BBl 2022 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

22.030 Botschaft zum Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit Rechtsform ERIC und zur Änderung des Bundesgesetzes über die Förderung der Forschung und der Innovation vom 13. April 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf für einen Bundesbeschluss über den Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit Rechtsform ERIC sowie den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Förderung der Forschung und der Innovation.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

13. April 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2022-1209

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Übersicht Die Schweiz hat heute in mehreren europäischen Forschungsinfrastrukturnetzwerken, die die Rechtsform eines Konsortiums für eine europäische Forschungsinfrastruktur (ERIC) haben, einen Beobachterstatus. Mit dieser Botschaft wird der Beitritt der Schweiz als Vollmitglied zu sechs dieser Forschungsinfrastrukturnetzwerke beantragt. Gleichzeitig wird im Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG) eine Kompetenzdelegation an den Bundesrat beantragt, damit dieser künftig über den Beitritt zu ERIC-Infrastrukturen entscheiden kann.

Ausgangslage Die Beteiligung der Schweiz an internationalen Forschungsinfrastrukturen hat eine lange Tradition. Die Schweiz ist zum Beispiel Mitglied der folgenden im EIROforum zusammengefassten grossen europäischen Forschungsorganisationen: CERN, EMBL, ESA, ESO, ESRF, und European XFEL. Eine Unterkategorie von internationalen Forschungsinfrastrukturen sind Netzwerke aus nationalen Forschungsinfrastrukturen, mit denen Synergien genutzt und die bereits bewilligten einzelstaatlichen Investitionen für die Errichtung und den Betrieb besser ausgeschöpft werden können.

Die Europäische Union hat die Rechtsform ERIC (European Research Infrastructure Consortium) geschaffen, um die Errichtung und den Betrieb von europäischen Forschungsinfrastrukturen zu vereinfachen. Bisher sind 22 Organisationen mit der Rechtsform ERIC etabliert. Die Schweiz ist in einer davon Mitglied, nämlich seit 2015 im ERIC Europäische Spallationsquelle. Ausserdem ist sie Beobachterin in acht weiteren ERIC-Forschungsinfrastrukturen. Der für die sechs ERIC-Infrastrukturnetzwerke beantragte Wechsel vom Beobachterstatus zur Mitgliedschaft würde es den einschlägigen Schweizer Gemeinschaften erlauben, sich aktiv und dauerhaft in diese Netzwerke einzubringen. Ausserdem erhielte die Schweiz in den Steuergremien dieser Organisationen das Stimmrecht.

In Zukunft zeichnen sich weitere mögliche Beitritte ab. Mehrere neue Forschungsinfrastrukturnetzwerke sind im Entstehen, mehrheitlich mit der Rechtsform eines ERIC.

Bei einigen sind die Schweizer Forschungsgemeinschaften an den Vorbereitungsarbeiten beteiligt; ein Beitritt ist zu gegebener Zeit zu prüfen. Ein vereinfachtes Beitrittsverfahren würde es der Schweiz erlauben, sich im Umfeld dieser Organisationen rascher und agiler zu positionieren.
Inhalt der Vorlage Durch einen Beitritt zu den sechs ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerken wäre die Schweiz stärker in die europäische Landschaft der Forschungsinfrastrukturen eingebunden.

Das Parlament wird gebeten, den Bundesrat zu ermächtigen, den Beitritt der Schweiz zu folgenden Infrastrukturnetzwerken vorzunehmen: BBMRI ERIC, CESSDA ERIC, ECRIN ERIC, EPOS ERIC, DARIAH ERIC und ICOS ERIC.

Durch die Genehmigung der Änderung des FIFG würde das Parlament ausserdem das Verfahren für den Beitritt zu Organisationen mit ERIC-Rechtsrahmen jenem für 2 / 34

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den Beitritt zu vergleichbaren Forschungsinfrastrukturen mit anderem Rechtsrahmen gleichstellen (z. B. völkerrechtliche Verträge). Dass der Beitritt zu einer ERICInfrastruktur explizit vom Parlament zu genehmigen ist, wenn dieses bereits die Kredite zur Finanzierung der Beteiligung bewilligt hat, ist nach Auffassung des Bundesrates nicht mehr gerechtfertigt. Das Parlament wird sich im Rahmen der Beratung zur Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI-Botschaft) jedoch weiterhin über die geplanten Schweizer Beteiligungen äussern können.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2

1

7 7 7 8

2

3

Ausgangslage 1.1 Internationale Forschungsinfrastrukturen 1.2 ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerke 1.3 Der Rechtsrahmen ERIC 1.4 Aktuelle Beteiligung der Schweiz an ERICForschungsinfrastrukturen Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen ERICForschungsinfrastrukturnetzwerken 2.1 Die wichtigsten Unterschiede zwischen dem Beobachterstatus und der Mitgliedschaft in einer ERIC-Infrastruktur 2.2 Präsentation der sechs ERIC-Infrastrukturnetzwerke, für die ein Beitritt beantragt wird 2.2.1 Umweltwissenschaften 2.2.2 Life Sciences und Gesundheit 2.2.3 Sozial- und Geisteswissenschaften 2.3 Vertretung der Schweiz in den Steuergremien dieser ERIC 2.4 Aktuelles Verfahren für den Beitritt zu ERICForschungsinfrastrukturnetzwerken

10 11 11 12 13 14 15 18 18

Künftiges Verfahren für den Beitritt zu ERICForschungsinfrastrukturnetzerken 3.1 Vertiefte Prüfung

19 20

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

20

5

Vorverfahren

20

6

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

21

7

Erklärung zum Beitritt zu ERIC-Forschungsinfrastrukturen, anwendbares Recht und Gerichtsbarkeit

21

4

8

9

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 8.1 Erläuterung des Bundesbeschlusses über den Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit Rechtsform ERIC BBMRI ERIC, ECRIN ERIC, EPOS ERIC, ICOS ERIC, CESSDA ERIC, DARIAH ERIC 8.2 Bestimmungen der ERIC-Verordnung, auf die in der Beitrittserklärung Bezug genommen wird

22

Entwurf der Änderung des FIFG 9.1 Beantragte Neuregelung 9.2 Umsetzung

26 26 26

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22 23

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10 Auswirkungen 10.1 Auswirkungen auf den Bund 10.2 Auswirkungen in weiteren Bereichen

27 27 27

11 Rechtliche Aspekte 11.1 Verfassungsmässigkeit 11.2 Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz 11.3 Erlassform 11.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse

28 28

Abkürzungsverzeichnis

30

Anhang: Kriterienkatalog für die vertiefte Prüfung eines Beitritts

32

28 28 29

A Bundesbeschluss über den Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit Rechtsform ERIC (BBMRI ERIC, ECRIN ERIC, EPOS ERIC ICOS ERIC, CESSDA ERIC, DARIAH ERIC) (Entwurf) BBl 2022 1138 B Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG) (Entwurf)

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Erklärung der Schweiz über ihren Beitritt zu BBMRI ERIC (Entwurf)

BBl 2022 1140

Erklärung der Schweiz über ihren Beitritt zu CESSDA ERIC (Entwurf)

BBl 2022 1141

Erklärung der Schweiz über ihren Beitritt zu DARIAH ERIC (Entwurf)

BBl 2022 1142

Erklärung der Schweiz über ihren Beitritt zu ECRIN ERIC (Entwurf)

BBl 2022 1143

Erklärung der Schweiz über ihren Beitritt zu EPOS ERIC (Entwurf)

BBl 2022 1144

Erklärung der Schweiz über ihren Beitritt zu ICOS ERIC (Entwurf)

BBl 2022 1145

Satzung des Konsortiums für eine Europäische Forschungsinfrastruktur im Bereich der Biobanken und Biomolekularen Ressourcen (ERIC BBMRI) BBl 2022 1146 Satzung des ERIC CESSDA

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Satzung des DARIAH ERIC

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Satzung des ERIC ECRIN

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Satzung des Europäischen Systems zur Beobachtung der Festen Erde ­ Konsortium für eine europäische Forschungsinfrastruktur (ERIC EPOS)

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Satzung des Konsortiums für eine Europäische Forschungsinfrastruktur «integriertes Kohlenstoff» (ERIC ICOS)

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Internationale Forschungsinfrastrukturen

Von den internationalen Forschungsinfrastrukturen gehen bedeutende wissenschaftliche und technologische Impulse aus, zu denen die Schweiz seit Jahrzehnten erfolgreich beiträgt. Insbesondere dank dieser Beteiligung konnten sich Schweizer Forschende weltweit vernetzen und positionieren. Das Bundesgesetz vom 14. Dezember 20121 über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG) unterscheidet in Artikel 28 Absatz 2 Buchstabe a zwei Arten von internationalen Forschungsinfrastrukturen: ­

Die «internationalen Forschungseinrichtungen» bauen und unterhalten zentrale Einrichtungen, die für externe Nutzerinnen und Nutzer zur Produktion von Forschungsergebnissen zugänglich sind. Sie erfordern langfristige umfangreiche Investitionen und Betriebs- und Unterhaltsbeiträge seitens ihrer Mitgliedstaaten (Beispiele: CERN, ESO).

­

Die «international koordinierten Forschungsinfrastrukturen» setzen sich aus vernetzten nationalen «Knoten» zusammen, die die Infrastrukturen und Dienstleistungen bündeln und koordinieren (Beispiel: European Life Science Infrastructure for Biological Information, ELIXIR). Im Zentrum der vorliegenden Botschaft steht diese Art von Infrastrukturen.

