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21.403 Parlamentarische Initiative Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates vom 14. Dezember 2022

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf des Bundesgesetzes über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern (UKibeG) sowie den Entwurf des Bundesbeschlusses über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, den beiliegenden Entwürfen zuzustimmen.

14. Dezember 2022

Im Namen der Kommission Der Präsident: Fabien Fivaz

2023-0331

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Übersicht Mit dieser Vorlage wird die parlamentarische Initiative 21.403 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» umgesetzt. Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) schlägt ein neues Gesetz für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung und die Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter vor. Der Bund beteiligt sich gemäss Vorlage mit rund 710 Millionen Franken pro Jahr an den Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung. Er kann den Kantonen zudem auf der Grundlage von 4-jährigen Programmvereinbarungen globale Finanzhilfen zur Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und für Massnahmen zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern gewähren. Der Bund beteiligt sich maximal zur Hälfte an den Ausgaben der Kantone. Für die erste 4-jährige Vertragsperiode schlägt die WBK-N einen Verpflichtungskredit in der Höhe von 224 Millionen Franken vor.

Im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung liegt die Zuständigkeit in erster Linie bei den Kantonen und Gemeinden. Gestützt auf Artikel 116 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) kann der Bund Massnahmen Dritter zur Förderung der Familie unterstützen. Das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (KBFHG) wurde basierend auf dieser Unterstützungskompetenz des Bundes geschaffen. Dabei handelt es sich um ein zeitlich befristetes Impulsprogramm zur Förderung eines bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangebots, mit dem Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu verbessern. Der Bund kann mittels Finanzhilfen die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen für Kinder in Kindertagesstätten und Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung fördern. Er kann zudem Strukturen für die Koordination der Betreuung in Tagesfamilien (z. B. Tageselternvereine) unterstützen. Bis zum 1. Februar 2022 unterstützte der Bund die Schaffung von 68 490 Plätzen. Bislang ist der Bund hierfür Verpflichtungen von insgesamt 430 Millionen Franken eingegangen. Auf Antrag des Bundesrates wurde das KBFHG per 1. Juli 2018 erweitert. Es wurden zwei neue Förderinstrumente eingeführt: Zum einen kann der Bund Kantone und Gemeinden mit Finanzhilfen unterstützen,
die ihre Subventionen für die familienergänzende Kinderbetreuung erhöhen, um die Betreuungskosten der Eltern zu senken. Zum anderen kann der Bund einen Beitrag an Projekte leisten, die das Betreuungsangebot besser auf die Bedürfnisse der Eltern abstimmen. Dafür sprach das Parlament einen Verpflichtungskredit in der Höhe von 176,8 Millionen Franken. Bis zum 1. Februar 2022 reichten 14 Kantone ein Gesuch für eine Bundesbeteiligung an Subventionserhöhungen, mit denen Finanzhilfen in der Höhe von rund 146 Millionen Franken beantragt werden.

Für Projekte zur besseren Abstimmung des Angebots auf die Bedürfnisse der Eltern wurden bisher 6 Gesuche im Umfang von insgesamt rund 2,2 Millionen Franken bewilligt. Das Impulsprogramm war ursprünglich auf acht Jahre befristet und wurde seither mehrmals verlängert. Am 30. September 2022 haben die eidgenössischen Räte der Verlängerung des KBFHG bis Ende 2024 zugestimmt. Das Impulsprogramm wurde bereits mehrfach evaluiert. Die Ergebnisse der Evaluationen zeigen, dass die mit dem Programm angestrebten Zielsetzungen sehr erfolgreich umgesetzt werden.

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Mit der vorliegenden Vorlage möchte die WBK-N das bisherige befristete Impulsprogramm ablösen und durch neue Fördermassnahmen des Bundes ersetzen. Zu diesem Zweck soll ein neues Gesetz geschaffen werden. Es verfolgt ­ in Übereinstimmung mit dem laufenden Impulsprogramm ­ das Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu verbessern. Ein weiteres Ziel ist die Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter. Das Gesetz beinhaltet zwei neue Förderinstrumente: Die WBK-N schlägt erstens vor, dass sich der Bund künftig dauerhaft an den Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung beteiligt. Laut Entwurf besteht für jedes Kind von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit Anspruch auf einen Bundesbeitrag, sofern es institutionell betreut wird. Die Anspruchsberechtigten sind in der Regel die Eltern. Der Bundesbeitrag bemisst sich nach der tatsächlichen Inanspruchnahme der familienergänzenden Kinderbetreuung. Er wird den Eltern unabhängig von ihrer finanziellen Situation gewährt. Es ist wie bis anhin Sache des Kantons oder der Gemeinde, gegebenenfalls einkommensabhängige Tarife vorzusehen. Der Bundesbeitrag ist kein Ersatz für allfällige Subventionen der Kantone, Gemeinden und Arbeitgeber: Er kommt zu diesen allfälligen Subventionen hinzu und muss vollumfänglich den Eltern zugutekommen, damit deren Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung effektiv sinken. Der Bundesbeitrag beläuft sich während den ersten vier Jahren nach Inkraftsetzung des Gesetzes auf 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes. Danach legt der Bundesrat den Bundesbeitrag pro Kanton in Abhängigkeit von dessen finanziellem Engagement für die familienergänzende Kinderbetreuung fest. Für diese Bemessung bestimmt er einen Schwellenwert für die Höhe des Engagements, den die Kantone erreichen müssen, damit der Bundesbeitrag in der nachfolgenden vierjährigen Periode bei 20 Prozent der Durchschnittskosten bleibt. Liegt die Höhe des Engagements eines Kantons unter diesem Schwellenwert, wird der Bundesbeitrag linear gekürzt. Die Kürzung ist allerdings begrenzt: Der Bundesbeitrag muss in allen Kantonen mindestens 10 Prozent der Durchschnittskosten betragen. Die Festlegung des Schwellenwertes und die darauf basierende Zuordnung
der Kantone für die Festlegung der Höhe des Bundesbeitrages nimmt der Bundesrat alle vier Jahre vor. Mit diesem System wird beabsichtigt, dass die Kantone ihre Subventionen im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung erhöhen, und zudem soll damit verhindert werden, dass die Kantone ihre Subventionen im gleichen Umfang senken, wie sich der Bund an diesen beteiligt. Die Kantone sind für die Einhaltung der Anspruchsvoraussetzungen und für die Auszahlung des Bundesbeitrags an die Eltern verantwortlich.

Gemäss Vorlage soll sich der Bund mit rund 710 Millionen Franken jährlich an den Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung beteiligen.

Die WBK-N sieht zweitens Programmvereinbarungen des Bundes mit den Kantonen vor. Der Bund kann den Kantonen auf der Grundlage von Programmvereinbarungen globale Finanzhilfen zur Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und für Massnahmen zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern gewähren. Für die erste Vertragsperiode beantragt die WBK-N einen Verpflichtungskredit in der Höhe von 224 Millionen Franken. Es sind maximal drei 4-jährige Vertragsperioden vorgesehen.

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Die WBK-N ist der Überzeugung, dass der Bund mit der Vorlage einen wesentlichen Beitrag für ein bedarfsgerechtes familienergänzendes Kinderbetreuungsangebot und die Weiterentwicklung der Politik der frühen Förderung von Kindern in den Kantonen leisten kann. Eine Minderheit vertritt dagegen die Meinung, dass diese Förderbereiche primär in die Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden fallen und daher keine Unterstützung durch den Bund vorzusehen ist.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Entstehungsgeschichte

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Ausgangslage 2.1 Kompetenzverteilung in der familienergänzenden Kinderbetreuung 2.2 Kompetenzverteilung in der Politik der frühen Kindheit 2.3 Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung

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Handlungsbedarf 3.1 Handlungsbedarf in der familienergänzenden Kinderbetreuung 3.1.1 Hohe Kosten der Eltern für die institutionelle Kinderbetreuung 3.1.2 Angebotslücken in der familienergänzenden Kinderbetreuung 3.1.3 Fehlende Abstimmung des familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots auf die Bedürfnisse der Eltern 3.1.4 Mangelhafte Qualität in der institutionellen Kinderbetreuung 3.2 Handlungsbedarf in der Politik der frühen Kindheit 3.2.1 Angebotslücken und heterogene Ausgestaltung der Angebote 3.2.2 Unzureichende Kooperation unter den Akteuren und mangelhafte Abstimmung der Angebote 3.2.3 Niederschwelliger Zugang zu den Angeboten nicht für alle Zielgruppen gewährleistet 3.2.4 Fehlende Datengrundlagen

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Vernehmlassungsverfahren

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5

Grundzüge der Vorlage 5.1 Ziele 5.2 Neue gesetzliche Grundlage 5.3 Die beantragte Neuregelung 5.3.1 Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung 5.3.2 Programmvereinbarungen 5.3.2.1 Instrument der Programmvereinbarung 5.3.2.2 Ziele und Umsetzung 5.4 Finanzieller Rahmen 5.4.1 Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung 5.4.2 Programmvereinbarungen

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Argumente der Minderheit auf Nichteintreten und auf Rückweisung

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 6.1 Bundesgesetz über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern (UKibeG) 6.2 Bundesbeschluss über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern

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Auswirkungen 7.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund 7.1.1 Finanzielle Auswirkungen 7.1.2 Personelle Auswirkungen 7.2 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden 7.2.1 Finanzielle Auswirkungen 7.2.2 Personelle Auswirkungen 7.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 7.3.1 Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit der Eltern 7.3.2 Auswirkungen auf das Ausbildungsniveau der Kinder 7.3.3 Auswirkungen der zusätzlichen Förderinstrumente auf die öffentlichen Finanzen 7.3.4 Auswirkungen auf die Unternehmen 7.3.5 Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft 7.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft

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Rechtliche Aspekte 8.1 Verfassungsmässigkeit 8.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 8.2.1 EU-Recht 8.2.2 Weitere internationale Verpflichtungen 8.3 Erlassform 8.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 8.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 8.6 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes 8.7 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 8.8 Datenschutz

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Bundesgesetz über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern (UKibeG) (Entwurf) BBl 2023 596 Bundesbeschluss über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern (Entwurf) BBl 2023 597

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Der vorliegende Bericht geht auf die von der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) eingereichte parlamentarische Initiative 21.403 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» zurück.

An ihrer Sitzung vom 18. Februar 2021 beschloss die WBK-N mit 15 zu 9 Stimmen, eine parlamentarische Initiative einzureichen mit dem Ziel, das bestehende Impulsprogramm zur Förderung der Schaffung familienergänzender Betreuungsplätze durch eine stetige Unterstützung abzulösen. Am 29. März 2021 befasste sich auch die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) mit der Initiative ihrer Schwesterkommission und beschloss mit 7 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen, ihr Folge zu geben.

An ihren Sitzungen vom 16. April und 27. Mai 2021 beschloss die WBK-N, eine Subkommission mit 11 Mitgliedern einzusetzen, um einen Gesetzesentwurf zur Konkretisierung des Initiativanliegens auszuarbeiten. An ihrer Sitzung vom 12. August 2021 präsentierte die Verwaltung der Subkommission die Funktionsweise und den Stand der Umsetzung des heutigen Impulsprogramms. Die Subkommission führte eine Anhörung mit Vertreterinnen und Vertretern der Kantone und Gemeinden sowie der betroffenen Kreise über die angestrebte dauerhafte Unterstützung des Bundes im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung durch. Nach der Anhörung beschloss die Kommission einstimmig, die Verwaltung mit der Erarbeitung verschiedener Vorschläge zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative 21.403 zu beauftragen.

An der Sitzung der Subkommission vom 23. September 2021 stellte die Verwaltung der Kommission verschiedene Vorschläge zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative vor. Diese zielten auf die Schliessung der Lücken im Betreuungsangebot, die bessere Abstimmung des Angebots auf die Bedürfnisse der Eltern, die Senkung der Betreuungskosten der Eltern und die Verbesserung der Qualität der Betreuung ab. Am 19. November 2021 fällte die Subkommission den Grundsatzentscheid, die Förderinstrumente, die gegenwärtig in Kraft sind, nicht weiterzuverfolgen. Sie stimmte jedoch einstimmig dem Vorschlag zu, diese so lange zu verlängern, bis der Entwurf mit den neuen Unterstützungsmassnahmen ausgearbeitet ist. Ebenfalls einstimmig verabschiedet wurde der Antrag, einen Vorentwurf eines Gesetzes für die
Gewährung von Finanzhilfen an die Kantone auf der Basis von Programmvereinbarungen auszuarbeiten, um bestehende Angebotslücken zu schliessen. Weitere Anträge für Pauschalbeiträge zur Senkung der Kosten der Eltern und Beiträge an die Kantone auf der Basis von Programmvereinbarungen zur Verbesserung der Qualität in der familienergänzenden Kinderbetreuung wurden mit 7 zu 3 Stimmen angenommen. Hinsichtlich der Pauschalbeiträge für die Senkung der Betreuungskosten der Eltern unterstützte die Subkommission den Grundsatz, dass die Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Bundesbeitrag haben sollen und der Vollzug dieser Massnahme den Kantonen übertragen werden soll.

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An ihrer Sitzung vom 2. Dezember 2021 beschloss die Subkommission mit 6 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung, die Verwaltung zu beauftragen, eine Bestimmung zur Einführung einer nationalen Statistik in den Vorentwurf aufzunehmen. Mit 7 zu 2 Stimmen wurde zudem beschlossen, die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) sowie den Schweizerischen Städteverband und den Schweizerischen Gemeindeverband in das Projekt einzubeziehen und regelmässig zu konsultieren.

Die WBK-N beschloss an ihrer Sitzung vom 27. Januar 2022 mit 19 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltungen, eine Kommissionsinitiative zur Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung einzureichen. Gemäss dieser parlamentarischen Initiative wird das laufende Impulsprogramm mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes, das derzeit im Rahmen der parlamentarischen Initiative 21.403 ausgearbeitet wird, respektive spätestens am 31. Dezember 2024 hinfällig.

An ihrer Sitzung vom 11. Februar 2022 nahm die Subkommission den Vorentwurf für die Umsetzung der pa. Iv. 21.403 sowie die entsprechenden Kostenschätzungen zur Kenntnis. Die Subkommission nahm einstimmig einen Antrag an, ein zusätzliches Modell zur Senkung der Betreuungskosten der Eltern zu prüfen. Dasselbe gilt für den Antrag, zwischen Kostenschätzungen im Vorschul- und im Schulbereich zu unterscheiden.

An ihrer Sitzung vom 3. März 2022 gab die WBK-S mit 10 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen der parlamentarischen Initiative «Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung bis Ende des Jahres 2024» (22.403) der WBK-N Folge.

An ihrer Sitzung vom 10. März 2022 nahm die Subkommission den Vorentwurf und die in der vorangegangenen Sitzung verlangten Ergänzungen zur Kenntnis. Mit 8 zu 3 Stimmen entschied sie, auf den Vorentwurf einzutreten. In der Diskussion der einzelnen Artikel wurden verschiedene Themen behandelt. Was den Gegenstand und den Geltungsbereich des Vorentwurfs anbelangt, so entschied die Subkommission mit 8 zu 3 Stimmen, die Bestimmungen zur Politik der frühen Kindheit und jene zur Qualität der frühen Förderung beizubehalten. Sie lehnte zudem mit 8 zu 3 Stimmen einen Antrag ab, der den Geltungsbereich des Vorentwurfs auf den Vorschulbereich beschränken
wollte. Zur Senkung der Betreuungskosten der Eltern mittels eines Bundesbeitrags präsentierte die Verwaltung drei Varianten für die Bemessung dieses Beitrags. Die Variante a orientierte sich an der den Eltern verrechneten Betreuungszeit.

