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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Bundesrathsbeschluß über die Ergänzung der Vollziehungsverordnung vom 10. Juli 1888 zum Bundesgesetz über die Auswanderungsagenturen.

(Vom 12. Februar 1889.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Die Vollziehungsverordnung, welche wir unterm 10. Juli 1888 zum Bundesgesetze vorn 22 März 1888, betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen, erlassen haben, beschlägt einzig diejenigen Artikel dieses Gesetzes, welche die Obliegenheiten der Agenturen gegenüber der Behörde und die Aufgaben der mit der speziellen Aufsicht über den Geschäftsbetrieb der Agenten betrauten Behörden selbst normiren. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes schienen einzig diese Artikel zur beförderlichen Aufstellung einer Vollziehungsverordnung Veranlassung zu geben, und wir hallen uns vorbehalten, im Laufe der Zeit und je nach Umständen auch andere Bestimmungen des Gesetzes durch Verordnungen näher zu präzisiren.

Vorkommnisse aus jüngster Zeit haben uns in der That veranlaßt, uns auch mit der Bedeutung und der Tragweite des von den Kolonisationsunternehmungen handelnden Artikels 10 des Gesetzes zu beschäftigen und von der uns in Artikel 24 des Gesetzes eingeräumten Kompetenz Gebrauch zu machen.

Artikel 10 des Gesetzes lautet:

"330 ,,Personen, Gesellschaften oder Agenturen, welche in i r g e n d e i n e r E i g e n s c h a f t ein Kolonisationsunternehmen vertreten, hüben dies dein Bundesrathe anzuzeigen und ihm über das Unternehmen vollständigen Aufschluß zu geben.

,,Dem Bundesrath steht in jedem einzelnen Falle die Entscheidung darüber zu, ob und unter welchen Bedingungen Privaten, Gesellschaften oder Agenturen gestattet werden kann, ein Kolonisationsunternehmen zu vertreten."

Es hat sich nun die Notwendigkeit herausgestellt, die Frage zu untersuchen, was unter Kolonisationsunternehmen zu verstehen sei. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein solches Unternehmen jedesmal dann vorliegt, wenn durch propagandistische Mittel, wie Vertheilung von Broschüren, Prospekten, Uebersichten ·über Lebensmittelpreise und Lohnverhältnisse, Gewährung von Vorschüssen, sei es für die Ueberfahrtskosten, sei es für die erste Einrichtung, die Auswanderung nach einer gewissen Gegend oder "einem bestimmten Lande zu lenken gesucht wird. In solchen Fällen wird von fremder Seite sowohl der Entschluß, auszuwandern, hervorgerufen, als auch die Wahl des Bestimmungslandes beeinflußt.

Ein Kolonisationsunternehmen liegt ganz insbesondere dann vor, wenn der Auswanderer durch Annahme von Vorschüssen irgend welcher Art Verpflichtungen eingehen m u ß , die er erst im Bestimmungslande zu erfüllen hat. Ob nun ein Kolonisationsunternehmen die. Besiedelung einer einzelnen Kolonie, oder einer Landes'gegend, oder eines ganzen Landes zum Ziele hat, das bleibt sich völlig gleich, ebenso wie es an dem Charakter einer Kolonisationsunternehmung nichts ändert, ob für dieselbe ackerbautreibende Familien oder Handwerker oder andere Berufsleute anzuwerben gesucht werden. Der Begriff Kolonie darf nicht in dem engen Sinne einer landwirtschaftlichen Kolonie aufgefaßt werden, und wird auch von Niemandem, der nicht besondere Tendenzen verfolgt, so aufgefaßt.

Es schien um so nöthiger, hier eine bestimmte Norm aufzustellen, als von Privaten und Gesellschaften begangene Verletzungen des Artikels 10 des Gesetzes zu bestrafen Sache der kantonalen Gerichte ist, und eine verschiedenartige oder willkürliche oder zu enge Auffassung von der Bedeutung dieses Artikels zu argen Uebelständen führen, ja für die Auswanderer sehr verhängnisvoll werden kann.

