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22.056 Botschaft zur Genehmigung des Vertrags zwischen der Schweiz und Kosovo über Rechtshilfe in Strafsachen vom 24. August 2022

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Vertrags vom 5. April 2022 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Kosovo über Rechtshilfe in Strafsachen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. August 2022

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ignazio Cassis Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2022-2709

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Übersicht Der Vertrag zwischen der Schweiz und Kosovo über Rechtshilfe in Strafsachen soll die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit der Republik Kosovo verbessern und einen Beitrag zur wirksamen Bekämpfung der internationalen Kriminalität leisten. Die Schweiz baut damit im Interesse der Stärkung ihrer Sicherheit das weltweite Vertragsnetz im Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen weiter aus.

Ausgangslage Ein einzelner Staat vermag die mit einer wirksamen Verbrechensbekämpfung verbundenen Herausforderungen immer weniger allein zu bewältigen. Dies gilt insbesondere für Straftaten mit grenzüberschreitendem Bezug, die im Zuge der fortschreitenden Globalisierung stetig zunehmen. Für eine erfolgreiche Verbrechensbekämpfung ist die funktionierende Zusammenarbeit mit ausländischen Justizbehörden daher entscheidend. Der vorliegende Rechtshilfevertrag schafft eine staatsvertragliche Grundlage für die Zusammenarbeit mit Kosovo.

Die Schweiz hat in der Vergangenheit bereits mit zahlreichen Staaten entsprechende Verträge abgeschlossen. Durch den Vertrag mit Kosovo kann sie ihr Vertragsnetz im Bereich der Strafrechtshilfe weiter ausbauen und so mit einem weiteren Staat bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität effizienter zusammenarbeiten.

Inhalt der Vorlage Der Rechtshilfevertrag mit Kosovo schafft eine völkerrechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit der Justizbehörden beider Staaten bei der Aufdeckung und Verfolgung strafbarer Handlungen. Der Vertrag übernimmt die wichtigsten Grundsätze des schweizerischen Rechtshilfegesetzes und des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens und wird zusätzlich durch Bestimmungen weiterer rechtshilferelevanter Übereinkommen ergänzt. Er liegt damit auf der Linie der von der Schweiz bisher abgeschlossenen Rechtshilfeverträge.

Die Vertragsparteien verpflichten sich nach Massgabe des Vertrags zu einer möglichst weitgehenden Zusammenarbeit. Dazu führt der Vertrag die möglichen Unterstützungsmassnahmen auf und legt die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit sowie die Modalitäten der praktischen Durchführung fest. Er enthält des Weiteren die Anforderungen an ein Rechtshilfeersuchen sowie eine abschliessende Liste von Gründen, aufgrund derer die Zusammenarbeit abgelehnt werden kann. Um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, schafft er unnötige
Formerfordernisse ab und bezeichnet in beiden Staaten eine zuständige Zentralbehörde. Erstmals wurde eine Bestimmung aufgenommen, welche die Möglichkeit vorsieht, gemeinsame Ermittlungsgruppen zu errichten.

Der Vertrag erfordert keine Änderungen des geltenden Rechts.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Am 27. Februar 2008 anerkannte die Schweiz die Unabhängigkeit Kosovos von Serbien und nahm mit der neuen Republik Kosovo diplomatische sowie konsularische Beziehungen auf. Mit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos vom 17. Februar 2008 und der darauffolgenden Anerkennung durch die Schweiz fielen die bis dahin bestehenden staatsvertraglichen Grundlagen für die Strafrechtszusammenarbeit zwischen der Schweiz und Kosovo weg. Diese stützte sich fortan auf das jeweilige Landesrecht.

Zwar existieren auf Ebene des Europarats Instrumente, welche die Vereinfachung der Strafrechtszusammenarbeit zum Inhalt haben. Für die Schweiz sind dies namentlich das Europäische Übereinkommen vom 20. April 19591 über die Rechtshilfe in Strafsachen (Europäisches Rechtshilfeübereinkommen) und das Zweite Zusatzprotokoll vom 8. November 20012 zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (Zweites Zusatzprotokoll zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen). Bisher haben insgesamt 50 Staaten das Rechtshilfeübereinkommen ratifiziert und auch dem Zweiten Zusatzprotokoll sind 43 Staaten beigetreten (Stand April 2022). Sowohl das Rechtshilfeübereinkommen als auch das Zweite Zusatzprotokoll sind für die Schweiz in Kraft, das Übereinkommen seit 1967 und das Zusatzprotokoll seit 2005. Da die Republik Kosovo aber nach wie vor von verschiedenen Mitgliedstaaten des Europarats nicht als Staat anerkannt wird, kann sie den erwähnten multilateralen Instrumenten jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt nicht beitreten.

Im Februar 2018 schlug Kosovo der Schweiz die Aushandlung eines Rechtshilfevertrags vor. Da ein Beitritt Kosovos zu den multilateralen Instrumenten wie beschrieben nicht möglich und Kosovo für die Schweiz ein wichtiger Partner auf dem Gebiet der Rechtshilfezusammenarbeit ist, erwies sich vorliegend die Aushandlung eines bilateralen Vertrags als notwendig. Der Rechtshilfevertrag, als Ergänzung zum bereits bestehenden Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Kosovo vom 14. Mai 20123 über die Überstellung verurteilter Personen, ermöglicht, dass die Schweiz und Kosovo bei der Verbrechensbekämpfung enger zusammenarbeiten können. Eine effizientere Zusammenarbeit in diesem Bereich liegt im Interesse beider Staaten. In der Vergangenheit gab es einige Rechtshilfefälle mit Kosovo, wobei meist
Vermögensdelikte im Vordergrund standen, doch wird auch bei Tötungsdelikten und zur Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität zusammengearbeitet. Darüber hinaus besteht das Bedürfnis für eine wirksame Zusammenarbeit aber generell für alle strafbaren Handlungen. Der Abschluss eines Rechtshilfevertrags ist zudem auch mit Blick auf die bilateralen Beziehungen zu begrüssen und er bietet die Möglichkeit, Kosovo international stärker einzubinden.

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SR 0.351.1 SR 0.351.12 SR 0.344.475

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1.2

Geprüfte Alternativen

Das Rechtshilfegesetz vom 20. März 19814 (IRSG) ermöglicht der Schweiz zwar bereits heute eine umfassende Zusammenarbeit mit anderen Staaten, auch ohne vertragliche Grundlage. So stützt sich auch die Zusammenarbeit mit Kosovo seit dessen Unabhängigkeit auf das jeweilige Landesrecht. Das innerstaatliche Recht begründet aber keine Verpflichtung zur Zusammenarbeit. Damit die Schweiz auch als ersuchender Staat von einer umfassenden, den anderen Staat verpflichtenden Zusammenarbeit profitieren kann, ist ­ wie vorliegend ­ der Abschluss eines Vertrags notwendig.

1.3

Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Im März 2020 liess die Schweiz Kosovo einen Vertragsentwurf zukommen. Als Vorlage für den schweizerischen Entwurf dienten das Europäische Rechtshilfeübereinkommen sowie dessen Zweites Zusatzprotokoll sowie die von der Schweiz abgeschlossenen bilateralen Rechtshilfeverträge. Da physische Verhandlungen aufgrund der Covid-19 Pandemie lange nicht möglich waren, fanden mehrere virtuelle Sitzungen und schriftliche Konsultationen statt. Auf Einladung der Schweizer Behörden fand schliesslich am 28. und 29. Oktober 2021 eine Verhandlungsrunde in Bern statt.

Die Verhandlungen waren geprägt von einem sehr angenehmen und konstruktiven Gesprächsklima. Von Anfang an trat dabei die grosse Bedeutung, die beide Parteien einem Strafrechtshilfevertrag beimessen, zu Tage. Das kosovarische Rechtshilferecht orientiert sich zudem stark am Europäischen Rechtshilfeübereinkommen sowie an dessen Zweiten Zusatzprotokoll, was die Verhandlungen stark erleichterte.

Der vorliegende Vertrag beruht auf den Grundsätzen des schweizerischen Rechtshilferechts und auf der Linie der von der Schweiz abgeschlossenen Rechtshilfeverträge.

