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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs der Herren Dalang & Gally, Weinhandlung in Basel, gegen den Kleinen Rath von Graubünden, wegen Verletzung der Gewerbefreiheit in Bezug auf den Großhandel mit Spirituosen.

(Vom 8. August 1889.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath hat in Sachen der Beschwerde der Herren D a l a n g & G a l l y , Weinhandlung in Basel, gegen den Kleinen Rath von Graubünden, wegen Verletzung der Gewerbefreiheit in Bezug auf den Großhandel mit Spirituosen; auf den Antrag seines Departements des Innern und nach Feststellung folgenden Sachverhalts : I. Die vom Großen Rathe des Kantons Graubünden zur Vollziehung der Artikel 7 und 8 des Buudesgesetzes betreffend gebrannte Wasser, vom 23. Dezember 1886, erlassene Verordnung betreffend den Ausschank und Kleinverkauf von gebrannten Wassern bestimmt in ihrem Artikel l u. A. Folgendes : ,,Personen, welche nur Großhandel in gebrannten Wassern betreiben, d. h. solche nur in G e b i n d e n von je m i n d e s t e n s 4 0 L i t e r n v e r k a u f e n u n d a b g e b e n , bedürfen keiner Bewilligung." (d. h. einer kantonalen Verkaufsbewilligung.)

1035 Gestützt auf diese Bestimmung wurden die Herren Dalang & Gally in Basel, als sie mit Faktur vom 20. Februar laufenden Jahres eine Bestellung von 40 Litern prima Jamaika-Rhum in zwei Korbflaschen, die eine von 15 und die andere von 25 Liter Inhalt, an einen Restaurateur in Chur ausführten, durch die graubündnerische Polizeidirektion wegen unbefugten Kleinverkaufs nicht denaturirter gebrannter Wasser mit einer Buße von Fr. 10 belegt.

II. Die Herren Dalang & Gally sind gegen diese Bestrafung, welche ihrer Ansicht nach eine Verletzung der durch die Bundesverfassung gewährleisteten Gewerbefreiheit involvirt, beim Bundesrathe klagend aufgetreten und haben durch Eingaben vom 13. und 30. März abhin ausgeführt: Nach Art. 31 der geltenden Bundesverfassung sei die Freiheit des Handels gewährleistet mit Vorbehalt -- unter Anderm -- des Kleinhandels mit geistigen Getränken. Was Kleinhandel mit geistigen Getränken sei, definire das in Ausführung von Art. 31 und 32bls der Bundesverfassung erlassene Bundesgesetz über gebrannte Wasser in Art. 8. Danach sei der Verkauf von gebrannten Wassern aller Art in Quantitäten von mindestens 40 Litern ein freies Gewerbe -- Großhandel -- d. h. es stehe unter dem Schütze des Art. 31 der Bundesverfassung.

Die citirte graubündnerische Verordnung ersetze nun aber das Wort ,,Quantität"1 durch den Ausdruck ,,Gebinde" und beschränke damit den freien Großhandel mit geistigen Getränken in bundesrechtlich unstatthafter Weise. Sie, die Rekurrenten, haben im vorliegenden Falle nicht eine Quantität unter 40 Litern verkauft, sondern nur die gesetzlich zuläßige Quantität, des Transportes wegen in zwei Gebinde getheilt; allein Faktur und Frachtbrief lauten auf eine Quantität von 40 Litern. Es scheine ihnen, den Rekurrenten, nicht nur formell unstatthaft, daß die kantonale Verordnung den Text des Bundesgesetzes ändere und damit etwas Anderes sage als das Bundesgesetz, sondera es sei offenbar auch materiell unrichtig, den Begriff des Großhandels, statt von der Größe des verkauften Quantums, von der Größe des Gebindes abhängig zu machen.

Nach dieser Auslegung des Bundesgesetzes müßte der Verkauf der größten Quantitäten als Kleinhandel bezeichnet werden, sobald er sich auf Spirituosen bezöge, die im Handel üblicher Weise z. B. in Literflaschen statt in Fässern oder Korbflaschen von mehr als 40 Litern Inhalt geliefert werden.

Die citirte Bestimmung der Verordnung des Kantons Graubiinden sei daher aufzuheben.

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Es möchte, fahren die Rekurrenten fort, gegen ihre Auffassung eingewendet werden, daß ihnen der Handel im Sinne der Verordnung Graubündens nicht versagt sei, sobald sie die von den graubündnerischen Behörden geforderte Patentgebühr entrichten, und es habe sie auch die dortige Polizeidirektion auf diesen Weg gewiesen.

