BBl 2022 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

22.034 Botschaft zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Tessin und Neuenburg vom 4. Mai 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Tessin und Neuenburg.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. Mai 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2022-1381

BBl 2022 1203

BBl 2022 1203

Übersicht Der Bundesversammlung wird beantragt, mit einfachem Bundesbeschluss Änderungen in den Verfassungen der Kantone Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Tessin und Neuenburg zu gewährleisten. Alle Änderungen sind bundesrechtskonform. Die Gewährleistung ist somit zu erteilen.

Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes.

Steht eine kantonale Verfassungsbestimmung im Einklang mit dem Bundesrecht, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie diese Voraussetzung nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Bern: ­

den Klimaschutz;

im Kanton Glarus: ­

die Gesundheitsversorgung;

­

die Gerichtsorganisation;

im Kanton Appenzell Innerrhoden: ­

das Zwangsmassnahmengericht und die Vermittlerämter;

im Kanton Tessin: ­

den Grundsatz der Ernährungssouveränität;

­

das obligatorische Finanzreferendum;

im Kanton Neuenburg: ­

die Organisation des Grossen Rates;

­

die kommunale Volksmotion.

2 / 14

BBl 2022 1203

Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Bern

1.1.1

Volksabstimmung vom 26. September 2021

Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben in der Volksabstimmung vom 26. September 2021 dem neuen Artikel 31a der Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 19931 (KV-BE) betreffend den Klimaschutz mit 233 186 Ja gegen 132 060 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2021 ersuchen die Regierungspräsidentin und der Staatsschreiber im Namen des Regierungsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2

Klimaschutz

Bisheriger Text

Neuer Text

3 Öffentliche Aufgaben 3.1 Umwelt-, Landschafts- und Heimatschutz

Gliederungstitel vor Art. 31 3 Öffentliche Aufgaben 3.1 Umwelt-, Klima-, Landschaftsund Heimatschutz Art. 31a Klimaschutz 1 Kanton und Gemeinden setzen sich aktiv für die Begrenzung der Klimaveränderung und deren nachteiliger Auswirkungen ein.

2 Sie leisten im Rahmen ihrer Kompetenzen den erforderlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 und stärken die Fähigkeit zur Anpassung an die nachteiligen Auswirkungen der Klimaveränderung.

3 Die Massnahmen zum Klimaschutz sind insgesamt auf eine Stärkung der Volkswirtschaft auszurichten sowie umwelt- und sozialverträglich auszugestalten. Sie beinhalten namentlich Instrumente der Innovations- und Technologieförderung.

4 Kanton und Gemeinden richten die öffentlichen Finanzflüsse insgesamt auf eine klimaneutrale und gegenüber der Klimaveränderung widerstandsfähige Entwicklung aus.

Nach Artikel 74 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)2 erlässt der Bund Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder 1 2

SR 131.212 SR 101

3 / 14

BBl 2022 1203

lästigen Einwirkungen. Der Bund verfügt dementsprechend über eine allgemeine, konkurrierende und nachträglich derogierende Rechtsetzungskompetenz3. Die Bundesversammlung hat im Bereich des Klimaschutzes gestützt darauf insbesondere das CO2-Gesetz vom 23. Dezember 20114 und das Energiegesetz vom 30. September 20165 erlassen. Die Kantone behalten ihre Rechtsetzungskompetenzen, soweit der Bund seine nicht vollständig ausgeschöpft hat, und überdies die Kompetenzen in ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen, wobei die kantonale Rechtsetzung das Bundesumweltrecht unterstützen kann, indem es dieses ergänzt oder verstärkt.6 Im Bereich des Klimaschutzes sind beispielsweise vor allem die Kantone zuständig für Massnahmen, die den Verbrauch von Energie in Gebäuden betreffen (Art. 89 Abs. 4 BV).

Der neue Artikel 31a KV-BE sieht insbesondere vor, dass sich Kanton und Gemeinden aktiv für die Begrenzung der Klimaveränderung und deren nachteiliger Auswirkungen einsetzen. Sie leisten im Rahmen ihrer Kompetenzen den erforderlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 und stärken die Fähigkeit zur Anpassung an die nachteiligen Auswirkungen der Klimaveränderung. Die Massnahmen zum Klimaschutz beinhalten namentlich Instrumente der Innovations- und Technologieförderung.

