BBl 2022 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

Covid-19-Erwerbsersatz für Selbstständigerwerbende Kurzbericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 18. Februar 2022

2022-0550

BBl 2022 515

BBl 2022 515

Bericht 1

Einleitung und Berichtsgegenstand

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beschlossen in ihrer Funktion als parlamentarisches Oberaufsichtsorgan Ende Mai 2020, eine Inspektion über den Umgang des Bundesrates und der Bundesverwaltung mit der Coronakrise1 einzuleiten.2 Seither sind die GPK und ihre Subkommissionen daran, zahlreiche Aspekte des Krisenmanagements abzuklären.3 Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) befasste sich in diesem Zusammenhang mit den Massnahmen, die der Bund ab März 2020 zur Unterstützung der Selbstständigerwerbenden ergriff, deren Erwerbstätigkeit von der Pandemie betroffen war («Covid-19-Erwerbsersatz», CEE). Dank dieser auf den Instrumenten der Erwerbsersatzordnung (EO)4 beruhenden Massnahmen konnten bestimmte Selbstständigerwerbende (z. B. jene, die ihr Geschäft aufgrund der Gesundheitsmassnahmen oder wegen Quarantäne schliessen mussten) eine finanzielle Entschädigung des Bundes erhalten, um den durch das Verbot der Geschäftstätigkeit entstehenden Erwerbsausfall auszugleichen.5 Ab April 2020 wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert, namentlich auf indirekt von den Coronamassnahmen betroffene Selbstständigerwerbende (sogenannte «Härtefälle»).

Die GPK-N konzentrierte sich bei ihren Arbeiten auf die Schaffung des CEE und das Funktionieren des Entschädigungssystems, das von März bis September 2020 bestand, d. h. bis zum Inkrafttreten des Covid-19-Gesetzes, mit dem das Parlament ein neues System definierte.6 Sie informierte sich insbesondere über die Überlegungen, welche die Verwaltung im Zusammenhang mit der Ausarbeitung und der Einführung des Entschädigungssystems im März 2020 anstellte, über die Änderungen, die im Laufe der folgenden Monate vorgenommen wurden, über die Aufsicht der zuständigen Bundesbehörden und über die Zusammenarbeit zwischen diesen.

1 2 3

4

5 6

Im Folgenden auch «Covid-19-Krise», «Krise» oder «Pandemie».

Die GPK leiten eine Inspektion zur Aufarbeitung der Bewältigung der Covid-19Pandemie durch die Bundesbehörden ein, Medienmitteilung der GPK vom 26. Mai 2020.

Ein Überblick über die von den GPK untersuchten Themen findet sich im Jahresbericht 2020 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation vom 26. Januar 2021, Kapitel 4 (BBl 2021 570) und im Jahresbericht 2021 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation vom 25. Januar 2022, Kapitel 4 (im BBL noch nicht veröffentlicht).

Grundsätzlich ist die Erwerbsersatzordnung eine Versicherung, die Personen, die Militärdienst, Zivildienst oder Zivilschutz leisten, einen Teil des Verdienstausfalls ersetzt. Seit 2005 deckt die EO auch den Lohnausfall bei Mutterschaft (Mutterschaftsentschädigung) und seit 2021 den Lohnausfall bei Vaterschaftsurlaub ab. Die Versicherung ist obligatorisch, Beiträge leisten all jene Personen, die auch an die AHV/IV Beiträge entrichten.

In Form einer täglichen Entschädigung in Höhe von 80 Prozent des Einkommens vor dem Unterbruch der Geschäftstätigkeit und höchstens 196 Franken pro Tag.

Bundesgesetz vom 25. September 2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; SR 818.102), siehe insbesondere Artikel 15.

2 / 18

BBl 2022 515

Die Kommission prüfte, inwieweit die Bundesbehörden bei der Ausarbeitung des CEE und in den ersten Monaten von dessen Bestehen die Kriterien Rechtmässigkeit und Zweckmässigkeit einhielten.7 Sie vertiefte hingegen nicht, wie sich das Entschädigungssystem auf die Bundesfinanzen auswirkte und ob beim Einsatz der vom Parlament gesprochenen Mittel die Wirtschaftlichkeit gegeben war. Diese Aspekte sind Gegenstand der Finanzoberaufsicht, welche den Finanzkommissionen (FK) und der Finanzdelegation (FinDel) obliegt.

Die GPK-N legt im vorliegenden Kurzbericht auf Grundlage der ihr verfügbaren Informationen die Schlussfolgerungen dar, die sie aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht aus diesem Dossier zieht.

2

Vorgehen der GPK-N

Die Subkommission EDI/UVEK der GPK-N8 nahm in diesem Dossier umfassende Abklärungen vor und befasste sich zwischen November 2020 und dem Sommer 2021 an mehreren Sitzungen mit diesem. Sie unterhielt sich mit Vertreterinnen und Vertretern der beiden wichtigsten betroffenen Bundeseinheiten, d. h. des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) und der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK)9, und richtete schriftlich ergänzende Fragen an diese Einheiten. Sie nahm zudem Kenntnis von verschiedenen Dokumenten, z. B. von ausgewählten CEE-Gesuchs-formularen.

Ausserdem wertete sie die Beschlüsse des Bundesrates zum Covid-19-Erwerbsersatz und die im Berichtszeitraum vorgenommenen Änderungen am einschlägigen Recht aus. Die GPK-N dankt den betroffenen Verwaltungseinheiten für die übermittelten Informationen und die detaillierten Antworten auf ihre Fragen.

Die Subkommission beschloss im Oktober 2021, den ihr bekannten Sachverhalt sowie ihre Schlussfolgerungen in einem Kurzbericht darzulegen. Dieser Bericht wurde den betroffenen Stellen zur Stellungnahme vorgelegt. Die GPK-N beriet und genehmigte an ihrer Plenarsitzung vom 18. Februar 2022 die Endfassung des Berichts und liess diesen dem Bundesrat zukommen. An derselben Sitzung beschloss sie zudem, den Bericht zu veröffentlichen.

Die GPK-N konzentriert sich in ihrem Bericht auf vier Aspekte des Covid-19-Erwerbsersatzes: die Ausarbeitung und Einführung des Entschädigungssystems (Kap. 3.1), die Verlängerung der Entschädigungszahlungen im Juli 2020 (Kap. 3.2),

7

8

9

Die GPK prüfen normalerweise auch die Einhaltung des Kriteriums der Wirksamkeit, d. h. die Frage, ob mit den ergriffenen Massnahmen tatsächlich das anvisierte Ziel erreicht wurde (im vorliegenden Fall also das Ziel, den Selbstständigerwerbenden über die Krise hinwegzuhelfen und Insolvenzen zu verhindern). Da die Pandemie zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieses Berichts noch nicht überstanden ist, ist es allerdings zu früh, um diesen Aspekt aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht zu prüfen.