Bereits bestehende Bestimmungen des IRSG konnten in den Vertrag übernommen und so auf eine völkerrechtliche Grundlage gestellt werden, die für beide Vertragsparteien gleichermassen gilt. Der vorliegende Vertrag erlaubt es, mit einem weiteren Staat ausserhalb des Europarats durch die Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens effizienter zusammenzuarbeiten und so die grenzüberschreitende Kriminalität wirksamer zu bekämpfen.

Der Bundesrat genehmigte den Vertrag am 4. März 2022. Am 5. April 2022 wurde er von der kosovarischen Justizministerin Albulena Haxhiu und vom Schweizer Botschafter in der Republik Kosovo in Pristina unterzeichnet.

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SR 351.1

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1.4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 20205 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 20206 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt. Die Legislaturplanung 2019­2023 setzt aber die wirksame Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus als Ziel fest.

Die Vorlage ist von der schweizerischen Politik getragen, das bilaterale Vertragsnetz auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Interesse der effizienteren Verbrechensbekämpfung weltweit gezielt auszubauen.7 Damit reiht sie sich ein in die Strategie des Bundesrates, durch vermehrte Kooperation Sicherheit zu gewährleisten (vgl. Bericht des Bundesrates vom 7. Juni 19998 «Sicherheit durch Kooperation»). Die Vorlage trägt durch die vereinbarte engere Zusammenarbeit zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität dazu bei.

2

Vorverfahren, insbes. Vernehmlassungsverfahren

Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20059 (VlG) muss bei der Vorbereitung von völkerrechtlichen Verträgen, die nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung (BV)10 dem Referendum unterliegen, ein Vernehmlassungsverfahren stattfinden. Dies ist vorliegend der Fall.

Auf ein Vernehmlassungsverfahren kann nach Artikel 3a VlG verzichtet werden, wenn keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind, insbesondere weil über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist (Abs. 1 Bst. b).

Der Vertrag reiht sich in die langjährige bundesrätliche Politik ein, das Vertragsnetz im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen weltweit auszubauen. Sein Inhalt stimmt im Wesentlichen mit jenem von der Schweiz bereits abgeschlossener Rechtshilfeverträge überein. Die neue Bestimmung über gemeinsame Ermittlungsgruppen entspricht inhaltlich derjenigen von Artikel 20 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen und den Artikeln 80d ter­80dduodecies IRSG. Neue Erkenntnisse wären somit von der Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens nicht zu erwarten gewesen, da die Positionen der interessierten Kreise bereits bekannt sind.

Auf eine Vernehmlassung wurde daher gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG verzichtet.

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8 9 10

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385 Vgl. Botschaft vom 23. Januar 2008 zur Legislaturplanung 2007­2011, BBl 2008 753, sowie Botschaft vom 25. Januar 2012 zur Legislaturplanung 2011­2015, BBl 2012 481, die beide die Intensivierung der grenzüberschreitenden Kooperation als Ziel festsetzen.

BBl 1999 7657 SR 172.061 SR 101

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Grundzüge des Vertrags

Der Rechtshilfevertrag regelt die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Kosovo bei der Aufdeckung, Verfolgung und Ahndung strafbarer Handlungen. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, einander in diesem Bereich weitestgehende Rechtshilfe zu leisten.

Der Rechtshilfevertrag orientiert sich am Europäischen Rechtshilfeübereinkommen und an dessen Zweiten Zusatzprotokoll sowie am IRSG, deren wichtigste Grundsätze er übernimmt. Wie die bisher von der Schweiz abgeschlossenen Rechtshilfeverträge listet der Vertrag die Massnahmen auf, die zur Unterstützung eines Strafverfahrens im anderen Staat ergriffen werden können; er nennt die Voraussetzungen für die Leistung von Rechtshilfe, schreibt die Informationen vor, die ein Ersuchen enthalten muss, damit es vom ersuchten Staat behandelt werden kann und regelt die Modalitäten im Zusammenhang mit der Durchführung des Ersuchens. Er statuiert für die Schweiz wichtige Grundsätze wie das Erfordernis der doppelten Strafbarkeit oder das Spezialitätsprinzip, also die Beschränkung der Verwendung von Informationen oder Beweismitteln. Er legt abschliessend die Gründe fest, bei deren Vorliegen die Rechtshilfe abgelehnt oder aufgeschoben werden kann, wie etwa beim Vorliegen von ernsthaften Gründen zur Annahme, dass der strafrechtlich verfolgten Person wichtige Menschenrechtsgarantien nicht gewährleistet werden können, oder dass sie bspw. wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt wird. Im Bereich des Datenschutzes übernimmt der Vertrag die im Vertrag vom 4. Februar 201911 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Indonesien über Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfevertrag mit Indonesien) neu eingefügte Bestimmung über den Datenschutz (Art. 9). Neu im Vergleich zu den bisherigen Rechtshilfeverträgen ist eine Bestimmung zur Verantwortlichkeit juristischer Personen sowie eine Bestimmung über gemeinsame Ermittlungsgruppen.

Der Vertrag erfordert keine gesetzgeberische Umsetzung in der Schweiz. Er beruht auf den Grundsätzen des bestehenden schweizerischen Rechtshilferechts. Seine Bestimmungen sind genügend detailliert formuliert und damit direkt anwendbar.

Der Vertrag wurde in deutscher, englischer und albanischer Sprache abgeschlossen.

Alle Sprachversionen sind gleichermassen verbindlich, wobei bei sich widersprechenden Auslegungen die englische Fassung massgeblich ist.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags

Art. 1

Verpflichtung zur Rechtshilfe in Strafsachen

Der Vertrag begründet zwischen den Vertragsparteien eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Leistung von Rechtshilfe in Strafsachen. Die Zusammenarbeit hat dabei im Einklang mit den vertraglich vorgesehenen Bestimmungen im grösstmöglichen Umfang zu erfolgen. Einem Ersuchen um Rechtshilfe ist im Rahmen des Vertrags 11

SR 0.351.942.7

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Folge zu leisten, soweit keine Ausschluss- oder Ablehnungsgründe nach den Artikeln 3 und 4 vorliegen und auch die sonstigen im Vertrag vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind, wie etwa die doppelte Strafbarkeit im Falle der Durchführung von Unterstützungshandlungen, die Zwangsmassnahmen erfordern (Art. 6).

Art. 2

Umfang der Rechtshilfe

Absatz 1 führt die Rechtshilfemassnahmen auf, die zugunsten des anderen Staates ergriffen werden können. Es handelt sich dabei um gängige Massnahmen, die im schweizerischen Rechtshilferecht bereits bekannt sind. Eine Auffangklausel (Bst. k) sieht vor, dass auch andere als die ausdrücklich erwähnten Massnahmen angeordnet werden können. Voraussetzung dafür ist aber, dass die entsprechende Massnahme mit den Zielen des Vertrags und dem Recht des ersuchten Staates vereinbar ist. Die Bestimmung ermöglicht Flexibilität im Einzelfall und erlaubt, speziellen Bedürfnissen und künftigen Entwicklungen Rechnung zu tragen.

Absatz 2 erweitert den Anwendungsbereich des Vertrags auf Strafverfahren gegen juristische Personen. Die Tatsache, dass nach dem Recht des ersuchten Staates eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen im Rahmen des Verwaltungsoder Strafrechts nicht vorgesehen ist, darf nicht als alleinige Begründung für die Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens geltend gemacht werden. Eine identische Regelung findet sich in Artikel 1 Absatz 4 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen.

Absatz 3 übernimmt die mit dem Rechtshilfevertrag mit Indonesien erstmals in einem bilateralen Rechtshilfevertrag eingefügte Verpflichtung, im Einklang mit dem jeweiligen innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates auch in Fiskalsachen eine möglichst weitgehende Rechtshilfe zu gewähren. Nach der Konzeption früherer Rechtshilfeverträge stellte das Vorliegen von Fiskaldelikten einen fakultativen Ablehnungsgrund dar. Weil für die Schweiz weiterhin das IRSG massgebend ist, kommt Absatz 3 in der Praxis für die Schweiz keine eigenständige Bedeutung zu, da er nicht über das hinausgeht, was aufgrund des IRSG zulässig ist (gemäss geltendem Recht Art. 3 Abs. 3 IRSG).

