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22.032 Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Abkommens zur Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich vom 27. April 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Abkommens zur Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich sowie den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung und des Krankenversicherungsaufsichtsgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. April 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Die Schweiz und das Vereinigte Königreich haben ein neues Abkommen über soziale Sicherheit abgeschlossen, um die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme beider Länder nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) zu gewährleisten. Das Abkommen wurde am 9. September 2021 unterzeichnet und wird seit dem 1. November 2021 vorläufig angewandt.

Ausgehend von den im Verhältnis Schweiz­EU geltenden Regeln und in Anlehnung an das neue Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU verfolgt es das Ziel, die vor dem Brexit bestehenden Rechte und Verpflichtungen gemäss der «Mind the Gap»-Strategie des Bundesrates aufrechtzuerhalten.

Ausgangslage Seit dem 1. Januar 2021 ist die im Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU (FZA) vorgesehene Koordinierung der Sozialversicherungssysteme nicht mehr auf die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich anwendbar.

Das Abkommen über die Bürgerrechte, das die Schweiz und das Vereinigte Königreich abgeschlossen haben, gewährleistet nur die während der Geltungsdauer des FZA erworbenen Rechte. Ab dem 1. Januar 2021 fehlt ein Instrument zur Regelung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten im Bereich der sozialen Sicherheit.

Deshalb wurde ein neues Abkommen über soziale Sicherheit ausgehandelt, um wieder zu einer Koordinierung zu gelangen, die den Regeln des FZA möglichst nahekommt.

Das neue Abkommen wird seit dem 1. November 2021 vorläufig angewandt, um eine zu grosse Lücke zwischen dem Wegfall des FZA und der Anwendung des neuen Abkommens zu vermeiden.

Inhalt der Vorlage Mit dem vorliegenden Abkommen werden die von der Schweiz im Rahmen des FZA angewandten EU-Koordinierungsverordnungen ­ mit einigen Abweichungen ­ in den bilateralen Kontext übernommen. Das neue Abkommen orientiert sich am Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Die Einheitlichkeit und die Kontinuität der anwendbaren Regeln werden somit gewährleistet, was die Arbeit der Träger erleichtert und den Arbeitgebenden wie den versicherten Personen zugutekommt.

Das Abkommen soll gewährleisten, dass Personen, die sich aus beruflichen Gründen in einem der Vertragsstaaten niederlassen oder dort ihren Wohnsitz begründen, bei den Sozialversicherungen nicht benachteiligt werden. Das Abkommen gewährt zu
diesem Zweck den in seinen Geltungsbereich fallenden Personen eine weitgehende Gleichbehandlung und erleichtert den Zugang zu den Leistungen der Vertragsstaaten.

Die Zahlung von Leistungen ins Ausland ist gewährleistet, wobei die Ausnahme der Leistungen der Invalidenversicherung, die nicht exportiert werden, hervorzuheben ist.

Die EU hatte in den Verhandlungen dem Wunsch des Vereinigten Königreichs nach dieser Ausnahmeregelung stattgegeben; für die Schweiz stellt dies eine Abweichung von ihren Standardabkommen dar. Des Weiteren soll das Abkommen die Mobilität

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von Personen fördern sowie doppelte Unterstellungen vermeiden, und es legt die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Vertragsstaaten fest.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Das Vereinigte Königreich ist am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union (EU) ausgetreten. Nach einer Übergangszeit von elf Monaten sind die Abkommen zwischen der Schweiz und der EU im Verhältnis zum Vereinigten Königreich ausser Kraft getreten. Das Abkommen über den freien Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU (FZA)1, einschliesslich der gesamten, in dessen Anhang II geregelten Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit, wurde daher nach dem 31. Dezember 2020 in den Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich nicht mehr angewandt.

Um in dieser Situation ein rechtliches Vakuum mit entsprechenden negativen Folgen zu vermeiden, hat der Bundesrat im Oktober 2016 die «Mind the Gap»-Strategie2 verabschiedet. Hauptziel war es, die in den Abkommen zwischen der Schweiz und der EU bestehenden Rechte und Pflichten im Verhältnis zum Vereinigten Königreich möglichst aufrechtzuerhalten.

Die erste Etappe der Strategie bestand darin, mit einem Abkommen über die Bürgerrechte die unter dem FZA erworbenen Rechte zu sichern.3 Dieses Abkommen ist seit dem 1. März 2021 in Kraft und wird seit dem 1. Januar 2021 angewandt. Im Bereich der sozialen Sicherheit ist vorgesehen, dass für Personen, die vor dem 31. Dezember 2020 Rechte gemäss dem FZA erworben haben, weiterhin die Regeln des Anhangs II zum FZA gelten. In einer zweiten Etappe sollte ein neues Abkommen zur Regelung der künftigen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich im Bereich der sozialen Sicherheit abgeschlossen werden. Das während der Geltungsdauer des FZA ausgesetzte, jedoch seit dem 1. Januar 2021 wieder anwendbare alte Abkommen über Soziale Sicherheit von 19684 bietet keinen dem heutigen Standard entsprechenden Schutz. Es wurde nie überarbeitet und ist nicht mehr aktuell.

Das neue Abkommen über die soziale Sicherheit soll eine Koordinierung vorsehen, die den unter dem Regime des FZA anwendbaren Regeln möglichst ähnlich ist und die der Verhandlungslösung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ent-

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Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit; SR 0.142.112.681.

www.eda.admin.ch > Missionen und Delegationen der Schweiz > Mission der Schweiz bei der Europäischen Union > Dossiers > Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit) und «Mind the gap»-Strategie des Bundesrates.

Abkommen vom 25. Februar 2019 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland über die Rechte der Bürgerinnen und Bürger infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und des Wegfalls des Freizügigkeitsabkommens; SR 0.142.113.672.

Abkommen vom 21. Februar 1968 zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland über Soziale Sicherheit; SR 0.831.109.367.1.

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spricht, um einerseits eine schlechtere Behandlung von schweizerischen Staatsangehörigen zu vermeiden und andererseits eine gewisse Einheitlichkeit in sämtlichen europäischen Staaten sowie die Kontinuität der anwendbaren Regeln zu gewährleisten.

Laut den letzten vorliegenden Zahlen sind 41 440 britische Staatsangehörige in der Schweiz wohnhaft und über 230 000 sind im zentralen schweizerischen Versichertenregister eingetragen. Rund 37 000 schweizerische Staatsangehörige haben sich im Vereinigten Königreich niedergelassen.

1.2

Geprüfte Alternativen

Im Rahmen von Sondierungsgesprächen haben die Schweiz und das Vereinigte Königreich geprüft, ob die Beibehaltung des alten Abkommens über Soziale Sicherheit von 1968, das während der Geltungsdauer des FZA ausgesetzt wurde und seit dem 1. Januar 2021 wieder anwendbar war, für die beiden Parteien in Betracht kommen könnte. Sie gelangten indessen zum Schluss, dass die Beibehaltung dieses Abkommens auf lange Sicht keine gangbare Lösung wäre, weil der Schutz nicht dem aktuellen Standard entspricht und weil es nicht mehr aktuell ist.

