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B un desrathsbeschluss über den

Rekurs des Stadtrathes von Luzern und

des Vorstandes der Christkatholischen Genossenschaft Luzern gegen

die Schlußnahme der Regierung des Kts. Luzern vom 10. Januar

1889

betreffend

die Benützung der Mariahilfkirche in Luzern.

(Vom 25. März 1889.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Stadtrathes von Luzern und des Vorstandes der Christkatholischen Genossenschaft Luzern gegen die Schlußnahme der Regierung des Kts. Luzern vom 10. Januar 1889 betreffend die Benützung der Mariahilfkirche in Luzern, auf den Bericht des Eidg.

Justiz- und Polizeidepartementes und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse :

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A. Am 10. Januar 1889 hat der Regierungsrath des Kantons Luzern mit Bezug auf die Benützung der Mariahilfkirche in Luzern einen Beschluß gefaßt, der wörtlich folgendermaßen lautet: "In Rekurssachen des Regierungsrathes von Luzern gegen den Bundesrathsbeschluß vom 23. Januar 1885 betreffend die Inanspruchnahme der M a r i a h i l f k i r c h e z u L u z e r n zu christkatholischeu Kultuszwecken erkannte die Bundesversammlung unterm 18. und 27. April 1887: «1. Der Rekurs der Regierung von Luzern wird, soweit er sich auf die Anwendung von Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung bezieht, als unbegründet erklärt; «2. durch diese Schlußnahme soll der Präge, ob die Regierung von Luzern berechtigt sei, kraft des ihr nach. Mitgabe der Sönderungsurkunde vom 4. Wintermonat 1800 zustehenden Aufsichtsrechts die Mitbenutzung der Mariahilfkirche durch die Christkatholiken zu verbieten, nicht vorgegriffen sein.» «Den 23. November 1888 erklärte weiter das Bundesgericht, dem Regierungsrathe stehe aus der erwähnten Sönderungsurkunde ein P r i v a t recht, die Mitbenutzung der Mariahilfkirche durch die Christkatholiken zu verbieten, nicht zu, indem die in der Sönderungsurkunde vorbehaltene «Staatsaufsicht» als ein ho h e i 11 i c h e s Recht, als das Recht der Aufsicht über einen Zweig der Gemeindeverwaltung sich darstelle.

«Auf eine Eingabe der Christkatholiken von Luzern faßte sodann der Bundesrath den 8. Januar 1889 folgenden Beschluß: «l. Auf das Begehren der christkatholischen Genossenschaft Luzern betreffend die Aufhebung der bundesräthlichen Suspensionsverfüguug vom 20. Februar 1885 kann, weil dasselbe gegenstandlos ist, nicht eingetreten werden; «2. dem eventuellen weitern Begehren der genannten Genossenschaft betreffend die Erledigung des Rekurses der Luzerner Regierung gegen den Bundesrathsbeschluss vom 23. Januar 1885 in Sachen der Mariahilfkirche ist koinè Folge zu geben, da diese Rekursangelegenheit durch den Bundesbeschluß vom 27. April 1887 erledigt worden ist, «In Würdigung der durch diese Beschlüsse geschaffenen Sachlage hat hierauf der Regierungsrath, in Erwägung: «1) Daß die hierseitige Behörde ihre Befugniss, die Benutzung der Mariahilfkirche durch die Christkatholiken zu untersagen, außer

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auf Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung namentlich auf das nach allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen und kraft der kantonalen Gesetzgebung ihr zustehende Oberaufsichtsrecht stützte; «2) daß in diesem allgemeinen Obefttufsichtsrecht, welches durch die bisherigen Entscheide der Bundesbehörden nicht berührt wird, die Befugniß liegt, an die Kirchenverwaltungen oder an ihrer Stelle befindliche Dritte behufs Erhaltung des Stiftungszweckes der kirchlichen Güter verbindliehe Weisungen zu erlassen; «3) daß, hievon abgesehen, eine gleiche Befugniß auch in dem durch die Scinderungsakte speziell mit Beziehung auf die Mariahilfkirche dem Begierungsrathe vorbehaltenen, nunmehr als hoheitliches Recht aufzufassenden Aufsichtsrechte enthalten ist; «mit Hinsicht auf die §§ 108, Absatz 4, und 306, lit. b, des Organisations-G-esetzes *), beschlossen: «1. Der Stadtrath von Luzern sei angewiesen, nicht zu dulden, daß ohne besondere hierseitige Bewilligung ein altkatholischer oder ein anderer vom hochw. Bischof von Basel nicht admittirter Geistlicher in der Mariahilfkirche geistliche Verrichtungen ausübe.

«2. Dieser Beschluß sei dem Stadtrath von Luzern mitzutheilen.» B. Mit Eingabe vom 24. Januar 1889 hat der Stadtrath von Luzern gegen diesen Eegierungsbeschluß den Eekurs an den Bundesrath ergriffen, nachdem er vom Großen Stadtrathe gemäß Art. 20, itt. h, der Gemeindeorganisation hiezu ermächtigt worden war.

Der Stadtrath stellt «nach Maßgabe des Art. 59, AI. 2, Ziff. 6, des. Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesreohtspflege und gestützt auf den Artikel 50 der Bundesverfassung» das Gesuch, der Bundesrath möge den angefochtenen Kegierungsbeschluß als aufgehoben erklären.

Zur Begründung seines Gesuches führt 'der Stadtrath im Wesentlichen Folgendes an: *) § 108, Absatz 4, des luzernischen Organisationsgesetzes vom 7. Brachmonat 1866 lautet: ,,Der Regierungsrath beaufsichtigt alle übrigen verwaltenden, vollziehenden und polizeilichen Behörden und Beamten uud hat das Recht, ihnen innert den Schranken der Gesetze Weisungen zu ertheilen."

§ 306, lit. b, des nämlichen Gesetzes lautet : ,,Sie (die Kirchenverwaltungen) wachen über die Unverletzlichkeit aller Kirchengüter, Pfrundgiiter und frommen Stiftungen, für deren ungeschmälerten Bestand, sowie für Kapitalisirung der gemachten Ersparnisse."

108 Die Konvention vom 3..'4. November 1800 zur Aussonderung des Staats- und Gemeindegutes der Stadt Luzern räumt dem Kegierungsrathe an Aufsichtsrechten nicht mehr ein, als ihm nach Maßgabe des kantonalen Organisationsgese^zes ohnehin zukommt. Das sagt auch das Bundesgericht in seinem Urtheil vom 23. November 1888 in Erwägung 4.