1.2

ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerke

ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerke gehören zur zweiten der genannten Kategorien. ERIC bedeutet «Konsortium für eine europäische Forschungsinfrastruktur». Der Rat der europäischen Union (EU) hat den Rechtsrahmen ERIC 2009 eingeführt, um die Gründung und den Betrieb von Forschungsinfrastrukturen zu erleichtern. Der Rechtsrahmen ist in der Verordnung (EG) Nr. 723/2009)2 (im Folgenden ERICVerordnung) festgelegt und wird in Ziffer 1.3. der vorliegenden Botschaft eingehender beschrieben.

Heute haben 22 Organisationen aus verschiedenen Bereichen wie Geowissenschaften, Sozialwissenschaften, Meeresbiologie, Energie oder Umweltwissenschaften den Rechtsrahmen ERIC übernommen.

1 2

SR 420.1 Verordnung (EG) Nr. 723/2009 des Rates vom 25. Juni 2009 über den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für ein Konsortium für eine europäische Forschungsinfrastruktur (ERIC), L 206 vom 8.8.2009, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1261/2013, L 326 vom 6.12.2013, S. 1.

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Nur zwei der 22 Organisationen entsprechen eher den unter Ziffer 1.1 definierten internationalen Forschungseinrichtungen; es sind dies das ERIC Extreme Light Infrastructure (ELI ERIC) und ERIC Europäische Spallationsquelle. Die anderen 20 ERICOrganisationen sind koordinierte Forschungsinfrastrukturen, das heisst Netzwerke von Forschungsinfrastrukturen mit nationalen Knotenpunkten bei den jeweiligen ERIC-Mitgliedern. Diese Organisationen ermöglichen es den nationalen Infrastrukturen und den involvierten Forschenden, sich zu vernetzen und sich in einem internationalen Umfeld von Wettbewerb und Kooperation einzubringen. Die Knotenpunkte werden national finanziert. Dank ihrer Einbindung in ein internationales Netzwerk können die einzelstaatlichen Investitionen besser genutzt werden. Die Ausgaben für die nationale Infrastruktur (Investitions- und Betriebskosten) werden in der Regel sowieso unabhängig von einer Beteiligung an einem ERIC-Netzwerk getätigt. Normalerweise kommen die Forschungseinrichtungen selbst für diese Kosten auf.

In Europa weisen die meisten der internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerke die Rechtsform eines ERIC auf. Es gibt aber auch Ausnahmen, beispielsweise die europäische Bioinformatikinfrastruktur ELIXIR, die als zwischenstaatliche Organisation gegründet wurde. Die Schweiz ist seit 2014 Mitglied von ELIXIR.

Unabhängig von ihrem Verhältnis zur EU können Staaten und zwischenstaatliche Organisationen Mitglieder einer ERIC-Infrastruktur sein, sofern die Mitgliederversammlung des jeweiligen ERIC dem Beitritt zustimmt. Ein Beitritt der Schweiz zu ERIC-Infrastrukturen ist somit losgelöst von der Assoziierung an die Forschungsrahmenprogramme der EU.

1.3

Der Rechtsrahmen ERIC

Der Rechtsrahmen ERIC ist in der ERIC-Verordnung festgelegt; im Folgenden werden deren wichtigsten Bestimmungen zusammengefasst.

­

Organisationsstruktur: Der satzungsmässige Sitz eines ERIC muss im Hoheitsgebiet eines EU-Mitglieds oder eines assoziierten Landes sein (Art. 8 ERIC-Verordnung). Ein ERIC kann sowohl innerhalb als auch ausserhalb der EU Aktivitäten durchführen und Standorte betreiben.

­

Flexibilität: Der ERIC-Rechtsrahmen bietet für die Errichtung eines Netzwerks grossen Spielraum. Die einzelnen ERIC-Netzwerke sind deshalb sehr unterschiedlich strukturiert. Die Mitglieder können in der jeweiligen Satzung ihre Rechte und Pflichten, die Organe und deren Zuständigkeiten sowie weitere interne Bestimmungen festlegen. Die ERIC-Verordnung schreibt für die Satzung eines ERIC lediglich die wesentlichen Inhalte vor (Art. 10 der ERICVerordnung).

­

Solide Haushaltsführung: Ein ERIC muss bei der Ausübung seiner Tätigkeiten die Grundsätze einer soliden Haushaltsführung beachten. Um jegliche Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden, darf der Betrieb der Forschungsinfrastrukturen grundsätzlich keinen Erwerbszweck verfolgen. Um Innovationen und den Wissens- und Technologietransfer zu fördern, sollte es einem ERIC

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jedoch gestattet sein, in begrenztem Umfang wirtschaftliche Tätigkeiten auszuüben. Ein ERIC verfolgt also bei der Erfüllung seiner Hauptaufgabe keinen Erwerbszweck, kann aber begrenzte ökonomische Tätigkeiten durchführen, sofern sie eng mit seiner Hauptaufgabe in Verbindung stehen und diese nicht gefährden (Art. 3 ERIC-Verordnung).

­

Finanzielle Haftung: Die finanzielle Haftung der Mitglieder für die Schulden des ERIC ist grundsätzlich auf ihre jeweiligen geleisteten Beiträge zum ERIC beschränkt. Die Mitglieder können jedoch in der Satzung eine Haftung, die über ihre jeweiligen Beiträge hinausgeht, festlegen (Art. 14 ERICVerordnung).

­

Anwendbares Recht: Die Gründung und interne Funktionsweise eines ERIC unterliegen a) dem EU-Recht, insbesondere der ERIC-Verordnung, b) dem Recht des Staates, in dem das ERIC seinen Sitz hat, oder des Staates, in dem die Einrichtung betrieben wird, sowie c) den von den Mitgliedern in der Satzung festgelegten Vorschriften (Art. 15 der ERIC-Verordnung). Die internen Regeln für die Errichtung und den Betrieb eines ERIC werden somit weitgehend von seinen Mitgliedern definiert. In Bereichen, die nicht unter EU-Recht fallen, sowie in den Bereichen Sicherheit, Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Umgang mit gefährlichen Stoffen und Erteilung von Bewilligungen gilt das Recht des Staates, in dem das ERIC seine Tätigkeiten durchführt (z. B. bei Infrastrukturen, die auf mehrere Länder verteilt sind).

­

Gerichtsstand: Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ist zuständig für die das ERIC betreffenden Rechtsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedern untereinander sowie zwischen den Mitgliedern und dem ERIC und für Rechtsstreitigkeiten, bei denen die EU eine Partei ist. Für Streitigkeiten zwischen dem ERIC und Dritten gelten die EU-Rechtsvorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit. In allen Fällen, die nicht in den EU-Rechtsvorschriften vorgesehen sind, bestimmt das Recht des Staates, in dem das ERIC seinen satzungsmässigen Sitz hat, die gerichtliche Zuständigkeit für die Beilegung solcher Streitigkeiten (Art. 15 ERIC-Verordnung).

­

Mehrwertsteuer (MwSt.) und Beschaffung: Ein ERIC gilt als internationale Einrichtung oder internationale Organisation im Sinne der EU-Gesetzgebung über die Mehrwertsteuer und das öffentliche Beschaffungswesen (Art. 5 Abs. 1 Bst. d ERIC-Verordnung). Ein Konsortium ist von der Mehrwertsteuer und der Verbrauchssteuer befreit, und seine Beschaffungsverfahren unterliegen nicht den Richtlinien über das öffentliche Beschaffungswesen. Jedes ERIC kann bezüglich Beschaffung seine eigenen Regeln definieren (unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und des Wettbewerbs).

­

Gründungsländer und Stimmrechte: Zu den Mitgliedern eines ERIC müssen mindestens ein EU-Mitgliedstaat und zwei weitere Länder gehören, die entweder auch EU-Mitgliedstaaten oder assoziierte Länder sind (Art. 9 der ERIC-Verordnung). Auch Drittländer und zwischenstaatliche Organisationen können dem ERIC beitreten. In der Regel entscheidet die Mitgliederversamm-

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lung des jeweiligen ERIC über die Bedingungen für den Beitritt eines Mitglieds. Die EU-Mitgliedstaaten und die assoziierten Länder haben gemeinsam die Mehrheit der Stimmrechte in der Mitgliederversammlung eines ERIC inne.

­

Entscheidung über die Gründung eines ERIC: Die Europäische Kommission prüft, ob die Satzung des ERIC und deren Durchführungsbestimmungen dem anwendbaren Recht entsprechen und entscheidet über den Antrag der Körperschaften, die das ERIC gründen wollen (Art. 5 der ERIC-Verordnung).

Bestimmte Änderungen der Satzung eines ERIC sind explizit der Europäischen Kommission zur Genehmigung vorzulegen. Die Kommission kann gegen Änderungen innerhalb von 60 Tagen Einwände erheben (Art. 11 ERICVerordnung).

1.4

Aktuelle Beteiligung der Schweiz an ERIC-Forschungsinfrastrukturen

Die Schweiz ist heute Mitglied einer einzigen Infrastruktur mit der Rechtsform ERIC.

Es handelt sich um das ERIC Europäische Spallationsquelle, eine internationale Forschungseinrichtung (gemäss Definition in Ziff. 1.1), die zurzeit im schwedischen Lund gebaut wird und ab 2026 schrittweise Neutronenstrahlen von hoher Intensität bereitstellen wird. Die Schweiz ist dem ERIC Europäische Spallationsquelle im Jahr 2015 als Gründungsmitglied beigetreten.3 Ausserdem ist die Schweiz Beobachterin in acht weiteren ERIC-Infrastrukturnetzwerken. Mit dieser Botschaft wird der Beitritt der Schweiz zu sechs dieser Infrastrukturnetzwerke beantragt; der Beobachterstatus in den beiden anderen wird beibehalten.