Der Beitrag hätte einen fixen Betrag pro Stunde, während der das Kind institutionell betreut wird, bspw. einen Franken pro Stunde, vorgesehen. Die Höhe des Beitrags hätte sich nach der den Eltern verrechneten familienergänzenden Betreuungszeit gerichtet. Es wäre die Aufgabe der Anbieter gewesen, dem Kanton anzugeben, wer sein Kind wie lange institutionell betreuen lässt. Die zweite Variante (Variante b) hätte auf den durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes in der Schweiz basiert. Der Bundesbeitrag hätte 10 Prozent (oder 20 Prozent) dieser Kosten gedeckt. Der Bundesrat hätte zu diesem Zweck regelmässig die durchschnittlichen Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung in der Schweiz erheben müssen.

Der Anspruch wäre nach der den Eltern verrechneten Betreuungszeit berechnet worden. Diese Kosten hätten sich je nach Art der institutionellen Betreuung unterscheiden 9 / 76

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können. Bei der dritten Variante (Variante c) hätte der Bundesbeitrag wie bei der Variante b 10 Prozent (oder 20 Prozent) der Kosten der familienergänzenden Kinderbetreuung entsprochen. Die Berechnungsbasis wären hingegen nicht die durchschnittlichen Kosten gewesen, sondern der jeweilige Maximaltarif eines familienergänzenden Betreuungsplatzes in einer bestimmten Einrichtung, und zwar vor dem Abzug allfälliger Subventionen des Kantons, der Gemeinden oder Dritter. Ausserdem wurde eine zusätzliche Variante (Variante d) geprüft. Sie basierte auf demselben Modell wie die Variante b, aber in Verbindung mit einem Bonus-Malus-System. Das Ziel dieses Antrags war, einen Anreiz für die Kantone zu schaffen, damit sich diese für die Senkung der hohen Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung engagieren.

Die Subkommission nahm diese unterschiedlichen Varianten zur Kenntnis und entschied mit 7 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen, die Variante a nicht weiterzuverfolgen.

Ebenso sprach sie sich mit 8 zu 3 Stimmen gegen die Variante c aus. Die Subkommission gab fortan der Variante b den Vorzug. Gleichwohl entschied sie einstimmig, die Verwaltung mit der Ausarbeitung eines zusätzlichen Modells für die Senkung der Betreuungskosten der Eltern zu beauftragen, und zwar auf der Basis des Bonus-Malus-Systems (Variante d), um diese mit der Variante b vergleichen zu können.

Schliesslich erteilte die Subkommission der Verwaltung einstimmig den Auftrag, einen Vorschlag zu erarbeiten, wie die Integration von Kindern mit Behinderungen im Rahmen der Programmvereinbarungen berücksichtigt werden kann.

An der Sitzung vom 31. März 2022 nahm die Subkommission von der neuen Variante, basierend auf einem Bonus-System, Kenntnis. Diese Variante nahm die Subkommission einstimmig an. Im Weiteren präsentierte die Verwaltung der Subkommission Änderungen technischer Natur, insbesondere hinsichtlich eines möglichen Exports der Bundesbeiträge an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung in die EU- und EFTA-Mitgliedstaaten. Ein Antrag, der den Einschluss von Kindern mit Behinderungen im Vorschulalter im Vorentwurf verlangte, wurde einstimmig angenommen. Die Subkommission nahm den Vorentwurf in der Gesamtabstimmung mit 7 zu 3 Stimmen an. Schliesslich wurde ein Antrag, den finanziellen Rahmen für die
Programmvereinbarungen auf 40 Millionen Franken pro Jahr (Verpflichtungskredit) festzulegen, einstimmig angenommen.

Die WBK-N beriet die von der Subkommission ausgearbeitete Vorlage an ihrer Sitzung vom 28. April 2022 und nahm den Vorentwurf in der Gesamtabstimmung mit 18 zu 7 Stimmen an. Der Bundesbeschluss wurde mit 17 zu 7 Stimmen gutgeheissen.

Die WBK-N eröffnete am 17. Mai 2022 das Vernehmlassungsverfahren. Die Vernehmlassung dauerte bis zum 7. September 2022 (vgl. Ziff. 4).

An der Sitzung der WBK-N vom 27. Oktober 2022 gab die Verwaltung der Kommission einen ersten Überblick über die Ergebnisse der Vernehmlassung (vgl. Ziff. 4).

Die Verwaltung informierte die Kommission im Weiteren darüber, dass sie zwei Mandate zur Klärung von Umsetzungsfragen in Auftrag gegeben hatte. Die Kommission erteilte der Verwaltung drei Aufträge: (1) die Unterbreitung von konkreten Vorschlägen, um dem Thema der Qualität in der Vorlage mehr Gewicht zu verleihen, (2) die Prüfung von weiteren Anreizsystemen, um das finanzielle Engagement der Kantone in der familienergänzenden Kinderbetreuung zu fördern sowie (3) die Prüfung der Formulierung von fünf Gesetzesbestimmungen (gesetzestechnische Anpassungen).

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An der Sitzung vom 17. November 2022 nahm die WBK-N die Ergebnisse der Vernehmlassung zu ihrer Vorlage zur Kenntnis (vgl. Ziff. 4). Auf dieser Grundlage begann sie mit der erneuten Beratung des Gesetzesentwurfs. Die Kommission beschloss mit 17 zu 8 Stimmen, auf die Vorlage einzutreten. Sie entschied, anstelle des Sockelund Zusatzbeitrages (Bonus-System mit Schwellenwerten) einen Bundesbeitrag in der Höhe von maximal 20 Prozent der Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes vorzusehen. Der Bundesbeitrag kann in Abhängigkeit des finanziellen Engagements eines Kantons über die Zeit linear gekürzt werden, und zwar höchstens bis zu einer unteren Grenze von 10 Prozent der Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes (vgl. Ziff. 5.3.1). Die WBK-N entschied des Weiteren, den Entwurf des Bundesbeschlusses dahingehend anzupassen, dass für die Dauer von vier Jahren ab Inkrafttreten der Vorlage ein Verpflichtungskredit von höchstens 240 Millionen Franken bereitgestellt werden soll. Die in den Programmvereinbarungen vorgesehenen Massnahmen zur Verbesserung der pädagogischen und betrieblichen Qualität der familienergänzenden Kinderbetreuung sollen sich zudem an den gültigen Empfehlungen zur Qualität der familienergänzenden Kinderbetreuung der zuständigen interkantonalen Konferenzen orientieren. Schliesslich nahm die WBK-N einige gesetzestechnische Anpassungen vor.

An ihren Sitzungen im Dezember 2022 schloss die WBK-N die Beratung der Vorlage ab. Am 8. Dezember stimmte sie dem Gesetzesentwurf mit 17 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung zu. Gleichzeitig kam sie hinsichtlich der Programmvereinbarungen auf den Beschluss vom 17. November zurück und beschloss, dass die Verwaltungskosten für die Umsetzung des Gesetzes Teil des Verpflichtungskredits sein sollen. Nach einer finanztechnischen Bereinigung des Finanzierungsbeschlusses beschloss sie am 14. Dezember 2022, den Verpflichtungskredit um den vorgesehenen Personal- und Sachaufwand im Umfang von 16 Millionen auf 224 Millionen zu kürzen. Sie verabschiedete den Entwurf des Bundesbeschlusses mit 15 zu 8 Stimmen und beschloss gleichzeitig, die Vorlage ihrem Rat zu unterbreiten und den Bundesrat zur Stellungnahme einzuladen.

2

Ausgangslage

2.1

Kompetenzverteilung in der familienergänzenden Kinderbetreuung

Die schweizerische Familienpolitik basiert auf den Grundsätzen des Föderalismus und der Subsidiarität.

Im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung liegt die Zuständigkeit in erster Linie bei den Kantonen und Gemeinden. Artikel 116 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)1 beinhaltet eine Unterstützungskompetenz des Bundes.

Gemäss der geltenden Kompetenzordnung nach Artikel 116 Absatz 1 BV wird der Bund soweit ermächtigt, gesetzgeberisch tätig zu werden, als dass er damit Massnahmen Dritter (Kantone, Gemeinden, private Organisationen) zur Förderung der Familie 1

SR 101

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unterstützt. Der Bund kann seine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung nebst Artikel 116 BV auch auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a BV (Schutz der Arbeitnehmenden) und Artikel 8 Absatz 3 BV (Gleichstellung von Frau und Mann) stützen.2 Für die Bewilligung, Aufsicht und Reglementierung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung sind die Kantone zuständig. Sie können diese Aufgaben aber auch an die Gemeinden delegieren. In den Kantonen AG, LU, OW, ZG und ZH sind die Gemeinden für die Bewilligung und Aufsicht zuständig. Der Kanton ZG delegiert die Bewilligung und die Aufsicht an die Gemeinden, behält aber die Oberaufsicht. Im Kanton VS kann die Aufsichtskompetenz an die Gemeinden weitergegeben werden. Die Kantone LU und AG sind die einzigen Kantone, die die Reglementierung den Gemeinden überlassen.3 Gestützt auf Artikel 316 Absatz 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB)4 regelt der Bund in der Verordnung über die Aufnahme von Pflegekindern vom 19. Oktober 19775 (Pflegekinderverordnung, PAVO) die Grundsätze der Bewilligungspflicht, der Bewilligungsvoraussetzungen sowie die Aufsicht.

Die Kantone sind für den Vollzug der Verordnung zuständig und können Bestimmungen erlassen, die über die Verordnung hinausgehen. Die meisten Kantone haben entsprechende kantonale Rechtsgrundlagen geschaffen, die auch die Qualitätsanforderungen regeln.

Betreffend die Arbeitsbedingungen von Mitarbeitenden in familienergänzenden Betreuungseinrichtungen finden die arbeitsrechtlichen Vorgaben gemäss Bundesrecht (Obligationenrecht6, Arbeitsgesetz7, etc.) und gemäss kantonalen Gesetzen Anwendung.

Die Subventionierung der Kosten der familienergänzenden Kinderbetreuung ist Sache der Kantone und Gemeinden.

Gestützt auf Artikel 116 Absatz 1 BV8 ist das Bundesgesetz vom 4. Oktober 20029 über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (KBFHG) geschaffen worden (vgl. Ziff. 2.3). Dabei handelt es sich um ein zeitlich befristetes Impulsprogramm zur Förderung eines bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangebots, mit dem Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu verbessern. Es wird ­ wie in der vorliegenden parlamentarischen Initiative der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) ­ auch als «Anstossfinanzierung» bezeichnet.

2

3

4 5 6 7 8 9

Die Zuständigkeiten des Bundes im Bereich familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung, Rechtsgutachten im Auftrag der Jacobs Foundation, Mahon und Huruy, Januar 2021 und Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz vom 25. Oktober 2001, VPB 66.1.

Ecoplan (2020): Überblick zur Situation der familienergänzenden Betreuung in den Kantonen. Qualitätsvorgaben, Finanzierungssysteme und Angebotsübersicht. Zuhanden der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), Bern: 2020, I-II.

SR 210 SR 211.222.338 SR 220 SR 822.11 SR 101 SR 861

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Die WBK-N verlangt mit ihrer parlamentarischen Initiative 21.403 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» vom 18. Februar 2021, dass die zeitlich befristete Anstossfinanzierung abgelöst und in eine stetige Unterstützung überführt wird, welche eine massgebliche Vergünstigung der Elternbeiträge und eine Verbesserung der frühkindlichen Bildung bewirkt, mit dem Ziel, die Entwicklungschancen der Kinder zu erhöhen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Die neue Regelung soll das Subsidiaritätsprinzip wahren und den individuellen Familienmodellen weiterhin Rechnung tragen.

2.2

Kompetenzverteilung in der Politik der frühen Kindheit

Artikel 67 Absatz 2 BV gibt dem Bund die Kompetenz, in Ergänzung zu kantonalen Massnahmen die ausserschulische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu unterstützen. Es handelt sich hierbei um eine parallele und subsidiäre Kompetenz des Bundes.

Die Kinder- und Jugendpolitik in der Schweiz ist geprägt durch die föderale Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden. Sie ist zudem eng verbunden mit der Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen und privater Initiativen.

Die Politik der frühen Kindheit ist ein spezifischer Teil der Kinder- und Jugendpolitik.

Sie verfolgt das Ziel, Kindern im Vorschulalter eine möglichst sichere, gesunde und chancengerechte Entwicklung zu ermöglichen. Die Zuständigkeit zur Bereitstellung und Finanzierung von Angeboten im Bereich der Politik der frühen Kindheit liegt in den meisten Kantonen in erster Linie bei den Städten und Gemeinden.

Die familienergänzende Kinderbetreuung ist Teil des Leistungskatalogs10 einer ganzheitlichen Politik der frühen Kindheit, da in diesem Rahmen die Kinder nicht nur betreut, sondern auch in ihrer sozialen, emotionalen, kognitiven, körperlichen und psychischen Entwicklung unterstützt werden, sofern das Betreuungsangebot qualitativ hochwertig ist. Der Katalog beinhaltet jedoch weitere Leistungen wie beispielsweise Angebote zur Beratung von Eltern sowie zur frühen Sprach- und Gesundheitsförderung. Zu den Unterstützungsangeboten bei besonderen Herausforderungen zählen die heilpädagogische Früherziehung, die Kinderspitex oder die Familienbegleitung.

Diese Angebote tragen wesentlich zur Förderung der Chancengerechtigkeit bei, da die Basis für die spätere Entwicklung der Kinder bereits in der frühen Kindheit gelegt wird.

10

Bundesrat (2021): Politik der frühen Kindheit. Auslegeordnung und Entwicklungsmöglichkeiten auf Bundesebene. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 19.3417 der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates vom 12. April 2019 und 19.3262 Gugger vom 21. März 2019. Kann abgerufen werden unter: https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2019/20193417/Bericht%20BR%20D.pdf, 24ff.

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2.3

Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung

Das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung ist seit dem 1. Februar 2003 in Kraft. Der Bund will mit diesem befristeten Impulsprogramm eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung erreichen. Zu diesem Zweck gewährt er Finanzhilfen für die Schaffung eines bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangebots in der Schweiz. Das Impulsprogram war ursprünglich auf acht Jahre befristet und wurde seither mehrmals verlängert.

Am 30. September 2022 haben die Eidg. Räte der Verlängerung des KBFHG bis Ende 2024 zugestimmt.11 Mittels Finanzhilfen für die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen kann der Bund den Ausbau von Betreuungsplätzen in Kindertagesstätten und Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung von Kindern fördern. Zudem kann der Bund Strukturen für die Koordination der Betreuung in Tagesfamilien (z. B. Tageselternvereine) und Projekte mit Innovationscharakter mit Finanzhilfen unterstützen.

Bis zum 1. Februar 2022 wurde die Schaffung von 68 490 Plätzen unterstützt, davon 40 185 in Kindertagesstätten und 28 305 in schulergänzenden Einrichtungen. Bislang ist der Bund hierfür Verpflichtungen von insgesamt 430 Millionen Franken eingegangen.12 Weitere Gesuche im Umfang von rund 30 Millionen Franken wurden eingereicht und werden zurzeit geprüft.

Die neu geschaffenen Betreuungsplätze sind nachhaltig: 96 Prozent der Kindertagesstätten und 94 Prozent der schulergänzenden Angebote wurden auch nach dem Auslaufen der Finanzhilfen des Bundes weitergeführt. Ebenso mussten die wenigsten Anbieter nach dem Wegfall der Finanzhilfen ihr Angebot reduzieren.13 Das erweiterte Bereuungsangebot ermöglicht es vielen Eltern, ihre Erwerbsbeteiligung zu erhöhen.

In einer Befragung von Eltern, die ihr Kind in einer durch den Bund finanziell unterstützten Einrichtung betreuen liessen, gaben 21 Prozent der befragten Eltern mit Kindern in Kindertagesstätten und 33 Prozent mit Kindern in schulergänzenden Angeboten an, dass sie dank dem Vorhandensein eines Betreuungsplatzes eine neue Erwerbstätigkeit aufnehmen respektive die bereits bestehende Erwerbstätigkeit ausbauen konnten.14 11 12

13

14

BBl 2022 2404 Bundesamt für Sozialversicherungen (2022): Finanzhilfen für die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen für Kinder: Bilanz nach neunzehn Jahren (Stand 31. Januar 2022), Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen, 7. Kann abgerufen werden unter: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/finanzhilfen/kinderbetreuung/ publikationen/archiv-bilanzen.html.