Die Ziele von Artikel 31a KV-BE gehen in die gleiche Richtung wie diejenigen des Bundes. So hat beispielsweise der Bundesrat ebenfalls ein Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen bis 2050 beschlossen.7 Die Ziele des Kantons Bern implizieren insbesondere Massnahme im Bereich des Energieverbrauchs in Gebäuden, ein Bereich, in dem die Bundeskompetenzen begrenzt sind. Artikel 31a KV-BE ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten. Die kantonale Ausführungsgesetzgebung muss indessen mit dem höherrangigen Recht vereinbar sein, insbesondere mit dem CO2-Gesetz und dem Energiegesetz.

1.2

Verfassung des Kantons Glarus

1.2.1

Landsgemeinde vom 5. September 2021

An der Landsgemeinde vom 5. September 2021 haben die Stimmberechtigten des Kantons Glarus mehreren Änderungen der Verfassung des Kantons Glarus vom 1. Mai 19888 (KV-GL) im Hinblick auf den Erlass eines Pflege- und Betreuungsgesetzes einerseits und eines Gerichtsorganisationsgesetzes andererseits zugestimmt.

Mit Schreiben vom 19. November 2021 ersucht der Ratsschreiber im Namen der Staatskanzlei um die eidgenössische Gewährleistung.

3 4 5 6 7 8

Vgl. Anne-Christine Favre in: Vincent Martenet / Jacques Dubey (Hrsg.), Bundesverfassung, Comm. romand, Basel 2021, Art. 74 Rz. 14.

SR 641.71 SR 730.0 Vgl. ebd., Art. 74 Rz. 15.

Bundesratsbeschluss vom 28. August 2019, angeführt in BBl 2021 1972, S. 22.

SR 131.217

4 / 14

BBl 2022 1203

1.2.2

Gesundheitsversorgung

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 33 Spitäler und Heime 2 Die Gemeinden sorgen für die stationäre Altersbetreuung.

3 Sie können Alters- und Pflegeheime führen oder deren Führung an Dritte übertragen.

Art. 33 Abs. 2 und 3 2 Der Kanton gewährleistet die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung.

3 Aufgehoben

Nach Artikel 41 Absatz 1 Buchstabe b BV setzen sich Bund und Kantone in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält. Nach Artikel 112c Absatz 1 BV sorgen die Kantone für die Hilfe und Pflege von Betagten und Behinderten zu Hause.

Nach Artikel 50 Absatz 1 BV ist schliesslich die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. Die Änderungen von Artikel 33 KV-GL sehen vor, dass der Kanton neu die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung gewährleistet und nicht die Gemeinden. Die Änderungen betreffen die Gesundheitsversorgung und die Gemeindeautonomie. Sie sind bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.2.3

Gerichtsorganisation

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 68 Wahlbefugnisse Die Landsgemeinde ist zuständig für: b. die Wahl der Gerichtspräsidenten und der weiteren Richter;

Art. 68 Bst. b Die Landsgemeinde ist zuständig für: b. die Wahl der Gerichtspräsidien, der teilamtlichen Vizepräsidien und der weiteren Richterinnen und Richter;

Art. 74

Art. 74 Abs. 1a 1a Für die Gerichtspräsidien und die teilamtlichen Vizepräsidien ist zudem ein an einer Schweizer Hochschule mit einem Lizentiat oder Master abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften Wählbarkeitsvoraussetzung.

Wählbarkeit

Art. 106 Richterliche Unabhängigkeit 1 Die Gerichte sind unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden.

2 Sie dürfen Erlasse nicht anwenden, die Bundesrecht oder kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht widersprechen.

Art. 106 Aufgehoben

5 / 14

BBl 2022 1203

Bisheriger Text

Neuer Text Art. 107a Richterliche Unabhängigkeit 1 Die Gerichte sind unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden.

2 Sie verwalten sich selbst. Das Gesetz sieht hierzu ein gemeinsames Organ vor.

3 Die Gerichte dürfen Erlasse nicht anwenden, die Bundesrecht oder kantonalem Verfassungs- und Gesetzesrecht widersprechen.

Art. 108 Kantonsgericht 1 Das Kantonsgericht urteilt in Zivil-, Strafund Jugendstrafsachen als erste Instanz durch: a. zwei Zivilkammern, bestehend aus je einem Präsidenten und vier Mitgliedern; b. die Strafkammer, bestehend aus dem Präsidenten und vier Mitgliedern; c. die Strafgerichtskommission, bestehend aus dem Präsidenten sowie zwei Mitgliedern der Strafkammer.