Absatz 4 statuiert einen dem schweizerischen Rechtshilferecht bekannten Grundsatz, wonach der Vertrag auch auf Ersuchen im Zusammenhang mit Straftaten angewendet werden kann, die vor seinem Inkrafttreten begangen worden sind. Explizit findet er sich bereits in den mit Indonesien12, den USA13 und Australien14 abgeschlossenen Rechtshilfeverträgen. Auf bereits abgeschlossene Rechtshilfeverfahren beziehungsweise im konkreten Fall definitiv abgewiesene Rechtshilfeersuchen findet die Bestimmung aber keine Anwendung.

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SR 0.351.942.7; Art. 2 Abs. 2.

Staatsvertrag vom 25. Mai 1973 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (SR 0.351.933.6); Art. 41 Abs. 2.

Rechtshilfevertrag vom 25. November 1991 in Strafsachen zwischen der Schweiz und Australien (SR 0.351.915.8); Art. 22 Abs. 2.

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Art. 3

Unanwendbarkeit

Der Vertrag mit Kosovo beschränkt sich, wie alle bisher von der Schweiz abgeschlossenen Rechtshilfeverträge, auf die akzessorische Rechtshilfe in Strafsachen. Die anderen Bereiche der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, namentlich die Fahndung nach, die Verhaftung und die Inhaftierung von Personen zum Zweck der Auslieferung, die Vollstreckung von Strafurteilen sowie die Überstellung verurteilter Personen zur Verbüssung ihrer Strafe sind von seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen.

Die in Artikel 15 vorgesehene Herausgabe von Vermögenswerten, die in der Regel gestützt auf ein Urteil des ersuchenden Staates erfolgt, stellt keinen vertraglich ausgeschlossenen Anwendungsfall von Buchstabe b dar.

Art. 4

Gründe für die Ablehnung oder den Aufschub der Rechtshilfe

Absatz 1 enthält eine abschliessende Aufzählung von Gründen, bei deren Vorliegen die Rechtshilfe abgelehnt werden kann. Es handelt sich dabei um die für die Schweiz üblichen Ablehnungsgründe, wie sie bereits in den früheren Rechtshilfeverträgen aufgeführt sind. Sie betreffen politische und militärische Straftaten (Bst. a und b), Fälle, in denen die Ausführung des Ersuchens die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere Landesinteressen beeinträchtigen würde (Bst. c), gerichtlich bereits rechtskräftig beurteilte Handlungen (Bst. d) sowie verschiedene menschenrechtsrelevante Konstellationen (Bst. e und f). Der auf Verlangen Kosovos zusätzlich aufgenommenen Ablehnungsgrund in Buchstabe g sieht vor, dass ein Ersuchen abgelehnt werden kann, wenn die zugrundeliegende strafbare Handlung im ersuchenden Staat mit einer Strafe belegt ist, die nach dem Recht des ersuchten Staates verboten ist. Aus schweizerischer Sicht handelt es sich dabei um eine Konkretisierung des bereits in Artikel 2 Buchstaben a und d IRSG enthaltenen Verbots unmenschlicher bzw.

mit dem Schweizer Recht nicht vereinbarer Bestrafung. Der Inhalt dieser Regelung ist bereits durch Buchstabe c abgedeckt. Ebenfalls auf Ersuchen Kosovos wurden Fälle, in denen das Ersuchen dem innerstaatlichen Recht der ersuchten Vertragspartei widerspricht oder nicht in Einklang mit den Bestimmungen dieses Abkommens steht (Bst. h), als expliziter Ablehnungsgrund in den Vertrag aufgenommen, wobei der Inhalt dieser Regelung ebenfalls bereits durch Buchstabe c abgedeckt ist.

Liegt in einem konkreten Fall ein Ablehnungsgrund nach Absatz 1 vor, so ist das innerstaatliche Recht des ersuchten Staates massgeblich für den Entscheid, ob die Rechtshilfe zu verweigern ist. Für die Schweiz gelangen in diesem Zusammenhang vor allem die Artikel 1a, 2, 3 und 5 IRSG zu Anwendung. Bei Vorliegen eines dieser Gründe muss die Rechtshilfe abgelehnt werden. Der Begriff der «öffentlichen Ordnung» (vgl. Bst. c) schliesst nach schweizerischer Rechtsauffassung auch die Beachtung der Grundrechte ein. Dazu gehören insbesondere das Recht auf Leben, das Verbot der Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie die grundlegenden Verfahrensgarantien, wie sie sich auf europäischer Ebene in der Konvention des Europarats vom 4. November 195015 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und auf universeller 15

SR 0.101

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Ebene namentlich im Internationalen Pakt vom 16. Dezember 196616 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) finden. Die explizite Nennung der menschenrechtsrelevanten Verweigerungsgründe nach den Buchstaben e und f erhöht die Rechtssicherheit und verstärkt zusätzlich die Bedeutung, die der Beachtung der Menschenrechte zugemessen wird.

Bei der Anwendung des vorliegenden Vertrags sind die Vertragsparteien demnach an die in den genannten Menschenrechtsinstrumenten statuierten Verpflichtungen gebunden. Während sich für die Schweiz entsprechende Verpflichtungen daraus ergeben, dass sie Vertragspartei der genannten Instrumente ist, leiten sie sich für Kosovo aus Artikel 22 seiner Verfassung17 ab. Die Verfassung garantiert die in diesen Instrumenten verbrieften Menschen- und Grundrechte und erklärt sie als direkt anwendbar.

Absatz 2 räumt den Vertragsparteien die Möglichkeit ein, die Rechtshilfe zugunsten eines eigenen Strafverfahrens aufzuschieben. Werden z. B. im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens Beweismittel verlangt, die der ersuchte Staat in einem eigenen Strafverfahren benötigt, so kann mit deren Herausgabe zugewartet werden, bis das Verfahren im ersuchten Staat abgeschlossen ist.

Absatz 3 regelt das Verfahren, das zu befolgen ist, bevor die Rechtshilfe abgelehnt oder aufgeschoben wird: In diesem Fall ist der ersuchende Staat über die Gründe, aus denen eine Ablehnung oder ein Aufschub in Erwägung gezogen wird, in Kenntnis zu setzen (Abs. 3 Bst. a). Gleichzeitig hat der ersuchte Staat zu prüfen, ob er teilweise oder unter bestimmten Bedingungen trotzdem Rechtshilfe leisten kann. Eigentlich selbstredend ist der Zusatz, wonach die gestellten Bedingungen in der Folge im ersuchenden Staat eingehalten werden müssen (Abs. 3 Bst. b).

Art. 5

Anwendbares Recht

Grundsätzlich ist für die Durchführung von Rechtshilfeersuchen das Recht des ersuchten Staates massgebend (Abs. 1). In der Schweiz sind dies das IRSG sowie ergänzend dazu namentlich die Strafprozessordnung (StPO)18.

Eine Abweichung von diesem Grundsatz ermöglicht Absatz 2. Auf ausdrücklichen Wunsch des ersuchenden Staates kann ein Verfahren nach dessen Bestimmungen durchgeführt werden, wenn das Recht des ersuchten Staates dem nicht entgegensteht.

Damit soll vermieden werden, dass die Verwendung rechtshilfeweise erhaltener Informationen als Beweismittel im ersuchenden Staat scheitert oder unverhältnismässig erschwert wird, weil sie im Ausland nicht nach dem Verfahren erhoben worden sind, wie es das Recht des ersuchenden Staates vorsieht. Ähnliche Regelungen finden sich in Artikel 65 IRSG und Artikel 8 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen.

16 17 18

SR 0.103.2 Verfassung der Republik Kosovo 2008, abrufbar unter: https://mapl.rks-gov.net/en/ > Legislation and Policies > Constitution of the Republic of Kosovo.