Ecoplan (2017): Evaluation «Anstossfinanzierung». Nachhaltigkeit der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung. Forschungsbericht Nr. 13/17, Bern: Bundesamt für Sozialversicherunge. Kann abgerufen werden unter: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/finanzhilfen/kinderbetreuung/publikationen/ evaluationen.html, 61.

Ecoplan (2013): Evaluation «Anstossfinanzierung». Nachhaltigkeit der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung. Forschungsbericht Nr. 15/13, Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen, Kann abgerufen werden unter: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/ finanzhilfen/kinderbetreuung/publikationen/evaluationen.html, 100.

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Auf Antrag des Bundesrates wurde die Anstossfinanzierung per 1. Juli 2018 erweitert mit dem Ziel, die Betreuungskosten der Eltern zu senken und das Betreuungsangebot besser auf die Bedürfnisse erwerbstätiger Eltern abzustimmen. Zu diesem Zweck wurden zwei zusätzliche Förderinstrumente eingeführt. Zum einen unterstützt der Bund Kantone und Gemeinden, die ihre Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuung ausbauen, um die Betreuungskosten der Eltern zu senken. Die Finanzhilfen werden ausschliesslich den Kantonen gewährt. Sie können einmalig ein Gesuch um finanzielle Unterstützung stellen. Je stärker in einem Kanton die kantonalen und kommunalen Subventionen erhöht werden, desto höher fällt der Betrag des Bundes aus.

Zum anderen kann der Bund einen Beitrag an die Planungskosten von Projekten leisten, die das Betreuungsangebot besser auf die Bedürfnisse der Eltern abstimmen.

Dazu zählen z. B. Projekte, welche das Betreuungsangebot ausserhalb der üblichen Öffnungszeiten massgeblich verbessern oder Projekte, die ganztägige und gemeinsam mit der Schule organisierte Betreuungsangebote für Schulkinder bereitstellen. Diese Projektfinanzhilfe kann sowohl Kantonen als auch Gemeinden sowie juristischen und natürlichen Personen gewährt werden, die ein Gesuch um finanzielle Unterstützung stellen.

Auf Antrag des Bundesrates bewilligte das Parlament für diese zwei zusätzlichen Förderinstrumente einen Verpflichtungskredit von 96,8 Millionen Franken. Da sich aufgrund der eingegangenen und angekündigten Gesuche abgezeichnet hatte, dass der Kredit in dieser Höhe nicht ausreichen würde, erhöhte das Parlament den Kredit von ursprünglich 96,8 auf gegenwärtig 176,8 Millionen Franken. Bis zum 1. Februar 2022 reichten 14 Kantone ein Gesuch für eine Bundesbeteiligung an Subventionserhöhungen, mit denen Finanzhilfen in der Höhe von rund 146 Millionen Franken beantragt werden. Für Projekte zur besseren Abstimmung des Angebots auf die Bedürfnisse der Eltern wurden bisher 6 Gesuche im Umfang von insgesamt rund 2,2 Millionen Franken bewilligt.

Aus der Evaluation der Finanzhilfen für Subventionserhöhungen in Kantonen und Gemeinden15 geht hervor, dass es bei diesen neuen Finanzhilfen starke Mitnahmeeffekte gibt: In 12 von 14 Kantonen, die ein Gesuch um Finanzhilfen eingereicht haben, wären die Subventionen auch ohne
Finanzhilfen des Bundes erhöht worden. In 7 der 12 Kantone, in denen die Subventionserhöhungen auch ohne Finanzhilfen des Bundes erfolgt wären, wird den Bundesgeldern gleichwohl eine förderliche Wirkung bescheinigt: Die politische Akzeptanz der kantonalen Vorlage habe sich dank der Beteiligung des Bundes erhöht, der Gesetzgebungsprozess habe sich beschleunigt oder die Subventionserhöhungen seien dank der Finanzhilfen des Bundes höher ausgefallen als ursprünglich geplant. In der Tendenz erhöhen Kantone mit bereits höherem Finanzierungsgrad ihre Subventionen stärker als jene mit einem tieferen Finanzierungsgrad.

Mit den neuen Finanzhilfen bleiben folglich regionale Unterschiede bestehen bzw.

könnten sich sogar weiter verstärken. Der Anteil der Ausgaben für die familienergänzende Kinderbetreuung liegt in der Grossmehrheit der untersuchten Kantone auch 15

Vgl. INFRAS und evaluanda (2022): Evaluation Finanzhilfen für familienergänzende Betreuung: Wirkungen der Finanzhilfen für Subventionserhöhungen in Kantonen und Gemeinden. Forschungsbericht Nr. 8/22, Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen, Kann abgerufen werden unter: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/finanzhilfen/ kinderbetreuung/publikationen/evaluationen.html, 47­49.

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nach der Subventionserhöhung unter 0,1 Prozent des kantonalen BIP. Dieser Anteil ist im internationalen Vergleich nach wie vor tief: Die Länder der OECD gaben im Jahr 2016 allein für die Betreuung der 3-5-jährigen Kinder im Durchschnitt 0,6 Prozent des BIP aus.16 Es ist davon auszugehen, dass die Wirkungen der neuen Finanzhilfen in den einzelnen Kantonen und auch innerhalb eines Kantons unterschiedlich ausfallen. In einigen Gemeinden wurden die Eltern durch die Subventionserhöhungen spürbar entlastet. In anderen Kantonen und Gemeinden dienten die Subventionserhöhungen vor allem dazu, der erhöhten Nachfrage nach (subventionierten) Plätzen nachzukommen, ohne dass sich die Tarifstrukturen oder Subventionsbeiträge pro Betreuungseinheit merklich verändert haben. Im Zusammenspiel mit Tariferhöhungen der Betreuungseinrichtungen ist es möglich, dass die Drittbetreuungskosten der Eltern trotz einer Subventionserhöhung gleich hoch bleiben (die Subventionserhöhung kompensiert die Tariferhöhung) oder sogar steigen (die Tariferhöhung fällt höher aus als die Subventionserhöhung). Im Hinblick auf die künftige Ausgestaltung der Finanzhilfen haben sich die Kantone klar für einen grundlegenden Strategiewechsel im Sinne einer dauerhaften Unterstützung durch den Bund ausgesprochen. Die Autorinnen und Autoren der Evaluation sprechen sich in ihren Empfehlungen ebenfalls dagegen aus, die Finanzhilfen in der aktuellen Form weiterzuführen. Sie empfehlen, die Rolle des Bundes bei der Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung grundsätzlich zu überdenken und eine Überführung in eine permanente Bundesfinanzierung zu prüfen.

3

Handlungsbedarf

3.1

Handlungsbedarf in der familienergänzenden Kinderbetreuung

Im internationalen Vergleich schneidet die Schweiz bezüglich Zugang, Qualität und Bezahlbarkeit der familienergänzenden Betreuung von Vorschulkindern relativ schlecht ab. Dies geht aus einer aktuellen Studie hervor, in der 41 Länder miteinander verglichen wurden.17 Länder wie Luxemburg, Island, Schweden, Norwegen und Deutschland rangieren im internationalen Vergleich auf den vordersten Rängen. Die letzten Ränge belegen Australien, die Schweiz (Rang 38 von 41), Zypern, die USA und die Slowakei. In der Schweiz belief sich der Anteil der Kinder unter 3 Jahren, die 2019 ein institutionelles familienergänzendes Kinderbetreuungsangebot besucht haben, auf rund 34 Prozent. In Ländern wie Dänemark, den Niederlanden, Island oder Luxemburg waren es über 60 Prozent. Was die Bezahlbarkeit der Betreuungsangebote anbelangt, müssen die Eltern in keinem anderen Land einen so hohen Anteil ihres Verdienstes für die familienergänzende Kinderbetreuung aufbringen wie in der Schweiz. Erst mit dem Eintritt in den Kindergarten bzw. in die Eingangsstufe haben 16

17

OECD (2019): Education at a Glance 2019: OECD Indicators. OECD Publishing: Paris. Kann abgerufen werden unter: https://www.oecd-ilibrary.org/education/bildungauf-einen-blick-2019_ae29148c-de.

Gromada, Anna / Richardson, Dominic (2021): Where do rich countries stand on childcare? Florence: UNICEF. Kann abgerufen werden unter: https://www.unicef-irc.org/publications/?ThemeId=12235.

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Kinder in der Schweiz Zugang zu kostenloser frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung.

In der Schweiz besteht aus Sicht der WBK-N in der familienergänzenden Kinderbetreuung in vier Themenfeldern Handlungsbedarf: ­

Hohe Kosten der Eltern für die institutionelle Kinderbetreuung

­

Angebotslücken in der familienergänzenden Kinderbetreuung

­

Fehlende Abstimmung des familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots auf die Bedürfnisse der Eltern

­

Mangelhafte Qualität in der institutionellen Kinderbetreuung

3.1.1

Hohe Kosten der Eltern für die institutionelle Kinderbetreuung

In der Schweiz unterscheiden sich die Kosten der Eltern für die institutionelle Kinderbetreuung je nach Angebot, Gemeinde und Kanton beträchtlich. Diese Unterschiede sind auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Die Anbieter sind i.d.R. frei in der Tarifgestaltung. Die Ausgestaltung der Minimal- und Maximaltarife variiert dementsprechend stark.18 Dort, wo zusätzlich zu den Gemeinden auch die Kantone das familienergänzende Kinderbetreuungsangebot mitfinanzieren, sind die Elterntarife in der Regel tiefer. Ausserdem sorgt auch die grosse Spannweite des von den Kantonen gewährten Steuerabzugs für die Kinderdrittbetreuungskosten für relevante Unterschiede. Schliesslich beteiligen sich in einigen Kantonen zusätzlich die Arbeitgeber an der Finanzierung des familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots (TI, GE, NE, FR, VD).19 Trotz dieser Unterschiede sind die Kinderbetreuungskosten der Eltern in der Schweiz im Durchschnitt wesentlich höher als im benachbarten Ausland. Die finanzielle Belastung der Eltern mit Kleinkindern ist in der Schweiz zwei- bis dreimal so hoch wie in den Nachbarländern. Dies liegt insbesondere daran, dass der Finanzierungsanteil der öffentlichen Hand in der Schweiz im Vergleich mit dem Ausland markant tiefer ist.20 Durchschnittlich lag der Vollkostensatz für einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte in der Deutschschweiz im Jahr 2016 bei 110 Franken pro Tag und Kind, wobei dieser stark von regionalen Gegebenheiten (Löhne, Mieten, weitere Kosten)

18

19 20

Ecoplan 2020: 4; Stern, Susanne / Ostrowski, Gaspard et al. (2021): Finanzierung der institutionellen Kinderbetreuung und Elterntarife, Zürich / Genf: INFRAS AG und Evaluanda AG, 56-57. Kann abgerufen werden unter: https://www.infras.ch/ media/filer_public/95/62/9562da4e-f8a8-4b56-9a4b-3c2b41683a36/studie_infras_ finanzierung_institutionelle_kinderbetr_u_elterntarife_de_210831.pdf.

Stern/Ostrowski: 15.

Bundesrat (2015): Vollkosten und Finanzierung von Krippenplätzen im Ländervergleich.

Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 13.3259 Christine Bulliard-Marbach «Krippen vergünstigen und den Sektor dynamisieren» vom 22. März 2013, 8. Kann abgerufen werden unter: https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2013/20133259/ Bericht%20BR%20D.pdf.

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abhängig ist und dementsprechend sehr unterschiedlich ausfällt.21 Er liegt damit nicht höher als im Ausland.22 Verschiedene Studien zeigen, dass die hohen Betreuungskosten der Eltern eines der grössten Hindernisse für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind und für viele Familien daraus sogar negative Erwerbsanreize resultieren.23 Gemäss einer aktuellen Studie ist davon auszugehen, dass diese für rund 11 Prozent der Eltern einen AbhalteEffekt zur Folge haben.24 Eine Elternbefragung aus dem Jahr 2017 zeigt, dass ein relevanter Teil der Eltern trotz familienergänzendem Betreuungsbedarf auf die Betreuung verzichtet, weil diese als zu teuer beurteilt wird: Im Vorschulbereich belief sich dieser Anteil auf 43 Prozent, im schulergänzenden Bereich auf 25 Prozent.25 Obwohl viele Studien zeigen, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien am meisten von institutioneller Kinderbetreuung profitieren würden und sich diese positiv auf deren Bildungschancen auswirkt, nutzen sie das Kinderbetreuungsangebot vergleichsweise selten. Die hohen Betreuungskosten der Eltern sind dabei das grösste Nutzungshemmnis. Laut einer Befragung befinden sich sozial benachteiligte Familien häufig in einem Teufelskreis: Die Familien finden keinen bezahlbaren Betreuungsplatz. Insbesondere die Mütter haben dadurch keine Möglichkeit, ihre Qualifikationen zu verbessern, eine Weiterbildung zu machen oder einer regelmässigen Arbeit nachzugehen. Somit haben sie keine Chance auf ein gesichertes Einkommen, das es ihnen wiederum erlauben würde, einen Betreuungsplatz zu bezahlen.26 Vor allem in Einelternhaushalten kann der betreuende Elternteil (meistens die Mutter) oft nur eine eingeschränkte Erwerbstätigkeit ausüben. Dies ist einer der Gründe, weshalb Personen in Einelternhaushalten besonders häufig auf Sozialhilfe angewiesen sind.27

21

22 23

24 25

26 27

kibesuisse (2020): Positionspapier zur Finanzierung pädagogischer Qualität in Kindertagesstätten, Zürich: kibesuisse, 5. Kann abgerufen werden unter: https://www.kibesuisse.ch/fileadmin/Dateiablage/kibesuisse_Publikationen_ Deutsch/2020_kibesuisse_Positionspapier_Qualitaet_Finanzierung.pdf; vgl. auch Credit Suisse (2021): So viel kostet ein Kitaplatz in der Schweiz. Kinderbetreuungskosten im regionalen Vergleich, 4. Kann abgerufen werden unter: https://www.credit-suisse.com/about-us-news/de/articles/media-releases/childcaregenerally-cheapest-in-geneva-and-neuchatel-202105.tag*article-topic--media-release--research.html.

Bundesrat (2015): 8.

Stern, Susanne et al. (2018): Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit: Was sich Eltern wünschen, Zürich: INFRAS, 60. Kann abgerufen werden unter: https://www.infras.ch/media/filer_public/c5/3d/c53dbe39-73db-497d-b675775024a43aca/schlussbericht_infras_gfs_bern_kinderbetreuung_und_ erwerbstatigkeit_def.pdf.

Credit Suisse (2021): 3.

Bieri, Oliver / Ramsden, Alma / Felfe, Christina (2017): Evaluation «Anstossfinanzierung». Entspricht das bestehende Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung der Nachfrage?, Forschungsbericht 14/17, Luzern und St. Gallen: Interface und Institut für Empirische Wirtschaftsforschung (SEW), 83. Kann abgerufen werden unter: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/finanzhilfen/kinderbetreuung/publikationen/ evaluationen.html.

Stern, Susanne et al. (2018): 8.

Bundesamt für Statistik (2021): Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2021, Neuenburg: Bundesamt für Statistik, 51. Kann abgerufen werden unter: https://dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/17084546/master.

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3.1.2

Angebotslücken in der familienergänzenden Kinderbetreuung

Aktuell existieren rund 3200 Einrichtungen mit durchschnittlich je rund 31,4 Betreuungsplätzen, d.h. es werden rund 100 000 Plätze für Kinder im Vorschulalter angeboten. Unter der Annahme, dass ein Kind in der Regel einen halben Platz belegt, können in den bestehenden Einrichtungen bis zu 200 000 Kinder betreut werden. Fast die Hälfte der bestehenden Einrichtungen liegen in den Kantonen ZH (ca. 700) und VD (755) mit den beiden grossen Agglomerationen um die Städte Zürich und Lausanne.28 Die Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule vom 14. Juni 2007 (HarmoS-Konkordat) verpflichtet die Kantone, Tagesschulangebote anzubieten.