Der Eegierungsrath beruft sich denn auch auf zwei Paragraphen des kantonalen Organisationsgesetzes. Aber die angerufenen Stellen treffen nicht zu. § 306, litt, b, des gedachten Gesetzes kommt nicht in Präge, da es sich bei den Beschlüssen des Stadtrathes überall nicht um einen Angriff auf das Kirchengut handelt. § 108, Abs. 4, litt, c, aber kann vom Regierungsrath für seinen Beschluß vom 10. Januar nicht angerufen werden, da diese Gesetzesstelle ihn bloß berechtigt, den Gemeindebehörden inner den Schranken des G e s e t z e s Weisungen zu ertheilen, der besagte Beschluß aber gegen das oberste Gesetz im Staate, die Bundesverfassung, verstößt. Der Bundesrath hat dies bereits in seinem Beschlüsse vom 23. Januar 1885 festgestellt und dabei erklärt, daß sich die Regierung auf den § 108 des Orgauisationsgesetzes nicht berufen könne.

Das kantonale Kecht kann in dieser Sache überhaupt nicht mehr geltend gemacht werden, denn das Bundesrecht steht über dem kantonalen Recht.

Der Beschluß der Regierung vom 10. Januar 1889 ist eine bloße Inanspruchnahme ihrer von keiner Seite bestrittenen Kompetenz ohne materielle Begründung des Inhalts der Verfügung. Die materiellen Motive sind weggelassen, weil der Beschluß vom 10. Januar 1889 sachlich identisch ist mit dem vom Bundesrath aus materiellen Gründen aufgehobenen Beschlüsse der Regierung vom 4. Januar 1884. Also muß auch der neue Beschluß von Bundes wegen aufgehoben werden.

Der Stadtrath erklärt, sich nicht auf den Standpunkt der Regierung stellen zu können, welche die Zulassung eines Geistlichen in die Mariahilfkirche von der Admission desselben durch den Bischof von Basel abhängig macht, der Stadtrath will vielmehr den Standpunkt einer rein bürgerlichen Behörde einnehmen.

Die Bescheide einer kirchlichen Oberbehörde können speziell im vorliegenden Streitfalle nicht maßgebend sein, wo die beiden konfessionellen Parteien -- nach Erwägung 3 des Bundesrathsbeschlusses vom 23. Januar 1885 -- als gleichberechtigte Mitglieder der bisherigen
kirchlichen Gemeinschaft zu betrachten sind.

Wenn übrigens, wie der Eegierungsrath in seinen Rekursschriften an das Bundeägericht ausführte, die Mariahilfkirche die Zweckbe-

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Stimmung hat, dem katholischen Jugendgottesdienste zu dienen, so dürfte auch der christkatholischen Genossenschaft ein förmliches Eecht zukommen, in der Mariahilfkirche Jugendgottesdienst abzuhalten.

Die Stadtbehörden sehen sich im vorliegenden Falle veranlaßt, selber Beschwerde zu führen, einerseits, weil sie glauben, den eigenen Mitbürgern die gleiche Berücksichtigung schuldig zu sein, die -- mit Zustimmung der Regierung --· Fremden (den schottischen Presbyterianern) seit Jahrzehuten getragen wird, und andererseits, weil sie es nicht dulden können, daß sie der Eegierungsrath ohne stichhaltige Gründe in der Verfügung über das Eigenthura der Stadtgemeinde behindere.

Ihre Legitimation zur Sache ergebe sich aus den offensichtlich bundesverfassungswidrigen Motiven des regierungsräthlichen Beschlusses vom 10. Januar 1889.

C. Am 30. Januar 1889 erhob auch der Vorstand der Christkatholischen Genossenschaft Luzern Namens und im Auftrag dieser letztern beim Bundesrath Beschwerde über den Regierungsbeschluß vom 10. Januar.

Diese Beschwerde wird gestützt auf Art. 3 und 5 und Art. 50, Absatz l und 3, der Bundesverfassung.

Die Beschwerdeführer sagen nach einigen einleitenden Bemerkungen: Das Bundesgericht hat in Motiv 3 und 4 seines Drtheils vom 23. November 1888 festgestellt, daß das durch die Sönderungsurkunde von 1800 der Eegierung eingeräumte Aufsichtsrecht über den Ursulinerfond einschließlich der Hariahilfkirche nichts Anderes ist, als «das allgemeine staatliche Aufsichtsrecht in seiner speziellen Anwendung auf diese Anstalten», das allgemeine Eecht, das dem Staate «kraft seines Hoheitsrechtes und in Gemäßheit seiner Gesetzgebung» zusteht.

«Damit ist nun aber festgestellt, daß das Verbot der Eegierung vom 4. Januar 1884 in seinem vollen Umfang« aufgehoben ist. Soweit die Eegierung selbes auf ihr allgemeines Hoheitsrecht (§ 108, Absatz 4, des Org.-Ges.) Stützte, · haben Sie (der Bundesrath) das Verbot beseitigt und die Bundesversammlung hat Ihren Entscheid bestätigt. Und weil laut Bichterspruotì das von der Bundesversammlung dabei vorbehaltene Aufsichtsreoht aus der Sönderungskonvention nichts Anderes ist, als das allgemein gesetzliche Hoheitsrecht und die Eegierung kein Privatrecht hat, .eue. Mitbenützung der Mariahilt'kirche durch uns zu verbieten, so ist eben das Verbot vom 4. Januar 1884 im ganzen Bestände beseitigt.

«Indem die Regierung des Kantons Luzern dieses von den zuständigen und von ihr selbst angerufenen Bundesinstanzen aufgehobene

no Verbot erneuert, hat sie sich gegen den Bund aufgelehnt, sich die oberste Souveränetät, zugesprochen. Damit verstört sie gegen Art. 3 und 5 der Bundesverfassung und Ihre Sache wird es sein, den Bundesbeschluß und das Urtheil des Bundesgerichtes nach Art. 90, Ziff. 2 und 5, der Bundesverfassung*) zur Beobachtung und zum Vollzüge zu bringen » Die Rekurrenten stellen daher das förmliche Gesuch uni Vollzug des Bundesbeschlusses vom 27. April 1887.

In zweiter Linie klagen dieselben wegen Beeinträchtigung ihrer Kultusfreiheit.