SR 312.0

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Art. 6

Doppelte Strafbarkeit und Zwangsmassnahmen

Jede Vertragspartei kann ein Rechtshilfeersuchen ablehnen, wenn für die Ausführung Zwangsmassnahmen erforderlich sind und die Tat, die dem Rechtshilfeersuchen zu Grunde liegt, nicht in beiden Vertragsstaaten strafbar ist (Abs. 1). Ist die Schweiz ersuchter Staat, so darf sie in einem Rechtshilfeverfahren Zwangsmassnahmen nur dann anordnen, wenn der im Ersuchen aufgeführte Sachverhalt alle objektiven Merkmale eines schweizerischen Straftatbestands erkennen lässt. Dieses Erfordernis der sogenannten doppelten Strafbarkeit für die Anordnung von Zwangsmassnahmen ist ein wesentliches Element des schweizerischen Rechtshilferechts. Es ist in Artikel 64 IRSG und in der Erklärung der Schweiz zu Artikel 5 Absatz 1 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens verankert. Artikel 64 Absatz 2 IRSG führt zwei Ausnahmen auf, bei deren Vorliegen auch ohne beidseitige Strafbarkeit Zwangsmassnahmen angeordnet werden können. Dies betrifft Massnahmen zur Entlastung der verfolgten Person sowie zur Verfolgung von Taten, bei denen es sich um sexuelle Handlungen mit Unmündigen handelt.

Absatz 2 präzisiert das Erfordernis der doppelten Strafbarkeit. Entscheidend ist dabei, dass die objektiven Tatbestandsmerkmale einer in beiden Staaten strafbaren Handlung vorliegen. Nicht entscheidend ist hingegen die Übereinstimmung der Bezeichnung der betreffenden Tat oder die Zuordnung zu einer gleichen Kategorie von Straftaten.

Die Zwangsmassnahmen sind in Absatz 3 aufgeführt. Die Liste entspricht der schweizerischen Rechtsauffassung von Zwangsmassnahmen. Eine analoge Aufzählung findet sich bereits in früheren Rechtshilfeverträgen.19 Art. 7

Vorläufige Massnahmen

Diese in der Praxis wichtige Bestimmung ermöglicht auf Verlangen des ersuchenden Staates die Anordnung vorläufiger Massnahmen zur Sicherung von Beweisen, zur Aufrechterhaltung eines bestehenden Zustands oder zum Schutz bedrohter rechtlicher Interessen (Abs. 1). Sie ist Artikel 18 Absatz 1 IRSG nachempfunden und findet sich als Grundsatz auch in Artikel 24 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen. Die zuständige Behörde des ersuchten Staates ordnet die entsprechenden Massnahmen wie etwa eine Kontensperre an, soweit keine offensichtlichen Gründe vorliegen, die im konkreten Fall gegen die Leistung von Rechtshilfe sprechen. Der ersuchte Staat kann die vorläufige Massnahme sodann teilweise anordnen oder an Bedingungen knüpfen.

Ist Gefahr im Verzug so können vorläufige Massnahmen bereits vor Einreichung eines formellen Rechtshilfeersuchens angeordnet werden (Abs. 2). Es genügt, wenn das Ersuchen angekündigt wird. Die Informationen des ersuchenden Staates müssen aber so beschaffen sein, dass der ersuchte Staat überprüfen kann, ob alle Voraussetzungen vorliegen, um die verlangte Massnahme anzuordnen. Der ersuchte Staat hat die Massnahme unter Wahrung der Verhältnismässigkeit zeitlich zu befristen, bis das formelle Rechtshilfeersuchen vorliegt. Zu diesem Zweck setzt er dem anderen Staat eine den

19

Vgl. etwa die Rechtshilfeverträge mit Indonesien (SR 0.351.942.7; Art. 6 Abs. 3) oder Kolumbien (SR 0.351.926.3; Art. 7 Abs. 2).

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Verhältnissen angepasste Frist für die Einreichung des Ersuchens. Nach unbenutztem Ablauf der Frist muss die Massnahme aufgehoben werden.

Art. 8

Beschränkte Verwendung von Auskünften, Schriftstücken und Gegenständen

Das für die Schweiz in der Rechtshilfe bedeutende Spezialitätsprinzip beschränkt die Verwendung der rechtshilfeweise übermittelten Informationen und Unterlagen durch den ersuchenden Staat. Will dieser die erhaltenen Informationen und Unterlagen für einen anderen Zweck als im Ersuchen aufgeführt verwenden, muss er die Zustimmung der Zentralbehörde des ersuchten Staates einholen (Abs. 1). Absatz 2 definiert Ausnahmen, bei deren Vorliegen keine vorgängige Zustimmung der Zentralbehörde notwendig ist (Bst. a­c).

Art. 9

Vertraulichkeit

Erstmals in einen bilateralen Rechtshilfevertrag aufgenommen wurde eine Bestimmung zur Vertraulichkeit. In bestimmten Fällen kann eine vorzeitige Bekanntgabe der strafrechtlichen Ermittlung diese gefährden. Unter solchen Umständen ist es unabdingbar, die Vertraulichkeit des Rechtshilfeersuchens zu bewahren und die Einsicht in Schriftstücke sowie die Mitwirkung am Verfahren zu beschränken. Die Vertraulichkeit und die Mitwirkungsbeschränkung bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht der jeweiligen Vertragspartei. Für die Schweiz sieht Artikel 80 Absatz 2 IRSG die Beschränkung des Teilnahme- und des Akteneinsichtsrechts in bestimmten Fällen vor.

Art. 10

Personenbezogene Daten

Artikel 10 übernimmt die mit dem Rechtshilfevertrag mit Indonesien20 erstmals in einem bilateralen Rechtshilfevertrag eingefügte Bestimmung zum Schutz personenbezogener Daten, die aufgrund des Vertrags übermittelt werden. Die Aufnahme der Bestimmung war Folge der EU-Datenschutzgesetzgebung im Bereich der polizeilichen und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (vgl. Richtlinie [EU] 2016/68021). Die Schweiz hat sich auf der Grundlage des Schengen-Assoziierungsabkommens mit der EU verpflichtet, Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands zu akzeptieren, umzusetzen und anzuwenden. Die Richtlinie (EU) 2016/680 entspricht einer solchen Weiterentwicklung. Sie verpflichtet die Schengen-Staaten bzw. die betroffenen Behörden dazu, personenbezogene Daten zu schützen, die zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung bearbeitet werden. Sie verankert auch Grundsätze, welche die

20 21

SR 0.351.942.7; Art. 9.

Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2000/383/JI des Rates, ABl. L 119 vom 4. Mai 2016, S. 89.

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Schengen-Staaten mit Blick auf die Bearbeitung, Übermittlung und Verwendung personenbezogener Daten im Rahmen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen zu berücksichtigen haben: So sind bei der Übermittlung personenbezogener Daten an Drittstaaten oder internationale Organisationen insbesondere die Grundsätze in Artikel 35 und 37 zu berücksichtigen. Artikel 11f IRSG setzt diese Vorgaben um. Er sieht etwa vor, dass ein angemessener Schutz der personenbezogenen Daten unter anderem durch einen internationalen Vertrag gewährleistet werden kann (Art. 11f Abs. 2 Bst. b IRSG). Entsprechend statuiert Artikel 10 allgemeine, auch für den Bereich der Strafrechtshilfe relevante Grundsätze und verpflichtet die Vertragsparteien zum Schutz der im Rahmen der Rechtshilfe bearbeiteten Daten sowie zur Gewährung der Rechte, die den von der Datenübermittlung betroffenen Personen im Zusammenhang mit ihren Daten zustehen. Die Bestimmungen gelten in der Schweiz bereits heute.22 In der vorliegenden vertraglichen Form dient die Bestimmung namentlich dazu, dass auch Kosovo den entsprechenden Grundsätzen nachkommt.

Im Einzelnen verdienen folgende Punkte besondere Erwähnung: Das in Absatz 1 statuierte Prinzip der Zweckgebundenheit stellt die datenschutzrechtliche Seite der in Artikel 8 festgelegten Verwendungsbeschränkung aus rechtshilfeimmanenten Gründen dar. Der ersuchte Staat kann die Verwendung der übermittelten Unterlagen an gewisse Bedingungen knüpfen. Diese müssen vom ersuchenden Staat eingehalten werden. Will der Empfängerstaat die Daten auch für andere Zwecke verwenden, muss er vorgängig die Genehmigung des übermittelnden Staates einholen. In den in Artikel 8 Absatz 2 Buchstaben a­c vorgesehenen Fällen ist dies nicht erforderlich. Dies ist eine notwendige Folge der entsprechenden Ausnahmen vom Spezialitätsprinzip: Im gleichen Rahmen, wie ein Staat die rechtshilfeweise übermittelten Informationen und Unterlagen ohne vorgängige Zustimmung des übermittelnden Staates für einen anderen Zweck als im Ersuchen aufgeführt verwenden darf, muss auch die datenschutzrechtliche Genehmigungspflicht entfallen. Aus diesem Grund ist die gleiche enge Auslegung der Ausnahmereglung anzuwenden.

