sich alleine die letzte Sessionswoche streichen, denn dann könnte der andere Rat an der Vornahme der Schlussabstimmungen gehindert werden. Die Verschiebung oder vorzeitige Beendigung einer Session braucht deshalb die Zustimmung beider Räte.

Abs. 2 Es kann sich die Ausnahmesituation ergeben, dass eine Verschiebung oder vorzeitige Beendigung der Session aufgrund einer plötzlichen auftretenden Krisensituation notwendig ist, die Räte nicht versammelt sind und auch eine Einberufung zu einer virtuellen Sitzung der Räte kurzfristig nicht möglich ist. In diesem Fall soll die Koordinationskonferenz die Kompetenz zur Verschiebung oder vorzeitigen Beendigung erhalten. Wenn sich die Büros nicht für die Alternative der Weiterführung der Session mit digitalen Mitteln gemäss Art. 32a entscheiden, können sie ein Datum angeben, an welchem die Session physisch weitergeführt werden soll. Will eine Minderheit früher wieder tagen, als von der Koordinationskonferenz vorgeschlagen, dann steht das Instrument der a.o. Session gemäss Artikel 2 zur Verfügung.

Art. 37

Koordinationskonferenz

Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe c ParlG sieht vor, dass die Koordinationskonferenz Weisungen erlassen kann über die Zuteilung der personellen und finanziellen Mittel an die Organe der Bundesversammlung. Trotz dieser eindeutigen Kompetenzzuweisung wurden die zurzeit rechtskräftigen Weisungen nicht durch die Koordinationskonferenz, sondern durch die Verwaltungsdelegation erlassen. Diese stützte sich dabei auf die Verordnung zum Parlamentsressourcengesetz (SR 171.211). Wird nun eine neue, kontinuierlicher zusammengesetzte Verwaltungskommission anstelle der Verwaltungsdelegation geschaffen, dann macht es Sinn, diese Kompetenz dort anzusiedeln. Dies umso mehr, als die VK sicherstellen muss, dass die Bundesversammlung und ihre Organe über die nötigen Ressourcen und Infrastrukturen verfügen. Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe c ist deshalb aufzuheben.

Sollte gemäss Ansicht einer Minderheit (Pfister Gerhard, Addor, Binder, Bircher, Buffat, Cottier, Glarner, Marchesi, Moret, Romano, Steinemann) die Generalsekretärin oder der Generalsekretär der Bundesversammlung neu durch dieselbe gewählt werden, dann müsste die entsprechenden Kompetenz der Koordinationskonferenz in Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe d gestrichen werden.

Art. 38

Verwaltungskommission

Die bisherige Verwaltungsdelegation soll durch eine Verwaltungskommission ersetzt werden. Artikel 38, welcher bisher Zusammensetzung und Aufgaben der Verwaltungsdelegation geregelt hat, ist entsprechend anzupassen.

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Abs. 1 Der Verwaltungskommission gehören je vier ständige Mitglieder beider Räte an. Zudem gehören ihr von Amtes wegen für ein Jahr die Präsidentinnen und Präsidenten beider Räte an. Sie sollen als Verbindungsglied zwischen der VK und den Ratsbüros bzw. den Ratspräsidien dienen.

Eine Minderheit (Moret, Cottier, Pfister Gerhard, Romano, Silberschmidt) beantragt, dass auch die ersten Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten beider Räte der VK angehören. Das Büro des Nationalrates unterstützt diesen Minderheitsantrag, da es aus seiner Sicht für die Akzeptanz der Entscheide wichtig ist, dass die Vizepräsidentinnen und -präsidenten weiterhin im Leitungsgremium vertreten sind.

Abs. 2 Die Wahl der ständigen Mitglieder geschieht gemäss den Bestimmungen in Artikel 43 Absatz 1 ParlG. Somit wählen die Büros die Mitglieder ihres Rates in der VK für vier Jahre. Als einschränkende Bestimmung gilt, dass die Mitglieder nicht dem Büro angehören dürfen. Ein Antrag des Büros, wonach diese einschränkende Bestimmung gestrichen werden soll, wurde von der Kommission einstimmig abgelehnt (zur Begründung vgl. oben Ziff. 3.2.2).

Die Wahl des Präsidiums der VK richtet sich nach Artikel 43 Absatz 2 ParlG. Somit wird dieses von der Koordinationskonferenz gewählt und Präsident und Vizepräsident dürfen nicht dem gleichen Rat angehören. Damit ist auch eine Rotation der Präsidentschaft zwischen den beiden Räten sichergestellt. Aufgrund der zweijährigen Amtsdauer des Kommissionspräsidiums können zudem die Ratspräsidentinnen und -präsidenten das Präsidium der VK nicht übernehmen.