Es findet sich, sagen sie in dieser Beziehung, in der Stadt Luzern außer den katholischen Kirchen kein für den christkatholischen Gottesdienst geeignetes kirchliches Lokal.

Das Verbot, die Mariahilfkirche zu einer Zeit, wo sie sonst leer steht, für christkatholischen Kultus zu öffnen, habe keinen ändern Zweck als den, ihnen, den Christkatholiken, den Kultus überhaupt zu verunmöglichen.

Drittens, fährt die Rekursschrift fort, verletzt der Regierungsbeschluss vom 10. Januar 1889 die Hechte der Rekurrenten als Mitglieder der katholischen Landeskirche, indem die Regierung ihnen die Eigenschaft abspricht, Mitglieder der katholischen Kirche zu sein und einen katholischen Kultus zu feiern. «Es muß daher der Beschluß gemäß Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung aufgehoben werden.» Die Anrufung des § 306 litt. b. des luzernischen Organisationsgesetzes will in casu nichts Anderes besagen als : die Unverletzlichkeit des katholischen Kirchengutes ist mißachtet, wenn die Christkatholiken es mitbenutzen.

Unter Einweisung auf eine Reihe geschichtlicher Thatsachen wird sodann in der Rekursschrift ausgeführt, daß in der Stadt Luzern von jeher zwei Richtungen bestanden, von denen die eine das allgemein Religiöse und Christliche, die andere das Hierarchische besonders pflegte, wobei jene die nationalkirchliche Seite, diese die päpstliche Gewalt betonte.

Der Unterschied zwischen «römisch- und «christkatholisch» war ganz besonders den Luzerner Magistraten der 1830er Jahre geläufig.

Diese Gegensätze blieben. Das Vatikanische Concil von 1870, welches die papstliche Unfehlbarkeit zum Glaubenssatze erhob, hat sie nur verschärft; es hat eine Revolution in der Kirche vollzogen, die geistigen Grundlagen ihrer Organisation erschüttert», wie sich der verstorbene Schultheiß Dr. v. Segesser ausdrückte.

*) Sollte heißen: Art. 102, Ziff. 2 und 5, der Bundesverfassung.

Ili «Die tiefe Spaltung, welche Segesser sah, führte zu einer kirchlichen Organisation, der christkatholischen Kirche der Schweiz, die am 28. April 1876 als Bisthum bundesrechtlich anerkannt wurde.

«Zu der in Opposition gegen Born neu sich organisirenden galten Kirche nahm Rom wie die Staaten Stellung. Eom -verbot durch ein Circulai' des Nuntius in Mimchen vom 24. März 1873 den Simultangebrauch der Kirche mit den sog. Altkatholiken. «Unter den gegenwärtigen Umständen», heißt es da, «könnte jede Duldsamkeit bei dorn Gebrauche von Kirchen zu Gunsten der Neuketzer als Gleichgültigkeit und als Mangel der nöthigen Festigkeit angesehen worden; auch wäre sie der Gefahr des Aergernisses und für die P]infältigen dos Abfalls vom Glauben ausgesetzt. Darum ist zur Vermeidung von Gefahren und Aergernissen der Simultangottesdienst mit den Xeuketzern in derselben Kirche weder zuzulassen noch zu dulden etc.» Der Bundesrath aber erklärte am 4. Juli 1873 bezüglich des damals streitigen Gebrauchs der Luzerner Franziskanorkirche für einen altkatholischen Vortrag: wenn die neue Bundesverfassung angenommen werde, so können altkatholische Gemeinden sich bilden und für die Mitbenützung der Kirchen sei dann gesorgt durch Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung.» Entgegen der in Wolhuseu geübten Praxis, wo man die Christkatholiken, wenn es sich um Steuern handelt, als Bürger der dortigen katholischen Kirchgemeinde behandelt, hat man in Luzern die Mitglieder der christkatholischen Genossenschaft vom Stimmregister der Kirchgemeinde gestrichen und man verbietet ihnen den Eintritt in eine vom Eigenthümer ihnen geöffnete Kirche, weil der Papst es so will, d. h. als Herr des katholischen Kirchenguts den Gebrauch desselben durch die Christkatholiken untersagt, oder weil die Eegierung die Ohristkatholiken nicht mehr als Katholiken betrachtet.

In beiden Fällen muli Art. 50 der Bundesverfassung imr Anwendung kommen.

Auch der Vorbehalt, daß die in Mariahilf funktionirenden Geistlichen vom Bischof von Basel admittirt sein müssen, führt zur einseitigen Anerkennung der Jurisdiktion des Oberhauptes der einen Eeligionspartei, der römisch-katholischen, also zu einem durch dun Bundesrathsbeschluß vom 23. Januar 1885 als verfassungswidrig erklärton Motiv.

Der Rekurs der Luzerner Regierung vom 16. Februar 1885 gegen den Bundesrathsbeschluß
vom 23. Januar 1885 ist, wie der Bundesrath am 8. Januar 1889 feststellte, ganz erledigt.

Da aber von gegnerischer Seite behauptet wird, dorn sei niclit so, der Eekurs der Regierung sei insoweit nicht beurtheilt worden,

112 als der bundesräthliche Entscheid sieh auf Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung berief und die Legitimation der christkatholischen Genossenschaft zum Rekurse -behandelte, so sucht die Genossenschaft in ihrem vorliegenden Rekurse eventuell den nämlichen Entscheid aus Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung vom Bundesrathe über das erneute regierungsräthliche Verbot nach.

Die Rekursschrift schließt mit dem Gesuche: Der Bundesrath wolle das neuerliche Verbot der Luzerner Regierung vom 10. Januar 1889 betreffend Ausübung geistlicher Funktionen in der Mariahilfkirche durch christkatholische Geistliche aufheben und die beförderliche Einräumung der Kirche an die christkatholische Genossenschaft anordnen.

D. Die Regierung dos Kantons Luzern ließ sich am 15. Februar 1889 über den Rekurs des Stadtrathes und denjenigen der christkatholischen Genossenschaft gleichzeitig vernehmen.

Aus ihrem Memorial werden die nachfolgenden Erörterungen hier hervorgehoben : Das Bundesgericht hat am 23. November 1888 nicht im Sinne des Antrages des Civilklägers (Stadtrath von Luzern) erkannt, der Regierung von Luzern erwachse aus der Sönderungsurkunde kein Recht, die Mitbenutzung der Mariahilfkirche durch die Altkatholiken zu vorbieten, sondern nur erklärt, der Regierung erwachse aus der Sönderungsurkunde kein P r i v a t r e c h t , den Simultangebrauch der Mariahilfkirche zu untersagen.

