687

#ST#

Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 24. April 1889.)

Der s c h w e i z e r i s c h e Bundes r ath hat in Sachen einer Rekurseingabe des Herrn Luigi G o b b i , von Piotta, Arzt, dermal wohnhaft in Russo, gegen die Beschlüsse des Staatsrathes von Tessin vom 17. November 1888, betreffend Kassation einer Bezirksarztwahl und Verbot der ärztlichen Praxis, in Er w ägu n g :

1) Die Kompetenz des Bundesrathes zur Beurtheilung der vorliegenden Beschwerdesache ergibt sich aus Art. 59, Ziff. 8 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874.

Es handelt sich um die Frage, ob einem Bürger das ihm in Anwendung des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 1877 über die Freizügigkeit des Medizinalpersonals in der schweizerischen Eidgenossenschaft verliehene eidgenössische Patent zur Ausübung des ärztlichen Berufes zu entziehen sei.

Dieses Bundesgesetz ist in Ausführung des Art. 33 der Bundesverfassung erlassen, und Beschwerden, welche die Anwendung des Gesetzes betreffen, sind zufolge Art. 59, Ziff. 8 des Organisationsgesetzes vom Bundesrathe zu erledigen.

2) Durch Regierungsdekret vom 21. November 1863 wurde Luigi Gobbi zur freien Ausübung der Medizin und Chirurgie ermächtigt, worauf er einspruchslos beinahe 25 Jahre lang im Kanton Tessin als Arzt praktizirte und als. solcher auch von den Staatsbehörden in den Stellungen eines Impfarztes, Militärarztes, Bezirksarztes anerkannt wurde.

Auf Grund des kantonalen Patentes erhielt Gobbi unterm 23. Dezember 1880 vom leitenden Ausschuß für die eidgenössischen Medizinalprüfungen, bezw. vom eidgenössischen Departement des Innern ein Patent (Diplom) zur freien Ausübung seines Berufes im ganzen Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft.

688 / Im Jahre 1888 erkannte der Staatsrath von Tessin, daß der Rekurrent das kantonale Patent seiner Zeit nicht nach Maßgabe der gesetzlichen Voraussetzungen erlangt habe ; denn derselbe habe weder eine akademische Prüfung, noch eine kantouale medizinische Staatsprüfung bestanden ; er sei blos auf Grund angeblicher Fähigkeitsausweise patentirt worden. Infolge dessen erklärte der Staatsrath durch Dekret vom 17. November 1888 den Regierungsbeschluß und damit das kantonale Patent von 1863 für hinfallig.

Wird nun, wie der Staatsrath behauptet, damit auch das eidgenössische Patent (Diplom) vom Jahre 1880 hinfällig?

Das ist die im Rekursfalle zu entscheidende Frage.

3) Der leitende Ausschuß für eidgenössische Medizinalprüfungen verneint in seiner Vernehmlassung an das eidgenössische Departement des Innern vom 18. Februar 1889 diese Frage.

Er spricht sich unter Anderm dahin aus: .,,Beim Durchgehen der von Herrn Gobbi in Zürich gehörten Vorlesungen und Kurse muß sich jedem Unbefangenen die Ueberzeugung aufdrängen, daß der medizinische Bildungsgang des genannten Herrn, der zudem noch durch weitere Studien in Paris erweitert und befestigt worden ist, ein durchaus zweckmäßiger und vollständiger gewesen ist. Es liegt daher die Annahme gar nicht so fern, daß der damalige Staatsrath von Tessin, welchem zu jener Zeit der Apparat zur Abnahme eines kantonalen Examens nicht zu Gebote stand, auf bloße Darlegung des Studienganges hin die Erlaubniß zur Praxis hat ertheilen können. Daß aber Gobbi nicht anderswo ein Examen gemacht hat, darf demselben, nach der An schauung des leitenden Ausschusses, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Es erklärt sich dies leicht dadurch, daß dazumal überall noch keine Gelegenheit hiezu sich vorfand, indem das Konkordat für medizinische Prüfungen erst später ins Leben gerufen worden ist, die Ablegung des Zürcher Kantonalexamens, sowie der französischen Staatsprüfung für ihn keinen Werth haben konnte."