Allein es sei klar, daß ein Gewerbebetrieb, der nur gegen Bezdhlung von Patentgebühren an alle Kantone ausgeübt werden könne, nicht mehr ein freier sei und jedenfalls dem Art. 8 des Bundesgesetzes widerspreche, -welcher deutlich nur den Kleinhandel im Gegensatz zum Großhandel einer Verkaufssteuer unterwerfe.

Auch würde es den bundesrechtlich entwickelten Grundsätzen des Steuerrechts widersprechen, wenn ein in einem Kanton fest niedergelassenes Geschäftshaus, das an seine Kunden in ändern Kantonen bestellte Waaren durch die Eisenbahn oder Post schickt, in allen Kantonen, wo es Kunden hat, zur Steuer herangezogen werden könnte. Ein solcher Grundsatz würde entgegen Lemma e des Art. 31 der Bundesverfassung den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit im höchsten Maße beeinträchtigen und die vergangene Zeit der kantonalen Ohmgelder herbeisehnen machen, wo die Steuer wenigstens nur nach dem Maße des wirklich eingeführten Getränkes, nicht nach dem präsumptiven Umfange des Geschäfts zu entrichten gewesen sei.

Der Kleine Rath des Kantons Graubünden, über diese Beschwerde zur Vernehmlassung eingeladen, führt aus, daß die Bundesgesetzgebung im Einklang mit der Bundesverfassung den Kantonen gestatte, ja im Interesse der Bekämpfung des Alkoholismus geradezu zur Pflicht mache, den Kleinhandel mit alkoholischen Wassern zu besteuern und geeignete gesetzliche Bestimmungen über den Ausschank solcher Wasser und den Kleinhandel aufzustellen ; dabei verstehe es sich von selbst, daß es den Kantonen nicht verweigert werden könne, diese Verordnungen so zu erlassen, daß eine Umgehung der gesetzlich zuläßigen Steuer thuolichst verhindert, vielmehr die Erreichung des durch die Besteuerung angestrebten Zweckes gesichert werde.

Es liege sehr nahe, daß die Bestimmung des Alkoholgesetzes, wonach nur derjenige Handel Großhandel sei, der in Quantitäten von 40 Litern erfolge, nicht genüge, um die Kontrole darüber zu ermöglichen, daß neben dem Großhandel und unter Vorspiegelung eines solchen nicht im Kleinen
verkauft und so die für den Kleinhandel vorgesehene Steuer umgangen werde. Letzteres komme in der Weise vor, daß verschiedene Bestellungen unter einer Sendung an die gleiche Adresse etwa eines Geschäftsfreundes efifektuirt werden. Auch werden leicht Sortimente von Liqueurs und ändern

1037 Spirituosen, jede Sorte in kleinerer Quantität und natürlich in getrennten Gebinden, versandt, um dies dann als Großhandel auszugeben. Der Kleine Rath glaubt, die Absicht des Gesetzgebers sei nicht die gewesen, etwas als Großhandel zu defmiren, was in Wahrheit Kleinhandel sei, und halte daher diejenige Interpretation für die einzig richtige, wonach unter Großhandel der einmalige Verkauf und Versandt der nämlichen Sorte an einem Stück, d. h. bei Spirituosen im gleichen Gebinde von bestimmter Minimaldimension, hier von wenigstens 40 Litern, zu verstehen sei. Die Berufung auf exakt gleiche Qualität der in zwei verschiedenen Gebinden versandten Quantitäten Rhum könne nichts nützen, denn die Qualität entziehe sich jeder Kontrole ; auch könnten auf diese Weise bequemer als sonst zwei Bestellungen verschiedener Personen in eine vereinigt und so die Steuer eludirt werden. Die Bestimmung der kantonalen Verordnung, daß die Waaren in Gebinden von mindestens je 40 Litern Inhalt zum Verschleiß gebracht werden sollen, qualifizire sich daher als einfache Kontroivorschrift und habe wesentlich den Zweck, die Ueberwachung des Detailhandels und die Anwendung der Steuer auf denselben soweit möglich zu sichern. Für denjenigen, der wirklich Großhandel treibe, enthalte diese Vorschrift der Minimalgröße der Gebinde keine Verkehrsbeschränkung; bloß für den Pseudogroßist, der in Wahrheit Detailhandel treibe, enthalte sie eine Unbequemlichkeit; diese widerspreche aber nicht der verfassungsmäßigen Handelsfreiheit; denn sie betreffe einen in der Verfassung vorgesehenen Ausnahmefall.

Gestützt auf diese Anbringen stellt der Kleine Rath des Kantons Graubünden das Gesuch, die Rekursbeschwerde der Herren Dalang & Gally in Basel sei abzuweisen, in E r w ä g u n g : 1) Die Herren Dalang & Gally stützen ihre Beschwerde auf Art. 31 der Bundesverfassung, und durch Art. 59, Ziff. 3 des Gesetzes über Organisation der Bundesrechtspflege werden Streitigkeiten über jenen Artikel der Erledigung des Bundesrathes, bezw. der Bundesversammlung übertragen. Gestutzt hierauf ist der Bundesrath in der Lage, auf die Prüfung und erstinstanzliche Beurtheilung der vorliegenden Beschwerde einzutreten.