Aufgrund der geringen Grösse des Organs kann nicht der strikte Fraktionsschlüssel gemäss Artikel 43 Absatz 3 angewendet werden. Es soll aber unter den acht ständigen Mitgliedern jede Fraktion mit mindestens einem Mitglied vertreten sein. Hat es einmal mehr als acht Fraktionen, dann sollen die acht grössten vertreten sein. Bei weniger als acht Fraktionen sind für die Besetzung der übrigen Sitze die Fraktionsstärken angemessen zu berücksichtigen.

Die Verwaltungskommission ist ein kleines Organ und sie hat verantwortungsvolle, auch personalpolitische Aufgaben wahrzunehmen, so dass eine gewisse Kontinuität von Vorteil ist: Stellvertretung wird deshalb ausgeschlossen.

Da nun die Verwaltungskommission über ein für zwei Jahre gewähltes Präsidium verfügt,
kann auf die Wahl eines Delegierten oder einer Delegierten verzichtet werden.

Der Präsident oder die Präsidentin der VK ist nun auch nicht mehr gleichzeitig Ratspräsident oder Ratspräsidentin, so dass er oder sie die Aufgaben des bisherigen Delegierten übernehmen kann.

Abs. 3 Der bisherige Absatz 2 wird durch einen zweiten Satz ergänzt, welcher die Bedeutung der Ressourcen und Infrastrukturen für die Tätigkeit der Räte und insbesondere auch der Kommissionen hervorhebt. Diese Verantwortung der VK ergibt sich zwar auch aus ihrer Funktion der obersten Leitung der Parlamentsverwaltung. Die spezifische Erwähnung soll als Leitsatz dienen bei den speziellen Funktionen, welche die VK im 65 / 76

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Budgetprozess gemäss Artikel 142 Absatz 3 ParlG hat. Diese Budgetkompetenz war bis anhin nur in der Parlamentsverwaltungsverordnung (ParlVV, SR 171.115) explizit verankert gewesen. Die Budgetkompetenzen der VD bzw. der VK bezüglich des Parlaments sind umfassend: So hat die VD bzw. neu die VK z.B. auch das Recht, mit Zustimmung der Finanzdelegation gemäss Artikel 34 FHG dringende Ausgaben zu tätigen. Neu hinzugefügt wird die bisherige Kompetenz der Koordinationskonferenz, gemäss Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe c ParlG Weisungen über die Zuteilung der Mittel an die Organe der Bundesversammlung zu erlassen.

Abs. 4 Diese Ausnahme vom Grundsatz des Zweikammersystems soll aus dem geltenden Recht übernommen werden.

Abs. 5 Der VK obliegen primär Verwaltungsaufgaben und ihr kommt denn auch kein Initiativrecht zu. Es kann aber sein, dass sie Handlungsbedarf im Bereich des Parlamentsrechts sieht. Wie bisher die VDel soll die VK Anträge an andere Organe, z.B. an die Büros oder an die Staatspolitischen Kommissionen, stellen können, damit diese z.B.

eine Vorlage ausarbeiten.

Art. 45a

Sitzungen

Nach den Artikeln über die Zusammensetzung und die Aufgaben der Kommissionen sollen neu die Voraussetzungen und die Zuständigkeiten für die Einberufung der Sitzungen geregelt werden. Die meisten Bestimmungen können zwar aus in den Ratsreglementen festgehaltenen Kompetenzen der Büros und der Kommissionspräsidentinnen oder der Kommissionspräsidenten abgeleitet werden. Hier sollen sie nun auf Gesetzesebene verankert und präzisiert werden.

Abs. 1 Gemäss Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe e des GRN bzw. Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f GRS legen die Büros der Räte den Jahressitzungsplan der Kommissionen fest. Hier kann mit der Verankerung auf Gesetzesstufe die Kontinuität der Kommissionstätigkeit verankert werden. Nicht-ständige Kommissionen und Delegationen fungieren nicht im Jahressitzungsplan der Büros. Sie können sich aber selber einen Sitzungsplan geben, was sie in der Praxis auch tun. Seltene Ausnahme bilden Kommissionen, welche nur bei Vorliegen eines konkreten Falls zusammentreten wie die Begnadigungskommission.

Abs. 2 Gemäss Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a GRN bzw. Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe a GRS haben die Präsidentinnen und Präsidenten die Kompetenz zur Planung der Kommissionstätigkeit. Dazu gehört auch die Streichung von Sitzungsterminen oder der Festlegung von Zusatzsitzungen, wobei Letztere meistens in Absprache mit der Kommission festgelegt werden. Das Recht der Kommission, an einem gestrichenen Sitzungsdatum dennoch zu tagen oder von sich aus eine Zusatzsitzung zu beschliessen,

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bleibt vorbehalten. Gerade weil das Recht zur Festlegung von Zusatzsitzungen in der Vergangenheit nicht unumstritten war, wird es hier auf Gesetzesstufe verankert.

Abs. 3 Hier wird die in der Praxis auch schon praktizierte Möglichkeit verankert, dass zwischen den ordentlichen Sitzungsterminen die dringende Einberufung einer Kommissionssitzung beantragt werden kann, wenn die Antragsstellerin oder der Antragssteller der Ansicht ist, dass die Behandlung eines Geschäftes dringlich ist.