Aus diesen Gründen haben die Schweiz und das Vereinigte Königreich beschlossen, Verhandlungen zum Abschluss eines neuen Abkommens über die soziale Sicherheit aufzunehmen.

1.3

Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Die Verhandlungen konnten erst im Februar 2021 beginnen, nachdem das Abkommen über die soziale Sicherheit zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, das als Vorlage dienen sollte, abgeschlossen war. Die Diskussionen fanden in einem straffen Rhythmus in Form von Telekonferenzen und mittels E-Mail-Austausch statt. Abgesehen von der Anpassung der komplexen Bestimmungen des für einen multilateralen Kontext konzipierten Abkommens zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU an den rein bilateralen Kontext wurden keine grösseren Schwierigkeiten verzeichnet.

Ende Juni 2021 wurden die Verhandlungen abgeschlossen.

Das Ergebnis entspricht vollumfänglich den Zielen der «Mind the Gap»-Strategie des Bundesrats. Das Abkommen übernimmt die Regelungen des Abkommens zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, die ihrerseits auf den auch im FZA integrierten Koordinierungsbestimmungen der EU beruhen. Die Schweiz musste zwar die zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ausgehandelten Zugeständnisse und Sonderregelungen übernehmen, im Gegenzug stimmte das Vereinigte Königreich aber auch den spezifischen Forderungen der Schweiz zu. Schweizerische Staatsangehörige werden somit nicht anders behandelt EU-Staatsangehörige.

Die Einheitlichkeit und die Kontinuität der anwendbaren Regeln sind gewährleistet, was die Arbeit der Träger erleichtert und Arbeitgebenden wie versicherten Personen zugutekommt.

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1.4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu den Strategien des Bundesrates

Das Abkommen wurde weder in der Botschaft vom 29. Januar 2020 zur Legislaturplanung 2019­20235 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 2020 über die Legislaturplanung 2019­20236 angekündigt. Allerdings hängt es mit dem Ziel 13 zusammen («Die Schweiz steuert die Migration, nutzt deren wirtschaftliches und soziales Potenzial und setzt sich für die internationale Zusammenarbeit ein»), unter dem auch der «Ausbau der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit» erwähnt wird.

Zudem beruht die Vorlage auf der «Mind the Gap»-Strategie des Bundesrates vom 19. Oktober 2016. Diese Strategie wurde in die Ziele des Bundesrates für die Jahre 2020 und 2021 integriert (Ziele 12 und 4) und sieht vor, das Netz der Abkommen zur Unterstützung der Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich mit Blick auf den Brexit auszubauen, um die gegenseitigen Rechte und Pflichten möglichst weitgehend zu gewährleisten und zu erweitern.

2

Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren

Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes (VlG) vom 18. März 20057 findet bei der Vorbereitung von völkerrechtlichen Verträgen, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung (BV)8 dem Referendum unterliegen oder wesentliche Interessen der Kantone betreffen, ein Vernehmlassungsverfahren statt. Das vorliegende Abkommen unterliegt gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem Referendum (vgl. Ziff. 9.3).

Gemäss Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG kann jedoch auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden, wenn keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind, insbesondere weil über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist. Gemäss Artikel 3a Absatz 2 VlG muss der Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren sachlich begründet werden.

Die Bestimmungen des neuen Abkommens sind den interessierten Kreisen bekannt, da sie im Wesentlichen auf den Koordinierungsregel beruhen, die in der Schweiz seit vielen Jahren im Rahmen des FZA anwendbar sind. Das neue Abkommen geht nicht über den Umfang der Koordinierung der sozialen Sicherheit hinaus, den die Schweiz bereits in ihren bestehenden Abkommen kennt.

Das Abkommen wurde der Eidgenössischen Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung anlässlich ihrer Sitzung vom 2. November 2021

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unterbreitet. In der Kommission sind die Versicherten, die schweizerischen Wirtschaftsverbände, die Versicherungseinrichtungen, der Bund und die Kantone sowie Vertreterinnen und Vertreter der Behinderten und der Invalidenhilfe vertreten (Art. 73 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 19469 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVG] und Art. 65 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 195910 über die Invalidenversicherung [IVG]). Die Kommission bildet somit die interessierten Kreise umfassend ab. Sie hat das Abkommen positiv aufgenommen und ohne Einwände gutgeheissen. Die Positionen der interessierten Kreise sind somit bekannt und belegt.

Gemäss Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG kann deshalb auf eine Vernehmlassung verzichtet werden.

3

Konsultation parlamentarischer Kommissionen

Da die Parteien beabsichtigten, das Abkommen vorläufig anzuwenden (vgl. Ziff. 9.4), wurden die zuständigen parlamentarischen Kommissionen gemäss Artikel 152 Absatz 3bis Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200211 (ParlG) konsultiert.

Das Abkommen und die Begründung für die vorläufige Anwendung wurden der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates am 18. August 2021 und der entsprechenden Kommission des Ständerates am 31. August 2021 unterbreitet. Die beiden Kommissionen haben die vorläufige Anwendung des Abkommens einstimmig gutgeheissen.

4

Grundzüge des Abkommens

Das vorliegende Abkommen ist wie alle von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen über soziale Sicherheit ein Koordinierungsabkommen, das gewährleisten soll, dass Personen, die sich aus beruflichen Gründen in einem der Vertragsstaaten niederlassen oder dort ihren Wohnsitz begründen, bei den Sozialversicherungen nicht benachteiligt werden. Die Vertragsparteien gewährleisten ihnen den Schutz der sozialen Sicherheit, indem sie sich zur Befolgung bestimmter Grundsätze verpflichten.

Das Abkommen bezweckt eine möglichst umfassende Gleichbehandlung der Personen, auf die es Anwendung findet. Es erleichtert den Zugang zu den Leistungen der Vertragsstaaten, insbesondere durch die Anrechnung der im anderen Staat zurückgelegten Versicherungszeiten für den Erwerb von Leistungsansprüchen. Das Abkommen stellt die Auszahlung der Leistungen ins Ausland sicher und institutionalisiert die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Vertragsstaaten. Ausserdem zielt das Abkommen darauf ab, die Mobilität von Personen zu fördern und Doppelunterstellungen zu vermeiden, indem es die anwendbaren Rechtsvorschriften für Arbeitnehmende festlegt, die eine Verbindung zu beiden Staaten haben.

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SR 831.10 SR 831.20 SR 171.10

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Das vorliegende Abkommen basiert auf dem Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, die Regeln wurden aber an den Kontext Vereinigtes Königreich­Schweiz angepasst. Die Bestimmungen orientieren sich weitgehend an den EUKoordinierungsverordnungen12, die in der Schweiz im Rahmen des FZA angewandt werden. Für gewisse Versicherungszweige sind jedoch Ausnahmen vorgesehen.