Der Subkommission EDI/UVEK der GPK-N gehören die Nationalrätinnen und Nationalräte Thomas de Courten (Präsident), Angelo Barrile, Katja Christ, Alois Huber, Christian Imark, Matthias Samuel Jauslin, Priska Seiler Graf, Marianne Streiff-Feller und Michael Töngi an.

Anhörung des BSV vom 11. November 2020; Anhörung des BSV und der EFK vom 12. Mai 2021.

3 / 18

BBl 2022 515

die Umsetzung des Entschädigungssystems und die Zusammenarbeit mit den Ausgleichskassen (Kap. 3.3) sowie die Aufsicht und Missbrauchsbekämpfung (Kap. 3.4).

Die Kommission präsentiert zu jedem Aspekt kurz den ihr bekannten Sachverhalt und die Erläuterungen der beteiligten Bundesbehörden und nimmt anschliessend eine Beurteilung vor.

3

Sachverhalt und Beurteilung der GPK-N

3.1

Ausarbeitung und Einführung des Covid-19-Erwerbsersatzes

Die Direktion des BSV wurde am 14. März 2020 vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) im Auftrag des Bundesrates damit betraut, ein System zur Unterstützung von Selbstständigerwerbenden auszuarbeiten, deren Erwerbstätigkeit von den Covid-19-Massnahmen des Bundes betroffen ist. Die Abklärungen der GPK-N haben gezeigt, dass das Bundesamt in enger Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) versuchte, ein einfaches, unbürokratisches und standardisiertes Unterstützungssystem zu schaffen, das breit angelegt und rasch umsetzbar ist.

Das BSV prüfte im Rahmen seiner vorbereitenden Arbeiten verschiedene Optionen, insbesondere die Ausgabe von «fixen Checks». Da das Bundesamt allerdings mit mehreren zehntausend Unterstützungsgesuchen rechnete, fällte es schnell den Entschluss, sich auf ein bereits vorhandenes System (jenes der EO) zu stützen, damit die Ausgleichskassen «auf bestehende Angaben und automatisierte Prozesse zurückgreifen» können.10 Das BSV hat mitgeteilt, dass es in diesem Zusammenhang bewusst auf eine detaillierte Einzelfallprüfung der Gesuche verzichtete, da dies eine rasche Leistungserbringung verhindert hätte. Laut dem Direktor des BSV war dies auf den Willen des Bundesrates zurückzuführen, so rasch wie möglich Unterstützungsmassnahmen zu ergreifen.

Die erste Fassung der entsprechenden Verordnung, die sich auf Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)11 stützte, wurde vom Bundesrat am 20. März 2020 verabschiedet, also sechs Tage nach der Beauftragung des BSV.12 Erwerbsersatz erhielten zunächst nur von Schulschliessungen oder einer behördlich angeordneten Quarantäne betroffene Arbeitnehmende und Selbstständigerwerbende und von der Schliessung ihres Geschäfts sowie vom Veranstaltungsverbot betroffene Selbstständigerwerbende. Die ersten Entschädigungen wurden um den 8. April 2020 ausbezahlt, dann regelmässig ab dem 15. April. Am 16. April wurde der Covid-19-Erwerbsersatz auf Selbstständigerwerbende ausgeweitet, die indirekt von den Coronamassnahmen 10 11 12

Selbstständigerwerbende sind der AHV/IV unterstellt, zahlen EO-Beiträge und sind deshalb im entsprechenden System erfasst.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101).

Verordnung vom 20. März 2020 über Massnahmen bei Erwerbsausfall im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall; SR 830.31). Siehe auch: Coronavirus: Massnahmenpaket zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 20. März 2020.

4 / 18

BBl 2022 515

des Bundes betroffen waren (sogenannte «Härtefälle»).13 Weitere Anpassungen an der Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall erfolgten in den Folgemonaten.14 Die GPK-N erachtet den vom Bundesrat gewählten Ansatz bei der Schaffung des Covid-19-Erwerbsersatzes angesichts der damaligen Situation als geeignet. Sie begrüsst die Bemühungen der zuständigen Bundesbehörden, innert weniger Tage ein möglichst einfaches und wirksames Modell auf die Beine zu stellen, und findet den Entscheid, sich auf ein bestehendes System zu stützen, sinnvoll. In ihren Augen ist es nachvollziehbar, dass bei der Schaffung des CEE auf eine Einzelfallprüfung der Gesuche verzichtet wurde, um eine rasche und umfassende Umsetzung zu ermöglichen. Die Kommission hat geprüft, wie die Behörden in der Folge ihre Aufsicht in diesem Bereich wahrnahmen, und kommt zum Schluss, dass im Rahmen der verfügbaren Daten eine gewissenhafte Aufsicht durchgeführt wurde (siehe Kap. 3.4).

Was die Zusammenarbeit der zuständigen Bundesbehörden bei der Einführung des CEE angeht, hält die Kommission fest, dass das BSV eine positive Bilanz seines Austauschs mit dem SECO und der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV)15 zieht und diesen als «intensiv und konstruktiv» beschreibt. So nahm das Bundesamt beispielsweise regelmässig an den Sitzungen der sozioökonomischen Taskforce des SECO teil.

Die GPK-N begrüsst die frühzeitige und enge Zusammenarbeit der beteiligten Ämter.

Der Informationsaustausch mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) war laut BSV hingegen weniger intensiv und komplizierter. Der BSV-Direktor hat mitgeteilt, dass die zu erwartenden Änderungen der Rechtsgrundlagen anhand der vom BAG erhaltenen Informationen nur schwer einzuschätzen waren. Die GPK-N bedauert, dass kein besserer Austausch zwischen den beiden Bundesämtern möglich war, umso mehr, als beide demselben Departement angegliedert sind. Sie ersucht den Bundesrat bzw. das EDI, eine Bilanz dieser Zusammenarbeit zu ziehen und sicherzustellen, dass die nötigen Lehren aus diesem Fall für die künftige Zusammenarbeit des BSV und des BAG in Krisenzeiten gezogen werden.

Empfehlung 1 Der Bundesrat wird ersucht, eine Bilanz der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen dem BSV und dem BAG während der Covid-19-Pandemie zu ziehen und sicherzustellen, dass die nötigen Lehren aus diesem Fall
gezogen werden, um die Zusammenarbeit im Hinblick auf künftige Krisen zu verbessern.

