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18.043 Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht Vorlage 3: Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 17. Februar 2022

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einem Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

17. Februar 2022

Im Namen der Kommission Der Präsident: Carlo Sommaruga

2022-0762

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Übersicht Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates unterbreitet ihrem Rat den Entwurf zu einem Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts als Entwurf 3 der Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht (18.043). Entwurf 1 und 2 dieser Vorlage wurden von den Räten in der Wintersession 2021 in den Schlussabstimmungen angenommen.

Ausgangslage Die Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht wurde vom Bundesrat am 25. April 2018 zuhanden der Räte verabschiedet (18.043). Die Vorlage wurde von den Büros der Räte resp. von deren Präsidenten den Kommissionen für Rechtsfragen (RK) mit dem Ständerat als Erstrat zur Vorberatung zugewiesen. Auf Antrag der RK-S und der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) hat der Ständerat am 9. Juni 2020 entschieden, die Vorlage zu teilen und die Bestimmungen des Sexualstrafrechts in einem gesonderten Entwurf zu beraten. Die RK-S hat das Bundesamt für Justiz daraufhin beauftragt, ihr einen Vorentwurf zum Sexualstrafrecht zu unterbreiten, zu dem eine Vernehmlassung durchgeführt werden könne. Am 1. Februar 2021 eröffnete die RK-S das Vernehmlassungsverfahren zu einem Vorentwurf. Dieser enthielt zu einigen Bestimmungen zwei Varianten. Die Kommission verzichtete darauf, sich bereits politisch und inhaltlich zu den Vorschlägen zu positionieren, damit das Vernehmlassungsverfahren möglichst ergebnisoffen durchgeführt werden konnte.

Nachdem auch der Nationalrat der Teilung der Vorlage zugestimmt hatte, führte die RK-S ihre Arbeiten an der Ausarbeitung eines Erlassentwurfs an insgesamt sechs Sitzungen weiter. An ihrer Sitzung vom 17. Februar 2022 nahm sie den nun vorliegenden Entwurf mit 13 zu 0 Stimmen in der Gesamtabstimmung an und verabschiedete gleichzeitig den begleitenden Bericht.

Inhalt der Vorlage Mit der Vorlage wird das Sexualstrafrecht modernisiert und an die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte angepasst. So werden namentlich die Kernbestimmungen des Sexualstrafrechts, die Artikel 189 (Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung, nach geltendem Recht Sexuelle Nötigung) und Artikel 190 (Vergewaltigung) neu ausgestaltet. Von den Tatbeständen erfasst werden neu auch sexuelle Handlungen, welche
der Täter oder die Täterin am Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt und sich dabei (eventual-) vorsätzlich über den entgegenstehenden, verbal und / oder nonverbal geäusserten Willen des Opfers hinwegsetzt, ohne dieses zu nötigen (Ablehnungs-/ «Nein-heisst-Nein»-Lösung). Darunter fallen ebenfalls sexuelle Übergriffe, die überraschend vorgenommen werden, sowie Stealthing-Konstellationen. Neu begeht auch eine Vergewaltigung, wer gegen den Willen einer Person den Beischlaf oder eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, vornimmt oder vornehmen lässt. Die Definition der «Vergewaltigung» wird ausgedehnt, indem zum einen im Grundtatbestand auf das Nöti-

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gungselement verzichtet wird und indem zum andern auch Opfer männlichen Geschlechts von diesem Tatbestand erfasst werden. Eine Kommissionsminderheit hält diese Neuerungen für nicht ausreichend. Sie beantragt, die fraglichen Tatbestände auf der Grundlage der fehlenden Einwilligung (Zustimmungs-/ «Nur-Ja-heisst-Ja»Lösung) zu konzipieren.

Weitere Neuerungen: ­

Bei den sexuellen Handlungen mit Kindern beantragt die Kommission, für bestimmte Tathandlungen eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe einzuführen, falls das Opfer das 12. Altersjahr noch nicht vollendet hat. Eine Minderheit beantragt, auf die Mindeststrafe zu verzichten;

­

ein separater Tatbestand wird geschaffen für sexuelle Handlungen, die der Täter / die Täterin bei der Ausübung einer Tätigkeit im Gesundheitsbereich an einer Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wenn er / sie diese dabei über den sexuellen Charakter der Handlung täuscht oder ihren Irrtum über den Charakter der Handlung ausnützt;

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es soll möglich werden, beim Exhibitionismus lediglich eine Busse statt eine Geldstrafe auszusprechen;

­

pornografische Gegenstände oder Vorführungen, die sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen zum Inhalt haben, sollen nicht mehr als harte Pornografie gelten;

­

bei der Pornografie soll die Straflosigkeit von Personen erweitert werden, die von Minderjährigen pornografische Bilder / Filme herstellen, diese besitzen, konsumieren oder der dargestellten Person zugänglich machen. Voraussetzungen für die Straflosigkeit sind, dass die abgebildete Person darin eingewilligt hat, die herstellende Person dafür kein Entgelt leistet oder verspricht und der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.

Straflos soll auch bleiben, wer von sich als minderjährige Person pornografische Bilder / Filme herstellt, besitzt, konsumiert oder einer anderen Person mit deren Einwilligung zugänglich macht;

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es wird ein neuer Tatbestand betreffend das Weiterleiten nicht öffentlicher sexueller Inhalte ohne Zustimmung der darin erkennbaren Person geschaffen, wobei eine Qualifikation greift, wenn der Inhalt, beispielsweise im Internet, veröffentlicht wird.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Entstehungsgeschichte und Arbeiten der Kommission 1.1 Die ursprüngliche Vorlage des Bundesrates 1.2 Die Arbeiten der Kommission und der Subkommission an der ursprünglichen Vorlage des Bundesrates 1.3 Ausarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage zu einer Revision des Sexualstrafrechts durch das Bundesamt für Justiz 1.4 Vernehmlassung der Kommission zum Vorentwurf 1.5 Arbeiten der Kommission am Entwurf

10 11 11

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Grundzüge der Vorlage 2.1 Die vorgeschlagenen Neuregelungen 2.2 Sprachliche Änderungen im französischen Gesetzestext

13 13 15

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen im Strafgesetzbuch 3.1 Allgemeine Bestimmungen (Deliktskataloge) 3.2 Gliederungstitel «Sexuelle Handlungen mit Kindern» 3.3 Artikel 187 Sexuelle Handlungen mit Kindern 3.4 Gliederungstitel «Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Unversehrtheit» 3.5 Artikel 188 Sexuelle Handlungen mit Abhängigen 3.6 Artikel 189 Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung Artikel 190 Vergewaltigung 3.6.1 Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 3.6.1.1 Ausgangslage: Geltendes Recht und Rechtsprechung bezüglich sexueller Nötigung und Vergewaltigung 3.6.1.2 Argumente für eine Reform 3.6.1.3 Argumente gegen eine Reform 3.6.1.4 Vorentwurf und Ergebnisse der Vernehmlassung 3.6.1.5 Haltung der Kommission 3.6.1.6 Die vorgeschlagenen Neuregelungen 3.6.2 Artikel 189 Absatz 2 und Artikel 190 Absatz 2 3.6.2.1 Neustrukturierung 3.6.2.2 Anpassung des abgenötigten Verhaltens an die Rechtsprechung 3.6.2.3 Ausdehnung der Definition der «Vergewaltigung» 3.6.2.4 Keine Senkung der Höchststrafe in Artikel 189 Absatz 2 Keine Erhöhung der Mindeststrafe in Artikel 190 Absatz 2

15 15 18 19

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3.6.3 Artikel 189 Absatz 3 und Artikel 190 Absatz 3 Artikel 191 Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person 3.7.1 Änderung des Randtitels («Schändung») 3.7.2 Streichung «in Kenntnis ihres Zustandes» 3.7.3 Verzicht auf die Einführung einer Mindeststrafe 3.7.4 Anpassung des französischen Gesetzestextes betreffend die Vornahme von sexuellen Handlungen durch das Opfer 3.7.5 Streichung «zum Widerstand unfähige Person» 3.8 Artikel 192 Sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten 3.9 Artikel 193 Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit 3.10 Artikel 193a Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung 3.10.1 Ausgangslage 3.10.2 Die vorgeschlagene Neuregelung 3.10.2.1 Geschütztes Rechtsgut 3.10.2.2 Objektiver Tatbestand 3.10.2.3 Subjektiver Tatbestand 3.10.2.4 Strafrahmen 3.10.2.5 Ausgestaltung als Offizialdelikt 3.10.2.6 Keine Aufnahme im Deliktskatalog von Artikel 55a 3.10.2.7 Konkurrenzen 3.11 Artikel 194 Exhibitionismus 3.12 Artikel 197 Pornografie 3.12.1 Absätze 4 und 5 3.12.2 Absätze 8 und 8bis

43

3.7

3.13 Artikel 197a Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten 3.13.1 Ausgangslage 3.13.2 Die vorgeschlagene Neuregelung 3.13.2.1 Systematische Einordnung und Gliederungstitel 3.13.2.2 Geschütztes Rechtsgut 3.13.2.3 Objektiver Tatbestand 3.13.2.4 Subjektiver Tatbestand 3.13.2.5 Strafrahmen 3.13.2.6 Ausgestaltung als Antrags- bzw. Offizialdelikt 3.13.2.7 Konkurrenzen 3.14 Artikel 198 Sexuelle Belästigungen 3.14.1 Neunummerierung des Gliederungstitels und Änderung des Randtitels im französischen Gesetzestext 3.14.2 Tatmittel Wort, Schrift, Bild 3.15 Artikel 200 Gemeinsame Begehung

44 44 44 44 45 45 46 46 47 47 48 48 48 49 49 49 49 49 50 52 52 53 57 57 58 58 58 58 59 59 59 59 60 60 60 61 5 / 82

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3.16 Artikel 264a Absatz 1 Buchstabe g Verbrechen gegen die Menschlichkeit / Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung Artikel 264e Absatz 1 Buchstabe b Kriegsverbrechen / Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde

62

4

Jugendstrafgesetz vom 20. Juni 2003

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5

Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 5.1 Übereinstimmung zwischen MStG und StGB 5.2 Artikel 157 Ausnützung der militärischen Stellung

63 63 64

6

Strafprozessordnung

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7

Militärstrafprozess vom 23. März 1979

65

8

Regelungsverzichte 8.1 Artikel 187 ff.: Beibehaltung der Geldstrafe als mögliche Sanktion 8.2 Motion 14.3022 Rickli «Kinderpornografie. Verbot von PosingBildern» 8.2.1 Ausgangslage 8.2.2 Probleme bei der Umsetzung der Motion 8.2.3 Änderung der Rechtsprechung 8.2.4 Ergebnis 8.3 Parlamentarische Initiative 18.434 (Amherd) Bregy «Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen» 8.3.1 Ausgangslage 8.3.2 Definitionen 8.3.3 Geltendes Recht 8.3.4 Verzicht auf die Einführung eines separaten Tatbestands betreffend Grooming i.e.S.

8.3.4.1 Gründe für den Verzicht 8.3.4.2 Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch 8.3.5 Verzicht der Verfolgung sexueller Belästigungen von Kindern unter 12 Jahren von Amtes wegen 8.3.5.1 Ausgangslage 8.3.5.2 Gründe für den Verzicht

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Auswirkungen 9.1 Auswirkungen auf den Bund 9.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

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10 Rechtliche Aspekte 10.1 Verfassungsmässigkeit 10.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6 / 82

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10.2.1 Allgemeine internationale Verpflichtungen zum Strafrecht 10.2.2 Übereinkommen des Europarats

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Literaturverzeichnis

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Verzeichnis verwendeter Materialien

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Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts (Entwurf)

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte und Arbeiten der Kommission

1.1

Die ursprüngliche Vorlage des Bundesrates

Der vorliegenden Revision des Sexualstrafrechts im Strafgesetzbuch1 (StGB) und im Militärstrafgesetz vom 13. Juni 19272 (MStG) geht eine längere Entstehungsgeschichte voraus: Nachdem am 30. Juni 2010 der Vorentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Änderungen des Sanktionenrechts) in die Vernehmlassung geschickt worden war, eröffnete der Bundesrat am 8. September 2010 die Vernehmlassung zum Vorentwurf über das Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch, im Militärstrafgesetz und im Nebenstrafrecht.3 Am 19. Dezember 2012 entschied der Bundesrat, die Arbeiten an der Harmonisierungsvorlage zurückzustellen und erst auf der Grundlage des neuen Sanktionenrechts, zu dem er am 4. April 2012 eine Botschaft4 verabschiedet hatte, weiterzuführen.5 Diese Vorlage wurde von den Räten in der Schlussabstimmung am 19. Juni 2015 angenommen. Zwei Änderungen im Jugendstrafgesetz vom 20. Juni 20036 (JStG) traten auf den 1. Juli 2016, jene im Strafgesetzbuch und weiteren Gesetzen auf den 1. Januar 2018 in Kraft.7 Die Arbeiten an der Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung wurden derweil weitergeführt. Am 25. April 2018 verabschiedete der Bundesrat die entsprechende Botschaft zuhanden der Bundesversammlung (18.043 s Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht).8 Die Vorlage umfasste zwei Gesetzesentwürfe: Während Entwurf 1 vor allem Änderungen der Strafrahmen, teilweise aber auch materielle Änderungen vorschlug, sah Entwurf 2 Anpassungen von Bestimmungen des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches vor. Die Büros der eidgenössischen Räte wiesen das Geschäft den Kommissionen für Rechtsfragen zur Vorberatung mit dem Ständerat als Erstrat zu.

1 2 3 4 5

6 7 8

SR 311.0 SR 321.0 Unterlagen zu den Vernehmlassungen und Ergebnisberichte: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2010 > EJPD.

BBl 2012 4721 www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Medienmitteilung vom 19. Dezember 2012 «Harmonisierung der Strafrahmen auf der Grundlage des neuen Sanktionensystems».

SR 311.1 AS 2016 1249 BBl 2018 2827

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1.2

Die Arbeiten der Kommission und der Subkommission an der ursprünglichen Vorlage des Bundesrates

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) befasste sich an ihrer Sitzung vom 17./18. Januar 2019 zum ersten Mal mit dem Geschäft und führte Anhörungen durch. Angehört wurden Vertretungen der Kantone, der Staatsanwaltschaften, der Richterinnen und Richter, der Anwaltschaft, der Opferhilfe, der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie der universitären Lehre. Dabei zeigte es sich, dass die Vorlage insgesamt mehrheitlich kritisch aufgenommen wurde. Bemängelt wurde auch, dass die Vernehmlassung schon sehr lange zurücklag und dass zu gewissen Vorschlägen wie der Neuformulierung des Tatbestands der Vergewaltigung (Art. 190) nie eine Vernehmlassung durchgeführt worden war. Die RK-S beschloss daher am 18. Januar 2019, eine dreiköpfige Subkommission einzusetzen, die die Vorlage zuhanden der RK-S vorberaten sollte.9 Die Subkommission setzte sich aus den Ständeräten Caroni (AR) und Rieder (VS) zusammen und wurde von Ständerat Jositsch (ZH) präsidiert. Sie traf sich zu fünf Sitzungen und präsentierte ihre Anträge der nach dem Legislaturwechsel neu zusammengesetzten RK-S an der Sitzung vom 17. Januar 2020. Die Subkommission beantragte der RK-S diverse Änderungen am Entwurf. Die RK-S beriet die Vorlage am 17. Januar und 11. Februar 2020; der Ständerat am 9. Juni 2020. Die Anträge der RKS und die Beschlüsse des Ständerates lassen sich auf den jeweiligen Fahnen ersehen.10 Die Subkommission hatte der RK-S auch materielle Anträge zum Sexualstrafrecht unterbreitet. Das Sexualstrafrecht war allerdings nach der Verabschiedung der Botschaft immer häufiger auch in den Medien thematisiert worden, wobei die Frage aufgeworfen wurde, inwiefern das seit dem 1. Oktober 1992 geltende Sexualstrafrecht lückenhaft sei. Im Einvernehmen mit der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) kam die RK-S zum Schluss, dass sich die Vorlage zur Harmonisierung der Strafrahmen auf die Anpassung einzelner Strafrahmen beschränken und auf materielle Änderungen verzichtet werden sollte. Sie entschied deshalb, ihrem Rat eine Teilung des Entwurfs 1 zu beantragen und die Bestimmungen des Sexualstrafrechts in eine gesonderte Vorlage, einen Entwurf 3, auszugliedern.11 Der Ständerat folgte diesem Antrag am 9. Juni 2020 ohne Gegenstimme.12 Das gewählte Vorgehen erlaubt es nach Ansicht der RK-S, die Arbeiten
an der eigentlichen Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung zügig abzuschliessen, die Frage eines materiellen Revisionsbedarfs im Sexualstrafrecht vertieft zu prüfen und dazu eine ordentliche Vernehmlassung durchzuführen. Auf Antrag der vorberatenden Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) stimmte der Nationalrat der Teilung der Vorlage am 2. Juni 2021 ebenfalls zu.13

9 10 11 12 13

www.parlament.ch > Geschäft 18.043 > Medienmitteilung > Medienmitteilung der RK-S vom 18. Januar 2019.

www.parlament.ch > Geschäft 18.043 > Ratsunterlagen > Anträge, Fahnen.

www.parlament.ch > Geschäft 18.043 > Medienmitteilung > Medienmitteilung der RK-S vom 17. Januar 2020.

AB 2020 S 433 AB 2021 N 977

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1.3

Ausarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage zu einer Revision des Sexualstrafrechts durch das Bundesamt für Justiz

Das Bundesamt für Justiz (BJ) erarbeitete im Auftrag der RK-S unter Beizug der Wissenschaft einen Vorentwurf und einen Bericht, dies unter Berücksichtigung der Diskussion in der Subkommission. Dabei fanden drei Sitzungen mit einer Expertin und zwei Experten statt: ­

Dr. iur. Nora Scheidegger, Postdoc am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Verfasserin «Das Sexualstrafrecht der Schweiz ­ Grundlagen und Reformbedarf», Dissertation 2018

­

Prof. Dr. iur. Felix Bommer, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Internationales Strafrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät Universität Zürich

­

Dr. iur. Philipp Maier, Richter an den Bezirksgerichten Meilen und Uster, Verfasser «Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht», Dissertation 1994, sowie Autor Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Auflage, Basel 2019, Vor Artikel 187 und Artikel 187­193

Bei einer der Sitzungen standen der Arbeitsgruppe für Fragen, die ihren Tätigkeitsbereich betrafen, ausserdem zur Verfügung: ­

Angela Weirich, damals Erste Staatsanwältin, Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft

­

Dr. Maggie Schauer, Klinische Psychologie & Neuropsychologie, Kompetenzzentrum Psychotraumatologie, Universität Konstanz

­

Dr. med. Werner Tschan, Psychiatrie + Psychotherapie FMH, Beratungszentrum Sexuelle Grenzverletzungen in professionellen Beziehungen, Institut für Psychotraumatologie, Basel

Weiter gab das BJ beim Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung, Lausanne, ein Gutachten in Auftrag. Darin werden die Regelungen in Belgien, Deutschland, England & Wales, Österreich und Schweden zu sexuellen Übergriffen gegen den Willen / ohne Einverständnis des Opfers, ohne dass Gewalt oder Drohung angewendet wird, dargelegt. Ausserdem wurde recherchiert, ob und wie in den genannten Ländern «Stealthing» bestraft wird.14 Auf Wunsch der RK-S erarbeitete das BJ bei einzelnen Bestimmungen zwei Varianten.

Die RK-S verzichtete bewusst darauf, die Vorlage vor der Vernehmlassung vertieft zu diskutieren, um diese möglichst breit und ergebnisoffen durchführen zu können, 14

www.bj.admin.ch > Publikationen & Service > Berichte, Gutachten und Verfügungen > Berichte und Gutachten > Gutachten des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung vom 31. Mai 2020 über die rechtliche Einordnung sexueller Übergriffe ohne Einverständnis in Belgien, Deutschland, England & Wales, Österreich, Schweden.

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und sie verzichtete darauf, sich bereits für eine der Varianten auszusprechen. Sie entschied an ihrer Sitzung vom 28./29. Januar 2021, den Vorentwurf und den Bericht mit teilweise zwei Varianten je Bestimmung in die Vernehmlassung zu schicken.15 Der Kern dieses Vorentwurfs schlug vor, einen neuen Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs in Artikel 187a VE-StGB aufzunehmen. Dieser sollte jeweils zur Anwendung gelangen, wenn kein spezifischer Tatbestand (Art. 188 bis 193) erfüllt ist und nicht nur eine sexuelle Belästigung im eigentlichen Sinn (Art. 198) vorliegt. Die Kommission verzichtete darauf, neben dem vorgeschlagenen neuen Tatbestand des sexuellen Übergriffs (Art. 187a VE-StGB) eine weitere Variante aufzunehmen, welche in der Öffentlichkeit als Zustimmungs-/ «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung diskutiert wird.

Zudem sah der Vorentwurf als weitere Neuerung unter anderem einen Tatbestand Artikel 197a VE-StGB vor, der ausdrücklich das Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Kindern (das sogenannte «Grooming» im engeren Sinne) unter Strafe stellen würde. Damit sollte das Anliegen der parlamentarischen Initiative 18.434 (Amherd) Bregy «Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen» umgesetzt werden. Daneben wurden weitere Anpassungen bei bestehenden Tatbeständen vorgeschlagen.

1.4

Vernehmlassung der Kommission zum Vorentwurf

Die Kommission hat zwischen dem 1. Februar und dem 10. Mai 2021 eine Vernehmlassung durchgeführt, die insgesamt auf ein grosses öffentliches Interesse gestossen ist und an der sich Tausende von Einzelpersonen beteiligt haben. Die Kommission hat die detaillierten Ergebnisse der Vernehmlassung an ihrer Sitzung vom 9. August 2021 zur Kenntnis genommen und im Anschluss daran publiziert (Vernehmlassungsbericht).16 Es hat sich gezeigt, dass der Reformbedarf im Sexualstrafrecht grundsätzlich unbestritten ist. Der zur Debatte gestellte neue Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs in Artikel 187a VE-StGB stiess jedoch auf einige Kritik, wobei insbesondere bemängelt wurde, dass mit dem neuen Tatbestand eine Art «unechter Vergewaltigung» geschaffen würde. Der Grundentscheid des Vorentwurfs für eine Ablehnungs- / «Nein-heisst-Nein»-Lösung wurde dagegen von einer Vielzahl der Teilnehmenden begrüsst.

1.5

Arbeiten der Kommission am Entwurf

Die Kommission hat im Anschluss an die Publikation der Vernehmlassungsergebnisse an ihrer Sitzung vom 31. August 2021 Anhörungen durchgeführt. Angehört wurden Vertretungen der Kantone, der Strafverfolgung, der Anwaltschaft, der Opferhilfe, von 15

16

Vorentwurf «Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts» und Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 28. Januar 2021; www.parlament.ch > Geschäft 18.043 > Vernehmlassung zu Entwurf 3 oder www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > Parl.

www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > Parl.

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Sexualdelikten betroffener Frauen sowie Fachpersonen aus den Bereichen Strafrecht, Jugendstrafrechtspflege und der Forensischen Psychiatrie. Gestützt auf die Ergebnisse der Vernehmlassung sowie Rückmeldungen aus den Anhörungen hat die Kommission sodann entschieden, die Verwaltung mit der Ausarbeitung weiterer Varianten zu beauftragen. Sie hat zudem entschieden, ihre Arbeiten am Entwurf in Einzelschritte aufzuteilen, die es der Verwaltung ermöglichen sollten, die aufgeworfenen Fragen zu klären und die durch die Entscheidungen erforderlichen Anpassungen am Entwurf im Hinblick auf eine spätere Sitzung vorzunehmen.

An ihrer Sitzung vom 18. Oktober 2021 hat die Kommission einstimmig den Handlungsbedarf im Sexualstrafrecht anerkannt und sich formell für das Eintreten auf den Entwurf ausgesprochen. Sie hat ohne Gegenstimme beschlossen, auf den im Vorentwurf angedachten neuen Tatbestand des «Sexuellen Übergriffs» in Artikel 187a VEStGB zu verzichten und sich stattdessen für eine Kaskadenlösung in Artikel 189 und Artikel 190 entschieden. Mit 9 zu 4 Stimmen hat sie sich im Grundsatz dafür ausgesprochen, dass diese Kaskade davon ausgehen soll, dass der Tatbestand jeweils dann erfüllt ist, wenn die Täterschaft gegen den Willen des Opfers handelt (Ablehnungs-/ «Nein-heisst-Nein»-Lösung). Eine Minderheit unterstützt die Idee der Kaskade, beantragt jedoch, dass diese auf dem Grundprinzip der fehlenden Einwilligung des Opfers beruhen soll (Zustimmungs-/ «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung). Die Kommission sprach sich überdies mit 7 zu 6 Stimmen dafür aus, dass die Verwaltung auch noch ein Konzept mit einer Mindestfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren bei der Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 2) ausarbeiten soll.

An ihrer Sitzung vom 11. November 2021 fällte die Kommission weitere Grundsatzentscheide. Sie sprach sich mit 6 zu 5 Stimmen für die Einführung einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe bei bestimmten sexuellen Handlungen mit Kindern bei Opfern, die das 12. Altersjahr noch nicht erreicht haben, aus. Einstimmig verzichtete sie jedoch darauf, die im Vorentwurf vorgesehene Privilegierung von leichten Fällen in den Entwurf aufzunehmen. Eine Minderheit lehnt die Einführung einer Mindeststrafe jedoch ab und beantragt ihrem Rat, in Bezug auf die Strafandrohung beim geltenden Recht zu bleiben.

Die Kommission
entschied zudem ohne Gegenstimme bei einer Enthaltung, darauf zu verzichten, einen separaten Tatbestand für das Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Kindern (das sogenannte «Grooming» im engeren Sinne) in den Entwurf aufzunehmen. Sie hat sich mit diesem Entscheid den kritischen Stimmen in der Vernehmlassung angeschlossen, die sich gegen eine Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der Vorbereitungshandlungen ausgesprochen haben. Es wurde darauf hingewiesen, dass bereits heute der Versuch der sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187) strafbar ist und bemängelt, dass es sich beim neuen Tatbestand eher um symbolische Gesetzgebung handle, mit der das Strafrecht in die Nähe eines Gesinnungsstrafrechts gerate.17 Schliesslich diskutierte die Kommission die Frage, ob der Entwurf gestützt auf Rückmeldungen aus der Vernehmlassung mit weiteren Tatbeständen ergänzt werden sollte.

Ohne Gegenstimme, bei einer Enthaltung, stimmte sie einem Antrag zu, der das unbefugte Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten («Revenge Porn») als 17

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.16.2.

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neuen Artikel 197a ins Strafgesetzbuch aufnehmen sollte. Zudem wurde die Verwaltung damit beauftragt, Textvorschläge für einen Tatbestand auszuarbeiten, der das unbemerkte abredewidrige Abstreifen des Kondoms während eines an sich einvernehmlichen Geschlechtsakts («Stealthing») mit Strafe bedroht.

An ihrer Sitzung vom 20. Januar 2022 entschied die Kommission ohne Gegenstimme, auf eine explizite Normierung des «Stealthing» zu verzichten. Die Kommission kam zum Schluss, dass die von ihr beantragte Neufassung von Artikel 190 Absatz 1 das «Stealthing» mitumfasst.

An ihrer Sitzung vom 17. Februar 2022 hat die Kommission schliesslich den vollständig ausgearbeiteten Erlass- und Berichtsentwurf in einer zweiten Lesung durchberaten. In der Gesamtabstimmung hat sie den Entwurf mit 13 zu 0 Stimmen angenommen. Zusammen mit dem ausgearbeiteten Entwurf behandelte die Kommission auch die Petition 21.2044 «Strafverfolgung ­ Revision des Strafgesetzbuches» gemäss 126 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes (ParlG).18

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Die vorgeschlagenen Neuregelungen

Mit der Vorlage wird das Sexualstrafrecht modernisiert und an die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte angepasst. So werden namentlich die Kernbestimmungen des Sexualstrafrechts, die Artikel 189 (Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung, nach geltendem Recht Sexuelle Nötigung) und Artikel 190 (Vergewaltigung) neu ausgestaltet. Von den Tatbeständen erfasst werden neu sexuelle Handlungen, welche der Täter oder die Täterin am Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt und sich dabei (eventual-) vorsätzlich über den entgegenstehenden, verbal und / oder nonverbal geäusserten Willen des Opfers hinwegsetzt, ohne dieses zu nötigen (Ablehnungs- / «Nein-heisst-Nein»-Lösung). Darunter fallen ebenfalls sexuelle Übergriffe, die überraschend vorgenommen werden, sowie Stealthing-Konstellationen.