Mit dem Beobachterstatus in den Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit ERICRechtsrahmen können die Schweizer Knotenpunkte und die Forschenden, die die Infrastrukturen nutzen, nicht das volle Potenzial der bestehenden Zusammenarbeit ausschöpfen. Der Beobachterstatus ist in der Regel als Übergangsphase im Hinblick auf einen Beitritt vorgesehen. In den ERIC-Satzungen ist er normalerweise zeitlich beschränkt, in der Regel auf einen Zeitraum von drei Jahren. Einige ERIC-Infrastrukturnetzwerke sehen in ihren Satzungen auch die Möglichkeit vor, den Zeitraum des Beobachterstatus zu verlängern, was jedoch der einstimmigen Zustimmung der Mitglieder des jeweiligen ERIC bedarf. Ausserdem ist das Stimmrecht in den Steuergremien dieser Netzwerke den Mitgliedern vorbehalten. Beobachter haben kein Stimmrecht.

3

SR 0.423.131.1

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2

Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerken

Die Schweizer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen 20194 diente ­ namentlich im Hinblick auf die BFI-Botschaft 2021­2024 ­ der forschungspolitischen Priorisierung von künftigen langfristigen Investitionen in nationale und internationale Forschungsinfrastrukturen. In der Roadmap wurden elf internationale Forschungsinfrastrukturnetzwerke, die die Rechtsform eines ERIC bereits haben oder demnächst annehmen, für die wissenschaftliche Gemeinschaft der Schweiz als prioritär bezeichnet. Diese elf Netzwerke wurden in die Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2021­20245 (BFI-Botschaft 2021­2024) aufgenommen.

Mit dem Bundesbeschluss vom 16. September 20206 über die Kredite für die internationale Zusammenarbeit in Forschung und Innovation in den Jahren 2021­2024 genehmigte das Parlament die Finanzierung der Beteiligung der Schweiz an diesen Netzwerken als Beobachterin beziehungsweise als Vollmitglied. Von den 68,4 Millionen Franken, die zur Förderung der internationalen Forschungszusammenarbeit bewilligt wurden, sind rund 3 Millionen Franken für die Einbindung von Schweizer Forschungsinfrastrukturen in internationale Netzwerke vorgesehen. Der Wechsel vom Beobachterstatus zur Mitgliedschaft wirkt sich nur geringfügig auf die jährlichen Beiträge aus, weil diese oft für Mitglieder und Beobachter gleich hoch sind. Die jährlichen Beiträge belaufen sich auf ungefähr 50 000 bis 150 000 Franken.

Stimmt das Parlament dem Beitritt der Schweiz zu den sechs ERIC-Infrastrukturnetzwerken zu, wird der Bundesrat anschliessend ermächtigt, die Beitritte zu erklären.

Für Nicht-Mitgliedstaaten der EU sieht das Verfahren die Einreichung einer Beitrittserklärung an die rechtliche Vertreterin oder den rechtlichen Vertreter des entsprechenden ERIC vor, das heisst an die Direktorin oder an den Direktor. Die Entwürfe für die Beitrittserklärungen für die sechs ERIC wurden vorbereitet und liegen dieser Botschaft bei.

2.1

Die wichtigsten Unterschiede zwischen dem Beobachterstatus und der Mitgliedschaft in einer ERIC-Infrastruktur

Zusätzlich zu den in Ziffer 1.3 beschriebenen rechtlichen und organisatorischen Aspekten werden im Folgenden vier spezifische Aspekte beleuchtet: ­

4

5 6

Stimmrecht in den Steuergremien: Das Stimmrecht ist den Mitgliedern vorbehalten, Beobachter haben kein Stimmrecht.

Schweizer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen 2019. Januar 2022; www.sbfi.admin.ch > Forschung und Innovation > Schweizer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen 2019.

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­

Dauer der Beteiligung: Mitglieder sind langfristig beteiligt. Der Beobachterstatus ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht als langfristige Beteiligung vorgesehen.

­

Jährliche Beiträge: Sowohl von Mitgliedern als auch von Beobachtern wird die Zahlung von Jahresbeiträgen erwartet. Die Methode zur Berechnung der geschuldeten Beiträge kann variieren und ist in der Satzung der jeweiligen ERIC-Infrastruktur definiert.

ERIC

Jahresbeitrag(*) für die Schweiz im Beobachterstatus in CHF(**)

Jahresbeitrag(*) für die Schweiz im Mitgliederstatus in CHF (**)

BBMRI

CHF 32 508

CHF 108 362

CESSDA

CHF 66 000

CHF 66 000

DARIAH

CHF

4 643

CHF 46 433

ECRIN

CHF 54 810

CHF 98 651

EPOS

CHF 158 400

CHF 158 400

ICOS

CHF 73 981

CHF 73 981

ESSurvey

CHF 100 301

aktuell keine Mitgliedschaft geplant

SHARE

CHF 11 000

aktuell keine Mitgliedschaft geplant

(*) Daten vom Jahr 2021 (**) Wechselkurs: 1 = CHF 1.1

­

2.2

Bedingungen zur Beendigung der Beteiligung an einem ERIC: Für Mitglieder einer ERIC-Infrastruktur gelten in der Regel strengere Austrittsbedingungen als für Beobachter. Die Bedingungen sind je nach ERIC-Infrastruktur sehr unterschiedlich und sind in der jeweiligen Satzung festgelegt. Grundsätzlich ist ein Austritt aus einer ERIC-Infrastruktur frühestens nach Ablauf eines Zeitraums von einigen Jahren möglich. Danach ist ein Austritt unter Einhaltung einer Frist von einigen Monaten möglich.

Präsentation der sechs ERIC-Infrastrukturnetzwerke, für die ein Beitritt beantragt wird

Nach vertiefter Prüfung (vgl. Ziff. 3.2) beantragt der Bundesrat den Beitritt der Schweiz zu sechs Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit dem Rechtsrahmen eines ERIC, von denen zwei im Bereich der Umweltwissenschaften, zwei in den Bereichen Life Sciences und Gesundheit und zwei in den Bereichen Geistes- und Sozialwissenschaften tätig sind. Die Satzungen dieser Organisationen sind in Anhang 2 zu finden.

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2.2.1

Umweltwissenschaften

European Plate Observing System (EPOS ERIC) ERIC seit

2018

Betriebsphase ab

2023 (aktuell Pilot-Betriebsphase)

Hauptsitz

Rom, Italien

Disziplin

Erdwissenschaften

beteiligte Staaten

Mitglieder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Slowenien, Vereinigtes Königreich Beobachter: Schweiz

Schweizer Beteiligung

Beobachterin seit 2018

Aktivitäten

EPOS wird in seiner Betriebsphase eine paneuropäische Infrastruktur zur Überwachung und Erforschung des festen Untergrunds zur Verfügung stellen, die aus verschiedenen Infrastrukturen in den beteiligten Ländern besteht. Die multidisziplinäre Forschungsplattform von EPOS stellt Forschenden zudem Daten aus verschiedenen Disziplinen der Erdwissenschaften in hoher, kontrollierter Qualität zur Verfügung. EPOS bringt physische Infrastrukturen, Modelle und Daten aus verschiedenen europäischen Ländern zusammen.

Gesellschaftliche Bedeutung

EPOS unterstützt die Forschung von Naturgefahren wie Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Ein besseres Verständnis des Untergrunds ist beispielsweise auch für die geologische Speicherung von abgeschiedenem CO2 wichtig.

Schweizer Knoten: Schweizerischer Erdbebendienst, ETH Zürich (SED ETH)

Integrated Carbon Observation System (ICOS ERIC) ERIC seit

2015

Betriebsphase ab

2016

Hauptsitz

Helsinki, Finnland

Disziplin

Umweltwissenschaften

beteiligte Staaten

Mitglieder: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Schweden, Spanien, Tschechien, Vereinigtes Königreich Beobachter: Schweiz

Schweizer Beteiligung

Beobachterin seit 2015 Schweizer Knoten: ETH Zürich (ETH) 13 / 34

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Aktivitäten

ICOS produziert lange Beobachtungsreihen harmonisierter Daten zum Kohlenstoffkreislauf und Treibhausgasen. Diese Daten werden im Rahmen von drei Netzwerken von Messstationen erhoben, nämlich in der Atmosphäre, in Ökosystemen und im Ozean. Die national erhobenen Daten werden europaweit aggregiert und Forschenden und der Gesellschaft frei zur Verfügung gestellt.

Gesellschaftliche Bedeutung

Ein besseres Verständnis der Treibhausgasflüsse zwischen verschiedenen Umweltbereichen ist für das Verständnis des Klimawandels ein wesentlicher Faktor und dürfte die Unsicherheiten bei Projektionen verringern. Zudem können bessere Beobachtungsdaten eine Unterstützung bei der Einhaltung klimapolitischer Ziele bieten.

2.2.2

Life Sciences und Gesundheit

Biobanking and BioMolecular Resources Research Infrastructure (BBMRI ERIC) ERIC seit

2013

Betriebsphase ab

2014

Hauptsitz

Graz, Österreich

Disziplin

Lebenswissenschaften

beteiligte Staaten Mitglieder: Belgien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Tschechien, Vereinigtes Königreich Beobachter: Zypern, Schweiz, Türkei, WHO/IARC Schweizer Beteiligung

Beobachterin seit 2015

Aktivitäten

BBMRI vereinfacht den Zugang zu Biobanken und biomolekularen Ressourcen in den beteiligten Ländern. Durch die Harmonisierung von Standards und Prozessen werden der Zugang und die Vergleichbarkeit der bestehenden Sammlungen verbessert, zu denen auch Daten, beispielsweise zum Gesundheitsstatus oder der Lebensweise der betroffenen Personen, gehören. BBMRI ist hierbei der Zugangspunkt zu den Ressourcen in allen beteiligten Ländern.