Die Kommission hat sich ferner über die Zusammenarbeit zwischen dem BSV und der EFK bei der Einführung des Covid-19-Erwerbsersatzes informiert. Sie hält fest, 13

14 15

Coronavirus: Ausweitung des Erwerbsersatz-Anspruchs auf Härtefälle, Medienmitteilung des Bundesrates vom 16. April 2020. Diese Ausweitung betraf Härtefälle mit einem Jahreseinkommen zwischen 10 000 und 90 000 Franken. Das BSV teilte mit, dass auch hier auf Einzelfallprüfungen verzichtet wurde, da für solche Prüfungen komplexe Anspruchskriterien hätten definiert werden müssen.

Namentlich am 22. April, 19. Juni und 1. Juli 2020.

Das BSV wurde unter anderem an einer «sozioökonomischen Taskforce» und an den wöchentlichen Sitzungen mit den Sozialpartnern beteiligt.

5 / 18

BBl 2022 515

dass sich diese Zusammenarbeit zunächst kompliziert gestaltete: Laut EFK war es schwierig, einen ersten Kontakt zum BSV aufzubauen, da dieses durch das Krisenmanagement stark beansprucht war. Die EFK sei deshalb sehr spät in die Ausarbeitung des CEE-Systems einbezogen worden.16 Zum ersten ausführlichen Austausch zwischen BSV und EFK über die Aufsichtsaufgaben der EFK kam es Anfang April 2020.

Die Verordnung musste nachträglich angepasst werden, um die Rolle der EFK zu präzisieren und deren Zugang zu den Daten der Ausgleichskassen sicherzustellen. Diese Anpassung wurde vom Bundesrat am 16. April 2020 vorgenommen (siehe Kap. 3.4).

Zudem gab es im Frühjahr 2020 Differenzen zwischen den beiden Einheiten über den Umfang der Aufsicht im Bereich des Covid-19-Erwerbsersatzes. Die EFK hätte sich gewünscht, dass den zuständigen Bundes- und Kantonsbehörden ­ wie bei den Covid-19-Solidarbürgschaftskrediten ­ Zugang zu bestimmten Steuerdaten der Gesuchstellenden gewährt wird, um so nachträgliche Überprüfungen möglich zu machen.17 Die EFK hat dem Bundesrat Mitte April 2020 einen entsprechenden Antrag unterbreitet, der jedoch nicht die Zustimmung des EDI18 fand und vom Bundesrat letztlich abgelehnt wurde.

Die Modalitäten der Zusammenarbeit der beiden Stellen in Sachen Aufsicht klärten sich in der Folge jedoch rasch und sowohl das BSV als auch die EFK ziehen eine positive Bilanz ihrer Zusammenarbeit in den Monaten danach. Die GPK-N hält fest, dass ein enger Austausch zwischen den beiden Stellen stattfand und dass die Kompetenzen in Bezug auf den Erwerbsersatz klar verteilt wurden.

3.2

Verlängerung des Covid-19-Erwerbsersatzes im Juli 2020

Am 1. Juli 2020 beschloss der Bundesrat, den CEE bis zum 16. September 2020 zu verlängern und dessen Anwendungsbereich auf bestimmte zusätzliche Personengruppen aus der Veranstaltungsbranche auszudehnen.19 In diesem Zusammenhang wurde

16

17 18

19

Der BSV-Direktor hat eingeräumt, dass die Missbrauchsbekämpfung angesichts des dringenden Handlungsbedarfs während der ersten Wochen nicht die erste Priorität des Bundeamtes war, umso mehr, als diese Aufgabe üblicherweise hauptsächlich Sache der Ausgleichskassen ist.

Die EFK wollte insbesondere eine Entbindung vom Amts- und Steuergeheimnis durch die Gesuchstellenden.

Das EDI war der Ansicht, dass die bestehenden Rechtsgrundlagen bereits Bestimmungen über die Melde- und Kooperationspflicht der Leistungsbezügerinnen und -bezüger enthielten und das Erheben der für die Missbrauchsbekämpfung erforderlichen Daten ermöglichten. Nach Ansicht des Departements war es angesichts der Befristung der Massnahmen wirksamer, sich an die bereits bewährten Regeln im Bereich der Sozialversicherungen zu halten.

Corona-Erwerbsersatz für Selbständigerwerbende wird bis 16. September 2020 verlängert, Medienmitteilung des Bundesrates vom 1. Juli 2020.

6 / 18

BBl 2022 515

die Unterstützung für die Personen, die bereits Entschädigungen bezogen, automatisch verlängert, ohne dass diese ein neues Gesuch stellen mussten. Diese Massnahme wurde verschiedentlich kritisiert.20 Die GPK-N hat sich darüber informiert, aus welchen Gründen bei dieser Verlängerung des CEE keine verstärkte Kontrolle der Gesuche vorgesehen wurde. Das BSV hat geltend gemacht, dass dies aufgrund der Vielzahl an Anspruchsberechtigten21 einen zu grossen administrativen Mehraufwand für die Ausgleichskassen dargestellt und die Bearbeitungsdauer verlängert hätte. Es hat daran erinnert, dass ein Grossteil der Selbstständigerwerbenden während diesem Zeitraum trotz der Lockerungen nach wie vor stark unter den Auswirkungen der Pandemie litt. Zudem habe es mehrere Hürden gegeben, welche die Aufsicht über die Verwendung des Covid-19-Erwerbsersatzes durch die Selbstständigerwerbenden sehr komplex machten (siehe Kap. 3.4).