Neu begeht auch eine Vergewaltigung, wer gegen den Willen einer Person den Beischlaf oder eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, vornimmt oder vornehmen lässt. Damit wird die Definition der «Vergewaltigung» ausgedehnt, indem zum einen im Grundtatbestand auf das Nötigungselement verzichtet wird und indem zum andern auch Opfer männlichen Geschlechts von diesem Tatbestand erfasst werden. Eine Kommissionsminderheit hält diese Neuerungen nicht für ausreichend. Sie beantragt, die fraglichen Tatbestände auf der Grundlage der fehlenden Einwilligung (Zustimmungs- /«Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung) zu konzipieren.

Weitere Neuerungen betreffen die folgenden Punkte: ­

18

Bei den sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1bis) wird vorgeschlagen, für bestimmte Tathandlungen eine Mindeststrafe von einem Jahr

Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002, SR 171.10.

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Freiheitsstrafe einzuführen, falls das Opfer das 12. Altersjahr noch nicht vollendet hat. Eine Kommissionsminderheit beantragt, auf die Einführung einer Mindeststrafe zu verzichten; ­

bei den sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 3), den sexuellen Handlungen mit Abhängigen (Art. 188 Ziff. 2) und der Ausnützung der Notlage (Art. 193 Abs. 2) soll die Privilegierung, falls die verletzte Person mit dem Täter / der Täterin die Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, aufgehoben werden;

­

ein separater Tatbestand (Art. 193a) wird geschaffen für sexuelle Handlungen, die der Täter / die Täterin bei der Ausübung einer Tätigkeit im Gesundheitsbereich an einer Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wenn er / sie diese dabei über den sexuellen Charakter der Handlung täuscht oder ihren Irrtum über den Charakter der Handlung ausnützt;

­

es soll möglich werden, beim Exhibitionismus (Art. 194) lediglich eine Busse statt eine Geldstrafe auszusprechen;

­

pornografische Gegenstände oder Vorführungen, die sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen zum Inhalt haben, sollen nicht mehr als harte Pornografie gelten (Art. 197 Abs. 4 und 5);

­

bei der Pornografie (Art. 197 Abs. 8 und 8bis) soll die Straflosigkeit von Personen erweitert werden, die von Minderjährigen pornografische Bilder / Filme herstellen, diese besitzen, konsumieren oder der dargestellten Person zugänglich machen. Voraussetzungen für die Straflosigkeit sind, dass die abgebildete Person darin eingewilligt hat, die herstellende Person dafür kein Entgelt leistet oder verspricht und der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt; Straflos soll auch bleiben, wer von sich als minderjährige Person pornografische Bilder / Filme herstellt, besitzt, konsumiert oder einer anderen Person mit deren Einwilligung zugänglich macht;

­

es wird ein neuer Tatbestand betreffend das Weiterleiten nicht öffentlicher sexueller Inhalte ohne Zustimmung der darin erkennbaren Person geschaffen, wobei eine Qualifikation greift, wenn der Inhalt, beispielsweise im Internet, veröffentlicht wird (Art. 197a);

­

neu soll auch gestützt auf Artikel 198 (Sexuelle Belästigungen) bestraft werden können, wer jemanden durch Bilder sexuell belästigt.

Weitere Änderungen werden in der Praxis kaum oder keine Auswirkungen haben, so zum Beispiel die Ergänzung der «Vornahme» als abgenötigtes Verhalten bei der sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 2) und der Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 2) sowie die Änderung des Randtitels und die Streichung der Passage «in Kenntnis ihres Zustandes» in Artikel 191 (Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person).

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2.2

Sprachliche Änderungen im französischen Gesetzestext

Die parlamentarische Redaktionskommission hat seinerzeit darauf verzichtet, für französische Gesetzestexte die Verwendung von geschlechtsneutralen Formulierungen oder Paarbildungen anstelle des sogenannten generischen Maskulinums (männliche Form zur Bezeichnung beider Geschlechter) vorzuschreiben, weil dies zu «unüberwindbaren Schwierigkeiten führt».19 Sie hat indessen den Gesetzgeber eingeladen, männliche Formen zu vermeiden und so weit als möglich eine geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden. Im französischen Gesetzestext wird aus diesem Grund ­ gleich wie in den Entwürfen 1 und 2 der Vorlage «Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht»20 ­ vorgeschlagen, «celui qui» (derjenige, der) durch den neutralen Ausdruck «quiconque» (wer) zu ersetzen. Ausserdem wird die Form des Futurs durch diejenige des Präsens ersetzt.

Diese Änderung ist gerechtfertigt, weil sich das Präsens besser eignet, um Straftatbestände festzulegen. Der französische Text entspricht damit im Übrigen der deutschen Fassung, die ebenfalls diese Zeitform verwendet.

Die beiden Änderungen wurden in der Vernehmlassung begrüsst.21 Es wird in den folgenden Erläuterungen darauf verzichtet, diese Änderungen einzeln zu kommentieren.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen im Strafgesetzbuch

3.1

Allgemeine Bestimmungen (Deliktskataloge)

Art. 5 Abs. 1 Bst. a Straftaten gegen Minderjährige im Ausland In der Aufzählung werden die Artikel 189 und 190 neu auf die Absätze 2 und 3 beschränkt, weil diese Bestimmung nur für die schwersten Formen von Sexualverbrechen gelten soll.

Im deutschen Gesetzestext wird der neue Randtitel von Artikel 191 ­ «Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person» ­ eingefügt.

Die Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)22 beinhaltet lediglich einen leicht modifizierten Randtitel von Artikel 191.23

19 20 21 22 23

BBl 1993 I 129, hier 133.

BBl 2018 2827, hier 2846.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 5.2.

Ziff. 3.6.1.5 Ziff. 3.7.1

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Art. 66a Abs. 1 Bst. h Obligatorische Landesverweisung Im deutschen Gesetzestext wird der neue Randtitel von Artikel 191 eingefügt.

Die in Artikel 187 vorgeschlagenen materiellen Änderungen müssen im Deliktskatalog betreffend die obligatorische Landesverweisung nachvollzogen werden. In Buchstabe h wird Artikel 187 Ziffer 1bis ergänzt.

Neu in den Deliktskatalog aufgenommen werden die Artikel 188, 193 und 193a sowie ­ implizit ­ Artikel 190 Absatz 1. Dies aufgrund der Vorgaben von Artikel 121 Absatz 3 Buchstabe a der Bundesverfassung24 (BV). Dieser verlangt eine obligatorische Landesverweisung wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts. Der Gesetzgeber hat entsprechend diesen Vorgaben alle Sexualverbrechen (Art. 10 Abs. 2) in den Buchstaben h aufgenommen. Artikel 189 wird deshalb neu auf die Absätze 2 und 3 beschränkt, da es sich bei Absatz 1 von Artikel 189 um ein Vergehen handelt (Art. 10 Abs. 3). Eine Verurteilung deswegen kann aber zu einer nicht obligatorischen Landesverweisung nach Artikel 66abis führen. Dasselbe gilt für den neuen Artikel 197a.

Die Minderheit (Mazzone, Bauer, Baume-Schneider, Caroni, Vara)25, hat ­ abgesehen davon, dass bei Artikel 187 keine Ergänzung mit Ziffer 1bis erforderlich ist (vgl.

Ziff. 3.3) ­ die gleichen Anpassungen zur Folge.

Bei der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)26 wird zum einen Artikel 193a nicht in die Aufzählung aufgenommen, weil bei einer Umsetzung der Zustimmungslösung auf diese Bestimmung verzichtet werden könnte (vgl.

Ziff. 3.10.1), und zum andern wird der Randtitel von Artikel 191 leicht modifiziert.

Art. 67 Abs. 3 Bst. c, 4 Bst. a und 4bis Bst. a Tätigkeitsverbot Die materiellen Änderungen müssen in den drei Deliktskatalogen zum Tätigkeitsverbot nachvollzogen werden:

24 25 26

­

In den Aufzählungen von Artikel 67 Absatz 3 Buchstabe c und Absatz 4 Buchstabe a wird der geänderte Randtitel von Artikel 189 eingefügt;

­

In der Aufzählung von Artikel 67 Absatz 4bis Buchstabe a werden die Artikel 189 und 190 neu auf die Absätze 2 und 3 beschränkt, weil diese Bestimmung nur für die schwersten Formen von Sexualverbrechen gelten soll;

­

Im deutschen Gesetzestext wird in allen drei Aufzählungen der geänderte Randtitel von Artikel 191 eingefügt;

­

Artikel 192 Absatz 1 wird aus den Aufzählungen von Artikel 67 Absatz 3 Buchstabe c und Absatz 4 Buchstabe a gestrichen, weil er aufgehoben werden soll; SR 101 Ziff. 3.3 Ziff. 3.6.1.5

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­

In den Aufzählungen von Artikel 67 Absatz 3 Buchstabe c und Absatz 4 Buchstabe a wird der Randtitel von Artikel 193 angepasst;

­

Die Artikel 193a und 197a werden in die Aufzählungen von Artikel 67 Absatz 3 Buchstabe c und Absatz 4 Buchstabe a eingefügt;

­

Im französischen Gesetzestext wird in den Aufzählungen von Artikel 67 Absatz 3 Buchstabe c und Absatz 4 Buchstabe a der Randtitel von Artikel 198 angepasst.

Bei der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara) wird zum einen Artikel 193a nicht in die Aufzählungen aufgenommen, weil bei einer Umsetzung der Zustimmungslösung auf diese Bestimmung verzichtet werden könnte (vgl.

Ziff. 3.10.1), und zum andern wird der Randtitel von Artikel 191 leicht modifiziert.

Bei der Minderheit (Bauer) wird Artikel 197a nicht in die Aufzählungen aufgenommen.27 In der Vernehmlassung wurde der Nachvollzug der materiellen Änderungen in den Deliktskatalogen begrüsst. Einzelne Vernehmlassungsteilnehmende forderten zudem, dass die Artikel 194 (Exhibitionismus) und 198 (Sexuelle Belästigungen) aus Gründen der Verhältnismässigkeit aus den Deliktskatalogen von Artikel 67 Absätze 3 und 4 gestrichen werden sollen.28 Der Entwurf verzichtet aus folgenden Gründen auf die Streichung: Diese Forderung wurde bereits im Rahmen der Vernehmlassung zur Umsetzung der Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» geltend gemacht. Der Bundesrat hat sich damals explizit dagegen entschieden, die Artikel 194 und 198 aus den Deliktskatalogen zu streichen, denn gemäss Artikel 123c BV soll jede Straftat gegen die sexuelle Integrität zu einem zwingend lebenslänglichen Tätigkeitsverbot führen. Ausnahmsweise kann davon abgesehen werden, wenn es sich um einen leichten Fall handelt (Art. 67 Abs. 4bis).29 Auch im Rahmen der parlamentarischen Beratungen war diese Forderung ein Thema. Die eidgenössischen Räte sind schliesslich der Auffassung des Bundesrates gefolgt. Ausserdem sind die Bestimmungen erst seit dem 1. Januar 2019 in Kraft. Es dient der Rechtssicherheit nicht, wenn Bestimmungen bereits kurz nach ihrem Inkrafttreten wieder geändert werden.

Art. 97 Abs. 2 Verfolgungsverjährung Artikel 188 (Sexuelle Handlungen mit Abhängigen) wird aus der Aufzählung gestrichen. Opfer können bei dieser Bestimmung nur Minderjährige im Alter von 16 oder 17 Jahren sein. Die Verjährungsfrist beträgt seit dem 1. Januar 2014 10 Jahre (Art. 97 Abs. 1 Bst. c). Davor betrug sie 7 Jahre. Demnach verjähren Taten nach Artikel 188, wenn die Opfer 26 oder 27 Jahre alt sind. Somit tritt die Verjährung nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe c später ein als in Artikel 97 Absatz 2 vorgesehen (vollendetes 25. Lebensjahr). Seit der Revision vom 1. Januar 2014 hat die Sonderregelung von Artikel 97 Absatz 2 betreffend Artikel 188 ihre Bedeutung verloren.

27 28 29

Ziff. 3.13.1 Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.2.

BBl 2016 6115, hier 6137 ff.

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Demgegenüber wird Artikel 193a in die Aufzählung der Verfolgungsverjährung aufgenommen. Zudem wird die Gelegenheit genutzt, um ein gesetzgeberisches Versehen zu korrigieren: Bei den Debatten um die Unverjährbarkeit sexueller und pornografischer Straftaten an Kindern vor der Pubertät hat das Parlament die Artikel 192 Absatz 1 und 193 Absatz 1 ­ entgegen dem Entwurf des Bundesrates ­ in die Aufzählung von Artikel 101 Absatz 1 Buchstabe e aufgenommen, es aber unterlassen, Artikel 97 Absatz 2 in gleicher Weise anzupassen. Der Bundesrat hatte unter Hinweis auf die herrschende Lehre darauf verzichtet, weil die beiden Strafbestimmungen durch Artikel 187 konsumiert werden.30 Konsequenterweise sind die beiden Bestimmungen vorliegend in die Aufzählung aufzunehmen, wobei mit dieser Vorlage Artikel 192 aufgehoben werden soll.

Bei der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)31 wird Artikel 193a nicht in die Aufzählung aufgenommen, weil bei einer Umsetzung der Zustimmungslösung auf diese Bestimmung verzichtet werden könnte (vgl. Ziff. 3.10.1).

Art. 101 Abs. 1 Bst. e Unverjährbarkeit Im Deliktskatalog zur Unverjährbarkeit wird zum einen im deutschen Gesetzestext der neue Randtitel von Artikel 191 und in allen Gesetzestexten werden die geänderten Randtitel von Artikel 189 und 193 eingefügt. Zum andern wird Artikel 192 Absatz 1 aus der Aufzählung gestrichen und Artikel 193a aufgenommen (vgl. Erläuterungen zu Art. 97 Abs. 2).

Die in Artikel 187 vorgeschlagene Änderung hat zur Folge, dass Artikel 187 Ziffer 1bis in die Aufzählung aufgenommen wird.

Die Minderheit (Mazzone, Bauer, Baume-Schneider, Caroni, Vara)32, die in Artikel 187 hingegen keine Ziffer 1bis einführen möchte (vgl. Ziff. 3.3), hätte keine Auswirkungen auf die vorliegende Bestimmung.

Bei der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)33 wird zum einen Artikel 193a nicht in die Aufzählung aufgenommen, weil bei einer Umsetzung der Zustimmungslösung auf diese Bestimmung verzichtet werden könnte (vgl.

Ziff. 3.10.1), und zum andern wird der Randtitel von Artikel 191 leicht modifiziert.

3.2

Gliederungstitel «Sexuelle Handlungen mit Kindern»

Unter den 1. Gliederungstitel «Gefährdung der Entwicklung von Minderjährigen» fallen gemäss geltendem Recht die Artikel 187 (Sexuelle Handlungen mit Kindern) und 188 (Sexuelle Handlungen mit Abhängigen). Artikel 188 wird neu unter den

30 31 32 33

BBl 2011 5977, hier 6000.

Ziff. 3.6.1.5 Ziff. 3.3 Ziff. 3.6.1.5

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2. Gliederungstitel eingeordnet;34 es verbleibt somit lediglich Artikel 187 unter dem 1. Gliederungstitel. Aus gesetzestechnischen Gründen entfällt jedoch der Randtitel, wenn die Gliederungseinheit aus einem einzigen Artikel besteht. Der 1. Gliederungstitel lautet neu ­ wie der bisherige, geläufige Randtitel ­ «Sexuelle Handlungen mit Kindern». Die Streichung des bisherigen Gliederungstitels hat keine materielle Bedeutung. Artikel 187 soll weiterhin die sexuelle Entwicklung von Kindern vor Gefährdungen schützen.

3.3

Artikel 187 Sexuelle Handlungen mit Kindern

Der Entwurf sieht folgende Änderungen vor: In Ziffer 1 dritter Absatz wird eine sprachliche Anpassung vorgenommen und die Formulierung von Artikel 156 Ziffer 1 dritter Absatz MStG übernommen. Diese Änderung wurde in der Vernehmlassung überwiegend begrüsst.35 Darüber hinaus forderten einige Vernehmlassungsteilnehmende, die Höchststrafe in Ziffer 1 auf 10 Jahre zu erhöhen.36 Eine solche Erhöhung fordert auch die parlamentarische Initiative 03.424 Abate «Sexuelle Handlungen mit Kindern. Erhöhung des Strafmasses gemäss Artikel 187 StGB».37 Der Entwurf sieht jedoch aus folgenden Gründen davon ab: Zwischen Artikel 187 und den Artikeln 189 bzw. 190 (Sexuelle Nötigung [nach geltendem Recht] bzw. Vergewaltigung) wie auch ­ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ­ zwischen Artikel 187 und Artikel 191 (Schändung [nach geltendem Recht]) besteht Idealkonkurrenz, da diese Bestimmungen verschiedene Rechtsgüter schützen. Das heisst, dass in Fällen, in denen eine sexuelle Handlung mit einem Kind gleichzeitig eine sexuelle Nötigung, eine Vergewaltigung oder eine Schändung darstellt, diese Bestimmungen gemeinsam mit Artikel 187 angewendet werden.38 Gemäss Artikel 49 Absatz 1 (Konkurrenz) kann im Grundtatbestand somit eine Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsstrafe ausgesprochen werden. Im Falle einer Vergewaltigung gilt aufgrund des dortigen Strafrahmens zudem eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr. Wird das Opfer vom Täter nicht genötigt und liegt auch keine Schändung vor, so genügt die geltende Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe.

In der neuen Ziffer 1bis wird eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe eingeführt, falls das Kind das 12. Altersjahr noch nicht vollendet hat und der Täter mit ihm eine sexuelle Handlung vornimmt oder es zu einer sexuellen Handlung mit einer Drittperson oder einem Tier verleitet. Die Einführung einer Mindeststrafe entspricht einer

34 35 36 37 38

Ziff. 3.4 Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.5.1.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.5.1.

www.parlament.ch > Geschäft 03.424. Der Nationalrat hat der pa. Iv. am 22. September 2004 Folge gegeben.

Maier Philipp, 2019, Art. 187 N 57, Art. 189 N 82 und Art. 191 N 19.

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Forderung der parlamentarischen Initiative 16.408 Jositsch «Mindeststrafen bei sexuellen Handlungen gegenüber Kindern unter 16 Jahren», der von den Kommissionen für Rechtsfragen beider Räte Folge gegeben wurde.39 In Vernehmlassung wurde die Einführung einer Mindeststrafe zwar von einer knappen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden abgelehnt.40 Der Entwurf hält jedoch daran fest, denn mit der Einführung einer Mindeststrafe soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sexuelle Handlungen mit Kindern unter einem bestimmten Mindestalter ein grösseres Unrecht darstellen. Zudem erscheint es widersprüchlich, einerseits eine Mindeststrafe einzuführen, gleichzeitig aber für «leichte Fälle» wieder eine Ausnahme vorzusehen.

Artikel 187 Ziffer 1 umfasst drei Tatbestandsvarianten: ­

Bei der Vornahme einer sexuellen Handlung mit einem Kind muss es zu einem körperlichen Kontakt zwischen dem Täter und dem Opfer kommen, so dass der Täter das Kind oder das Kind den Täter berührt.41

­

Beim Verleiten zu einer sexuellen Handlung kommt es hingegen zu keinem Körperkontakt zwischen Täter und Opfer. Es sind nur solche Handlungen gemeint, die das Kind am eigenen Körper, am Körper eines anderen oder mit einem Tier vornimmt.42

­

Beim Einbeziehen in eine sexuelle Handlung kommt es ebenfalls zu keinen körperlichen Berührungen zwischen dem Täter und dem Opfer. Bei dieser Tatbestandsvariante wird das Kind als Zuschauer in eine sexuelle Handlung mit einbezogen.43

Die Mindeststrafe soll für folgende Tatbestandsvarianten von Artikel 187 Ziffer 1 gelten: ­

wenn der Täter mit dem Kind eine sexuelle Handlung vornimmt; oder

­

wenn der Täter das Kind zu einer sexuellen Handlung mit einer Drittperson oder einem Tier verleitet.

Diese Tathandlungen rechtfertigen von ihrem Unrechtsgehalt her eine Mindeststrafe.

Ein Verleiten zu einer sexuellen Handlung am eigenen Körper rechtfertigt eine derartige Mindeststrafe hingegen nicht. Gemäss Bundesgericht44 stellt die Aufforderung zum Onanieren, welcher das Kind nachkommt, ein Verleiten zu einer sexuellen Handlung an sich selbst dar. Die Anwesenheit des Täters bei den Handlungen ist nicht erforderlich. Eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr wäre in einer derartigen Konstellation zu hoch. Sie wird deshalb von Ziffer 1bis nicht erfasst, sondern fällt unter Ziffer 1.

39 40 41 42 43 44

www.parlament.ch > Geschäft 16.408. Die RK-S hat der pa. Iv. am 30. August 2016 Folge gegeben, die RK-N hat diesem Entscheid am 6. April 2017 zugestimmt.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.5.2.

Maier Philipp, 2019, Art. 187 N 10.

Maier Philipp, 2019, Art. 187 N 13.

Maier Philipp, 2019, Art. 187 N 17.

Urteil des Bundesgerichts 6B_702/2009 vom 8. Januar 2010, E. 7.4.

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Nicht unter die neue Mindeststrafe fällt ausserdem die Tatvariante «Einbeziehen in eine sexuelle Handlung». Als Zuschauer wird das Kind in seiner normalen Entwicklung weit weniger gefährdet, als wenn es selbst körperlich beeinträchtigt wird.

Diese beiden Tatvarianten vom Anwendungsbereich von Ziffer 1bis auszunehmen rechtfertigt sich umso mehr, als ­ anders als noch im Vorentwurf ­ keine Privilegierung für «leichte Fälle» vorgesehen ist (s. nachfolgend).

In Bezug auf die von einigen Vernehmlassungsteilnehmenden geltend gemachte Forderung, auch in Ziffer 1bis die Maximalstrafe auf 10 Jahre Freiheitsstrafe zu erhöhen,45 kann auf die Kommentierung zu Ziffer 1 verwiesen werden.

Auf die noch im Vorentwurf vorgesehene privilegierte Form für «leichte Fälle» wird verzichtet. In der Vernehmlassung hat eine deutliche Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden diese Privilegierung abgelehnt; darunter fallen jedoch auch jene, die sich gegen die Einführung einer Mindeststrafe ausgesprochen haben.46 Eine Kommissionsminderheit (Mazzone, Bauer, Baume-Schneider, Caroni, Vara) will ­ wie die knappe Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden47 ­ Ziffer 1bis hingegen streichen, das heisst auf die Einführung einer Mindeststrafe verzichten, wenn das Kind das 12. Altersjahr noch nicht vollendet hat. Sie ist der Ansicht, dass eine Mindeststrafe auch den denkbar leichtesten Fall wertmässig mitumfassen müsse, andernfalls unverhältnismässig hohe Strafen verhängt würden. Artikel 187 Ziffer 1 umfasst sexuelle Handlungen von sehr unterschiedlicher Intensität: Sie reichen von Beischlaf, oraler und analer Penetration bis zu weit weniger schwerwiegenden Handlungen wie dem Griff an das nackte Gesäss eines Kindes, wenn relativ stark zugepackt wird. Um zu verhindern, dass sie wegen Mindeststrafen in leichten Fällen überhöhte Sanktionen aussprechen müssen, legen die Strafbehörden in der Praxis zuweilen unbestimmte Rechtsbegriffe restriktiver aus. Wird vorliegend eine Mindeststrafe ohne privilegierte Form vorgesehen, könne dies dazu führen, dass die Strafbehörden den Begriff der nach Artikel 187 strafbaren sexuellen Handlung enger definieren würden. Die Konsequenz wäre, dass es im unteren Bereich der gegenwärtig strafbaren Handlungen zu weniger Verurteilungen kommen würde. Ohne Mindeststrafe bleibe dem Gericht ein grösserer
Gestaltungsspielraum.

Überdies scheine die Mindeststrafe mit Blick auf andere Tatbestände, die eine zwingende Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorsehen ­ so der Totschlag (Art. 113) und die Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 2) ­ nicht angemessen.

In Ziffer 3 wird heute festgehalten, dass die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen kann, wenn die verletzte Person mit dem Täter die Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist. Diese Privilegierung soll gestrichen werden. Sie führt zu einer Schlechterstellung von unverheirateten Tätern. Zudem könnte sich das Opfer aufgrund dieser Regelung gedrängt fühlen, eine Ehe / eingetragene Partnerschaft einzugehen ­ das sollte nicht sein. Allerdings könnte eine Eheschliessung, ein Zusammenleben oder allgemein eine Liebesbeziehung als «besonderer Umstand» betrachtet werden und so 45 46 47

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.5.2.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.5.3.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.5.2.

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zu einem Absehen von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung führen ­ dies jedoch nur dann, wenn der Täter zur Zeit der Tat oder der ersten Tathandlung das 20. Altersjahr noch nicht zurückgelegt hat. Die vorgeschlagene Streichung stiess in der Vernehmlassung auf sehr grosse Zustimmung,48 weshalb der Entwurf daran festhält.

3.4

Gliederungstitel «Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Unversehrtheit»

Im 2. Gliederungstitel «Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Ehre», unter den nach geltendem Recht die Artikel 189 bis 194 fallen, soll der Ausdruck «Ehre» gestrichen werden. Die sexuelle Ehre hat heute neben der sexuellen Freiheit keine eigenständige Bedeutung mehr.49 Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung begrüsst.50 Die neuen Bestimmungen in Artikel 189 Absatz 1 (Sexueller Übergriff) und Artikel 190 Absatz 1 (Vergewaltigung), die ebenfalls unter den 2. Gliederungstitel fallen, schützen nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung bzw. Freiheit, sondern auch die sexuelle Unversehrtheit.51 Damit dies auch im Gliederungstitel abgebildet wird, wird dieser entsprechend ergänzt.

Ausserdem soll neu auch Artikel 188 (Sexuelle Handlungen mit Abhängigen) unter den 2. Gliederungstitel «Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Unversehrtheit» fallen.

Im Ergebnis entspricht dies dem überwiegenden Teil der Lehre, der davon ausgeht, dass der Tatbestand in erster Linie nicht die ungestörte sexuelle Entwicklung, sondern das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Jugendlichen schützen soll.52

3.5

Artikel 188 Sexuelle Handlungen mit Abhängigen

Angesichts der geltenden Altersgrenzen in Artikel 187 («Kind unter 16 Jahren») und 188 («minderjährige Person von mehr als 16 Jahren») wird ein Kind bzw. eine minderjährige Person, das / die genau 16 Jahre alt ist, von keiner dieser Bestimmungen erfasst. Um diese Lücke zu schliessen, wird vorgeschlagen, in Ziffer 1 neu die Formulierung «Wer mit einer minderjährigen Person von mindestens 16 Jahren, die ...» zu verwenden. Diese Präzisierung stiess in der Vernehmlassung auf grosse Zustimmung.53 Weiter soll der Strafrahmen angepasst werden: Nach geltendem Recht beträgt die Höchststrafe in Artikel 188 bei sämtlichen sexuellen Handlungen ­ also auch dem Beischlaf ­ drei Jahre Freiheitsstrafe. In Artikel 190 Absatz 1 (Vergewaltigung ohne 48 49 50 51 52 53

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.5.4.

Maier Philipp, 1994, S. 255 f.; Jenny Guido/Schubarth Martin/Albrecht Peter, 1997, Art. 189 N 1.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.6.

Ziff. 3.6.1.6, Geschütztes Rechtsgut.

Maier Philipp, 2019, Art. 188 N 1 m.w.H.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.8.1.

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Nötigung durch den Täter) hingegen soll die Höchststrafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren betragen.54 Dies erscheint unstimmig. Das Ausnützen einer Abhängigkeit dürfte vom Unrechtsgehalt her gleich schwer wiegen wie das Übergehen des entgegenstehenden Willens (bzw. das Nichteinholen einer Einwilligung). Die Höchststrafe in Artikel 188 soll deshalb auf fünf Jahre Freiheitsstrafe erhöht werden.