Das Konkordat hält in Artikel 11 fest, dass ein bedarfsgerechtes Angebot für die Betreuung von Schülerinnen und Schülern ausserhalb der Unterrichtszeit (Tagesstruktur) besteht und der Unterricht vorzugsweise in Blockzeiten zu organisieren ist. Nach Auffassung der EDK macht das HarmoS-Konkordat keine direkten Vorgaben und gibt kein gesamtschweizerisches Modell vor. Die 15 beigetretenen Kantone verpflichten sich aber, dem Bedarf vor Ort entsprechende Tagesstrukturen anzubieten. Es sollen unterschiedliche Angebote möglich sein, die dem Bedarf und der Situation vor Ort entsprechen. Jene Kantone, die dem HarmoS-Konkordat nicht beigetreten sind, haben teilweise eigene gesetzliche Rahmenbedingungen zu schulergänzenden Betreuungsangeboten geschaffen.29 Die Organisationsformen der schulergänzenden Kinderbetreuung sind in der Schweiz äusserst vielfältig, was sich auch in der heterogenen Begrifflichkeit spiegelt.30 Im Jahr 2015 war knapp die Hälfte aller schulergänzenden Betreuungsplätze in Kernstädten zu finden. Agglomerationsgemeinden stellten weitere 44 Prozent des Angebots bereit. In ländlichen Gemeinden wurden mit 8 Prozent am wenigsten Plätze angeboten.31 Die Mittagsbetreuung ist das am häufigsten genutzte Angebot in der Schweiz.

Je jünger die Kinder, desto mehr Betreuungsmodule nehmen die Eltern in Anspruch.

Viele Eltern ­ vor allem Mütter ­ würden ihre Erwerbstätigkeit gerne ausweiten und wünschen sich daher einen Ausbau der schulergänzenden Betreuungsangebote. Eine Elternbefragung des Kantons Neuenburgs hat jüngst ergeben, dass Eltern bei Schuleintritt ihres Kindes häufiger unfreiwillig ihr Pensum reduzieren als bei dessen Geburt.32

28 29

30 31

32

Ecoplan (2020): 5.

Städteinitiative Bildung (2021): Ganztägige Bildung und Betreuung in Schweizer Städten.

Modelle, Erfahrungen, Empfehlungen. Themenpapier der Städteinitiative Bildung, Winterthur: Städteinitiative Bildung, 7. Kann abgerufen werden unter: https://staedteverband.ch/cmsfiles/themenpapier%202021%20d.pdf?v=20220301163610.

Städteinitiative Bildung 2021: 7.

Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen EKFF (2015): Schulergänzende Betreuung aus Eltern- und Kindersicht. Forschungsbericht, Bern: Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen EKFF, 12. Kann abgerufen werden unter: https://ekff.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekff/05dokumentation/d_15_ Forschungsbericht_SEB.pdf.

Städteinitiative Bildung (2021): 7.

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In der Schweiz besucht gut ein Drittel der Kinder unter drei Jahren ein institutionelles Kinderbetreuungsangebot. Im internationalen Vergleich entspricht dies dem europäischen Durchschnitt von 35 Prozent. Allerdings ist die Betreuungsdauer in der Schweiz deutlich geringer als in der Europäischen Union (EU). Der Anteil der unter 3-jährigen Kinder, die 30 Stunden oder mehr pro Woche institutionell betreut werden, beläuft sich in der Schweiz auf 6 Prozent im Vergleich zu durchschnittlich 19 Prozent in der EU.33 Bei der Beurteilung der Wirkung der familienergänzenden Betreuung auf Kinder spielt der Betreuungsumfang eine wesentliche Rolle: Die Forschung hat vor allem dann positive Auswirkungen festgestellt, wenn Kinder zwei bis drei Tage pro Woche von familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten profitieren können. Die Analysen von Längsschnittstudien weisen auf einen grundsätzlich positiven Zusammenhang zwischen dem Besuch einer Kindertagesstätte, den Schulleistungen und der Bildungsentwicklung von Kindern hin. Die frühkindliche Sprachförderung erweist sich als sehr wichtig für die kognitive und sprachliche Entwicklung von Kindern.34 Trotz der langjährigen Bundesbeteiligung an der Schaffung neuer Betreuungsplätze bestehen aus Sicht der WBK-N nach wie vor Angebotslücken. Besonders ausgeprägt ist der Mangel in den Agglomerationen sowie in ländlichen Gebieten. Die Evaluationen zum Impulsprogramm des Bundes zeigen, dass das bestehende Angebot an familienergänzenden Betreuungsplätzen die aktuelle Nachfrage nach wie vor nicht zu decken vermag. Rund 20 Prozent der Kinder im Vorschulalter sowie 18 Prozent der Kinder im Schulalter können trotz Bedarf der Eltern nicht im gewünschten Umfang betreut werden.35 Mütter sind besonders häufig unterbeschäftigt: Sie sind teilzeiterwerbstätig, möchten mehr arbeiten und wären für ein höheres Erwerbspensum verfügbar. Der Anteil der unterbeschäftigten Mütter mit Partner an den Erwerbspersonen beläuft sich auf 14 Prozent (Väter mit Partnerin: 1,9 Prozent), jener der alleinlebenden unterbeschäftigten Mütter auf 17 Prozent. Gründe dafür könnten organisatorische Schwierigkeiten oder fehlende Kapazitäten für die Arbeitssuche sein.36

3.1.3

Fehlende Abstimmung des familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots auf die Bedürfnisse der Eltern

Die bestehenden institutionellen Betreuungsangebote entsprechen aus Sicht der WBK-N nach wie vor oftmals nicht genügend den Bedürfnissen erwerbstätiger Eltern.

Gerade Eltern, die am Abend oder Wochenende arbeiten (Gesundheitswesen, Verkauf, Polizei, Hotellerie, Gastronomie usw.) oder unregelmässige Arbeitszeiten haben (z. B. Arbeit auf Abruf, Schicht- und Wochenendarbeit), finden oft kein passendes Angebot.

33 34

35 36

Bundesamt für Statistik (2021): 88.

Balthasar, Andreas / Kaplan, Caroline (2019): Whitepaper zum Engagement in der frühen Kindheit: Fokus Kind, Luzern: Interface, 5ff. Kann abgerufen werden unter: https://www.interface-pol.ch/app/uploads/2021/05/Be_JF_Engagement_Fruehe_ Kindheit_d.pdf.

Bieri, Oliver / Ramsden, Alma / Felfe, Christina (2017): 83.

Bundesamt für Statistik (2021):27.

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Mit dem Schuleintritt der Kinder stehen die Eltern vor neuen Herausforderungen: Der Stundenplan deckt sich nicht mit einem normalen Arbeitstag, und die Schulferien sind wesentlich länger als der Ferienanspruch von Arbeitnehmenden. Das führt dazu, dass die Eltern während der Schulferien oft unterschiedliche Betreuungslösungen organisieren müssen, um weiter arbeiten zu können. Schulergänzende Betreuungseinrichtungen, Ferienlager oder andere Ferienaktivitäten können das Familienbudget erheblich belasten. Im Rahmen einer Umfrage bei Eltern aus dem Jahr 2017 bemängelte mehr als ein Drittel der Befragten (38,8 %) die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten während der Schulferien.37 Zwar fördert der Bund seit 2018 Projekte von Kantonen, Gemeinden, juristischen und natürlichen Personen, welche eine bedürfnisgerechtere Ausgestaltung der Betreuungsangebote zum Ziel haben. Der Bund subventioniert allerdings lediglich die Projektkosten zu 50 Prozent während dreier Jahre. Es hat sich gezeigt, dass die Kantone und Gemeinden von diesem Angebot nur wenig Gebrauch machen.

Kein adäquates Angebot für Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter In der Schweiz leben schätzungsweise 9000 Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter. Es ist davon auszugehen, dass etwa 3000 Kinder mit Behinderungen eine familienergänzende Kinderbetreuung in Anspruch nehmen würden, sofern diese verfügbar und bezahlbar wäre. Darunter sind 2250 Kinder mit leichten Behinderungen, die mit einem moderaten zusätzlichen Aufwand integriert werden könnten. Für die anderen 750 Kinder mit schweren Behinderungen wäre der Zusatzaufwand grösser.38 Aus Sicht der WBK-N ist das heutige Angebot an familienergänzender Betreuung für Kinder mit Behinderungen allerdings nicht ausreichend. Eltern von Kindern mit Behinderungen sind vielerorts auf sich allein gestellt. Sie sind von der Bereitschaft einer Kindertagesstätte abhängig, ihr Kind trotz mangelnder Ressourcen aufzunehmen. Für Kinder mit schweren Behinderungen ist der Besuch eines familienergänzenden Angebots in der Mehrheit der Kantone nicht möglich.39 Die Betreuung von Kindern mit Behinderungen erfordert einen höheren Personalbedarf. Es sind zusätzliche zeitliche Ressourcen für die Betreuung, die Pflege sowie die Koordination mit den Eltern, Therapeuten und Behörden erforderlich. Der Betreuungsaufwand hängt vom
Schweregrad der Behinderung ab.40 Die Personalkosten fallen entsprechend höher aus. Hinzu kommen Kosten für die Weiterbildung und die Löhne des zusätzlich qualifizierten Betreuungspersonals, Leistungen der Früherziehung, ggf. bauliche Massnahmen (Barrierefreiheit) und der Kauf von Hilfsmitteln.41 Eine deutliche Mehrheit der Gemeinwesen beteiligt sich nicht an den Mehrkosten für 37 38

39 40 41

Bieri, Oliver / Ramsden, Alma / Felfe, Christina (2017): 56.

Fischer, Alex / Häfliger, Miriam / Pestalozzi, Anna (2021): Procap 2021: Familienergänzende Betreuung für Kinder mit Behinderungen. Eine Analyse der Nachfrage, des Angebots und der Finanzierungsmechanismen ­ für Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter in der Schweiz. Ein Bericht von Procap Schweiz, Bereich Sozialpolitik, Olten: Procap Schweiz, 2. Kann abgerufen werden unter: https://www.procap.ch/fileadmin/ files/procap/Angebote/Beratung_Information/Politik/Downloads/KITA/20210629_Procap _Kitabericht_2_Auflage_DE_BF_Web.pdf.

Fischer, Alex / Häfliger, Miriam / Pestalozzi, Anna (2021): 38.

Fischer, Alex / Häfliger, Miriam / Pestalozzi, Anna (2021): 30f.

Fischer, Alex / Häfliger, Miriam / Pestalozzi, Anna (2021): 40.

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die familienergänzende Betreuung von Kindern mit schweren Behinderungen. Bei den Kindern mit leichten Behinderungen übernimmt ungefähr ein Drittel der Kantone die Kosten vollständig, ein Drittel beteiligt sich teilweise und ein weiteres Drittel gar nicht daran.42 Die Wahlfreiheit von Eltern, ihr Kind mit Behinderungen im Vorschulalter selber oder (teilweise) familienergänzend betreuen zu lassen, ist massgeblich vom Wohnort abhängig und dadurch stark eingeschränkt. Dies gilt insbesondere für Kinder mit einer schweren Behinderung.43

3.1.4

Mangelhafte Qualität in der institutionellen Kinderbetreuung

Die PAVO regelt hinsichtlich der institutionellen Kinderbetreuung in Grundzügen die Bewilligung und die Aufsicht der Kinderbetreuungsinstitutionen. Die Anforderungen für die Bewilligung sind sehr allgemein gehalten. Die Kantone können weitere Anforderungen und Regulierungen im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung vorsehen. Einige Kantone delegieren diese Kompetenzen teilweise oder vollständig an die Gemeinden. Ebenso unterscheidet sich die Aufsichtspraxis stark zwischen den Kantonen bzw. zwischen den Gemeinden. Die kantonalen Vorgaben betreffend die Qualität in der institutionellen Kinderbetreuung variieren insbesondere hinsichtlich der pädagogischen Konzepte, der Ausbildung des Betreuungspersonals und des Betreuungsschlüssels.44 Ein qualitativ gutes familienergänzendes Kinderangebot stellt nicht nur sicher, dass Eltern einer Erwerbstätigkeit oder Ausbildung nachgehen können, sondern leistet auch einen wesentlichen Beitrag an die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung. Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung unterstützt die soziale, emotionale, kognitive, körperliche und psychische Entwicklung von Kindern zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten.45 Die Qualität in der familienergänzenden Kinderbetreuung wird in der Schweiz nicht systematisch erfasst und analysiert. Betreffend die Qualifikation der Mitarbeitenden in Kindertagesstätten bestehen deutliche Unterschiede zwischen der Deutschschweiz und der Romandie. In der Deutschschweiz haben Mitarbeitende in Kindertagesstätten oftmals nur auf Leitungsstufe einen tertiären Abschluss, in der Romandie entspricht ein tertiärer Bildungsabschluss auch dem Standard auf Betreuungsstufe. Expertinnen und Experten der Deutschschweiz sind sich weitgehend einig, dass für Mitarbeitende in Kindertagesstätten mit einer sozialen oder pädagogischen Grundbildung 42 43 44 45

Fischer, Alex / Häfliger, Miriam / Pestalozzi, Anna (2021): 48.

Fischer, Alex / Häfliger, Miriam / Pestalozzi, Anna (2021): 57.

Bundesrat (2021): 35f.

Wustmann, Corina / Simoni, Heidi (2016): Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz. Nationales Referenzdokument für Qualität in der frühen Kindheit. Diskussions- und Reflexionsgrundlage für Praxis, Ausbildung, Wissenschaft, Politik und die interessierte Öffentlichkeit. 3., erweiterte Auflage, Zürich: Schweizerische UNESCO-Kommission und Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz, 24f. Kann abgerufen werden unter: https://www.unesco.ch/wp-content/ uploads/2017/03/FR%c3%9cHKINDLICHE-BILDUNG-2.pdf.

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ein zusätzlicher Qualifikationsbedarf besteht, wenn die Kindertagesstätten ihre Aufgaben im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung umfassend wahrnehmen sollen. Bei Fachfrauen und Fachmännern Betreuung werden Kompetenzlücken insbesondere in der Bildungsorientierung, der Sprachförderung, der Inklusion (Fachwissen zu interkultureller Pädagogik, Sensibilität für Fragen sozialer Benachteiligung, Umgang mit Diversität), der Stärkung von Erziehungskompetenzen der Eltern sowie der personalen Kompetenzen ausgemacht.46 Im Weiteren wird seit Längerem darauf hingewiesen, dass der Anteil der Mitarbeitenden ohne formale Ausbildung in vielen Kindertagesstätten zu gross ist. In den Institutionen, die mit Finanzhilfen des Bundes für die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen unterstützt werden, verfügen sowohl in Kindertagesstätten als auch in Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung jeweils 43 Prozent der angestellten Personen über (noch) keine Fachausbildung.47 Insbesondere die konsekutiven und langandauernden Praktika stellen ein Problem dar. Fast die Hälfte der Lernenden Fachperson Betreuung müssen ein oder mehrere Praktika absolvieren, bevor sie eine Lehrstelle erhalten.48 Zu den Tageseltern wird festgestellt, dass sie zwar über reiche praktische Erfahrungen verfügen, aber kaum über entsprechendes Fachwissen und theoretische Kenntnisse.49 Die Wirkung familienergänzender Kinderbetreuung hängt massgeblich von der Betreuungsqualität ab: Je höher die Qualität, desto besser. Dies gilt für die Förderung der Entwicklung von Kindern und die Prävention von negativen Verhaltensweisen und Verhaltensstörungen.50 Kinder aus sozial benachteiligten Familien und speziell Kinder mit Migrationshintergrund profitieren insbesondere von der Sprachförderung, indem deren Sprachkompetenzen und damit ihre soziale Integration bereits vor dem Schuleintritt gefördert werden.51 Für Kinder mit einer anderen Erstsprache als der Lokalsprache oder/und einem tiefen sozioökonomischen Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung, dass sie früh

46

47

48

49

50

51

Dubach, Philipp et al. (2018): Qualifikationsbedarf in der frühen Förderung und Sprachförderung. Schlussbericht, Olten: SAVOIRSOCIAL, 60ff. Kann abgerufen werden unter: https://savoirsocial.ch/wp-content/uploads/2017/05/Schlussbericht_Fr%C3%BCF%C3% B6_180523.pdf; siehe auch kibesuisse (2020): 3.