Das Bundesamt hat aber auch darauf verwiesen, dass die Ausgleichskassen die Bezügerinnen und Bezüger ausdrücklich aufriefen, zu melden, wenn sie keinen Erwerbsausfall mehr zu verzeichnen hatten, dass diese Personen zu dieser Meldung gesetzlich verpflichtet waren22 und dass die Leistungsabrechnungen einen entsprechenden Hinweis enthielten. Das BSV hat allerdings eingeräumt, dass es keine genauen Zahlen dazu hatte, wie viele Selbstständigerwerbende infolge dieser Hinweise auf CEE verzichteten, da es die bereits erhebliche Arbeitslast der Ausgleichskassen nicht auch noch mit der Erhebung zusätzlicher Daten erhöhen wollte. Gegenüber den Medien schätzte der Präsident der Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen den Anteil der Begünstigten, die auf weitere Zahlungen verzichteten, nur auf rund fünf Prozent.23 Die Argumente des BSV sind nach Ansicht der Kommission nachvollziehbar. Sie geht davon aus, dass bei der Verlängerung des Covid-19-Erwerbsersatzes im Juli 2020 eine Interessenabwägung zwischen einer Stärkung der Aufsicht, die zu höheren Kosten und einer längeren Bearbeitungsdauer geführt hätte, und der Missbrauchsgefahr, die sich gemäss den nachträglichen Abklärungen des BSV und der EFK als gering erwies (siehe Kap. 3.4) vorgenommen wurde. Die GPK-N bedauert allerdings, dass das Bundesamt nicht in der Lage ist, anzugeben, welcher Anteil der Selbstständigerwerbenden im Sommer 2020 auf CEE
verzichtete. Dies mag auf die sehr grosse Zahl bearbeiteter Fälle zurückzuführen sein, verdeutlicht aber auch die Nachteile der dezentralen Struktur der Ausgleichskassen und das Verbesserungspotenzial in Sachen Digitalisierung (siehe Kap. 3.3).

20

21

22 23

Bund verschleudert Steuergelder, in: Blick, 21. August 2020; Ärger mit der Nothilfe für Selbständigerwerbende, in: Neue Zürcher Zeitung, 25. August 2020; Es musste schnell gehen ­ denn es herrschte Krise, in: Solothurner Zeitung, 28. August 2020; Profiteuren soll Riegel geschoben werden, in: Blick: 29. August 2020; Die Behörden waren vor Missbrauch gewarnt ­ und taten nichts, in: Basler Zeitung, 2. September 2020.

Gemäss EFK waren Stand Ende Juli 2020 172 000 CEE-Fälle bearbeitet worden für Leistungen von insgesamt 1,1 Milliarden Franken. Quelle: Covid-19-Prüfungen, dritter Zwischenbericht, Bericht der EFK vom 31. Juli 2020.

Siehe Artikel 31 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1).

Kaum einer verzichtet freiwillig auf Staatshilfe, in: Basler Zeitung, 22. August 2020. Die Zahlen der EFK lassen vermuten, dass die Zahl der Begünstigten in den Folgemonaten eher anstieg: Zwischen Ende Juli und Ende Oktober 2020 erhöhte sich die Zahl der bearbeiteten CEE-Fälle von 172 000 auf 219 000 und der ausbezahlte Betrag von 1,1 Milliarden auf 2 Milliarden Franken.

7 / 18

BBl 2022 515

Die Kommission hält fest, dass es nicht vollständig ausgeschlossen ist, dass gewisse Selbstständigerwerbende im Sommer 2020 weiterhin CEE bezogen, obwohl sie keinen coronabedingten Erwerbsausfall mehr zu verzeichnen hatten. Sie stellt fest, dass es sich dabei um ein Risiko handelt, das die Bundesbehörden krisenbedingt bewusst eingingen. Sie erachtet es allerdings für wichtig, dass dieser Punkt nachträglich ­ in den vom BSV und von der EFK vorgesehenen Evaluationen ­ bestmöglich abgeklärt wird (siehe Kap. 3.5). Sie wird sich zu gegebener Zeit über die Ergebnisse dieser Evaluationen informieren.

3.3

Durchführung des Covid-19-Erwerbsersatzes und Zusammenarbeit mit den Ausgleichskassen

Für die Durchführung des Covid-19-Erwerbsersatzes und die Ausbezahlung der Entschädigungen sind die AHV-Ausgleichskassen zuständig.24 Die GPK-N hat mit dem BSV und der EFK die Zusammenarbeit mit den Ausgleichskassen bilanziert. Die beiden Verwaltungseinheiten bezeichnen diese Zusammenarbeit insgesamt als gut.

Die häufigen Anpassungen des CEE-Systems in den ersten Monaten stellten eine grosse Herausforderung dar. Das BSV versicherte sich anhand von Rundschreiben, Informationsdokumenten, Sitzungen und anderen Instrumenten, dass die Rechtsgrundlagen einheitlich angewendet werden. Es stand auch in regelmässigem Kontakt mit den Ausgleichskassen, um deren Fragen zu beantworten. Die Ausgleichskassen mussten ihre Verfahren mehrfach in kürzester Zeit anpassen. Dennoch konnten sie trotz sehr hoher Arbeitslast eine rasche und wirkungsvolle Ausbezahlung der Entschädigungen sicherstellen. Die Kassen zeigten sich laut BSV sehr konstruktiv und engagiert und leisteten qualitativ hochwertige Arbeit.

Die GPK-N erkennt aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht keinen Handlungsbedarf in Sachen Zusammenarbeit zwischen dem BSV und den Ausgleichskassen bei der Durchführung des Covid-19-Erwersbersatzes und begrüsst das grosse Engagement der Beteiligten.

Die Abklärungen der GPK-N haben allerdings auch gewisse allgemeine Probleme hinsichtlich der Organisationsstruktur des AHV/IV/EO-Systems zutage gefördert, die durch die Covid-19-Krise verstärkt wurden: ­

24

Aufsicht des BSV über die Ausgleichskassen: Diese Aufsicht erfolgt normalerweise über Revisionsstellen und betrifft vor allem das institutionelle Funktionieren der Ausgleichskassen. In der Krise erstreckte sich die Aufsicht hingegen auch auf die von den Kassen erbrachten Leistungen, d. h. das BSV musste selbst mögliche Missbrauchsfälle überprüfen. In den Augen der Kommission ist es wichtig, dass der Bundesrat prüft, welche Lehren aus der Covid19-Krise im Hinblick auf eine allfällig erforderliche Anpassung bzw. Optimierung der Aufsicht des BSV über die Ausgleichskassen gezogen werden können.

Artikel 10 Abstand 1 der Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall.

8 / 18

BBl 2022 515

­

Harmonisierung der Daten der Ausgleichskassen: Die Abklärungen der GPKN haben gezeigt, dass die Menge und die Qualität der verfügbaren Daten zum CEE von einer Ausgleichskasse zur anderen variieren. Derzeit wird ein Grossteil der Daten dezentral in den Ausgleichskassen gespeichert. Die EFK hat gegenüber der GPK-N bedauert, dass in diesem Bereich keine zentrale Datenbank besteht, und hat erläutert, dass sie gezwungen war, ihr eigenes Register zu erstellen, um eine Aufsicht auf nationaler Ebene ausüben zu können. Für die Kommission stellt sich die Frage, mit welchen Massnahmen die von den Ausgleichskassen erhobenen Daten besser harmonisiert werden können und ob diese Harmonisierung bislang vor allem an technischen und datenschutzrechtlichen Hürden gescheitert ist.