Die Präsidentin oder der Präsident ist gehalten, dazu unverzüglich eine Umfrage bei der Kommission durchzuführen, damit die Mehrheit der Mitglieder beschliessen kann, ob die Sitzung durchgeführt werden soll. Da diese Umfrage in der Regel auf dem Zirkulationsweg erfolgen wird, wird ­ anders als bei einer Abstimmung über einen Ordnungsantrag für die Durchführung einer zusätzlichen Sitzung während einer Kommissionssitzung ­ die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder verlangt. Somit ist klar, dass die Sitzung stattfinden kann, wenn sich die Mehrheit der Mitglieder in zustimmenden Sinne gemeldet hat.

Eine Minderheit (Marti Samira, Barrile, Flach, Glättli, Gredig, Gysin Greta, Kälin, Marra, Suter, Widmer Céline) will einem Drittel der Mitglieder der Kommission das Recht einräumen, die Kommission einzuberufen. Dieses Recht einer Kommissionsminderheit soll analog zu Artikel 2 Absatz 3 ParlG eingeführt werden, um gerade in Krisenzeiten einer Kommissionsminderheit die Einberufung einer Kommissionssitzung zu ermöglichen, wenn dies die Präsidentin oder der Präsident anders sieht. Die Präsidentin oder der Präsident müsste dann eine Sitzung einberufen, wenn das die entsprechende Anzahl Kommissionsmitglieder verlangt (aufgerundet z.B. 9 von 25 oder 5 von 13 Kommissionsmitgliedern) und ein zu behandelnder Antrag eingereicht worden ist. Dabei könnte es sich z.B. um den Antrag für die Einreichung eines Kommissionsvorstosses oder die Durchführung von Anhörungen handeln. Die Kommission entscheidet, ob sie den Antrag materiell an der Sitzung selbst oder zu einem späteren Zeitpunkt behandeln will. Die Kommission kann zu Beginn der Sitzung einen Ordnungsantrag annehmen, wonach diese wieder zu schliessen ist.

Art. 45b

Virtuelle Sitzungen

Abs. 1 Neu werden die Voraussetzungen für die Durchführung von virtuellen Kommissionssitzungen gesetzlich festgehalten. Es ist vorgesehen, dass solche nur durchgeführt werden können, wenn ein physisches Zusammentreten verunmöglicht ist, oder wenn dringende Entscheide oder Entscheide zum Vorgehen zu fällen sind. Ein Entscheid zum Vorgehen kann z.B. darin bestehen, ob eine Anhörung durchgeführt oder ob eine Vorlage früher als vorgesehen traktandiert werden soll. Einfach zu klärende Verfahrensfragen, wie z.B. die Frage, ob eine Sitzung durchgeführt werden soll, sind nach wie vor einfacher auf dem Zirkulationsweg zu fällen. Auch eine virtuelle Sitzung braucht eine schriftliche Einladung mit Tagesordnung und sie muss zu einem Zeitpunkt stattfinden, an welchem die Mitglieder verfügbar sind.

Ein dringender Entscheid einer Kommission kann zum Beispiel dann nötig sein, wenn der Kommission eine dringliche Verordnung zur Konsultation vorgelegt wird oder im 67 / 76

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Hinblick auf die kommende Session noch ein Entscheid der Kommission nötig ist.

Die Möglichkeit, dringende Entscheide oder Entscheide zum Vorgehen an virtuellen Sitzungen fällen zu können, bedeutet nicht, dass bisherige Kanäle nicht mehr offenstehen: Nach wie vor kann es effizienter sein, solche Entscheide auf dem Zirkulationsweg oder an physisch abgehaltenen Sitzungen zu fällen.

Virtuelle Sitzungen dürfen nur mit einem dafür vorgesehenen System durchgeführt werden, welches gewisse Standards der Vertraulichkeit garantiert. Solche Tools können nie maximale Sicherheit garantieren und insbesondere die Teilnahme der Ratsmitglieder an von ihnen selbst bestimmten Orten stellt ein gewisses Hindernis für die Garantie der Vertraulichkeit dar. Es ist deshalb darauf hinzuweisen, dass auch an virtuellen Sitzungen das Sitzungsgeheimnis gemäss Artikel 47 ParlG gilt. Dies gilt auch für Artikel 150 Absatz 3 ParlG: Die Kommissionen haben die nötigen Vorkehrungen für den Geheimnisschutz zu treffen. Konkret bedeutet dies, dass beim momentanen Stand der Technik an virtuell durchgeführten Sitzungen keine Geschäfte traktandiert werden dürfen, für deren Behandlung als «vertraulich» oder «geheim» klassifizierte Informationen benötigt werden.

Tagt die Kommission virtuell, sind alle Kommissionsmitglieder elektronisch zugschaltet. Die virtuelle Teilnahme von einzelnen Ratsmitgliedern ist nicht vorgesehen, wenn sich verhinderte Kommissionsmitglieder vertreten lassen können.