Die Erklärung, welche die beiden Beschwerdeführer hinsichtlich der durch die Sönderungskonvention vorbehaltenen Aufsichtsrechte der Regierung aus dem bundesgerichtlichen Urtheile herausgelesen haben, wird man dort umsonst suchen.

« Das Bundesgericht hat nicht gesagt, die aus der Sönderungsakte hervorgehenden Aufsichtsrochte seien identisch mit den dem Staate kraft seines Hoheitsrechtes und seiner Gesetzgebung zustehenden Hoheitsrechten, sondern es hat erklärt, die Aufsichtsrechte, welche die Regierung aus der Sönderungskonvention herleiten will, seien publizistischer und nicht privatrechtlicher Natur. » Diese publizistischen Rechte konnten vom Bundesgerichte als Civilgerichtshof in dem Urtheile vom 23. November 1888 gar nicht definirt werden. (Motiv 5 des Urtheils.)

lici

Nach dem Bundesbeschluß vom 27. April 1887 und dem. bundesgerichtlichen Urtheil vom 23. November 1888 ist der Eegierung lediglich die Befugniß abgesprochen, das Verbot der Mitbenutzung der Mariahilfkirche durch die Altkatholiken auf Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung oder auf vermeintliche aus der Sönderungsurkunde hervorgehende Aufsichtsrechte privatrechtlicher Natur zu stützen. Dagegen besteht für die Regierung nach wie vor das Eecht, ihr Verbot auf andere, mit der Bundes- und Kantonsverfassung und eidgenössischen und kantonalen Gesetzen nicht im Widerspruch stehende Motive zu gründen.

Der Bundesrath wird nicht zu untersuchen und zu entscheiden haben, welche Befugnisse öffentlichrechtlicher Natur für die Regierung aus der Sönderungskonvention mit Bezug auf den Ursulinerfonds sich ergeben. Er ist nicht die zur Entscheidung dieser Frage zuständige Behörde, wie ein Blick auf Art. 59 des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege, wo die dem Entscheid des Bundesratb.es und der Bundesversammlung anheimfallenden Administrativstreitigkeiten aufgezählt sind, lehrt.

Es ist demnach zwecklos, im gegenwärtigen Verfahren den Nachweis zu leisten, daß das publizistische Aufsichtsrecht aus der Sünderungsakte die Befugniß zum Erlaß des angefochtenen Verbotes in sich schließt; zahlreiche Aktenstücke (deren Vorlegung die Regierung sich vorbehält) zeigen indessen, daß von der städtischen und kantonalen Behörde dem staatlichen Aufsichtsrechte ein Inhalt gegeben wurde, welcher über die gegenwärtig von der Regierung beanspruchte Befugniß weit hinausgeht.

Ueber die Anwendbarkeit des luzernischen Organisationsgesetzes, speziell des von der Regierung angerufenen § 108 desselben, ist bis jetzt von den Bundeshörden nicht entschieden worden. Denn der Bundesrath hatte bei seinem Entscheid vom 23. Januar 1885 den § 108 des Organisationsgesetzes vom 6. Januar 1853 im Auge, welches durch dasjenige vom 7. Juni 1866 ersetzt worden ist.

Indessen wäre nicht der Bundesrath, sondern das Bundesgericht kompetent, die Berufung der Eegierung auf das kantonale Orgauisationsgesetz auf ihre Richtigkeit zu prüfen, wenn überhaupt eine Bundesbehörde diese Kompetenz besäße.

Die Eegierung erklärt übrigens, den Nachweis leisten zu können, daß ihre Berufung auf das Organisationsgesetz zutreffend ist. Der Stadtrath hat als
Kirchenverwaltung darüber zu wachen, daß. die Kirchengüter ausschließlich für den Stiftungszvveck verwendet werden, und die Eegierung ist durch § 108, Absatz 4, 1. c., ermächtigt, ihm.

Bundesblalt. 41, Jakrff. Bd. 11.

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114 diesfalls Weisungen zu ertheilen. Wenn die Rekurrenten diese Interpretation nicht als richtig anerkennen, so mögen sie sich an die kompetente Behörde, nicht an den Bundesrath, um authentische Interpretation der kantonalen Gesetzesbestimmung wenden.

Wenn aber die Rekurrenten sagen, daß die Zweckbestimmung der Mariahilfkirche dem Mitgebrauch derselben durch die Altkatholiken nicht entgegen sei, so hat hierüber, als über die Frage, ob die Regierung das kantonale Gesetz richtig anwende, wiederum nicht der Bundesrath zu entscheiden, und nur dann, wenn diese Anwendung die Bundesverfassung verletzen würde, was nicht der Fall ist, würde dem Bundesrath eine bezügliche Kognition zustehen.

lieber Verletzung des Art. 50 der Bundesverfassung Beschwerde zu führen, dazu ist der S t a d t r a t h offenbar nicht legitimirt.

Derselbe sagt zwar nicht, auf welchen der verschiedenen in Art. 50 niedergelegten Grundsätze er sich berufe; allein es ist anzunehmen , daß er wegen Verletzung der Kultusfreiheit Beschwerde führen wolle. Eine politische Behörde oder Gemeinde huldigt aber als solche keinem Kultus, es kann daher auch nicht deren Kultusfreiheit beeinträchtigt werden.

Dagegen ist der V o r s t a n d der C h r i s t k a t h o l i k e n , der auch wegen Verletzung der Kultusfreiheit klagt, hiezu offenbar formell legitimirt.

Die Begründung dieser Klage ist aber eine solche, daß die Christkatholiken mit gleichem Eechte sagen könnten, ausschließlich dieses oder jenes Gebäude sei gut genug, um ihrem Geistlichen als Pfarrwohnung zu dienen, und die Weigerung, dasselbe für diesen Zweck herzugeben, sei eine Verletzung der Kultusfreiheit.

Die Anerbietungen, welche im Jahre 1887 vom Stadtrathe und der Regierung den Altkatholiken zur Ermöglichung eines Kirchenbaues gemacht wurden, beweisen, daß die Behauptung, die Regierung habe den Altkatholiken ihren Kultus verunmöglichen wollen, auf Unwahrheit beruht.