In zweiter Linie haben
wir uns mit der Prüfung der Frage befaßt, ob den Auswanderungsagenturen gestattet werden könne, solche Personen zu befördern, welchen von fremder Seite ein Theil oder der Gesammtbetrag der Ueberfahrtskosten bezahlt oder vor-

331 geschossen worden ist. Gestütztauf vielseitige Erfahrungen, müssen wir «ine durch künstliehe Mittel, wie Gewährung von Passagevorschüssen, hervorgerufene Auswanderung, w e l c h e s a u c h d a s Z i e l ders e l b e n s e i n m a g , als eine nicht im Interesse unseres Volke's gelegene, ja schädliche betrachten. Durch Annahme von Passage·vorschüssen gehen viele Auswanderer leichten Herzens Verbindlichkeiten ein, von deren Tragweite sie sich hier nicht Rechenschaft zu geben im Stande sind. Sie laufen damit Gefahr, in ein Abhàngigkeitsverhältniß zu gerathen, aus dem sie sich, wenn das überhaupt möglich ist, nur sehr schwer frei machen können und das zum Mindesten ihr Fortkommen im fremden Lande uugemein erschwert.

Sehr häufig ist der Fall eingetreten, daß, wenn Auswanderer ihre so eingegangenen Verbindlichkeiten nicht erfüllen konnten, die vorschußleistende Gesellschaft das Land, welches jene urbar gemacht und während mehrerer Jahre innegehabt hatten, wieder an sich zog, wobei sie sich für den Verlust reichlich durch den Mehrwerth entschädigt sah, welchen das Land in der Zwischenzeit er.langt hatte.

Es ist ferner zu beachten, daß, wenn mit solchen künstlichen Mitteln zur Auswanderung ermuthigt wird, sich dazu auch solche Personen und Familien entschließen, denen sonst die Verhältnisse den Gedanken, die Heimat aufzugeben, nicht nahe gelegt hätten. Die Eventualität einer massenhaften, durch keinerlei hierseitige Vorgänge begründeten Auswanderung ist urn so mehr zu befürchten, wenn die von Agenten und Bureaux verbreiteten Prospekte und Circulare nicht nur die Lebensmiitelpreise, die Lohn- und Verkehrsverhältnisse etc. in einer für den propagandistischen Zweck dienenden, verlockenden Weise darstellen, sondern auch des Gänzlichen verschweigen, daß die Auswanderer den Vorschuß zur Bestreitung der Ueberfahrtskosten mit hohen Zinsen zurückzuerstatten haben. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn von fremder Seite hierseitigen Auswanderern Passagevorschüsse geleistet werden, dies nur im Interesse von solchen Unternehmungen geschehen kann, von denen im oben citirten Artikel die Red?, ist. Es wäre sonst gar nicht einzusehen, aus welchen Gründen schweizerischen Auswanderern von Ausländern Vorschüsse gemacht werden wollen.

Auch ist leicht ersichtlich, daß die Agenten oder Gesellschaften,
welche mit solchen Mitteln zur Auswanderung stimuliren, weit weniger das Wohl der auswanderungslustigen Personen im Auge haben, als ihr eigenes Interesse.

Zu wiederholten Malen hat uns die Bundesversammlung die Weisung ertheilt, ,,nicht an Vorkehrungen Theil zu nehmen, welchedie Auswanderung hervorrufen, sondern dieselbe als eine Thatsache

332 hinzunehmen und uns darauf zu beschränken, diejenigen schweizerischen Staatsangehörigen, welche willens sind, auszuwandern, oder die wirklieh auswandern, bestmöglich zu schützen." Wir müssen hieraus für uns die Pflicht ableiten, auch wenn Dritte Vorkehrungen treffen, welche die Auswanderung hervorrufen, dies nicht ohne Weiteres zu dulden. So fern uns die Absicht liegt, der freien Auswanderung Hemmnisse in den Weg zu legen -- wie ja in der That auch die Auswanderung aus der Schweiz unbehinderter ist, als in den meisten audern Ländern, wo aus militärischen Rücksichten nicht Jedermann straflos auswandern darf -- so wenig dürfen wir mit Gleichgültigkeit zusehen, wenn die Auswanderung unter Umständen erfolgt, welche es sehr fraglich erscheinen lassen müssen, ob die Ausgewanderten je in die Lage kommen, sich im fremden Lande eine erträgliche Existenz zu sichern.