Hingegen wird darauf verzichtet, eine Streichung von Artikel 188 vorzuschlagen, obwohl in der Lehre seit Langem die Ansicht vertreten wird, dass er ­ mit Blick auf Artikel 193 (Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit) ­ überflüssig sein dürfte55 und die Streichung in der Vernehmlassung vereinzelt gefordert wurde.56 Eine spezifische Bestimmung für Minderjährige, die sich in einer Abhängigkeit befinden, wird weiterhin als angebracht erachtet.

In Ziffer 2 wird die Privilegierung für den Täter aufgehoben, falls die verletzte Person mit ihm eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist. Zur Begründung wird zunächst auf die Ausführungen zu Artikel 187 verwiesen. Die seinerzeit angebrachte Begründung für diese Privilegierung überzeugt nicht mehr: In der Botschaft vom 26. Juni 198557 war argumentiert worden, je mehr sich das Opfer der Mündigkeit und damit dem normalen Heiratsalter nähere, desto mehr rechtfertige sich diese Strafbefreiung. Auch das damalige Bestreben des Gesetzgebers, der veränderten Beziehung zwischen Täter und Opfer Rechnung zu tragen und die Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft nicht von Anfang an mit einem Strafverfahren zu belasten, überzeugt kaum. Zwar handelt es sich um einen fakultativen Strafbefreiungsgrund, doch ist zu bedenken, dass es bei den Artikeln 188, 192 (Sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten) und 193 unter Ausnützung der Abhängigkeit bzw. Notlage des Opfers zu sexuellen Handlungen kommt. Im Übrigen kann eine Strafbefreiung allenfalls über Artikel 52 (Fehlendes Strafbedürfnis) oder Artikel 53 (Wiedergutmachung) erreicht werden. Die Aufhebung der Privilegierung wurde von der deutlich überwiegenden Anzahl der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst.58

3.6

Artikel 189 Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung Artikel 190 Vergewaltigung

3.6.1

Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1

3.6.1.1

Ausgangslage: Geltendes Recht und Rechtsprechung bezüglich sexueller Nötigung und Vergewaltigung

Gemäss dem Wortlaut des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundesgerichts reicht ein Handeln des Täters / der Täterin alleine gegen den Willen des Opfers nicht,

54 55 56 57 58

Ziff. 3.6.1.6, Strafrahmen.

So u. a. bereits Jenny Guido/Schubarth Martin/Albrecht Peter, 1997, Art. 188 N 1.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.8.1.

BBl 1985 II 1009, hier 1070.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.8.2.

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damit der Tatbestand der (heutigen) sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung als erfüllt erachtet wird. Das Bundesgericht führt aus, nicht jeder beliebige Zwang, nicht schon jedes den Handlungserfolg bewirkende kausale Verhalten, aufgrund dessen es zu einem ungewollten Geschlechtsverkehr, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung komme, stelle eine sexuelle Nötigung dar. Kein ausreichender Druck oder Zwang im Sinne der Artikel 189 und 190 liege beispielsweise vor, wenn ein Mann seiner Frau androhe, nicht mehr mit ihr zu sprechen, alleine in die Ferien zu fahren oder fremdzugehen, falls sie die verlangten sexuellen Handlungen verweigere. Obschon auch diese in Aussicht gestellten Übel das Opfer einer seelischen Belastung aussetzten, erreichten sie die für die Sexualgewaltdelikte erforderliche Intensität nicht.59 Das Ausnützen allgemeiner Abhängigkeits- oder Freundschaftsverhältnisse genüge für sich genommen in der Regel nicht, um einen relevanten psychischen Druck im Sinne von Artikel 189 (oder Artikel 190) zu begründen.60 Verlangt wird eine Nötigungshandlung: Der Täter / die Täterin muss das Opfer zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung nötigen, namentlich indem Gewalt angewendet oder das Opfer bedroht, unter psychischen Druck gesetzt oder zum Widerstand unfähig gemacht wird. Das Bundesgericht legt die Schwelle, ab der es eine Nötigung bejaht, nicht sehr hoch an. In Bezug auf die Anwendung von Gewalt hat es festgehalten, je nach den Umständen könne schon ein verhältnismässig geringer Kraftaufwand ausreichen; erforderlich sei jedoch, dass es dem Opfer unter den gegebenen Umständen und in Anbetracht seiner persönlichen Verhältnisse nicht möglich und zumutbar gewesen sei, sich der Einwirkung zu entziehen.61 Eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gegen bzw. ohne den Willen des Opfers, bei der es nicht genötigt wird (Art. 189 und 190), keine Abhängigkeit oder Notlage ausgenützt wird (Art. 188, 192 oder 193) und das Opfer auch nicht urteilsoder widerstandsunfähig ist (Art. 191), kann heute nach Artikel 198 zweiter Absatz erste Tatvariante als tätliche sexuelle Belästigung bestraft werden, sofern der Täter die sexuelle Handlung am Opfer vornimmt. Es besteht somit keine Strafbarkeitslücke.

Allerdings ist Artikel 198 ein Antragsdelikt und eine Übertretung; die
Sanktion beträgt somit lediglich Busse. Es stellt sich die Frage, ob dies angemessen ist ­ insbesondere dann, wenn es sich um eine intensive sexuelle Handlung wie einen Beischlaf oder eine andere sexuelle Handlung, bei der in den Körper des Opfers eingedrungen wird, handelt.62 Zudem scheitert eine Bestrafung des Täters / der Täterin unter Umständen daran, dass nicht rechtzeitig ein Strafantrag gestellt wurde oder die Tat bereits verjährt ist.

3.6.1.2

Argumente für eine Reform

Im November 2019 reichte Amnesty International bei der Vorsteherin des EJPD eine Petition «Gerechtigkeit für Betroffene sexueller Gewalt» ein, mit der unter anderem

59 60 61 62

BGE 131 IV 167 E. 3.1.

BGE 131 IV 107 E. 2.2.

Urteil des Bundesgerichts 6B_674/2011 vom 13. Februar 2012, E. 3.

Urteil des Bundesgerichts 6B_630/2014 vom 20. Januar 2015.

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gefordert wurde, das Strafgesetzbuch derart zu revidieren, dass alle sexuellen Handlungen ohne Einwilligung angemessen bestraft werden können (Zustimmungs-/ «NurJa-heisst-Ja»-Lösung). Die Petition war von 37 Organisationen und fast 37 000 Personen unterzeichnet worden.63 22 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren schlossen sich der Petition von Amnesty International an.64 Sie erklärten, nicht konsensuale sexuelle Handlungen sollten unabhängig vom Geschlecht des Opfers angemessen bestraft werden können, namentlich solle Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung bestraft werden.

Die von ihnen unterstützte Reform lasse das Prinzip der Unschuldsvermutung völlig unangetastet. Sie führe nicht zu einer Umkehr der Beweislast.65 Im Juni 2020 schliesslich lancierten Amnesty International und über 50 weitere Organisationen und 130 Persönlichkeiten aus Justiz, Politik und Kultur den nationalen «Appell für ein zeitgemässes Sexualstrafrecht». Sie riefen zu einer raschen und umfassenden Gesetzesreform in der Schweiz auf, die einen besseren Schutz vor sexueller Gewalt garantiere.

Es wurde argumentiert, der heutige Vergewaltigungstatbestand gehe von einem stereotypen Sexualdelikt aus, das in keiner Weise der Realität von sexuellen Übergriffen entspreche. Dieses stereotype Delikt gehe vom fremden Täter aus, der das Opfer gewalttätig überfalle und Spuren hinterlasse. Das stereotype Opfer wehre sich, habe Verletzungsspuren und erstatte umgehend Anzeige. Die Realität sehe anders aus: In den meisten Fällen sei die Täterschaft den Betroffenen bekannt und es bestehe ein Vertrauensverhältnis. So geschähen die meisten Übergriffe in zunächst harmlosen Momenten. Zudem sei eine natürliche Reaktion von Betroffenen sexueller Gewalt ein Schockzustand oder eine Lähmung (das sogenannte Freezing). Nur in den wenigsten Fällen sei die Reaktion körperliche Gegenwehr. Das geltende Recht, das ein Nötigungsmittel voraussetze, werde somit der grossen Mehrheit der Übergriffe nicht gerecht. Die meisten Täter müssten keine Gewalt anwenden, da sie die Überforderung des Opfers und das Vertrauensverhältnis ausnützten.

Im Appell wurde weiter ausgeführt, die beantragte Reform führe nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Die Unschuldsvermutung bleibe unangetastet. Es sei weiterhin an der Staatsanwaltschaft zu beweisen, dass die
beschuldigte Person ohne Einwilligung des Opfers gehandelt habe. Weiterhin gelte, dass jede Person unschuldig sei, bis der Staat ihr eine Schuld nachgewiesen habe. Blieben Zweifel am Tathergang, werde der / die Beschuldigte freigesprochen. Die Reform wolle einzig, dass in Fällen, in denen es das Gericht für erwiesen halte, dass sich die beschuldigte Person vorsätzlich

63 64

65

stopp-sexuelle-gewalt.amnesty.ch.

Jürg-Beat Ackermann, Luzern; Nadja Capus, Neuenburg; Ursula Cassani, Genf; Anna Coninx, Luzern; Andreas Eicker, Luzern; Bijan Fateh-Moghadam, Basel; Christopher Geth, Bern; Sabine Gless, Basel; Gunhild Godenzi, Zürich; Marianne Hilf, Bern; Yvan Jeanneret, Genf; Grischa Merkel, Basel; Frank Meyer, Zürich; Martino Mona, Bern; Bertrand Perrin, Fribourg; Mark Pieth, Basel; Ineke Pruin, Bern; Nicolas Queloz, Fribourg; Christian Schwarzenegger, Zürich; Bernhard Sträuli, Genf; Sarah Summers, Zürich; Jonas Weber, Bern.

«Übergriffe angemessen bestrafen», Der Bund vom 3. Juni 2019.

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über den Willen des Opfers hinweggesetzt habe, eine angemessene Bestrafung möglich sei. Das sei derzeit nicht immer der Fall.66

3.6.1.3

Argumente gegen eine Reform

Es gab allerdings auch Stimmen, die sich gegen eine Revision in diesem Sinne aussprachen. So äusserten sich 32 auf Strafrecht spezialisierte Anwältinnen und Anwälte kritisch.67 Sie erachteten die geforderte Revision als nicht notwendig. Befürchtet wurden vielmehr eine Umkehr der Beweislast und eine Verletzung der Unschuldsvermutung.

Eine der Unterzeichnerinnen, die Strafverteidigerin Tanja Knodel, erklärte, bei einer Strafandrohung wie bei der Vergewaltigung brauche es mehr als bloss ein plausibles Darlegen eines «Nein». Aus ihrer Sicht müsse die Nötigung im Straftatbestand der Vergewaltigung oder der sexuellen Nötigung daher zwingend vorliegen. Müsse das potentielle Opfer die Nötigung schildern, könne man nach Realitätskriterien suchen.

Genüge ein blosses «Nein» für die Erfüllung des Tatbestands, sei dies nicht möglich.

Damit würden die Verteidigungsmöglichkeiten von Beschuldigten ausgehebelt.68 Tanja Knodel meinte weiter, schon nach dem geltenden Sexualstrafrecht sei ein Nein ein Nein. Die in der laufenden Diskussion vorgeschlagene Änderung sei unnötig und wecke falsche Hoffnungen. Sex müsse einvernehmlich sein; sonst liege eine Straftat vor. Nicht einvernehmlicher Sex beinhalte immer eine Form von Nötigung. Es gehe gar nicht anders. Wenn der eine Sexualpartner «Nein» sage, und der andere nehme sich den Sex trotzdem, dann werde mittels Gewalt oder mit psychischem Druck eine Grenze überschritten. Das könne ein Festhalten sein, vielleicht seien es verbale Äusserungen; auf jeden Fall setze sich jemand über den Willen des anderen, über das «Nein», hinweg, in irgendeiner Form. Zwischen dem Nein-Sagen und der dennoch vollzogenen sexuellen Handlung passiere etwas.69 Zwei weitere Unterzeichnende, Laura Jetzer und Diego R. Gfeller, führten unter anderem ebenfalls aus, die Revision wecke falsche Erwartungen. Ein neues Gesetz ändere nichts an den Beweisschwierigkeiten solcher Strafverfahren. Weder würden Opfer besser vor sexuellen Übergriffen geschützt, noch dürften sie auf mehr Verurteilungen hoffen. Auch inskünftig würden sie sich im Rahmen von Einvernahmen die Frage gefallen lassen müssen, wie es denn weitergegangen sei nach einem kommunizierten Nein.70 Ablehnend äusserte sich ausserdem der ehemalige Bundesrichter Hans Wiprächtiger.

Er hielt zusammenfassend fest, ein paternalistischer Schutz durch
den Staat für gesunde, erwachsene und selbstbestimmungsfähige Menschen sei nicht nötig. Im Weiteren sei zu befürchten, dass der Beschuldigte in Zukunft bei Sexualdelikten seine 66 67 68 69 70

www.stopp-sexuelle-gewalt.ch.

«Professorale Fake News zum Sexualstrafrecht», TagesAnzeiger vom 22. Juni 2019.

Knodel Tanja/Scheidegger Nora, 2019, S. 6 ff.

«Wollen die Anwälte, dass Vergewaltiger ohne Strafe bleiben?», Republik vom 12. Juli 2019.

Gastkommentar von Jetzer Laura/GfellerDiego R., «Die Revision weckt falsche Erwartungen», Neue Zürcher Zeitung vom 31. Januar 2020.

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Unschuld beweisen müsse, was sämtlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspreche. Eine derartige Ausweitung des Strafrechts würde zu vielen Fehlurteilen führen und sei deshalb abzulehnen.71

3.6.1.4

Vorentwurf und Ergebnisse der Vernehmlassung

Vorentwurf Der Vorentwurf hatte vorgesehen, dem Anliegen der Petition von Amnesty International und des nationalen «Appells für ein zeitgemässes Sexualstrafrecht» mit einem separaten Tatbestand mit dem Randtitel «Sexueller Übergriff» zu entsprechen (Art. 187a Abs. 1 erste Tatvariante VE-StGB). So sollte mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wer gegen den Willen einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt. Die Kommission entschied sich somit für eine Variante der Ablehnungs-/ «Nein-heisst-Nein»-Lösung.

Die Bestimmung sollte als Offizialdelikt ausgestaltet werden. Eine Aufnahme der Bestimmung in die Deliktskataloge von Artikel 55a (Sistierung und Einstellung des Verfahrens. Ehegatte, eingetragene Partnerin, eingetragener Partner oder Lebenspartner als Opfer) und Artikel 66a Absatz 1 Buchstabe h (Obligatorische Landesverweisung) war nicht vorgesehen. Hingegen sollte die Bestimmung in die Deliktskataloge beim Tätigkeitsverbot (Art. 67), der Verfolgungsverjährung (Art. 97 Abs. 2) sowie der Unverjährbarkeit (Art. 101 Abs. 1 Bst. e) aufgenommen werden.

Die Kommission verzichtete bewusst darauf, eine Variante der in der Öffentlichkeit ebenfalls diskutierten Zustimmungs-/ «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung, bei der die Person ausdrücklich oder konkludent ihre Einwilligung zur sexuellen Handlung erteilen muss, vorzuschlagen.

Ergebnisse der Vernehmlassung Die vorgeschlagene Bestimmung wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich skeptisch oder ablehnend aufgenommen. Ausschliesslich auf die Kantone bezogen ergab sich folgendes Bild: 17 Kantone befürworteten die Ablehnungslösung, 8 Kantone die Zustimmungslösung. 16 Kantone sprachen sich für einen separaten Tatbestand aus, 9 Kantone waren dagegen und verlangten eine Aufnahme der Regelung in Artikel 189 und 190. Bei den Parteien befürwortete eine Mehrheit die Zustimmungslösung und eine Aufnahme der Regelung in Artikel 189 und 190 bzw. die Schaffung eines einheitlichen Tatbestands in Artikel 190.

Zwei Vernehmlassungsteilnehmende fanden, dass es gar keine neue Regelung brauche.72

71 72

Wiprächtiger Hans, 2020, S. 924 ff.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.7.1.

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3.6.1.5

Haltung der Kommission

Kommissionsmehrheit Die Mehrheit der Kommission befürwortet die Einführung der Ablehnungslösung, gemäss der bestraft wird, wer gegen den Willen einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt. Sie ist der Ansicht, dass diese besser in das bestehende System des Sexualstrafrechts passt.

Die Ablehnungslösung geht davon aus, dass ein Sexualkontakt in aller Regel im gegenseitigen Einverständnis erfolgt und nicht als unwillkommener Übergriff empfunden wird ­ es sei denn, eine der beteiligten Personen macht das Gegenteil deutlich.

Dies ist eine realistischere und positivere Sichtweise als diejenige, die die Zustimmungslösung vermittelt: Bei dieser gilt jeder Sexualkontakt zwischen zwei Personen grundsätzlich als unerwünscht und somit als gegenseitiger Übergriff. Erst die Einwilligung des Gegenübers macht daraus eine legale sexuelle Handlung. Diese Sichtweise erscheint im Vergleich beispielsweise zur Körperverletzung oder zum Gewahrsamsbruch beim Diebstahl unstimmig, weil diese in aller Regel unerwünscht sind und erst durch eine Einwilligung rechtmässig werden. Mit der Zustimmungslösung würden sexuelle Handlungen und Körperverletzungen in ihrer sozialen Bedeutung letztlich gleich gewertet.

Die Mehrheit der Kommission ist der Auffassung, dass die Ablehnungslösung mehr Klarheit bringt als die Zustimmungslösung, namentlich da bei letzterer ein «Ja» auch konkludent zum Ausdruck gebracht werden könnte.73 Ein konkludentes «Nein» ­ also ein Kopfschütteln, eine abwehrende Geste oder Weinen ­ erscheint objektiv betrachtet für das Gegenüber deutlicher erkennbar als ein konkludentes «Ja». Selbst bei einem klar geäusserten «Ja» ist nicht sicher, dass dieses frei von einem Irrtum ist.74 Schwierigkeiten bereiten ambivalente Situationen, etwa wenn eine Begegnung zunächst einvernehmlich abläuft. In solchen Situationen muss der Meinungsumschwung auch bei einer Zustimmungslösung entweder durch ein explizites «Nein» oder durch ein eindeutiges konkludentes ablehnendes Verhalten zum Ausdruck gebracht werden.

Nur dann kann dem Täter ein Vorsatz zu einem sexuellen Übergriff (Art. 189 Abs. 1) oder einer Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1) nachgewiesen werden. Vereinfacht ausgedrückt kann die Zustimmungslösung je nach Situation zur Ablehnungslösung mutieren.

Die mit der Zustimmungslösung
verbundene Erwartung, dass das Opfer weniger stark im Fokus der Beweisführung stehen bzw. dass es nicht mehr darum gehen würde, wie sich ein Opfer vor und während des Übergriffs verhalten hat, ist nach Ansicht der Mehrheit der Kommission zu relativieren. Bei «Vier-Augen-Delikten» («Aussage gegen Aussage»-Konstellationen) liegt der Fokus zwangsläufig auf den Aussagen und den persönlichen Eindrücken der beteiligten Personen; insbesondere dann, wenn keine Gewaltspuren vorliegen. Entsprechend kann sich die Erwartung, dass Opfer bei einer Zustimmungslösung im Strafverfahren weniger psychisch belastet werden, kaum erfüllen. Weil die Zustimmung auch konkludent geäussert werden könnte, 73 74

Siehe auch Pruin Ineke, 2021, S. 129 ff., insb. Ziff. IV. 2. und V.

Dies gilt zwar auch bei einem «Nein», allerdings ist dann die Folge ­ nämlich, dass es zu keiner sexuellen Handlung kommt ­ deutlich weniger schwerwiegend.

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müsste ein Opfer weiterhin darlegen, wie es sich verhalten und woran die beschuldigte Person erkannt hat, dass es die sexuelle Handlung nicht wollte. Es würde auch weiterhin gefragt, weshalb es sich nicht gewehrt habe oder weggegangen sei, schon nur um abzuklären, ob es von der Tatperson genötigt wurde oder nicht. Nur ein hinreichend geklärter Sachverhalt kann Grundlage für eine Anklage bzw. für eine Verurteilung bilden. Ansonsten müssten rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung oder die Beweislastregel «in dubio pro reo» aufgegeben werden.

Kommissionsminderheit Die Minderheit der Kommission (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara) hingegen fordert die Einführung der Zustimmungslösung, gemäss der bestraft wird, wer ohne die Einwilligung einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt. Sie macht geltend, dass die Schweiz nur mit dieser Lösung die Anforderungen gemäss Artikel 36 der Istanbul-Konvention75 erfüllen und damit jene Situationen erfassen könne, bei denen sich das Opfer in einem Schockzustand befindet, ohne dass es genötigt wurde oder seine Ablehnung zum Ausdruck bringen konnte. Sie ist ausserdem der Ansicht, dass damit ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal gesetzt würde. Es solle bekräftigt werden, dass die Gesellschaft bestimmte Verhaltensweisen nicht toleriere, und klargestellt werden, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung betrachtet werde. Mit der Zustimmungslösung werde der Fokus nicht auf das Verhalten des Opfers, sondern auf dasjenige der Tatperson gelegt. Das Opfer solle nicht für das verantwortlich gemacht werden, was ihm zugestossen sei, und sich nicht schuldig fühlen, weil es nicht deutlich genug ein «Nein» gesagt oder sonstwie seine Ablehnung gezeigt habe. Mit der Zustimmungslösung würden die Beteiligten an einer sexuellen Handlung verpflichtet, sich zu erkundigen, ob das Gegenüber damit einverstanden sei. Somit sei die Einwilligung das entscheidende Element. Der Begriff der Einwilligung sei dem Strafgesetzbuch nicht fremd, sondern komme in verschiedenen Bestimmungen vor, so beispielsweise bei den strafbaren Handlungen gegen den Geheim- oder Privatbereich (Art. 179 ff.). Die Einwilligung könne sowohl ausdrücklich wie auch konkludent erteilt werden bzw. sich aus den gesamten Umständen
der Situation ergeben.

Die Minderheit der Kommission bringt weiter vor, die Zustimmungslösung hätte keine Umkehr der Beweislast zur Folge und würde auch die Unschuldsvermutung nicht verletzten, obwohl dies gelegentlich geltend gemacht werde. Die Beweislast würde weiterhin bei der Staatsanwaltschaft liegen. Diese müsse nachweisen, dass keine Einwilligung vorgelegen habe und die beschuldigte Person um die fehlende Zustimmung gewusst oder dies zumindest in Kauf genommen habe.

3.6.1.6

Die vorgeschlagenen Neuregelungen

Die folgenden Ausführungen gelten grundsätzlich sowohl für die Ablehnungs- als auch für die Zustimmungslösung. Abweichungen werden gesondert erwähnt.

75

Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention, IK); SR 0.311.35.

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Neustrukturierung und Änderung des Randtitels von Artikel 189 Da es sich bei der neuen Regelung um den Grundtatbestand der heutigen sexuellen Nötigung (Art. 189) und der Vergewaltigung (Art. 190) handelt, wird sie ­ entsprechend der Art der sexuellen Handlung, die vorgenommen wird76 ­ jeweils in Absatz 1 der bestehenden Artikel 189 und 190 eingeordnet. Die bisherigen Absätze 1 dieser Bestimmungen, gemäss denen das Opfer zu einer sexuellen Handlung genötigt wird, verschieben sich somit in die Absätze 2.

Der Randtitel von Artikel 189 lautet neu «Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung». Damit soll aufgezeigt werden, dass durch den Verzicht auf ein Nötigungsmittel der Anwendungsbereich von Artikel 189 ausgedehnt und in Absatz 1 ein neuer Grundtatbestand geschaffen wird. Gleichzeitig soll aus dem Randtitel hervorgehen, dass bei den Tathandlungen nach den Absätzen 2 und 3 ein Nötigungsmittel eingesetzt wird.

In Artikel 190 hingegen wird der Randtitel «Vergewaltigung» beibehalten. Dies bedeutet, dass nicht nur mehr der Beischlaf, sondern auch eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, neu als «Vergewaltigung» benannt wird, und zwar unabhängig davon, ob das Opfer genötigt wurde oder nicht. Dies entspricht einer in der Vernehmlassung vielfach geäusserten Forderung.77 Geschütztes Rechtsgut Artikel 189 Absätze 2 und 3 sowie Artikel 190 Absätze 2 und 3 schützen die sexuelle Selbstbestimmung bzw. Freiheit.78 Die Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung bzw. dessen Möglichkeit, nach seinem eigenen Willen zu handeln, wird hier aufgehoben, indem der Täter als Tatmittel eine Nötigung (z. B. Gewalt oder Drohung) einsetzt.79 Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 erweitern diesen Schutz. In einer typischen «Nein-heisst-Nein»-Situation setzt sich der Täter (eventual-) vorsätzlich und ohne ein besonderes Tatmittel anzuwenden über den ablehnenden Willen des Opfers hinweg. Das Opfer muss nur seinen ablehnenden Willen äussern; sonst muss es nichts weiter tun. Es muss sich nicht wehren und nicht weggehen, obwohl dies in diesen Konstellationen grundsätzlich möglich wäre. Der Grund, warum das Opfer nicht weggeht, liegt nicht im Verhalten des Täters. Dieser missachtet zwar den Willen des Opfers, von sexuellen Handlungen verschont zu bleiben, er hindert es
aber nicht, sich vom Tatort zu entfernen. Die Möglichkeit des Opfers, seinen eigenen Willen durchzusetzen, bleibt (grundsätzlich) während des gesamten Vorgangs bestehen. Die neuen Bestimmungen schützen somit nicht die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung.

Sie schützen vielmehr die Achtung der Willensentscheidung einer Person in sexueller Hinsicht, das heisst die sexuelle Unversehrtheit (psychisch wie physisch) an sich. Wie

76 77 78 79

Siehe Ziff. 3.6.3.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.7.1.1.

Statt vieler: Siehe Maier Philipp, 2019, Art. 189 N 1 und Art. 190 N 1.

Die sexuelle Selbstbestimmung wird ausserdem verletzt, wenn der Täter die Möglichkeit des Opfers, nach seinem eigenen Willen zu handeln, durch Überraschung oder durch das Ausnützen einer Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit, einer Abhängigkeit oder einer Notlage beeinträchtigt.

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die sexuelle Selbstbestimmung ist auch die sexuelle Unversehrtheit ein Aspekt des Persönlichkeitsrechts.80 Zur Frage, warum sich ein Opfer nicht weitergehend wehrt, obwohl es nicht genötigt wird und auch kein Abhängigkeitsverhältnis, keine Notlage und keine Urteils- bzw.

Widerstandsunfähigkeit vorliegen, führt Hörnle aus: «Es ist ein Bündel von unterschiedlichen Hintergründen und Beweggründen denkbar, die junge und auch erwachsene Frauen (und sicherlich auch Männer) dazu bringen können, nach Äusserung des entgegenstehenden Willens zu kapitulieren und sexuelle Handlungen über sich ergehen zu lassen (oder sogar Handlungsanweisungen zu befolgen). Es wäre abwegig anzunehmen, dass alle Menschen immer in geistesgegenwärtiger Weise situationsangemessen und effektiv ihre Interessen verteidigen können. Durchsetzungskraft kann temporär (z. B. wegen Trunkenheit) oder wegen der Persönlichkeitsstruktur der betroffenen Person geschwächt sein. Scheue, gehemmte oder unreife Menschen müssen nicht durch Nötigungsmittel oder Angst vor Körperverletzung daran gehindert werden, sich den Ansinnen oder den Befehlen anderer nachhaltiger zu widersetzen, wenn für das Gegenüber verbaler Protest, Weinen und sichtbares Leiden kein Hinderungsgrund sind. Eine grosse Altersdifferenz oder ein diffuses (nicht spezifisch auf Furcht vor Gewalt beruhendes) Gefühl der sozialen oder psychischen Unterlegenheit kann daran hindern, sich gegenüber dominant auftretenden Personen durchzusetzen.»81 Bei der von einer Kommissionsminderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara) geforderten Zustimmungslösung ginge dieser Schutz noch weiter, da hier das Opfer überhaupt nichts tun müsste, also auch keinen ablehnenden Willen äussern.