Nach Absatz 2 Buchstabe a werden auf dem Weg der Rechtshilfe nur Daten übermittelt, die einen Bezug zum Ersuchen haben. Auch andere in Absatz
2 aufgestellte datenschutzrechtliche Grundsätze wie die Berichtigung falscher Daten oder die Nachvollziehbarkeit der Datenübermittlung, die etwa durch eine entsprechende Dokumentierung im relevanten Geschäftsverwaltungssystem gewährleistet werden kann (Bst. d), entsprechen geltendem schweizerischem Recht. Dies gilt auch für die Verpflichtung, die Daten vor Verlust, Vernichtung, Veränderung, unbefugtem Zugriff oder unbefugter Nutzung zu schützen (Abs. 3), was namentlich durch technische Voreinstellungen sichergestellt wird.

Nach Absatz 4 müssen die Vertragsparteien die Rechte der von der Datenübermittlung betroffenen Personen hinsichtlich Auskunft, Löschung oder Berichtigung von Daten

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Vgl. u.a. die relevanten Bestimmungen des Schengen-Datenschutzgesetzes vom 28. September 2018 (SR 235.3) in Verbindung mit dem Ersten Teil, Kapitel 1b, IRSG; ferner die bereits früher bestehenden Art. 11a IRSG betreffend das elektronische Personen-, Akten- und Geschäftsverwaltungssystem des Bundesamtes für Justiz in Verbindung mit der gleichnamigen Verordnung vom 23. September 2016 (SR 351.12), Art. 80b IRSG (Teilnahme am Verfahren und Akteneinsicht) und Art. 80e ff. IRSG (Rechtsmittel).

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oder Einschränkung der Verarbeitung gewährleisten. Diese Rechte können unter gebührender Berücksichtigung der Grundrechte des Einzelnen eingeschränkt werden oder ihre Geltendmachung kann aufgeschoben werden, wenn dies aus berechtigten Interessen, namentlich zum Schutz der öffentlichen und nationalen Sicherheit, im Interesse der Verhinderung und Verfolgung von Straftaten oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen notwendig ist (Abs. 5). Die Artikel 15 und 16 der Richtlinie (EU) 2016/680 sehen identische Gründe für die Einschränkung der Rechte der von der Datenübermittlung betroffenen Person vor. In der Schweiz sind die Artikel 11b, 11d und 80b IRSG massgebend, ergänzt durch die einschlägigen Bestimmungen betreffend das Rechtsmittelverfahren nach den Artikeln 80e­80l IRSG.

Art. 11

Anwesenheit von Personen, die am Verfahren teilnehmen

Die Bestimmung erlaubt Personen, die am ausländischen Verfahren beteiligt sind (z. B. Untersuchungsrichterinnen, Staatsanwälten, Strafverteidigern), beim Vollzug des Rechtshilfeersuchens im ersuchten Staat anwesend zu sein, sofern der ersuchte Staat dem zustimmt. Eine analoge Bestimmung findet sich in Artikel 4 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens.

Ist die Schweiz ersuchter Staat, ist für die Umsetzung der Bestimmung Artikel 65a IRSG massgebend. Die Verfahrensleitung obliegt jederzeit der zuständigen schweizerischen Rechtshilfebehörde.

Art. 12

Zeugenaussagen in der ersuchten Vertragspartei

Die Bestimmung umschreibt das Verfahren, wenn eine Person im ersuchten Staat als Zeugin oder Zeuge einvernommen werden muss. Die Einvernahme erfolgt nach dem Recht des ersuchten Staates. Mit Bezug auf das Zeugnisverweigerungsrecht kann sich die betroffene Person aber ebenfalls auf das Recht des ersuchenden Staates berufen (Abs. 1). Macht sie ein entsprechendes Zeugnisverweigerungsrecht geltend, müssen die Behörden des ersuchenden Staates dem ersuchten Staat mitteilen, ob die Aussageverweigerung gemäss dem Recht des ersuchenden Staates zulässig ist (Abs. 2). Die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht darf in keinem Fall rechtliche Sanktionen nach sich ziehen (Abs. 3).

Art. 13­15

Erscheinen von Zeuginnen, Zeugen und Sachverständigen in der ersuchenden Vertragspartei

Diese Bestimmungen decken sich weitestgehend mit der Regelung im Europäischen Rechtshilfeübereinkommen (Art. 8­10 und Art. 12). Im Unterschied zu früheren von der Schweiz abgeschlossenen Rechtshilfeverträgen wurde mit dem Kosovo ­ gleich wie im Europäischen Rechtshilfeübereinkommen ­ für vorgeladene Zeuginnen, Zeugen und Sachverständige betreffend vor der Abreise aus dem ersuchten Staat begangene Straftaten oder Verurteilungen eine 15-tägige Schutzfrist vor Verfolgung und

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Freiheitsbeschränkung vereinbart;23 für vorgeladene Angeschuldigte besteht eine entsprechende Schutzfrist mit Bezug auf nicht in der Vorladung aufgeführte Handlungen oder Verurteilungen (Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Abs. 4).

Art. 16

Umfang der Zeugenaussage in der ersuchenden Vertragspartei

Artikel 16 verdeutlicht, dass eine als Zeugin oder Zeuge im ersuchenden Staat vorgeladene Person zu einer Zeugenaussage oder auch zur Herausgabe von Beweismitteln verpflichtet werden kann, sofern sie weder nach dem Recht des ersuchenden noch dem Recht des ersuchten Staates ein Zeugnisverweigerungsrecht hat (Abs. 1).

Macht sie ein entsprechendes Zeugnisverweigerungsrecht gestützt auf das Recht des ersuchten Staates geltend, müssen dessen Behörden dem ersuchenden Staat mitteilen, ob die Aussageverweigerung gemäss dem Recht des ersuchten Staates zulässig ist.

Die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht darf in keinem Fall rechtliche Sanktionen nach sich ziehen (Abs. 2).

Art. 17

Vorübergehende Überführung inhaftierter Personen

Die Bestimmung ist Artikel 11 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens nachgebildet. Sie wird ergänzt durch Absatz 4, wonach die aus der Überführung in den ersuchenden Staat resultierende Haft an die Dauer der Freiheitsstrafe, welche die betroffene Person im ersuchten Staat zu verbüssen hat, angerechnet werden muss. Diese Bestimmung findet sich bereits in früheren Rechtshilfeverträgen.

Art. 18

Einvernahme per Videokonferenz

Die Bestimmung übernimmt die Grundsätze von Artikel 9 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen. Wie bereits in früheren Rechtshilfeverträgen regelt sie die Voraussetzungen und Modalitäten, unter denen eine Person im ersuchten Staat über eine direkte Videoverbindung als Zeugin, Zeuge oder sachverständige Person einvernommen werden kann, sich also nicht in den ersuchenden Staat begeben muss. Zum Tragen kommt die Bestimmung dann, wenn ein persönliches Erscheinen im ersuchenden Staat nicht zweckmässig oder nicht möglich ist (Abs. 1). Alter und Gesundheitszustand der betroffenen Person können dabei ebenso für eine Einvernahme per Videokonferenz sprechen wie Überlegungen des Zeugenschutzes oder Flucht- oder Kollusionsgefahr. Weitere denkbare Anwendungsfälle sind etwa Situationen, in denen sich die betroffene Person ins Ausland abgesetzt hat, weil sie im ersuchenden Staat eine Strafverfolgung riskiert, oder Fälle, in denen ihre Anwesenheit im ersuchten Staat für ein anderes Verfahren notwendig ist oder in denen ein Auslieferungsverfahren zugunsten eines Drittstaates läuft. Gerade auch während der Covid-19 Pandemie hat sich die Einvernahme per Videokonferenz als wichtiges Instrument in der Rechtshilfezusammenarbeit erwiesen.