Die wichtigste Ausnahme betrifft die Invalidenversicherung. Das Abkommen sieht nämlich keinen Export von Leistungen der Invalidenversicherung vor. Dies bedeutet, dass schweizerische Staatsangehörige keine britischen Invalidenleistungen beziehen können, wenn sie ausserhalb des Vereinigten Königreichs leben, und dass britische Staatsangehörige keine schweizerischen Invalidenrenten erhalten, wenn sie ausserhalb der Schweiz leben. Diese wesentliche Ausnahme wurde vom Vereinigten Königreich wegen der Besonderheiten der britischen Rechtsvorschriften gewünscht und wurde ihm auch von der EU zugestanden. Für die Schweiz bedeutet dies eine Abweichung gegenüber den Standardabkommen, die alle den Export der Leistungen der Invalidenversicherung vorsehen.

Weitere nennenswerte Unterschiede gegenüber den EU-Koordinierungsverordnungen betreffen den Ausschluss der Familienzulagen und der Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV/IV) aus dem Geltungsbereich des Abkommens sowie den Nichtexport von Arbeitslosenentschädigungen. Eine arbeitslose Person, die ihren bisherigen Erwerbsstaat verlässt, um sich im anderen Staat niederzulassen, oder ein arbeitsloser Grenzgänger können ausschliesslich die Leistungen nach der Gesetzgebung des Wohnstaates beanspruchen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, nötigenfalls unter Berücksichtigung der im früheren Erwerbsstaat zurückgelegten Beschäftigungszeiten. Diese Punkte entsprechen indessen den bilateralen Standardabkommen der Schweiz, in denen weder die Familienzulagen noch die Ergänzungsleistungen und die Arbeitslosenentschädigungen koordiniert sind, und sind daher unproblematisch.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Abkommens

Der Hauptteil des Abkommens enthält die wichtigsten Bestimmungen. In Anhang 1 sind die Durchführungsbestimmungen (Verfahren, zu verwendende Dokumente) geregelt. Diese beiden Teile lehnen sich an die beiden EU-Koordinierungs-verordnungen an.

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Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, SR 0.831.109.268.1; Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, SR 0.831.109.268.11.

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Titel I

Allgemeine Bestimmungen

Art. 2­4

Persönlicher Geltungsbereich

Das Abkommen findet Anwendung auf Staatsangehörige der beiden Vertragsstaaten, auf Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten sowie ­ für die abgeleiteten Rechte ­ auf deren Familienangehörige und Hinterlassene, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Flüchtlinge und Staatenlose, die sich im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten aufhalten, sind ebenfalls erfasst. Das Vereinigte Königreich wendet das Abkommen, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Pflegeleistungen, unilateral auch auf Staatsangehörige von Drittstaaten an. Die Schweiz hingegen wendet lediglich die Bestimmungen zur Festlegung der anwendbaren Rechtsvorschriften auf Drittstaatsangehörige an.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Vereinigte Königreich ein ehemaliger EU-Mitgliedsstaat ist und dass weiterhin Verbindungen einerseits zur Schweiz und andererseits zur EU bestehen, ist es wichtig, die Staatsangehörigen der EUMitgliedstaaten ebenfalls zu erfassen. Dies rechtfertigt sich umso mehr, als das Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU schweizerische Staatsangehörige gleichfalls miteinbezieht.

Weil das Vereinigte Königreich seinerseits alle Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit einschliesst, ist es erforderlich, den Anwendungsbereich des Abkommens genau abzugrenzen. Artikel 3 präzisiert daher, dass das Abkommen nur für Personen gilt, die sich rechtmässig im Gebiet der Vertragsstaaten aufhalten. Diese Bedingung berührt nicht die Ansprüche auf Geldleistungen, die sich auf frühere Versicherungszeiten beziehen, die Personen zurückgelegt haben, die sich rechtmässig im Gebiet der Vertragsstaaten aufhielten. Der Begriff «rechtmässiger Aufenthalt» gilt auch für Personen, die sich vorübergehend in einem der Vertragsstaaten aufhalten, sofern der Aufenthalt den migrationsrechtlichen Vorschriften entspricht. Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie Touristinnen und Touristen sind somit durch das Abkommen abgedeckt.

Artikel 4 präzisiert, dass das Abkommen nur auf Personen angewandt wird, die sich in einer grenzüberschreitenden Situation zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich befinden oder befanden. Er definiert die Situationen, die unter das Abkommen fallen, und zielt insbesondere auf Personen ab, die sich zwischen den beiden Staaten bewegt haben. Personen in einer Situation, in der sich alle
Elemente auf ausschliesslich einen Staat beziehen, fallen nicht unter das Abkommen. Es ist jedoch anzumerken, dass eine Person mit britischer Staatsangehörigkeit, die in der Schweiz geboren wurde und sich nie im Vereinigten Königreich aufgehalten hat, ebenfalls abgedeckt sein wird, da ihre Staatsangehörigkeit ein grenzüberschreitendes Element darstellt. Das Abkommen gilt auch für Personen, die sich in der Schweiz aufhalten und für einen Arbeitgeber mit Sitz im Vereinigten Königreich arbeiten, selbst wenn sie sich nie dort aufgehalten haben. Der Arbeitgeber im Vereinigten Königreich bildet das grenzüberschreitende Element.

Art. 5

Räumlicher Geltungsbereich

Ebenso wie das FZA wird das Abkommen auf britischer Seite auch auf Gibraltar angewandt, jedoch nicht auf die britischen Überseegebiete und ebenso wenig auf die 9 / 22

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Kronbesitzungen (Isle of Man und Kanalinseln). Die Kronbesitzungen, die unter das alte Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich von 1968 fallen, verfügen über ein eigenes Sozialversicherungssystem.

Sie lehnten den Einbezug in das neue Abkommen ab und es wurde vereinbart, dass für diese Gebiete weiterhin das alte Abkommen gelten soll (vgl. Art. 77).

Art. 6

Sachlicher Geltungsbereich

Das Abkommen findet Anwendung auf Leistungen bei Krankheit, bei Mutterschaft und bei Vaterschaft, bei Invalidität und Alter, auf Leistungen an Hinterbliebene, Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, auf Sterbegeld sowie auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Diese Bestimmung ist zwar dem EU-Recht nachempfunden, sie weicht aber in mehreren Punkten davon ab. Bei den Ausnahmen handelt es sich um politische Konzessionen, die dem Vereinigten Königreich im Abkommen mit der EU zugestanden worden sind. So sind die Familienleistungen aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen. Dies entspricht insofern der Praxis der Schweiz, als dieser Zweig in den bilateralen Abkommen mit Staaten ausserhalb der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation (European Free Trade Association, EFTA) ebenfalls nicht koordiniert wird. Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, wie für die Schweiz die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, sind ebenfalls vom Anwendungsbereich ausgeschlossen (Eintrag in Teil 1 von Anhang 2). Die Leistungen für die Langzeitpflege, für die Schweiz also die Hilflosenentschädigungen, sind ebenfalls aus dem Geltungsbereich ausgeschlossen (Eintrag in Teil 2 von Anhang 2). Auch Vorruhestandsleistungen (für die Schweiz die Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose) und Leistungen der beruflichen Vorsorge (2. Säule) werden nicht abgedeckt. Diese Art von Leistungen wird im Übrigen in den Sozialversicherungsabkommen mit Staaten ausserhalb der EU/EFTA niemals koordiniert.