­

Digitalisierung im Bereich der AHV/IV/EO: In den Augen der GPK-N stellt dieser Punkt eine grosse Herausforderung für die Ausgleichskassen dar. Laut BSV ist das Digitalisierungsniveau im Bereich der Sozialversicherungen hoch und deshalb konnte die Durchführung des CEE-Systems grösstenteils über digitale Kanäle erfolgen, was von der Kommission begrüsst wird. Der BSVDirektor hat betont, dass in diesem Bereich zahlreiche Projekte laufen, und hat insbesondere auf die Arbeiten zur Digitalisierung der EO verwiesen. Er hat aber auch eingeräumt, dass weiterer Handlungsbedarf besteht und z. B.

nicht alle Kassen die gleichen Informatiksysteme nutzen. Die EFK hingegen beurteilt den Digitalisierungsgrad im Bereich der Sozialversicherungen deutlich kritischer als das BSV.

­

Dezentrale Struktur der Ausgleichskassen: Im Zusammenhang mit der Datenharmonisierung und dem Digitalisierungsgrad stellt sich die allgemeinere Frage, wie geeignet der dezentrale Ansatz ist, der in der Schweiz im Bereich der AHV/IV/EO verfolgt wird. Das BSV vertritt die Auffassung, dass dieser Ansatz dem Willen des Gesetzgebers entspricht, insgesamt gut funktioniert und in der Krise eine rasche Leistungserbringung in allen Regionen ermöglichte. Der BSV-Direktor hat aber auch eingeräumt, dass die dezentralen Strukturen die Kommunikation verkomplizieren können. Die EFK erachtet diese Dezentralisierung hingegen als nicht geeignet und ist der Ansicht, dass es der Verwaltung in der Pandemie dadurch erschwert wurde, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Nach Ansicht der Kommission ist es wichtig, dass der Bundesrat die genannten Punkte vertieft und ausgehend von den Erfahrungen bei der Durchführung des Covid-19-Erwerbsersatzes prüft, ob die Organisationsstruktur des AHV/IV/EOSystems angepasst bzw. verbessert werden muss, namentlich in Richtung einer stärkeren Zentralisierung und einer besseren Harmonisierung der Datensysteme. Ein Grossteil der oben genannten Elemente werden zwar direkt oder indirekt im Rahmen der Modernisierung der Aufsicht über die 1. Säule behandelt, die im Parlament hängig ist.25 Die GPK-N erachtet es dennoch als erforderlich, dass der Bundesrat ausgehend

25

AHVG. Änderung (Modernisierung der Aufsicht) Siehe auch Botschaft vom 20. November 2019 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule und Optimierung in der 2. Säule der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge; BBl 2020 1).

9 / 18

BBl 2022 515

von den Lehren aus dem Covid-19-Erwerbsersatz prüft, ob in Bezug auf diese Elemente zusätzliche Massnahmen notwendig sind.

Empfehlung 2 Der Bundesrat wird ersucht, nach Beendigung des Covid-19-Erwerbsersatzes, ausgehend von den Erfahrungen mit diesem Instrument zu prüfen, ob die Organisationsstruktur des AHV/IV/EO-Systems ­ zusätzlich zu den bereits im Rahmen der Modernisierung der Aufsicht über die 1. Säule ergriffenen Massnahmen ­ angepasst bzw. verbessert werden muss.

In diesem Zusammenhang sind insbesondere folgende Aspekte zu überprüfen: ­

die Aufsicht des BSV über die Ausgleichskassen;

­

die Harmonisierung der Datensysteme der Ausgleichskassen;

­

die stärkere Digitalisierung im AHV/IV/EO-Bereich.

Der Bundesrat wird ersucht, über die spezifische Frage der Harmonisierung der Datensysteme hinaus allgemein zu prüfen, ob die dezentrale Struktur der Ausgleichskassen geeignet ist oder ob für eine stärkere Harmonisierung andere Massnahmen zu ergreifen sind.

Der Bundesrat wird gebeten, die GPK-N über die Ergebnisse seiner Prüfung zu informieren.

3.4

Aufsicht und Missbrauchsbekämpfung

Die GPK-N hat sich ferner eingehend darüber informiert, wie das BSV und die EFK die Durchführung des CEE und die Missbrauchsbekämpfung beaufsichtigten.

Wie bereits erwähnt (siehe Kap. 3.1), stand die Missbrauchsbekämpfung bei der Ausarbeitung des CEE-Systems nicht im Vordergrund, da der Bundesrat im Sinne einer raschen und breit angelegten Einführung des Systems darauf verzichtete, eine Einzelprüfung der Gesuche vorzusehen. Mangels zentraler Datenbank und rechtlicher Regelungen zum Datenzugang war es daher technisch nicht möglich, die Angaben der versicherten Personen zu überprüfen. Die Vergabe der Entschädigungen beruhte dementsprechend in erster Linie auf dem Vertrauensprinzip und der Informationspflicht.26 Die Aufsicht konzentrierte sich hauptsächlich auf die Vermeidung von Doppelzahlungen aus Covid-19-Erwerbsersatz und anderen Unterstützungsleistungen (z. B. für

26

Siehe Artikel 31 ATSG. Das BSV hat mitgeteilt, dass die Ausgleichskassen die Bezügerinnen und Bezüger auf ihre Pflicht aufmerksam machten, jede für den Leistungsbezug relevante Änderung zu melden. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass der Leistungsanspruch erlischt, wenn kein Erwerbsausfall mehr besteht. Gemäss Artikel 25 ATSG müssen ungerechtfertigt bezogene Leistungen zurückbezahlt werden.

10 / 18

BBl 2022 515

den Kultursektor)27, auf die Fälle von Gesuchen bei mehreren Kassen oder auf den Erhalt von Beträgen über dem gesetzlich vorgesehenen Maximum.

Die Verteilung der Aufsichtsaufgaben zwischen BSV und EFK wurde in Artikel 10a der Verordnung geregelt, der am 16. April 2020 hinzugefügt wurde.28 Gemäss dieser Bestimmung kommt die Hauptverantwortung für die Aufsicht dem BSV zu, während die EFK mit dem BSV zusammenarbeitet, um Risiken zu ermitteln und unrechtmässige Leistungsbezüge zu vermeiden. Die EFK kann zudem die AHV-Ausgleichskassen gezielt kontrollieren. Die Bestimmung erteilt der EFK ausserdem direkten Zugang zu den Daten der Ausgleichskassen. Auf dieser Grundlage wurden der EFK mehr als eine Millionen Daten übermittelt, die diese ab Mai 2020 analysierte.