23

Vgl. etwa die Rechtshilfeverträge mit Indonesien (SR 0.351.942.7; Art. 21 Abs. 4), Kolumbien (SR 0.351.926.3; Art. 20 Abs. 4) und Argentinien (SR 0.351.915.4; Art. 18 Abs. 3), in denen die Schutzfrist 30 Tage beträgt.

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Sind die Voraussetzungen für die Durchführung einer Videokonferenz gegeben, ist sie vom ersuchten Staat zu bewilligen, wenn deren Einsatz seinen Grundprinzipien nicht zuwiderläuft (Abs. 2). Für die Schweiz bedeutet dies insbesondere, dass der Einsatz der Videokonferenz nicht zu einer Verletzung des Rechts auf einen fairen Prozess führen darf. Die Einvernahme per Videokonferenz darf indessen nicht einzig mit der Begründung abgelehnt werden, das Recht des ersuchten Staates sehe dies nicht vor, oder gewisse Detailvoraussetzungen für die Einvernahme seien nach seinem innerstaatlichen Recht nicht gegeben. Eine fehlende technische Vorrichtung ist kein genügender Ablehnungsgrund, vorausgesetzt der ersuchende Staat kann die erforderliche technische Ausrüstung zur Verfügung stellen. Die innerstaatliche Grundlage für die Durchführung von Videokonferenzen findet sich in Artikel 144 Absatz 1 StPO.

Zu den wichtigsten Verfahrensregeln gehört, dass bei der Einvernahme, die von einem Vertreter des ersuchenden Staates durchgeführt wird, die Einhaltung der Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staates gewährleistet sein muss (Abs. 4 Bst. a). Ist die Schweiz ersuchter Staat, so hat die anwesende schweizerische Justizbehörde insbesondere dann einzuschreiten, wenn die ersuchende ausländische Justizbehörde während der Einvernahme zu unredlichen oder unkorrekten Mitteln zur Beeinflussung der Einvernahme greift. Wie bei einer klassischen Einvernahme kann der einzuvernehmenden Person im Bedarfsfall eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt werden (Bst. d). Es sind auch Massnahmen zu ihrem Schutz möglich (Bst. b). Für das Zeugnisverweigerungsrecht gelten dieselben Regeln wie bei einer herkömmlichen Einvernahme (Bst. e). Das nach Absatz 5 vorgeschriebene Protokoll beschränkt sich auf die Umstände der Einvernahme (Ort, Datum, beteiligte Personen etc.). Der Wortlaut der Aussage muss nicht wiedergegeben werden.

Auch einer Straftat verdächtige oder beschuldigte Personen können grundsätzlich per Videokonferenz einvernommen werden, jedoch nur mit ihrer Einwilligung. Dem ersuchten Staat steht es frei, ob er einem solchen Ersuchen entsprechen will (Abs. 7).

Art. 19­21

Gerichts-, Strafverfolgungs- oder Untersuchungsakten; Strafregister und Austausch von Strafnachrichten; Übermittlung von Gegenständen, Schriftstücken, Akten oder Beweismitteln

Artikel 21 befasst sich mit einem Hauptelement der Rechtshilfe, der Übermittlung von Gegenständen, Schriftstücken, Akten oder Beweismitteln, die der ersuchende Staat für sein Strafverfahren verlangt hat. Die Modalitäten der Herausgabe entsprechen sinngemäss der Regelung von Artikel 74 IRSG. Artikel 19 präzisiert, dass auf Ersuchen hin auch Gerichts- und Untersuchungsakten herauszugeben sind, wenn sie für ein Gerichtsverfahren von Bedeutung sind. Diese müssen grundsätzlich ein abgeschlossenes Verfahren betreffen. Über die Herausgabe von Akten aus einem laufenden Verfahren entscheidet die zuständige Behörde des ersuchten Staates. Artikel 20 sieht nach Massgabe des jeweiligen nationalen Rechts auch die Herausgabe von Strafregisterauszügen vor. Grundlage dafür ist zurzeit in der Schweiz die VOSTRAVerordnung vom 29. September 200624. Angesichts des derzeitigen umfassenden Umbaus des Strafregisters ermöglicht der Verweis auf das nationale Recht die erforderliche Flexibilität für die Zukunft. Aktuell gilt für die Herausgabe der Standard von 24

SR 331

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Artikel 13 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens, wie er bereits in früheren Rechtshilfeverträgen verankert ist.

Art. 22

Herausgabe von Gegenständen und Vermögenswerten

Artikel 22 stellt einen weiteren wichtigen Pfeiler der Rechtshilfe dar, der die Übermittlung der Beweismittel nach den Artikeln 19­21 ergänzt und von grosser praktischer Bedeutung ist. Die Regelung steht im Einklang mit Artikel 74a IRSG.

Absatz 1 schafft die Grundlage dafür, dass beschlagnahmte Gegenstände oder Vermögenswerte, die aus einer strafbaren Handlung stammen, dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einziehung oder die Herausgabe an die berechtigte Person herausgegeben werden können. Die Bestimmung erfasst sowohl Tatwerkzeuge als auch den Ertrag einer Straftat, wozu auch allfällige Ersatzwerte gehören. Bevor die Herausgabe erfolgen kann, müssen allfällige Ansprüche gutgläubiger Drittpersonen befriedigt worden sein. In der Praxis wird es sich meist um Ersuchen um Rückgabe von Geldern handeln, die auf Ersuchen rechtshilfeweise beschlagnahmt worden sind.

Nach Absatz 2 ist für die Herausgabe im Regelfall ein rechtskräftiger Einziehungsentscheid des ersuchenden Staates notwendig. In Ausnahmefällen kann der ersuchte Staat von dieser Regelung abweichen und die Gegenstände oder Vermögenswerte bereits zu einem früheren Zeitpunkt herausgeben. Die vorzeitige Herausgabe kann zum Tragen kommen, wenn es klare Anhaltspunkte dafür gibt, dass die beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte deliktisch erworben worden sind und einwandfrei einer bestimmten Person oder Personengruppe zugeordnet werden können. In einem solchen Fall ist es nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht angezeigt, dass die Schweiz dem ersuchenden Staat das Deliktsgut bis zum Abschluss des Strafverfahrens vorenthält.25 Art. 23

Beschlagnahme und Einziehung

Auf Verlangen Kosovos wurde eine explizite Bestimmung zur Beschlagnahme und Einziehung von Vermögenswerten, Schriftstücken, Akten und Beweismitteln in den Vertrag aufgenommen, wonach entsprechende Ersuchen nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchenden Staates gestellt werden (Abs. 1). Die Bestimmung geht inhaltlich jedoch nicht über das hinaus, was Artikel 2 Absatz 1 des Vertrags bereits regelt.

Absatz 2 räumt den Vertragsparteien die Möglichkeit ein, die Beschlagnahme oder Einziehung zugunsten eines eigenen Strafverfahrens aufzuschieben, bis das Verfahren im ersuchten Staat abgeschlossen ist. Absatz 2 konkretisiert damit die allgemeine Bestimmung von Artikel 4 Absatz 2 des Vertrags.

Der ersuchte Staat hat bei der Anwendung von Artikel 23 Absätze 1 und 2 die berechtigten Interessen der Beteiligten, einschliesslich der Treuhänderinnen und Treuhänder, in Bezug auf die eingezogenen Vermögenswerte zu beachten (Abs. 3). Die Regelung steht im Einklang mit Artikel 74a IRSG und schafft keine darüber hinausgehenden Verpflichtungen.

25

BGE 131 II 169 E. 6 (Rechtshilfe an Nigeria).

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Art. 24

Teilung eingezogener Vermögenswerte

Die Teilung eingezogener Vermögenswerte ist ein wichtiges Mittel, um die internationale Zusammenarbeit zu fördern. Dadurch, dass ein Staat, der durch seine Kooperation einen Beitrag zum Erfolg eines Einziehungsverfahrens leistet, finanziell an diesem Erfolg teilhaben kann, soll er ermutigt werden, auch künftig eine wirkungsvolle Zusammenarbeit sicherzustellen.