Die Leistungen bei Invalidität und Arbeitslosigkeit sind zwar durch das Abkommen abgedeckt, sie unterliegen jedoch nicht der Exportpflicht (vgl. Art. 11).

Art. 7

Verhältnis zu anderen Abkommen

Als Begleitmassnahme zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und zum Schutz der Rechte, die Bürgerinnen und Bürger unter dem FZA insbesondere im Bereich der sozialen Sicherheit erworben hatten, hat die Schweiz mit dem Vereinigten Königreich ein Abkommen über die Bürgerrechte abgeschlossen, das für bestimmte Personenkategorien die Koordinierungsregeln der EU aufrechterhält. Artikel 7 Absatz 1 enthält einen Vorbehalt in Bezug auf dieses Abkommen. Die EU hat mit dem Vereinigten Königreich ein ähnliches Abkommen13 abgeschlossen.

Die Schweiz und die EU koordinieren ihre Sozialversicherungssysteme im Rahmen des FZA. Die Schweiz hat auch mit zahlreichen anderen Staaten Sozialversicherungs-

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Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Grossbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft; ABl. L29 vom 31.1.2020, S. 7.

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abkommen abgeschlossen. Deshalb ist es wichtig, sicherzustellen, dass das vorliegende Abkommen nicht mit den Verpflichtungen aus anderen Abkommen kollidiert (Abs. 2).

Art. 8

Gleichbehandlung

Die Gleichbehandlung ist ein Grundprinzip der internationalen Sozialversicherungskoordinierung. Die durch das Abkommen geschützten Personen haben unter diesem Gesichtspunkt in einem Staat Anspruch auf dieselben Leistungen und unterliegen denselben Pflichten wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Die Schweiz hat dazu Vorbehalte angebracht, die in den bilateralen Standardabkommen mit Staaten ausserhalb der EU und der EFTA zu finden sind. Sie betreffen die freiwillige AHV/IV, die AHV/IV von schweizerischen Staatsangehörigen, die im Ausland im Dienste der Eidgenossenschaft oder gewisser Organisationen tätig sind, sowie den freiwilligen Beitritt zur AHV/IV für internationale Beamtinnen und Beamten mit Schweizer Staatsangehörigkeit.

Diese Bestimmung bestätigt die rechtliche Lage, wie sie seit dem Ende der Anwendung des FZA am 1. Januar 2021 in den Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich besteht. Somit steht die freiwillige AHV/IV den britischen Staatsangehörigen nicht mehr offen. Im Gegensatz dazu können schweizerische Staatsangehörige, die in das Vereinigte Königreich ziehen, seit dem 1. Januar 2021 der freiwilligen Versicherung beitreten, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen. Dies, weil der Beitritt zur freiwilligen Versicherung bei Wohnsitz ausserhalb der EU und EFTA möglich ist. Die Bedingungen für den Beitritt nach Schweizer Recht werden durch einen Eintrag in Anhang 4 bestätigt.

Art. 9

Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen

Nach diesem Grundsatz der internationalen Koordinierung der sozialen Sicherheit müssen bestimmte Sachverhalte, die sich im einen Staat ereignen, vom anderen Staat so berücksichtigt werden, als ob sie in seinem eigenen Gebiet eingetreten wären.

Art. 10

Zusammenrechnung der Zeiten

Die im einen Staat zurückgelegten Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Wohnzeiten werden erforderlichenfalls vom anderen Staat berücksichtigt, insbesondere wenn die Anspruchsberechtigung dort von der Zurücklegung solcher Zeiten abhängig ist. Personen, die Zeiten in der Schweiz zurückgelegt haben, können dieses Prinzip nutzen, um Anspruch auf britische Leistungen zu erhalten.

Eine Zusammenrechnung findet nur statt, wenn die Rechtsvorschriften eines Staates für die Gewährung von Leistungen eine Mindestversicherungszeit von mehr als einem Jahr vorsehen. Auf Schweizer Seite gilt dies nicht für die AHV, die eine Mindestversicherungsdauer von einem Jahr kennt. Hingegen ist die IV betroffen, da in der Schweizer Gesetzgebung eine Mindestversicherungszeit von drei Jahren eingeführt wurde, um Anspruch auf eine Invalidenrente zu erwerben.

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Die zur Eröffnung des Anspruchs angerechneten ausländischen Versicherungszeiten werden jedoch nicht zur Berechnung der Höhe der Leistung berücksichtigt. Diese beruht allein auf den im inländischen System geleisteten Beiträgen. Somit werden Teilrenten gewährt, die dem Verhältnis der effektiven Versicherungszeiten in den einzelnen Systemen entsprechen. Die Kapitel 4 und 5 des Titels III präzisieren die Anwendung dieses Grundsatzes.

Art. 11

Aufhebung der Wohnortklauseln

Zweck dieser Bestimmung ist es, den Export von Geldleistungen an Berechtigte, die im anderen Staat wohnen, sicherzustellen. Für Leistungen bei Invalidität und Arbeitslosigkeit sieht das Abkommen den Export jedoch nicht vor. Nachdem die EU dem Wunsch des Vereinigten Königreichs entsprochen hatte, diese Leistungen nicht zu exportieren, hatte die Schweiz keine andere Wahl, als sich dem anzuschliessen. Der Nichtexport der Arbeitslosenleistungen ist für die Schweiz unproblematisch und entspricht der Situation mit den anderen Staaten ausserhalb der EU und EFTA. Der Nichtexport der Invalidenrenten dagegen stellt eine gänzlich neue Ausnahme dar.

Allerdings ist zu betonen, dass die Renten von Personen, die vor dem 1. Januar 2021 Ansprüche erworben haben und unter das Abkommen über die Bürgerrechte fallen, exportiert werden können. Für Schweizer Staatsangehörige ist der Export der schweizerischen Invalidenrenten ohnehin gemäss Schweizer Recht garantiert; für Bürgerinnen und Bürger von Staaten, mit denen die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, ist der Export aufgrund des jeweiligen Abkommens sichergestellt.

Die Schweiz bringt in den bilateralen Standardabkommen zudem immer Vorbehalte bezüglich bestimmter Leistungen an, die nur in der Schweiz ausgerichtet werden, nämlich bezüglich der ausserordentlichen Renten und der Hilflosenentschädigungen.

Da das Abkommen für Ergänzungsleistungen nicht gilt (Art. 6), werden diese nur an Anspruchsberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz ausbezahlt.

Die Zahlung in Drittstaaten wird in diesem Artikel nicht behandelt, sondern durch die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 8) geregelt: Wenn der eine Staat sie für seine eigenen Staatsangehörigen vorsieht, wendet er die gleiche Regel auf die Staatsangehörigen des anderen Staates an.

Art. 12

Verbot des Zusammentreffens von Leistungen

Dieser Grundsatz verhindert die ungerechtfertigte Kumulation von Leistungen gleicher Art, die sich auf dieselbe Pflichtversicherungszeit beziehen. Arbeitsmigrantinnen und -migranten befinden sich also nicht in einer günstigeren Situation als diejenigen, die im Land bleiben.