Abs. 2 Der Entscheid, ob eine Kommissionssitzung virtuell oder nicht durchgeführt werden soll, soll nicht allein bei der Präsidentin oder dem Präsidenten liegen. Gemäss Absatz 2 wird neben der Zustimmung der Präsidentin oder des Präsidenten die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder verlangt. Der Präsident kann auf dem Zirkulationsweg wahrscheinlich per E-Mail die Kommissionsmitglieder anfragen, ob sie eine virtuelle Sitzung wollen. Meldet sich die Hälfte der Mitglieder der Kommission plus eins im zustimmenden Sinn, dann kann die Sitzung so durchgeführt werden, falls auch der Präsident das so will. Dies wurde in der Covidkrise so gehandhabt. Es wird die Mehrheit der Mitglieder verlangt, weil ein einfaches Mehr auf dem Zirkulationsweg schwierig zu bestimmen wäre. Dies weil die nicht an der Umfrage teilnehmenden Kommissionsmitglieder nicht klar zugeordnet
werden können.

Abs. 3 Ist in bestimmten Kommissionen oder Delegationen die Stellvertretung nicht vorgesehen, kann es sinnvoll sein, wenn ein physisch an der Teilnahme gehindertes Mitglied sich zuschalten kann. Allenfalls kann es auch sinnvoll sein, Anhörungsteilnehmerinnen und -teilnehmer an physisch stattfindende Kommissionssitzungen zuzuschalten. Anhörungsteilnehmerinnen und -teilnehmer halten in der Regel ein Referat und beantworten Fragen. Sie nehmen nicht an den Diskussionen und Beratungen teil.

Der Präsident oder die Präsidentin der Kommission kann in den einzelnen Fällen entscheiden, ob eine digitale Zuschaltung sinnvoll ist.

Eine Minderheit (Addor, Bircher, Buffat, Glarner, Marchesi, Pfister Gerhard, Rutz Gregor, Steinemann) beantragt die Streichung dieser Möglichkeiten. Eine weitere Minderheit (Addor, Bircher, Buffat, Glarner, Marchesi, Pfister Gerhard, Romano,

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Rutz Gregor, Steinemann) möchte die Möglichkeit nur für externe Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmer vorsehen, und noch eine andere Minderheit (Cottier, Flach, Gredig, Moret) möchte zwar die Möglichkeit auch für Kommissionsmitglieder vorsehen, die sich nicht vertreten lassen können, jedoch nur, falls die Kommission dies beschliesst.

Art. 65

Leitung der Parlamentsdienste (Minderheit Pfister Gerhard, Addor, Binder, Bircher, Buffat, Cottier, Glarner, Marchesi, Moret, Romano, Steinemann)

Die Minderheit beantragt, dass die Generalsekretärin oder der Generalsekretär neu durch die Vereinigte Bundesversammlung gewählt wird. Dies wird in einem neuen Absatz 2bis so festgehalten. Die Wahl soll zu jedem Beginn der Legislaturperiode vorgenommen werden. Artikel 26 der ParlVV müsste entsprechend angepasst werden.

Wie die Mehrheit der SPK befürwortet auch das Büro die Beibehaltung des aktuellen Systems.

Art. 112

Zusammenarbeit mit Bundesrat und Bundesverwaltung

Abs. 3bis Absatz 3bis nimmt eine Präzisierung des Begriffs «angemessen Frist» gemäss Absatz 3 vor für den Fall, dass die Bundesversammlung eine «Notverordnung» des Parlamentes oder ein dringliches Bundesgesetz ausarbeiten will. In der Praxis wird die «angemessene Frist» gemäss Absatz 3 so verstanden, dass dem Bundesrat mindestens sechs Wochen zugestanden werden, damit die ordentlichen Verfahren zur Vorbereitung von Bundesratsentscheiden durchgeführt werden können. In den vorliegenden Fällen dringlicher Rechtsetzung gemäss Absatz 3bis müssen die Entwürfe der Kommission häufig bereits in der nachfolgenden Session behandelt werden können, so dass dem Bundesrat nur sehr kurze Fristen zugestanden werden können.

Art. 121

Behandlung in den Räten

Abs. 1bis Artikel 121 Absatz 1 räumt dem Bundesrat mindestens einen Monat Frist ein für die Antragsstellung zu Motionen. Dies, damit die für die Vorbereitung des Bundesratsbeschlusses ordentlichen Verfahren eingehalten werden können. Diese Frist soll neu verkürzt werden, wenn Kommissionen beider Räte spätestens eine Woche vor der Session gleich lautende Motionen eingereicht haben. Die Einreichung gleich lautender Motionen durch zwei Kommissionen setzt viel politischen Willen und Koordination voraus. In solchen Fällen ist es angezeigt, dass die Motion bereits in der nächsten Session behandelt werden kann. Es sollen für diesen Fall ausdrücklich auch die ausserordentlichen Sessionen vorgesehen werden, weil das Instrument gerade auch in dringlichen Fällen und in Krisenzeiten geeignet sein kann. Dabei muss der Antrag des Bundesrates nicht zwingend zu Sessionsbeginn vorliegen, sondern spätestens zum Zeitpunkt der Behandlung im Rat.