Den Christkatholiken steht vollständig frei; in den Kirchen oder ändern Räumlichkeiten, welche sie im Kanton aus eigenen oder den ihnen von Behörden und ändern Dritten zur Verfügung gestellten Mitteln erstellen oder miethen werden, inner dea in Art. 50, Abs. l, der Bundesverfassung gezogenen Schranken ihren Gottesdienst zu feiern.

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Der. Bundesrath hat es seiner Zeit zugelassen, daß andere Kantone, wie Bern, Genf, Solothurn, Aargau etc., den Katholiken gegenüber den Begriff der Kultusfreiheit viel enger faßten.

iir> Die Christkatholiken von Luzern-berufen sich endlich auf Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung.

Nachdem sie früher durch offene Zurückweisung eines Dogmas der katholischen Kirche sich von dieser förmlich losgetrennt, wollen sie nun doch wieder Mitglieder der katholischen Landeskirche sein und beklagen sich über Verletzung der ihnen in dieser Eigenschaft zustehenden Eechte durch unsern Beschluß vom 10. Januar 1880 und über ungleiche Behandlung der Christkatholiken in der Stadt Luzern und derjenigen in der Gemeinde Wolhusen.

Es ist vorab zu bemerken, daß die Christkatholiken in Wolhusen sowohl von der luzernischen Eegierung als vom Bundesgerichte als steuerpflichtige Bürger der dortigen Kirchgemeinde erklärt wurden,' weil dieselben aus der durch das Organisationsgesetz (§ 295) staatlich anerkannten katholischen Kirchgemeinde Wolhusen nicht ausgetreten waren. Dagegen hat in Luzern eine Trennung stattgefunden : die christkatholische Genossenschaft hat sich selbst aus der katholischen Kirchgemeinde Luzern ausgeschlossen.

Die Yoraussetzungen einer Beschwerde im Sinne des Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung sind gar nicht vorhanden, wie die Mehrheit der ständeräthlichen Kommission in ihrem Berichte vom 15. April 1887 konstatirt hat. Seither hat sich die Sachlage nicht geändert. Die Christkatholiken verlangen noch immer die Mitbenutzung einer Kirche, welche der Kirchgemeinde gar nicht gehört und auf die sie daher in der Eigenschaft als frühere Mitglieder der katholischen Kirchgemeinde einen Anspruch nie gründen können.

Es wird von gegnerischer Seite nicht bestritten, daß das nach allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen der Regierung zustehende Oberaufsichtsrecht dieselbe zum Erlasse des angefochtenen Verbotes ermächtige. Dieses Oberaufsichtsrecht verpflichtet die Regierung, die Kirchen denjenigen Konfessionen zu erhalten, für deren Kultus sie bestimmt sind. Unter katholischem Gottesdienste aber, für welchen die Mariahilfkirche bestimmt ist, et\vas Anderes'als römisch-katholischen Gottesdienst zu verstehen, fiel bis zum Auftreten der Altkatholiken keinem Menschen ein, Die Bundesbehörden haben nie in Zweifel gezogen^ daß im staatlichen Oberaufsichtsrecht der den Altkatholiken günstigen Kantonsregierungftn die Befugniß enthalten sei, Weisungen, wie diejenige der luzerner Kodierung vorn
10. Januar 1889, zu erlassen- Du beweist der Entscheid des Bundesgerichts vom 19. Oktober 1875 in Sachen des katholischen Kircbenrathes von Thurgau gegen die dortige Eegierung (Bundesgeriehtliche Entscheide Bd. I,, S. 366, Motiv 8); der Entscheid des Bundesgerichts vom 20. November 1880 in Sachen

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des katholischen Kirchenrathes von Pruntrut gegen die bernische Eegieruug (Bundesgerichtliche Entscheide Bd. VI, S. 608 unten) ; der Entscheid des Bundesgerichts vom 31. Dezember 1881 in Sachen der Kirchgemeinde Wegenstetten-Hellikon gegen die aargauischen Staatsbehörden (Bundesgerichtliche Entscheide Bd. VII, S. 657).

Unser neues Vorbot ist nicht identisch mit dem frühern. Das Dispositiv unseres Beschlusses, nach welchem nur ein vom Bischof von Basel adniittirter Geistlicher in der Mariahilfkirche geistliche Verrichtungen vornehmen darf, hat keineswegs die Bedeutung, da('> es nun dem Bisehof von Basel anheimgestellt sei, nach Belieben zu entscheiden, wer in der Mariahilfkirche als Geistlicher funktioniren dürfe und wer nicht. Jener Vorbehalt ist im luzernischen Staatskirchenrecht begründet, dessen Grundlage das mit Wessenberg, dem Generalvikar und Bevollmächtigten des Fürstbischofs von Konstanz, am 19. Februar 1806 abgeschlossene Konkordat bildet, welches den Charakter eines kantonalen Gesetzes hat ; er beruht des Fernern in einer Reihe anderweitiger, in Geltung stehender staatskirchenrechtlicher Gesetze und Vereinbarungen, zufolge welchen nur derjenige, der kirchlich admittirt ist, in den für den Kultus der gesetzlich organisirten katholischen Kirche des Kantons Luzern bestimmten Kirchengebäuden geistliche Verrichtungen vornehmen darf.

Dieser staatskirchenrechtliche Satz ist bisher unbestritten angewendet worden; so auch neuerlich (1887) in der Wolhusener Begräbnißangelegenheit, wogegen selbst der damalige Beschwerdeführer, der Präsident der christkatholischen Genossenschaft von Luzern, nichts einzuwenden hatte.

Mit dem Bundesrecht steht der erwähnte staatskirchenrechtliche Satz jedenfalls nicht im Widerspruche. Der Bundesrath hat wenigstens unterm 10. August 1880 in der Beschwerdesache des katholischen Priesters Clément Maître in La Motte (Jura bernois) ganz in diesem Sinne geurtheilt (Bundesbl. 1880, IV, 43 ff.).

Darüber, ob im Kanton Luzern die katholische Kirche im Jahre 1871 (?) Dogmen angenommen habe, welche sie früher nicht kannte, während die Christkatholiken, wie sie behaupten, die alten Lehren rein- und unverfälscht erhalten, hat die Eegierung nicht zu entscheiden.