Titel II

Bestimmung des anwendbaren Rechts

In Titel II des Abkommens (Art. 13­18) werden die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften bestimmt. Dazu ist ein System von Kollisionsnormen vorgesehen. Ziel ist es, doppelte Unterstellungen oder Versicherungslücken zu vermeiden. Diese Bestimmungen orientieren sich weitgehend an den Unterstellungsregeln der zwischen der 12 / 22

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Schweiz und der Europäischen Union geltenden Bestimmungen zur Koordinierung der sozialen Sicherheit (Verordnung [EG] Nr. 883/2004), sind aber bilateral zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich anwendbar.

Danach unterliegen die Personen, die unter das Abkommen fallen, den Rechtsvorschriften eines einzigen Staates (Art. 13 Abs. 1), und zwar grundsätzlich desjenigen, in dem sie eine Beschäftigung ausüben (Art. 13 Abs. 3 Bst. a). Für bestimmte Personengruppen (Beamtinnen und Beamte, Seeleute, Flugpersonal) gelten spezielle Bestimmungen, die vom Grundsatz der Unterstellung unter das Recht des Erwerbsortes abweichen.

Vorgesehen sind Bestimmungen für Arbeitnehmende und Selbstständigerwerbende, die vorübergehend in den anderen Staat entsandt werden (Art. 14), sowie für Arbeitnehmende, die gleichzeitig in beiden Staaten beschäftigt sind (Art. 15). Eine Ausweichklausel (Art. 17) erlaubt den zuständigen Behörden beider Staaten, im Interesse der versicherten Person und im gegenseitigen Einvernehmen Sondervereinbarungen für spezielle Fälle zu treffen.

Als Folge der Unterstellungsregeln betrifft eine Bestimmung (Art. 18) auch die Pflichten von Arbeitgebenden, die ihren Sitz ausserhalb des zuständigen Staates haben, insbesondere in Bezug auf die Beiträge.

Eine in bilateralen Abkommen vorgesehene Standardbestimmung über die Versicherung von begleitenden Familienangehörigen erlaubt es der nicht erwerbstätigen Ehepartnerin oder dem nicht erwerbstätigen Ehepartner und den Kindern mit der entsandten arbeitnehmenden Person im Herkunftsstaat versichert zu bleiben (Art. 13 Abs. 6).

Anhang 1 des Abkommens enthält Bestimmungen zur Durchführung und zu den Verfahren, die weitgehend jenen der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 in der für die Schweiz verbindlichen Fassung gemäss Anhang II des FZA entsprechen.

Titel III

Besondere Bestimmungen über die verschiedenen Arten von Leistungen

Kapitel 1 und 2 Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft; Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten Im Bereich der Krankenpflegeleistungen übernimmt das Abkommen das Koordinierungssystem des EU-Rechts. Diese Regeln garantieren den Zugang zu und die Kostenübernahme für Pflegeleistungen von Personen, die in einem Staat versichert sind und Pflege benötigen, während sie sich in einem anderen Staat aufhalten. Der Umfang des Zugangs zur Versorgung und die zu befolgenden Verfahren unterscheiden sich je nach Versichertenkategorie (Arbeitnehmende, Grenzgängerinnen und Grenzgänger, Rentnerinnen und Rentner, Familienangehörige) und je nach Art des Aufenthalts (langfristig oder vorübergehend).

Wer im einen Land versichert ist und im anderen Land erkrankt, wird wie eine dort versicherte Person nach den Rechtsvorschriften und den Tarifen dieses Landes behandelt. Die Kosten werden später über die Leistungsaushilfe, die auch im Verhältnis zu

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den EU- und EFTA-Staaten besteht, dem zuständigen Versicherer in Rechnung gestellt. Der zuständige Versicherer vergütet die Kosten entweder in ihrer tatsächlich entstandenen Höhe oder als Pauschalbetrag. Der zuständige Versicherer kann der Person auch die Genehmigung erteilen, sich zwecks Behandlung in den anderen Staat zu begeben. Geldleistungen werden direkt durch den zuständigen Staat gezahlt, soweit das Abkommen die Auslandszahlung vorsieht.

Kapitel 1 Abschnitt 2 enthält Vorschriften zur Bestimmung des Staates, der für die Versicherung der Rentnerinnen und Rentner zuständigen ist. So wird eine Person, die eine Rente aus dem einen Staat bezieht und im anderen Staat wohnt, zusammen mit ihren Familienangehörigen in dem Staat versichert, der die Rente zahlt.

Kapitel 1 Abschnitt 3 enthält eine spezielle, aus dem FZA übernommene Regelung für im Vereinigten Königreich wohnhafte Familienangehörige einer in der Schweiz versicherten Person. Anstatt in der Schweiz versichert zu sein und Kopfprämien zahlen zu müssen, sind sie im Vereinigten Königreich versichert, das über ein universelles Gesundheitssystem für die gesamte Wohnbevölkerung verfügt.

Wie bei der Krankenversicherung sieht das Abkommen auch für Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten die gegenseitige Leistungsaushilfe zwischen den Versicherungsträgern vor (Kapitel 2). Eine im einen Staat versicherte Person, die im anderen Staat wohnt, hat bei einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit im Wohnland Anspruch auf die notwendige Heilbehandlung, ohne dass sie selbst für die Kosten aufkommen muss. Zudem enthalten Kapitel 2 und Anhang 1 des Abkommens Bestimmungen zur Abgrenzung der Leistungspflicht bei Berufskrankheiten in Fällen, in denen eine Person in beiden Staaten einem schädigenden Stoff ausgesetzt war, sowie weitere besondere Regelungen, zum Beispiel für Fälle der Verschlimmerung einer Berufskrankheit oder der Folgen eines Arbeitsunfalls.

Art. 19

Gesundheitsgebühren bei der Einwanderung

Das Vereinigte Königreich hat eine Gebühr eingeführt, die bei der Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung zu entrichten ist, um die Gesundheitskosten zu decken. Artikel 19 behält dem Vereinigten Königreich dieses Recht vor. Das Abkommen (Art. 21 und 22 von Anhang 1) sieht jedoch vor, dass diese Gebühr Personen erstattet wird, die nach dem Abkommen während ihres Aufenthalts im Vereinigten Königreich in der schweizerischen Krankenversicherung pflichtversichert bleiben, da die Gesundheitskosten von ihrer schweizerischen Versicherung übernommen werden.

Kapitel 3­5

Sterbegeld, Leistungen bei Invalidität sowie Altersund Hinterbliebenenrenten

Kapitel 3 enthält Bestimmungen zum Sterbegeld, das nur im Vereinigten Königreich vorgesehen ist.

Leistungen bei Invalidität werden in Kapitel 4 behandelt. Wie bereits erwähnt, werden sie nicht exportiert, aber es gelten die anderen Koordinierungsregeln, z. B. die Berücksichtigung von im anderen Staat zurückgelegten Zeiten, um die nach nationalem Recht erforderliche Mindestversicherungszeit zu erfüllen (Art. 44 und 45). Für die

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Schweiz bedeutet dies, dass britische Versicherungszeiten angerechnet werden müssen, wenn eine unter das Abkommen fallende Person die drei Versicherungsjahre in der Schweiz nicht erreicht (von der Schweiz geforderte Mindestzeit, um Anspruch auf eine Schweizer Rente zu haben).