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Abs. 1ter In Krisensituationen soll es möglich sein, dass die Bundesversammlung rasch mit Motionen auf «Notverordnungen» des Bundesrates einwirken kann. Reichen Kommissionen solche Motionen ein, dann haben sie durchaus Erfolgschancen im Rat und sie sollen deshalb immer bereits in der nachfolgenden oder laufenden ordentlichen oder ausserordentlichen Session traktandiert werden, sonst könnten sie inhaltlich bereits obsolet sein. Allenfalls wird es dem Bundesrat nicht möglich sein, seinen Antrag rechtzeitig schriftlich zu unterbreiten. In einem solchen Fall kann er seinen Antrag in der Ratssitzung mündlich stellen.

Verordnungen, die sich auf gesetzliche Ermächtigungen zur Bewältigung einer Krise stützen, werden hier als weitere Möglichkeit aufgeführt (zu den konkreten gesetzlichen Bestimmungen vgl. die Ausführungen zu Artikel 2a).

Da es sich bei Verfügungen um Einzelakte handelt, werden sie hier nicht aufgeführt.

Für Verfügungen wird ein anderes Verfahren gewählt. Erlässt der Bundesrat Verfügungen zur Wahrung der Interessen des Landes oder zur Wahrung der äusseren und inneren Sicherheit, ist gemäss Artikel 53 Absatz 3bis die Geschäftsprüfungsdelegation zu informieren.

Art. 122

Behandlungen angenommener Motionen

Artikel 122 regelt das Verfahren betreffend die Berichterstattung des Bundesrates über die Erfüllung der von Räten beschlossenen Motionen. Wenn eine Motion nach zwei Jahren noch nicht erfüllt ist, so hat der Bundesrat der Bundesversammlung jährlich über den Stand der Dinge zu berichten. In einem neuen Absatz 1bis sollen nun zwei Ausnahmen festgehalten werden, bei welchen der Bundesrat unverzüglich und nicht erst nach zwei Jahren zu berichten hat.

Abs. 1bis Bst. a Diese Bestimmung setzt die parlamentarische Initiative der SPK des Ständerates «20.402 Kommissionsmotionen zur Änderungen von Verordnungen und Verordnungsentwürfen» um, welcher beide Staatspolitischen Kommissionen Folge gegeben haben. Die Initiative ist als Alternative zum Verordnungsveto gedacht. Sie geht davon aus, dass es zur Aufgabe der Sachbereichskommissionen gehört, die Verordnungsgebung in ihrem Bereich zu verfolgen. Ist die Kommission mit einer neuen Verordnung oder mit einem Entwurf einer Verordnung, der ihr unterbreitet worden ist nicht einverstanden, so kann sie mit einer Motion darauf einwirken. Bei Verordnungsentwürfen kann dies insbesondere dann angebracht sein, wenn keine Aussicht besteht, das Anliegen im Konsultationsverfahren erfolgreich einzubringen. Aufgrund des engen Zusammenhangs zum Konsultationsverfahren wird hier das Instrument bewusst als Recht der Kommissionen konzipiert.

Wird eine solche Motion von den Räten angenommen, soll der Bundesrat bereits innerhalb von sechs Monaten der zuständigen Kommission berichten, wenn er die Motion noch nicht erfüllt hat. Die Bestimmung stellt somit eine Ausnahme der in Absatz 1 vorgesehene zweijährigen Frist für die Erfüllung der Berichterstattungspflicht dar. Bezieht sich die Motion auf einen Verordnungsentwurf und der Bundesrat hat die entsprechende Verordnung in der Zwischenzeit schon in Kraft gesetzt, dann entfaltet 70 / 76

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die Motion ihre Wirkung auf die Verordnung, wenn sie die kritisierte Bestimmung des Entwurfs enthält. Der Bundesrat wird somit die Verordnung ändern müssen.

Abs. 1bis Bst. b Absatz 1bis Bst. b. stellt eine weitere Ausnahme der in Absatz 1 vorgesehenen Frist für die Erfüllung der Berichterstattungspflicht dar. «Notverordnungen» des Bundesrates wirken häufig viel kurzfristiger als die ordentlichen Verordnungen. Nehmen die Räte deshalb eine Kommissionsmotion an, welche auf eine solche Verordnung einwirken will, dann ist in der Regel nur eine rasche Umsetzung sinnvoll, sonst ist die Verordnung womöglich schon wieder obsolet. Buchstabe b sieht deshalb vor, dass Kommissionsmotionen, welche sich auf «Notverordnungen» beziehen, im Motionstext eine von Absatz 1 abweichende Frist für die Berichterstattung enthalten können.