2 Das Kantonsgericht hat zwei vollamtliche Präsidenten, die als Vorsitzende der Kammern und der Strafgerichtskommission sowie als Einzelrichter amten.

3 Die Präsidenten und die Mitglieder des Kantonsgerichts amten in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen als Einzelrichter.

Art. 108 Abs. 1­3 1 Das Kantonsgericht urteilt in Zivil-, Strafund Jugendstrafsachen als erste kantonale Instanz.

2 Es besteht aus zwei Präsidien und einer durch Gesetz bestimmten Anzahl von Mitgliedern.

3 Aufgehoben

Art. 110 Obergericht 2 Das Obergericht besteht aus dem Präsidenten und sieben Mitgliedern; das Gesetz regelt die Zusammensetzung der Spruchkörper.

3 Der Obergerichtspräsident entscheidet in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen als Einzelrichter.

Art. 110 Abs. 2­3a 2 Es besteht aus dem Präsidium und einer durch Gesetz bestimmten Anzahl von Mitgliedern.

3 Aufgehoben 3a Das Obergericht übt die Aufsicht über die Geschäftsführung des Kantonsgerichts aus.

Art. 111 Verwaltungsgericht 1 Das Verwaltungsgericht beurteilt verwaltungs- und andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten als erste oder als Beschwerdeinstanz.

Es besteht aus dem Präsidenten sowie acht Richtern und bildet aus diesen zwei Kammern.

2 Für besondere Verwaltungsstreitigkeiten können durch Gesetz verwaltungsunabhängige Rekurskommissionen eingesetzt werden.

Art. 111 Abs. 1­2a 1 Das Verwaltungsgericht urteilt in verwaltungs- und anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten als erste oder als Beschwerdeinstanz.

1a Es besteht aus dem Präsidium und einer durch Gesetz bestimmten Anzahl von Mitgliedern.

2 Aufgehoben 2a Das Verwaltungsgericht übt die Aufsicht über die Geschäftsführung der verwaltungsunabhängigen Kommissionen aus.

6 / 14

BBl 2022 1203

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 112 Organisation und Verwaltung 2 Es [Das Gesetz] ordnet die Geschäftsverteilung, die Stellvertretung der Präsidenten und die Gerichtsergänzung in Ausstands- und Verhinderungsfällen.

3 Das Obergericht hat die Aufsicht über die Geschäftsführung des Kantonsgerichtes, das Verwaltungsgericht über die der Rekurskommissionen.

4 Die Verwaltungskommission der Gerichte besteht aus den Präsidenten des Ober-, des Verwaltungs- und des Kantonsgerichtes. Sie wählt und beaufsichtigt nach Gesetz die Angestellten der Gerichte.

Art. 112

Zweiter Unterabschnitt: Strafverfolgung

Gliederungstitel vor Art. 113 Zweiter Unterabschnitt: Strafverfolgungsbehörden

Art. 113 Staats- und Jugendanwaltschaft Der Staats- und Jugendanwaltschaft obliegt die Strafverfolgung gegen Erwachsene sowie Jugendliche.

Art. 113 Aufgehoben

Art. 114 Organisation und Aufsicht 1 Das Gesetz regelt die Organisation und die Zuständigkeiten der Staats- und Jugendanwaltschaft sowie die Befugnis von Verwaltungsstellen und Gemeindebehörden, Bussen auszusprechen.

2 Der Regierungsrat hat die Aufsicht über die Strafverfolgung, wobei konkrete Weisungen zu einzelnen Verfahren ausgeschlossen sind.

Art. 114

Sachüberschrift und Abs. 2­4 Organisation 2 bis 4 Aufgehoben

Sachüberschrift und Abs. 1­2a Organisation 1 Das Gesetz regelt die Organisation und die Zuständigkeiten der Strafverfolgungsbehörden sowie die Aufsicht über diese.