Maßgebend für sie ist allein die Thatsache, daß die Christkatholiken der im Kanton Luzern gesetzlich organisirten
katholischen Kirche nicht angehören und daß ihre Geistlichen nicht im Besitze der auf Grund der Staatsprüfungen erfolgenden Admission sind.

Schließlich spricht die Regierung den Wunsch aus, es möchte der bundesräthliche Entscheid so frühzeitig erlassen werden, daß

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die Parteien einen allfälligen Rekurs gegen denselben in der nächsten Session der Bundesversammlung einreichen können, indem fernere Vergleichsversuche aussichtslos seien.

E. Es ist den Parteien Gelegenheit gegeben worden, in Replikund Duplikschriften sich weiter auszusprechen.

Die bezüglichen Erörterungen beweisen, daß unter ihnen auch über den Inhalt der staatskirchenrechtlichen Satzungen, welche im Kanton Luzern in Betreff der Benützung der Kirchen gelten, Meinungsverschiedenheit herrscht.

Der V o r s t a n d der C h r i s t k a t h o l i k e n bestreitet namentlich den von der Regierung aufgestellten Satz, daß nur vom Diözesanbischof admittirte Priester zu geistlichen Funktionen in den katholischen Kirchen zugelassen werden, bemerkt übrigens, daß eine Anzahl christkatholischer Geistlicher der Schweiz auch dem (vorgeblichen) Erfordernisse der bischöflichen Admission genügen.

Der S t a d t r a t h faßt seine Ausführungen in folgenden Sätzen zusammen : <1. Es ist nicht richtig, daß der Bundesrathsbeschluß vom 23. Januar 1885 außer Betracht falle; vielmehr steht der Satz, daß die Christkatholiken und die römischen Katholiken als gleichberechtigte Theile einer früheren gemeinsamen Religionsgenossenschaft zu betrachten seien, fortan aufrecht.

^ «2. Bis zum bundesgerichtlichen Urtheile vom 23. November 1888 wurde allgemein angenommen, daß im Dispositiv 2 des Bundesbeschlusses vom 27. April 1887 nur Privatrechte haben vorbehalten werden wollen. Der Bundesrath hat jedoch unter dem 8. Januar abhin den Bundesbeschluß dahin interpretirt, daß auch allfällige in der Sönderungsurkunde liegende Rechte publizistischer Natur haben vorbehalten werden wollen.

«3. In der Sönderungsurkunde haben aber keine Kochte publizistischer Natur begründet werden k ö n n e n .

«4. Auch wenn Rechte publizistischer Natur durch dio Sönderungsurkunde überhaupt hätten begründet werden können, so hätte dem Bundesrathe von der Luzerner Regierung nachgewiesen worden müssen, daß solche wirklich bestehen, was nicht goschehon ist.

«5. Das angebliche Recht aus der Sönderungsakte wird vom Regierungsrathe nur als Aufsichtsrecht in Anspruch genommen, beträfe also nur die f o r m a l e Kompetenz und könnte kein materielles Motiv bilden.

118 «6. Aber auch m a t e r i e l l e Rechte aus dor Sönderungsakte und eventuell aus der kantonalen Gesetzgebung müßten, nachdem es sich dabei überall nicht mehr um Privatrechte handelt, dem öffentlichen Rechte des Bundes, wie dasselbe durch den Bundesrath bereits definirt worden ist, untergeordnet werden.

«7. Der vorliegende Rekurshandel ist ein Anstand nach Maßgabe des Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung aus dem öffentlichen Rechte, und diese Verfassungsbestimmung ist gerade für derartige Fallo getroffen worden.

«8. Die vom Regierungsrathe angerufenen Entscheidungen des Bundesgerichtes und des Bundesrathes vermögen unsern Rechtsstandpunkt nicht zu schwächen. Einige davon sind im Gegentheil geeignet, die völlige Begründetheit desselben recht augenscheinlich zu machen. Die Regierungen von Bern und von Aargau haben in den jenen Urtheilen unterstellten Fällen von ihrem Oberaufsichtsrechte einen bundesverfassungs gemäß on Gebrauch gemacht. Das Oberaufsichtsrecht an und für sich wollen wir auch der Luzerner Regierung nicht verkümmern. Aber d a g e g e n opponimi wir, daß von demselben zum S c h a d e n u n s e r e r R e c h t s s t e l l u n g ein bundesverfassungswidriger Gebrauch gemacht werde.» Die R e g i e r u n g hält daran fest, daß der von ihr eingenommene Standpunkt mit der Bundesverfassung nicht im Widerspruche stehe, sie will indessen nicht bestreiten, daß im Kanton Luzern einige wenige Geistliche amten, welche die vorgeschriebenen Prüfungen nicht bestanden haben, und daß namentlich im Sommer fremde Geistliche, die nicht im Besitze der bischöflich-basel'schen Admission sind, in den katholischen Kirchen der Stadt Luzern Messe lesen oder predigen, was jedoch nicht ohne Bewilligung einer staatlichen Behörde, des Pfarramtes, geschehen dürfe. Daraus könne aber jedenfalls nicht gefolgert werden, daß in der gesetzlich organisirten katholischen Kirche des Kantons Luzern der Grundsatz der Freizügigkeit gelte ; in Erwägung: 1. Der Bundesrath ist bei seinem Entscheide vom 23. Januar 1885 über den Rekurs der Christkatholischen Genossenschaft Luzern in Sachen der Mitbenützung der Mariahilfkirche, veranlaßt durch die von der luzernischen Regierung ihrem Verbote vom 4. Januar 1884 vorausgeschickten Erwägungen, von der Annahme ausgegangen, daß Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung anwendbar sei,
d. h. daß es sich um einen anläßlich der Trennung einer Religionsgenossenschaft in zwei konfessionelle Parteien entstandenen öffentlichrechtlichen Anstand handle, bei welchem die Regierung den Anspruch der

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«inen Partei auf ein durch die Bundesverfassung (Art. 50, Abs. 1) gewährleistetes öffentliches Recht, die Ausübung gottesdieustlicher Handlungen, in unzuläßiger Weise gegenüber dem gleichen Anspruch der ändern Partei zurückgewiesen habe.