4) Nach diesem Ausspruche der eidgenössischen Medizinalaufsichtsbehörde darf nicht mit dem Staatsrathe angenommen werden, es befinde sich dieselbe in einem faktischen Irrthume hinsichtlich der Voraussetzungen der Patentirung des Rekurrenten.

Es steht vielmehr fest, daß die eidgenössische Aufsichtsbehörde die vom Rekurrenten seinerzeit erbrachten Befähigungsausweise als vollgenügende Grundlage der kantonalen Patentirung anerkennt und gestützt darauf auch die Ausstellung des eidgenössischen Patentes (Diplomes) aufrecht erhalten will.

689 5) Angesichts dieses Sachverhalts vermag das staatsräthliche Dekret vom 17. November 1888 nicht die Ausstellung des eidgenössischen Patentes (Diplomes), die als ein selbstständiger Akt einer Bundesbehörde anzusehen ist, hinfällig zu machen ; beschlossen: Der Rekurs ist begründet, und es wird somit die Schlußnahme des tessinischen Staatsrathes vom 17. November 1888, durch welche dem Rekurrenten die ärztliche Praxis im Kanton Tessili verboten wurde, aufgehoben.

(Vom 26. April 1889.)

Am 24. Februar 1889 hat Frau Maria P e n s i , geb. Bart, von B o r m i o (Italien), wohnhaft in G u a r d a (Graubünden), gegen einen Beschluß des Kleinen Rathes des Kantons Graubünden vom 25. Januar abhin, durch welchen ihr in Bestätigung einer Verfügung des Schulrathes von Ardez für ihren daselbst untergebrachten Knaben ein Schulgeld von Fr. 15 auferlegt wurde, den Rekurs an den Bundesrath ergriffen.

Der Bundesrath hat den Rekurs als begründet erklärt und demnach den Entscheid des Kleinen Rathes von Graubünden vom 25. Januar 1889 und den Beschluß des Schulrathes von Ardez, betreffend die Schulgeldforderung für den Knaben Pensi, aufgehoben, und zwar in Erwägung: 1) Der Artikel 27, Absatz 2 der Bundesverfassung bestimmt: ,,Die Kantone sorgen für genügenden Primarunterricht, welcher ausschließlich unter staatlicher Leitung stehen soll. Derselbe ist obligatorisch und in den öffentlichen Schulen unentgeltlich."

Demselben entsprechend bestimmt auch die durch Bundesbeschluß vom 2. Juli 1880 gewährleistete Kantonsverfassung von Graubünden, vom 23. Mai 1880, im Artikel 45: ,,Dem Staate liegt ob, für Vervollkommnung des Schulwesens in allen seinen Beziehungen möglichst zu sorgen, wogegen die Beschaffung der dafür erforderlichen Mittel nach Maßgabe der eidgenössischen und kantonalen Vorschriften, bei angemessener Unterstützung durch den Kanton, zunächst Sache der Gemeinden ist.

Die Volksschule steht unter staatlicher Leitung, der Primarunterricht ist obligatorisch und in den öffentlichen Schulen unentgeltlich^ 2) Die Schule von Ardez ist -- wie von keiner Seite bestritten -- eine öffentliche Primarschule, somit muß der Unterricht,

690

den sie ertheilt, nach beiden obigen Verfassungsbestimmungen für die Kinder, die sie besuchen, unentgeltlich sein. Der Bundesrath hat nun nicht zu prüfen , ob und bis zu welchem Grade dem in der Verfassung Graubündens aufgestellten Grundsatze der Unentgeltlichkeit des Unterrichts in den öffentlichen Schulen durch Gesetzesvorschriften oder hergebrachte Uebung nicht allgemeine und vollständige Anwendung zu Theil werde.

Es genügt, darauf hinzuweisen, daß eine solche theilweise Beschränkung des erwähnten Grundsat/es der kategorischen Bestimmung des Art. 27 der Bundesverfassung zuwiderläuft und daher vor ihr nicht bestehen kann.