Bundesamt für Sozialversicherungen (2022): Finanzhilfen für die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen für Kinder: Bilanz nach neunzehn Jahren (Stand 31. Januar 2022), Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen, 7. Kann abgerufen werden unter: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/finanzhilfen/kinderbetreuung/ publikationen/archiv-bilanzen.html.

Medienmitteilung SAVOIRSOCIAL vom 14.12.2021: Berufliche Grundbildung Fachmann*frau Betreuung. Die Hürde Praktikum ist noch da. Kann abgerufen werden unter: 211208_SAVOIRSOCIAL_MM_3.RunderTishttps://savoirsocial.ch/wp-content/ uploads/2021/12/211208_SAVOIRSOCIAL_MM_3.RunderTisch_Praktika_d.pdff.

Dubach, Philipp et al. (2018): Qualifikationsbedarf in der frühen Förderung und Sprachförderung. 2. Zwischenbericht: Auswertung der ersten Runde der Delphi-Befragung, Olten: SAVOIRSOCIAL, S. XIII.

Interview mit Andreas Balthasar vom 25.02.2020: Neue Schweizer Erkenntnisse zu Kitabesuch und Schulerfolg. Kann abgerufen werden unter: https://jacobsfoundation.org/ new-insights-daycare-centers-and-children-in-switzerland/ Balthasar, Andreas / Kaplan, Caroline (2019): Whitepaper zum Engagement in der frühen Kindheit: Fokus Kind, Luzern: Interface, 7. Kann abgerufen werden unter: https://www.interface-pol.ch/app/uploads/2021/05/Be_JF_Engagement_Fruehe_ Kindheit_d.pdf.

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(im Alter von eineinhalb bis drei Jahren) und in genügend grossem Umfang (rund 14 bis 21 Stunden pro Woche) von einem qualitativ guten Angebot profitieren können.52 Die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder familienergänzend betreuen zu lassen, hängt wesentlich von deren Betreuungskosten ab, aber auch von der Qualität des Angebots.53

3.2

Handlungsbedarf in der Politik der frühen Kindheit

Die WBK-N setzt sich seit 2017 mit den Zielsetzungen der Politik der frühen Kindheit auseinander. Sie hat in Umsetzung der parlamentarischen Initiative 17.412 «Chancengerechtigkeit vor dem Kindergartenalter» eine mögliche Massnahme auf Bundesebene ausgearbeitet. Mit dem Ziel, die bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Politik der frühen Kindheit in den dafür zuständigen Kantonen und Gemeinden zu fördern, entschied sich die Kommission für die Förderung von Programmen im Bereich der Politik der frühen Kindheit im Sinne einer Anschubfinanzierung zugunsten der Kantone. In diesem Rahmen könnte der Bund Massnahmen zur verbesserten Koordination auf Ebene der Kantone unterstützen. Der Nationalrat nahm die Vorlage am 18. Juni 2020 an, der Ständerat lehnte diese am 9. September 2020 ab. Die WBK-N setzte die weitere Behandlung der parlamentarischen Initiative daraufhin aus.54 Vor dem Hintergrund der Arbeiten in Umsetzung der 21.403 parlamentarischen Initiative «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» beschloss die WBK-N am 28. Januar 2022, die Beratung der 17.412 parlamentarischen Initiative Aebischer «Chancengerechtigkeit vor dem Kindergartenalter» weiterhin auszusetzen.55 Am 12. April 2019 reichte die WBK-N das Postulat 19.3417 «Strategie zur Stärkung der Frühen Förderung» ein. Sie beauftragte den Bundesrat, eine Strategie zur Stärkung und Weiterentwicklung der frühen Förderung von Kindern in der Schweiz zu erarbeiten. Der Bericht des Bundesrates in Erfüllung dieses Postulats56 fasst den bisherigen Wissensstand zum Angebot und zur Nachfrage, zur Qualität sowie zur Finanzierung der Angebote im Bereich der Politik der frühen Kindheit zusammen und zeigt den Handlungsbedarf aus Sicht verschiedener Akteure in der Schweiz auf.

52

53 54

55

56

Vogt, Franziska / Stern, Suanne / Filliettaz, Laurent (2022). Frühe Sprachförderung.

Internationale Forschungsbefunde und Bestandesaufnahme zur frühen Sprachförderung in der Schweiz. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, St. Gallen, Zürich und Genf: Pädagogische Hochschule St. Gallen, INFRAS, Universität Genf, 6f. Kann abgerufen werden unter: https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/bildungsraum-schweiz/ bildungszusammenarbeit-bund-kantone/fruehe-sprachfoerderung.html.

Stern, Susanne et al. (2018): 24.

Vgl. Medienmitteilung der WBK-N vom 19.02.2021: «Bund soll familienergänzende Kinderbetreuung stärker unterstützen». Kann abgerufen werden unter: https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-wbk-n-2021-02-19.aspx.

Vgl. Medienmitteilung der WBK-N vom 28.01.2022: «Mais im Bundeshuus 5.0: WBK-N sucht Kompromiss». Kann abgerufen werden unter: https://www.parlament.ch/ press-releases/Pages/mm-wbk-n-2022-01-28.aspx.

BR-Bericht Politik der frühen Kindheit

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3.2.1

Angebotslücken und heterogene Ausgestaltung der Angebote

Die verfügbaren Informationen zu Angebot und Nachfrage der Angebote im Bereich der frühen Kindheit erlauben keine allgemeingültige Aussage zur Situation in der Schweiz. Eine gesamtschweizerische Analyse im Auftrag des Schweizerischen Gemeindeverbandes57 deutet jedoch auf ein lückenhaftes oder fehlendes Angebot in mittleren und kleinen Gemeinden hin. Das Angebot in den Gemeinden unterscheidet sich zudem bezüglich Vielfalt und Quantität deutlich. Hinsichtlich der Professionalisierung der Fachpersonen, die in den Arbeitsfeldern der Politik der frühen Kindheit tätig sind, und Qualitätsstandards wird Handlungsbedarf verortet. Bezüglich der Finanzierung von Angeboten im Bereich der Politik der frühen Kindheit zeigt die Auslegeordnung, dass in der Schweiz in kleineren und mittelgrossen Gemeinden deutliche regionale Unterschiede bestehen. In der deutsch- und französischsprachigen Schweiz wird in der Regel nur ein Teil der Angebote von der öffentlichen Hand mitfinanziert.

In der italienischsprachigen Schweiz ist hingegen das Modell der vollständigen Finanzierung der Angebote durch die Gemeinden weit verbreitet. Analysen zur Situation in grösseren Gemeinden und Städten fehlen.

3.2.2

Unzureichende Kooperation unter den Akteuren und mangelhafte Abstimmung der Angebote

Die Bereitstellung eines bedarfsgerechten und integrierten Angebots erfordert die Abstimmung und Koordination der verschiedenen Akteure und ihrer Einzelmassnahmen sowie die Zusammenarbeit und Vernetzung mit den bestehenden Regelstrukturen insbesondere des Sozial-, Bildungs-, Integrations- und Gesundheitsbereichs. Organisatorisch sind die Zuständigkeiten für die Politik der frühen Kindheit auf den verschiedenen staatlichen Ebenen häufig auf unterschiedliche Verwaltungseinheiten verteilt, wobei sich die Zusammenarbeit und Koordination in den letzten Jahren massgeblich verbessert hat. So wurden sowohl auf kommunaler als auch auf kantonaler Ebene vermehrt umfassende Konzepte oder Strategien entwickelt und neue Austauschgefässe geschaffen. Die Kooperation sowie die Koordination der Massnahmen der verschiedenen Stellen bleibt jedoch aufgrund des Querschnittcharakters der Politik der frühen Kindheit eine grosse Herausforderung.58

57

58

Meier Magistretti, Claudia / Schraner, Marco (2017): Frühe Förderung in kleineren und mittleren Gemeinden. Die Gemeinden als strategische Plattform und Netzwerker der Frühen Förderung: Situationsanalyse und Empfehlungen. Bern: Schweizerischer Gemeideverband. Kann abgerufen werden unter: https://www.chgemeinden.ch/wAssets/ docs/publikationen/deutsch/Situationsanalyse_DE.pdf.

EDK, GDK, SODK. (2019): Gemeinsam für die Frühe Förderung. Bericht zur gemeinsamen Tagung EDK, GDK, SODK vom 11. Juni 2019. Bern: Generalsekretariate EDK, SODK und GDK, 18. Kann abgerufen werden unter: https://ch-sodk.s3.amazonaws.com/ media/files/47e771ce/3b81/4b50/b027/dea7850b30f0/2020.04.03_Tagungsbericht_ Fr%C3%BChe_F%C3%B6rderung_d.pdf.

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3.2.3

Niederschwelliger Zugang zu den Angeboten nicht für alle Zielgruppen gewährleistet

Handlungsbedarf besteht zudem in Bezug auf die Gewährleistung eines niederschwelligen Zugangs zu Angeboten im Bereich der Politik der frühen Kindheit für sozial benachteiligte Familien mit und ohne Migrationshintergrund sowie für Kinder und Eltern mit Behinderungen. Forschungsergebnisse belegen, dass Massnahmen im Bereich der Politik der frühen Kindheit insbesondere für Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten positive Auswirkungen auf deren Entwicklung und Bildungschancen haben. Kinder aus sozial benachteiligten Familien nutzen die Angebote jedoch häufig unterdurchschnittlich. Nicht selten spielen dabei die Kosten eine entscheidende Rolle.59 Wichtig für einen einfachen Zugang zu den Angeboten, ist ein institutionalisiertes Fördernetz, das die verschiedenen Einzelangebote verknüpft. Dieses fehlt häufig.60 Weiter ist die Chancengleichheit von Kindern und Eltern mit Behinderungen in vielen Bereichen der Politik der frühen Kindheit nicht gegeben. Kinder und Erziehende mit Behinderungen sollten so weit wie möglich barrierefreien Zugang zu den Angeboten haben.61

3.2.4

Fehlende Datengrundlagen

Datengestützte Grundlagen für die Entwicklung von zielgerichteten Massnahmen im Bereich der Politik der frühen Kindheit fehlen weitgehend, beispielsweise Informationen zum allgemeinen Gesundheitszustand von Kindern im Vorschulalter. In den Datenquellen, die Kinder ab Geburt erfassen, werden die Daten meist in grossen Alterspannen aggregiert und die Alterskategorie 0­4 Jahre wird kaum abgedeckt.62 Über die psychische Gesundheit von Kindern im Vorschulalter ist wenig bekannt. Angaben zur Häufigkeit und Verteilung psychischer Auffälligkeiten sind beispielsweise aus-

59

60

61

62

Stern, Susanne / Schwab Cammarano, Stephanie (2018): Frühe Förderung. Orientierungshilfe für kleinere und mittlere Gemeinden. Bern: Nationales Programm gegen Armut / BSV, 10 ff. Kann abgerufen werden unter: https://www.gegenarmut.ch/fileadmin/kundendaten/Fruehe_Foerderung_in_Gemeinden/GzD_de_NAP_Fruehe_Foerderung_DEF.pdf.

Bundesrat (2018): Ergebnisse Nationales Programm Prävention und Bekämpfung von Armut 2014­2018. Bericht des Bundesrats zum Nationalen Programm sowie in Erfüllung der Motion 14.3890 Sozialdemokratische Fraktion vom 25.09.2014, Bern, 11. Kann abgerufen werden unter: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialpolitische-themen/ soziale-absicherung/lutte-contre-la-pauvrete.html.

Bundesrat (2018): Behindertenpolitik. Bundesratsbericht, Bern, 14f. Kann abgerufen werden unter: https://www.edi.admin.ch/edi/de/home/fachstellen/ebgb/politiquenationale-du-handicap.html.

Dratva et al. (2019): Wissenschaftliche Übersichtsarbeit frühe Kindheit (0-4j.) in der Schweiz: Gesundheit und Prävention. Studie im Auftrag des BAG, 1. Winterthur: ZHAW Departement Gesundheit. Kann abgerufen werden unter: https://www.aramis.admin.ch/Default?DocumentID=50035&Load=true.

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schliesslich für Kinder im Schulalter vorhanden.63 Auch zur Nutzung digitaler Medien im Vorschulalter gibt es kaum aussagekräftige Daten und Studien.64 Aufgrund der oben genannten Mängel und Lücken ist die WBK-N der Ansicht, dass der Bund die Kantone bei der Weiterentwicklung von Massnahmen im Bereich der Politik der frühen Kindheit unterstützen soll.

4

Vernehmlassungsverfahren

Die Vernehmlassung dauerte vom 17. Mai bis zum 7. September 2022. Die Kommission lud 68 Adressaten ein, zum Vorentwurf des Gesetzes, zum Vorentwurf des Bundesbeschlusses und zum erläuternden Bericht Stellung zu nehmen. Sie erhielt insgesamt 275 Stellungnahmen, die im Folgenden kurz zusammengefasst sind.65 Die überwiegende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden, namentlich die meisten Kantone, die SODK, die meisten politischen Parteien, die Wirtschaftsverbände sowie die anderen interessierten Organisationen, sprechen sich für den Vorentwurf aus.

Was die allgemeinen Bestimmungen des Vorentwurfs betrifft, möchten viele Vernehmlassungsteilnehmende, dass sich das Ziel, die Chancengleichheit zu verbessern, auf alle Kinder und nicht nur auf diejenigen im Vorschulalter bezieht. Ebenso sind viele der Auffassung, dass der Geltungsbereich des Gesetzes nicht ­ wie von der Minderheit vorgeschlagen ­ auf die Kinder im Vorschulalter beschränkt werden darf, da der Bedarf an familienergänzender Betreuung ­ insbesondere zwecks Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ­ nicht mit dem Beginn der obligatorischen Schulzeit entfällt.

Ferner befürworten die meisten Vernehmlassungsteilnehmenden das erste Förderinstrument ­ den Bundesbeitrag ­ und lehnen es ab, diesen von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder der Absolvierung einer Ausbildung abhängig zu machen. In den Augen einiger Vernehmlassungsteilnehmenden sollte dieser Beitrag über die Kantone und nicht direkt an die Eltern ausbezahlt werden.

Die grosse Mehrheit der Kantone sowie die teilnehmenden ausserparlamentarischen Kommissionen lehnen die Kombination aus Sockel- und Zusatzbeitrag ab und befürworten einen einzigen Beitrag, während sich die meisten politischen Parteien, 63

64

65

Von Wyl, Agnes / Chew Howard, Erica / Bohleber, Laura / Haemmerle, Patrick (2017): Psychische Gesundheit und Krankheit von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz.

Versorgung und Epidemiologie. Eine systematische Zusammenstellung empirischer Berichte von 2006 bis 2016. Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, 4.

Kann abgerufen werden unter: https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/2021-08/ obsan_dossier_62_2.pdf.

Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (2020): Gesundheit in der Schweiz ­ Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Nationaler Gesundheitsbericht 2020. Bern: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, 22f. Kann abgerufen werden unter: https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/gesundheitsbericht_2020.pdf.

Der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung kann auf der Website der Parlamentsdienste konsultiert werden: https://www.parlament.ch/de/organe/kommissionen/ sachbereichskommissionen/kommissionen-wbk/berichte-vernehmlassungen-wbk/ vernehmlassung-wbk-21-403.