Nach Ablauf dieser Frist muss der Bundesrat Bericht erstatten, wenn die Motion noch nicht erfüllt ist. Dabei handelt es sich nicht um ein Datum, sondern analog zu Absatz 1 um die Angabe eines Zeitraums, innerhalb dessen die Motion nach ihrer Annahme durch die Räte zu erfüllen ist.

Art. 140 (Minderheit Pfister Gerhard et al.)

Diese redaktionelle Anpassung ist notwendig, wenn gemäss der Minderheit die Generalsekretärin oder der Generalsekretär der Bundesversammlung durch dieselbe gewählt werden soll.

Art. 151

Konsultation beim Erlass von Verordnungen

Abs. 2bis Mit dieser Bestimmung soll ein Instrument aus dem Covid-19 Gesetz vom 25.9.2020 (SR 818.102) aufgenommen werden und für Verordnungen gemäss Artikel 185 BV angewendet werden. Danach sollen den zuständigen Kommissionen Entwürfe für Verordnungen, welche der Bundesrat gestützt auf Artikel 185 der Bundesverfassung oder auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise erlässt (zu den konkreten gesetzlichen Bestimmungen vgl. die Ausführungen zu Artikel 2a), auf jeden Fall zur Konsultation vorgelegt werden. Diese Regelung gilt nicht für auf Artikel 184 BV gestützte Verordnungen: hier handelt es sich häufig um Verordnungen von beschränkter Tragweite, welche politisch weniger interessieren. Wenn jede dieser Verordnungen automatisch vorgelegt werden müsste, würde dies einen grossen bürokratischen Leerlauf auch für die Kommissionen generieren. Gemäss Artikel 151 können sich aber Kommissionen jederzeit auch zu solchen Verordnungen konsultieren lassen.

Diese Konsultationen haben je nach Verordnung sehr schnell zu erfolgen. Hierfür steht den Kommissionen auch das Instrument der digitalen Sitzungen zur Verfügung.

Es wird hier deshalb darauf verzichtet, wie im Covid-19 Gesetz für dringliche Fälle die Information der Ratspräsidien vorzusehen. Es ist sinnvoller, wenn die Verordnungsentwürfe immer direkt zu den Kommissionen gelangen. Dann sind diese über die Verordnungen informiert und können entscheiden, ob sie eine Stellungnahme abgeben wollen oder nicht. Der Bundesrat wird für Notverordnungen auf jeden Fall eine Frist für eine allfällige Stellungnahme setzen. In einer Krisensituation kann es nötig 71 / 76

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sein, eine Verordnung innert Stunden zu erlassen. Wenn es den Kommissionen nicht möglich ist, sich in kürzester Frist zu organisieren und keine Stellungnahmen abgeben, dann kommt das einem Verzicht auf eine Stellungnahme gleich.

In Krisensituationen kann es Verordnungen geben, welche unerwünschte Wirkungen erzielen könnten, wenn ihr Inhalt vor ihrem Inkrafttreten bekannt wird. Ein solches Beispiel ist die Verordnung vom 15. Oktober 2008 über die Rekapitalisierung der UBS: Wäre die Öffentlichkeit informiert gewesen, dass der Bundesrat diese Verordnung plant, dann hätte das wahrscheinlich zu Panikverkäufen von Aktien geführt, wonach die UBS definitiv nicht mehr hätte gerettet werden können. In solchen ­ wohl sehr seltenen Fällen ­ ist es sinnvoll, wenn die Verordnung der Geschäftsprüfungsund der Finanzdelegation vorgelegt wird.

Eine andere Möglichkeit hätte darin bestanden, dass die Kommission die zum Geheimnisschutz notwendigen Vorkehrungen trifft und gemäss Artikel 150 Absatz 3 z.B. eine Subkommission einsetzt. Das in solchen Fällen in der Regel sehr kurze Zeitfenster dürfte dies jedoch nicht zulassen.

Änderung weiterer Erlasse 1. Verantwortlichkeitsgesetz vom 18. März 1958 2. Parlamentsressourcengesetz vom 18. März 1988 3. Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 Aufgrund der in Artikel 38 ParlG vorgenommenen Änderungen muss in diesen drei Gesetzen der Begriff «Verwaltungsdelegation» durch «Verwaltungskommission» ersetzt werden.

4. Bundesgesetz über das Vernehmlassungsverfahren vom 18. März 2005 Im geltenden Recht gibt es keine speziellen Bestimmungen betreffend die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens bei sogenannten «Notverordnungen». Neu soll einerseits die Möglichkeit eines Verzichts auf ein Vernehmlassungsverfahren sowie andererseits die Möglichkeit einer Durchführung von Anhörungen vorgesehen werden. Je nach zeitlicher Dringlichkeit kann dann die durchführende Behörde entscheiden, ob sie ein ordentliches Verfahren (allenfalls mit verkürzter Frist), eine Anhörung durchführt oder ganz auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Art. 3a

Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren

Abs. 1 Bst. c Art. 3a regelt, in welchen Fällen auf ein Vernemlassungsverfahren verzichtet werden kann. Hier soll ein neuer Buchstaben c eingefügt werden, wonach auf das Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden kann, wenn Parlament oder Bundesrat sogenannte «Notverordnungen» erlassen oder ein dringliches Bundesgesetz erlassen werden soll.