Absatz 1 statuiert den Grundsatz der Teilung eingezogener Vermögenswerte. Für den konkreten Einzelfall muss eine Teilungsvereinbarung abgeschlossen werden, worin sich die Vertragsparteien über die konkreten Modalitäten wie Voraussetzungen oder Verteilschlüssel einigen (Abs. 2). Ist die Schweiz einziehender Staat, ist das Bundesgesetz vom 19. März 200426 über die Teilung eingezogener Vermögenswerte massgebend.

Art. 25

Zustellung von Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen

Die Bestimmung deckt sich mit der Regelung von Artikel 7 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens. Eine Abweichung besteht dahingehend, dass die Vorladung an eine im ersuchenden Staat strafrechtlich verfolgte Person, die sich im ersuchten Staat aufhält, spätestens 45 Tage vor dem für das Erscheinen festgesetzten Zeitpunkt bei der Zentralbehörde des ersuchten Staates eintreffen muss (Abs. 4). Im Verkehr mit den Vertragsparteien des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens beträgt diese Frist 30 Tage.27 Art. 26

Gemeinsame Ermittlungsgruppen

Mit Artikel 26 wurde erstmals in einen bilateralen Rechtshilfevertrag eine Bestimmung aufgenommen, welche die Möglichkeit der Errichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen (GEG) vorsieht. In der Schweiz ist diese Rechtshilfemassnahme seit Juli 2021 in den Artikeln 80d ter­80dduodecies IRSG geregelt. Die Vertragsbestimmung stellt auf dieser Grundlage Reziprozität sicher. Wie auch von Artikel 80dduodecies IRSG vorgesehen, sind das Ziel und die Bedingungen, unter denen eine GEG eingesetzt wird, von den zuständigen Behörden in einer spezifischen Vereinbarung festzulegen (Abs. 2).

Art. 27­33

Verfahren: Zentralbehörde; Form des Ersuchens und Übermittlungswege; Inhalt und Ausführung des Ersuchens; Beglaubigung; Sprache; Ausführungskosten

Die Regelung für das eigentliche Rechtshilfeverfahren entspricht weitestgehend derjenigen in den bisherigen Rechtshilfeverträgen. Sie geht auf Bestimmungen im Europäischen Rechtshilfeübereinkommen (Art. 14­17 und 20) und in dessen Zweiten Zusatzprotokoll (Art. 4 und 5) zurück. Besondere Erwähnung verdienen folgende Bestimmungen: 26 27

SR 312.4 Siehe Erklärung der Schweiz zu Art. 7 Abs. 3 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (SR 0.351.1).

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Art. 27 und 30 Zentralbehörde; Ausführung des Ersuchens Eine wichtige Funktion im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens kommt den Zentralbehörden zu, die als Anlaufstelle für die Übermittlung und Entgegennahme von Rechtshilfeersuchen dienen und fortan direkt miteinander verkehren (Art. 27 Abs. 2). Im Rahmen der Behandlung der Ersuchen sind sie für deren Vorprüfung und, soweit sie diese nach ihrem innerstaatlichen Recht nicht selber behandeln, für ihre Weiterleitung an die zuständigen nationalen Behörden zuständig, wobei sie die Koordination der Ausführung beibehalten (Art. 27 Abs. 3 und Art. 30 Abs. 2). Ergibt sich aus der summarischen Vorprüfung, dass ein Ersuchen Mängel aufweist, verlangt die Zentralbehörde eine entsprechende Nachbesserung (Art. 30 Abs. 1). Nach dem Vollzug des Ersuchens durch die zuständige Rechtshilfebehörde kontrolliert die Zentralbehörde, ob das Ersuchen vollständig ist, bevor sie die rechtshilfeweise erhobenen Informationen und Beweismittel an die Zentralbehörde des ersuchenden Staates übermittelt (Art. 30 Abs. 3). Generell nehmen die Zentralbehörden zudem eine Vermittlungsfunktion ein, wenn zwischen ersuchender und ersuchter Behörde Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit entstehen.

Schweizerische Zentralbehörde ist das Bundesamt für Justiz (Art. 27 Abs. 1), dem gemäss dem IRSG die erwähnten Prüfungs-, Übermittlungs- und Kontrollfunktionen zukommen (z. B. Art. 17 Abs. 2­4, 29, 78 und 79 IRSG). Während die Übertragung des Vollzugs ausländischer Rechtshilfeersuchen an die zuständigen kantonalen Staatsanwaltschaften oder Behörden des Bundes, etwa die Bundesanwaltschaft oder das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, dabei den Regelfall darstellt, kann das Bundesamt für Justiz im Rahmen von Artikel 79a IRSG in gewissen Fällen auch selber über die Ausführung eines Ersuchens entscheiden.

Art. 29

Inhalt des Ersuchens

Diese Bestimmung führt die Angaben, die in einem Rechtshilfeersuchen enthalten sein müssen, detailliert auf. Ihre Bedeutung in der Praxis ist nicht zu unterschätzen.

Im Interesse zusätzlicher Transparenz und Klarheit ist die Auflistung wie im Rechtshilfevertrag mit Indonesien (Art. 27) und im Vergleich zu früheren Rechtshilfeverträgen ausführlicher ausgefallen. Die Liste soll dazu beitragen, die zeitraubende Rückweisung von Ersuchen an den ersuchenden Staat zur Ergänzung oder Verbesserung möglichst zu vermeiden.

Art. 31

Befreiung von jeder Beglaubigung, Echtheitsbestätigung und anderen Formerfordernissen

Die Befreiung von der Beglaubigungspflicht, wie sie zwischen den Vertragsstaaten des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens schon lange selbstverständlich ist, stellt im Verkehr mit anderen Staaten einen wichtigen Fortschritt dar, da diese Länder prozessualen Formalitäten oftmals einen grossen Wert beimessen. Durch das Bundesamt für Justiz als Zentralstelle übermittelte Beweismittel werden im Kosovo ohne zusätzliche Erklärung oder Beglaubigungsnachweise zum Beweis zugelassen, was zur Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens beiträgt.

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Art. 33

Ausführungskosten

Die ausgehandelte Kostenregelung entspricht dem, was auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe üblich ist: Rechtshilfe wird in der Regel unentgeltlich geleistet.

Ausnahmen sind nur in den ausdrücklich erwähnten Fällen möglich, wozu im Rechtshilfeverkehr mit Kosovo nach Absatz 1 Buchstabe e auch die Kosten im Zusammenhang mit verdeckten Überwachungsmassnahmen gehören, soweit diese angeordnet werden können (vgl. z.B. Art. 18a und 18b IRSG) und sofern nichts Anderes vereinbart wird.

Art. 34

Unaufgeforderte Übermittlung von Informationen und Beweismitteln

Im Laufe eigener Ermittlungen und Strafverfolgungen können die Behörden eines Staates zu Informationen gelangen, die möglicherweise auch für die Justizbehörden eines anderen Staates von Bedeutung sind. In solchen Fällen liegt es im Interesse der Strafverfolgung, dass die entsprechenden Informationen dem anderen Staat unter bestimmten Voraussetzungen übergeben werden können, noch bevor ein Rechtshilfeersuchen gestellt wurde. Ein frühzeitiger und rascher Informationsaustausch kann im Kampf gegen die Kriminalität nämlich eine entscheidende Rolle spielen.

Die Bestimmung lehnt sich an Artikel 11 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen an und findet sich bereits in früheren Rechtshilfeverträgen der Schweiz.28 Vorläufer für diese Regelung ist Artikel 10 des Übereinkommens vom 8. November 199029 über Geldwäscherei sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten.

Ziel einer solchen unaufgeforderten Übermittlung von Informationen und Beweismitteln ist, dass der andere Staat gestützt darauf ein Rechtshilfeersuchen stellen oder ein Strafverfahren einleiten kann oder dass die Durchführung einer laufenden Strafuntersuchung erleichtert wird (Abs. 1). Der Informationsaustausch muss über die Zentralbehörden und im Rahmen des innerstaatlichen Rechts erfolgen. Artikel 67a IRSG ist für den Fall massgebend, dass schweizerische Behörden auf diese Weise Informationen und Beweismittel an den anderen Staat übermitteln wollen. Da es sich um eine Kann-Vorschrift handelt, sind die Vertragsparteien jedoch nicht verpflichtet, die Bestimmung anzuwenden.