In einer Stealthing-Konstellation (siehe sogleich Objektiver Tatbestand; Exkurs: Stealthing) ist das geschützte Rechtsgut ebenfalls die sexuelle Unversehrtheit.

Bei einem überraschenden sexuellen Übergriff (siehe sogleich Objektiver Tatbestand; Exkurs: Überraschende sexuelle Übergriffe) hingegen ist das geschützte Rechtsgut die sexuelle Selbstbestimmung. Durch das überraschende Vorgehen verhindert der Täter, dass das Opfer nach seinem eigenen Willen handeln kann.

Objektiver Tatbestand Von den neuen Bestimmungen erfasst werden sexuelle Übergriffe, bei denen der Täter / die Täterin das Opfer nicht nötigt
(Art. 189 Abs. 2 und 3 bzw. Art. 190 Abs. 2 und 3), nicht im Sinne von Artikel 191 (Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person) missbraucht, nicht täuscht (Art. 193a) und auch keine Abhängigkeit oder Notlage ausnützt (Art. 188 und 193). Nicht erfasst werden hingegen wenig erhebliche Übergriffe: Diese fallen als tätliche sexuelle Belästigungen weiterhin unter Artikel 198 zweiter Absatz erste Tatvariante. Der Anwendungsbereich des geltenden Artikel 198 zweiter Absatz erste Tatvariante wird mit den neuen Bestimmungen stark eingeschränkt und es wird sich eine neue Rechtsprechung entwickeln und etablieren.

80 81

Zum insofern vergleichbaren deutschen StGB siehe Hoven Elisa/Weigend Thomas, 2017, S. 182 ff., 183 f.

Hörnle Tatjana, 2015, S. 211 f.

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Konkret werden vom neuen Absatz 1 in Artikel 189 und 190 namentlich Konstellationen erfasst, in denen es als erwiesen erachtet wird, dass sich der Täter / die Täterin (eventual-) vorsätzlich über den entgegenstehenden, verbal und / oder nonverbal geäusserten Willen des Opfers hinweggesetzt und an ihm eine sexuelle Handlung vorgenommen, es aber nicht im Sinne von Artikel 189 Absatz 2 und / oder Artikel 190 Absatz 2 genötigt hat. In derartigen Fällen ergeht heute eine Einstellung des Verfahrens oder ein Freispruch vom Vorwurf der sexuellen Nötigung und / oder Vergewaltigung.82 Eine nonverbale Ablehnung kann beispielsweise durch Weinen, sich Abwenden / Wegdrehen und / oder Kopfschütteln ausgedrückt werden.

In aller Regel wird der Täter / die Täterin die sexuelle Handlung am Opfer vornehmen.

Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine bedrängte Person eine sexuelle Handlung (am Täter) vornimmt. Allerdings dürfte es in solchen Konstellationen oftmals schwierig sein zu beweisen, dass der Täter erkannt hat, dass die Person ­ obwohl sie aktiv wurde ­ gegen ihren Willen handelte.

Bei der von der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara) geforderten Zustimmungslösung macht sich strafbar, wer ohne die ausdrückliche oder konkludente Einwilligung einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt. Von der Formulierung «ohne Einwilligung» erfasst würden auch überraschende sexuelle Übergriffe und Stealthing-Konstellationen (siehe sogleich) sowie Tathandlungen gemäss dem Tatbestand «Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung» (Art. 193a). Dieser Tatbestand müsste somit nicht gesondert geregelt werden.83 Schliesslich würde die zweite Tatbestandsvariante bei Artikel 191 (Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person), bei welcher der Täter eine zum Widerstand unfähige Person missbraucht, obsolet und könnte gestrichen werden.84 Exkurs: Überraschende sexuelle Übergriffe Ebenfalls vom neuen Absatz 1 in Artikel 189 und 190 erfasst werden sexuelle Übergriffe, die der Täter überraschend am Opfer vornimmt, die von diesem nicht gewollt sind und die eine über eine sexuelle Belästigung hinausgehende Intensität aufweisen.

Nach geltendem Recht werden überraschend vorgenommene sexuelle Handlungen entweder als Missbrauch einer
urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person (Art. 191) oder als tätliche sexuelle Belästigung (Art. 198 zweiter Absatz erste Tatvariante) bestraft. Eine Bestrafung lediglich als sexuelle Belästigung erscheint allerdings dann unbillig, wenn am Opfer eine erhebliche sexuelle Handlung vorgenommen wird, selbst wenn diese nur kurz dauert. So konnte ein Täter, der in einem Freizeitbad zwei Frauen massiv in ihrer sexuellen Integrität verletzt hatte, nur mit einer Busse bestraft werden. Er hatte in einem Becken einen Sturz vorgetäuscht, dabei mit seiner rechten Hand in die Badehose der ersten Frau gegriffen und während zwei bis

82 83 84

Siehe auch Scheidegger Nora/Lavoyer Agota/Stalder Tamara, 2020, S. 57 ff.; Urteil des Bundesgerichts 6B_912/2009 vom 22. Februar 2010.

Zur Begründungen siehe Ziff. 3.10.1.

Zur Begründung siehe Ziff. 3.7.5.

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drei Sekunden ihre Schamlippen betastet, bis diese seine Hand aus der Badehose ziehen konnte. Kurze Zeit später näherte sich der Täter von hinten tauchend der zweiten Frau, zog ihre Badehose zur Seite und führte mindestens einen Finger in ihre Scheide ein.85 Geht der Täter / die Täterin überraschend vor, so hat das Opfer zwar keine Gelegenheit, einen entgegenstehenden Willen zu äussern. Bis es diesen geäussert hat, ist der Übergriff unter Umständen bereits vorbei. Allerdings kann sich der entgegenstehende Willen des Opfers auch aus den Umständen ergeben. Um dies zu beurteilen, müssen der Rahmen und die Situation, in denen der Täter gehandelt hat, berücksichtigt werden (Sozialadäquanz, Einwilligung). Die Umstände haben Auswirkungen auf die Beurteilung, ob der Täter (eventual-) vorsätzlich gehandelt hat oder nicht. Dass die überraschenden sexuellen Handlungen für die betroffenen Frauen im oben genannten Fall im Freizeitbad unerwünscht und damit gegen ihren Willen waren, ist offensichtlich.

Geschieht die überraschende sexuelle Handlung hingegen in einem Nachtclub unter zwei Personen, die während längerer Zeit miteinander getanzt und geflirtet, sich umarmt und geküsst haben, ist dies nicht mehr so klar. In einer Paarbeziehung schliesslich kann eine überraschende sexuelle Handlung durchaus erwünscht sein und auf einer stillschweigenden Abmachung beruhen (und ist in dem Sinne nur bedingt überraschend, aber immerhin).

In der Vernehmlassung war eine ausdrückliche Regelung von überraschenden sexuellen Übergriffen vorgeschlagen worden (Art. 187a Abs. 1 zweite Tatvariante VE-StGB). Diese wurde von den wenigen Teilnehmenden, die sich dazu geäussert hatten, grundsätzlich begrüsst.86 Auch wenn nun auf eine separate Regelung verzichtet wird, so wird doch dem Grundgedanken dieses Vorschlages ­ nämlich, dass intensive überraschende sexuelle Übergriffe in Zukunft strenger bestraft werden können ­ weiterhin Rechnung getragen.

Bei der von der Kommissionsminderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)87 geforderten Zustimmungslösung werden unerwünschte überraschende sexuelle Übergriffe ebenfalls von Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 erfasst, da keine Einwilligung vorliegt.

Exkurs: Stealthing Stealthing liegt vor, wenn der Täter88 während der grundsätzlich einvernehmlichen sexuellen Handlung
heimlich das Kondom auszieht oder von Anfang an keines verwendet, obwohl das Opfer auf die Verwendung des Kondoms bestanden und der Täter dieser Bedingung (scheinbar) zugestimmt hat. Es handelt sich somit um ein abredewidriges Verhalten, das direkt mit der Modalität der Vornahme der sexuellen Handlung verbunden ist.

85 86 87 88

Urteil des Bundesgerichts 6B_630/2014 vom 20. Januar 2015.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.7.2.

Ziff. 3.6.1.5.

Männer können in homosexuellen Beziehungen Opfer von Stealthing werden, und Frauen können in seltenen Konstellationen Täterin eines Stealthing sein, wenn sie abredewidrig kein Femidom verwenden.

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Ein Kondom dient sowohl der Verhütung von Schwangerschaften als auch der Verhütung der Übertragung von Krankheiten. Schwangerschaften und insbesondere die Übertragung von Krankheiten sind mögliche Folgen, die mit vielen sexuellen Handlungen untrennbar verbunden sind. Sexuelle Handlungen sind also mit Blick auf unerwünschte Schwangerschaften oder mögliche Krankheiten risikobehaftete Handlungen.

Einigt man sich mit einer anderen Person über die Vornahme sexueller Handlungen, bildet man bezüglich dieser Folgen eine Art Risikogemeinschaft: Besteht ein Konsens, gewisse Risiken des sexuellen Kontakts zu vermeiden, darf sich jede Person darauf verlassen, dass die andere Person sie gemäss Abmachung nicht diesen Risiken aussetzt. In diesem Sinne besteht eine Pflicht zur Rücksichtnahme bzw. wird eine gewisse Verantwortung übernommen. Die Zusage zur Verwendung eines Kondoms enthält danach im Kern eine Schutzzusage bei der Vornahme der sexuellen Handlung.89 Man kann somit argumentieren, dass der ungeschützte und der mittels Kondom geschützte Geschlechtsverkehr zwei verschiedene Arten von sexuellen Handlungen sind. Verhält sich eine Person diesbezüglich abredewidrig, ist die zuvor erteilte Einwilligung unwirksam.

Die Einwilligung in eine sexuelle Handlung mit Kondom deckt somit dieselben Handlungen ohne Kondom nicht ab. Dies ist also strafbar und wird vom Tatbestandsmerkmal «gegen den Willen» erfasst.90 Eine sexuelle Handlung, bei der der Partner entgegen der Vereinbarung heimlich ein Kondom überstreift, ist hingegen nicht strafbar, weil keine Schutzzusage verletzt wird: Die andere Person wird dadurch keinem Risiko ausgesetzt.

Meinungen in der Lehre sehen den Strafgrund auch darin, dass das Kondom die Intensität bzw. Intimität der sexuellen Handlung verändere und somit eine sexuelle Handlung mit Kondom eine völlig andere sexuelle Handlung darstelle als eine solche ohne Kondom: Es komme zu direktem Haut-zu-Haut-Kontakt und zum Austausch von Körperflüssigkeiten.91 Es bestehe mithin ein Unterschied wie zwischen Vaginalverkehr und Analverkehr.92 Eine gewisse Relativierung dieses Arguments ergibt sich

89 90

91

92

Siehe auch Fischer Thomas, 2020, § 177 N 2c.

Herzog Felix, 2018, S. 351 ff., 353 und 356 f. und Wissner Andres, 2021, S. 279 ff., 283 (m.w.N.); a. A. Göhlich Carola, 2019, S. 522 ff., 526, die hier Körperverletzungsdelikte als einschlägig erachtet und Meier Markus J./Hashemi Jasmin, 2020, S. 119 ff., 123 f.

Zum insofern vergleichbaren deutschen Strafrecht siehe Fischer Thomas, 2020, § 177 N 2c und Hoven Elisa, 2020, S. 578 ff., 580 f. Weitere Nachweise zu Praxis und Schrifttum bei Denzel Moritz/Kramer da Fonseca Calixto Renato, 2019, S. 347 ff.

El-Ghazi Mohamad, 2019, S. 675 ff., 680 f. und (ohne Begründung) Hörnle Tatjana, ZStW 2015, S. 851 ff., 881. Fischer Thomas, 2020, § 177 N 2c erwägt, dies als relevantes Motiv für die Gültigkeit der Einwilligung zu qualifizieren, wenn dieser Aspekt ausdrücklich thematisiert worden sei.

El-Ghazi Mohamad, 2019, S. 675 ff., 680.

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aus Schilderungen betroffener Personen. Diese hatten nämlich erst nach der Ejakulation bemerkt, dass sie Opfer eines Stealthings geworden waren.93 In aller Regel wird der Täter die sexuelle Handlung am Opfer vornehmen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Täter eine sexuelle Handlung vornehmen lässt und das Opfer z. B. wegen einer Augenbinde oder Alkohol- / Drogenkonsums nicht bemerkt, dass er das Kondom entfernt hat.

Bei der von der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)94 geforderten Zustimmungslösung werden Stealthing-Konstellationen ebenfalls von Artikel 190 Absatz 1 erfasst, da keine ausdrückliche oder konkludente Zustimmung zur Entfernung des Kondoms vorliegt. Es kann auf das vorstehend Ausgeführte verwiesen werden.

Exkurs: Schockzustand des Opfers Von den Befürwortenden einer Sexualstrafrechtsreform wurde ­ auch in der Vernehmlassung95 ­ geltend gemacht, eine natürliche Reaktion von Betroffenen sexueller Gewalt sei ein Schockzustand oder eine Lähmung. Nur in den wenigsten Fällen sei die Reaktion körperliche Gegenwehr. Das geltende Recht, das ein Nötigungsmittel voraussetze, werde somit der grossen Mehrheit der Übergriffe nicht gerecht. Die meisten Täter müssten keine Gewalt anwenden, da sie die Überforderung des Opfers und das Vertrauensverhältnis ausnützten.

Der oben erwähnte Schockzustand wird als «Freeze / Freezing» oder als «tonische Immobilität» bezeichnet. In der Fachliteratur wird dazu Folgendes ausgeführt: «In bedrohlichen Situationen sind wir zunächst biologisch gut darauf vorbereitet, uns entweder zu wehren () oder die Flucht zu ergreifen (). Wenn jedoch keine der beiden Reaktionen möglich oder erfolgsversprechend ist, bleiben uns immer noch die Möglichkeit des Totstellens und der Erstarrung () sowie das innere Aussteigen aus der Situation (peritraumatische Dissoziation). Freeze bedeutet Einfrieren in einer Lähmungsreaktion.»96 In den von der Kommission durchgeführten Anhörungen wurde ausgeführt, dieses Phänomen sei bekannt, es bestehe aber noch Klärungsbedarf, ob es wirklich in der teilweise dargestellten Häufigkeit auftrete. Gemäss einer Untersuchung gebe es eine

93

94 95 96

Siehe die Schilderungen von Betroffenen z. B in «Isabells Sexpartner hat heimlich das Kondom abgezogen», Spiegel Panorama vom 12. April 2020, «Stealthing: Warum Männer das Kondom heimlich abziehen», P.S. Zeitung vom 6. März 2020 oder «Heimlich das Kondom abgezogen: Betroffene erzählen von Stealthing», VICE vom 8. Januar 2020.Verschiedene der geschilderten Fälle erfüllen das Merkmal der Heimlichkeit bzw. der Täuschung nicht, weshalb es sich nicht um Stealthing-Fälle handelt.

Ziff. 3.6.1.5.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.7.7.1.

Beckrath-Wilking Ulrike/Biberacher Marlene/Dittmar Volker/Wolf-Schmid Regina, 2013, S. 53.

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Frequenz von 70 %, aber es gebe noch keine breite Datenbasis, die erwarten lasse, dass das «Freezing» zwangsläufig in dieser Höhe vorkomme.97 Angesichts der mangelnden validen Datenbasis sollte die Entscheidung für die Zustimmungs- oder die Ablehnungslösung nicht von den «Freezingfällen» abhängig gemacht werden. Es können kaum zuverlässige, das heisst wissenschaftlich gesicherte Aussagen dazu gemacht werden, wie intensiv ­ das heisst nötigend oder nicht nötigend im Sinne des Gesetzes ­ eine Einwirkung auf eine Person sein muss, damit diese in ein «Freezing» gerät, und wie sie sich in der Folge verhält. Es ist weiter zu bedenken, dass «Freezingfälle» nach einer massiven Drohung oder beim Einsatz von Gewalt nicht die Fälle sind, deren Bestrafung im geltenden Recht Mühe bereiten. Andererseits kann jemand infolge eines Übergriffs (nicht nur sexueller Art, sondern z. B.

auch bei einem Raub oder einer Körperverletzung) auch erstarren, ohne dass es sich um ein «Freezing» im eigentlichen, medizinischen Sinne handelt. So oder so muss abgeklärt werden, wie derartige Reaktionen strafrechtlich erfasst werden können. In der Folge wird der Ausdruck «Schockzustand» als Oberbegriff verwendet: ­

Wird das Opfer nicht genötigt und kann es ein «Nein» äussern oder seinen ablehnenden Willen auf andere Weise kundtun, bevor es in einen Schockzustand gerät, so ist sowohl die Ablehnungs- wie auch die Zustimmungslösung zielführend. Das heisst, derartige Konstellationen werden ­ grundsätzlich ­ von Artikel 189 Absatz 1 bzw. Artikel 190 Absatz 1 erfasst.

Bei der Ablehnungslösung kann ausserdem Artikel 191 (Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person) zur Anwendung gelangen bzw. vorgehen. Der Täter verursacht zwar durch sein Verhalten ­ oder allenfalls alleine durch seine Präsenz ­ die Widerstandsunfähigkeit des Opfers, dies in aller Regel jedoch nicht absichtlich und insbesondere nicht durch Zwang (ansonsten käme Art. 189 Abs. 2 oder Art. 190 Abs. 2 zur Anwendung). Das Opfer ist aufgrund des Schockzustandes physisch ­ allenfalls in Kombination mit psychischen Elementen98 ­ nicht mehr in der Lage, sich gegen den sexuellen Übergriff zu wehren. Nützt der Täter diese Widerstandsunfähigkeit (eventual-) vorsätzlich aus, macht er sich nach Artikel 191 strafbar.99

­

97

98

99

Situationen, in denen das Opfer nicht genötigt wird und ihm vor dem Schockzustand keine Willensäusserung mehr möglich ist, können bei der Ablehnungslösung ebenfalls von Artikel 191 erfasst werden.

Für eine schwedische Studie aus dem Jahr 2017 wurden 298 Frauen, die innerhalb eines Monats nach dem Übergriff eine auf vergewaltigte Frauen spezialisierte Notfallklinik in Stockholm aufgesucht hatten, befragt. Davon gaben 70 % an, sie hätten während des Übergriffs eine erhebliche tonische Immobilität erlebt, 48 % berichteten von einer extremen tonischen Immobilität («Of the 298 women, 70 % reported significant tonic immobility and 48 % reported extreme tonic immobility during the assault»); Möller Anna/Söndergaard Hans Peter/Helström Lotti, 2017, S. 932­938.

Trechsel Stefan/Bertossa Carlo, 2018, Art. 191 N 1 führen mit Verweis auf BGE 119 IV 233 aus, dass die Widerstandsunfähigkeit gelegentlich mit einer Kombination von physischen und psychischen Elementen begründet werde.

Die Umsetzung der Zustimmungslösung würde dazu führen, dass in Art. 191 das Tatbestandsmerkmal der Widerstandsunfähigkeit wegfällt; siehe Ziff. 3.7.5.

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Bei der Zustimmungslösung würde eine derartige Konstellation von Artikel 189 Absatz 1 bzw. Artikel 190 Absatz 1 erfasst. Allerdings besteht in solchen Konstellationen die Möglichkeit bzw. Gefahr, dass ein Nichtreagieren aufgrund eines Erstarrens vom Gegenüber fälschlicherweise als (konkludente) Einwilligung angesehen wird, obwohl es sich nicht um eine Willensäusserung, sondern um eine biologische, nicht von der Person gesteuerte Reaktion handelt. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn zunächst einvernehmliche sexuelle Handlungen stattgefunden haben.

­

Wird ein Opfer von der Tatperson genötigt, bevor es in einen Schockzustand fällt, so kommen Artikel 189 Absatz 2 bzw. Artikel 190 Absatz 2 zur Anwendung.

Subjektiver Tatbestand Der Täter / die Täterin muss (eventual-) vorsätzlich handeln und somit erkennen, dass er / sie gegen den Willen ­ bzw. ohne die Einwilligung ­ des Opfers handelt bzw. dies zumindest in Kauf nehmen. Fahrlässigkeit genügt nicht.

Strafrahmen In der Vernehmlassung wurde die für Artikel 187a VE-StGB vorgeschlagene Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vielfach als zu tief kritisiert. Es wurde unter anderem vorgebracht, für das Opfer sei bei einem sexuellen Übergriff nicht die Nötigungshandlung, sondern die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung das zentrale Unrecht. Deshalb sei die Höchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe ­ im Vergleich zu zehn Jahren bei den Artikeln 189 und 190 ­ zu tief.100 In Berücksichtigung dieser Kritik wird vorgeschlagen, als Strafandrohung «Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe» vorzusehen, sofern der Täter am Opfer den Beischlaf oder eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, vornimmt oder eine derartige Handlung vornehmen lässt (Art. 190 Abs. 1). In Artikel 189 Absatz 1 wird die in der Vernehmlassung vorgeschlagene Strafandrohung belassen.

Ausgestaltung als Offizialdelikt Die Tathandlungen nach Artikel 189 Absatz 1 und 190 Absatz 1 werden von Amtes wegen verfolgt. Eine dreimonatige Antragsfrist erscheint für derartige Konstellationen zu kurz.

Keine Aufnahme im Deliktskatalog von Artikel 55a Die neuen Bestimmungen werden nicht im Deliktskatalog von Artikel 55a ergänzt, der die Sistierung und Einstellung von Strafverfahren wegen leichterer Gewalt in der Paarbeziehung regelt. Mit einer Revision des StGB und MStG von 2004101 wurden die Straftaten im Zusammenhang mit Gewalt in der Paarbeziehung zu Offizialdelikten erklärt. Gleichzeitig wurde mit Artikel 55a (und Art. 46b MStG) aber eine neue prozessrechtliche Bestimmung eingeführt, die es ermöglicht, bei einem bestimmten Kreis 100 101

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.7.1; insbesondere Ziff. 4.7.1.1 und 4.7.1.2.

AS 2004 1403; BBl 2003 1909; BBl 2003 1937.

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eher leichterer Gewaltdelikte in der Paarbeziehung das Verfahren auf Antrag des Opfers zu sistieren und anschliessend definitiv einzustellen. Damit soll den Interessen jener Opfer Rechnung getragen werden, die keine Verfolgung und Bestrafung ihres Partners wünschen. Im Katalog sind bisher keine Straftaten gegen die sexuelle Integrität erfasst.102 Eine Aufnahme der Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1) ­ und damit eines Verbrechens ­ würde auch aus heutiger Sicht dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung diametral widersprechen. Denn eine Relativierung des Offizialprinzips soll nur bei einem kleinen Kreis eher leichter Delikte zugelassen werden, wo das Interesse des Opfers an einer Einstellung des Verfahrens ausnahmsweise das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu überwiegen vermag. Eine Aufnahme des sexuellen Übergriffs (Art. 189 Abs. 1) wäre zwar denkbar, sollte aber aufgrund der erst kürzlich erfolgten Revision von Artikel 55a103 und der noch ausstehenden Evaluation der Neuerungen, insbesondere der Möglichkeit der Anordnung eines Lernprogramms, vorerst nicht erfolgen.

Konkurrenzen Bei der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung nach geltendem Recht handelt es sich um Gewaltdelikte.104 Sie konsumieren nach einem Grossteil der Lehre leichte Körperverletzungen und Tätlichkeiten nach Artikel 123, 125 Absatz 1 und 126.105 Trechsel / Bertossa106 und Hurtado Pozo107 nehmen zu Artikel 123 Konkurrenz an.

Die neuen Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 hingegen sind keine Gewaltdelikte und weisen eine niedrigere Höchststrafe als Artikel 189 Absatz 2 und Artikel 190 Absatz 2 auf. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Körperverletzungsdelikte als Deliktsfolgen ­ ausser allenfalls eine Tätlichkeit ­ nicht konsumiert werden.

Zu Artikel 187 (sexuelle Handlungen mit Kindern) besteht Idealkonkurrenz, da verschiedene Rechtsgüter geschützt werden.

Artikel 189 Absatz 2, Artikel 190 Absatz 2 sowie Artikel 191 gehen Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 vor.

Von Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 nicht erfasst werden wenig intensive sexuelle Übergriffe: Diese fallen als tätliche sexuelle Belästigungen weiterhin unter Artikel 198 und werden mit Busse bestraft. Zu denken ist beispielsweise an das

102

103 104 105 106 107

Die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung wurden seinerzeit bewusst nicht in den Katalog aufgenommen, da in solchen Fällen angesichts der Schwere des Deliktes das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung mehr Gewicht hat als das Interesse des Opfers an einer Einstellung des Verfahrens (BBl 2003 1909, hier 1923). Der gegenteilige Antrag einer Minderheit wurde im Nationalrat abgelehnt (AB 2003 N 795).

AS 2019 2273; in Kraft seit 1. Juli 2020.

BGE 133 IV 49 E. 4.

Maier Philipp, 2019, Art. 189 N 80 m.w.H.

Trechsel Stefan/Bertossa Carlo, 2018, Art. 189 N 17.

Hurtado Pozo José, 2009, § 100 N 2951.

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Betasten von den Geschlechtsteilen nahegelegenen Körperteilen (Oberschenkel, Unterbauch) über den Kleidern108 oder das Streicheln des nackten Rückens des minderjährigen Opfers mit der Hand unter dem T-Shirt.109 Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011110 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention, IK) Die Vertragsstaaten werden in Artikel 36 IK namentlich verpflichtet, nicht einverständliches, sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder einem Gegenstand oder sonstige nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen mit einer anderen Person (Abs. 1 Bst. a und b) strafbar zu erklären. Im erläuternden Bericht zur Konvention111 wird ausgeführt, dass Absatz 1 alle Formen von sexuellen Handlungen abdecke, die einem Dritten ohne dessen freiwillige Zustimmung vorsätzlich aufgezwungen werden (Ziff. 189). Eine Verpflichtung zur Schaffung einer strafrechtlichen Regelung, die ausdrücklich die Vornahme nicht einverständlicher sexueller Handlungen unter Strafe stellt, ist damit nicht verbunden. Es bleibt den Vertragsstaaten überlassen, «über die genaue Formulierung in der Gesetzgebung sowie über die Faktoren zu entscheiden, die eine freie Zustimmung ausschliessen» (Ziff. 193).

Der Bundesrat kommt bereits in der Botschaft zur Genehmigung der IK112 zum Schluss, dass das schweizerische Recht diesen Anforderungen genügt. Die dort beschriebenen Verhaltensweisen sind nach dem 5. Titel (Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität) strafbar, so namentlich als ­ heutige ­ sexuelle Nötigung (Art. 189) und Vergewaltigung (Art. 190). Ergänzend kommen gegebenenfalls auch die Artikel 191, 192 und 193 zur Anwendung in Frage. Das Einverständnis zu sexuellen Handlungen muss freiwillig sein, damit es tatbestandausschliessend wirkt. Die nun vorgeschlagenen Bestimmungen in Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 führen nun zu einem verbesserten strafrechtlichen Schutz vor sexuellem Übergriff und Vergewaltigung und entsprechen damit dem Sinn und Geist des Übereinkommens in verstärktem Masse (vgl. auch Ziff. 10.2.2).

3.6.2

Artikel 189 Absatz 2 und Artikel 190 Absatz 2

3.6.2.1

Neustrukturierung

Da in Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 neue Regelungen eingefügt werden,113 verschieben sich die bisherigen Absätze 1, in denen die nötigenden Tathandlungen geregelt werden, jeweils in die Absätze 2.

108 109 110 111 112 113

Urteil des Bundesgerichts 6P_123/2003 vom 21. November 2003: Griff an den Oberschenkel des Opfers verbunden mit anzüglichen Bemerkungen über dessen Festigkeit.

BGE 137 IV 263 SR 0.311.35 www.coe.int > Explorer > Bureau des Traités > Liste complète > 210 > Rapport explicatif.

BBl 2017 185, hier 241.

Ziff. 3.6.1.6.

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3.6.2.2

Anpassung des abgenötigten Verhaltens an die Rechtsprechung

Zunächst geht es um eine Anpassung des Gesetzeswortlauts an die Rechtsprechung des Bundesgerichts und die weitverbreitete Auffassung in der Lehre: Als abgenötigtes Verhalten soll neben der «Duldung» auch wieder die «Vornahme» von sexuellen Handlungen im Tatbestand erwähnt werden.