Kapitel 5 befasst sich mit der Gewährung und Berechnung von Alters- und Hinterlassenenleistungen.

Hat eine Person Versicherungszeiten in beiden Staaten zurückgelegt und sehen die Rechtsvorschriften eines Staates eine Mindestversicherungszeit vor, um einen Rentenanspruch zu erwerben, so gilt der Grundsatz der Berücksichtigung ausländischer Zeiten (Totalisierung). Versicherungszeiten, die im anderen Staat zurückgelegt worden sind, werden berücksichtigt. Die Rentenberechnung erfolgt weiterhin ausschliesslich nach den Grundsätzen des nationalen Rechts. Die Koordinierungsregeln verlangen keine Gewährung von Leistungen für eine Versicherungsdauer von weniger als einem Jahr (Art. 54).

Die Schweiz kann bei der Rentenberechnung darauf verzichten, das Verfahren der Totalisierung und der anteiligen Berechnung (Eintrag in Anhang 3) anzuwenden, und die Berechnungen nach ihren eigenen Rechtsvorschriften durchführen.

Die Anwendung nationaler Doppelleistungsbestimmungen beim Zusammentreffen von Leistungen ist in besonderen Bestimmungen geregelt (Art. 50­52).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht kann eine Person, die in beiden Staaten rentenberechtigt ist, ihren Antrag nur in einem Staat stellen, und dieser leitet ihn an den anderen Staat weiter (Art. 35 von Anhang 1).

Kapitel 6

Leistungen bei Arbeitslosigkeit

Im Bereich der Arbeitslosenversicherung sind ausländische Versicherungs- und Beschäftigungszeiten für die Eröffnung des Leistungsanspruchs ebenfalls zu berücksichtigen. Die Bestimmung der Voraussetzungen für den Erwerb von Ansprüchen bleibt aber Sache der einzelnen Staaten. Im Unterschied zum FZA ist der Export der Arbeitslosenleistungen nicht vorgesehen.

Titel IV

Sonstige Bestimmungen

Dieser Titel legt die Rahmenbedingungen für die Anwendung des Abkommens fest.

Die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Trägern ist in Artikel 58 geregelt. Diese Standardvorschrift betrifft insbesondere die gegenseitige Amtshilfe, die Anerkennung von in einer Amtssprache des anderen Staates ausgestellten Dokumenten, die direkte Kommunikation mit Versicherten, die im anderen Staat wohnen, und die Verpflichtung der Versicherten, die Träger über ihre Situation zu informieren. Die Zusammenarbeit erstreckt sich auf die Verhinderung von Fehlern und Missbräuchen durch einen speziellen Artikel (Art. 59), der insbesondere den Verbindungsstellen erlaubt, Daten über den Tod von Rentenbezügerinnen und -bezügern auszutauschen, um die Zahlung von nicht zustehenden Leistungen zu vermeiden.

Der Schutz der ausgetauschten Daten ist in den Artikeln 60 und 61 geregelt. Artikel 60 enthält die wichtigsten Grundsätze zum Schutz personenbezogener Daten, die bei der 15 / 22

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Anwendung des Abkommens beachtet werden müssen. Artikel 61 präzisiert die Regeln der Vertraulichkeit, die für alle ausgetauschten Informationen gelten.

Die Parteien haben vereinbart, Informationen elektronisch auszutauschen (Art. 62 und 4 von Anhang 1). Es ist vorgesehen, dass beide Staaten weiterhin das aktuelle elektronische System zum Informationsaustausch (Electronic Exchange of Social Security Information) nutzen. Die Einzelheiten werden vom Gemischten Verwaltungsausschuss geregelt.

Das Abkommen enthält verschiedene Bestimmungen über die Verwaltungszusammenarbeit, die die Verwaltungsverfahren bei der Anwendung des Abkommens erleichtern (Art. 63­67) und insbesondere die Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Beiträgen und Leistungen im anderen Staat ermöglichen (Art. 66 und Titel IV, Kapitel II von Anhang 1).

Art. 69 und 70 Einsetzung und Rolle des Gemischten Verwaltungsausschusses; Beilegung von Streitigkeiten Zur Verwaltung des Abkommens setzen die Vertragsparteien einen Gemischten Verwaltungsausschuss (GVA) ein. Dieser formelle und klar definierte Rahmen erleichtert den Austausch und ermöglicht es, die Anwendungsmodalitäten effizient zu behandeln. Die Befugnisse des GVA entsprechen den üblichen Aufgaben der zuständigen Behörden im Rahmen eines Abkommens über soziale Sicherheit und sind in den einschlägigen Artikeln des Abkommens und in Anhang 1 klar umrissen.

Der GVA ist insbesondere zuständig für die Behandlung von Fragen der Auslegung des Abkommens, für den allfälligen Abschluss von Verwaltungsvereinbarungen zur Erleichterung der Anwendung des Abkommens sowie für die Festlegung der erforderlichen Formulare und die Art ihres Austauschs. Der GVA ist ermächtigt, den Umrechnungskurs der verwendeten Währungen festzulegen, die Erstattung der Pflegekosten zu überwachen und Massnahmen zur Erleichterung der Einziehung von Beiträgen und Rückforderungen zu ergreifen. Er stellt ein Forum für den Austausch und die Behandlung von Divergenzen und Schwierigkeiten bei der Anwendung dar; bei anhaltenden Meinungsverschiedenheiten kann ein Schiedsgericht angerufen werden (Art. 70).

Der GVA wird von einer Vertretung jedes Staates gemeinsam geleitet und trifft sich grundsätzlich einmal im Jahr oder auf Verlangen.

Titel V

Übergangs- und Schlussbestimmungen

Art. 72 und 73 Inkrafttreten und vorläufige Anwendung Neben der traditionellen Bestimmung über das Inkrafttreten nach Abschluss der gesetzlichen Ratifizierungsverfahren in beiden Staaten (Art. 72) sieht das Abkommen eine vorläufige Anwendung vor (Art. 73). Diese kann nach der Unterzeichnung des Abkommens zu einem von den Vertragsparteien vereinbarten Zeitpunkt erfolgen. Gestützt auf diesen Artikel wird das Abkommen seit dem 1. November 2021 vorläufig angewandt (vgl. Ziff. 9.4).

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Art. 74 und 75 Kündigung des Abkommens und Regelungen nach Kündigung des Abkommens Das Abkommen kann jederzeit von jedem Staat gekündigt werden (Art. 74). Erworbene Ansprüche bleiben erhalten; die Staaten einigen sich auf Regelungen für andere Situationen (Art. 75).

Art. 76 und 77 Übergangsbestimmungen und Verhältnis zum Abkommen von 1968 Artikel 76 ist eine klassische Bestimmung, die regelt, wie Situationen und Tatsachen vor dem Inkrafttreten des Abkommens zu berücksichtigen sind. Artikel 77 befasst sich speziell mit dem Abkommen über Soziale Sicherheit von 1968. Es tritt in den Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich ausser Kraft und wird durch das vorliegende Abkommen ersetzt, wobei die erworbenen Rechte garantiert werden. Für die Kanalinseln und die Isle of Man gilt das Abkommen von 1968 jedoch weiterhin (siehe Kommentar zu Art. 5).