Sodann können wir nicht umhin, beizufügen, daß, da die Intervention der Bundesbehörde angerufen wird, wenn Auswanderer ins Elend gerathen, dieser auch die Kompetenz zugestanden werden muß, gegen eine Propaganda und gegen Anwerbungen einzuschreiten, welche ihr dazu angethan scheinen, für die Auswanderer verhängnißvoll zu werden.

Da es indessen Fälle geben kann, wo die Gewährung von Vorschüssen im Interesse eines Auswanderers Hegt, haben wir in unserer diesbezüglichen Srhlußnahrne Ausnahmen von dem Verbote, auf Grund von Passagevorschüssen Auswanderungsverträge abzuschließen, vorgesehen. Wenn Personen, Gesellschaften oder Agenturen, welche in irgend einer Eigenschaft ein Kolonisationsunternehmen vertreten, die in Artikel 10 des Gesetzes aufgestellten Bedingungen erfüllt haben, wird es nach Maßgabe von Alinea 2 dieses Artikels Sache des Bundesrathes sein, zu entscheiden, ob solche Ausnahmen statthaft sind oder nicht.

Auf Grund dieser Erwägungen haben wir heute diejenigen Zusätze zum Vollziehungsre»lemente vom 10. Juli 1888 beschlossen, die Sie der Beilage*) entnehmen wollen.

Den schweizerischen Auswanderungsagenturen ist von diesen Zusätzen mit dem Beifügen Kenntniß gegeben worden, daß in Anbetracht der hohen Wichtigkeit, die wir der Sache beimessen, sie sich durch Verletzung der Verbote den höchsten Strafen aussetzen, die der Artikel 18 des Gesetzes vorsieht. Dieselben sind des Fernern angewiesen worden, mit keiner ausländischen, in irgend einer Eigenschaft an einem Kolonisationsuiiternehmen betheiligten *) S. Bnndesrathsbeschluß vom 12. Februar 1889 (pag. 327 hievor).

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oder sich mit Passagevorschüssen irgendwie befassenden Gesellschaft oder Agentur in geschäftlichen Verkehr zu treten.

Wir hegen einerseits die Hoffnung, daß eine strenge Durchführung dieser Beschlüsse geeignet sein wird, der leichtsinnigen Auswanderung vorzubeugen und somit viele Personen vor sicherem Unglück zu behüten ; sind andererseits aber auch überzeugt, daß nur durch eine getreue Mitwirkung der kantonalen Behörden das Ziel der im Interesse auswanderurigslustiger Personen getroffenen Maßnahmen zu erreichen möglich ist.

Wir bitten Sie, für eine gehörige Verbreitung dieses Kreis·sehreibens Sorge zu tragen und speziell den Gerichten von dem Inhalte desselben Kenntniß zu geben, und ersuchen Sie schließlich, uns die Beobachtungen, welche Sie auf dem Gebiete des Auswanderungswesens zu machen 'in den Fall kommen, von Zeit zu Zeit mitzutheilen, und insbesondere allfällige Uebertretungen des Gesetzes und der in Ausführung desselben erlassenen Vorschriften einzuberichten.

Wir benutzen im Uebrigen auch diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, in den Machtschutz Gottes zu empfehlen.

B e r n , den 12. Januar 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rlugier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Bundesrathsbeschluß über die Ergänzung der Vollziehungsverordnung vom 10. Juli 1888 zum Bundesgesetz über die Auswanderungsagenturen. (Vom 12. Februar 1889.)

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16.02.1889

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329-333

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