Die übermittelnde Behörde kann die Verwendung der Informationen und Beweismittel nach Massgabe ihres innerstaatlichen Rechts an Bedingungen knüpfen, die vom Empfängerstaat einzuhalten sind (Abs. 2).

Art. 35

Anzeigen zum Zweck der Strafverfolgung oder der Einziehung

Die Bestimmung deckt diejenigen Fälle ab, die im Vierten Teil des IRSG geregelt sind. Sie schafft die staatsvertragliche Grundlage, damit Straftaten, die eine Vertrags-

28

29

Vgl. etwa die entsprechenden Verträge mit Brasilien (SR 0.351.919.81; Art. 29), Mexiko (SR 0.351.956.3; Art. 30), Chile (SR 0.351.924.5; Art. 32), Argentinien (SR 0.351.915.4; Art. 30), Kolumbien (SR 0.351.926.3; Art. 32) und Indonesien (SR 0.351.942.7; Art. 32).

SR 0.311.53

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partei nicht selber verfolgen kann, nicht ohne Folge bleiben. Die Bestimmung ermöglicht es einer Vertragspartei, die andere Vertragspartei um Eröffnung eines Strafverfahrens zu ersuchen und ihr die entsprechenden Beweismittel zu liefern (Abs. 1). Dieses Vorgehen drängt sich dann auf, wenn eine Vertragspartei konkrete Anhaltspunkte hat, dass eine Straftat verübt worden ist, und sie nicht in der Lage ist, ein Strafverfahren zu Ende zu führen. Dies kann der Fall sein, wenn eine Person, die in einer Vertragspartei straffällig geworden ist, nach der Tat ins Gebiet der anderen Vertragspartei flieht und anschliessend nicht ausgeliefert werden kann (z. B. wegen ihrer Staatsangehörigkeit). Denkbar ist auch, dass eine Vertragspartei konkrete Hinweise hat, dass gegen eine oder einen ihrer Staatsangehörigen in der anderen Vertragspartei eine Straftat verübt worden ist und sie die Täterin oder den Täter nicht selber ins Recht fassen kann, weil eine Auslieferung nicht möglich ist.

Die Bestimmung ist auch anwendbar, wenn eine Vertragspartei Anhaltspunkte hat, dass sich im anderen Staat Vermögenswerte oder Gegenstände befinden, die aus einer strafbaren Handlung stammen. In dieser Situation kann die andere Vertragspartei um Einziehung des Deliktsguts ersucht werden.

Absatz 2 schafft für die Vertragspartei, die eine Anzeige nach dieser Bestimmung erhält, eine Informationspflicht. Ihre Zentralbehörde muss der anderen Vertragspartei mitteilen, welche Folge der Anzeige gegeben wurde. Im Bedarfsfall hat sie eine Kopie des Entscheids zuzustellen. Aus der Bestimmung kann indessen keine Verpflichtung zur Einleitung einer Strafverfolgung oder zur Einziehung abgeleitet werden.

Art. 36­40

Vereinbarkeit mit anderen Vereinbarungen und Formen der Zusammenarbeit; Meinungsaustausch, Beilegung von Streitigkeiten; Inkrafttreten und Kündigung

Die Schlussbestimmungen enthalten die üblichen Klauseln. Artikel 36 klärt im Sinne des Günstigkeitsprinzips das Verhältnis zwischen dem Vertrag und anderen internationalen oder nationalen Rechtsvorschriften. Bei Fragen oder Schwierigkeiten bezüglich der Anwendung des Vertrags, seiner Umsetzung oder eines konkreten Einzelfalls erfolgt nach Artikel 37 ein Meinungsaustausch zwischen den Zentralbehörden. Können diese die entstandenen Streitigkeiten nicht beilegen, so ist nach Artikel 38 der diplomatische Weg zu beschreiten. Diese Kompromisslösung im Verhältnis zu Staaten, die kein Schiedsgericht als Streitschlichtungsorgan akzeptieren können oder wollen, findet sich in verschiedenen von der Schweiz abgeschlossenen Rechtshilfeverträgen.30 Artikel 39 beschreibt das Verfahren der Vertragsänderung, Artikel 40 dasjenige für das Inkrafttreten und die Kündigung des Vertrags.

30

Vgl. etwa die Rechtshilfeverträge mit Indonesien (SR 0.351.942.7; Art. 37) oder Kolumbien (SR 0.351.926.3; Art. 35).

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5

Auswirkungen

5.1

Finanzielle, personelle und andere Auswirkungen auf den Bund

Der Vertrag begründet für die Schweiz neue Verpflichtungen. Dies gilt in besonderem Mass für das Bundesamt für Justiz, das als Zentralbehörde den Rechtshilfeverkehr von und nach Kosovo sicherzustellen hat. Ebenfalls betroffen sind etwa die Bundesanwaltschaft sowie das Bundesamt für Polizei, das mit Vollzugshandlungen betraut werden kann.

Das Ausmass des Arbeitsanfalls, der zusätzlich auf die genannten Behörden zukommt, hängt von der Anzahl und der Komplexität der Rechtshilfefälle ab. Eine genaue Quantifizierung ist nicht möglich. Aufgrund der heutigen Einschätzung ist aber davon auszugehen, dass der Vertrag auf Bundesebene keinen finanziellen Mehraufwand oder zusätzlichen Personalbedarf zur Folge haben wird, zumal bereits heute gestützt auf das IRSG Rechtshilfe möglich ist und auch geleistet wird. Der Vertrag hat auch keine anderen Auswirkungen auf Bundesebene, etwa in organisatorischer Hinsicht oder mit Bezug auf die Informatik.

5.2

Auswirkungen auf die Kantone

Je nach Umfang der Ersuchen und dem mit deren Erledigung verbundenen Aufwand kann eine Mehrbelastung einzelner kantonaler Rechtshilfebehörden nicht ausgeschlossen werden. Wie bereits unter Ziffer 5.1 für die Bundesbehörden dargelegt, ist aber auch hier zu berücksichtigen, dass bereits heute Rechtshilfe gestützt auf das IRSG geleistet wird.

Die Vorlage lässt keine spezifischen Auswirkungen auf Gemeinden, urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete erwarten. Die entsprechenden Fragen wurden daher nicht vertieft untersucht.

5.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft, die Umwelt und andere Auswirkungen

In den Bereichen Volkswirtschaft, Gesellschaft oder Umwelt sind keine Auswirkungen zu erwarten; die entsprechenden Fragen wurden daher nicht geprüft.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bun-

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desversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund eines Gesetzes oder völkerrechtlichen Vertrags der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200231 [ParlG]; Art. 7a Abs. 1 des Regierungsund Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199732). Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.

6.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage ist vereinbar mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz. In der Präambel und in Form von Verweigerungsgründen für die Zusammenarbeit (Art. 3 und 4) verschafft sie den Menschenrechten Nachachtung, darunter den grundlegenden Verfahrensgarantien, zu deren Einhaltung sich die Schweiz in internationalen Menschenrechtsübereinkommen wie der EMRK oder dem UNO-Pakt II verpflichtet hat.

Die in Artikel 1 vorgesehene Verpflichtung zur möglichst weitgehenden Leistung von Rechtshilfe in Strafsachen widerspiegelt Verpflichtungen, welche die Schweiz im Rahmen internationaler Strafrechtsinstrumente wie etwa im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 15. November 200033 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität oder im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 200334 gegen Korruption eingegangen ist. Im Bereich des Datenschutzes trägt die Vorlage Vorgaben der EU, die von der Schweiz aufgrund ihrer Assoziierung an die Schengener Zusammenarbeit gemäss der Richtlinie (EU) 2016/680 im Verhältnis zu Drittstaaten zu berücksichtigen sind, Rechnung.

6.3

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Der vorliegende völkerrechtliche Vertrag enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen. Er begründet für die Vertragsparteien die Verpflichtung, einander möglichst umfassend Rechtshilfe zu gewähren. Diese Verpflichtung hat Auswirkungen auf die

31 32 33 34

SR 171.10 SR 172.010 SR 0.311.54 SR 0.311.56

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Rechte und Pflichten von Einzelpersonen. Diese Bestimmungen sind als wichtig anzusehen, da sie ­ wenn sie auf nationaler Ebene erlassen würden ­ nach Artikel 164 Absatz 1 BV nur in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden könnten.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

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