Schweizer Knoten: Swiss Biobanking Platform (SBP)

Gesellschaftliche Dank der verbesserten Möglichkeiten für die Forschung können Bedeutung neue medizinische Anwendungen, Therapien, Präventionsmassnahmen und Diagnostika entwickelt werden. Der Zugang zu diesen Ressourcen ist insbesondere für den Bereich der personalisierten Medizin wichtig.

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European Clinical Research Infrastructure Network (ECRIN ERIC) ERIC seit

2013

Betriebsphase ab

2014

Hauptsitz

Paris, Frankreich

Disziplin

Klinische Forschung (pathologieunspezifisch)

beteiligte Staaten Mitglieder: Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Norwegen, Portugal, Spanien, Tschechien, Ungarn Beobachter: Polen, Schweiz, Slowakei Schweizer Beteiligung

Beobachterin seit 2015

Aktivitäten

ECRIN ermöglicht qualitativ hochstehende multizentrische klinische Studien. Rechtliche, regulatorische und ethische Hürden sowie fehlende Kontakte zu lokalen Clinical Trial Units verhindern oftmals länderübergreifende klinische Studien. ECRIN unterstützt Forschende durch Beratungsleistungen für das Durchführen klinischer Studien. Zudem ist ECRIN beim Aufbau von Instrumenten und Datensätzen aktiv, die länderübergreifende klinische Studien in Europa verbessern.

Schweizer Knoten: Swiss Clinical Trial Organisation (SCTO)

Aufgrund der zunehmend multizentrischen und internationalen Studien hat das Netzwerk auch für die klinische Forschung in der Schweiz eine grosse Bedeutung.

Gesellschaftliche Klinische Studien sind entscheidend für die Prüfung neuer und Bedeutung angepasster Therapien und können dadurch zu Verbesserungen und Kostensenkungen im Gesundheitssystem führen.

2.2.3

Sozial- und Geisteswissenschaften

Consortium of European Social Science Data Archives (CESSDA ERIC) ERIC seit

2017

Betriebsphase ab

2013

Hauptsitz

Bergen, Norwegen

Disziplin

Sozialwissenschaften

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beteiligte Staaten Mitglieder: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Niederlande, Nord Mazedonien, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich Beobachter: Schweiz Schweizer Beteiligung

Beobachterin seit 2017 (davor Beteiligung durch FORS als «affiliated member») Schweizer Knoten: Centre de compétences suisse en sciences sociales (FORS)

Aktivitäten

CESSDA erbringt integrierte Dienstleistungen für Datenarchive in den Sozialwissenschaften. Im Rahmen von CESSDA kommen sozialwissenschaftliche Datenarchive aus europäischen Ländern zusammen, was den Zugriff auf Daten für Forschungsprojekte über Ländergrenzen hinweg ermöglicht. CESSDA erarbeitet und koordiniert Standards für Daten und Metadaten, Protokolle und Best-Practices. Die Arbeit im Rahmen von CESSDA wird jeweils von den national ernannten Dienstleistungserbringern geleistet, die die Aktivitäten in ihren jeweiligen Ländern durchführen und koordinieren.

Gesellschaftliche CESSDA verbessert die Datenverfügbarkeit für sozialwissenBedeutung schaftliche Forschungsprojekte. Zudem hat CESSDA eine Führungsrolle im Bereich des Datenmanagements inne. CESSDA setzt sich, soweit möglich, für Open Data ein.

Digital Research Infrastructure for the Arts and Humanities (DARIAH ERIC) ERIC seit

2014

Betriebsphase ab

2019

Hauptsitz

Paris, Frankreich

Disziplin

Geisteswissenschaften

beteiligte Staaten Mitglieder: Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Serbien, Slowenien, Tschechien, Zypern Beobachter: Schweiz Schweizer Beteiligung

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Beobachterin seit 2021 Schweizer Knoten: Data and Service Center for the Humanities (DaSCH)

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Aktivitäten

DARIAH ist ein Netzwerk, das Expertise für die geisteswissenschaftliche Arbeit mit digitalen Ressourcen aus den beteiligten Ländern bündelt. Durch seine Aktivitäten erlaubt DARIAH insbesondere länderübergreifende, transdisziplinäre Ansätze unter Einhaltung existierender methodologischer und technischer Standards und Best-Practices ein. Dank DARIAH werden Daten, Dienstleistungen und Instrumente validiert und geteilt. DARIAH hat eine Reihe von virtuellen Kompetenzzentren zu verschiedenen Themen aufgebaut, die entsprechende multidisziplinäre Arbeitsgruppen betreiben.

Gesellschaftliche DARIAH fördert die digitale Forschung in den GeisteswissenBedeutung schaften und gewährleistet, dass diese Arbeiten auf lange Frist zugänglich sind. Durch diese Aktivitäten trägt DARIAH zu einem besseren Verständnis des kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens in Europa bei.

Bei fünf Forschungsinfrastrukturnetzwerken, die in der Roadmap für Forschungsinfrastrukturen 2019 ebenfalls positiv beurteilt und in der BFI-Botschaft 2021­2024 aufgeführt wurden, ist im Moment kein Beitritt vorgesehen. Dieser Entscheid beruht hauptsächlich auf den folgenden Überlegungen: ­

ACTRIS hat noch nicht die Rechtsform ERIC. Ein Beitritt ist nicht möglich, weil die Satzung, die dem Parlament im Hinblick auf einen Beitritt vorzulegen wäre, noch nicht finalisiert ist.

­

eLTER hat noch nicht die Rechtsform ERIC. Ein Beitritt ist nicht möglich, weil die Satzung, die dem Parlament im Hinblick auf einen Beitritt vorzulegen wäre, noch nicht finalisiert ist.

­

ECCSEL ERIC: Die betreffende und an ECCSEL interessierte Schweizer Forschungsgemeinschaft muss sich noch organisieren. Für einen Beitritt der Schweiz zu einem Forschungsinfrastrukturnetzwerk muss erst ein Schweizer Knotenpunkt eingerichtet werden.

­

SHARE ERIC: Dieses ERIC-Infrastrukturnetzwerk soll sich gemäss seiner Satzung 2024 auflösen. Der Nutzen eines Beitritts für einen so kurzen Zeitraum steht nicht im Verhältnis zum anfallenden Verwaltungsaufwand.

­

ESSurvey ERIC: Der Beobachterstatus in diesem Infrastrukturnetzwerk kann einfach verlängert werden und ermöglicht einen ausreichenden Zugang zu ihren Aktivitäten. Aus Sicht der Schweiz bestehen zudem zwischen CESSDA ERIC und DARIAH ERIC Synergien und eine gute Koordination, was bei ESSurvey ERIC nicht der Fall ist.

Die Tatsache, dass für die fünf genannten Organisationen kein Beitritt beantragt wird, bedeutet nicht, dass die Schweiz sich von ihnen abwendet. Die Schweiz beteiligt sich weiterhin als Beobachterin am SHARE ERIC und am ESSurvey ERIC.

In Bezug auf ACTRIS und eLTER wird die Schweiz einen Beitritt erwägen, sobald sie in der ERIC-Rechtsform etabliert sind. Die betroffenen Institutionen beteiligen sich weiterhin am Aufbau der beiden Organisationen. Dasselbe gilt für ECCSEL: Ein 17 / 34

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Beitritt wird erneut geprüft, sobald sich die betroffene Forschungsgemeinschaft organisiert hat.

2.3

Vertretung der Schweiz in den Steuergremien dieser ERIC

Mit dem Wechsel vom Beobachterstatus zur Mitgliedschaft ändert sich auch die Mitwirkung der Schweiz in den Steuergremien der ERIC-Infrastrukturen. Im Gegensatz zu den Beobachtern haben die Mitglieder in den Steuergremien das Stimmrecht und können auch den Vorsitz beziehungsweise den Vizevorsitz übernehmen. Gemäss ERIC-Verordnung können die Mitglieder eines ERIC in den Steuergremien von einer öffentlichen Körperschaft vertreten werden (Art. 9 Abs. 4 ERIC-Verordnung).

2.4

Aktuelles Verfahren für den Beitritt zu ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerken

Das aktuelle Beitrittsverfahren besteht im Wesentlichen aus vier Etappen (angewandt auf alle sechs ERIC, die Gegenstand dieser Botschaft sind): 1)

periodische Erfassung von Netzwerken, die für die Schweiz prioritär sind (Roadmap für Forschungsinfrastrukturen);

2)

Finanzierungsantrag für den Beitritt zu den prioritären Netzwerken via BFIBotschaft zur Genehmigung an das Parlament;

3)

vertiefte Prüfung; und

4)

Antrag ans Parlament über den Beitritt zum betreffenden ERIC bzw. zu den betreffenden ERIC im Rahmen einer besonderen Botschaft.

Heute liegt die Entscheidungskompetenz über den Beitritt der Schweiz zu einer ERICForschungsinfrastruktur beim Parlament. 2013 kam das Bundesamt für Justiz (BJ) in einer Abklärung zum Schluss, dass der Beitritt zu einer Organisation mit dem Rechtsrahmen eines ERIC nicht vom Bundesrat beschlossen werden darf, weil die Schweiz damit das EU-Recht (namentlich die Verordnung (EG) Nr. 723/2009) als anwendbares Recht und die Zuständigkeit des EuGH für die das ERIC betreffenden Rechtsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedern untereinander sowie zwischen den Mitgliedern und dem ERIC und für Rechtsstreitigkeiten, bei denen die EU eine Partei ist, anerkennt7. Das BJ war der Auffassung, dass diese Anerkennung über den in Artikel 31 Absatz 2 FIFG an den Bundesrat delegierten Kompetenzbereich hinausgeht. Aus diesem Grund erfordere das Verfahren für den Beitritt zu einer Organisation mit dem Rechtsrahmen eines ERIC einen Parlamentsbeschluss. Ein solches Verfahren war für den Beitritt der Schweiz zum ERIC Europäische Spallationsquelle, einer internationalen Forschungseinrichtung, erfolgreich abgeschlossen worden. Aufgrund der finan-

7

Artikel 15 Absatz 2 der ERIC-Verordnung.