3) Vorschriften aus dem Gebiete der Niederlassungspolizei, wie die vom Schulrathe von Ardez angerufenen, können vielleicht unter Umständen Anlaß geben, einem schulpflichtigen Kinde den Eintritt in eine Gemeinde zu verweigern; bei einmal gestattetem Aufenthalt aber können sie nicht einen Grund darbieten, dem Kinde das Recht auf unentgeltlichen Primarunterricht zu schmälern; denn Vorschriften der Niederlassungspolizei haben mit dem Grundsatze der Unentgeltlichkeit der Primarschule nichts gemein, und es darf ihnen angesichts des humanen Zweckes, den er verfolgt, auch keinerlei Einfluß auf dessen Handhabung eingeräumt werden.

uov.

4) Sobald also die Gemeinde Ardez dem Knaben Pensi den Aufenthalt auf ihrem Gebiete gestattet hatte, war sie nach Art. 27 der Bundesverfassung auch verpflichtet, ihn zum Besuche ihrer öffentlichen Schule anzuhalten und ihm den Unterricht derselben unentgeltlich zu Theil werden zu lassen.

(Vom 30. April 1889.)

Am 21. März 1889 hat der Gemeinderath von Rheinfelden gegen einen, wie behauptet wird, verfassungswidrigen Entscheid der aargauischen Regierung betreffend Wildschadenersatzforderung den Rekurs an den Bundesrath ergriffen.

Der Bundesrath ist wegen Inkompetenz auf die Beschwerde nicht eingetreten, und zwar in Erwägung: 1) Die Rekurrenten stutzen ihren Anspruch auf Art. 79 der aargauischen Staatsverfassung, die sie durch die Verfügungen und Verordnungen des Regierungsrathes verletzt erachten.

2) Gemäß Art. 59 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (vom 27. Juni 1874) steht nun aber die Beurtheilung v o n B e s c h w e r d e n b e t r e f f e n d V e r l e t z u n g

691 derjenigen Rechte, welche durch die Verfassung eines Kantons gewährleistet sind, dem Bundesger i c h t e zu.

3) Dem Entscheide des Bundesrathes, bezw. der Bundesversammlung;, sind die durch die Bundesgesetzgebung näher festzustellenden Administrativstreitigkeiten vorbehalten. Dieselben werden in Art. 59 des genannten Bundesgesetzes aufgezählt. In Ziffer 8 sind als solche Administrativsrreitigkeiten Beschwerden über Anwendung der in den Art. 25, 33, 34, 39, 40 und 69 der Bundesverfassung vorgesehenen Bundesgesetze genannt.

Für den gegebenen Fall könnte lediglich Art. 25 der Bundesverfassung in Betracht fallen; es.ist daher zu prüfen, ob derselbe die Kompetenz des Bundesrathes zur Beurtheilung der vorliegenden Beschwerde begründet.

Art. 25 lautet: ,,Der Bund jst befugt, gesetzlióhe Bestimmungen über die Ausübung der Fischerei und Jagd, namentlich zur Erhaltung des Hochwildes, sowie zum Schütze der für die Land- und Forstwirthschaft nützlichen Vögel zu treffen.11 Das in Ausführung dieser Verfassungsbestimmung erlassene Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz, vom 17. September 1875, enthält nun aber keinerlei Vorschriften betreffend die Vergütung von Wildschaden. Es ist demnach den Kantonen überlassen, die bezüglichen Verhältnisse nach Gutfinden zu ordnen.

(Vom 3. Mai 1889.)

Der Bundesrath wählte : zum Direktor des Postkreises Chur : Hrn. Jakob Branger, von DavosÜörfli (Graubünden), Kreispostadjunkt in Chur; Postkommis' in Zürich : ,, August Stocker, Postaspirant, von Gunzwyl (Luzern), in Sitten ; Posthalter in Waldstatt: ,, Robert Grob, von Peterzell (St. Gallen), in Waldstatt (Appenzell A. Rh.); ,, Hülfsinstmktor d. Artillerie : ,, Feldweibel Georg Bosch, in Genf; ,, Trompeterinstruktor der ,, Franz Schwab, in Vivis.

Artillerie :

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Aus den Verhandlungen des schweiz. Bundesrathes.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1889

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

19

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.05.1889

Date Data Seite

687-691

Page Pagina Ref. No

10 014 369

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.