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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft sind ani 3. Juni 1889 zur ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

Das Präsidium des Nationalrathes eröffnete die Verhandlungen des Nationalrathes mit folgender Ansprache: ,,Meine Herren !

,,Das eben abgelaufene Geschäftsjahr der gesetzgebenden Rähte kann zu den friedlichen und ruhigen Jahren gezählt werden. Der Frieden, dessen die Schweiz nach außen sich erfreute und der rings um sie herrschte, ermöglichte die Aufrechterhaltung unserer guten internationalen Beziehungen und erleichterte uns die Erneuerung erloschener Verträge, so insbesondere der Handelsverträge, welche unsere Austauschverhältnisse mit Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Italien regeln. Wenn wir bei den diesfälligen Vertragsverhandlungen nicht alle von uns gewünschten Konzessionen erwirkt haben, und wenn anderseits die neu h'xirte Zeitdauer der betreffenden Verträge sehr kurz bemessen scheint, so dürfen wir uns doch freuen, für den Augenblick einen Zollkrieg von höchst unsicherem Ausgange vermieden zu haben, und wir können in aller Ruhe suchen, unsere Stellung für die hoffentlich in zwei oder drei Jahren stattfindenden neuen Unterhandlungen weiter zu befestigen.

,,In den letzten Tagen hat die Schweiz die Ehre gehabt, das auf der Durchreise über ihr Gebiet kurze Zeit bei uns verweilende Oberhaupt eines benachbarten Staates zu bewillkommnen. Wir haben uns durch dieses Zeichen der Aufmerksamkeit freudig berührt und beehrt gefühlt, und es wird uns zu noch größerer Befriedigung gereichen, wenn dieser Monarch sich von der achtungsvollen Sympathie, welche das Schweizervolk für ihn und seine Familie hegt, sowie von dem Wunsche, der uns alle beseelt, mit der Nation, über welche er herrscht, in guten Beziehungen zu leben, überzeugt hat.

,,Im Innern hat sich ein gewisser Stillstand in den Kämpfen der Parteien gezeigt, welcher einer normalen Entwicklung unserer Gesetzgebung zu Statten kam. Es gelangten zur endgültigen Annahme: das Gesetz über den Erfindungsschutz, dasjenige über die Muster und Modelle und das Gesetz über die Fischerei, während an das Gesetz

255 über Schuldbetreibung und Konkurs die letzte Hand gelegt wurde.

Fragen von der höchsten Tragweite, wie die internationale Regelung der Arbeit, soweit sie den Schutz der Schwachen betrifft, die Unfall-, Kranken- und Invalidenversicherung, die Unterstützung des höhern Unterrichts schienen die Aufmerksamkeit Aller vollauf in Anspruch nehmen zu wollen. Aber die Anzeichen mehren sich, daß man in gewissen Kreisen dieses Waffenstillstandes müde ist und sich .auf den Wiederbeginn der alten Kämpfe vorbereitet, indem man auf eine Volksabstimmung über das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz hinarbeitet.

.,,Wie wir wohl hoffen dürfen, wird diese Haltung sich nicht verallgemeinern, vielmehr in unserer Versammlung keine namhafte Fraktion dafür zu finden sein, Penelope-Arbeit zu verrichten, d. h.

die Arbeit langer Tage mit einem Schlage zu nichte zu machen.

Int etwa gerade der Augenblick, wo wir die Stellung unseres Handels und unserer Industrie durch den Abschluß der Handelsverträge mit Deutschland, Oesterreich und Italien zu verbessern suchten, und wo diese Industrie gewaltige Anstrengungen macht, um im großen internationalen Wettstreit in Paris eine ehrenhafte Stelle einzunehmen, dazu geeignet, dasjenige, was man bereits in Händen zu haben glaubte, die unerläßliche und längst ersehnte Grundlage des öffentlichen Kredites : ein einheitliches Gesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, wieder preiszugeben?

,,Sollen wir zu einer Zeit, wo wir von einem Augenblick auf den ändern die Aufmerksamkeit unsern Grenzen zuzuwenden in den Fall kommen könnten, leichthin und ohne genügende Gründe bei uns Parteiungen schaffen, die uns nur schwächen müßten? Oder endlich, wäre es in dem Moment, wo wir die Revision mehrerer Punkte der Bundesverfassung in's Auge zu fassen haben, am Platze, diese unfruchtbaren Parteikämpfe, welche jede gedeihliche Arbeit verunmöglichen, lebhafter als je wieder aufleben zu lassen?

,,Wir glauben es nicht. Vielmehr dürfte das Schweizervolk eines Tages mit Denjenigen ernst in's Gericht gehen, deren unheilvolle Räthe dazu geführt hätten, sein Ansehen nach außen zu schmälern und im Innern die ohnehin nicht allzu rasche Weiterentwicklung unserer Institutionen zu hemmen. Daher wage ich immer noch, zu hoffen, daß das nun beginnende Gesetzgebungsjahr, den Charakter des abgelaufenen beibehaltend,
sich gestalte zu einem Jahr der Beruhigung und gedeihlicher Arbeit, an welcher es bei allseitigem gutem Willen nicht fehlt.

,,Mit dieser Gesinnung erkläre ich die sechste Session des Nationalrathes der vierzehnten Amtsperiode als eröffnet."

256 Im N a t i o n a 1 r a t h ist ein neues Mitglied erschienen, nämlich Herr Franz H e d i g e r , von und in Zug, gewählt am 5. Mai dieses Jahres vom 20. eidgenössischen Wahlkreise für den verstorbenen Herrn Landammann Alois M ü l l e r , von Baar.

Im S t ä n d e r a t h e sind zwei neue Mitglieder erschienen, nämlich : für Tessin :

Herr Agostino S o l d a t i , Großrath, von und in Neggio ; ,, Neuenburg : ,, Arnold R o b e r t , Großrath, von und in Chaux-de-Fonds.

Die Bureaux wurden bestellt wie-folgt: i. N a t i o n a l r a t h.

Präsident :

Herr Heinrich H ä b e r l i n , Regierungsrath, gewesener Vizepräsident ; Vizepräsident: ,, August S u t e r , Großrath, in St. Gallen; Stimmenzähler: Die gleichen wie im vorigen Jahre, nämlich die Herren T h è l i n , M o s e r , F u r r e r und C u e n a t.

2. S t ä n d e r a t h.

Präsident:

Herr Karl Jakob H o ff m a n n, Fürsprecher, gewesener Vizepräsident, von St. Gallen ; Vizepräsident: ,, Gustav M u h e i m , Landammann, von und in Altdorf; Stimmenzähler : Herr J. J. H o h l, aus dem Kanton Appenzell, und ,, Francesco B a i l i , aus dem Kanton Tessin, wie im vorigen Jahre.

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1889

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

08.06.1889

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