18 / 34

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ziellen Verpflichtung (165,8 Mio. Franken) war gemäss Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 23 des Finanzhaushaltgesetzes vom 7. Oktober 20058 sowie gemäss Artikel 11 der Finanzhaushaltverordnung vom 5. April 20069 die Einholung eines besonderen Verpflichtungskredits und somit ohnehin ein Parlamentsbeschluss erforderlich.

3

Künftiges Verfahren für den Beitritt zu ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzerken

Der Bundesrat ist der Meinung, dass das aktuell geltende Verfahren für den Beitritt zu ERIC-Infrastrukturnetzwerken zu schwerfällig und nicht im Sinne des FIFG ist.

Artikel 31 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstabe e FIFG befugen den Bundesrat, internationalen Organisationen im Bereich von Forschung und Innovation beizutreten. Der Bundesrat beantragt, den Beitritt zu ERIC-Infrastrukturen dem Beitritt zu internationalen Forschungs- und Innovationsorganisationen gleichzustellen. Er ist insbesondere der Auffassung, dass es angesichts der sehr begrenzten und spezifischen Befugnisse des EuGH gerechtfertigt ist, die Entscheidungskompetenz über den Beitritt der Schweiz zu ERIC-Infrastrukturen dem Bundesrat zu übertragen. Die Zuständigkeit des EuGH betrifft nämlich nur Rechtsstreitigkeiten, die im Rahmen des jeweiligen ERIC entstehen. Im Falle des ERIC Europäische Spallationsquelle, in dem die Schweiz seit 2015 Mitglied ist, ist dieser Umstand für die Schweiz völlig unproblematisch. Ausserdem ist die Schweiz seit Jahrzehnten in zahlreichen internationalen Forschungseinrichtungen jeglicher Rechtsform Mitglied (z. B. CERN und ESO) und war noch nie Partei in einem Rechtsstreit. Ein vereinfachtes Beitrittsverfahren würde es der Schweiz erlauben, sich im Umfeld dieser Organisationen rascher und agiler zu positionieren. Aus diesen Gründen ist der Bundesrat der Ansicht, dass die Anerkennung der Zuständigkeit des EuGH durch die Schweiz im Rahmen ihres Beitritts zu einem ERIC politisch und rechtlich de facto lediglich von geringer Bedeutung ist. Die Anerkennung des europäischen Rechts als anwendbares Recht beschränkt sich auf die Funktionsweise des jeweiligen ERIC.

Wenn die Kompetenzdelegation an den Bundesrat im FIFG verankert wird, würde das neue Beitrittsverfahren aus den folgenden vier Etappen bestehen:

8 9

1)

periodische Erfassung von Netzwerken, die für die Schweiz prioritär sind (Roadmap für Forschungsinfrastrukturen);

2)

vertiefte Prüfung basierend auf dem Kriterienkatalog des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung(WBF) (Anhang 3)

3)

Finanzierungsantrag für die Beteiligung an den prioritären Netzwerken via BFI-Botschaft zur Genehmigung an das Parlament; und

4)

unter Vorbehalt einer eventuellen erneuten Prüfung, Umsetzung des Beitritts zum betreffenden ERIC oder zu den betreffenden ERIC durch den Bundesrat anhand entsprechender Beschlüsse.

SR 611.0 SR 611.01

19 / 34

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3.1

Vertiefte Prüfung

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass ein Forschungsinfrastrukturnetzwerk mit dem Rechtsrahmen eines ERIC im Hinblick auf einen möglichen Beitritt anhand eines Kriterienkatalogs zu evaluieren ist. Die Kriterien dienen nicht nur zur Evaluation der einzelnen Verbünde von Forschungsinfrastrukturen, sondern auch zum Vergleich der Infrastrukturen untereinander, sodass im Rahmen der verfügbaren Mittel eine Priorisierung der Beitritte möglich ist.

Der Kriterienkatalog in Anhang 3 wurde angewandt, um die sechs ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerke, die Gegenstand des Antrags dieser Botschaft sind, zu bestimmen. Er wird dem Bundesrat auch in Zukunft als Entscheidungsgrundlage für den Beitritt zu weiteren ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerken dienen und um zu überprüfen, ob die Beteiligungen der Schweiz immer noch angezeigt sind.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202010 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 202011 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt.

In der BFI-Botschaft 2021­2024 wurde angekündigt, dass die Schweiz in der Periode 2021­2024 Mitglied mehrerer ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerke werden könnte und dass das Parlament eingeladen werden würde, sich im Rahmen einer besonderen Botschaft zu einem allfälligen Beitritt zu äussern. Mit der vorliegenden Botschaft setzt der Bundesrat dieses Vorhaben um.

Der Bundesrat misst der internationalen Forschungszusammenarbeit einen sehr hohen Stellenwert bei.12 Die Stärkung und Erweiterung der grenzüberschreitenden Kooperationen tragen dazu bei, dass die Schweiz ihre Position als international wettbewerbsfähiger Wissenschaftsstandort konsolidieren kann. Die im Jahr 2018 vom Bundesrat erarbeitete internationale Strategie definiert die auf lange Sicht massgebenden Leitlinien. Die Beteiligung an Forschungsinfrastrukturen mit mehreren Mitgliedsländern gehört zu den wichtigsten Strategien des Bundesrates, um die Schweiz im internationalen Umfeld möglichst günstig zu positionieren.

5

Vorverfahren

Die vorliegende Botschaft war nicht Gegenstand eines Vernehmlassungsverfahrens gemäss Artikel 3 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200513 (VlG). Das 10 11 12 13

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385 Internationale Strategie der Schweiz im Bereich Bildung, Forschung und Innovation.

Januar 2022; www.sbfi.admin.ch > Publikationen und Dienstleistungen > Publikationen.

SR 172.061

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Vorhaben ist nicht von grosser politischer, finanzieller, wirtschaftlicher, ökologischer, sozialer oder kultureller Tragweite. Insbesondere ist die rechtliche und politische Tragweite der dem EuGH zugewiesenen Kompetenzen, die die Schweiz mit dem Beitritt zu den sechs ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerken anerkennen will, sehr begrenzt. Es bestand daher keine Pflicht, ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen (Art. 3 Abs. 1 Bst. d VlG, a contrario).

Die Bedeutung der Schweizer Beteiligung an den sechs ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerken für die betroffenen Kreise ist seit der Erarbeitung der Schweizer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen 2019 bekannt14. Zudem hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) bei den betroffenen Institutionen im Verlauf des Jahres 2021 eine Umfrage durchgeführt und ist mit ihnen im regelmässigen Austausch. Deren Meinungen wurden in der vorliegenden Botschaft berücksichtigt.

Die vorgesehene Delegation der Kompetenz vom Parlament an den Bundesrat, Beitritte zu ERIC-Forschungsinfrastrukturen zu beschliessen (Art. 31 Abs. 2 Bst. ebis E-FIFG), betrifft ausschliesslich die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bundesbehörden (Bundesversammlung/Bundesrat), sodass auch zur vorgesehenen Änderung des FIFG auf eine Vernehmlassung verzichtet werden konnte (Art. 3 Abs. 1 Bst. b i.V.m Art. 3a Abs. 1 Bst. a VlG).

6

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

In den EU-Mitgliedstaaten ist das Verfahren für den Beitritt zu Organisationen mit dem ERIC-Rechtsrahmen bedeutend einfacher als in der Schweiz. Mit der beantragten Kompetenzdelegation an den Bundesrat in Bezug auf den Beitritt der Schweiz zu ERIC-Infrastrukturen strebt der Bundesrat eine Annäherung des in der Schweiz geltenden Verfahrens an jenes der Nachbarländer an.

7

Erklärung zum Beitritt zu ERIC-Forschungsinfrastrukturen, anwendbares Recht und Gerichtsbarkeit

Beitrittserklärung Um an einer ERIC-Forschungsinfrastruktur teilzunehmen, ist vorgesehen, dass die Schweiz, sobald die in der Satzung der Infrastruktur festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, der rechtlichen Vertreterin oder dem rechtlichen Vertreter, das heisst ihrer Direktorin oder ihrem Direktor, eine Erklärung überreicht. Mit dieser bekundet die Schweiz den Beitritt zur Forschungsinfrastruktur.

Einerseits kann die Schweiz als Mitglied einer ERIC-Forschungsinfrastruktur über ihr Stimmrecht Einfluss auf die Funktionsweise der Infrastruktur nehmen. Andererseits 14

Ziffer 7.1 der Roadmap Forschungsinfrastrukturen 2019.

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bedeutet diese Erklärung die Anerkennung des EU-Rechts in Bezug auf die ERICVerordnung, des nationalen Rechts des Sitzstaates sowie von allfälligen Entscheidungen des EuGH im Anwendungsbereich der ERIC-Verordnung. Die Erklärung entspricht dem Beitritt zu einer internationalen Organisation und ist somit einem völkerrechtlichen Vertrag gleichzusetzen. Deshalb findet die innerstaatliche Kompetenzordnung für völkerrechtliche Verträge Anwendung. Die Rechtsgrundlagen, auf die sich die Erklärung bezieht, sind in Ziffer 8.2. aufgeführt.