Anhänge Anhang 1 enthält die Durchführungsbestimmungen (Verfahren, zu verwendende Dokumente) und entspricht der im Rahmen des FZA angewandten Verordnung (EG) Nr. 987/2009.

Anhang 2 enthält die Leistungen, die vom Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen sind.

In Anhang 3 sind die Situationen aufgeführt, in denen auf die anteilige Berechnung verzichtet wird oder diese nicht gilt.

Die besonderen Bestimmungen über die Anwendung der Gesetzgebung beider Staaten sind in Anhang 4 aufgeführt und entsprechen weitgehend den Einträgen in der EUVerordnung Nr. 883/2004. Einige Passagen wurden an den bilateralen Kontext angepasst und in den Abkommenstext integriert, um die Lesbarkeit zu verbessern.

6

Grundzüge des Umsetzungserlasses

Die schweizerische Rechtsordnung beruht auf einem monistischen Konzept: Die Völkerrechtsnormen werden in der innerstaatlichen Rechtsordnung wirksam, ohne dass sie mit einem spezifischen Umsetzungserlass in Landesrecht umgewandelt werden müssen. Als direkt anwendbar gelten Normen, die genügend konkret und bestimmt sind, dass natürliche oder juristische Personen daraus direkt Rechte und Pflichten ableiten und vor Verwaltungs- und Gerichtsbehörden geltend machen oder einklagen können. Die rechtsanwendenden Behörden und die Gerichte können die neuen internationalen Rechtsnormen direkt anwenden.

Im vorliegenden Fall können britische Staatsangehörige die im Abkommen vorgesehenen Rechte direkt geltend machen. Das Abkommen wird in der schweizerischen Gesetzgebung direkt anwendbar und keine Bestimmung des Abkommens erfordert

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einen Umsetzungserlass. Die einzigen erforderlichen Gesetzesanpassungen, wie unten ausgeführt, bezwecken die Anpassung von Gesetzen, um sie mit dem Abkommen in Einklang zu bringen.

6.1

Die beantragte Neuregelung

Im Rahmen das FZA wendet die Schweiz die EU-Koordinierungsverordnungen im Bereich der sozialen Sicherheit in ihren Beziehungen zu den EU-Mitgliedsstaaten direkt an. Diese Verordnungen gelten aufgrund des EFTA-Übereinkommens auch in den Beziehungen mit den EFTA-Staaten14.

Mit diesen Abkommen wurden Personen, die in einem EU- oder EFTA-Staat wohnen, in der Schweiz krankenversicherungspflichtig (z.B. Grenzgängerinnen und Grenzgänger und Rentnerinnen und Rentner). Deshalb wurde das Bundesgesetz vom 18. März 199415 über die Krankenversicherung (KVG) auf den 1. Juni 2002 geändert16. Es wurden Bestimmungen für diese neue Gruppe von Versicherten aufgenommen, z.B. zur Informationspflicht der Kantone (Art. 6a KVG) und zur Prämienverbilligung durch die Kantone (Art. 65a KVG). Das mit dem Koordinationsrecht der EU übernommene Diskriminierungsverbot verlangt zwar, dass die in der EU Versicherten gleichbehandelt werden müssen, wie die in der Schweiz wohnhaften Versicherten. Für bestimmte Tatbestände sind aber Spezialregelungen erforderlich.

In den Bestimmungen des KVG und des Krankenversicherungsaufsichtsgesetzes vom 26. September 201417 (KVAG), die Regelungen für die in der EU Versicherten enthalten, wird jeweils die folgende Formulierung verwendet: «... die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Island oder in Norwegen ...».

Das Vereinigte Königreich ist auf den 31. Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Seither ist es kein Mitgliedstaat der EU mehr. Deshalb fällt das Vereinigte Königreich nicht mehr unter die oben erwähnte Formulierung in den Gesetzesbestimmungen, welche die in der EU Versicherten betreffen.

Im vorliegenden Abkommen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich wurden in der Krankenversicherung vielfach analoge Regelungen wie in den Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 vereinbart. In Bezug auf die Krankenversicherung haben die Personen, die unter dieses Abkommen fallen, wieder die gleichen Rechte und Pflichten wie unter dem FZA. Sämtliche Regelungen im KVG und im KVAG, in denen die Formulierung «... die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Island oder in Norwegen ...» verwendet wird, sind auch auf das Vereinigte Königreich anwendbar. Aus diesem Grund müssen alle diese Bestimmungen so revidiert werden, dass auch das Vereinigte Königreich genannt
wird. Die neue Formulierung lautet demnach wie folgt: «... die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Island, in Norwegen oder im Vereinigten Königreich ...».

14 15 16 17

Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), SR 0.632.31.

SR 832.10 AS 2002 858 SR 832.12

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Da das neue Abkommen bereits seit dem 1. November 2021 vorläufig angewendet wird, sind die KVG- und KVAG-Bestimmungen mit der Formulierung «... die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Island oder in Norwegen ...» schon ab diesem Zeitpunkt analog auf das Vereinigte Königreich anzuwenden, denn die Schweiz muss die vorläufig eingegangenen zwischenstaatlichen Verpflichtungen gegenüber dem Vereinigten Königreich honorieren.

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen (Ziff. 7) werden in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen und treten somit erst nach der Genehmigung durch die Bundesversammlung in Kraft. Da allerdings im Schweizer System völkerrechtliche Bestimmungen automatisch innerstaatliche Geltung erlangen, können betroffene Personen direkt die Rechte gemäss dem neuen Abkommen geltend machen. Während der Zeitspanne zwischen der vorläufigen Anwendung des Abkommens per 1. November 2021 und dem Inkrafttreten der Gesetzesbestimmungen gelten damit direkt die Bestimmungen des Abkommens.

6.2

Umsetzungsfragen

Auch in den Verordnungen der Krankenversicherung sind mehrere Bestimmungen enthalten, welche die in der EU Versicherten betreffen. Diese Bestimmungen müssen ebenfalls vom Bundesrat angepasst werden, damit sie weiterhin für Versicherte aus dem Vereinigten Königreich gelten.

Diese Verordnungsanpassungen fallen in die Zuständigkeit des Bundesrats und werden in der vorliegenden Botschaft nicht behandelt.

7

Erläuterungen zu den Bestimmungen des Umsetzungserlasses

7.1

Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG)

Ersatz von Ausdrücken Absatz 1 In den folgenden Bestimmungen muss die Formulierung «... die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Island oder in Norwegen ...» durch die Formulierung «... die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Island, in Norwegen oder im Vereinigten Königreich ...» ersetzt werden, damit sie auch auf das Vereinigte Königreich anwendbar sind: Artikel 4a Sachüberschrift und Buchstaben a­c, Artikel 6a Sachüberschrift sowie Absätze 1 und 2 (in der deutschen Fassung aus grammatikalischen Gründen: Absätze 1 Buchstaben a und b sowie 2), Artikel 18 Absätze 2bis­2quater, Artikel 41 Absätze 2­2ter, Artikel 49a Absätze 2 Buchstabe b und 3bis, Artikel 61 Absatz 4, Artikel 61a Sachüberschrift, Artikel 64a Absatz 9, Artikel 65a Sachüberschrift und Einleitungssatz, Artikel 66a Titel und Absatz 1.