2 Aufgehoben 2a Die Strafverfolgungsbehörden sind in der Rechtsanwendung unabhängig und alleine dem Recht verpflichtet.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Nach den Artikeln 122 Absatz 2 und 123 Absatz 2 BV sind für die Organisation der Gerichte und die Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt schliesslich deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Die Änderungen der KV-GL sehen eine Änderung der Gerichtsorganisation vor. Sie haben insbesondere eine personelle Verstärkung des Kantonsgerichts und des Obergerichts zum Ziel, um zu gewährleisten, dass in jedem Fall eine Juristin oder ein Jurist das Verfahren leitet. Die Landsgemeinde wählt neu teilamtliche Vizepräsidien. Die Änderungen betreffen die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie. Sie sind bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

7 / 14

BBl 2022 1203

1.3

Verfassung des Kantons Appenzell Innerrhoden

1.3.1

Landsgemeinde vom 9. Mai 2021

An der Landsgemeinde vom 9. Mai 2021, die ausnahmsweise an der Urne stattfand, haben die Stimmberechtigten den Änderungen der Artikel 33, 38, 39 und 44 der Verfassung für den Eidgenössischen Stand Appenzell I. Rh. vom 24. Wintermonat 18729 (KV-AI) betreffend das Zwangsmassnahmengericht und die Vermittlerämter mit 5523 Ja gegen 730 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 9. September 2021 ersucht der Ratschreiber im Auftrag von Landammann und Standeskommission um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2

Zwangsmassnahmengericht und Vermittlerämter

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 33 7 Die Bezirke können für die Wahl der Bezirksräte, der Mitglieder des Bezirksgerichts und der Vermittler sowie deren Stellvertreter eine höchstens vierjährige Amtsdauer beschliessen.

Art. 33 Abs. 7 7 Die Bezirke können für die Wahl der Bezirksräte, der Mitglieder des Bezirksgerichts und der Vermittler eine höchstens vierjährige Amtsdauer beschliessen.

Art. 38 In jedem Bezirk besteht je ein Vermittleramt.

Die Bezirksgemeinde wählt für eine Amtsdauer von zwei Jahren einen Vermittler und einen Stellvertreter. Nicht wählbar sind die Mitglieder der Standeskommission, der Gerichte, sowie berufsmässige Parteivertreter. Das Nähere über Organisation, Geschäftsführung und Funktion des Vermittlers als Organ der Rechtspflege wird durch die Gesetzgebung bestimmt.

Art. 38 In jedem Bezirk besteht je ein Vermittleramt.

Die Bezirksgemeinde wählt einen Vermittler.

Das Nähere über Organisation, Geschäftsführung und Funktion des Vermittlers als Organ der Rechtspflege wird durch die Gesetzgebung bestimmt.

Art. 39 2 Die Bildung von besonderen Abteilungen zur Erledigung der Geschäfte wird durch die Gesetzgebung geordnet.

Art. 39 Abs. 2 und 3 2 Dem Bezirksgericht gehören neben dem Präsidenten die von den Bezirksgemeinden gewählten Richter an. Für den Einsatz von Zwangsmassnahmenrichtern kann der Grosse Rat eine interkantonale Vereinbarung abschliessen.

3 Die Organisation des Bezirksgerichts wird durch das Gesetz bestimmt.

9

SR 131.224.2

8 / 14

BBl 2022 1203

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 44 1 Die Mitglieder der Gerichte dürfen nicht gleichzeitig mehr als einer ordentlichen Gerichtsbehörde im Kanton angehören.

2 Die Mitglieder der Standeskommission, des Grossen Rates sowie die Bezirksräte können den Gerichten nicht angehören.

Art. 44 1 Die Mitglieder der Gerichte dürfen nicht gleichzeitig mehr als einer richterlichen Behörde im Kanton angehören.

2 Die Mitglieder der Standeskommission, des Grossen Rates sowie die Bezirksräte können keiner richterlichen Behörde im Kanton angehören.

3 Berufsmässige Parteivertreter sind als Vermittler nicht wählbar.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Nach Artikel 50 Absatz 1 BV ist die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.

Nach den Artikeln 122 Absatz 2 und 123 Absatz 2 BV sind für die Organisation der Gerichte und die Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt schliesslich deren Organisationsautonomie. Die Änderungen der KVAI sehen eine Änderung der Organisation des Zwangsmassnahmengerichts und der Vermittlerämter vor. Insbesondere ist der Grosse Rat neu zuständig für die Wahl von Zwangsmassnahmenrichtern, die nicht im Kanton wohnhaft sind. Die Vermittlerstellvertreter werden abgeschafft. Deren Funktion werden neu von Vermittlern aus anderen Bezirken wahrgenommen. Die Änderungen betreffen die politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten, die Gemeindeautonomie und die kantonale Organisationsautonomie. Sie sind bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.4