ERIC-Verordnung und Gerichtsbarkeit Die Zuständigkeit des EuGH betrifft ausschliesslich Streitigkeiten betreffend das europäische Recht und beschränkt sich damit im Wesentlichen auf den technischen Bereich der konkreten ERIC-Forschungsinfrastrukturen. Dem EuGH wird mit der Erklärung keine Kompetenz übertragen, schweizerisches Recht auszulegen oder zu überprüfen. Die Beteiligung an ERIC-Forschungsinfrastrukturen unterscheidet sich damit nicht von anderen Beteiligungen der Schweiz an internationalen Forschungsprojekten oder Forschungsinfrastrukturen, bei denen auch nationales oder EU-Recht zur Anwendung gelangt oder welche die Zuständigkeit von Schiedsgerichten oder staatlichen Gerichten zur Streitbeilegung vorsehen.

Aufgrund der Wichtigkeit der Schweizer Teilnahme an ERIC-Forschungsinfrastrukturen für den Forschungsplatz Schweiz und der Mitspracherechte der Schweiz im Fall einer Beteiligung ist der Bundesrat der Auffassung, dass die Anwendbarkeit von EURecht und die Anerkennung der Zuständigkeit des EuGH im begrenzten Rahmen der ERIC-Verordnung und der ERIC-Forschungsinfrastruktur angesichts der beschriebenen Vorteile kleine Zugeständnisse sind.

8

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

8.1

Erläuterung des Bundesbeschlusses über den Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit Rechtsform ERIC BBMRI ERIC, ECRIN ERIC, EPOS ERIC, ICOS ERIC, CESSDA ERIC, DARIAH ERIC

Der Bundesrat beantragt dem Parlament, gestützt auf Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung15 (BV) den Beitritt der Schweiz zu den sechs Forschungsinfrastrukturnetzwerken BBMRI ERIC, ECRIN ERIC, EPOS ERIC, ICOS ERIC, CESSDA ERIC und DARIAH ERIC zu genehmigen. Da es sich um Beitritte handelt, die mit dem Beitritt zu einer internationalen Organisation vergleichbar sind, untersteht der Bundesbeschluss dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 2 BV.

15

SR 101

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8.2

Bestimmungen der ERIC-Verordnung, auf die in der Beitrittserklärung Bezug genommen wird

Im Folgenden werden diejenigen Artikel der ERIC-Verordnung aufgeführt, die in der Erklärung erwähnt sind, die die Schweiz für den Beitritt zu den sechs ERICForschungsinfrastrukturen zu unterzeichnen beabsichtigt. Die Erklärung richtet sich nach einer Vorlage (template) der Europäischen Kommission16.

Art. 5 Abs. 1 Bst. d ERIC-Verordnung (Antrag auf Gründung eines ERIC) (1) Die juristischen Personen, die die Gründung eines ERIC beantragen (nachstehend als «Antragsteller» bezeichnet), stellen einen Antrag bei der Europäischen Kommission. Der Antrag wird schriftlich in einer der Amtssprachen der Organe der Union eingereicht und enthält Folgendes: (d) eine Erklärung des Gastmitgliedstaats, der zufolge das ERIC ab dem Zeitpunkt seiner Gründung als internationale Einrichtung im Sinne von Artikel 143 Buchstabe g und Artikel 151 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2006/112/EG17 und als internationale Organisation im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2008/118/EG18 anerkannt wird. Die Grenzen und Bedingungen für die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Befreiungen werden in einer Vereinbarung zwischen den Mitgliedern des ERIC festgelegt.

Erläuterungen: Der Antrag auf Gründung eines ERIC ist der letzte Schritt in einem Prozess, in dem sich die Mitglieder einigen, eine neue europäische Forschungsinfrastruktur zu gründen und zu betreiben. Nachdem die nationalen Beschlüsse, an der ERIC-Forschungsinfrastruktur teilzunehmen, gefällt sind, reichen die zukünftigen Mitglieder den Antrag zur Gründung des ERIC inklusive die vorgeschlagene Satzung an die Europäische Kommission zur Überprüfung ein.

Buchstabe d bezieht sich auf die Behandlung der Forschungsinfrastruktur wie eine internationale Organisation in steuer- und beschaffungsrechtlicher Hinsicht. Dies hat vor allem eine Entlastung bei der Mehrwertsteuer und spezielle Regelungen beim Beschaffungswesen zur Folge (vgl. Erläuterungen zu Art. 7 Abs. 3 der ERICVerordnung). In der Erklärung wird auf die Fassungen der Richtlinien 2006/112/EG und 2008/118/EG verwiesen, die zum Zeitpunkt des Beitritts der Schweiz zum betreffenden ERIC beschlossen sind.

16

17 18

Template for the recognition of legal personality and capacity of an ERIC and for providing equivalent treatment of an ERIC as an international body or international organization with respect to relief from VAT and excise duties, and exemption of the procurement Directive by associated countries and third countries other than associated countries applying for setting up or for membership in a European Research Infrastructure Consortium (ERIC).

Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1.

Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG, ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12.

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Art. 7 der ERIC-Verordnung (Rechtsstellung des ERIC) (1) Ein ERIC besitzt Rechtspersönlichkeit ab dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung zu seiner Gründung wirksam wird.

(2) Ein ERIC verfügt in jedem Mitgliedstaat über die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die juristischen Personen nach dem Recht dieses Mitgliedstaats zuerkannt wird. Insbesondere kann es bewegliches und unbewegliches Vermögen sowie geistiges Eigentum erwerben, besitzen und veräussern, Verträge schliessen und vor Gericht auftreten.

(3) Ein ERIC ist eine internationale Organisation im Sinne von Artikel 15 Buchstabe c der Richtlinie 2004/18/EG19.

Erläuterungen: Die Rechtspersönlichkeit und volle Rechtsfähigkeit sind die grundlegenden Elemente jeder rechtlichen Einheit.

Gemäss Artikel 7 Absatz 3 der ERIC Verordnung ist ein ERIC eine internationale Organisation im Sinne von Artikel 15 Buchstabe c der Richtlinie 2004/18/EG. Diese Richtlinie wurde durch Richtlinie 2014/24/EU20 ersetzt. Diese übernimmt den Inhalt der genannten Bestimmung in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b und besagt, dass ein ERIC nicht gezwungen ist, den nationalen Bestimmungen des öffentlichen Beschaffungswesens zu folgen . Somit wird in der Erklärung wird auf die Fassung der Richtlinie 2014/24/EU verwiesen, die im Zeitpunkt des Beitritts der Schweiz zum betreffenden ERIC in Kraft ist.

Ein ERIC kann eigene Bestimmungen festlegen, sofern es über einen eigenen rechtlichen Rahmen für das Beschaffungswesen verfügt, der internationalen Standards und Praktiken entspricht. Demnach hat ein ERIC die Freiheit, sich in der Satzung auf eine eigene Beschaffungspolitik zu einigen, die auf den Prinzipien der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und des Wettbewerbs basiert.

Dieser Punkt ist für die Schweiz nur von Bedeutung, falls sie einmal Sitzstaat werden möchte, was der Bundesrat nicht plant und was von der beantragten Änderung des FIFG nicht abgedeckt ist. Das Schweizer Recht stimmt diesbezüglich mit der Regelung in der ERIC-Verordnung überein, zumal Beschaffungen, die gemäss den besonderen Verfahren einer internationalen Organisation durchgeführt werden, nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe h Ziffer 3 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 201921 über das öffentliche Beschaffungswesen nicht unter dieses Gesetz fallen.

Die Tatsache, dass Forschungsinfrastrukturen mit
ERIC-Rechtsrahmen von der Mehrwertsteuer befreit sind, hat für die Schweiz den Vorteil, dass auch bei Forschungsinfrastrukturen im Ausland die Schweizer Forschungsgelder ausschliesslich der Forschung zugutekommen, und keine Mittel in ausländische Mehrwertsteuer-Systeme fliessen.

19

20

21

Richtlinie 2004/18/EG, des europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 vom 30.4.2004, S. 114.

Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65.

SR 172.056.1

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Im Unterschied zu den andern fünf ERIC befreit die Satzung von EPOS ERIC nicht nur das EPOS ERIC selber von der Mehrwertsteuer, sondern auch seine Mitglieder (Art. 17 Abs. 1 Satzung EPOS ERIC). Dies hat zur Folge, dass nach einem Beitritt der Schweiz zu EPOS ERIC auch die schweizerischen Hochschulforschungsstätten gemäss Artikel 4 Buchstabe c FIFG im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit EPOS ERIC mehrwertsteuerbefreit sind. Dies schliesst namentlich auch die kantonalen Hochschulen und Fachhochschulen ein, sofern sie nach dem Hochschulförderungsund ­koordinationsgesetz vom 30. September 201122 (HFKG) akkreditiert sind.

Art. 15 der ERIC-Verordnung (Anwendbares Recht und Gerichtsstand) (1) Die Gründung und interne Funktionsweise eines ERIC unterliegen: a)

dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere dieser Verordnung und den in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 11 Absatz 1 genannten Entscheidungen;

b)

in den Angelegenheiten, die in den in Buchstabe a genannten Rechtsakten nicht oder nur teilweise geregelt sind, dem Recht des Staates, in dem das ERIC seinen satzungsmässigen Sitz hat;

c)

der Satzung und ihren Durchführungsvorschriften.

(2) Der EuGH ist zuständig für die das ERIC betreffenden Rechtsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedern untereinander sowie zwischen den Mitgliedern und dem ERIC und für Rechtsstreitigkeiten, bei denen die Gemeinschaft eine Partei ist.

(3) Für Streitigkeiten zwischen dem ERIC und Dritten gelten die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit. In allen Fällen, die nicht in den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind, bestimmt das Recht des Staates, in dem das ERIC seinen satzungsmässigen Sitz hat, die gerichtliche Zuständigkeit für die Beilegung solcher Streitigkeiten.