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Absatz 2 (Betrifft nur den deutschen Text) Da in der deutschen Fassung die Formulierung in Artikel 6a Absatz 1 Buchstabe c leicht von den anderen Bestimmungen abweicht, muss sie separat aufgeführt werden.

Es geht aber auch bei dieser Bestimmung lediglich darum, sie mit dem Vereinigten Königreich zu ergänzen.

7.2

Bundesgesetz betreffend die Aufsicht über die soziale Krankenversicherung (KVAG)

Art. 5 Bst. g Im KVAG muss lediglich in einer Bestimmung das Vereinigte Königreich eingefügt werden.

8

Auswirkungen des Abkommens und des Umsetzungserlasses

8.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Das Abkommen hat keine Auswirkungen auf die Finanzen und den Personalbestand des Bundes und verursacht keine Mehrkosten. Es beruht auf den gleichen Regeln wie das FZA, welches die Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich bis zum 31. Dezember 2020 regelte und das heute aufgrund des Abkommens über die Bürgerrechte noch weitgehend anwendbar ist.

Die Gesetzesrevisionen haben keinerlei Auswirkungen auf den Bund, die Kantone und die Gemeinden. Sie haben auch keine volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Das Vereinigte Königreich ist aus der EU ausgetreten. Da die betroffenen Bestimmungen nach dem Austritt aus der EU genau gleich auch auf das Vereinigte Königreich anwendbar sind, muss das Land lediglich separat aufgeführt werden.

8.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt sowie andere Auswirkungen

Da das Abkommen die bekannten und in den Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich grossteils noch anwendbaren Regeln des FZA übernimmt, hat es keinerlei Auswirkung auf die Volkswirtschaft. Ebenso wenig sind Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Umwelt oder andere Auswirkungen zu erwarten. Deshalb wurde es nicht als erforderlich erachtet, eine vertiefte Folgenabschätzung zu den Regelungen vorzunehmen.

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9

Rechtliche Aspekte

9.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund eines Gesetzes oder völkerrechtlichen Vertrags der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 ParlG und Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199718 [RVOG]). Der Bundesrat ist nicht ermächtigt, das vorliegende Abkommen zu ratifizieren. Es ist nicht von beschränkter Tragweite im Sinne von Artikel 7a Absatz 4 Buchstabe a RVOG, und keine andere Gesetzes- oder Völkerrechtsnorm überträgt dem Bundesrat eine solche Zuständigkeit. Deshalb ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des vorliegenden Abkommens zuständig.

Untersteht der Genehmigungsbeschluss eines völkerrechtlichen Vertrags dem obligatorischen Referendum, so kann die Bundesversammlung gemäss Artikel 141a BV die Verfassungs- oder Gesetzesänderungen, die der Umsetzung des Vertrages dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufnehmen. Im vorliegenden Fall sind die vorgeschlagenen Änderungen inhaltlich an das Abkommen gebunden und sie ergeben sich direkt aus den darin vorgesehenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses ist daher im Genehmigungsbeschluss integriert, statt ihn als separaten Text dem Referendum zu unterstellen.

9.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Abschluss des vorliegenden Abkommens durch die Schweiz läuft weder den Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der EU noch den Zielen ihrer Europapolitik zuwider. Das Abkommen ist insbesondere mit dem FZA und den übrigen zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossenen bilateralen Abkommen vereinbar.

9.3

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen die Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

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SR 172.010

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Der vorliegende völkerrechtliche Vertrag ist unmittelbar verbindlich und regelt die Rechte und Pflichten der Vertragsstaatsangehörigen in den vom sachlichen Geltungsbereich erfassten Sozialversicherungszweigen. Das Abkommen legt unter anderem die anwendbare Gesetzgebung fest. Mit der Unterstellung unter ein nationales Sozialversicherungssystem ist in der Regel die Beitragspflicht verbunden. Zudem regelt das Abkommen Ansprüche wie die Rentenzahlung ins Ausland oder den Zugang zu und die Übernahme von Pflegeleistungen. Solche Bestimmungen müssten innerstaatlich in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden. Das Abkommen enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, sodass der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags dem Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen ist.

9.4

Vorläufige Anwendung

Gemäss Artikel 7b Absatz 1 und 1bis RVOG kann der Bundesrat die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrags, dessen Genehmigung der Bundesversammlung obliegt, beschliessen oder vereinbaren, wenn die Wahrung wichtiger Interessen der Schweiz und eine besondere Dringlichkeit es gebieten und wenn die zuständigen Kommissionen beider Räte sich nicht dagegen aussprechen.

Nach Auffassung des Bundesrates sind die Erfordernisse der Wahrung wichtiger schweizerischer Interessen und der Dringlichkeit erfüllt: Zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich bestehen intensive und vielseitige Beziehungen und das Vereinigte Königreich ist ein wichtiger Partner der Schweiz. Es liegt im offensichtlichen Interesse beider Parteien, möglichst rasch wieder zu einer Koordinierung der Sozialversicherungen zurückzukehren, wie sie bis Ende 2020 unter dem FZA bestand.

Diese Koordinierung reicht deutlich weiter als diejenige unter dem Abkommen über die Soziale Sicherheit von 1968, die seit dem 1. Januar 2021 vorübergehend anwendbar geworden ist. Dank der vorläufigen Anwendung des vorliegenden Abkommens lassen sich die negativen Auswirkungen für versicherte Personen, Unternehmen und Vollzugsstellen zeitlich begrenzen. Die vorläufige Anwendung erleichtert z.B. die kurzfristige Leistungserbringung zwischen den Staaten, weil dadurch (wie auch durch das FZA) verhindert wird, dass sich für Selbstständigerwerbende, die nur einen vorübergehenden Auftrag im anderen Staat ausführen, die geltenden Sozialversicherungsregeln ändern. Die Regeln des vorliegenden Abkommens sind den Trägern bereits bekannt. Eine vorgezogene Anwendung verursacht für die Schweiz keinerlei Probleme, sondern erleichtert im Gegenteil die Verwaltungsarbeit.

Die zuständigen parlamentarischen Kommissionen sind den Argumenten des Bundesrates gefolgt und haben die vorläufige Anwendung des Abkommens einstimmig genehmigt (vgl. Ziff. 3).

Gemäss Artikel 7b Absatz RVOG endet die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrags, wenn der Bundesrat nicht binnen sechs Monaten ab Beginn der vorläufigen Anwendung der Bundesversammlung den Entwurf des entsprechenden Bundesbeschlusses über die Genehmigung unterbreitet. Der Bundesrat unterbreitet dem Parlament die vorliegende Botschaft innerhalb der erforderlichen Frist.

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