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Art. 10

Konsultation in dringlichen Fällen

Dieses Vorgehen orientiert sich am Verfahren, welche z.B. das Epidemiengesetz vorsieht für Verordnungen, welche der Bundesrat aufgrund von Artikel 6 dieses Gesetzes erlässt. Auch das Covid-19 Gesetz sieht in den Artikel 1 bis 3 solche Konsultationen vor.

Die zuständige Behörde (Bundesrat oder Parlamentskommission) hat bei einem Verzicht auf eine Vernehmlassung wenn möglich eine Konsultation durchführen, bevor sie eine «Notverordnung» erlässt bzw. unterbreitet oder der Entwurf für ein dringliches Bundesgesetz unterbreitet wird. Es wird vorgeschlagen, dass die Kantonsregierungen sowie die in erheblichem Mass betroffenen Kreise zu konsultieren sind, wobei die in «erheblichem Mass betroffene Kreise» von Fall zu Fall zu bestimmen sind. Der Begriff «Konsultation» zielt auf ein wenig formalisiertes Verfahren ab, das auch in einer kurzen Stellungnahme per E-Mail bestehen kann.

5. Verwaltungsgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 (Minderheit Glättli, Flach, Gredig, Gysin Greta, Kälin) Neu soll gemäss einer Minderheit eine abstrakte Normenkontrolle von Verordnungen gemäss Artikel 184 Absatz 3, 185 Absatz 3 sowie 173 Absatz 1 Buchstabe c BV möglich sein. Als Beschwerdeinstanz ist das Bundesverwaltungsgericht vorgesehen.

Somit muss das Verwaltungsgerichtsgesetz (SR 173.32 VGG) entsprechend ergänzt werden. Die Mehrheit beantragt die Streichung der neuen Bestimmungen und beim geltenden Recht zu bleiben.

Art. 32

Ausnahme (gemäss Minderheit Glättli et al.)

Wenn für Verordnungen des Bundesrates in den Bereichen der auswärtigen Angelegenheiten und der inneren und äusseren Sicherheit (Art. 184 und 185 BV) die Beschwerde an ein Gericht vorgesehen wird, ist es folgerichtig, die Ausnahmen, die das Gesetz heute noch für Beschwerden gegen Verfügungen in diesen Sachbereichen kennt, abzuschaffen. Konkret geht es um Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe a VGG und Artikel 72 Buchstabe a Verwaltungsverfahrensgesetz (SR 172.02, VwVG) und Artikel 83 Buchstabe a Bundesgerichtsgesetz (SR 173.110, BGG) die aufzuheben wären.

Es kann kaum die Auffassung vertreten werden, in den genannten Bereichen seien Streitigkeiten über Normen justiziabel, Streitigkeiten über Anwendungsakte dagegen nicht.

Art. 34

Beschwerde gegen Verordnungen (gemäss Minderheit Glättli et al.)

Die neue Beschwerde gegen Verordnungen wird nur für die in Art. 34 VGG erwähnten selbständigen Verordnungen vorgesehen. Wenn bei einer Verordnung zweifelhaft ist, ob sie eine Grundlage in einem Gesetz hat oder sich direkt auf die Bundesverfassung stützt, muss das Bundesverwaltungsgericht diese Frage bei der Prüfung der Prozessvoraussetzungen klären.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesgericht gelten grundsätzlich das Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021; vgl. dazu Art. 37 VGG) bzw. das BGG.

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Eine Minderheit (Addor, Bircher, Buffat, Marchesi, Steinemann) beantragt, das Beschwerdeverfahren nur für vom Bundesrat erlassene Verordnungen vorzusehen 1a. Abschnitt

Besondere Bestimmungen für Beschwerden gegen Verordnungen

Art. 43a (gemäss Minderheit Glättli et al.)

Einer ausdrücklichen Regelung bedarf der Beginn der Beschwerdefrist für die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 43a Abs. 1 VGG).

Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung (Art. 55 Abs. 1 VwVG). Dies erscheint für Beschwerden gegen Verordnungen nicht sachgerecht. In Art. 43a Abs. 2 VGG wird daher vorgeschlagen, dass die aufschiebende Wirkung nur auf Anordnung des Instruktionsrichters besteht. Im BGG gilt diese Regelung ohnehin (Art. 103 Abs. 1 und 3 BGG). So wird sichergestellt, dass das Inkrafttreten von notwendigen Massnahmen zur Bewältigung der Krise nicht unnötig verzögert wird. Es sei denn, dass die Einwände des Beschwerdeführers als dermassen gravierend betrachtet werden, dass die Güterabwägung für eine aufschiebende Wirkung spricht.