Erläuterungen: Artikel 15 fokussiert auf den Aufbau und den internen Betrieb eines ERIC. Diese sind durch die ERIC-Verordnung, das Recht des Sitzstaates und die Satzung geregelt. Bezüglich sozialer Sicherheit bestimmen die EU-Regelungen zur Koordination der Systeme der sozialen Sicherheit das anwendbare Recht. Im Freizügigkeitsabkommen der Schweiz mit der EU23 ist die Anwendung der Rechtsakte der Europäischen Union, auf die in dessen Anhang II verwiesen wird, geregelt. Für individuelle Arbeitsverträge in einem ERIC gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen Arbeitsverträge. Demzufolge kann in einem Arbeitsvertrag präzisiert werden, welches nationale Recht angewendet wird.

Die in Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a erwähnten Entscheidungen der Europäischen Kommission betreffen die Gründung eines ERIC nach Prüfung der Einhaltung der ERIC-Verordnung (Art. 6 Abs. 1 Bst. a) sowie die Genehmigung einer Änderung der Satzung durch die Europäische Kommission (Art. 11 Abs. 1).

22 23

SR 414.20 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681 (Anhang II Abschnitt A).

25 / 34

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Für Erläuterungen zu Artikel 15 Absatz 2 siehe Kapitel 7 (Erklärung zur Teilnahme an ERIC-Forschungsinfrastrukturen, anwendbares Recht und Gerichtsbarkeit).

9

Entwurf der Änderung des FIFG

9.1

Beantragte Neuregelung

Art. 31 Abs. 2 Bst. ebis Artikel 31 FIFG erteilt dem Bundesrat die Kompetenz, völkerrechtliche Verträge über die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und der Innovation abzuschliessen (Art. 31 Abs. 1 FIFG). Dadurch sollen die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Schweiz auf internationaler Ebene und der Abschluss entsprechender Abkommen erleichtert und zeitgerecht ermöglicht werden. In Artikel 31 Absatz 2 FIFG werden spezifische Vereinbarungen aufgelistet, die unter die Staatsvertragsabschlusskompetenz des Bundesrates im Zusammenhang mit der internationalen Forschungszusammenarbeit fallen. Diese Liste umfasst aufgrund des Inhalts von Artikel 15 der ERIC-Verordnung (Anwendbares Recht und Gerichtsstand, siehe Ziff. 7) den Beitritt zu ERIC-Forschungsinfrastrukturen nicht. Damit der Bundesrat im Sinne von Artikel 31 FIFG die Kompetenz erhält, die jeweilige Erklärung zur Beteiligung der Schweiz an einzelnen ERIC-Forschungsinfrastrukturen mit Sitz im Ausland zu unterzeichnen, soll Artikel 31 Absatz 2 um einen neuen Buchstaben ebis ergänzt werden: Der Bundesrat würde damit die Kompetenz erhalten, über den Beitritt der Schweiz zu internationalen Forschungsinfrastrukturen, die unter dem ERIC-Rechtsrahmen gegründet wurden, zu entscheiden und deren Rechtsrahmen anzuerkennen.

Die beantragte Abschlusskompetenz bezieht sich auf die geltende ERIC-Verordnung gemäss Anhang 1 dieser Botschaft. Es handelt sich um einen statischen Verweis, der eine dynamische Übernahme allfälliger Weiterentwicklungen der ERIC-Verordnung ausschliesst. Sollte diese Verordnung von der EU geändert werden, müsste die Delegationsnorm angepasst und vom Parlament genehmigt werden. Das Parlament könnte dann entscheiden, ob es in Anbetracht der geänderten ERIC-Verordnung die Abschlusskompetenz für Beitritte zu ERIC weiterhin beim Bundesrat belässt.

9.2

Umsetzung

Die Umsetzung der neuen Bestimmung erfolgt gemäss dem in Kapitel 3 geschilderten Vorgehen. Das Parlament wird somit wie bisher bei künftigen Beitritten zu ERICInfrastrukturen im Rahmen der BFI-Botschaft konsultiert. Die Ergebnisse der Prüfung anhand der WBF-Kriterien wird es auch in der BFI-Botschaft zur Kenntnis nehmen.

Danach wird der Bundesrat unter Vorbehalt einer erneuten Beurteilung schliesslich das Beitrittsverfahren einleiten.

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10

Auswirkungen

10.1

Auswirkungen auf den Bund

Mit der Beratung der BFI-Botschaft 2021­2024 genehmigte das Parlament die Kredite für die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und Innovation in den Jahren 2021­202424. Damit wurden die finanziellen Mittel zur Finanzierung der Beteiligung der Schweiz an verschiedenen ERIC bewilligt, unabhängig davon, ob sich die Schweiz als Beobachterin oder als Mitglied an diesen beteiligt. Die Mitgliederbeiträge belaufen sich auf 50 000 bis 150 000 Franken pro Jahr. Durch die Teilnahme als Mitglied an den sechs oben genannten ERIC und als Beobachter an zwei weiteren ERIC entstehen dem Bund Ausgaben in Höhe von schätzungsweise 0,66 Millionen Franken pro Jahr, die als Jahresbeiträge anfallen. Die Beiträge als Mitglied stellen gebundene Ausgaben dar.

Die Wahrnehmung der Schweizer Beteiligung an diesen Netzwerken sowie die Vertretung auf Ministerialebene obliegen dem SBFI, ebenso die Vorarbeiten für einen Beitritt und die Begleitung der nationalen Knotenpunkte. Mit dieser Botschaft wird der Beitritt zu sechs Forschungsinfrastrukturnetzwerken beantragt. In zwei weiteren Netzwerken bleibt die Schweiz Beobachterin, und bei den restlichen drei, in der BFIBotschaft 2021­2024 aufgeführten Netzwerken wird die Beteiligung der Schweiz vertieft. Zudem sind Vorabklärungen zu weiteren Netzwerken zu treffen, bei denen die Möglichkeit einer Schweizer Beteiligung im Rahmen der BFI-Botschaft 2025­2028 geprüft wird. Die Gesamtheit der neuen ständigen Aufgaben, die sich aus der verstärkten Beteiligung der Schweiz an den internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerken ergeben, verursachen im SBFI ab 2023 einen zusätzlichen Arbeitsaufwand im Umfang von vier Vollzeitstellen. Das Globalbudget des WBF (SBFI) wird ab 2023 bis auf drei Vollzeitstellen aufgestockt, um die Finanzierung des notwendigen zusätzlichen Personalbedarfs zu ergänzen.

Der Beitritt der Schweiz als Mitglied von ERIC wird zu einem Rückgang der Mehrwertsteuereinnahmen führen, da diese von der Mehrwertsteuer befreit sind. Dieser Rückgang kann aufgrund fehlender Daten nicht beziffert werden.

10.2

Auswirkungen in weiteren Bereichen

Auswirkungen in weiteren Bereichen, namentlich Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, auf die Gesellschaft, die Umwelt, auf Kantone, Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete, sind nicht zu erwarten; die entsprechenden Fragen wurden daher nicht vertieft geprüft.

24

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11

Rechtliche Aspekte

11.1

Verfassungsmässigkeit

Der Beitritt der Schweiz zu einer Forschungsinfrastruktur mit dem Rechtsrahmen ERIC erfolgt aufgrund einer einseitigen Erklärung der Schweiz zuhanden der Direktion der jeweiligen ERIC-Forschungsinfrastruktur.

Aufgrund der mit diesem einseitigen Akt verbundenen Rechtswirkungen kommen die innerstaatlichen Regeln über die Staatsvertragsabschlusskompetenz zur Anwendung.

Nach Artikel 166 Absatz 2 BV ist für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge die Bundesversammlung zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200225 und Art. 7a Abs. 1 des Regierungsund Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199726).

Der Bundesrat hat gestützt auf Artikel 31 Absatz 1 und 2 des FIFG die Kompetenz, völkerrechtliche Verträge über die internationale Zusammenarbeit im Bereich von Forschung und Innovation abzuschliessen. Der Beitritt zu internationalen Forschungsinfrastrukturen unter dem ERIC-Rechtsrahmen ist in dieser Kompetenz nicht enthalten.

Die Teilnahme der Schweiz an den sechs vorgeschlagenen Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit ERIC-Rechtsrahmen muss somit dem Parlament unterbreitet werden.

Mit dem neuen Artikel 31 Absatz 2 Buchstabe ebis E-FIFG wird die Staatsvertragsabschlusskompetenz des Bundesrats im Bereich der Forschung und Innovation ergänzt.

Damit soll der Bundesrat inskünftig den Beitritt zu Forschungsinfrastrukturen unter dem ERIC-Rechtsrahmen selbstständig beschliessen können. Der Erlass der Bestimmung stützt sich auf Artikel 64 Absatz 1 BV. Danach hat der Bund die Kompetenz zur Rechtsetzung im Bereich der Forschungs- und Innovationsförderung.

11.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Es bestehen keine internationalen Verpflichtungen für die Schweiz, die dem Beitritt der Schweiz zu den sechs vorgeschlagenen ERIC Forschungsinfrastrukturnetzwerke entgegenstehen.

11.3

Erlassform

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 2 BV unterliegt ein völkerrechtlicher Vertrag dem Referendum, wenn er den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsieht. Unter einer internationalen Organisation versteht man eine durch einen multilateralen Vertrag geschaffene juristische Person des Völkerrechts, die Staaten oder 25 26

SR 171.10 SR 172.010

28 / 34

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andere Völkerrechtssubjekte umfasst, eine eigene Völkerrechtspersönlichkeit besitzt und über eigene Organe verfügt, die ihrerseits mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sind.