Seit der Revision des Sexualstrafrechts per 1. Oktober 1992 wird in den Artikeln 189 und 190 als abgenötigtes Verhalten lediglich die «Duldung» einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung bzw. des Beischlafs genannt. Im alten Sexualstrafrecht war in der Vorgänger-Norm von Artikel 189, Artikel 188 aStGB («Nötigung zu einer andern unzüchtigen Handlung»), noch von «Duldung oder Vornahme einer andern unsittlichen Handlung» die Rede gewesen.

In BGE 127 IV 198 führte das Bundesgericht aus, für die sich aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Beschränkung des Tatbestands von Artikel 189 auf die Nötigung zur Duldung von sexuellen Handlungen gebe es keine sachlichen Gründe und sie sei vom Gesetzgeber auch nicht gewollt. Aus den Materialien ergebe sich zweifelsfrei, dass ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers vorliege. Unter diesen Umständen sei eine berichtigende Auslegung durch die Rechtsprechung in dem Sinne, dass die Bestimmung über ihren Wortlaut hinaus auch die Nötigung zur Vornahme von sexuellen Handlungen erfasse, mit dem Legalitätsprinzip im Sinne von Artikel 1 vereinbar. Eine Anwendung der Bestimmung streng nach dem engen Wortlaut würde zu sachwidrigen und offenkundig stossenden Ergebnissen führen. Das Bundesgericht forderte den Gesetzgeber auf, sein Versehen bei Gelegenheit zu korrigieren.

Die vorliegende Revision bietet nun Gelegenheit, dieses Versehen zu berichtigen.

Nicht nur bei der sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 2), sondern auch bei der Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 2) ist eine Anpassung des Wortlauts angebracht. Der Vorschlag wurde in der Vernehmlassung begrüsst.114

3.6.2.3

Ausdehnung der Definition der «Vergewaltigung»

Die Erweiterung der Definition der «Vergewaltigung» entspricht der Forderung gemäss der Standesinitiative 14.311 Genf «Neudefinition des Rechtsbegriffs der Vergewaltigung in den Artikeln 189 und 190 des Strafgesetzbuchs», der von den Kommissionen für Rechtsfragen beider Räte Folge gegeben wurde.115 Mit der Standesinitiative wurde von der Bundesversammlung gefordert, dass der Rechtsbegriff der Vergewaltigung erweitert wird und auch Personen männlichen Geschlechts als Opfer in den Tatbestand einschliesst, ebenso wie andere Formen der gewaltsamen sexuellen Penetration als den Beischlaf.116 Zudem hat der Nationalrat am 17. September 2018 die Annahme der Motion 17.3992 Fehlmann Rielle «Definition von Vergewaltigung im 114 115

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.9.1.

www.parlament.ch > Geschäft 14.311. Die RK-S hat der pa. Iv. am 10. Februar 2015 Folge gegeben, die RK-N am 26. Juni 2015.

116 Als «Beischlaf» gilt die Vereinigung des männlichen und weiblichen Geschlechtsteils.

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Schweizer Recht. Das Gesetz muss geändert werden!», die ebenfalls eine breitere Definition des Begriffs «Vergewaltigung» verlangt, beschlossen. Im Ständerat wurde der Vorstoss noch nicht behandelt.117 Neu werden neben dem Beischlaf auch abgenötigte beischlafsähnliche Handlungen118, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, in Artikel 190 geregelt; diese gelten somit als Vergewaltigung und unterstehen der gleichen Mindeststrafe (Abs. 2). Konkret werden neu der Anal- und Oralverkehr (Fellatio) erfasst, und es können auch Personen männlichen Geschlechts Opfer einer Vergewaltigung werden. Das Eindringen in die Vagina kann zudem nicht nur mit dem Penis, sondern auch mit einem anderen Körperteil (Finger, Hand, Zunge) oder einem Gegenstand erfolgen.

Im Vorentwurf war vorgeschlagen worden, wie beim geltenden Recht solle bei der Vergewaltigung nur das Eindringen in den Körper des Opfers tatbestandsmässig sein.

Beischlafsähnliche Handlungen, bei denen das Opfer in den Körper des Täters / der Täterin oder einer Drittperson eindringen muss, wären also weiterhin unter den Tatbestand der sexuellen Nötigung gefallen. In der Vernehmlassung wurde dies von verschiedenen Teilnehmenden kritisiert. Es wurde vorgebracht, diese Einschränkung leuchte nicht ein. Damit würde nicht erfasst, wenn ein Mann einen anderen Mann zur Vornahme einer analen Penetration (also zur Übernahme der «aktiven» Rolle) nötige oder wenn das männliche Opfer genötigt werde, Oralverkehr an sich selbst zu dulden.119 Diese Kritik überzeugt die Kommission. Die Einschränkung wird deshalb nicht weiterverfolgt.

Durch die verwendete Formulierung «beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist» wird verhindert, dass auch der Zungenkuss unter Artikel 190 fällt. Bei diesem wird zwar in den Körper (des Opfers) eingedrungen, es handelt sich aber nicht um eine beischlafsähnliche Handlung. Er fällt somit weiterhin unter Artikel 189.

Mit dieser Ausdehnung soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass aus viktimologischer Sicht andere Formen sexueller Gewalt das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person gleich stark oder noch stärker verletzen als der erzwungene Beischlaf, auch wenn dieser mit dem Risiko einer ungewollten Schwangerschaft behaftet sein mag. Das Opfer wird durch anale oder orale Penetrationen oder

117

www.parlament.ch > Geschäft 17.3992. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 14. Febr. 2018 festgehalten, in der Botschaft zur Harmonisierung der Strafrahmen, die im Frühjahr 2018 verabschiedet werden solle, werde eine Revision der Art. 189 und 190 im Sinne der Motion vorgeschlagen. Allerdings sollten nicht sämtliche abgenötigten sexuellen Handlungen, sondern nur die abgenötigten beischlafsähnlichen Handlungen neu vom Begriff «Vergewaltigung» erfasst werden.

118 Als «beischlafsähnliche Handlungen» gelten solche Verhaltensweisen, bei denen das (primäre) Geschlechtsteil einer der beteiligten Personen mit dem Körper der anderen Person in enge Berührung kommt. Es handelt sich dabei konkret um das Einführen des männlichen Gliedes in After oder Mund sowie das Stimulieren der Vagina oder des Gliedes durch Zunge oder Lippen. Ebenfalls erfasst wird der sog. Schenkelverkehr, also das Reiben des männlichen Gliedes an den Oberschenkeln direkt unterhalb des Geschlechtsteils des Partners; siehe Maier Philipp, 2019, Art. 189 N 50 m.w.H.

119 Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.9.5.

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sadistische Handlungen vielfach stärker traumatisiert als durch eine vaginale Penetration.120 Die Ausdehnung der Definition der «Vergewaltigung» wurde in der Vernehmlassung insgesamt fast einstimmig begrüsst.121

3.6.2.4

Keine Senkung der Höchststrafe in Artikel 189 Absatz 2 Keine Erhöhung der Mindeststrafe in Artikel 190 Absatz 2

Die Höchststrafe in Artikel 189 Absatz 2 bleibt bei zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die Formulierung «beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist» erfasst nicht alle sexuellen Handlungen, die heute als «beischlafsähnlich» angesehen werden und deshalb gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts grundsätzlich unter den gleichen Strafrahmen fallen wie eine Vergewaltigung.122 Zu denken ist namentlich an die (aufgenötigte) orale Stimulation der äusseren weiblichen Geschlechtsorgane (Cunnilingus).123 Diese dürfte somit auch in Zukunft von Artikel 189 erfasst werden. Aus diesem Grund ist es nicht angezeigt, die Höchststrafe in Artikel 189 Absatz 2 zu senken.

Die Mindeststrafe in Artikel 190 Absatz 2 soll nicht erhöht werden, sondern bei einem Jahr Freiheitsstrafe bleiben. Eine höhere Mindeststrafe würde das richterliche Ermessen zu stark einengen und eine einzelfallgerechte Beurteilung erschweren. Bei einer höheren Mindeststrafe wäre nicht auszuschliessen, dass die Gerichte bei der Beweiswürdigung einen strengeren Massstab ansetzen würden und es deswegen zu weniger Verurteilungen käme. Der Vorschlag wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst.124 Die Minderheit (Engler, Fässler Daniel, Minder, Rieder, Z'graggen) ist der Ansicht, dass bei einer Vergewaltigung nach Artikel 190 Absatz 2 eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ungenügend sei. Diese untere Grenze würde bei einem Ersttäter eine bedingte Strafe zulassen, dies sei nicht richtig.

Gemäss Artikel 42 Absatz 1 schiebt das Gericht den Vollzug einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten. Um einen solchen Aufschub auszuschliessen, muss die Mindeststrafe somit mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe betragen.

Durch diese Erhöhung der Mindeststrafe wird das Ermessen der Gerichte stark eingeschränkt. Es besteht jedoch weiterhin die Möglichkeit der teilbedingten Strafe: Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitstrafe von mindestens einem und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen. Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte 120 121 122 123 124

Maier Philipp, 1994, S. 258, 287 f. m.w.H.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.9.5.

BGE 132 IV 120 E. 2.

BGE 84 IV 100 Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.9.2.

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der Strafe nicht übersteigen, und sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen (Art. 43).

3.6.3

Artikel 189 Absatz 3 und Artikel 190 Absatz 3

In Absatz 3 von Artikel 189 und 190 wird festgehalten, der Täter handle grausam, wenn er namentlich eine gefährliche Waffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand verwende. Die Botschaft vom 26. Juni 1985125 führt diesbezüglich aus: «Als grausam soll in jedem Falle die Begehung unter Verwendung einer Schusswaffe oder einer anderen gefährlichen Waffe gelten.» Gemäss Trechsel / Bertossa überzeugt dies nicht. Die Verwendung einer gefährlichen Waffe oder eines gefährlichen Gegenstands sei nicht zwingend grausam.126 Der Ausdruck «namentlich» soll deshalb gestrichen werden. Dies bedeutet, dass in Zukunft die Verwendung einer gefährlichen Waffe oder eines anderen gefährlichen Gegenstands stets zur Anwendung der Qualifikation führt, unabhängig davon, ob der Täter grausam handelt oder nicht. Absatz 3 von Artikel 189 und 190 ist ausserdem erfüllt, wenn der Täter grausam handelt.127 Der Vorschlag wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst.128 Im geltenden Recht reicht der Strafrahmen in Artikel 189 Absatz 3 von drei bis zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe. Neu soll eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, nicht mehr als sexuelle Nötigung, sondern als Vergewaltigung strafbar sein und der gleichen Mindeststrafe unterstehen (Art. 190 Abs. 2).129 Das bedeutet, dass Verhaltensweisen, die vom Unrechtsgehalt her die schwersten Taten im Sinne von Artikel 189 darstellen, neu als Vergewaltigung gelten. Demnach verbleiben in Artikel 189 Absatz 2 hauptsächlich weniger schwere sexuelle Handlungen bzw. wird die Spannweite von sexuellen Handlungen mit sehr unterschiedlichen Intensitäten geringer. Da sich aber das (Teil-)Unrecht der qualifizierten Tatbegehung aus dem Grundtatbestand ergibt, begeht der Täter bei einer qualifizierten sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 3) ein anderes Unrecht als bei einer qualifizierten Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 3). Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, ist die Mindeststrafe bei Artikel 189 Absatz 3 von drei Jahren auf ein Jahr Freiheitsstrafe zu senken.

Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, dass die sexuelle Nötigung (Art. 189 Abs. 2) ­ anders als die Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 2) ­ keine Mindeststrafe kennt. Gleich verhält es sich bei der Freiheitsberaubung und Entführung, wo der Grundtatbestand ebenfalls keine Mindeststrafe aufweist
(Art. 183 Ziff. 1), während bei der qualifizierten Freiheitsberaubung und Entführung (z. B. grausame Behandlung des Opfers) eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe vorgesehen ist (Art. 184).

125 126 127 128 129

BBl 1985 II 1009, hier 1075.

Trechsel Stefan/Bertossa Carlo, 2018, Art. 189 N 15.

Zur grausamen Tatbegehung siehe Maier Philipp, 2019, Art. 189 N 67 ff.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.9.3.

Ziff. 3.6.2.3

43 / 82

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3.7

Artikel 191 Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person

3.7.1

Änderung des Randtitels («Schändung»)

In Artikel 191 wird der das Opfer stigmatisierende Randtitel «Schändung» in die neutrale Formulierung «Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person» abgeändert; dies wurde in der Vernehmlassung begrüsst.130 Sie stimmt damit annähernd mit der französisch- und der italienischsprachigen Fassung überein.131 Diese Fassungen werden nicht angepasst.

Die Umsetzung der von der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)132 geforderten Zustimmungslösung würde dazu führen, dass in Artikel 191 das Tatbestandsmerkmal der Widerstandsunfähigkeit wegfällt.133 Das hätte eine entsprechende Anpassung des Randtitels in allen Sprachfassungen zur Folge; der Randtitel würde diesfalls in «Missbrauch einer urteilsunfähigen Person» abgeändert.

3.7.2

Streichung «in Kenntnis ihres Zustandes»

In Artikel 191 wird ausserdem die Passage «in Kenntnis ihres Zustandes» gestrichen; auch dies wurde in der Vernehmlassung begrüsst.134 Diese Formulierung soll sicherstellen, dass der Täter die Urteils- bzw. Widerstandsunfähigkeit des Opfers auch wahrgenommen hat. Ist die geistige Störung nicht offensichtlich und hat der Täter keine oder wenig Erfahrung im Umgang mit geistig behinderten Menschen, so darf nicht leichthin angenommen werden, der Täter sei sich des Missbrauchs bewusst gewesen.135 Es geht somit darum, dass der Täter (eventual-) vorsätzlich handeln muss.

Dies entspricht den allgemeinen strafrechtlichen Regeln und muss nicht ausdrücklich erwähnt werden.

3.7.3

Verzicht auf die Einführung einer Mindeststrafe

Im Vorentwurf war vorgeschlagen worden, die Ausdehnung der Definition der «Vergewaltigung» gemäss Variante 2 solle sich auch in Artikel 191 niederschlagen: Wie bei der Vergewaltigung sollte der Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person zum Beischlaf oder zu einer beischlafsähnlichen Handlung, die mit einem Eindringen in ihren Körper verbunden ist, einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe unterliegen.

130 131 132 133 134 135

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.10.1.

«Actes d'ordre sexuel commis sur une personne incapable de discernement ou de résistance» bzw. «Atti sessuali con persone incapaci di discernimento o inette a resistere».

Ziff. 3.6.1.5 Ziff. 3.7.5 Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.10.2.

Maier Philipp, 2019, Art. 191 N 16.

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In der Vernehmlassung wurde dieser Vorschlag zwar mehrheitlich begrüsst, von einer namhaften Minderheit ­ darunter 11 Kantone ­ allerdings abgelehnt. Es wurde vorgebracht, bei dieser Bestimmung gebe es zahlreiche Formen der Tatbestandsverwirklichung. Ein nach unten offener Strafrahmen und insbesondere die Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsstrafe würden Gewähr dafür bieten, dass im Rahmen der Strafzumessung auch eher minderschwere Tathandlungen schuld- und tatangemessen bestraft werden könnten.136 Tatsächlich können unter diese Bestimmung auch nur kurz andauernde sexuelle Handlungen fallen, die der Täter an einem urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Opfer vornimmt. In diesen Konstellationen erscheint eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr zu hoch. Die Kommission verzichtet deswegen darauf. Die Strafandrohung bei Artikel 191 wird somit beim heutigen Recht belassen.

3.7.4

Anpassung des französischen Gesetzestextes betreffend die Vornahme von sexuellen Handlungen durch das Opfer

Nach dem geltenden französischen Gesetzestext macht sich nur strafbar, wer am Opfer eine sexuelle Handlung vornimmt. Diese Formulierung ist zu eng gefasst.137 Aus der deutschen und italienischen Fassung ergibt sich, dass auch das Veranlassen des Opfers zur Vornahme einer sexuellen Handlung umfasst wird, z. B. orale Praktiken durch geistig behinderte Menschen.138 Der französische Gesetzestext wird deshalb entsprechend angepasst. Dieser Änderungsvorschlag wurde in der Vernehmlassung unterstützt.139

3.7.5

Streichung «zum Widerstand unfähige Person»

Die Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara) verlangt die Einführung der Zustimmungslösung, wonach bestraft wird, wer ohne die Einwilligung einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt.140 Beim Konzept der Zustimmungslösung kann auf die Widerstandsunfähigkeit, welche im geltenden Recht in Artikel 191 enthalten ist, verzichtet werden. Darunter ist die physische Unfähigkeit zu verstehen, sich sexuellen Handlungen anderer Leute an seinem Körper zu widersetzen.141 In der Vernehmlassung wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Teil des heutigen Tatbestandes durch die vorgeschlagene Neuformulierung von Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 abgedeckt werde.142 136 137 138 139 140 141 142

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.10.4.

Queloz Nicolas/Illànez Federico, 2017, Art. 191 N 5.

Maier Philipp, 2019, Art. 191 N 13.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.10.3.

Ziff. 3.6.1.5.

Maier Philipp, 2019, Art. 191 N 6 m.w.H.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.10.5.

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Bei der Zustimmungslösung wird nämlich die freie Willensbetätigung geschützt. Entsprechend reicht es, dass das Opfer seinen Willen klar äussert. Daher kann es nicht mehr darauf ankommen, ob das Opfer Widerstand zu leisten vermag oder nicht.

Kann hingegen das Opfer beispielsweise aufgrund eines schweren Rauschzustandes bzw. einer hochgradigen Intoxikation nicht mehr gültig seinen Willen bilden, liegt eine Urteilsunfähigkeit vor. Der Missbrauch eines urteilsunfähigen Opfers kann weiterhin nach Artikel 191 bestraft werden. Diesbezüglich wird auf Lehre und Rechtsprechung zum geltenden Recht verwiesen.

3.8

Artikel 192 Sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten

Gemäss herrschender Lehre143 ist Artikel 192 eine Sonderbestimmung zu Artikel 193 (Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit): Alle Tathandlungen von Artikel 192 werden von Artikel 193 erfasst; die Strafandrohung ist bei beiden Bestimmungen identisch. In der Botschaft vom 26. Juni 1985144 wird ausgeführt, entscheidend für die Strafbarkeit sei, ob der Täter die Einwilligung des Opfers in eine geschlechtliche Handlung durch Ausnützen von dessen Abhängigkeit erlange. Artikel 192 kann somit ersatzlos aufgehoben werden; dies wurde in der Vernehmlassung begrüsst.145

3.9

Artikel 193 Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit

In Bezug auf Artikel 193 wird einerseits der Randtitel, der heute nicht beide in dieser Bestimmung enthaltenen Tatbestandsvarianten erfasst, angepasst. Er soll neu «Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit» lauten. Andererseits soll ­ wie in Artikel 187 (Sexuelle Handlungen mit Kindern) und 188 (Sexuelle Handlungen mit Abhängigen) ­ die Privilegierung des Täters gestrichen werden, falls die verletzte Person mit ihm eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist. Zur Begründung wird auf die Ausführungen zu Artikel 187 und Artikel 188 verwiesen. Diese Anpassungen wurden in der Vernehmlassung begrüsst.146 Weiter soll der Strafrahmen angepasst werden: Nach geltendem Recht beträgt die Höchststrafe in Artikel 193 bei sämtlichen sexuellen Handlungen ­ also auch dem Beischlaf ­ drei Jahre Freiheitsstrafe. In Artikel 190 Absatz 1 (Vergewaltigung ohne Nötigung durch den Täter) hingegen soll die Höchststrafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren betragen.147 Dies erscheint unstimmig. Das Ausnützen einer Abhängigkeit dürfte vom Unrechtsgehalt her gleich schwer wiegen wie das Übergehen des entgegenstehenden Willens (bzw. das Nichteinholen einer Einwilligung). Die Höchststrafe 143 144 145 146 147

Maier Philipp, 2019, Art. 193 N 20 m.w.H.

BBl 1985 II 1009, hier 1078.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.11.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.12.1. und 4.12.2.

Ziff. 3.6.1.6, Strafrahmen.

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in Artikel 193 soll deshalb ­ gleich wie in Artikel 188 ­ auf fünf Jahre Freiheitsstrafe erhöht werden.

3.10

Artikel 193a Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung

3.10.1

Ausgangslage

Im Urteil des Bundesgerichts 6B_453/2007 vom 19. Februar 2008 stellte sich die Frage, ob sich der Beschwerdegegner, der nach einer Akupunkturbehandlung eine Patientin an verschiedenen Stellen massiert und dabei sexuelle Übergriffe vorgenommen hatte, der Schändung und / oder der sexuellen Belästigung schuldig gemacht hatte.

Kurz zusammengefasst ging es um folgenden Sachverhalt: Während die Patientin auf dem Bauch lag, massierte der Beschwerdegegner unter anderem ihre Klitoris, indem er mit dem Finger in die Scheide eindrang. Als sich die Geschädigte in der Rückenlage befand, begann er mit der einen Hand ihre linke Brustwarze zu stimulieren, während er mit der anderen Hand an der Schamgegend manipulierte und seinen Finger hineinund hinauszog. Die Geschädigte hatte die Handlungen des Arztes nur in der Annahme geduldet, dieser führe die medizinisch indizierten Behandlungsschritte korrekt aus.

Das Bundesgericht erkannte, während der ersten Phase (Bauchlage) sei die Geschädigte ­ wenn auch nur vorübergehend ­ widerstandsunfähig gewesen. Der Beschwerdegegner habe aufgrund der gesamten Behandlungssituation gewusst, dass die Geschädigte nicht mit sexuellen Handlungen rechnete und nicht damit einverstanden war. Somit habe er den Tatbestand der Schändung in dieser ersten Phase auch in subjektiver Hinsicht erfüllt (E. 3.4.2). Zur zweiten Phase, als sich die Geschädigte in der Rückenlage befand, führte das Bundesgericht aus (E. 3.4.3): «In dieser Phase war die Sicht der Geschädigten auf die Handlungen des Beschwerdegegners nicht eingeschränkt. Diese Übergriffe hat sie nur wegen ihres Irrtums über die medizinische Indikation geduldet. Dies allein reicht für die Annahme einer Widerstandsunfähigkeit nicht aus, womit der Beschwerdegegner den Tatbestand der Schändung nicht erfüllt hat. Entsprechend dem angefochtenen Entscheid hat er sich jedoch in dieser Phase der sexuellen Belästigung (Art. 198 Abs. 2 StGB) strafbar gemacht.» Eine Bestrafung lediglich als sexuelle Belästigung erscheint dann unbillig, wenn am Opfer während einer Behandlung eine sexuelle Handlung von erheblicher Intensität ­ wie eine Massage der Klitoris oder ein Eindringen mit einem Finger in die Vagina ­ vorgenommen wird. Gerade im Gesundheitsbereich soll der Patient / die Patientin auf eine fachgerechte Behandlung vertrauen dürfen und nicht mit
sexuellen Übergriffen rechnen müssen.

Die Täuschung des Opfers über den sexuellen Charakter einer Handlung bzw. die Ausnützung des Irrtums des Opfers über die medizinische Indikation der Handlung wird nicht von Artikel 189 Absatz 1 (Sexueller Übergriff) und Artikel 190 Absatz 1 (Vergewaltigung) erfasst. Das Opfer äussert hier keine Ablehnung, wenn auch nur deshalb, weil es irrtümlich davon ausgeht, dass die Handlungen medizinisch indiziert bzw. Teil der Behandlung sind. Es ist somit ein separater Tatbestand zu schaffen.

Dadurch wird deutlich gemacht, dass bei dieser Art einer Täuschung ein strafbares 47 / 82

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Verhalten vorliegt. Da die neue Bestimmung namentlich erhebliche Übergriffe erfassen soll, die weder von Artikel 191 (Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person) noch von Artikel 193 (Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit) erfasst werden, macht die systematische Einordnung nach diesen beiden Bestimmungen Sinn.

In der Vernehmlassung war ebenfalls eine Neuregelung vorgeschlagen worden (Art. 187a Abs. 2 VE-StGB). Diese wurde von der Mehrheit der Teilnehmenden (grundsätzlich) gutgeheissen.148 Teilweise wurde eine Erweiterung auf andere Personengruppen / Konstellationen gefordert bzw. gar keine Einschränkung. Nach Ansicht der Kommission ist eine Beschränkung auf den Gesundheitsbereich gerechtfertigt.

Gerade in diesem Bereich ist es für einen Laien oftmals schwer zu erkennen, was Teil der Behandlung ist und was nicht. Im Gesundheitsbereich verfügt die behandelnde Person in aller Regel über einen Informationsvorsprung.

Sollte gemäss der Forderung der Kommissionsminderheit (Mazzone, BaumeSchneider, Sommaruga Carlo, Vara)149 die Zustimmungslösung umgesetzt werden, so kann auf Artikel 193a verzichtet werden. Das Opfer erteilt hier zwar eine Einwilligung, diese bezieht sich aber nicht auf die sexuelle Handlung, sondern eine Behandlung im Gesundheitsbereich. Mit anderen Worten liegt keine Einwilligung für die Vornahme einer sexuellen Handlung vor. Solche Konstellationen würden bei der Zustimmungslösung von Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 erfasst.

3.10.2

Die vorgeschlagene Neuregelung

3.10.2.1

Geschütztes Rechtsgut

Geschütztes Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung. Indem der Täter das Opfer täuscht bzw. den Irrtum des Opfers nicht aufklärt, wird dem Opfer die Möglichkeit genommen, irrtumsfrei einen Willen zu bilden und danach zu handeln.

3.10.2.2

Objektiver Tatbestand

Als Täterin oder Täter kommt in Frage, wer eine solche Straftat bei der Ausübung einer beruflichen oder organisierten ausserberuflichen Tätigkeit im Gesundheitsbereich (siehe Art. 67 Abs. 4 [Tätigkeitsverbot]) begeht. Wie beim Tätigkeitsverbot fallen nicht ausschliesslich die regulierten Gesundheitsberufe darunter.150 Der Täter ist strafbar, wenn er ausnützt, dass das Opfer wegen der gesamten Behandlungssituation und seines konkludenten Verhaltens irrtümlich davon ausgeht, die vorgenommenen Berührungen gehörten zur Behandlung und nur deswegen in diese einwilligt bzw. sich nicht dagegen wehrt. Ebenfalls strafbar ist der Täter, wenn er das Opfer aktiv täuscht.

148 149 150

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.7.3.

Ziff. 3.6.1.5.

BBl 2016 6115, hier 6159 f.

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Der Täter nimmt die sexuellen Handlungen entweder am Opfer vor oder aber er motiviert das Opfer, eine sexuelle Handlung vorzunehmen.

3.10.2.3

Subjektiver Tatbestand

Der Täter / die Täterin muss vorsätzlich handeln, Eventualvorsatz genügt. Der Täter / die Täterin muss aufgrund der gesamten Behandlungssituation wissen bzw. in Kauf nehmen, dass die geschädigte Person nicht mit sexuellen Handlungen rechnete und nicht damit einverstanden war. Die fahrlässige Begehung ist nicht strafbar.

3.10.2.4

Strafrahmen

Der Strafrahmen beträgt ­ in Einklang mit demjenigen in den Artikeln 188, 190 Absatz 1 und 193 ­ Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

3.10.2.5

Ausgestaltung als Offizialdelikt

Artikel 193a soll als Offizialdelikt ausgestaltet sein. Dies ist deshalb gerechtfertigt, da oftmals nicht von Anfang an klar sein dürfte, ob ein Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person (Art. 191), eine Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit (Art. 193) oder eben strafbare Handlung nach Artikel 193a vorliegt.

3.10.2.6

Keine Aufnahme im Deliktskatalog von Artikel 55a

Siehe Ausführungen zu Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 (Ziff. 3.6.1.6).

Eine Aufnahme im Deliktskatalog von Artikel 55a erübrigt sich hier insbesondere, da eine Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung in einer Paarbeziehung nicht typisch sein dürfte.

3.10.2.7

Konkurrenzen

Zu Artikel 187 besteht Idealkonkurrenz, da verschiedene Rechtsgüter geschützt werden.