Weitere Spezialregelungen sollen ein beschleunigtes Verfahren ermöglichen:


Nichtanwendbarkeit des Fristenstillstands («Gerichtsferien»): Art. 43a Abs. 3 VGG, Art. 46 Abs. 2 BGG.



Beschränkung auf nur einen Schriftenwechsel als Regelfall: Art. 43a Abs. 4 VGG; für das Bundesgericht vgl. Art. 102 Abs. 3 BGG.

6. Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 (gemäss Minderheit Glättli et al.)

Zur Aufhebung der Ausnahmenbestimmungen betreffend Verfügungen (Art. 72 Bst. a VwVG) vgl. die Ausführungen zu Artikel 32 VGG.

Artikel 73 Buchstabe c VwVG wird durch diese Änderungen obsolet, und Artikel 79 VwVG über die Beschwerde an die Bundesversammlung ist bereits seit Jahren toter Buchstabe. Diese beiden Bestimmungen sollten deshalb ebenfalls aufgehoben werden.

7. Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 Art. 46

Stillstand (gemäss Minderheit Glättli et al.)

Die Nichtanwendbarkeit des Fristenstillstands soll ein beschleunigtes Verfahren ermöglichen.

Art. 83

Ausnahmen (gemäss Minderheit Glättli et al.)

Zur Aufhebung der Ausnahmenbestimmungen betreffend Verfügungen vgl. die Ausführungen zu Artikel 32 VGG.

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4.2 Art. 21

Parlamentsverwaltungsverordnung vom 3. Oktober 2003 Die Präsidentin oder der Präsident der Verwaltungskommission

In Artikel 21 der ParlVV sind die Aufgaben des bisherigen Delegierten der VD aufgelistet. Da diese Funktion in Artikel 38 des Parlamentsgesetzes aufgehoben wird, werden diese Aufgaben neu von der Präsidentin oder vom Präsidenten der VK übernommen.

Art. 27

Anstellung des Personals der Parlamentsdienste

Abs. 1 und 3 Gemäss geltendem Recht ist die VD für die Anstellung der Sekretärinnen und Sekretäre der Oberaufsichtskommissionen zuständig (Art. 27 Abs. 1 Bst. c und d). Neu soll die VK die Kompetenz zur Anstellung aller Sekretärinnen und Sekretäre der ständigen Kommissionen und Delegationen erhalten. Somit ist die VK für die Anstellung von ca. weiteren 25 Personen zuständig. Dabei ist ein Anhörungsrecht vorzusehen für die Kommissionspräsidentinnen und Kommissionspräsidenten wie dies auch dem Büro gemäss Buchstabe b bei der Wahl der Sekretärin oder des Sekretärs des Ständerates zusteht. Dieses Anhörungsrecht, welches bisher den Präsidentinnen und Präsidenten bei der Wahl der Sekretärinnen und Sekretäre durch den Generalsekretär zustand, wird von Absatz 3 in Absatz 1 verschoben.

Die Kompetenzen der VK umfassen die Begründung, Änderung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse wie heute für die Sekretärinnen und Sekretäre der Oberaufsichtskommissionen.

4.3 Art. 14

Geschäftsreglement des Nationalrates vom 3. Oktober 2003 Subkommissionen

Abs. 1 Gemäss Artikel 45 Absatz 2 ParlG können die Kommissionen aus ihrer Mitte Subkommissionen einsetzen. Die geltende Bestimmung in Artikel 14 des Geschäftsreglementes, wonach dies nur mit Zustimmung des Büros möglich sein soll, steht im Widerspruch zum Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung und soll deshalb entsprechend angepasst werden. Falls der Ständerat diese Änderung auch möchte, müsste er Artikel 11 Absatz 1 GRS anpassen. Der Antrag des Büros, auf diese Anpassung zu verzichten wurde einstimmig abgelehnt.

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Auswirkungen

5.1

Finanzielle Auswirkungen

Mit dieser Vorlage wird die Schaffung eines neuen parlamentarischen Organs, der Verwaltungskommission, vorgeschlagen. Diese braucht ein eigenes Sekretariat.

Wenn von 200 Stellenprozenten für eine Sekretärin oder einen Sekretär, für eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter sowie für eine administrative Fachkraft ausgegangen wird, so sind mit jährlichen finanziellen Aufwendungen von ca. 400'000 Franken zu rechnen (Löhne und Sozialversicherungen).

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Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit der digitalen Zuschaltung von Mitgliedern der Räte zu Ratssitzungen sowie der Durchführung von virtuellen Ratssitzungen wurde oben unter Ziff. 3.2.3.4 und 3.2.3.5 diskutiert. Im Weiteren kann die Bundesversammlung gemäss Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe g BV grundlegende Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden erlassen.

6.2

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Es sind neue wiederkehrende Ausgaben von 400'000 Franken vorgesehen. Die vorgesehene Limite von 2 Millionen Franken für die Unterstellung unter die Ausgabenbremse wird somit nicht erreicht.

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