Die EFK und das BSV haben der Kommission präsentiert, wie diese Daten gesammelt und analysiert wurden sowie wie mit Problemfällen verfahren wurde. Beide Einheiten beurteilen ihre Zusammenarbeit in dieser Sache als positiv. Die GPK-N begrüsst den Mehrwert der EFK-Kontrollen, dank derer eine zentrale Datenbank29 aufgebaut wurde, die einen Vergleich und eine Plausibilisierung auf nationaler Ebene sowie eine kombinierte Auswertung mit anderen Bereichen (wie der Arbeitslosenversicherung) ermöglichte, was angesichts der fehlenden Harmonisierung der Daten der Ausgleichskassen ansonsten nicht möglich gewesen wäre (siehe Kap. 3.3).

Die Kommission hat Kenntnis genommen von den Analysen des BSV und der EFK.

Für das Bundesamt zeigen die Ergebnisse dieser Untersuchungen klar, dass «das Missbrauchspotenzial sehr gering ist» ­ eine Ansicht, die von der EFK geteilt wird.

Gemäss den im Mai 2021 präsentierten Zahlen des BSV wurden unter der einen Million gesammelter Daten rund 540 verdächtige Fälle erkannt. Nach eingehenden Abklärungen kam es in ein paar Dutzend dieser Fälle zu Korrekturen oder Rückerstattungsgesuchen.30 Laut EFK ist das Missbrauchsrisiko vor allem wegen der relativ geringen Beträge so klein. Das BSV und die EFK haben auch die wichtige Rolle der internen Kontrollmechanismen unterstrichen, die von den Ausgleichskassen bei der Bearbeitung der Gesuche angewendet wurden.

Das CEE-Gesuchsformular spielte eine wichtige Rolle bei der Missbrauchsprävention. Die GPK-N hat dieses Formular geprüft und festgestellt, dass dessen erste Version gewisse
Schwächen aufwies. So enthielt es keine Fragen nach dem Bezug anderer Sozialleistungen. Das BSV hat erklärt, dass dieses Formular innert kürzester Zeit ausgearbeitet werden musste und bestimmte Elemente zu Beginn nicht berücksichtigt werden konnten. Die Kommission hält aber fest, dass diese Schwächen in der Folge beseitigt wurden.

27

28 29 30

Der Anspruch auf CEE ist subsidiär zu allen anderen Sozialversicherungsleistungen (namentlich zur Kurzarbeitsentschädigung) und zu Versicherungen wie der privaten Tagegeldversicherung im Krankheitsfall.

Mit Rückwirkung per 17. März 2020.

Die EFK hat betont, dass der Aufbau dieser Datenbank einen enormen Einsatz aller Beteiligten erforderte.

Laut BSV handelt es sich hauptsächlich um Fälle von Mehrfacheintragungen. Dies stellt allerdings keinen Missbrauch dar, die Kumulierung rechtmässiger Gesuche führte aber zur Ausbezahlung von zu hohen Entschädigungen.

11 / 18

BBl 2022 515

Die Aufsicht über die Tätigkeit der Selbstständigerwerbenden stellte laut BSV eine grosse Herausforderung dar. Das Bundesamt hat darauf verwiesen, dass die Ausgleichskassen nicht über die erforderliche Ressourcen verfügten, um vor Ort kontrollieren zu können, ob ein Betrieb trotz der pandemiebedingten Einschränkungen noch Gewinn erwirtschaftet.31 Es hat zudem präzisiert, dass es schwierig war, die monatliche finanzielle Lage der Selbstständigerwerbenden zu kontrollieren: Angesichts der Tatsache, dass das massgebende Einkommen von Selbstständigerwerbenden auf der Grundlage der jährlichen Steuerveranlagung berechnet wird, besteht keine Möglichkeit, kurzfristig den monatlichen Erwerbausfall zu berechnen. Um Stichproben durchführen zu können, mussten die Ausgleichskassen deshalb diplomierte Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer unter Vertrag nehmen. Das BSV hat hervorgehoben, dass die Situation der Selbstständigerwerbenden generell ein Thema ist, das im Bereich der Sozialversicherungen bislang wenig dokumentiert ist.32 Die Kommission hat ferner Kenntnis davon genommen, dass die Mitnahmeeffekte im Zusammenhang mit dem CEE nicht Gegenstand der Aufsicht des BSV und der EFK waren, da bis Mitte September 2020 in der Verordnung diese Effekte in Bezug auf die Härtefälle nicht ausdrücklich ausgeschlossen waren.33 Die EFK hat allerdings angekündigt, dass sie diese Problematik im Rahmen eines Audits untersuchen wird, dessen Ergebnisse 2022 vorliegen dürften. Sie hat zudem mitgeteilt, dass sie vereinzelt punktuelle Kontrollen betreffend den Doppelbezug von CEE und Kurzarbeitsentschädigung vornahm und zum Schluss kam, dass das Missbrauchsrisiko hier gering ist.

Die GPK-N begrüsst die Bemühungen des BSV und der EFK, eine möglichst wirksame Aufsicht über den CEE auszuüben sowie allfälligen Missbrauch aufzudecken und zu vermeiden. Sie ist erfreut über die gute Zusammenarbeit und die klare Aufgabenverteilung zwischen den beiden Einheiten. Sie erachtet es als positiv, dass bislang so wenig Problemfälle zu verzeichnen sind. Sie kommt zum Schluss, dass die Verwaltungseinheiten ihre Aufsicht auf der Grundlage der verfügbaren Daten gewissenhaft wahrnahmen. Sie weist aber darauf hin, dass die Tragweite dieser Aufsicht begrenzt war. Angesichts der vom Bundesrat gewünschten möglichst einfachen Ausgestaltung des Systems bestanden
wenige Möglichkeiten, die Angaben der Gesuchstellenden zu kontrollieren und zu überprüfen, ob bestimmte Personen Leistungen bezogen, obwohl ihre Erwerbstätigkeit nicht ­ oder kaum ­ von der Pandemie betroffen war. Sie erachtet diesen Entscheid, wie bereits erwähnt, zwar nicht als völlig zufriedenstellend, nimmt aber zur Kenntnis, dass dieser in der speziellen Covid-19Krisensituation bewusst getroffen wurde.

Die GPK-N hält im Weiteren fest, dass die Selbstständigerwerbenden eine Kategorie von Erwerbstätigen darstellen, deren sozialversicherungsrechtliche Situation bislang wenig dokumentiert ist. Vor diesem Hintergrund ist es in den Augen der Kommission 31 32

33

Das BSV hat zudem geltend gemacht, dass eine solche Massnahme angesichts der tiefen Entschädigung pro Kopf unverhältnismässig gewesen wäre.