Die Bestimmung soll namentlich erhebliche Übergriffe erfassen, die weder von Artikel 191 (mangels Widerstandsunfähigkeit des Opfers) noch von Artikel 193 (mangels Abhängigkeit des Opfers) erfasst werden.

Nicht unter Artikel 193a fallen wenig intensive sexuelle Übergriffe: Diese werden weiterhin als tätliche sexuelle Belästigungen mit Busse bestraft (Art. 198).

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3.11

Artikel 194 Exhibitionismus

Nach geltendem Recht beträgt die Strafandrohung beim Exhibitionismus Geldstrafe.

Demgegenüber wird die sich mit Exhibitionismus überschneidende Tatvariante «unerwartete Vornahme einer sexuellen Handlung vor jemand anderem» bei den sexuellen Belästigungen (Art. 198 erster Abs.) nur mit Busse bestraft. Dies erscheint insbesondere angesichts der Tatsache, dass ein Exhibitionist nicht zwingend eine sexuelle Handlung vornimmt ­ die blosse Präsentation der entblössten Genitalien ist keine sexuelle Handlung151 ­, unbillig.

Zur Minderung dieser Ungleichbehandlung schlägt der Entwurf vor, die Strafandrohung im Grundtatbestand (Abs. 1) zu senken und ­ wie auch in Artikel 198 erster Absatz ­ nur Busse anzudrohen. Unter den Grundtatbestand dürfte z. B. das blosse Präsentieren der nackten Genitalien fallen.

Nach neuerer bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann der objektive Tatbestand von Artikel 194 in Ausnahmefällen auch ohne gänzliche Entblössung der Geschlechtsorgane, das heisst auch ohne völlige Nacktheit im Genitalbereich, erfüllt werden.152 Im fraglichen Urteil trug der Beschwerdeführer hautenge, beinahe durchsichtige Leggins; sein Glied hatte er medikamentös zur andauernden Erektion gebracht. Ob auch ein solcher Fall unter den Grundtatbestand subsumiert werden kann, wird die Rechtsprechung zeigen.

Beim Grundtatbestand handelt es sich, da er als «ist»-Bestimmung formuliert ist, um eine Übertretung (Art. 103);153 diese wird auf Antrag verfolgt.

Mit Absatz 2 wird ein «schwerer Fall», der mit Geldstrafe bestraft wird, eingeführt.

Ein «schwerer Fall» einer exhibitionistischen Handlung dürfte vorliegen, wenn der Täter vor der Zielperson onaniert oder aber wenn es sich um einen Wiederholungstäter handelt.

Auch der «schwere Fall» soll ­ wie der Grundtatbestand in Absatz 1 ­ nur auf Antrag verfolgt werden können. Dies muss an dieser Stelle ausdrücklich festgehalten werden, da angesichts der höheren Strafandrohung in Absatz 2 ansonsten davon ausgegangen werden dürfte, dass es sich um ein Offizialdelikt handelt.

In der Vernehmlassung wurde von diversen Vernehmlassungsteilnehmenden gefordert, dass Artikel 194 nicht mehr als Antragsdelikt, sondern als Offizialdelikt ausgestaltet sein solle.154 Der Entwurf hält jedoch am Antragsdelikt fest; dies aus nachfolgenden Gründen: Als Antragsdelikte gestaltet der
Gesetzgeber jene Straftaten aus, bei denen u. a. die (staatlichen oder privaten) Interessen auf Strafverfolgung relativ gering sind ­ insbesondere also leichte(re) Straftaten wie z. B. Exhibitionismus. Wenn also die Zielperson eines Exhibitionisten sich durch dessen Handlungen nicht gestört fühlt, dann

151 152 153 154

Isenring Bernhard, 2019, Art. 194 N 3a, 9d.

Urteil des Bundesgerichts 6B_1037/2016 vom 19. April 2017.

BGE 125 IV 74 (in Bezug auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der AT-Revision 2002).

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.13.6.

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sollte auch kein Strafverfahren gegen deren Willen durchgeführt werden. Sofern Kinder die Zielpersonen sind und die Handlungen eine gewisse Intensität aufweisen, dann kommt Artikel 187 (Sexuelle Handlungen mit Kindern) zur Anwendung (Offizialdelikt). Selbst wenn man Exhibitionismus als Offizialdelikt ausgestalten würde, so ist darauf hinzuweisen, dass die Strafverfolgungsbehörden in über 90 % aller Fälle (also auch bei den meisten Offizialdelikten) nur über Hinweise aus der Bevölkerung von einer Straftat erfahren. So dürfte in der Praxis auch beim Exhibitionismus die Strafverfolgung vom Willen einer Person abhängen, Anzeige zu erstatten oder der Behörde Hinweise zu geben.

Je nachdem, ob das Delikt eine Übertretung (Abs. 1) oder ein Vergehen (Abs. 2) darstellt, bedeutet dies u. a.: ­

Eintrag ins Strafregister: ­ Urteile wegen Vergehen sind im Strafregister aufzunehmen, sofern eine Strafe oder Massnahme ausgesprochen worden ist (Art. 366 Abs. 2 Bst. a).

­ Urteile wegen Übertretungen werden eingetragen, wenn: ­ eine Busse von mehr als 5000 Franken verhängt wird, ­ ein Tätigkeitsverbot oder ein Kontakt- und Rayonverbot verhängt wird, oder ­ die Übertretung Teil eines Urteils bildet, das einzutragen ist (Art. 366 Abs. 2 Bst. b i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Bst. c und d VOSTRAVerordnung vom 29. September 2006155).

Falls keine dieser Voraussetzungen erfüllt ist ­ bei Exhibitionismus ist nicht zwingend ein Tätigkeitsverbot auszusprechen (Art. 67 Abs. 4bis) ­, wird ein Urteil (allein) wegen Exhibitionismus, sofern ein «leichter Fall» angenommen bzw. eine Busse bis zu 5000 Franken ausgesprochen wird, nicht mehr ins Strafregister eingetragen.

­

Die Verjährungsfrist beträgt bei einem mit Geldstrafe bedrohten Vergehen sieben Jahre (Art. 97 Abs. 1 Bst. d), bei einer Übertretung drei Jahre (Art. 109).

Die Verurteilung wegen eines Vergehens, das nicht im Deliktskatalog von Artikel 66a (obligatorische Landesverweisung) erfasst wird, kann zu einer nicht obligatorischen Landesverweisung führen (Art. 66abis). Die Verurteilung wegen einer Übertretung führt zu keiner Landesverweisung (Art. 105 Abs. 1).

Der neue Absatz 3 entspricht inhaltlich dem bisherigen Absatz 2; er wird an die Strafprozessordnung156 (StPO) angepasst. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung von einer deutlichen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst.157 Auch wenn in der geltenden Regelung von «Einstellen» und «Wiederaufnehmen» des Strafverfahrens die Rede ist, sind damit eigentlich «Sistierung» (Art. 314 StPO) und «Wiederanhandnahme» (Art. 315 StPO) gemeint. Das heisst, begibt sich der Täter in eine Therapie, wird das Verfahren sistiert; entzieht er sich der Behandlung, wird das 155 156 157

SR 331 SR 312.0 Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.13.4.

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Verfahren wieder an die Hand genommen. Dies wird etwa dann der Fall sein, wenn sich der Täter trotz allenfalls wiederholter Aufforderung nicht oder nicht mehr in die Therapie begibt.158 Die geltende Regelung lässt offen, wie das Verfahren abgeschlossen wird, falls der Täter behandelt wird. Dies soll korrigiert werden, indem klargestellt wird, dass das Verfahren eingestellt wird, wenn sich der Täter gemäss Anordnung der zuständigen Behörde einer ärztlichen Behandlung unterzieht. Eine Einstellung dürfte in der Praxis jedoch nur dann in Betracht kommen, wenn die Therapie erfolgreich war,159 indem der Täter z. B. mit seiner psychischen Störung sozialverträglich umgehen kann, so dass die Gefahr weiterer Delikte nicht mehr besteht.160 Die Verfahrenshandlungen «Sistierung» und «Wiederanhandnahme» müssen nicht ausdrücklich erwähnt werden, da in der StPO nicht abschliessend vorgeschrieben ist, unter welchen Umständen sie vorgenommen werden können.161 Im Gegensatz dazu sind die Gründe, weshalb ein Verfahren eingestellt wird, in der StPO abschliessend aufgeführt (Art. 319 Abs. 1 Bst. a­d StPO).162 Trifft keiner der in der StPO genannten Gründe zu, braucht es eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift (Art. 319 Abs. 1 Bst. e StPO). Mit dem neu formulierten Artikel 194 Absatz 3 wird diese Vorschrift geschaffen.

3.12

Artikel 197 Pornografie

3.12.1

Absätze 4 und 5

Aus den Formulierungen im Gesetz und den Ausführungen in den Strafrechtskommentaren lässt sich schliessen, dass der Gewaltbegriff in Artikel 135 (Gewaltdarstellungen) enger gefasst ist als derjenige in Artikel 197 (Pornografie): Artikel 135 verlangt, dass die Gewalttätigkeiten grausam sind, eindringlich dargestellt werden, keinen schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert haben sowie die elementare Würde des Menschen in schwerer Weise verletzen. In Artikel 197 hingegen ist lediglich von «Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen» die Rede. Dazu kommt die sexuelle Komponente.

Das Bundesgericht hat im Dezember 2019 in einem Entscheid zur Herstellung pornografischer Gewaltdarstellungen163 festgehalten, durch die Verbindung von Sexualität und Gewalt sei die Schwelle, ab welcher die Menschenwürde angegriffen werde, nicht erst dann erreicht, wenn die Gewalt das in Artikel 135 geforderte exzessive Mass erreiche. Jedenfalls dann, wenn die Gewalttätigkeiten nicht offenkundig einvernehmlich stattfinden würden, sei die Tatbestandsmässigkeit nach Artikel 197 Absätze 4 und 5 158 159 160 161 162 163

Isenring Bernhard, 2019, Art. 194 N 20.

Isenring Bernhard, 2019, Art. 194 N 19.

Heer Marianne, 2019, Art. 63b N 9 f.

Omlin Esther, 2014, Art. 314 N 11.

Grädel Rolf/Heininger Matthias, 2014, Art. 319 N 5.

Urteil des Bundesgerichts 6B_149/2019 vom 11. Dezember 2019, E. 1.3.2., 1.3.3.

und 1.4.2.

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weniger nach der Schwere der Gewalt als vielmehr nach ihrer erniedrigenden Wirkung zu beurteilen. Im vorliegenden Fall stehe ausser Zweifel, dass es sich bei den zu beurteilenden Filmszenen nicht um nach Artikel 135 verbotene Darstellungen handle.

Die Gewaltschwelle nach Artikel 197 Absätze 4 und 5 werde aber deutlich überschritten. Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes könne sich in Fällen (nicht einvernehmlicher) sexualisierter Gewalt eine Szene auch dann als besonders erniedrigend ­ und damit tatbestandsmässig ­ darstellen, wenn die allgemeinen Merkmale der Pornografie nicht vollständig gegeben seien. Je ausgeprägter die Gewaltanwendung sei, desto weniger hohe Anforderungen würden für den pornografischen Charakter des sexuellen Kontextes gelten.

Die Botschaft aus dem Jahre 1985164 erläutert nicht, aus welchem Grund und zu wessen Schutz Darstellungen pornografischer Gewalttätigkeiten bestraft werden. Es wird lediglich festgehalten, harte Pornografie solle verboten werden. Es ist befremdend, dass Artikel 197 Absätze 4 und 5 auch dann angewendet werden, wenn die pornografische Darstellung ohne die Gewaltkomponente (als weiche Pornografie) legal wäre bzw. ­ nach dem zitierten Entscheid des Bundesgerichts ­ die Darstellung nicht einmal als pornografisch gelten würde. Die Bestrafung erhält dadurch eine unerwünschte moralische Färbung.

Es wird deshalb vorgeschlagen, in den Absätzen 4 und 5 den Ausdruck «Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen» zu streichen, was in der Vernehmlassung von der überwiegenden Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst wurde.165 Damit sollen pornografische Gegenstände oder Vorführungen, die sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen zum Inhalt haben, nicht mehr unter diese Bestimmungen fallen. Allenfalls liegt eine Strafbarkeit nach den Artikeln 135 oder 197 Absätze 1 oder 2 vor.

3.12.2

Absätze 8 und 8bis

Gemäss Artikel 197 Absätze 4 und 5 sind die Herstellung, die Verbreitung, der Besitz und der Konsum von pornografischem Material, auf dem Minderjährige abgebildet sind, strafbar. Dies entspricht der Regelung im Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007166 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention, LK). Die LK sieht allerdings vor (Art. 20 Ziff. 1 Bst. a und e und Ziff. 3 LK), dass die Vertragsstaaten einen Vorbehalt anbringen und bestimmte Ausnahmen davon vorsehen können, wenn die dargestellten Personen das länderspezifische sexuelle Mündigkeitsalter erreicht haben. Die Schweiz hat von dieser Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch gemacht und im geltenden Artikel 197 Absatz 8 festgehalten, dass Minderjährige von mehr als 16 Jahren straflos bleiben, wenn sie voneinander einvernehmlich pornografische Gegenstände oder Vorführungen herstellen, diese besitzen oder konsumieren. Das Weiterleiten des pornografischen Materials an unbeteiligte Dritte ist weiterhin strafbar. Ziel dieser

164 165 166

BBl 1985 II 1009, hier 1088 ff.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.14.1.

SR 0.311.40

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Ausnahmeregelung war es, bestimmte Verhalten von Jugendlichen, für die kein Strafbedürfnis erkennbar ist, zu entkriminalisieren. Es wäre widersprüchlich, wenn über 16-jährige Minderjährige zwar einvernehmlich miteinander sexuell verkehren, sich dabei aber nicht fotografieren oder filmen dürften.

Es hat sich allerdings gezeigt, dass trotz dieser Ausnahmeregelung weiterhin Widersprüche bestehen und Kinder zwischen 10 und 16 Jahren ­ quasi zu ihrem eigenen Schutz ­ unnötig kriminalisiert werden. Artikel 197 Absatz 8 ist unter anderem aus dem folgenden Grund zu eng: Wenn zwei 16 und 17 Jahre alte Jugendliche voneinander pornografische Bilder / Filme herstellen, sind beide straflos. Der / die Ältere ist aber für die gleiche Handlung strafbar, sobald er / sie 18 Jahre alt geworden ist (da der / die jüngere Beteiligte noch immer minderjährig ist). Unabhängig davon werden nach geltender Praxis Minderjährige, die von sich selbst ein pornografisches Bild herstellen («Selfie»), bestraft ­ obwohl das Verbot harter Pornografie gerade auch minderjährige Darsteller und Darstellerinnen schützen soll.

Die heutige Regelung ist daher zu überarbeiten und die Straflosigkeit zu erweitern.

Nicht ausser Acht gelassen werden dürfen dabei jedoch der Jugendschutz, die Vorgaben der LK und die Tatsache, dass gemäss Artikel 197 Absätze 4 und 5 die Herstellung, die Verbreitung, der Besitz und der Konsum von pornografischem Material, auf dem Minderjährige abgebildet sind, grundsätzlich strafbar sind: Die Vorbehaltsmöglichkeit gemäss LK beschränkt sich dem Wortlaut nach auf sexuell mündige Minderjährige nach nationalem Recht. Sexuell mündig bedeutet, dass Kinder und Jugendliche straflos sexuelle Handlungen vornehmen dürfen. Nach schweizerischem Strafrecht liegt diese Altersgrenze bei 16 Jahren. Straflos ist dieses Verhalten allerdings auch dann, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt (Art. 187 Ziff. 2). Diese 3-Jahres-Regel macht die Betroffenen formal zwar nicht sexuell mündig, stellt sie aber in bestimmten Konstellationen den sexuell Mündigen gleich.

Inhaltlich davon zu unterscheiden ist der «Avis du Comité de Lanzarote sur les images et / ou vidéos d'enfants sexuellement suggestives ou explicites produites, partagées ou reçues par des enfants» vom 6. Juni 2019167 («Avis»). Der
«Avis» bezweckt «de guider les Parties dans la mise en oeuvre de l'article 20 de la Convention de Lanzarote s'agissant des images et / ou vidéos sexuellement suggestives ou explicites autoproduites par des enfants en identifiant les situations qui ne constituent pas des infractions pénales et celles qui n'appellent de poursuites pénales qu'en dernier ressort» (Bst. m).

Kinder, die von sich selber pornografische Bilder und Videos herstellen, diese besitzen sowie diese freiwillig und einvernehmlich teilen, sollen sich nicht wegen Kinderpornografie strafbar machen, sofern die Bilder und Videos zum privaten Gebrauch bestimmt sind. Eine sexuelle Ausbeutung ist in solchen Konstellationen in der Regel nicht gegeben und es fehlt an einem zu schützenden Rechtsgut. Der «Avis» geht materiell über die LK hinaus, ist also rechtlich nicht bindend. Er zeigt aber eine (wünschbare) mögliche Rechtsentwicklung auf.

167

www.coe.int > Droits de l'homme > Droits des enfants > Violence sexuelle > Convention de Lanzarote > Comité de Lanzarote > Documents adoptés > Avis sur les images et/ou vidéos d'enfants sexuellement suggestives ou explicites produites, partagées ou reçues par des enfants.

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Besonders ist darauf hinzuweisen, dass die Weiterleitung solcher Fotos / Videos nicht generell entkriminalisiert werden soll. Auch Ziffer 5 des «Avis» sieht vor, dass das freiwillige und einvernehmliche Teilen pornografischer «Selfies» unter Kindern nur dann nicht strafbar sein soll, wenn diese nur für den privaten Gebrauch bestimmt sind.

Davon zu unterscheiden ist das Weiterleiten an einen grösseren Personenkreis.

Absatz 8 In Absatz 8 wird geregelt, unter welchen Bedingungen jemand straflos bleibt, der von einer minderjährigen Person pornografische Bilder oder Filme herstellt, diese besitzt, konsumiert oder der dargestellten Person zugänglich macht. Konkret müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: ­

die dargestellte Person muss eingewilligt haben;

­

der Altersunterschied zwischen den Beteiligten beträgt nicht mehr als drei Jahre;

­

die herstellende Person leistet oder verspricht dafür kein Entgelt.

Die dargestellte Person ihrerseits bleibt straflos (vgl. Abs. 8bis), selbst wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten mehr als drei Jahre beträgt oder sie sich ein Entgelt versprechen lässt oder annimmt. Gemäss der Lehre der notwendigen Teilnahme hat eine minderjährige Person, von der ein pornografisches Bild hergestellt wird, straflos zu bleiben, auch wenn sie mit der Herstellung einverstanden ist. Als minderjährige Darstellerin wird sie ausserdem vom Verbot der Minderjährigenpornografie geschützt und soll nicht vom Opfer zur Täterin gemacht werden bzw. zugleich beides sein. Aus ähnlichen Überlegungen hat der Gesetzgeber bereits bei Artikel 196 (Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Entgelt) darauf verzichtet, auch die minderjährige Person strafrechtlich zu belangen.

Aus Artikel 196 wird die Formulierung «dafür kein Entgelt leistet oder verspricht» übernommen. Ein Entgelt kann in einer Geldleistung oder jedem anderen materiellen Wert, mithin jedem wirtschaftlich messbaren Vorteil, wie beispielsweise Drogen, Unterkunft, Essen, Markenartikel, Kleider, Ferien usw., bestehen. Es ist unerheblich, ob das Entgelt tatsächlich geleistet wird, das Versprechen an sich genügt.168 Die neue Formulierung von Absatz 8 stellt gegenüber dem geltenden Recht eine Verbesserung dar. Sie ist grundsätzlich mit den Vorgaben der LK vereinbar, auch wenn die dort festgehaltene Vorbehaltsmöglichkeit in Bezug auf das Alter der Beteiligten etwas erweitert wird: Die herstellende Person kann im Einzelfall 18 bis 20 Jahre alt und damit nicht mehr minderjährig sein.

Die vorgeschlagene Änderung stiess in der Vernehmlassung auf sehr grosse Zustimmung,169 weshalb der Entwurf daran festhält.

168 169

BBl 2012 7571, hier 7614.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.14.2.

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Absatz 8bis Es wird zunächst festgehalten, dass die dargestellte Person straflos bleibt, die von sich als minderjährige Person Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 herstellt, besitzt, konsumiert oder einer anderen Person mit deren Einwilligung zugänglich macht. Es handelt sich dabei entweder um Gegenstände und Vorführungen, die in Anwendung von Absatz 8 hergestellt wurden oder die die dargestellte Person von sich selber hergestellt hat. Durch die Bestimmung werden nicht nur Minderjährige erfasst, sondern auch Mündige. Wird die dargestellte minderjährige Person nämlich volljährig, soll sie weiterhin straflos bleiben. Die Strafbarkeit soll nicht durch blossen Zeitablauf eintreten können.

Die Straflosigkeit der dargestellten Person wird ­ wie bereits ausgeführt wurde ­ damit begründet, dass sie vom Verbot der Minderjährigenpornografie geschützt wird und nicht vom Opfer zur Täterin gemacht werden soll. Will sie aber einer andern Person Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 von sich als Minderjährige zugänglich machen, muss sie vorgängig die Einwilligung der andern Person einholen, weil niemand ungefragt mit pornografischen Bildern oder Filmen konfrontiert werden soll (siehe auch Art. 197 Abs. 2 für die weiche Pornografie).170 Unterlässt es die dargestellte Person, eine Einwilligung einzuholen, macht sie sich nach Artikel 197 Absatz 4 strafbar.

Die Person, der Gegenstände oder Vorführungen mit ihrem Einverständnis zugänglich gemacht werden, bleibt ebenfalls straflos, wenn sie für die pornografischen Bilder oder Filme kein Entgelt verspricht oder leistet, sie die dargestellte Person persönlich kennt, der Altersunterschied nicht mehr als drei Jahre beträgt und sie die pornografischen Bilder oder Filme nur besitzt und konsumiert, nicht aber ihrerseits weiterleitet.

Der Altersunterschied von drei Jahren muss nicht mehr eingehalten werden, wenn beide Beteiligten volljährig sind.

Die Beteiligten müssen sich persönlich kennen, das heisst, sie dürfen sich beispielsweise nicht nur über soziale Medien kennen. Damit soll die Gefahr eingeschränkt werden, dass die Person, der die pornografischen Bilder oder Filme zugänglich gemacht werden, diese missbräuchlich verwendet.

Absatz 8bis stellt gegenüber dem geltenden Recht ebenfalls eine Verbesserung dar und entspricht dem Sinn und Geist der LK.

170

Siehe Smahel David/Machackova Hana/Mascheroni Giovanna/Dedkova Lenka/Staksrud Elisabeth/Ólafsson Kjartan/Livingstone Sonia/Hasebrink Uwe, 2020. Gemäss diesem Bericht fühlten sich 40 % der befragten 9­16-jährigen Schweizer Kinder und Jugendlichen bei ihrem letzten Kontakt mit einem sexuell konnotierten Bild «ziemlich oder sehr aufgebracht» («fairly or very upset»), S. 91 f.

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3.13

Artikel 197a Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten

3.13.1

Ausgangslage

Mit Artikel 197a schlägt die Kommission einen neuen Tatbestand vor, der ein Phänomen unserer Zeit kriminalisiert: das unbefugte Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten.

Im Rahmen der Vernehmlassung haben einzelne Teilnehmende die Strafbarerklärung des sogenannten «Revenge Porn» gefordert.171 Dabei geht es darum, dass Inhalte mit sexuellem Bezug ohne Zustimmung der abgebildeten Person Dritten zugänglich gemacht oder veröffentlicht werden. Typisches Beispiel sind Fotos oder Videos, die einst in einer Paarbeziehung einvernehmlich aufgenommen wurden, nach Beendigung der Beziehung aber ohne Einverständnis anderen zugänglich gemacht werden, um den Ex-Partner zu kompromittieren und sich so an ihm zu «rächen». Durch das Weiterleiten der Aufnahmen kann auch angestrebt werden, den Ex-Partner beispielsweise zur Wiederaufnahme der Beziehung zu nötigen. Denkbar ist aber auch, dass über anonyme Konten auf Social Media peinliche Fotos einer bestimmten Person veröffentlicht werden mit dem Aufruf zum Mobbing. Weiter können Internetpiraten solche Bilder veröffentlichen, um gegen deren Löschung eine Vermögenszuwendung zu erpressen.

Hierbei handelt es sich um ein ernstzunehmendes Problem, das insbesondere unter jungen Erwachsenen und gegenüber öffentlichen Personen verbreitet ist und grosses Leiden verursachen kann. Rechtspraktiker werden immer häufiger mit solchen Fällen konfrontiert. Denn obwohl solche Verhaltensweisen auch «offline» möglich sind, haben sie mit der fortschreitenden Digitalisierung und dem rasenden Bedeutungszuwachs des Internets (insbesondere Social Media und Messenger-Diensten) eine neue Dimension erreicht. Dadurch wurde es möglich, anonym und niederschwellig digitale Aufnahmen einem grossen Personenkreis zugänglich zu machen. Mit den im heutigen Recht zur Verfügung stehenden Mitteln kann nicht angemessen auf dieses Problem reagiert werden. Nicht immer ist eine Ehrverletzung im Sinne der Artikel 173 ff. gegeben, beispielsweise im Falle der Weiterleitung eines einfachen Nacktbildes. Auch muss der Inhalt nicht zwingend pornografischen Charakters im Sinne von Artikel 197 Absatz 2 (oder Abs. 1) sein; im Gegensatz zum Pornografietatbestand geht es zudem nicht um den Schutz der Intimsphäre der ungewollt mit dem Inhalt konfrontierten Person, sondern vielmehr um den Schutz der abgebildeten
Person. Auch die Mittel des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes (Art. 28 ff. Zivilgesetzbuch172) genügen nicht, insbesondere mit Blick auf die eingeschränkten zivilrechtlichen Möglichkeiten, den Angriff zu stoppen und gegen die Verteiler-Plattformen vorzugehen. Selbst wenn das Bild von der Plattform gelöscht wird, ist der Schaden nicht abgewendet, wenn das Bild kopiert worden ist und so weiter verteilt werden kann.

171 172

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 6.3.

SR 210

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Die Minderheit (Bauer) beantragt, auf die Einführung eines neuen Artikels 197a zu verzichten. Sie ist der Ansicht, dass diese Bestimmung nicht bei den strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität eingeordnet werden sollte, sondern eher bei den strafbaren Handlungen gegen die Ehre und den Geheim- oder Privatbereich. Zudem sollten auch weitere Verhaltensweisen mitumfasst werden, wie beispielsweise die Veröffentlichung von Fotos ohne sexuellen Inhalt, die aber kompromittierend sind.

3.13.2

Die vorgeschlagene Neuregelung

3.13.2.1

Systematische Einordnung und Gliederungstitel

Der neue Tatbestand wird als Artikel 197a anschliessend an die Pornografie eingeordnet. Systematisch rechtfertigt sich aufgrund des Rechtsguts und des inkriminierten Verhaltens173 der neue Gliederungstitel «5. Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten».

3.13.2.2

Geschütztes Rechtsgut

Der neue Tatbestand schützt das Rechtsgut des Schamgefühls bzw. der Intimsphäre jener Person, die auf der Aufnahme abgebildet ist bzw. im Zusammenhang mit dem sexuellen Inhalt genannt oder anvisiert wird.

3.13.2.3

Objektiver Tatbestand

Gemäss Absatz 1 macht sich strafbar, wer einen nicht öffentlichen sexuellen Inhalt ­ das heisst einen Inhalt, der einen sexuellen Bezug aufweist und der nach dem Willen der darin erkennbaren Person für rein private Verwendungen entstanden ist ­ ohne deren Zustimmung an eine dritte Person weiterleitet. Bei solchen Inhalten kann es sich namentlich um Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, Gegenstände oder Vorführungen handeln. Die Weiterleitung wird in den meisten Fällen über Telekommunikation oder ein Computersystem erfolgen, etwa über E-Mail, Messenger-Dienste oder Social Media. Der Tatbestand ist aber technologieneutral ausgestaltet und trifft damit auch ein physisches Zugänglichmachen.

Nach Absatz 2 ist die Tat qualifiziert, wenn die entsprechenden Inhalte öffentlich gemacht, also etwa über Internet einer unbestimmten Anzahl von Personen zugänglich gemacht werden.

173

Ziff. 3.13.2.2. ff.