2. Die Bundesversammlung, an welche die Sache von der Luzerner Regierung weitergezogen wurde, hat am 27. April 1887 den Rekurs der Regierung, soweit er sich auf die Anwendung von Art. 50, Abs. 2, der Bundesverfassung bezog, als unbegründet erklärt, jedoch den ausdrücklichen Vorbehalt beigefügt, daß durch diese Schlußnahnie der Frage, ob die Regierung von Luzern berechtigt sei, kraft des ihr nach Mitgabe der Sönderungsurkunde vom 4. November 1800 zustehenden Aufsichtsrechtes die Mitbenutzung der Mariahilfkirchc durch die Christkatholiken zu verbieten, nicht vorgegriffen sein sollt-.

Dieser Vorbehalt kann nur den Sinn haben, daß die aus dem Art. 50 der Bundesverfassung geschöpften Motive zur Entscheidung des Konfliktes nicht ausreichen, vielmehr noch kantonalrechtliche Gesichtspunkte in Betracht fallen, die ausschlaggebend sein können.

3. Da demnach der Bundesbeschluß vom 27. April 1887 als selbstständige materielle Schlußnahme an die Stelle des bundesräthlichou Entscheides vom 23. Januar 1885 getreten ist, so kann der Regierung von Luzern, wenn sie zur Begründung ihrer Verfügung vom 10. Januar 1889 auf das nach der Sönderungsurkunde ihr zustehende hoheitliche Aufsichtsrecht sich beruft, nicht die Einrede der abgeurtheilten Sache entgegengesetzt werden.

Das Gleiche ist zu sagen, wenn die Regierung sich außer der Sönderungsurkunde noch auf anderweitige .Quellen des kantonalen Staatsrechts, insbesondere auf die staatskirchenrechtliche Gesetzgebung des Kantons Luzern beruft, um ihre neuerliche Schlußnahme zu begründen. Denn nachdem einmal die Grundlage des Art. 50, Absatz 3, aufgegeben worden, ist nicht abzusehen, warum die Kantonsregierung sich nur auf einen einzelnen Bestandtheil des kantonalen Rechts und nicht auf dieses überhaupt, soweit es einschlägige Bedeutung haben mag, sollte berufen können.

4. Ueber die Rechtstitel, auf welche sich die Regierung bei ihrer Schlußnahme vom 10. Januar 1889 berufen hat, ist hier des Nähern zu bemerken, -was folgt: a. Nach dem Bundesbeschlusse vom 27. April 1887 erhob der Stadtrath Namens der Stadtgemeinde Luzerii, in deren
Eigenthuin din Mariahilfkirche unbestrittenermaßen steht, mit Schriftsatz vom 6. April 1888 beim Bundesgerichte Civilklage gegen den Regierungsrath Namens des Staates Luzern, um gerichtlich aussprecheu zu lassen, dai.i

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der Regierung aus der Sönderungskonvention k e i n Eecht erwachse, die Mitbenützung der Mariahilfkirche durch die Christkatholiken zu verbieten und bezügliche Verfügungen des Stadtrathes aufzuheben.

Das Bundesgericht stellte in den Erwägungen (Motiv 3) zu seinem bezüglichen Entscheide vom 23. November 1888 ausdrücklich t'est, daß, wenn das Vermögen des aufgehobenen Ursulinerklosters im Jahre 1800 der Stadtgemeinde Luzern mit dein Vorbehalt der Staatsaufsicht überlassen wurde, damit nicht ein Privatrecht des Staates begründet, sondern lediglich ein hoheitliches Recht desselben, das Recht der Aufsicht über einen Zweig der Gemeindeverwaltung, gewahrt und speziell normirt werden wollte. Das Gericht bezeichnete die Rechte des Staates in Bezug auf die Verwendung des Ursulinerfonds als Rechte publizistischer Natur, welche dem Staate als solchem kraft seines Hoheitsrechtes und in Gemäßheit seiner Gesetzgebung und nicht in seiner Eigenschaft als Privatrechtssubjekt zustehen, gleichwie bezüglich aller übrigen Gemeindegüter mit besonderer Zweckbestimmung, es beschränkte sich jedoch auf dieso allgemeine Charakterisirung der einschlägigen staatlichen Rechte und erklärte, das Klagbegehren nur mit der Modifikation gutheißen zu können, daß im Dispositiv ausdrücklich ausgesprochen werde, daß die Entscheidung nur auf den Bestand privatrechtlicher Befugnisse des Staates sich beziehe (Motiv 4 und 5).

b. Was die Berufung der Regierung auf allgemeine staatsrechtliche Grundsätze und die kantonale staatskirchenrechtliche Gesetzgebung, mit spezieller Anwendung der §§ 108, Absatz 4, und 306, litt, b des luzernischen Organisationsgesetzes, betrifft, so muß der Meinung entgegengetreten werden, als ob der Bundesrath in seinem Entscheide vom 23. Januar 1885 erklärt hätte, die Regierung von Luzern dürfe sich bei ihren Vorfügungen betreuend die Mariahilfkirche nicht auf § 108 des Organisationsgesetzes berufen. Es ist hiebei von keiner wesentlichen Bedeutung, daß dem Bundesrathe damals der § 108 des Organisationsgesetzes von 1853 und nicht derjenige des neuem, in Kraft bestehenden Gesetzes von 1866 vorlag; denn beide Paragraphen bestimmen Kompetenzen dos Regierungsrathes, die nicht a l s s o l c h e einer bundesrechtlichen Kritik unterworfen werden können, deren A n w e n d u n g in einem konkreten Falle dagegen allerdings als
bundesrechtswidrig erscheinen kann. In diesem Sinne hat der Bundesrath im Jahre 1885 erkannt, es könne das Verbot der Benutzung der Mariahilfkirche durch die Christkatholiken nicht auf Art 50, Absatz 2, der Bundesverfassung in Verbindung mit § 108 des luzernischen Organisationsgesetzes gestützt werden.

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Damit war von Bundes wegen über die Gültigkeit des § 108 weder des frühern noch des jetzigen luzernischen Organisationsgesetzes und ebensowenig über dessen Anwendbarkeit auf anderer Rechtsgrundlage etwas gesagt.

Wenn daher die Luzerner Regierung bei ihrer Schlußnahme vom 10. Januar 1889 sich neuerdings auf § 108 des Organisationsgesetzes (von 1866) und überdies auf § 306 desselben beruft, so kann dagegen formell nichts eingewendet werden; fraglich bleibt allein, ob die Regierung von den ihr durch die genannten Gesetzesstellen verliehenen Kompetenzen einen materiellrechtlich zuläßigen Gebrauch gemacht habe.