Der BSV-Direktor hat z. B. darauf hingewiesen, dass in der Schweiz keine Liste geführt wird, aus der hervorgeht, in welchem Bereich die Selbstständigerwerbenden tätig sind und welcher Art von Tätigkeit sie nachgehen.

Siehe Artikel 3 Abstand 3bis der Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall. Gemäss den Erläuterungen der EFK war in der Verordnung lediglich die Rede von einem unbezifferten Erwerbsausfall, weshalb ein minimaler Erwerbsausfall ausreichte, um eine Entschädigung zu verlangen.

12 / 18

BBl 2022 515

nachvollziehbar, dass die üblichen Aufsichtsstrukturen für diese Art von Fall nicht geeignet waren. Die Kommission stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, ausgehend von den Erfahrungen aus der Pandemie diese Kategorie von Erwerbstätigen genauer zu untersuchen, um zu ermitteln, welche allgemeinen Lehren aus Sicht der Sozialversicherungen gezogen werden können (die auch in normalen Zeiten einen Mehrwert darstellen).34 Sie ersucht den Bundesrat, diese Frage zu prüfen und sie über die Ergebnisse seiner Überlegungen zu informieren.

Empfehlung 3 Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, ausgehend von den Erfahrungen aus der Pandemie die soziale Absicherung der Selbstständigerwerbenden eingehender zu untersuchen, um zu ermitteln, welche allgemeinen Lehren aus Sicht der Sozialversicherungen gezogen werden können (die auch in normalen Zeiten einen Mehrwert darstellen). Der Bundesrat wird gebeten, die GPK-N über die Ergebnisse seiner Überlegungen zu informieren.

Die Kommission hat sich zudem punktuell über die Änderungen am Aufsichtssystem nach dem Inkrafttreten des Covid-19-Gesetzes und über die mit den neuen Bestimmungen einhergehenden Herausforderungen informiert. Sie hat zur Kenntnis genommen, dass die erbrachten Leistungen ab Sommer 2021 Stichprobenkontrollen durch das BSV unterzogen werden sollen. Die GPK-N behält es sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt Bilanz über diese Phase zu ziehen.

3.5

Weitere untersuchte Aspekte

Die GPK-N hat im Rahmen ihrer Abklärungen auch verschiedene andere Aspekte mit dem BSV und der EFK thematisiert, namentlich im Zusammenhang mit den Entschädigungen im Fall von Quarantäne oder Isolation. Sie hat sich ausserdem über die in der Verwaltung laufenden oder geplanten Evaluationen zum Covid-19-Erwerbsersatz informiert. Sie hat zur Kenntnis genommen, dass die EFK eine Prüfung plant, in deren Rahmen die Wirkung und der Nutzen des CEE für Selbstständigerwerbende untersucht werden soll. Die Ergebnisse dieser Prüfung dürften im Sommer 2022 vorliegen.35 Das BSV hat mitgeteilt, dass es plant, interne Analysen über das Profil der CEE-Bezügerinnen und -Bezüger (ab 2021) und über die Einkommensentwicklung der Begünstigten (ab 2022) vorzunehmen. Zudem sei vorgesehen, verschiedene noch zu bestimmende Aspekte extern untersuchen zu lassen.

34

35

Ein Postulat in diesem Sinne ist derzeit im Nationalrat hängig (Postulat Roduit «Für eine bessere soziale Absicherung der Selbstständigerwerbenden» vom 24. September 2020 [20.4141]).

Gegenstand dieser Prüfung ist insbesondere die Frage, ob alle Selbstständigerwerbenden, die CEE benötigten, auch Zugang zu diesem hatten, ob bestimmte Selbstständigerwerbende von zu hohen Entschädigungen (oder Mitnahmeeffekten) profitierten und ob der CEE in das System der Unterstützungsleistungen für Selbstständigerwerbende passte.

13 / 18

BBl 2022 515

Die GPK-N hat auf der Grundlage der erhaltenen Informationen keine Hinweise entdeckt, die eine eingehendere Prüfung aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht rechtfertigen würden. Sie wird sich allerdings weiterhin über den Dossierstand informieren und behält sich vor, bestimmte Aspekte zu einem späteren Zeitpunkt zu vertiefen.

Die GPK-N hat sich darüber hinaus über die Verwendung des Kredits für den Covid19-Erwerbsersatz informiert. Sie hat zur Kenntnis genommen, dass per 2. Mai 2021 im Rahmen dieses Programms 390 961 Fälle bearbeitet und insgesamt Leistungen in Höhe von 2 959 866 767 Franken ausbezahlt wurden.36 Sie hat die finanziellen Aspekte des CEE nicht weiter vertieft, da dies in die Zuständigkeit der von den FK und der FinDel ausgeübten Finanzoberaufsicht fällt. Die FinDel nimmt beispielsweise regelmässig Kenntnis von den Prüfberichten der EFK zu diesem Thema.

4

Schlussfolgerungen

Die GPK-N beurteilt die Einführung und Umsetzung des von März bis September 2020 bestehenden CEE insgesamt positiv. Sie begrüsst das grosse Engagement der zuständigen Bundesbehörden und der Ausgleichskassen bei der Schaffung und Nutzung dieses Instruments. In ihren Augen bestand die grösste Schwäche des CEE in dieser Phase in der begrenzten Aufsicht und den beschränkten Möglichkeiten zur Missbrauchsbekämpfung. Diese Schwäche ist darauf zurückzuführen, dass der Bundesrat so rasch wie möglich ein breit angelegtes, einfaches, speditives und unbürokratisches Unterstützungssystem einführen wollte, und wurde angesichts der Krisensituation bewusst in Kauf genommen.

Die Kommission erachtet den vom Bundesrat gewählten Ansatz bei der Schaffung des CEE ­ namentlich den Entscheid, sich auf ein bestehendes System zu stützen ­ in Anbetracht der damaligen Situation als geeignet. In ihren Augen ist es nachvollziehbar und angemessen, dass auf eine Einzelfallprüfung der Gesuche verzichtet wurde. Im Weiteren beurteilt sie die Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Bundesbehörden bei der Einführung des Entschädigungssystems positiv. Der Austausch zwischen BSV, SECO und EFV scheint eng und konstruktiv gewesen zu sein.