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Wirtschaftsdachverbände und anderen interessierten Organisationen für diese Kombination aussprechen.

Die Berücksichtigung der besonderen lokalen Bedingungen (die sogenannte Regionalisierung) bei der Berechnung des Bundesbeitrags stösst bei den Vernehmlassungsteilnehmenden auf geteiltes Echo. Die Mehrheit begrüsst die Einführung eines höheren Bundesbeitrags für Eltern von Kindern mit Behinderung, weist aber darauf hin, dass die Bestimmung umformuliert werden muss, damit die Kantone und Gemeinden, die bereits für diese Art von Zusatzkosten aufkommen, nicht benachteiligt werden.

In Bezug auf die Gewährung des Beitrags an die Anspruchsberechtigten ist die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden der Meinung, dass der Beitrag nicht nur den Inhaberinnen und Inhabern der elterlichen Sorge, sondern auch den Personen, die für die Kosten der familienergänzenden Kinderbetreuung aufkommen, gewährt werden soll. Zudem wird verlangt, dass andere Intervalle als die monatliche Auszahlung vorgesehen werden, um unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden.

Die überwiegende Mehrheit begrüsst auch das zweite Förderinstrument, die Programmvereinbarungen, da diese das Subsidiaritätsprinzip einhalten und den Kantonen genügend Handlungsspielraum lassen. Es wird jedoch sowohl bei der Verteilung der Beträge als auch beim Engagement in den Förderbereichen eine gewisse Flexibilität verlangt. Darüber hinaus hält die grosse Mehrheit die für diese Programmvereinbarungen vorgesehenen Mittel für unzureichend. Ausserdem soll die Berechnung der Finanzhilfen nicht nur auf den Ausgaben der Kantone beruhen, sondern auch die Ausgaben Dritter umfassen.

Die Erstellung von Statistiken wird ebenfalls mehrheitlich begrüsst, auch wenn viele betonen, dass damit kein zu grosser Verwaltungsaufwand verbunden sein darf. Einige Vernehmlassungsteilnehmende sprechen sich deshalb und auch wegen des vielfältigen Angebots im Bereich der frühkindlichen Förderung dafür aus, auf die Erstellung von Statistiken zur frühkindlichen Förderung zu verzichten und die Statistiken auf die familienergänzende Kinderbetreuung zu beschränken.

Zu guter Letzt befürworten einige Vernehmlassungsteilnehmende eine regelmässige Evaluierung der Auswirkungen dieses Gesetzes.

5

Grundzüge der Vorlage

5.1

Ziele

Mit der Gesetzesvorlage werden zwei übergeordnete Ziele angestrebt: Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung und die Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter.

Das Ziel der besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung entspricht demjenigen des heutigen KBFHG. Für die Verbesserung der Vereinbarkeit sind unterschiedliche Massnahmen erforderlich. Dazu zählen Urlaube nach der Geburt oder Aufnahme eines Kindes (Mutterschaftsurlaub, Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub, Adoptionsurlaub), die Schaffung von familienfreundlichen Arbeitsbedingungen (z. B. flexible Arbeitszeiten), Massnahmen zur Unterstützung von 28 / 76

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Erwerbstätigen, die Angehörige betreuen und pflegen, steuerrechtliche Massnahmen sowie Massnahmen zur Realisierung der Lohngleichheit für Frau und Mann. Der Fokus der Gesetzesvorlage liegt auf der familienergänzenden Kinderbetreuung, da dieser für die bessere Vereinbarkeit eine Schlüsselrolle zukommt, und in diesem Bereich Handlungsbedarf ausgewiesen wurde. Ein qualitativ gutes und bezahlbares familienergänzendes Kinderbetreuungsangebot ist die Voraussetzung dafür, dass Eltern regelmässig einer Erwerbstätigkeit oder Ausbildung nachgehen können. In Übereinstimmung mit dem KBFHG soll die institutionelle Betreuung in privaten und öffentlichen Angeboten gefördert werden. Dazu zählen im Vorschulbereich Kindertagesstätten, im Schulalter Tagesstrukturen oder Tagesschulen sowie in einem Tageselternverein organisierte Tagesfamilien.

Die Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter zielt darauf ab, dass alle Kinder im Vorschulalter in der Schweiz geschützt werden, in der Entwicklung ihrer emotionalen, sozialen, kreativen, motorischen, sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten angemessen gefördert und unterstützt werden, und zu unabhängigen, verantwortungsbewussten Menschen heranwachsen. Gezielte Massnahmen für die Verbesserung der Chancengerechtigkeit von Kindern im Vorschulalter nivellieren ungleiche Startbedingungen vor dem Schuleintritt. Die Eltern werden dabei unterstützt, ihren erzieherischen Handlungsspielraum und ihre Kompetenzen zu erweitern. Im Zentrum steht dabei die Schaffung und Bereitstellung eines anregungsreichen und wertschätzenden Lernumfeldes inner- und ausserhalb der Familie. Die Kantone sollen dabei unterstützt werden, ihre Politik der frühen Förderung von Kindern bedarfsgerecht weiterzuentwickeln, indem sie bestehende Lücken schliessen, den Zugang zu den Angeboten, die Vernetzung der Akteure und Angebote sowie die Qualität der Angebote verbessern.

Mögliche Handlungsfelder sind beispielsweise die gesundheitliche Versorgung in der frühen Kindheit, Förderangebote für Vorschulkinder, Elternbildung und Elternberatung, Hausbesuchsprogramme, die frühe Sprachförderung oder die Sozialraumgestaltung.

5.2

Neue gesetzliche Grundlage

Die Neukonzeption der finanziellen Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch den Bund erfolgt auf der Basis des vorliegenden Entwurfs in Umsetzung der parlamentarischen Initiative «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» (21.403). Die WBK-N entschied sich für die Ausarbeitung eines neuen Gesetzes, da die finanzielle Unterstützung des Bundes künftig in einer anderen Form erfolgen soll. Im Unterschied zum KBFHG sind keine Finanzhilfen mehr vorgesehen, die direkt den Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung zu Gute kommen. Der Entwurf beinhaltet zwei neue Instrumente: der Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung und globale Finanzhilfen an die Kantone auf der Grundlage von Programmvereinbarungen. Eine weitere wesentliche Änderung im Vergleich zum KBFHG besteht darin, dass der Bund den Kantonen sowohl Finanzhilfen zur Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung als auch zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern gewähren kann.

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5.3

Die beantragte Neuregelung

Der Entwurf des Gesetzes sieht Massnahmen in allen Bereichen der familienergänzenden Kinderbetreuung vor, in denen Handlungsbedarf identifiziert wurde: die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung sollen gesenkt werden, die Angebotslücken in der familienergänzenden Kinderbetreuung sollen geschlossen werden, das familienergänzende Kinderbetreuungsangebot soll besser auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmt werden und die Qualität der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung soll verbessert werden. Im Weiteren sollen die Kantone darin unterstützt werden, ihre Politik der frühen Förderung von Kindern weiterzuentwickeln.

Im Rahmen des laufenden Impulsprogramms gewährt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) den Beitragsberechtigten die Finanzhilfen in der Regel mittels Verfügung gemäss Artikel 16 des Bundesgesetzes über Finanzhilfen und Abgeltungen66 vom 5. Oktober 1990 (Subventionsgesetz, SuG). Als Massnahme für die Senkung der Betreuungskosten der Eltern sieht der Entwurf des Gesetzes die Gewährung von Bundesbeiträgen an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung vor. Die Kantone sind für die Einhaltung der Anspruchsvoraussetzungen und für die Auszahlung der Betreuungsbeiträge an die Eltern verantwortlich. Für die Behebung aller anderen identifizierten Mängel kann der Bund den Kantonen globale Finanzhilfen auf der Grundlage von Programmvereinbarungen gewähren. Dieses Förderinstrument des Bundes trägt dem Umstand Rechnung, dass aufgrund der geltenden Kompetenzordnung primär die Kantone für die familienergänzende Kinderbetreuung und die Politik der frühen Förderung von Kindern zuständig sind (vgl. Ziff. 2.1). Es ist daher auch in erster Linie an den Kantonen, die bestehenden Mängel zu beheben.

Der Vorteil von Programmvereinbarungen liegt mitunter darin, dass die Kantone durch Global- oder Pauschalbeiträge über eine Periode von mehreren Jahren mehr Handlungsspielraum erhalten. Gleichzeitig kann der Heterogenität in den Kantonen durch gemeinsame Ziele entgegengewirkt werden.

5.3.1

Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung

Die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung sind in der Schweiz im Durchschnitt wesentlich höher als im benachbarten Ausland (vgl.

Ziff. 3.1.1). Der Bund soll sich daher künftig an diesen Kosten beteiligen. Laut Entwurf besteht für jedes Kind von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit Anspruch auf einen Bundesbeitrag, sofern es institutionell betreut wird. Bei der institutionellen Betreuung handelt es sich um die regelmässige Betreuung von Kindern im Vorschulalter und im Schulalter in privaten oder öffentlichen Einrichtungen (z. B. Kindertagesstätten, Tagesstrukturen, Tagesschulen) oder in Tagesfamilien, die in einer Trägerschaft mit Rechtspersönlichkeit organisiert sind. Anspruch auf den Bundesbeitrag haben die Eltern, soweit sie die Kosten der institutionellen 66

SR 616.1

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familienergänzenden Kinderbetreuung tragen. Trägt eine andere Person die Kosten der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung, so geht der Anspruch auf diese Person über. Der Bundesbeitrag bemisst sich nach der tatsächlichen Inanspruchnahme der familienergänzenden Kinderbetreuung. Anspruch auf einen Bundesbeitrag besteht für die Eltern somit nur für die tatsächliche, ihnen in Rechnung gestellte Dauer der Inanspruchnahme der institutionellen Betreuung. In der Praxis wird diese in der Regel pro Tag oder pro Halbtag bemessen und den Eltern monatlich in Rechnung gestellt. Für das gleiche Kind wird nur ein Bundesbeitrag ausgerichtet. Für im Ausland institutionell betreute Kinder besteht nur ein Anspruch auf einen Bundesbeitrag, sofern zwischenstaatliche Vereinbarungen dies vorsehen.

Der Bundesbeitrag wird den Eltern unabhängig von ihrer finanziellen Situation gewährt. Es ist wie bis anhin Sache des Kantons oder der Gemeinde, gegebenenfalls einkommensabhängige Tarife vorzusehen. Der Bundesbeitrag ist kein Ersatz für allfällige Subventionen der Kantone und Gemeinden sowie ­ je nach Kanton ­ gesetzlich vorgeschriebene Beiträge der Arbeitgeber. Er kommt zu diesen allfälligen Subventionen hinzu und muss vollumfänglich den Eltern zugutekommen, damit deren Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung effektiv sinken.

Der Bundesbeitrag beläuft sich während den ersten vier Jahren nach Inkraftsetzung des Gesetzes auf 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes. Die Verpflegungskosten wurden nicht einberechnet, da Eltern, die ihr Kind familienergänzend betreuen lassen, finanziell nicht bessergestellt sein sollen als Eltern, die ihr Kind zuhause betreuen; auch bei einer privaten Betreuung fallen täglich Kosten für die Verpflegung an. Eltern eines Kindes mit Behinderungen werden unter Umständen höhere Kosten in Rechnung gestellt, da der Betreuungsaufwand höher ist (vgl. Ziff. 3.1.3). Der Bund wird die durchschnittlichen Kosten eines Kinderbetreuungsplatzes für die verschiedenen Arten der institutionellen familienergänzenden Betreuung regelmässig erheben. Die dafür notwendigen Vorgaben regelt der Bundesrat in der Verordnung.

Nach vier Jahren wird die Höhe des Bundesbeitrags in Abhängigkeit des finanziellen Engagements der Kantone für die familienergänzende
Kinderbetreuung festgelegt.

Für diese Bemessung bestimmt der Bundesrat einen landesweit einheitlichen Schwellenwert für die Höhe des finanziellen Engagements, den die Kantone erreichen müssen, damit der Bundesbeitrag in der nachfolgenden vierjährigen Periode bei 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines institutionellen familienergänzenden Betreuungsplatzes bleibt. Liegt die Höhe des finanziellen Engagements eines Kantons unter diesem Schwellenwert, wird der Bundesbeitrag linear gekürzt. Die Kürzung ist allerdings begrenzt: Der Bundesbeitrag muss in allen Kantonen mindestens 10 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes betragen. Die Festlegung des Schwellenwertes und die darauf basierende allfällige Kürzung des Bundesbeitrags pro Kanton nimmt der Bundesrat alle vier Jahre vor. Mit diesem System beabsichtigt die Kommission, dass die Kantone ihre Subventionen im Bereich der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung erhöhen. Zudem soll damit verhindert werden, dass die Kantone ihre Subventionen im gleichen Umfang senken, wie sich der Bund an diesen beteiligt.

Massgebend für eine allfällige Kürzung des Bundesbeitrags in einem Kanton ist die Höhe des durchschnittlichen Jahresbetrags, der im Kanton ausbezahlten Beiträge pro 31 / 76

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Kind unter 16 Jahren. Dieser Jahresbetrag umfasst die Subventionen des Kantons und seiner Gemeinden sowie die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitgeberbeiträge, mit denen die Kosten der Eltern für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung gesenkt werden. Der Bundesrat legt alle vier Jahre in der Verordnung den Schwellenwert fest, der erforderlich ist, damit die Eltern in einem Kanton Anspruch auf den maximalen Bundesbeitrag von 20 Prozent haben. Darauf basierend wird die Höhe des Bundesbeitrages für jeden Kanton für die folgenden vier Jahre festgelegt. Eltern in Kantonen, deren Jahresbetrag dem festgelegten Schwellenwert entspricht oder höher ist, haben Anspruch auf einen Bundesbeitrag von 20 Prozent. Eltern in Kantonen deren Jahresbetrag unter diesem Schwellenwert liegt, haben Anspruch auf einen linear gekürzten Bundesbeitrag, der allerdings die untere Schwelle von 10 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes nicht unterschreiten darf.

Die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung fallen im Normalfall monatlich an. Der Bundesbeitrag wird den Eltern daher in der Regel monatlich ausgerichtet. Die Kantone sind für die Einhaltung der Anspruchsvoraussetzungen und für die Auszahlung des Betreuungsbeitrags an die Eltern verantwortlich. Zuständig ist der Kanton, in dem das Kind seinen Wohnsitz hat. Die Kantone legen das Verfahren für die Ausrichtung des Bundesbeitrags fest.

5.3.2

Programmvereinbarungen

5.3.2.1

Instrument der Programmvereinbarung

Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA)67 wurde im Bereich der gemeinsamen Aufgaben von Bund und Kantonen die Grundlage für neue Zusammenarbeits- und Finanzierungsformen geschaffen. Diese haben zum Ziel, die Aufgabenerfüllung gemäss New Public Management-Vorstellungen effizient, effektiv und wirkungsorientiert auszugestalten.68 Als neues Instrument hierfür wurde die Programmvereinbarung eingeführt.

Programmvereinbarungen sind öffentlich-rechtliche Verträge, die zwischen dem zuständigen Bundesamt und den Kantonen abgeschlossen werden. Sie sind in Artikel 46 Absatz 269 BV70 verankert. Konkreter legen die Artikel 16-22 SuG die Gewährung von Subventionen fest. Während Subventionen grundsätzlich durch Verfügung oder Vertrag gewährt werden (Art. 16 Abs. 1 und 2 SuG), werden solche an Kantone in der Regel aufgrund von Programmvereinbarungen gewährt (Art. 16 Abs. 3 SuG).

Bund und Kanton handeln einen Globalbeitrag für ein Programm aus, das heisst für ein koordiniertes, kohärentes Massnahmenpaket, welches sich in der Regel auf vier Jahre erstreckt. Die finanzielle Leistung des Bundes hängt von der Erreichung bestimmter Ziele, Erfolge und Wirkungen ab. Die Programmvereinbarung entspricht 67 68

69 70

BBl 2003 6591 Wiget, Stefanie (2012): Die Programmvereinbarung ­ Ein Zusammenarbeitsinstrument zwischen Bund und Kantonen, Freiburg: Institut für Föderalismus, Bd. 2, 91. Kann abgerufen werden unter: https://www.unifr.ch/federalism/de/forschung/piff.html.