5. Der Bundesrath hat in dieser Richtung zu prüfen, ob das Regierungsdekret gegen b u n d e s v e r f a s s u n g s m ä ß i g e G r u n d s ä t z e , deren Handhabung ihm durch die Bundesverfassung und das Organisationsgesetz über die Bundesrechtspflege übertragen ist, verstoßt».

Ob das kantonale Recht als solches vom Regierungsrathe richtig angewendet worden sei, hat der Bundesrath nicht zu untersuchen.

Da die vom Regierungsrath aus der Sönderungskonvention ab geleiteten hoheitlichen Befugnisse mit den von ihm auf allgemein staatsrechtliche Grundsätze und die staatskirchenrechtliche Gesetzgebung des Kantons Luzern gegründeten Kompetenzen materiell zusammentreffen, so ist über die bundesrechtliche Zuläßigkeit der von der Kantonsbehörde beschlossenen Anwendung des kantonalen Rechts in den bezeichneten Richtungen gleichzeitig zu sprechen und das Ergebniß der Untersuchung wird, soweit dieselbe dem Bundesrathe anheimfällt, für die sämmtlichen angerufenen Rechtstitel das gleiche sein.

Nach den thatsächlichen Verhältnissen des Rekursfalles kann sich die dem Bundesrathe obliegende Untersuchung nur auf die Frage beziehen, ob das Regierungsdekret vom 10. Januar 1889 mit dem in Art. 50 der Bundesverfassung gewährleisteten Grundsatze der K u l t u s f r e i h e i t verträglich sei.

Wie schon oben unter Ziff. 2 und 3 ausgeführt wurde, fällt nach dem Bundesbeschlusse vom 27. April 1887 Absatz 3 des genannten Artikels der Bundesverfassung außer Erörterung. Es wird sich für den Bundesrath bloß noch fragen, ob g e g e n ü b e r A r t . 50, A b s a t z l , d e r B u n d e s V e r f a s s u n g , w e l c h e r d i e f r e i e Ausübung gottesdienstlicher Handlungen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit
und der öffentlichen Ordn u n g g e w ä h r l e i s t e t , die von d e r Luzerner Regierung in A n s p r u c h g e n o m m e n e n h o h e i t l i c h e n B e f u g n i s s e z n R e c h t b e s t e h e n k ö n n e n . Dabei mag dahingestellt bleiben, ob-

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der Stadtrath von Luzern als politische Behörde zur Beschwerdefährung auf Grund des Art. 50 der Bundesverfassung legitimirt erscheine, da die Legitimation, wie auch die Luzerner Regierung zugibt, unzweifelhaft auf Seite des zweiten Rekurreuten, des Vorstandes der Christkatholiken, begründet ist.

Die also formulirte Frage muß bejaht worden.

Die Bundesbehörden haben die verfassungsmäßige Garantie der Kultusfreiheit in konstanter Praxis bis jetzt nicht in dem Sinne aufgefaßt und zur Geltung gebracht, daß den Kantonen nicht gestattet gewesen wäre, über die Benützung der kirchlichen Anstalten und Gebäude gewisse öffentlich-rechtliche Normen aufzustellen, wobei es z. B. bundesrechtlich nicht beanstandet wurde, daß kantonale Kirchengesetze die Verfügung über die Benützung der Kirchengebäude den konfessionellen Kirchenbehörden, unter Vorbehalt des endgültigen Entscheides der kantonalen Staatsbehörden, anheimgestellt oder die Kirchen ausschließlich einem bestimmten Kultus zugewiesen oder kirchliche Funktionen an den vom Staate für den Gottesdienst einer Konfession bestimmten Kultusstätten nur den in den staatlichen Kirchendienst aufgenommenen Geistlichen gestattet haben (vgl. u. A.

aas Gesetz vom 18. Januar 1874 über die Organisation des Kirchenwesens im Kanton Bern in § 19, Ziff. 6, und in §§ 25, 26, 29; das Organisationsgesetz vom 27. August 1873 über den katholischen Kultus im Kanton Genf in Art. 15, sowie den Bundesrathsbeschluß vom 10. August 1880 in Sachen des jurassischen Priesters Clément Maître im Bundesblatt 1880, IV, S. 43 ff.).

Die Vorfügung der Luzerner Regierung vom 10. Januar 1889 in Betreff der Benützung der Mariahilfkirche ist von den erwähnten staatskirchenrechtlichen Satzungen anderer Kantone grundsätzlich nicht verschieden, d. h. wie diese mit Art. 50, Absatz l, der Bundesverfassung wohl vereinbar.

6. Es ist gedenkbar, daß die regierungsräthliche Schlußnahme im k a n t o n a l e n S t a a t s r e c h t e keinen Halt findet, daß sie mit dem kantonalen Verfassungsrechte nicht im Einklänge steht, daß sie einen die Befugnisse der Regierung überschreitenden Eingriff in die Selbständigkeit und Verfügungsfreiheit der Stadtgemeinde Luzern bezw. ihrer Behörden in Hinsicht auf einen in ihrem Eigenthum befindlichen Vermögensgegenstand (die Mariahilfkirche) und damit auch einen Verstoß gegen Art. 4 der Bundesverfassung (Rechtsgleichheit der Bürger) enthält.

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Zur Prüfung und Entscheidung dieser Fragen in eidgenössischer Eekursinstanz ist jedoch nicht der Bundesrath, sondern das Bundesgericht zuständig; beschlossen: I. Der Rekurs des Stadtrathes von Luzern und des Vorstandes der Christkatholischen Genossenschaft Luzern gegen die Schlußnahme des luzernischen Eegierungsrathes vom 10. Januar 1889 betreffend die Benützung der Mariahilfkirche in Luzern wird, nach Maßgabe der Erwägungen theils wegen Unbegründetheit, theils wegen materieller Inkompetenz des Bundesrathes, abgewiesen.

II. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Luzern, dem Stadtrathe von Luzern und dem Vorstand der Christkatholischen Genossenschaft Luzern in je einer schriftlichen Ausfertigung mitzutheilen.

B e r n , den 25. März 1889.

Im Namen des Schweiz. Buudesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss über den Rekurs des Stadtrathes von Luzern und des Vorstandes der Christkatholischen Genossenschaft Luzern gegen die Schlußnahme der Regierung des Kts. Luzern vom 10. Januar 1889 betreffend die Benützung der Mariahilfkirche in Lu...

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20.04.1889

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