Die Zusammenarbeit zwischen BSV und EFK wiederum gestaltete sich zunächst schwieriger, allerdings konnten ihre Modalitäten in der Folge rasch geklärt werden, sodass sie anschliessend zufriedenstellend funktionierte. Der Informationsaustausch mit dem BAG war laut BSV hingegen weniger intensiv und komplizierter, was die Kommission bedauert. Sie ersucht den Bundesrat, eine Bilanz dieser Zusammenarbeit zu ziehen und sicherzustellen, dass im Hinblick auf künftige Krisen die nötigen Lehren aus diesem Fall gezogen werden (Empfehlung 1).

Die GPK-N hat sich auch mit der automatischen Verlängerung des CEE Anfang Juli 2020 befasst, die verschiedentlich kritisiert wurde. Sie erachtet die diesbezügli-

36

Der ursprünglich vorgesehene Gesamtbetrag belief sich auf 5,3 Milliarden Franken. Der Grossteil der bislang ausbezahlten Leistungen betrifft die Entschädigungen für Geschäftsschliessungen (ca. 1,1 Mia. Franken) und die Härtefälle (ca. 1 Mia. Franken).

14 / 18

BBl 2022 515

chen Erläuterungen des BSV als nachvollziehbar. Sie kommt zum Schluss, dass damals eine Interessenabwägung vorgenommen wurde zwischen einer Stärkung der Aufsicht, die zu höheren Kosten und einer längeren Bearbeitungsdauer geführt hätte, und der Missbrauchsgefahr, die sich als gering erwies, wie die nachträglichen Abklärungen zeigten, welche nur wenige problematische Fälle zutage förderten. Sie hält fest, dass das BSV die Bezügerinnen und Bezüger des CEE ausdrücklich dazu aufrief, zu melden, wenn sie keinen Erwerbsausfall mehr zu verzeichnen hatten. Die GPK-N bedauert allerdings, dass das Bundesamt mangels entsprechender Daten nicht in der Lage ist, anzugeben, welcher Anteil der Selbstständigerwerbenden in der Folge tatsächlich auf den CEE verzichtete. Es ist folglich nicht gänzlich ausgeschlossen, dass gewisse Selbstständigerwerbende im Sommer 2020 weiterhin den CEE bezogen, obwohl kein coronabedingter Erwerbsausfall mehr vorlag. Die Kommission erachtet es für wichtig, dass dieser Aspekt im Rahmen künftiger Evaluationen so gut wie möglich abgeklärt wird.

Die GPK-N hat aus Sicht der Oberaufsicht keinen Handlungsbedarf in Bezug auf die Umsetzung des Entschädigungssystems erkannt. Die einheitliche Anwendung der Rechtsgrundlagen und die häufigen Änderungen am System stellten für das BSV und die Ausgleichskassen eine grosse Herausforderung dar, die aber erfolgreich bewältigt werden konnte. Die Covid-19-Krise hat allerdings auch gewisse allgemeine Probleme hinsichtlich der Organisationsstruktur des AHV/IV/EO-Systems zutage gefördert, namentlich was die Aufsicht des BSV über die Ausgleichskassen, die Harmonisierung der Daten der Ausgleichskassen und die Digitalisierung angeht. Für die GPK-N ist es wichtig, dass der Bundesrat diese Punkte vertieft und ausgehend von den Erfahrungen in der Covid-19-Krise prüft, ob Verbesserungen angezeigt sind (Empfehlung 2).

Die GPK-N hat ferner geprüft, wie das BSV und die EFK die Umsetzung des CEE beaufsichtigten. Der Bundesrat hatte sich für eine rasche und breit angelegte Einführung des Erwerbsersatzes entschieden und die Missbrauchsbekämpfung bewusst nicht in den Vordergrund gestellt. Mangels detaillierter Daten beruhte das System weitestgehend auf dem Vertrauensprinzip. Vor diesem Hintergrund konzentrierte sich die Aufsicht hauptsächlich auf die Vermeidung von
Doppelzahlungen oder auf den Bezug von Beträgen über dem zulässigen Maximum. Die vorgenommenen Kontrollen zeigten, dass die Missbrauchsgefahr auf diesem Niveau sehr gering war, was die Kommission freut. Die Mitnahmeeffekte waren hingegen nicht Gegenstand der Aufsicht, da diese rechtlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen waren. Dieser Aspekt wird allerdings Gegenstand eines Audits der EFK sein. Die GPK-N begrüsst die Bemühungen des BSV und der EFK, gemeinsam eine möglichst wirksame Aufsicht über den CEE auszuüben. Sie kommt zum Schluss, dass diese Behörden ihre Aufgaben so gewissenhaft erfüllt haben, wie dies auf der Grundlage der verfügbaren Daten möglich war.

Die Kommission nimmt ausserdem zur Kenntnis, dass die Aufsicht über die Tätigkeit und die Finanzlage der Selbstständigerwerbenden eine Herausforderung darstellte. Sie hält fest, dass die Selbstständigerwerbenden eine Kategorie von Erwerbstätigen darstellen, die im Sozialversicherungsbereich bislang wenig dokumentiert ist. Sie ersucht den Bundesrat, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, ausgehend von den Erfahrungen aus der Pandemie dieses Thema eingehender zu untersuchen (Empfehlung 3).

15 / 18

BBl 2022 515

Die GPK-N ersucht den Bundesrat, die Feststellungen und Empfehlungen in diesem Bericht zu berücksichtigen, und bittet ihn, zu diesen bis zum 1. Juni 2022 Stellung zu nehmen. Sie wird sich weiterhin über die Entwicklungen in diesem Dossier und namentlich über die Ergebnisse der Evaluationen des BSV und der EFK in diesem Bereich informieren. Sie behält sich vor, bestimmte weitere Aspekte dieses Dossiers zu einem späteren Zeitpunkt zu vertiefen.

18. Februar 2022

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Die Präsidentin: Prisca Birrer-Heimo Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Thomas de Courten Der Sekretär der Subkommission EDI/UVEK: Nicolas Gschwind

16 / 18

BBl 2022 515

Abkürzungen ASTG

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (SR 830.1)

BAG

Bundesamt für Gesundheit

BBl

Bundesblatt

BSV

Bundesamt für Sozialversicherungen

BV

Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101)

CEE

Covid-19-Erwerbsersatz

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

EFK

Eidgenössische Finanzkontrolle

EFV

Eidgenössischen Finanzverwaltung

FinDel

Finanzdelegation der eidgenössischen Räte

FK

Finanzkommissionen der eidgenössischen Räte

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

SECO

Staatssekretariat für Wirtschaft

SR

Systematische Rechtssammlung

17 / 18

BBl 2022 515

18 / 18