In Kraft seit 1. Januar 2008.

SR 101

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dem Leitgedanken des NFA: Anstelle von projektbezogenen Einzelsubventionen sollen die Kantone für Aufgaben, die sie gemeinsam mit dem Bund erfüllen, Global- und Pauschalsubventionen vom Bund erhalten.71 Das Verfahren bis zum Abschluss von Programmvereinbarungen wird in den Artikeln 19­20a SuG festgelegt.

Programmvereinbarungen sind an die Umsetzung von strategischen Zielen geknüpft.

Diese werden von Bund und Kantonen gemeinsam vereinbart. Ein Beispiel stellen die zwischen Bund und Kantonen im Rahmen der «Integrationsagenda Schweiz»72 verabschiedeten Ziele zur Integration von Personen aus dem Asylbereich dar. Die «Integrationsagenda Schweiz» ist ein von Bund und Kantonen gemeinsam verabschiedeter Zielkatalog, der im Rahmen von kantonalen Integrationsprogrammen umgesetzt wird. Zu diesem Zweck schliessen Bund und Kantone Programmvereinbarungen ab, welche den Handlungsspielraum der Kantone in der Umsetzung berücksichtigen. In Analogie zur «Integrationsagenda Schweiz» kann im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung eine Art «Agenda zur verbesserten Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie» o.ä. zwischen Bund und Kantonen vereinbart werden.

Aus Sicht der Eidgenössischen Finanzkontrolle stellen Programmvereinbarungen ideale Instrumente dar, um a) die Wirksamkeit von Bundesmitteln zu fördern, da sie die Beiträge an eine vorgängig vereinbarte Zielerreichung knüpfen, b) die Effizienz zu fördern, da sie Anreize zu einer möglichst kostensparenden Leistungserbringung in den Kantonen setzen, und c) die wirtschaftliche Leistungserbringung zu fördern, da sie den administrativen Aufwand klein halten.73 Der Bundesrat kommt in seinem Bericht vom 11. November 2020 in Erfüllung des Postulats der Finanzkommission des Nationalrates 19.300174 ebenfalls zum Schluss, dass sich das Instrument Programmvereinbarung zur Effizienzsteigerung bei der Gewährung von Bundesbeiträgen bewährt hat. Insbesondere konnte die Kritik, dass der administrative Aufwand für den Vollzug der Programmvereinbarungen sowohl für den Bund als auch für die Kantone teilweise hoch sei, nicht erhärtet werden.

71

72

73

74

Bundesamt für Umwelt BAFU (2018): Handbuch Programmvereinbarungen im Umweltbereich 2020 ­ 2024, Mitteilung des BAFU als Vollzugsbehörde an Gesuchsteller, Bern: BAFU, 28, Kann abgerufen unter: https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/ themen/recht/publikationen-studien/publikationen/handbuch-programmvereinbarungenim-umweltbereich-2020-2024.html.

Vgl. Staatssekretariat für Migration SEM: Integrationsagenda Schweiz (IAS), https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/integration-einbuergerung/ integrationsfoerderung/kantonale-programme/integrationsagenda.html.

Eidgenössische Finanzkontrolle EFK (2014): Programmvereinbarungen ­ Risiken und Herausforderungen. Synthesebericht, Bern: EFK. Kann abgerufen werden unter: https://www.efk.admin.ch/de/publikationen/wirtschaft-verwaltung/allgemeineverwaltung/programmvereinbarungen-d.html?highlight=WyJwcm9ncmFtbXZlcmVpbm JhcnVuZ2VuIl0= .

Bundesrat (2020): Vereinfachung des Vollzugs der Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 19.3001, Finanzkommission Nationalrat, 18. Januar 2019. Kann abgerufen werden unter: https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2019/20193001/Bericht%20BR%20D.pdf.

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5.3.2.2

Ziele und Umsetzung

Gemäss Entwurf des Gesetzes kann der Bund den Kantonen auf der Grundlage von Programmvereinbarungen globale Finanzhilfen gewähren. Damit die Kantone mit dem Bund Programmvereinbarungen abschliessen können, benötigen sie ebenfalls eine gesetzliche Grundlage. Sie können sich entweder auf bereits bestehende gesetzliche Grundlagen abstützen oder neue schaffen.

Bund und Kantone handeln für eine jeweils 4-jährige Vertragsperiode gemeinsame Ziele aus. Der Bund kann damit Folgendes unterstützen: ­

die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen für Kinder im Vorschul- und Schulalter sowie für Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter zur Schliessung von Angebotslücken;

­

Massnahmen zur besseren Abstimmung der familienergänzenden Betreuungsangebote auf die Bedürfnisse der Eltern insbesondere hinsichtlich der Erweiterung und Flexibilisierung der Betreuungszeiten;

­

Massnahmen zur Verbesserung der pädagogischen und betrieblichen Qualität der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung;

­

Massnahmen der Kantone zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern.

Bei diesen Zielen handelt es sich um strategische Wirkungsziele. Sie sind für alle Kantone verbindlich und bilden die Grundlage für die Programmvereinbarungen mit den einzelnen Kantonen. Die strategischen Wirkungsziele dienen der Harmonisierung der familienergänzenden Kinderbetreuung in der Schweiz. Sie können ihrerseits von der oben erwähnten gemeinsamen Agenda von Bund und Kantonen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit abgeleitet werden (vgl.

Ziff. 5.3.2.1). Ein strategisches Ziel könnte sein, dass alle Familien in der Schweiz über ein qualitativ gutes schulergänzendes Betreuungsangebot während der Schulferien verfügen. Ein weiteres strategisches Wirkungsziel könnte beispielsweise sein, dass in der Schweiz alle Kinder mit Behinderungen Zugang zu einem qualitativ guten und bezahlbaren familienergänzenden Kinderbetreuungsangebot haben. Ein strategisches Ziel der Kantone zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern könnte die Vernetzung der Angebote sein, um ein institutionalisiertes Fördernetz zu schaffen. Für die Vereinbarung der strategischen Wirkungsziele können Harmonisierungsstandards herangezogen werden, auf die sich die Kantone geeinigt haben. So haben die die EDK und die SODK gemeinsam Empfehlungen zur familienund schulergänzenden Kinderbetreuung erarbeitet und verabschiedet.75 Gestützt auf den strategischen Wirkungszielen handelt der Bund mit den einzelnen Kantonen in der Regel eine 4-jährige Programmvereinbarung aus. Der Bund legt den Beginn und das Ende der Vertragsperiode fest. Wie oben ausgeführt (vgl. Ziff. 3) sind die Mängel 75

Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) und der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zur Qualität und Finanzierung der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung, 15. November 2022. Kann abgerufen werden unter: https://www.sodk.ch/de/ dokumentation/empfehlungen/ https://www.edk.ch/de/dokumentation/ rechtstextebeschluesse/empfehlungen.

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und Lücken im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Politik der frühen Förderung von Kindern nicht in allen Kantonen gleich ausgeprägt. In den Kantonen der Romandie ist beispielsweise der Anteil der qualifizierten Mitarbeitenden in Kindertagesstätten in der Regel grösser als in den Kindertagesstätten in der Deutschschweiz. Die Anzahl Kinder, denen eine Betreuungsperson einer Kindertagesstätte zur Verfügung steht (Betreuungsschlüssel) ist in der Romandie hingegen in der Regel höher als in der Deutschschweiz. In einigen Kantonen ist der Bedarf an Betreuungsplätzen im Vorschulalter zum Beispiel bereits gut abgedeckt, in anderen Kantonen ist dies nicht der Fall. Das Instrument der Programmvereinbarung trägt der Heterogenität im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Politik der frühen Förderung von Kindern in der Schweiz Rechnung. Es geht von gemeinsamen nationalen Zielsetzungen aus und ermöglicht den Kantonen gemäss den Begebenheiten vor Ort Massnahmen zu entwickeln, welche zur Erreichung dieser Ziele beitragen. Der Bund prüft die Gesuche der Kantone. In der Programmvereinbarung halten Bund und Kantone fest, welche kurz- und mittelfristigen Ziele (Outcome) der jeweilige Kanton erreichen will, um die spezifischen Lücken in seinem Hoheitsgebiet zu schliessen und welche Leistungen (Output) er dafür erbringt. Der Bund verpflichtet sich in der Programmvereinbarung, einen globalen Beitrag für die vereinbarten Leistungen des Kantons zu erbringen. Gemäss Entwurf des Gesetzes decken die Finanzhilfen des Bundes höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Ausgaben des Kantons.

Wie in anderen politischen Handlungsfeldern, in denen Programmvereinbarungen eingesetzt werden, soll auch der Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen den Kantonen gefördert werden. Dieser trägt zur Weiterentwicklung der Programme bei.

5.4

Finanzieller Rahmen

5.4.1

Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung

Der Bundesbeitrag entspricht höchstens 20 Prozent der durchschnittlichen Vollkosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes und darf 10 Prozent dieser Kosten nicht unterschreiten. Der Bundesbeitrag wird nach vier Jahren linear gekürzt, sofern die Summe der Beiträge an die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung im Wohnsitzkanton des Kindes einen landesweit einheitlichen Schwellenwert unterschreitet. Die Summe der Beiträge in einem Kanton bemisst sich nach der Höhe des durchschnittlichen Jahresbetrags der im Kanton ausbezahlten Beiträge pro Kind unter 16 Jahren. Der Bundesrat legt den Schwellenwert so fest, dass die Kantone einen Anreiz haben, die kantonalen Beiträge zu erhöhen. Er passt den Schwellenwert alle vier Jahre an (vgl. Ziff. 5.3.1).

Für die Kostenschätzung wurden gestützt auf diverse statistische Grundlagen von durchschnittlichen Vollkosten von 11 Franken pro Kind und Stunde in einer Institution der familienergänzenden Kinderbetreuung ausgegangen. Die Verpflegungskosten wurden nicht einberechnet (vgl. Ziff. 5.3.1). In der Kostenberechnung wurde die Gruppe der Jugendlichen im Alter von 13­15 Jahren nicht berücksichtigt, da für deren Eltern in der Regel keine Betreuungskosten, sondern nur Verpflegungskosten anfallen. Zudem wurde angenommen, dass ein Kind im Vorschulalter im Durchschnitt 35 / 76

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9,5 Stunden und im Schulalter 3,5 Stunden pro Woche institutionell betreut wird. Von der Vorlage sind rund 360 000 Kinder im Vorschulalter und rund 800 000 Kinder im Schulalter betroffen. Demzufolge belaufen sich die Kosten für den Bundesbeitrag an die Eltern auf rund 710 Millionen Franken im ersten Jahr nach Inkraftsetzung des Gesetzes. In der ersten vierjährigen Periode ist davon auszugehen, dass infolge des Fördergesetzes (Senkung der Betreuungskosten, Lückenschliessung, Qualitätssteigerung) und der demografischen Entwicklung eine Ausweitung der Inanspruchnahme der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung erfolgen wird. Die Kosten für den Bundesbeitrag belaufen sich am Ende der ersten Periode auf rund 860 Millionen Franken. Auf eine Einschätzung der weiteren Kostenentwicklung über die erste vierjährige Periode hinaus wird verzichtet, da diese auf sehr hypothetischen Annahmen (effektive Entwicklung der Inanspruchnahme der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung, tatsächliche Subventionserhöhungen in den Kantonen, Höhe des Schwellenwerts etc.) beruhen würde.

5.4.2

Programmvereinbarungen

Die Kommission schlägt vor, dass der Bund für die Finanzierung der Programmvereinbarungen Finanzhilfen in der Höhe von 56 Millionen Franken pro Jahr einsetzt.

Der Bund beteiligt sich maximal zur Hälfte an den Ausgaben des Kantons. Der Betrag des Bundes kann wie folgt auf die einzelnen Massnahmen für die Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung sowie die Weiterentwicklung der Politik der frühen Förderung von Kindern aufgeteilt werden: ­

Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen zur Schliessung von Angebotslücken: Der Bund stellt 14 Millionen Franken pro Jahr bereit. Wenn Bund und Kantone die Schaffung neuer Plätze gemeinsam mit jährlich insgesamt 28 Millionen Franken subventionieren, können pro Jahr ca. 4 000 neue Plätze geschaffen werden. Dies entspricht in etwa der Anzahl Plätze, die mittels des laufenden Impulsprogramms jährlich geschaffen werden.

­

Massnahmen zur besseren Abstimmung der familienergänzenden Betreuungsangebote auf die Bedürfnisse der Eltern: Die Kommission schlägt vor, dass der Bund für diese Massnahmen jährlich 14 Millionen Franken bereitstellt.

­

Massnahmen zur Verbesserung der pädagogischen und betrieblichen Qualität der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung: Hierfür schlägt die Kommission jährliche Finanzhilfen des Bundes von 14 Millionen Franken vor.

­

Massnahmen der Kantone zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern: Für diese Massnahmen soll der Bund jährlich ebenfalls 14 Millionen Franken aufwenden.

Die Kommission sieht vor, dass der Bund mit den Kantonen Programmvereinbarungen mit einer vierjährigen Laufzeit abschliesst. Entsprechend sind die Mittel im Rahmen von vierjährigen Verpflichtungskrediten bereit zu stellen.

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5.5

Argumente der Minderheit auf Nichteintreten und auf Rückweisung

Der Handlungsbedarf ist in der WBK-N umstritten. Der Eintretensentscheid sowohl auf das Gesetz als auch auf den Finanzierungsbeschluss fiel in der Kommission mit 17 zu 8 Stimmen. Eine Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Wasserfallen Christian) ist der Meinung, dass der Bund aufgrund der geltenden Kompetenzordnung die Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Politik der frühen Förderung von Kindern in den Kantonen nicht dauerhaft unterstützen sollte. Es sei Aufgabe der Kantone und Gemeinden, sich in Form von Subventionen, einkommensabhängigen Tarifen oder Betreuungsgutscheinen finanziell an den Kosten der familienergänzenden Betreuung zu beteiligen, sofern der Bedarf und der politische Wille bestünden. In vielen Kantonen sei dies bereits der Fall.

Eine weitere Minderheit (Gutjahr, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Umbricht Pieren) will den Entwurf zurückweisen mit dem Auftrag an die Kommission, innerhalb von zwei Jahren eine neue Vorlage auszuarbeiten, damit alle Eltern, welche für die Kinderbetreuung bezahlen, von staatlichen finanziellen Unterstützungen profitieren können. Die Minderheit hebt hervor, dass es in der Schweiz unzählige verschiedene Betreuungsformen gebe. Viele Eltern organisieren ihre externe Kinderbetreuung eigenständig und greifen dabei auf keine staatliche Institution zurück. Zum Bespiel durch private Tageseltern, bezahlte Nachbarn oder Familienmitglieder oder privat eingestellte Fachpersonen Betreuung oder Nannys. Eine staatlich anerkannte Kinderbetreuung sei nicht für jede Familie die beste oder geeignete Lösung. Es schaffe Ungleichheiten und sei gegenüber all den Eltern, welche für die externe Kinderbetreuung bezahlen und so direkt auch Arbeitsplätze schaffen, ungerecht, wenn diese von staatlichen finanziellen Unterstützungen ausgeschlossen seien. Es sei nicht Aufgabe der Politik, durch monetäre Anreize zu entscheiden, welche Betreuungsform die «richtige» sei. Das Gesetz sei deshalb so zu überarbeiten, dass alle Familien von staatlichen finanziellen Unterstützungen profitieren können, unabhängig der gewählten Betreuungsform.