Wie in Ziffer 11.1 erwähnt kommen in Bezug auf die einseitige Erklärung der Schweiz gegenüber der jeweiligen ERIC Forschungsinfrastruktur aufgrund der damit verbundenen Rechtswirkungen die innerstaatlichen Regeln über die Staatsvertragsabschlusskompetenz zur Anwendung. Die Beitrittserklärung ist somit wie ein völkerrechtlicher Vertrag zu behandeln.

Einer Forschungsinfrastruktur in Rechtsform ERIC wird gemäss ERIC-Rahmenverordnung in steuerlicher und beschaffungsrechtlicher Hinsicht der Status einer internationalen Organisation zugestanden (siehe Ziff. 8.2).

Entsprechend soll der Entwurf für einen Bundesbeschluss über die Beitritte (Entwurf A) dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Der Entwurf zur Änderung des FIFG (Entwurf B) enthält wichtige rechtssetzende Bestimmungen, die gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen. Die Kompetenz der Bundesversammlung zum Erlass des Gesetzes ergibt sich aus Artikel 163 Absatz 1 BV. Der Erlass unterliegt dem fakultativen Referendum.

11.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Der Bundesbeschluss über die Kredite für die internationale Zusammenarbeit in Forschung und Innovation in den Jahren 2021­2024 (Verpflichtungskredit) wurde im Rahmen der BFI-Botschaft 2021­2024 der Schuldenbremse unterstellt. Der Beitritt zu den sechs ERIC und die Fortsetzung des Beobachterstatus der Schweiz in zwei anderen ERIC führt nicht zu wiederkehrenden Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken ab 2023.

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Abkürzungsverzeichnis ACTRIS

Aerosols, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure

BBMRI ERIC

Biobanking and BioMolecular Resources Research Infrastructure

BFI-Botschaft

Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2021­2024

BJ

Bundesamt für Justiz

BV

Bundesverfassung

CERN

Conseil européen pour la recherche nucléaire

CESSDA ERIC

Consortium of European Social Science Data Archives

DARIAH ERIC

Digital Research Infrastructure for the Arts and Humanities

DaSCH

Data and Service Center for the Humanities

ECCSEL ERIC

European Carbon Dioxide Capture and Storage Laboratory Infrastructure

ECRIN ERIC

European Clinical Research Infrastructure Network

EIROforum

European Intergovernmental Research Organisation forum

ELI ERIC

Extreme Light Infrastructure ERIC

ELIXIR

European Life Science Infrastructure for Biological Information

eLTER

European Long-Term Ecosystem, critical zone and socio-ecological Research Infrastructure

EMBL

European Molecular Biology Laboratory

EPOS ERIC

European Plate Observing System

ERIC

European Research Infrastructure Consortium

ESA

European Space Agency

ESO

European Southern Observatory

ESRF

European Synchrotron Radiation Facility

ESSurvey ERIC

European Social Survey

ETH Zürich

Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

European XFEL

European X-Ray Free-Electron Laser Facility

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FIFG

Bundesgesetz vom 14. Dezember 2012 über die Förderung der Forschung und der Innovation

FORS

Centre de compétences suisse en sciences sociales

HFKG

Bundesgesetz vom 30. September 2011 über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbereich

ICOS ERIC

Integrated Carbon Observation System

MwSt.

Mehrwertsteuer

SBFI

Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation

SBP

Swiss Biobanking Platform

SCTO

Swiss Clinical Trial Organisation

SED

Schweizerischer Erdbebendienst

SHARE ERIC

Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe

VlG

Bundesgesetz vom 18. März 2005 über das Vernehmlassungsverfahren

VZÄ

Vollzeitäquivalente

WBF

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

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Anhang

Kriterienkatalog für die vertiefte Prüfung eines Beitritts Der Kriterienkatalog sieht einerseits vier notwendige Kriterien vor, die alle erfüllt sein müssen, um einem ERIC-Forschungsinfrastrukturnetzwerk beizutreten. Andererseits sieht er vier Priorisierungskriterien vor, die betrachtet werden, falls alle notwendigen Kriterien erfüllt sind. Anhand dieser Kriterien werden einem Forschungsinfrastrukturnetzwerk Punkte zugeordnet, deren Summe schliesslich die Priorisierung erlaubt.

I.

I.1

I.2

Notwendige Kriterien Kriterium

Präzisierung

Das internationale Forschungsinfrastrukturnetzwerk ist etabliert und ist in Rechtsform ERIC organisiert, bzw. das Konsortium des Forschungsinfrastrukturnetzwerks ist etabliert und plant, sich in Rechtsform ERIC zu organisieren.

Das Forschungsinfrastrukturnetzwerk ist bereits in der ERIC-Rechtsform etabliert.

Ein nationaler Knotenpunkt wurde designiert und die interessierte Schweizerische Forschungsgemeinschaft ist hinreichend gut organisiert.

Die am ERIC beteiligten Schweizer Forschenden sind auf nationaler Ebene als Konsortium mit etablierter Koordination durch einen zentralen Knoten organisiert.

Spezifisch für Schweizer Gründungsmitgliedschaft: Das Forschungsinfrastrukturnetzwerk wird von einem etablierten Konsortium aufgebaut und der Step II der ERIC-Application ist in den kommenden 12 Monaten geplant.

Forschende von mehreren Forschungsstätten27 sind beteiligt.

27

Der Begriff «Forschungsstätten» wird in diesem Dokument als Sammelbegriff für Hochschulforschungsstätten (nach Art. 4 Bst. c FIFG), nichtkommerzielle Forschungsstätten ausserhalb des Hochschulbereichs (nach Art. 5 FIFG) und Ressortforschung betreibende Stellen der Bundesverwaltung verwendet.

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I.

I.3

Notwendige Kriterien Kriterium

Präzisierung

Die mittelfristige Finanzierung des Schweizer Knotens und der Infrastruktur in der Schweiz ist durch die beteiligten Forschungsstätten gewährleistet.

Die mittelfristige Finanzierung der unter I.2 genannten Strukturen, i.d.R. während der statutarisch vorgesehenen Mindestdauer der Mitgliedschaft und mindestens über die laufende BFIPeriode, ist gewährleistet (z.B. mit aktuellem Letter of Support), bzw. es ist klar, wie diese Finanzierung über diese Dauer geleistet werden soll.

Die Teilnahme am ERIC ist in der strategischen Planung der beteiligten Forschungsstätten verankert.

I.4 Die Interessen der Schweiz sind bei einem Beitritt zum ERIC ausreichend geschützt.

II.

Die bundesinterne rechtliche Prüfung der Satzung und der möglichen Beitrittsinstrumente weist auf keine Probleme hin (z.B. hinsichtlich Austrittsverfahren).

Priorisierungskriterien Kriterium

II.1 Die Tätigkeiten des ERIC bedürfen einer internationalen Zusammenarbeit und können im Rahmen von national organisierten Zusammenarbeiten nicht zielführend bewältigt werden.

Präzisierung

Viele der Forschungsprojekte in diesem Forschungsgebiet finden in grösseren Konsortien oder multizentrisch statt.

Schweizer Forschungsprojekte in diesem Gebiet profitieren stark vom internationalen Zugang zu Infrastruktur, Daten oder Kompetenzen.

Die Erarbeitung und Etablierung internationaler Standards sind in diesem Gebiet wichtig.

Viele andere Länder, die in diesem Forschungsgebiet interessante Partner bieten, beteiligen sich ebenfalls am ERIC.

Der Schweizerische Nationalfonds hat dem Forschungsinfrastrukturnetzwerk im Rahmen der nationalen Roadmap «Forschungsinfrastrukturen» eine hohe Bedeutung für die wissenschaftliche Gemeinschaft der Schweiz zugesprochen.

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II.

Priorisierungskriterien Kriterium

II.2 Das ERIC ist in einem Bereich tätig, der für die Schweiz national von ausgewiesenem Interesse ist.

Präzisierung

Das ERIC ergänzt bestehende Schweizer Forschungs- und Innovationsaktivitäten, bzw. knüpft an diese an, z.B. EUPartnerschaften oder Interessen von Ressortforschungsämtern.

Das ERIC stärkt bestehende Strategien in der Schweizerischen Forschungs- und Innovationspolitik (z.B. Stärkung von ganzer Wertschöpfungskette von Grundlagenforschung bis zu wissenschaftsbasierter Innovation in einem wichtigen Fachbereich).

Der ERIC ist innerhalb seines Fachbereichs in der Schweiz gut abgestützt, bspw. im Rahmen einer disziplinären Roadmap.

II.3 Das ERIC ist eine gute Ergänzung zu anderen internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerken mit Schweizer Beteiligung.

Das ERIC deckt Ziele ab und erbringt Tätigkeiten, die von keinem anderen etablierten internationalen Forschungsinfrastrukturnetzwerk mit Schweizer Beteiligung verfolgt und erbracht werden.

Zwischen dem ERIC und anderen ERIC werden auf europäischer (z.B. innerhalb von Umbrellas28) oder Schweizer Ebene allfällige Synergien genutzt oder es besteht eine übergeordnete Koordination.

II.4 Die Aktivitäten des Forschungsinfrastrukturnetzwerks rechtfertigen eine Verpflichtung auf Staatsebene.

28

Die volle Mitgliedschaft im ERIC ist gegenüber anderen Beteiligungsformen mit deutlichen Vorteilen verbunden.

Die bestehenden Mitglieder des ERIC vertreten ihre Interessen auf Ministerialebene und nicht über eine «Representing Entity» ausserhalb von Ministerien.

Unter «Umbrella» wird hier die organisierte Zusammenarbeit mehrerer Forschungsinfrastrukturnetzwerke bezeichnet, um ihre Aktivitäten zu koordinieren und allfällige Synergien zu nutzen.

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