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3.13.2.4

Subjektiver Tatbestand

Auf der subjektiven Seite ist vorsätzliches Handeln vorausgesetzt, wobei Eventualvorsatz genügt. Dem Täter / der Täterin muss damit insbesondere auch bewusst sein, dass die Weiterleitung des sexuellen Inhalts ohne Zustimmung der betroffenen Person erfolgt und dies wollen. Bei der qualifizierten Tatvariante nach Absatz 2 muss der Täter / die Täterin sodann zumindest in Kauf nehmen, dass der Inhalt von einer unbestimmten Anzahl von Personen gesehen werden kann. Besondere Motive oder Beweggründe, etwa solche der Rache, verlangt der Tatbestand nicht.

3.13.2.5

Strafrahmen

Bei der Weiterleitung an einen Dritten oder an einzelne Personen (Abs. 1) wird Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe angedroht. Im Falle der Qualifikation durch Veröffentlichung (Abs. 2) soll die Tat dagegen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden.

3.13.2.6

Ausgestaltung als Antrags- bzw. Offizialdelikt

Während die Tat gemäss Absatz 1 lediglich auf Antrag verfolgt wird, handelt es sich bei der qualifizierten Tatvariante um ein Offizialdelikt.

3.13.2.7

Konkurrenzen

Im Zusammenhang mit den unter den neuen Tatbestand fallenden Verhaltensweisen sind verschiedene Konkurrenzen denkbar. In erster Linie kann es sich beim fraglichen Inhalt um pornografisches Material handeln. Artikel 197 ist anwendbar, wenn «harte Pornografie» weitergeleitet wird oder wenn «weiche Pornografie» einer Person unter 16 Jahren zugänglich gemacht wird ­ wovon bei einer Publikation im Internet generell auszugehen ist. Soll eine Person durch die Weiterleitung des sexuellen Inhalts gezwungen werden, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, ist der Tatbestand der Nötigung einschlägig (Art. 181). Denkbar ist beispielsweise, dass der von seiner Freundin verlassene Täter eine sexuell konnotierte Fotografie seiner Ex-Partnerin veröffentlicht und gegen die Löschung die Wiederaufnahme der Liebesbeziehung verlangt. Will ein Internetpirat gegen die Löschung des publizierten Inhalts eine Vermögenszuwendung erpressen, handelt es sich um eine Erpressung (Art. 156). Geht aus den Umständen der Vorwurf eines ehrenrührigen Verhaltens hervor, können zudem die Ehrverletzungsdelikte erfüllt sein (Art. 173 ff.).

In solchen Fällen gehen die spezielleren Tatbestände vor und konsumieren den Unrechtsgehalt der Tat. Sie sehen zumeist auch eine höhere Strafdrohung vor.

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3.14

Artikel 198 Sexuelle Belästigungen

3.14.1

Neunummerierung des Gliederungstitels und Änderung des Randtitels im französischen Gesetzestext

Der Gliederungstitel zu den Artikeln 198 und 199 (Unzulässige Ausübung der Prostitution) wird aufgrund der Einführung von Artikel 197a (Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten)174 mit einer neuen Ziffer versehen und lautet demnach «6. Übertretungen gegen die sexuelle Integrität».

Im französischen Gesetzestext von Artikel 198 lautet der Randtitel nach geltendem Recht «Désagréments causés par la confrontation à un acte d'ordre sexuel». Dieser Titel ist umständlich und deckt nicht alle in dieser Bestimmung enthaltenen Tatvarianten ab. Er soll deshalb in «Désagréments d'ordre sexuel» abgeändert werden. Dieser Randtitel lehnt sich eng an die geltende Formulierung an und ist deshalb dem Vorschlag aus der Vernehmlassung vorzuziehen.

In der Vernehmlassung war als neuer Randtitel «Nuisances sexuelles» vorgeschlagen worden; diese Änderung wurde mehrheitlich begrüsst.175 Wenige Teilnehmende forderten hingegen «Harcèlement sexuel» als neuen Randtitel. Nach Ansicht der Kommission passt dies jedoch nicht, da bei diesem Ausdruck im Französischen von einem wiederholten Vorgehen ausgegangen werden könnte. Bei Artikel 198 kann allerdings bereits eine einmalige Handlung strafbar sein.

3.14.2

Tatmittel Wort, Schrift, Bild

Im geltenden zweiten Absatz zweite Tatvariante von Artikel 198 soll das Tatmittel «Worte» neu in der Einzahl formuliert werden. Auch ein einzelnes Wort kann zu einer tatbestandsmässigen sexuellen Belästigung führen. Zudem sprechen systematische Gründe dafür, da dasselbe Tatmittel in Tatbeständen anderer Titel des StGB ebenfalls in der Einzahl aufgeführt ist (so in Art. 177 [Beschimpfung] und Art. 261bis [Diskriminierung und Aufruf zu Hass]).

Entsprechend der Forderung der (inzwischen abgeschriebenen) Motion 18.4049 Reynard «Sexuelle Belästigung. Gravierende Lücken müssen geschlossen werden»,176 soll zudem der Ausdruck «Schrift» ergänzt werden. Der Bundesrat führte in seiner Stellungnahme vom 30. November 2018 aus, Artikel 198 erfasse nach herrschender Lehre nur das gesprochene Wort; die Frage werde aber von einem Teil der Lehre anders beurteilt und sei auch noch nie Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen. Insofern könne nicht eindeutig gesagt werden, Artikel 198 finde in diesen Fällen keine Anwendung.

174 175 176

Ziff. 3.13.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.18.1.

www.parlament.ch > Geschäft 18.4049. Der Vorstoss wurde am 25. September 2020 abgeschrieben.

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In der Zwischenzeit hat das Bundesgericht in seinem Urteil 6B_69/2019 vom 4. November 2019 festgehalten, Artikel 198 zweiter Absatz umfasse nicht nur ausgesprochene Worte, sondern auch schriftliche oder bildliche Tatobjekte (E. 2.3.2.). Dies entspricht auch der neueren Entwicklung in der Rechtswissenschaft.177 Unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots und in systematischer Anlehnung an die Artikel 177 und 261bis soll im Gesetzestext von Artikel 198 zum Ausdruck kommen, dass der Tatbestand auch durch geschriebene Worte erfüllt werden kann.

Dies war im Vorentwurf noch nicht vorgesehen gewesen, wurde in der Vernehmlassung aber von mehreren Teilnehmenden gefordert.178 Schliesslich soll der Ausdruck «Bild» in die Aufzählung aufgenommen werden. Neu und entsprechend der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann damit eine sexuelle Belästigung nicht nur tätlich oder in grober Weise durch Wort bzw. Schrift, sondern auch (in grober Weise) durch ein Bild erfolgen. Damit wird namentlich das elektronische Versenden eines sexuell konnotierten Bildes, das nach geltendem Recht nicht unter Artikel 198 zweiter Absatz fällt,179 erfasst. Das Versenden oder Zeigen eines pornografischen Bildes fällt weiterhin unter Artikel 197 (Pornografie). In der Vernehmlassung wurde diese Ergänzung von der überwiegenden Mehrheit begrüsst.180

3.15

Artikel 200 Gemeinsame Begehung

Diese Regelung wird einerseits redaktionell angepasst, indem insbesondere der Ausdruck «Richter» durch den geschlechtsneutralen Begriff «Gericht» ersetzt wird. Andererseits wird die «kann»-Formulierung in eine «ist»-Formulierung umgewandelt, sodass das Gericht bei einer gemeinsamen Begehung der Tat die Strafe erhöhen muss, um den erhöhten Unrechtsgehalt Rechnung zu tragen. Diese Anpassungen wurden in der Vernehmlassung begrüsst.181 In der Praxis dürfte sich dadurch kaum etwas ändern, da sich die Tatsache, dass mehrere Täter / Täterinnen gemeinsam handeln, bei der Bemessung der Strafe ohnehin straferhöhend auswirkt.

Aufgrund der Einführung von Artikel 197a (Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten)182 wird schliesslich der Gliederungstitel zu Artikel 200 mit einer neuen Ziffer versehen.

177 178 179 180 181 182

Donatsch Andreas, 2018, § 65 S. 588.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.18.2.

Isenring Bernhard, 2019, Art. 198 N 24; Kummer Kathrin, 2002, S. 83.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.18.2.

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.19.

Ziff. 3.13

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3.16

Artikel 264a Absatz 1 Buchstabe g Verbrechen gegen die Menschlichkeit / Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung Artikel 264e Absatz 1 Buchstabe b Kriegsverbrechen / Ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde

Aufgrund der in den Artikeln 189 und 190 vorgenommenen Änderungen müssen Artikel 264a Absatz 1 Buchstabe g sowie Artikel 264e Absatz 1 Buchstabe b angepasst werden. Es kann grundsätzlich auf die Ausführungen zu den Artikeln 189 und 190 verwiesen werden.183 Bei der Vergewaltigung werden, in Übereinstimmung mit den Änderungen in Artikel 190, die Ausdrücke «weibliche» bzw. «weiblichen Geschlechts» gestrichen.

Dadurch wird die Vergewaltigung auch im Bereich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen geschlechtsneutral umschrieben, was auch im Einklang steht mit der völkerstrafrechtlichen Definition der Vergewaltigung auf internationaler Ebene.184 Der Verweis auf Artikel 190 beschränkt sich allerdings auf dessen Absätze 2 und 3. Damit wird sichergestellt, dass Artikel 264a Absatz 1 Buchstabe g, der grundsätzlich eine Mindeststrafe von fünf Jahren vorsieht, nicht in unverhältnismässiger Weise ausgedehnt wird, bzw. dass er auf diejenigen Sexualdelikte beschränkt bleibt, die eine besondere Schwere aufweisen (mit Nötigungselement). Mit den übrigen Änderungen («an ihr eine sexuelle Nötigung [...] begeht» bzw. «sie zu einer sexuellen Handlung [...] missbraucht») wird klargestellt, dass auch Tathandlungen gemäss den Artikeln 189 und 191 weiterhin erfasst sein können. Der Verweis auf Artikel 189 wird allerdings, aus denselben Gründen wie bei Artikel 190, auf dessen Absätze 2 und 3 beschränkt. Am Zusatz «von vergleichbarer Schwere», der sich bereits im geltenden Recht findet und auf Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe g des Römer Statuts zurückgeht, ist festzuhalten. Im Bereich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen, die zu den schwersten Verbrechen gehören, welche die internationale Gemeinschaft als Ganze berühren, ist dieses zusätzliche Element nach wie vor gerechtfertigt, und es ist nicht ersichtlich, dass dieses Erfordernis in der Praxis zu unbefriedigenden Situationen führen würde.

Im Übrigen wird in Artikel 264a Absatz 1 Buchstabe g sowie Artikel 264e Absatz 1 Buchstabe b die Reihenfolge der erfassten Sexualdelikte angepasst, zu Gunsten der sprachlichen Klarheit.

183 184

Ziff. 3.6 Vgl. Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe g sowie Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b (xxii) und Buchstabe e (vi) des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998; SR 0.312.1.

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4

Jugendstrafgesetz vom 20. Juni 2003185

Art. 36 Abs. 2 und 3 Mit Bezug auf die Aufnahme der Artikel 193 und 193a StGB in die Aufzählung zur Verfolgungsverjährung in Artikel 36 Absatz 2 JStG kann auf die Ausführungen zu Artikel 97 Absatz 2 StGB verwiesen werden. Zusätzlich wird ein gesetzgeberisches Versehen korrigiert, indem ebenfalls die Artikel 124 und 197 Absatz 3 StGB in die Aufzählung aufgenommen werden. Artikel 36 Absatz 2 JStG lehnt sich sehr stark an die Regelung von Artikel 97 Absatz 2 StGB an, wobei die Artikel 187 und 188 StGB vom Gesetzgeber ausdrücklich weggelassen wurden.

Die übergangsrechtliche Regelung im geltenden Artikel 36 Absatz 2 zweiter Satz JStG wird in einen neuen Absatz 3 verschoben und ergänzt. Diese Auftrennung entspricht dem gleichen Vorgehen wie in Artikel 97 StGB. Die übergangsrechtliche Bestimmung befindet sich dort ebenfalls in einem separaten Absatz (Abs. 4), während die längere Verfolgungsverjährungsfrist für Straftaten gegen Kinder in Artikel 97 Absatz 2 StGB enthalten ist. Das JStG ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Entsprechend werden die zu diesem Zeitpunkt in Kraft gewesenen Straftatbestände in Absatz 3 explizit aufgeführt. Dieses Vorgehen hat betreffend die übergangsrechtliche Regelung keine materielle Änderung zur Folge. Es ermöglicht aber die Ergänzung der Aufzählung in Absatz 2, ohne dass die übergangsrechtliche Regelung in Absatz 3 betroffen ist.

Bei der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)186 wird Artikel 193a nicht in die Aufzählung in Absatz 2 aufgenommen, weil bei einer Umsetzung der Zustimmungslösung auf diese Bestimmung verzichtet werden könnte (vgl. Ziff. 3.10.1).

5

Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927187

5.1

Übereinstimmung zwischen MStG und StGB

Der Besondere Teil des MStG entspricht im Wesentlichen dem Besonderen Teil des StGB; Abweichungen gibt es lediglich dort, wo die spezifischen Bedürfnisse des Militärstrafrechts es erfordern. Die vorliegende Revision des MStG verfolgt wie frühere Teilrevisionen das Ziel, diese Übereinstimmung so weit als möglich zu bewahren.

Folglich gelten die Erläuterungen zum Besonderen Teil des StGB in gleicher Weise für das MStG.

Folgende Bestimmungen werden miteinander in Übereinstimmung gebracht: E-MStG

185 186 187

Art. 49a Abs. 1 Bst. f

und E-StGB

Art. 66a Abs. 1 Bst. h

Art. 50 Abs. 3 Bst. a, 4 und 4bis Bst. a

und

Art. 67 Abs. 3 Bst. c, 4 Bst. a und 4bis Bst. a

SR 311.1 Ziff. 3.6.1.5 SR 321.0

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Art. 55 Abs. 2

und

Art. 97 Abs. 2

Art. 59 Abs. 1 Bst. e

und

Art. 101 Abs. 1 Bst. e

Art. 109 Abs. 1 Bst. g

und

Art. 264a Abs. 1 Bst. g

Art. 112a Abs. 1 Bst. b

und

Art. 264e Abs. 1 Bst. b

Art. 153

und

Art. 189

Art. 154

und

Art. 190

Art. 155

und

Art. 191

Art. 156 Ziff. 1, 1bis und 3

und

Art. 187 Ziff. 1, 1bis und 3

Art. 158

und

Art. 193a

Art. 159

und

Art. 194

Art. 159a

und

Art. 198

Art. 159b

und

Art. 200

Artikel 197a StGB (Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten) wird nicht in das MStG aufgenommen. Auch der Pornografietatbestand, zu welchem Artikel 197a StGB eine systematische und inhaltliche Nähe aufweist, ist nicht im MStG aufgeführt. Die dem Militärstrafrecht unterstehenden Personen bleiben für strafbare Handlungen, die in diesem Gesetz nicht vorgesehen sind, dem zivilen Strafrecht unterworfen (Art. 8 MStG).

5.2

Artikel 157 Ausnützung der militärischen Stellung

Artikel 157 MStG ist eine militärspezifische Norm, weist allerdings ­ indem der Täter / die Täterin auch bei diesem Tatbestand eine vorbestehende Zwangssituation ausnützt ­ Parallelen zu Artikel 188, 192 und 193 StGB auf. Diese sehen bei der Geldstrafe keine Mindeststrafe vor; in Artikel 157 MStG hingegen beträgt die Mindeststrafe 30 Tagessätze Geldstrafe. Eine Mindeststrafe dieser Höhe erscheint nicht sinnvoll. Es wird deshalb vorgeschlagen, sie hier zu streichen. In der Vernehmlassung wurde dies begrüsst.188 Weiter soll die Höchststrafe angepasst werden: Nach geltendem Recht beträgt die Höchststrafe in Artikel 157 MStG bei sämtlichen sexuellen Handlungen ­ also auch dem Beischlaf ­ drei Jahre Freiheitsstrafe. In Artikel 190 Absatz 1 E-StGB (Vergewaltigung ohne Nötigung durch den Täter) hingegen soll die Höchststrafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren betragen.189 Dies erscheint unstimmig. Das Ausnützen einer Abhängigkeit dürfte vom Unrechtsgehalt her gleich schwer wiegen wie das Übergehen des entgegenstehenden Willens (bzw. das Nichteinholen einer Einwilligung).

Die Höchststrafe in Artikel 157 E-MStG soll deshalb ­ gleich wie in Artikel 188 188 189

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.22.

Ziff. 3.6.1.6, Strafrahmen.

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und 193 E-StGB ­ auf fünf Jahre Freiheitsstrafe erhöht werden. Damit wird Artikel 157 MStG zu einem Verbrechen, so dass eine entsprechende Verurteilung eine obligatorische Landesverweisung zur Folge hat.

6

Strafprozessordnung190

Art. 269 Abs. 2 Bst. a und 286 Abs. 2 Bst. a Die materiellen Änderungen im StGB müssen in den beiden Deliktskatalogen nachvollzogen werden. So wird Artikel 192 Absatz 1 StGB aus den beiden Aufzählungen gestrichen und stattdessen Artikel 193 Absatz 1 StGB in die beiden Kataloge aufgenommen, weil die bisher unter Artikel 192 Absatz 1 StGB subsumierten Tathandlungen neu von Artikel 193 Absatz 1 erfasst werden sollen. Ausserdem wird Artikel 193a in die Aufzählungen aufgenommen.

In Artikel 286 Absatz 2 Buchstabe a StPO wird bei den Artikeln 189 und 190 StGB die Beschränkung auf die Absätze 1 und 3 gestrichen, da sich der Verweis zukünftig auf die gesamten Bestimmungen beziehen soll.

Bei der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)191 wird Artikel 193a nicht in die Aufzählungen aufgenommen, weil bei einer Umsetzung der Zustimmungslösung auf diese Bestimmung verzichtet werden könnte (vgl.

Ziff. 3.10.1).

7

Militärstrafprozess vom 23. März 1979192

Art. 70 Abs. 2 Zwei materielle Änderungen im MStG müssen im Deliktskatalog von Artikel 70 Absatz 2 des Militärstrafprozesses vom 23. März 1979 (MStP) nachvollzogen werden.

So werden die Artikel 157 und 158 MStG in die Aufzählung aufgenommen.

Anzumerken ist, dass in der Botschaft vom 28. August 2019193 zur Änderung der Strafprozessordnung (Umsetzung der Motion 14.3383 RK-S «Anpassung der Strafprozessordnung»194) vorgeschlagen wird, die beiden Deliktskataloge betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 70 Abs. 2 MStP) und die verdeckte Ermittlung (Art. 73a Abs. 1 Bst. a MStP) an diejenigen der Strafprozessordnung (Art. 269 Abs. 2 Bst. a und 286 Abs. 2 Bst. a StPO) anzugleichen. Diese Vorlage wird gegenwärtig im Parlament beraten (Geschäftsnummer 19.048). Je nach Ausgang der parlamentarischen Beratungen ist vorgesehen, die Artikel 157 und 158 MStG in den neuen Deliktskatalog betreffend die verdeckte Ermittlung (Art. 73a Abs. 1 Bst. a E-MStP) aufzunehmen.

190 191 192 193 194

SR 312.0 Ziff. 3.6.1.5 SR 322.1 BBl 2019 6697 www.parlament.ch > Geschäft 14.3383.

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Bei der Minderheit (Mazzone, Baume-Schneider, Sommaruga Carlo, Vara)195 wird Artikel 158 nicht in die Aufzählung aufgenommen, weil bei einer Umsetzung der Zustimmungslösung auf diese Bestimmung verzichtet werden könnte (vgl. Ziff. 3.10.1).

8

Regelungsverzichte

8.1

Artikel 187 ff.: Beibehaltung der Geldstrafe als mögliche Sanktion

Entgegen dem Entwurf des Bundesrates196 soll in den Artikeln 187 ff. die Geldstrafe als mögliche Sanktion nicht generell gestrichen werden. Dies wurde in der Vernehmlassung von diversen Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst.197 Folgende Gründe sprechen für die Beibehaltung der Geldstrafe: ­

Widerspruch zum Konzept des (neuen) Sanktionenrechts Dem Anliegen, dass gerade auch bei Sexualdelikten vermehrt Freiheitsstrafen anstelle von Geldstrafen ausgefällt werden, tragen die Änderungen des Sanktionenrechts (in Kraft seit 1. Januar 2018) bereits in doppelter Hinsicht Rechnung: Zum einen durch die Reduktion des Anwendungsbereichs der Geldstrafe allgemein (Halbierung von 360 auf 180 Tagessätze), zum anderen durch die Möglichkeit, aus spezialpräventiven Gründen eine kurze Freiheitsstrafe statt einer Geldstrafe auszusprechen. Das heisst, das Gericht kann auf Freiheitsstrafe statt Geldstrafe erkennen, wenn eine solche geboten erscheint, um den Täter / die Täterin von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten (Art. 41 Abs. 1 Bst. a). Würde man nun darüber hinaus bei Sexualdelikten generell nur Freiheitsstrafen vorsehen, würde das in zweifacher Hinsicht im Widerspruch zu den Beschlüssen des Parlaments stehen: Zum einen würde der nach intensiver Diskussion beibehaltene Grundsatz des Vorrangs der Geldstrafe durchbrochen. Zum anderen würde es im Widerspruch zu der vom Parlament verworfenen Absicht stehen, jemanden im Bereich von bis zu sechs Monaten einzig aus generalpräventiven Gründen mit Freiheitsstatt mit Geldstrafe zu bestrafen.

­

Ein genereller Verzicht ist unnötig und unbillig Wie dargelegt drängt das neue Sanktionenrecht den Anwendungsbereich der Geldstrafe erheblich zurück. Bereits dies stellt eine Verschärfung gegenüber dem alten Recht dar, da der Gesetzgeber und auch das Bundesgericht davon ausgehen, dass die Geldstrafe objektiv eine mildere Strafe darstellt als die Freiheitsstrafe.198 Eine weitere Verschärfung erscheint deshalb nicht nötig,

195 196 197 198

Ziff. 3.6.1.5 Ziff. 1.1; BBl 2018 2959 Vernehmlassungsbericht, Ziff. 5.1.1.

BGE 134 IV 97 E. 4.2.2.: «Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit sind gegenüber der Freiheitsstrafe weniger eingriffsintensive Sanktionen und gelten somit als mildere Strafen.» Dies schliesst nicht aus, dass Verurteilte in der Praxis oftmals eine Freiheitsstrafe der Geldstrafe vorziehen. Die gemeinnützige Arbeit ist inzwischen keine eigenständige Sanktion mehr, sondern eine Vollzugsform (Art. 79a).

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zumal selbst dann eine Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann, wenn eigentlich eine Geldstrafe Vorrang hätte. Das neue Sanktionenrecht lässt genügend Spielraum für gerechte Lösungen; es lässt auch zu, dass kein Täter / keine Täterin «zu billig» davonkommt.

­

Gefahr des Einbruchs im System Mit einem beinahe generellen Ausschluss der Geldstrafe bei den Sexualdelikten geschähe ein unnötiger Einbruch ins System. Es bestünde zudem die Gefahr, dass sich dieser nach und nach auf weitere Delikte (z. B. bei Körperverletzungen zum Nachteil von Kindern oder älteren Personen) ausdehnen und so letztlich ohne Not das Sanktionensystem als solches untergraben würde.

Auf eine Streichung der Geldstrafe wird deshalb verzichtet, zumal von einer solchen auch keine Verbesserung des abschreckenden Effekts der Normen zu erwarten wäre.

8.2

Motion 14.3022 Rickli «Kinderpornografie.

Verbot von Posing-Bildern»

8.2.1

Ausgangslage

Die Motion Rickli 14.3022 «Kinderpornografie. Verbot von Posing-Bildern»199 beauftragt den Bundesrat, eine Gesetzesrevision vorzubereiten, um den gewerbsmässigen Handel mit Nacktfotos und entsprechenden Filmaufnahmen von Kindern unter Strafe zu stellen. Die Motion ist vom Parlament angenommen und am 6. Dezember 2016 überwiesen worden. Der Bundesrat hatte die Annahme beantragt: Er unterstützte die Stossrichtung, wies aber auch auf heikle Abgrenzungsschwierigkeiten hin.

Hintergrund der Motion ist ein konkreter Fall: 2014 sprengte die kanadische Polizei nach dreijährigen Ermittlungen einen internationalen Kinderpornoring (sog. «Operation Spade»). Die kanadische Internetfirma Azov Films hatte in Osteuropa Filme hergestellt, in denen Knaben im Alter zwischen etwa zehn und sechzehn Jahren nackt beim Spielen zu sehen waren. Die Polizei beschlagnahmte mehrere hunderttausend Internet-Filme und stellte Namen und Adressen der fast ausschliesslich männlichen Käufer aus der ganzen Welt sicher. Rund 150 Käufer stammten aus der Schweiz. Gemäss dem Bundesamt für Polizei (fedpol) zeigten die Filme weder sexuelle Handlungen noch eine Fokussierung auf die Geschlechtsteile der Knaben. Daraus schloss man, dass es sich nicht um strafbares Material handle. Allerdings wurden in verschiedenen Kantonen Strafverfahren wegen Verdachts auf Kinderpornografie eingeleitet.200 In Deutschland kam es in der Folge zur Affäre um den damaligen Bundestagsabgeordneten Edathy, der zugab, solche Filme heruntergeladen zu haben. Das Verfahren wurde eingestellt.201 Doch wurde, auch als Reaktion darauf, das deutsche Sexualstrafrecht verschärft. Ziel der (kontrovers diskutierten)202 Revision war es zu verhindern, 199 200

www.parlament.ch > Geschäft 14.3022 Zum Ganzen siehe die Begründung der Mo.; «Grossermittlung wegen Kinderpornographie», Neue Zürcher Zeitung vom 30. November 2014.

201 «Edathys Geständnis ohne Schuldgefühle», Neue Zürcher Zeitung vom 2. März 2015.

202 Zum Ganzen Eisele Jörg/Franosch Rainer, 2016, S. 519 ff.

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dass mit dem Körper von Kindern Geld verdient werde. Dazu wurde die Legaldefinition der kinder- bzw. jugendpornografischen Schrift in den § 184b und 184c D-StGB erweitert ­ etwa um Schriften, welche die Wiedergabe ganz oder teilweise unbekleideter Kinder oder Jugendlicher in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung zum Gegenstand haben.203 Zudem wurde § 201a D-StGB betreffend die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen angepasst.204

8.2.2

Probleme bei der Umsetzung der Motion

Bereits in der Begründung zur Motion zeigen sich einige Unklarheiten ­ insbesondere, was das Tatobjekt und die Tathandlung des geforderten Tatbestandes betrifft. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass die Probleme kaum gelöst werden könnten und zu einer unbefriedigenden Regelung führen müssten, welche die Praxis vor grosse Schwierigkeiten stellen würde. Sie werden im Folgenden dargelegt.

Ausgangspunkt einer jeden Strafnorm ist das zu schützende Rechtsgut. Die Bestimmung des Rechtsguts eines Posing-Tatbestandes wirft schwierige Fragen auf, da Posing-Aufnahmen nicht im klassischen Sinn (kinder-) pornografisch sind.

Hinzu kommt, dass hinsichtlich des Tatobjekts in der Motion einerseits von «Nacktfotos und entsprechenden Filmaufnahmen» (eingereichter Text), andererseits von «Posing-Bildern» (Titel) die Rede ist. Diese Begriffe werden unterschiedlich definiert: Mit Nackt-Aufnahme ist eine (Foto- oder Film-) Aufnahme gemeint, auf der das Kind unbekleidet ist ­ wobei sich fragt, ob es völlig unbekleidet sein muss und ob die Geschlechtsteile sichtbar sein müssen. Dagegen ist eine Posing-Aufnahme typischerweise eine gestellte Aufnahme, bei deren Herstellung klar auf das Kind eingewirkt wurde, dieses in der Regel aber noch teilweise bekleidet ist.

Unklar ist die Motion auch bezüglich der Tathandlung. Wird der eingereichte Text als massgebend erachtet,205 bleibt die Strafbarkeit auf den gewerbsmässigen Handel beschränkt. Gemäss Begründung zielt die Motion dagegen auch auf den Konsum: Die Motionärin störte im Fall «Azov», dass die Käufer bzw. Konsumenten der Filme in der Schweiz nicht bestraft werden konnten.