Verfassung des Kantons Tessin

1.4.1

Volksabstimmung vom 13. Juni 2021

Die Stimmberechtigten des Kantons Tessins haben in der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 dem neuen Artikel 14 Absatz 1 Buchstaben n der Verfassung von Republik und Kanton Tessin vom 14. Dezember 199710 (KV-TI) betreffend den Grundsatz der Ernährungssouveränität mit 61 766 Ja gegen 37 630 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 25. August 2021 ersuchen der Präsident und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

10

SR 131.229

9 / 14

BBl 2022 1203

1.4.2

Grundsatz der Ernährungssouveränität

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 14

Art. 14 Abs. 1 Bst. n 1 Der Kanton setzt sich dafür ein, dass: n. der Grundsatz der Ernährungssouveränität eingehalten wird in Bezug auf den Zugang zu Lebensmitteln, die eine abwechslungsreiche Ernährung ermöglichen, auf die nachhaltige Bodennutzung und auf das Recht der Bürgerinnen und Bürger, über das eigene Ernährungs- und Produktionssystem entscheiden zu können.

Sozialziele [Marginalie]

Nach Artikel 104a BV (Ernährungssicherheit) schafft der Bund zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln Voraussetzungen insbesondere für die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, eine standortangepasste Lebensmittelproduktion und einen ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln. Auf Stufe Bundesgesetzgebung sind hierbei insbesondere das Lebensmittelgesetz vom 20. Juni 2014 (LMG)11 und das Landwirtschaftsgesetz vom 29. April 1998 (LwG)12 zu beachten. Schliesslich sind die Kantone in Anwendung von Artikel 3 BV zuständig, die kantonalen Sozialziele zu regeln. Gemäss der Änderung von Artikel 14 KV-TI (Sozialziele) setzt sich der Kanton dafür ein, dass der Grundsatz der Ernährungssouveränität eingehalten wird in Bezug auf den Zugang zu Lebensmitteln, die eine abwechslungsreiche Ernährung ermöglichen, auf die nachhaltige Bodennutzung und auf das Recht der Bürgerinnen und Bürger, über das eigene Ernährungs- und Produktionssystem entscheiden zu können. Die Ziele dieser Änderung gehen in die gleiche Richtung wie diejenigen des Bundes. Die Änderung fällt in die Zuständigkeit der Kantone, die kantonalen Sozialziele zu regeln. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten. Die kantonale Ausführungsgesetzgebung muss indessen mit dem höherrangigen Recht vereinbar sein, insbesondere mit dem LMG und dem LwG.

1.4.3

Volksabstimmung vom 26. September 2021

Die Stimmberechtigten des Kantons Tessins haben in der Volksabstimmung vom 26. September 2021 dem neuen Artikel 42a KV-TI betreffend das obligatorische Finanzreferendum mit 46 905 Ja gegen 43 547 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 17. November 2021 ersuchen der Präsident und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

11 12

SR 817.0 SR 910.1

10 / 14

BBl 2022 1203

1.4.4 Bisheriger Text

Obligatorisches Finanzreferendum Neuer Text Art. 42a

Obligatorisches Finanzreferendum [Marginalie] 1 Unmittelbar nach der Schlussabstimmung über einen Beschluss, der eine einmalige Ausgabe über Fr. 30 000 000.­ oder eine jährlich wiederkehrende Ausgabe über Fr. 6 000 000.­ während mindestens vier Jahren betrifft, unterstellt der Grosse Rat die Ausgabe dem obligatorischen Referendum, wenn ein Drittel der anwesenden Mitglieder zustimmt, mindestens aber 25 Mitglieder.

2 Das Gesetz regelt die Modalitäten.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt auch deren Organisationsautonomie. Der neue Artikel 42a KV-TI sieht vor, dass der Grosse Rat einmalige Ausgaben über 30 Millionen Franken oder jährlich wiederkehrende Ausgaben über 6 Millionen Franken während mindestens vier Jahren dem obligatorischen Referendum unterstellt, wenn ein Drittel der anwesenden Mitglieder zustimmt, mindestens aber 25 Mitglieder. Die Änderung betrifft die kantonalen politischen Rechte und die kantonale Organisationsautonomie.

Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.5

Verfassung von Republik und Kanton Neuenburg

1.5.1

Volksabstimmung vom 3. März 2013

Die Stimmberechtigten des Kantons Neuenburg haben in der Volksabstimmung vom 3. März 2013 den Änderungen der Artikel 63 Absatz 3 und 82 der Verfassung von Republik und Kanton Neuenburg vom 24. September 200013 (KV-NE) betreffend die Organisation des Grossen Rats mit 39 672 Ja gegen 5427 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 25. März 2021 ersucht die Generalsekretärin des Grossen Rates des Kantons Neuenburg um die eidgenössische Gewährleistung.

13

SR 131.233

11 / 14

BBl 2022 1203

1.5.2

Organisation des Grossen Rates

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 63 Organe 3 Der Grosse Rat kann aus seiner Mitte Kommissionen schaffen, die entsprechend der Grösse der Fraktionen zusammengesetzt sind; Aufgabe der Kommissionen ist insbesondere die Vorbereitung der Beratungen des Grossen Rates.

Art. 63 Abs. 3 3 Der Grosse Rat kann aus seiner Mitte Kommissionen schaffen, deren Aufgabe insbesondere die Vorbereitung der Beratungen des Grossen Rates ist; das Gesetz regelt den institutionellen Rahmen.

Art. 82

Art. 82

Teilnahme des Staatsrates an Sitzungen des Grossen Rates und seiner Kommissionen Die Mitglieder des Staatsrates können an den Sitzungen des Grossen Rates und an denjenigen seiner Kommissionen teilnehmen; sie haben das Recht, das Wort zu ergreifen und Anträge zu stellen.

Teilnahme des Staatsrates an Sitzungen des Grossen Rates und seiner Organe [Marginalie] 1 Die Mitglieder des Staatsrates können an den Sitzungen des Grossen Rates teilnehmen und, soweit es das Gesetz vorsieht, das Wort ergreifen und Anträge stellen.

2 Die Teilnahme der Mitglieder des Staatsrates an den Sitzungen der Organe des Grossen Rates und den Umfang ihrer Teilnahme bestimmt das Gesetz.

In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Die vorliegenden Änderungen der KV-NE sehen eine Änderung der Organisation des Grossen Rates vor. Insbesondere können die Mitglieder des Staatsrates an den Sitzungen der Organe des Grossen Rates wie dessen Kommissionen nur insoweit teilnehmen, als es das Gesetz vorsieht. Die Änderungen betreffen die kantonale Organisationsautonomie. Sie sind bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.5.3

Volksabstimmung vom 30. November 2014

Die Stimmberechtigten des Kantons Neuenburg haben in der Volksabstimmung vom 30. November 2014 der Änderung von Artikel 95 Absatz 5 KV-NE betreffend die kommunale Volksmotion mit 39 284 Ja gegen 7782 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 ersucht die Kanzlerin im Namen der Staatskanzlei des Kantons Neuenburg um die eidgenössische Gewährleistung.

1.5.4

Kommunale Volksmotion

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 95 Organisation 5 Das Gesetz bestimmt, wer in Gemeindeangelegenheiten stimmberechtigt ist, und regelt das Wahlverfahren sowie die Volksinitiative und das Referendum.

Art. 95 Abs. 5 5 Das Gesetz bestimmt, wer in Gemeindeangelegenheiten stimmberechtigt ist, und regelt das Wahlverfahren sowie die Volksinitiative, das Volksreferendum und die Volksmotion.

12 / 14

BBl 2022 1203

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Nach Artikel 50 Absatz 1 BV ist die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.

In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt schliesslich deren Organisationsautonomie. Die vorliegende Änderung der KV-NE sieht die Einführung der kommunalen Volksmotion vor. Die Änderung betrifft die kommunalen politischen Rechte, die Gemeindeautonomie und die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

2

Rechtliche Aspekte

2.1

Bundesrechtskonformität

Die Prüfung hat ergeben, dass die Änderungen der Verfassungen der Kantone Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Tessin und Neuenburg die Anforderungen von Artikel 51 BV erfüllen. Somit ist ihnen die Gewährleistung zu erteilen.

2.2

Zuständigkeit der Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 Absatz 2 und 172 Absatz 2 BV für die Gewährleistung zuständig.

2.3

Erlassform

Die Gewährleistung erfolgt mit einfachem Bundesbeschluss, da weder die BV noch ein Gesetz das Referendum vorsehen (vgl. Art. 141 Abs. 1 Bst. c i. V. m. Art. 163 Abs. 2 BV).

13 / 14

BBl 2022 1203

14 / 14