2) Der Art. 31 der Bundesverfassung enthiält den Grundsatz, daß die Freiheit des Handels und der Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft
gewährleistet sei. Gleichzeitig stellt er jedoch einige Einschränkungen auf, welche dieser Grundsatz in der Durchführung erleiden soll. Eine dieser Beschränkungen liegt in Art. 8

1038 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1886 betreffend gebrannte Wasser, welches sich als ein Ausführungsgesetz der Art. 31, 32 und 33 neu der Bundesverfassung ausgibt. Nach jenem Art. 8 ist nämlich bloß der Verkauf von gebrannten Wassern in Quantitäten von wenigstens 40 Litern ein freies Gewerbe -- Großhandel.

3) Weitere Modalitäten des Großhandels stellt der citirte Art. 8 nicht auf; er enthält bloß einläßlichere Bestimmungen über den Handel mit Quantitäten unter 40 Litern, die selbstverständlich nicht ohne ausdrückliche Vorschrift auf den Großhandel bezogen werden dürfen.

Auch in der übrigen ßundesgesetzgebung sind weitergehende Beschränkungen des Großhandels als diejenigen, welche der citirte Art. 8 aufstellt, nicht zu rinden.

Nach allgemeiner Rechtsregel nun sind einschränkende, d. h.

eine Ausnahme von der allgemeinen Vorschrift begründende Gesetzbestimmungen strikte auszulegen, d. h. es darf ihnen nicht eine solche Auslegung gegeben werden, daß sie durch dieselbe eine noch eingeschränktere Gültigkeit erhalten, als der Wortlaut des Gesetzes ihnen beilegt.

4) Derartiges würde stattfinden, wenn in Unterstützung der citirten Vorschrift der Vollziehungsverordnung des Kantons Graubünden angenommen werden wollte, es müsse, um dem Begriff von Großhandel zu entsprechen, das Quantum von 40 Litern, das auf einmal an einen Abnehmer zu verkaufen ist, auch noch iu einem Gefässe von wenigstens 40 Litern Inhalt übergeben werden.

Der Zweck, den der Kleine Rath von Graubünden der angefochtenen Bestimmung unterlegt, daß sie dazu beitragen solle, die Umgehung des Art. 8 des Alkoholgesetzes zu erschweren, ist wohl anerkennenswert!), allein vor Allem praktisch nicht von großer Bedeutung, weil es leicht möglich ist, unerlaubten Kleinhandel mit gebrannten Wassern auch mittelst Verwendung von Gefässen von über 40 Lilern Halts zu betreiben. Sodann leidet die angedeutete Vollziehungsbestimmung, was noch schlimmer ist, an dem Mangel, d.iß sie vor der Bundesgesetzgebung nicht haltbar ist; denn es muß in knapper Auffassung des Art. 8, erster Absatz des Alkoholgesetzes angenommen werden, daß ein Geschäft des Großhandels erfolgt sei, sobald eine Quantität von wenigstens 40 Litern gebrannten Wassers einer und derselben Sorte auf einmal -- bei Versendung u»ter einer Faktur -- an einen und denselben Abnehmer abgegeben
wird, gleichgültig, ob diese Abgabe in einem oder mehreren Gebinden vor sich gegangen sei.

5) Gegen diese Auffassung verstößt, wie übrigens von keiner Seite behauptet wird, die von der graubündnerischen Behörde mit

1039 Strafe belegte Lieferung von 40 Litern Rhum der Herren Dalang & Gally an einen Restaurateur in Chur nicht, beschlossen: Die Beschwerde der Herren Dalang & Gally in Basel gegen die im Eingänge citirte Vorschrift des Art. \ der Verordnung des Kantons Graubünden, betreffend den Ausschank und Kleinverkauf von gebrannten Wassern, und die durch die Polizeidirektion des genannten Kantons auf Grundlage jener erfolgte Bestrafung der Beschwerdeführer wird als begründet erklärt, d. h. sowohl die angefochtene Vorschrift als der Strafsentenz aufgehoben.

Dieser Entscheid ist den Parteien zu eröffnen.

B e r n , den 8. August 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes : Der Vizepräsident:

Ruchoniiet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs der Herren Dalang & Gally, Weinhandlung in Basel, gegen den Kleinen Rath von Graubünden, wegen Verletzung der Gewerbefreiheit in Bezug auf den Großhandel mit Spirituosen. (Vom 8. August 1889.)

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17.08.1889

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