Den Konsum nicht pornografischer Aufnahmen für strafbar zu erklären, würde allzu weit gehen.206 Stossend wäre aber auch die Beschränkung der Strafbarkeit auf den 203

Daneben ist neu auch die Verbreitung einer Schrift strafbar, die die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesässes eines Kindes zum Gegenstand hat.

204 Diese Änderung darf aufgrund rechtssystematischer Unterschiede jedoch nicht in eine strafrechtsvergleichende Betrachtung einbezogen werden: Anders als im deutschen Recht wird in der schweizerischen Systematik das Recht am eigenen Bild nicht über das Strafrecht geschützt, sondern über den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz.

205 AB 2016 S 1036, Sommaruga Simonetta, Bundesrätin: «Aber Sie wissen, für den Bundesrat ist immer der Motionstext relevant. In diesem Sinne geht es hier um den gewerbsmässigen Handel mit Nacktfotos und entsprechenden Filmaufnahmen von Kindern, der unter Strafe gestellt werden soll».

206 Die Motion wurde von den Räten auch in dem Sinne verstanden, dass nicht jeglicher Konsum, sondern vielmehr Gewerbsmässigkeit der Verbreitung bestraft werden soll: vgl. etwa AB 2016 S 1035, Jositsch Daniel (S, ZH).

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gewerbsmässigen Handel: Die Gewerbsmässigkeit wurde bisher im StGB als reiner Qualifikationsgrund verwendet. Das heisst, die Gewerbsmässigkeit an sich begründet in aller Regel die Strafbarkeit nicht, sondern qualifiziert allenfalls die Strafbarkeit eines Handelns, das grundsätzlich als strafwürdig eingestuft wurde.

Nicht strafbar sollen private Aufnahmen sein, wie etwa Fotos für das Familienalbum.

Die Motion will aber verhindern, dass solche Aufnahmen später zur Erfüllung sexueller Interessen konsumiert werden bzw. zu diesem Zweck gewerbsmässig verkauft werden. Der Tatbestand müsste also auf sexuelle Verwendungszwecke eingegrenzt werden.

8.2.3

Änderung der Rechtsprechung

Seit Einreichung der Motion hat sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Pornografie massgebend geändert: Mit dem Urteil 6B_180/2015 vom 18. Februar 2016 hat das Bundesgericht die Definition der Kinderpornografie ausgeweitet. Gegenstand dieses Urteils sind unter anderem «Aufnahmen von (halb-) nackten Kindern beim Spielen am Strand», aus denen der Beschwerdeführer Standbilder angefertigt hat.207 Nach der neuen Rechtsprechung ist nicht zwingend erforderlich, dass auf das Kind im Sinne eines eigentlichen Posieren-Lassens direkt eingewirkt wurde; auch heimlich aufgenommene Bilder von nackten Kindern können eine korrumpierende Wirkung im Sinne des Tatbestandes haben. Weiterhin straflos bleiben nach dieser Rechtsprechung blosse Schnappschüsse von Szenen des alltäglichen Lebens (etwa Fotos nackter Kinder am Strand oder in der Badeanstalt). Abgrenzungskriterium ist gemäss Bundesgericht die Sozialadäquanz: «Sind die Bilder ausserhalb des sozial üblichen und akzeptierten Rahmens anzusiedeln und lassen diese keine andere Interpretation zu, als dass sie der sexuellen Erregung pädosexuell veranlagter Personen dienen sollen, handelt es sich um verbotene kinderpornografische Darstellungen (...). Kinderpornografischen Charakter aufweisen können demnach nicht nur Aufnahmen vollständig nackter Kinder, sondern auch solche teilweise nackter Personen im Kindesalter, soweit die Bilder aufgrund von Pose, Darstellung, Blickwinkel, Ausschnitt oder weiterer Elemente eindeutig sexualbezogen und sozial inadäquat erscheinen.» Bei nur teilweise nackten bzw. im Genitalbereich nicht vollständig entkleideten Kindern seien allerdings höhere Anforderungen an die Sexualbezogenheit zu stellen.208 Nach dieser neuen, den Anwendungsbereich von Artikel 197 ausdehnenden Rechtsprechung dürfte der geltende Pornografietatbestand auch das Grundanliegen der Motion erfassen.209

207 208 209

Urteil des Bundesgerichts 6B_180/2015 vom 18. Februar 2016, Sachverhalt A.

Urteil des Bundesgerichts 6B_180/2015 vom 18. Februar 2016, E. 3.3.1.

AB 2016 S 1034, Caroni Andrea (RL, AR) zur neuen Bundesgerichtspraxis: «Aus dieser Gerichtspraxis ergibt sich, dass der Pornografiebegriff in diesen Bereichen sehr, sehr weit gefasst wird und eigentlich ­ mit Ausnahme eines zufälligen Familienschnappschusses am Strand ­ schon so ziemlich alles erfasst. Ich habe mit der Motionärin einmal kurz darüber gesprochen, und sie hat mir gesagt, ihr eigentliches Anliegen sehe sie materiell weitgehend erfüllt. (...)».

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8.2.4

Ergebnis

Ein Posing-Tatbestand wäre rechtlich heikel und müsste in der Praxis zu kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Mit der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird aufgenommen, was die Motion im Kern verlangt.

Aus diesen Gründen war im Vorentwurf vorgeschlagen worden, auf einen solchen Tatbestand zu verzichten. Dies stiess in der Vernehmlassung mehrheitlich auf Zustimmung.210

8.3

Parlamentarische Initiative 18.434 (Amherd) Bregy «Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen»

8.3.1

Ausgangslage

Mit der parlamentarischen Initiative 18.434 (Amherd) Bregy «Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen»211 wird gefordert, dass Cybergrooming unter Strafe zu stellen und als Offizialdelikt auszugestalten sei. In der Begründung wird ausgeführt, es sei zu diskutieren, ob ein eigener spezifischer CybergroomingTatbestand geschaffen werden müsse, der allfällige Vorbereitungshandlungen für ein Treffen mit Minderjährigen unter Strafe stelle oder ob bereits bestehende Straftatbestände entsprechend ergänzt werden könnten. Sexuelle Belästigung von Kindern im Netz müsse zudem generell als Offizialdelikt ausgestaltet werden.

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) hat der parlamentarischen Initiative am 29. August 2019 mit 17 zu 6 Stimmen und einer Enthaltung Folge gegeben, und die RK-S hat ihr am 29. Oktober 2019 mit 9 zu 2 Stimmen mit zwei Enthaltungen zugestimmt. Die RK-N hat am 28. August 2020 mit 16 zu 2 Stimmen, mit 3 Enthaltungen, beschlossen, selber einen Vorentwurf ausarbeiten zu lassen.

8.3.2

Definitionen

Der Begriff Cybergrooming wird nicht einheitlich verwendet.212 Als Cybergrooming im engeren Sinne wird das gezielte Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Kindern und Jugendlichen durch Erwachsene mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Hinblick auf ein reales, physisches Treffen mit dem Ziel sexuellen Missbrauchs verstanden. Grooming umfasst lediglich die Vorbereitung des Missbrauchs im Sinne eines Hinarbeitens auf ein reales Treffen, nicht aber den Missbrauch selbst (nachfolgend Grooming i.e.S.).

210 211 212

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 5.1.2.

www.parlament.ch > Geschäft 18.434.

Fontanive Karin/Simmler Monika, 2016, Ziff. A II 2.

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Cybergrooming im weiteren Sinne beschreibt demgegenüber Verhaltensweisen der sexuellen Belästigung mittels IKT, mit denen ein Täter Kontakt zu Kindern und Jugendlichen im Internet sucht und pflegt, ohne dass die Handlungen auf ein reales Treffen gerichtet sein müssen oder bereits die Schwelle von (versuchtem) sexuellen Kindsmissbrauch oder (versuchter) Herstellung von Kinderpornografie überschreiten (nachfolgend Grooming i.w.S.).

Der Begriff IKT steht im weiteren Sinne für jegliche Kommunikationsanwendung, darunter Radio, Fernsehen, Handys, Smartphones, Hardware und Software für Computer und Netzwerke, Satellitensysteme, sowie für die verschiedenen Dienstleistungen und Anwendungen, die damit verbunden sind.213

8.3.3

Geltendes Recht

Grooming ist bereits nach geltendem Recht weitgehend strafbar.

Grooming i.e.S.

Spricht ein Erwachsener ein Kind oder einen Jugendlichen via IKT an mit dem Ziel, es später sexuell zu missbrauchen, kann ein strafbarer Versuch, sexuelle Handlungen mit Kindern vorzunehmen (Art. 187 Ziff. 1 erster Absatz i.V.m. Art. 22) oder Kinderpornografie herzustellen (Art. 197 Abs. 4 zweiter Satz i.V.m. Art. 22), vorliegen, sofern es zu einem Treffen kommt und dieses den letzten entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Tatverwirklichung darstellt.

Grooming i.w.S.

Ein Täter macht sich schon beim Chatten im Internet, wo kein körperlicher Kontakt vorausgesetzt wird, strafbar, wenn: ­

er das Kind mit (auch eigenen) pornografischen Texten oder Abbildungen konfrontiert (Art. 197 Abs. 1);

­

er das Kind zur Vornahme sexueller Handlungen an sich selber verleitet (Art. 187 Ziff. 1 zweiter Abs.); oder

­

er das Kind in eine sexuelle Handlung einbezieht, indem er beispielsweise sexuelle Handlungen vor dem Kind vornimmt bzw. das Kind diese wahrnimmt (Art. 187 Ziff. 1 dritter Abs.);

­

Gegebenenfalls kommen auch die Artikel 179quater (Verletzung des Geheimoder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte), 180 (Drohung) und 181 (Nötigung) in Frage.

Das blosse Chatten mit sexuellem Inhalt ohne eine der erwähnten Handlungen ist hingegen in den meisten Fällen nicht strafbar. Allenfalls kann es sich um sexuelle Belästigung durch Worte (Art. 198 zweiter Abs.) handeln; für die Strafverfolgung der Tat ist nach geltendem Recht ein Antrag zu stellen.

213

de.wikipedia.org > Informations- und Kommunikationstechnik.

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8.3.4

Verzicht auf die Einführung eines separaten Tatbestands betreffend Grooming i.e.S.

8.3.4.1

Gründe für den Verzicht

Im Vorentwurf war vorgeschlagen worden, einen separaten Straftatbestand des Grooming i.e.S. einzuführen. Demnach sollte sich strafbar machen, wer einem Kind unter 16 Jahren mit der Absicht, eine Straftat nach Artikel 187 Ziffer 1 erster Absatz oder Artikel 197 Absatz 4 zweiter Satz zu begehen, ein Treffen vorschlägt und Vorbereitungen für ein solches Treffen trifft. Alternativ war der Verzicht auf eine solche Norm vorgeschlagen worden.

In der Vernehmlassung sprach sich eine deutliche Mehrheit für die Einführung eines solchen Tatbestandes aus. Damit erhofft man sich eine Verbesserung des Kinder- und Jugendschutzes. Eine Minderheit will auf einen neuen Tatbestand verzichten, im Wesentlichen deshalb, weil das Verhalten bereits nach geltendem Recht als Versuch strafbar ist und es sich um symbolische Gesetzgebung handelt.214 Grooming i.w.S. würde von einer solchen Revision nicht berührt. Wie bereits nach geltendem Recht würde es (weiterhin) von diversen Tatbeständen abgedeckt (vgl.

Ziff. 8.3.3).

Die Kommission sieht, wie die Minderheit der Vernehmlassungsteilnehmenden, aus folgenden Gründen von der Schaffung eines separaten Tatbestandes des Grooming ab: Das geltende Recht erfasst Grooming i.e.S. bereits über den Versuch der entsprechenden Tathandlungen (vgl. Ziff. 8.3.3). Mit der Strafbarerklärung von Vorbereitungshandlungen würde die Strafbarkeitsgrenze nur minimal vorverlegt, neu würde damit auch der «Versuch zum Versuch» strafbar. Die Kodifizierung dieser Rechtslage in einem neuen, separaten Tatbestand ginge kaum über das hinaus, was bereits strafbar ist, und der praktische Zusatznutzen ist fraglich. Ein solcher separater Tatbestand würde sich primär auf symbolische Gesetzgebung beschränken.215 Ausserdem würden sich schwierige Konkurrenzprobleme stellen zwischen den geltenden Tatbeständen, die ja weiterhin anwendbar sind, und dem neuen Tatbestand.

Vorbereitungshandlungen werden im geltenden Strafrecht nur in Ausnahmefällen für strafbar erklärt. Materiell würden vorliegend Vorbereitungshandlungen kriminalisiert, die nach geltendem Recht nur für besonders schwere, einzeln aufgeführte Straftaten wie Mord, Raub, Geiselnahme oder Völkermord strafbar sind (Art. 260bis, Strafbare Vorbereitungshandlungen). Anders als in Artikel 260bis lassen sich zudem beim Grooming kaum «planmässig konkrete technische
oder organisatorische Vorkehrungen» definieren. Die Festlegung einer objektiven Schwelle der Strafbarkeit bleibt daher vage, womit sich das Gewicht auf die subjektive Seite, d. h. auf die Absicht verlagert. Der Nachweis der Absicht dürfte einerseits in der Praxis nicht einfach zu führen sein. Andererseits droht die Norm durch das Abstellen auf die Absicht in die Nähe des 214 215

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.16.

BBl 2012 7571, hier 7627. Vgl. auch Fontanive Karin/Simmler Monika, 2016, Ziff. IV I 2. mit Hinweisen, die sich gegen einen speziellen Grooming-Tatbestand aussprechen.

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verpönten Gesinnungsstrafrechts zu geraten. Das Strafrecht soll nur dann eingreifen, wenn ein Rechtsgut verletzt worden ist oder ernsthaft gefährdet wird.

8.3.4.2

Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007216 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch

Die Schweiz erfüllt die Anforderungen von Artikel 23 LK (Kontaktanbahnung zu Kindern zu sexuellen Zwecken) bereits nach geltendem Recht. Diese Konventionsbestimmung verlangt, dass die Vertragsstaaten den Vorschlag eines Erwachsenen, ein Kind mit dem Ziel zu treffen, eine sexuelle Handlung mit Kindern zu begehen (Art. 18 Abs. 1 Bst. a LK) oder Kinderpornografie herzustellen (Art. 20 Abs. 1 Bst. a LK), strafbar erklären, wenn diesem Vorschlag konkrete Handlungen für das Treffen folgen und das Opfer sexuell noch nicht mündig ist (Art. 18 Abs. 2 LK).

Hingegen besteht keine Verpflichtung, einen separaten Grooming-Tatbestand vorzusehen oder das reine Chatten strafbar zu erklären.217

8.3.5

Verzicht der Verfolgung sexueller Belästigungen von Kindern unter 12 Jahren von Amtes wegen

8.3.5.1

Ausgangslage

In der parlamentarischen Initiative 18.434 (Amherd) Bregy «Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen» wird insbesondere gefordert, dass die sexuelle Belästigung von Kindern im Netz generell als Offizialdelikt ausgestaltet werden soll (vgl. Ziff. 8.3.1).

Offizialdelikte werden von Amtes wegen verfolgt, d. h. die Strafverfolgungsbehörden sind unabhängig vom Willen des oder der Verletzten verpflichtet, ihnen bekannt gewordene Delikte zu verfolgen und allenfalls zu ahnden. Bei Antragsdelikten hingegen erfolgt die Strafverfolgung nicht ohne eine entsprechende Willenserklärung des Antragsberechtigten, den Strafantrag.

Unterschiede zwischen Offizial- und Antragsdelikten bestehen vor allem in zwei Punkten: Zum einen ist der Strafantrag an eine Frist und an eine strengere Form gebunden. Zum anderen ist zur Erstattung einer Anzeige jedermann befugt, derweil nur bestimmte Personen berechtigt sind, einen Strafantrag zu stellen.218

216 217 218

SR 0.311.40 Vgl. BBl 2012 7571, hier 7625 ff.

Riedo Christof, 2019, Vor Art. 30 N 1, 2, 5 m.w.H.

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8.3.5.2

Gründe für den Verzicht

Im Vorentwurf war als Variante vorgeschlagen worden, Artikel 198 mit einem Absatz 2 zu ergänzen, wonach die sexuelle Belästigung von Amtes wegen verfolgt wird, wenn es sich beim Opfer um ein Kind unter 12 Jahren handelt. Alternativ sollte auf die Offizialisierung verzichtet werden.

In der Vernehmlassung wurde die Offizialisierung von einer grossen Mehrheit begrüsst. Im Vordergrund steht dabei das Anliegen, den Kinder- und Jugendschutz zu verbessern. Einige Teilnehmer schlugen sogar vor, das massgebliche Alter für ein Offizialdelikt auf 16 Jahre zu erhöhen. Eine Minderheit hielt die geltende Regelung, wonach Artikel 198 in allen Fällen ein Antragsdelikt ist, für angemessen.219 Die Kommission spricht sich aus folgenden Gründen für die Beibehaltung des geltenden Rechts aus: Eine sexuelle Belästigung stellt eine geringfügige Zuwiderhandlung gegen die sexuelle Integrität dar. Es besteht in der Regel kaum die Gefahr einer schweren psychischen Verletzung der Betroffenen. Der Tatbestand ist dementsprechend als Übertretung ausgestaltet und wird bloss auf Antrag verfolgt. Erwachsene und Kinder sind gleichermassen geschützt.

Der Bundesrat hat sich zur Frage, ob Artikel 198 für Kinder und Jugendliche als Offizialdelikt auszugestalten sei, in seiner Stellungnahme auf die Motion 14.3666 der RK-N «Artikel 198 StGB. Von Antrags- zu Offizialdelikt»220 ablehnend geäussert.

Die RK-S hatte in ihrem Bericht vom 23. April 2015 ihre ablehnende Haltung im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei Artikel 198 in der Regel um geringfügige Taten handle, die nicht unabhängig vom Willen des Verletzten verfolgt werden sollten. Vorliegend seien zwar Kinder betroffen. Die Eltern könnten aber jederzeit Strafantrag stellen und ein Verfahren einleiten. Diese Lösung erscheine zweckmässiger, zumal ein Strafverfahren für Kinder auch eine zusätzliche Belastung sein könne.

Die Eltern sollten deshalb entscheiden, ob ein Strafverfahren in Gang gesetzt werden solle oder nicht. Es sei zudem unverhältnismässig, bei jeder unanständigen Wortwahl ein Strafverfahren von Amtes wegen zu eröffnen. Der Ständerat ist am 18. Juni 2015 einstimmig seiner vorberatenden Kommission für Rechtsfragen gefolgt.

Es wäre zudem praktisch schwierig, solche Strafverfahren (sexuell motivierte Chats im Internet, die mit keinen weiteren Handlungen verbunden
sind) von Amtes wegen durchzuführen. Aufgrund des Deliktstyps ­ Dialoge über IKT ­ ist nämlich davon auszugehen, dass die Strafverfolgungsbehörden in der Regel nicht infolge eigener Wahrnehmung ein Strafverfahren einleiten, sondern erst, wenn das Kind oder seine Eltern ihnen gegenüber Mitteilung (Strafantrag oder Strafanzeige) machen. Im Resultat unterscheidet sich der Strafantrag nicht wesentlich von der Strafanzeige, denn in mehr als 90 Prozent aller Fälle erhält die Behörde über Hinweise aus der Bevölkerung Kenntnis von einer Straftat. Unterbleibt eine Anzeige, kommt es also in aller Regel genauso wenig zu einem Strafverfahren wie bei fehlendem Strafantrag.221 Ein Wechsel vom Antrags- zum Offizialdelikt dürfte sich somit auf die Strafverfolgung kaum 219 220 221

Vernehmlassungsbericht, Ziff. 4.18.3.

www. parlament.ch > Geschäft 14.3666 sowie 12.3476.

Riedo Christof, 2019, Vor Art. 30 N 5 m.w.H.

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auswirken, also kaum zu zusätzlichen Verfahren und zu einem Mehrwert führen.

Die Beibehaltung des Antragsdelikts hat den wesentlichen Vorteil, dass keine Strafverfolgung gegen den Willen der Betroffenen durchgeführt und bei Kindern eine Viktimisierung bei gleichzeitig geringfügigem Delikt vermieden werden kann. Bei einer Gefährdung des Kindeswohls kann gegebenenfalls die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) einschreiten.

9

Auswirkungen

9.1

Auswirkungen auf den Bund

Da die Sexualdelikte nur in Ausnahmefällen der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen (vgl. Art. 23 Abs. 1 Bst. a StPO), hat die Vorlage keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund.

9.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Mit Bezug auf die der kantonalen Gerichtsbarkeit und der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Straftaten ­ für diese Verfahren tragen die Kantone die Kosten des Vollzugs von Strafen und Massnahmen (vgl. Art. 215 Abs. 1 MStP) ­ lassen sich die unmittelbaren finanziellen und personellen Auswirkungen nur schwer abschätzen und schon gar nicht betragsmässig bestimmen. Einige der vorgeschlagenen Änderungen dürften für die Kantone zu Mehraufwand führen, andere dagegen zu Entlastungen. Da sich die beiden Seiten wegen zahlreicher Unbekannter nicht quantifizieren lassen, lässt sich vorgängig nicht sagen, ob die Änderungen letztlich zu einer Mehr- oder Minderbelastung führen oder im Ergebnis sogar keine Veränderung zu gewärtigen sein wird.

Zu einer Mehrbelastung dürften folgende Änderungen führen: ­

Der sexuelle Übergriff (Art. 189 Abs. 1) und die Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1) ohne Nötigungshandlungen sowie die Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung (Art. 193a) werden als Offizialdelikte ausgestaltet.

Im geltenden Recht können diese Handlungen als sexuelle Belästigungen (Art. 198) bestraft werden. Dabei handelt es sich um einen Übertretungstatbestand, der auf Antrag verfolgt wird.

­

Verurteilungen wegen sexuellen Handlungen mit Abhängigen (Art. 188), Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1), Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit (Art. 193) oder Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung (Art. 193a) haben neu eine obligatorische Landesverweisung zur Folge (Art. 66a). Verurteilungen wegen eines sexuellen Übergriffs (Art. 189 Abs. 1) und unbefugten Weiterleitens von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten (Art. 197a) können hingegen zu einer nicht obligatorischen Landesverweisung führen (Art. 66abis).

­

Eine sexuelle Belästigung (Art. 198) kann neu durch das Versenden sexuell konnotierter Bilder begangen werden.

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Auf der anderen Seite dürfte die Erweiterung der Straflosigkeit in Artikel 197 Absätze 8 und 8bis (Pornografie) zu einer Minderbelastung führen.

10

Rechtliche Aspekte

10.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 123 BV ist der Bund zur Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts und des Strafprozessrechts befugt.

Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden (Art. 31 Abs. 1 BV).

10.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

10.2.1

Allgemeine internationale Verpflichtungen zum Strafrecht

Internationale Übereinkommen im Bereich des Strafrechts schreiben die Höhe der anzudrohenden Strafen bzw. die Strafrahmen in der Regel nicht vor. Sie enthalten aber meistens Bestimmungen, welche die Vertragsstaaten verpflichten, für die massgeblichen Straftaten wirksame, verhältnismässige und abschreckende Strafen und Massnahmen vorzusehen.222 Bei der Umsetzung von internationalen Übereinkommen wurde diesen Vorgaben jeweils Rechnung getragen. Die Vorlage stimmt mit den genannten internationalen Vorgaben vollständig überein.

Die Vertragsstaaten werden in internationalen Übereinkommen teilweise dazu verpflichtet, freiheitsentziehende Sanktionen vorzusehen, die zur Auslieferung führen können.223 Gemäss Artikel 35 Absatz 1 des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 1981224 ist eine Auslieferung dann zulässig, wenn die Tat sowohl nach dem Recht der Schweiz als auch nach dem des ersuchenden Staates mit einer freiheitsbeschränkenden Sanktion im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Sanktion bedroht ist und nicht der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterliegt. Es sind keine Änderungsvorschläge ersichtlich, welche mit Bestimmungen der genannten Art kollidieren würden.

Eine eigentliche Rechtsetzungstätigkeit des Unionsgesetzgebers im Bereich des Strafrechts hat sich erst mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags (1. Mai 1999) 222

Z. B. Art. 27 Ziff. 1 LK; Art. 45 Abs. 1 IK; Art. 19 Abs. 1 des Strafrechtsübereinkommens vom 27. Januar 1999 über Korruption, SR 0.311.55; Art. 13 Abs. 1 des Übereinkommens vom 23. November 2001 über Cyberkriminalität, SR 0.311.43; ähnlich Art. 11 Ziff. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 15. November 2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, SR 0.311.54; Art. 30 Ziff. 3 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 2003 gegen Korruption, SR 0.311.56.

223 Z. B. Art. 19 Abs. 1 des Strafrechtsübereinkommens über Korruption; Art. 24 Abs. 2 des Übereinkommens über Cyberkriminalität.

224 SR 351.1

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etabliert. Wurden die Mitgliedstaaten vorher lediglich verpflichtet, «wirksame, angemessene und abschreckende Strafen» vorzusehen, so finden sich in späteren Sekundärrechtsakten auch konkrete strafrechtliche Inhalte, welche neben der Festlegung von Tatbestandselementen teilweise auch die vorzusehenden Strafrahmen betreffen.225 Mit dem Lissabonner Vertrag (in Kraft seit 1. Dezember 2009) wurden die Kompetenzen der EU zum Erlass von Mindestnormen in Bezug auf Straftatbestände und Strafen im Bereich der Schwerstkriminalität, wozu explizit auch die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern gehört, konsolidiert (Art. 83 AEUV226). Die heute in dem uns interessierenden Bereich des Sexualstrafrechts massgebenden sekundärrechtlichen Vorgaben sind primär in der Richtlinie 2011/93/EU,227 die sich der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern widmet, sowie (zumindest punktuell) in der Richtlinie 2011/36/EU228 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer enthalten. Beide Richtlinien definieren u.a. die im jeweiligen Bereich unter Strafe zu stellenden Vorsatzhandlungen und legen die dabei vorzusendenden Mindesthöchststrafen fest. Allerdings sind diese EU-Richtlinien für die Schweiz mangels Übernahme nicht rechtsverbindlich. Die vorgeschlagenen Änderungen sind somit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der EU vereinbar.

10.2.2

Übereinkommen des Europarats

Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention, LK) Art. 20

LK Kinderpornografie

Die Revision von Artikel 197 Absatz 8 und 8bis StGB steht nicht im Widerspruch zu Artikel 20 Ziffer 1 Buchstaben a und e LK (Herstellung und Besitz von Kinderpornografie) sowie zu Artikel 20 Ziffer 3 zweites Lemma (diesbezügliche Vorbehaltsmöglichkeit). Vgl. Ziffer 3.12.2.

225

Zu diesen gehört etwa der Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, ABl. L 13 vom 20.1.2004, S. 44.

226 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung), ABl. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 47.

227 Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates, ABl. L 335 vom 17.12.2011, S. 1.

228 Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, ABl. L 101 vom 15.4.2011, S. 1.

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Art. 23

LK Kontaktanbahnung zu Kindern zu sexuellen Zwecken

Der Verzicht auf eine separate Regelung des Grooming steht nicht im Widerspruch zu Artikel 23 LK, da bereits das geltende Recht in Einklang mit dieser Bestimmung steht. Vgl. Ziffer 8.3.3.

Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention, IK) Art. 36

IK Sexuelle Gewalt

Die neu vorgeschlagenen Artikel 189 Absatz 1 und Artikel 190 Absatz 1 sind mit dieser Bestimmung kompatibel. Vgl. Ziffer 3.6.1.6.

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BBl 2012 7571, Botschaft vom 4. Juli 2012 zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention) sowie zu seiner Umsetzung (Änderung des Strafgesetzbuchs).

BBl 2016 6115, Botschaft vom 3. Juni 2016 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes (Umsetzung von Art. 123c BV).

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Vorentwurf «Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts» und Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 28. Januar 2021, unter: www.parlament.ch > Geschäft 18.043 > Vernehmlassung zu Entwurf 3 oder www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > Parl.

Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts ­ Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens vom 8. August 2021 (Vernehmlassungsbericht), unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > Parl.

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