6

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

6.1

Bundesgesetz über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern (UKibeG)

Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Wasserfallen Christian) zum Geltungsbereich Mit diesem Antrag soll der Geltungsbereich des Gesetzes sowie des Bundesbeschlusses auf die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung beschränkt werden. Der Verweis auf die Politik der frühen Förderung von Kindern soll daher im Titel, im Zweckartikel (Art. 1), im Geltungsbereich (Art. 2), in den 37 / 76

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Definitionen (Art. 3) sowie in den Artikeln 13 und 17 gestrichen werden. Die Politik der frühen Förderung von Kindern soll in der alleinigen Zuständigkeit der Kantone bleiben. Die Minderheit verweist darauf, dass das primäre Ziel der parlamentarischen Initiative sei, die Eltern finanziell zu entlasten. Eine bundesseitige Unterstützung einer Politik der frühen Förderung von Kindern sei zudem nicht nötig: Die Kantone und Gemeinden seien mit sehr vielen Programmen und unterschiedlichen Angeboten bereits heute sehr aktiv.

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 1

Zweck

In Artikel 1 werden Ziel und Zweck des vorliegenden Gesetzes beschrieben.

Abs. 1 Die Ziele des Bundes sind die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung sowie die Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter. Das Ziel der besseren Vereinbarkeit entspricht demjenigen des heutigen KBFHG. Die Chancengerechtigkeit für Kinder ist ein zusätzliches Ziel, welches in der parlamentarischen Initiative 21.403 festgehalten wurde. Die parlamentarische Initiative verlangt die Verbesserung der frühkindlichen Bildung mit dem Ziel, die Entwicklungschancen der Kinder zu erhöhen.

Abs. 2 Der Bund gewährt zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele finanzielle Beiträge, um die Elternbeiträge zu senken, Lücken im Betreuungsangebot zu schliessen sowie eine bessere Abstimmung des Angebots auf die Bedürfnisse der Eltern zu erreichen. Weiter will der Bund die Qualität im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung verbessern. Zudem soll der Bund die Kantone darin unterstützen, die Politik der frühen Förderung von Kindern auf ihrem Gebiet weiterzuentwickeln.

Die in diesem Gesetz vorgesehenen Finanzhilfen sind Finanzhilfen im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 SuG76. Das SuG kommt hier folglich zur Anwendung und gilt für alles, was im vorliegenden Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist. Dies betrifft insbesondere die Folgen der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung einer Aufgabe (Art. 28 SuG), Fragen im Zusammenhang mit der Verjährung von Ansprüchen und der Rechtspflege (Art. 32 und Art. 35 SuG) sowie die Strafbestimmungen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen (Art. 37­40 SuG).

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren) zu Art. 1 Abs. 2 Bst. b, c und d Dieser Antrag hängt mit der Streichung der Programmvereinbarungen zusammen (Art. 13 bis 16). Gemäss Antrag seien Programme durch die Kantone und Gemeinden zu finanzieren. Letztlich tragen diese Körperschaften die Verantwortung für die Modelle der familienexternen Kinderbetreuung, nicht der Bund. Wenn der Bund nun die 76

SR 616.1

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direkte Subjektfinanzierung mit diesem Gesetz verankert, dann sind die Kantone nun in der Pflicht, die Programme selber zu finanzieren.

Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Tuena, Wasserfallen Christian) zu Art. 1 Abs. 2 Bst. c Gemäss Antrag soll die Verbesserung der Qualität des Angebots kein Ziel sein, das mit dem Gesetz verfolgt wird. Die Qualität liege in der Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden und müsse nicht in ein Bundesgesetz aufgenommen werden. Jeder Kanton soll gestützt auf die lokalen und kantonalen Nachfragen oder Interessen unterschiedliche Vorgaben machen können; der Bund soll diese Vorgaben nicht übersteuern. Deshalb soll Buchstabe c gestrichen werden.

Art. 2

Geltungsbereich

In diesem Artikel wird der Geltungsbereich definiert, d.h. worauf das Gesetz Anwendung findet.

Bst. a.

Gemäss Bst. a fallen darunter Kinder ab dem Zeitpunkt der Geburt bis zum Abschluss der obligatorischen Schule, die institutionell betreut werden. Die gewählte Spanne betreffend das Ende (Ende der obligatorischen Schulzeit) entspricht derjenigen von Artikel 2 KBFHG. Für den Beginn wird vorgeschlagen, «ab der Geburt» vorzusehen, auch wenn dies in der Regel nicht der Fall sein dürfte, dass ein Kind vor dem 3. Monat institutionell betreut wird (vgl. auch Erläuterungen zu Art. 4 Abs. 2).

Bst. b.

Das Gesetz umfasst auch den Bereich der Politik der frühen Förderung von Kindern und findet dementsprechend Anwendung auf die Massnahmen der Kantone zur Weiterentwicklung dieses Bereichs. Diese Massnahmen können bereits vorgeburtliche Angebote umfassen, wie Mütter- und Väterberatung oder Ähnliches.

Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Tuena, Wasserfallen Christian) zu Art. 2 Bst. a Dieser Antrag möchte den Geltungsbereich des Gesetzes auf die familienergänzende Betreuung von Kindern im Vorschulalter beschränken, und zwar sowohl in Bezug auf die Beiträge des Bundes zur Senkung der Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung (Abschnitt 2), als auch in Bezug auf die Programmvereinbarungen mit den Kantonen (Abschnitt 3). Kinder, die das schulpflichtige Alter erreicht haben, sollen daher nicht berücksichtigt werden. Die Minderheit verweist dabei auf das Harmos-Konkordat. In diesem sei geregelt, dass ­ bei Bedarf ­ entsprechende familienergänzende Angebote für Schulkinder, das heisst Tagesschulstrukturen und Mittagstischbetreuung, zu schaffen seien. Auch hier sei eine Übersteuerung durch den Bund zu vermeiden, zumal bei denjenigen Kantonen, die dem Konkordat nicht beigetreten seien. Wie die Mehrheit der Kommission sieht auch der vorliegende Minderheitsantrag vor, dass das Gesetz nur für Kinder gelten soll, die institutionell betreut werden.

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Minderheit (de Montmollin, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren, Wasserfallen Christian) zu Art. 2 Bst. a Mit diesem Antrag soll der Geltungsbereich des Gesetzes auf die familienergänzende Betreuung von Kindern bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit der Primarstufe beschränkt werden. In der Vernehmlassung hätten viele Kantone sowie die SODK, der SGV, der SSV, Travail Suisse, das Centre Patronal und der SAV es als wichtig bezeichnet, dass das Gesetz vor allem für den Zeitraum von der Geburt bis zum Ende der Primarschule (12 Jahre) gilt. In dieser Zeit sei die familienergänzende Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von zentraler Bedeutung, insbesondere damit die Mütter nach der Geburt ins Erwerbsleben zurückkehren. Ab der Sekundarstufe I (ab 12 Jahren) sei die familienergänzende Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hingegen weniger entscheidend.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen seien ebenfalls zu berücksichtigen. Haushalte mit Kindern im Alter von 0 bis 12 Jahren würden pro Kind monatlich rund 465 Franken77 für die Betreuung in Kinderkrippen und in Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung ausgeben. Für junge Eltern, die am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen, sei dies eine beträchtliche Summe. Die Kosten für die schulergänzende Betreuung auf der Sekundarstufe I seien hingegen deutlich tiefer und würden die Eltern somit weniger stark belasten.

Um Einsparungen zu erzielen und gleichzeitig das vorrangige Ziel des Gesetzes ­ die Unterstützung der Eltern ­ zu erreichen, könne der Bundesbeitrag für die Sekundarstufe I abgeschafft werden.

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren) zu Art. 2 Bst. b Dieser Antrag hängt mit der Streichung der Programmvereinbarungen zusammen (Art. 13 bis 16). Gemäss Antrag seien Programme durch die Kantone und Gemeinden zu finanzieren. Letztlich tragen diese Körperschaften die Verantwortung für die Modelle der familienexternen Kinderbetreuung, nicht der Bund. Wenn der Bund nun die direkte Subjektfinanzierung mit diesem Gesetz verankert, dann sind die Kantone nun in der Pflicht, die Programme selber zu finanzieren.

Art. 3

Begriffe

Bst. a.

Die familienergänzende Kinderbetreuung wird in diesem Gesetz definiert als die regelmässige Betreuung von Kindern im Vorschul- und Schulalter durch Dritte, die es den Eltern ermöglicht, eine Erwerbstätigkeit auszuüben oder eine Ausbildung zu absolvieren.

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Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) und der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zur Qualität und Finanzierung der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung, 15. November 2022. Kann abgerufen werden unter: https://www.sodk.ch/de/ dokumentation/empfehlungen/ https://www.edk.ch/de/dokumentation/rechtstextebeschluesse/empfehlungen.

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Bst. b.

Die Definition der institutionellen Betreuung lehnt sich an diejenige des Bundesamts für Statistik (BFS) an.78 Demnach umfasst die institutionelle Betreuung private oder öffentliche Einrichtungen, in denen Kinder betreut werden. D.h. im Vorschulbereich Kindertagesstätten, im Schulalter Tagesstrukturen oder Tagesschulen. Auch Tagesfamilien, die in Tagesfamilienvereinen, Stiftungen oder in anderen Formen einer Trägerschaft mit Rechtspersönlichkeit organisiert sind, zählen dazu. Damit fallen auf der anderen Seite Nannys oder Au-pair sowie Grosseltern, Nachbarn oder Bekannte, welche Kinder betreuen, nicht darunter. Auch Spielgruppen fallen nicht unter diesen Begriff, da hier nicht die Vereinbarkeit, sondern die Sozialisation der Kinder im Vordergrund steht.

Bei der institutionellen Betreuung werden gewisse Vorgaben und Standards insbesondere betreffend Qualität verlangt, was demgegenüber bei der nicht-institutionellen Betreuung nicht der Fall ist ­ diese ist Privatsache. Zudem werden die Tarife durch die Betreuungsinstitution oder die Gemeinde festgelegt. Sie sind dadurch transparent.

Bst. c.

Unterschieden werden die Politik der frühen Förderung von Kindern im engeren und die Politik der frühen Förderung von Kindern im weiteren Sinne. Die Politik der frühen Förderung von Kindern im engeren Sinne orientiert sich entsprechend an den Bedürfnissen von noch ungeborenen Kindern (Kinder im Mutterleib) und Kindern im Vorschulalter (Säuglinge und Kleinkinder). Die Politik der frühen Förderung von Kindern im weiteren Sinne bringt die Bedürfnisse von noch ungeborenen Kindern (Kinder im Mutterleib) und Kindern im Vorschulalter (Säuglinge und Kleinkinder bis zum Eintritt in den Kindergarten oder die Eingangsstufe) und ihrer Erziehenden in die sie betreffenden Politikbereiche ein und schafft somit die Rahmenbedingungen, die die Lern- und Entwicklungsprozesse von Kindern im Vorschulalter unterstützen und ein sicheres und gesundes Aufwachsen ermöglichen. Der Bericht des Bundesrates zur Politik der Frühen Kindheit vom 3. Februar 2021 stellt u.a. einen (nicht abschliessenden) Katalog der Leistungen bzw. Angebote in diesem Politikfeld vor. Die berücksichtigten Leistungen umfassen sowohl die allgemeine Förderung in der frühen Kindheit, Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Bewältigung allgemeiner
Herausforderungen und besonderer Lebenslagen als auch die ergänzenden Erziehungshilfen. Die Politik der frühen Förderung von Kindern gilt somit für alle Kinder im Vorschulalter, einschliesslich der Kinder mit besonderen Bedürfnissen oder Behinderungen, und zwar unabhängig von ihrer familiären oder sozialen Situation. Sie umfasst auch alle Maßnahmen, die darauf abzielen, die Inklusion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen in die regulären Strukturen und Angebote zu fördern.

78

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/familien/ familienergaenzende-kinderbetreuung.assetdetail.13007503.html

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Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Tuena, Wasserfallen Christian) zu Art. 3 Bst. a und b Wie beim Geltungsbereich sollen sich die Definitionen auf die familienergänzende Betreuung von Kindern im Vorschulalter beschränken. Alle Verweise auf Kinder im Schulalter sowie auf Angebote, die sich an diese richten, seien zu streichen (vgl.

hierzu Minderheit bei Art. 2 Bst. a).

2. Abschnitt: Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung Art. 4

Grundsätze

Abs. 1 Dieser Absatz weist auf den Zweck der finanziellen Beteiligung des Bundes hin. Der Bundesbeitrag soll Eltern entlasten und die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung senken. In Übereinstimmung mit dem Zweckartikel (Art. 1), sollen Eltern aber nur dann Anspruch auf den Bundesbeitrag haben, wenn sie ihre Kinder institutionell betreuen lassen.

Eltern, die ihre Kinder institutionell betreuen lassen, haben unabhängig von ihrer finanziellen Situation Anspruch auf einen Bundesbeitrag. Es ist Sache des Kantons oder der Gemeinde gegebenenfalls differenzierte Tarife je nach Einkommen oder sozialen Verhältnissen der Familie vorzusehen.

Abs. 2 Dieser Absatz verankert den Anspruch auf einen Bundesbeitrag für jedes Kind, das institutionell betreut wird. Im ordentlichen Haushalt des Bundes sind folglich die entsprechenden Mittel für diese neue Bundesbeteiligung vorzusehen. Anders als bei den im 3. Abschnitt vorgesehenen Finanzhilfen muss ein Zusatzkredit bewilligt werden, wenn sich die bewilligten Mittel als unzureichend erweisen sollten. Es wird nicht möglich sein, eine Prioritätenordnung vorzusehen.

Damit ein Anspruch auf einen Bundesbeitrag besteht, muss das Kind gemäss Artikel 3 institutionell betreut werden. Werden die Kinder zum Beispiel in einer Kindertagesstätte, einer Tagesstruktur oder einer Tagesfamilie betreut, die in einer Trägerschaft mit Rechtspersönlichkeit organisiert ist, besteht ein Anspruch auf einen Bundesbeitrag, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine öffentliche oder eine private Einrichtung handelt. Bei Kindern, die zu Hause von einer Tagesmutter, einem Au-pair, den Grosseltern, Nachbarn oder Bekannten gegen Entgelt betreut werden, besteht demgegenüber kein Anspruch.

Der Anspruch gilt für jedes Kind von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit. In der Praxis nehmen Kindertagesstätten Babys erst im Alter ab drei bis vier Monaten auf. Meistens geben die Eltern das Kind erst nach dem Mutterschaftsurlaub und einem allfälligen unbezahlten Urlaub in die Kindertagesstätte. In gewissen Situationen wird dennoch beispielsweise bereits ein zwei Monate altes Baby einer Kindertagesstätte oder einer Tagesfamilie anvertraut. Die Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung gehen auch dann zulasten der Eltern, weshalb es richtig 42 / 76

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ist, dass auch sie einen Bundesbeitrag erhalten. In jedem Fall entsteht der Anspruch erst, sobald die Eltern ihre Kinder tatsächlich betreuen lassen. Schliesslich wird der Beitrag nur ausgerichtet, solange die Kinder die obligatorische Schulzeit noch nicht beendet haben. Der Gesetzgeber ist der Auffassung, dass Jugendliche danach ausserhalb der Unterrichtszeiten keine besondere Betreuung mehr benötigen. Ihnen kann zum Beispiel zugemutet werden, zum Mittagessen nach Hause zu gehen, wenn es ihr Stundenplan zulässt. Erfahrungsgemäss sinkt der Bedarf an familienergänzender Kinderbetreuung mit zunehmendem Alter der Kinder. Häufig wird auf Sekundarstufe dementsprechend nur noch eine Mittagsbetreuung angeboten.

Abs. 3 Der Bundesbeitrag muss den Eltern zugutekommen und deren Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung tatsächlich senken. Der Bundesbeitrag darf also nicht verrechnet werden, weder mit Beiträgen der öffentlichen Hand (Kantone oder Gemeinden) an die Eltern noch mit solchen der Arbeitgeber, sofern diese gesetzlich zu einer Beteiligung an der familienergänzenden Kinderbetreuung verpflichtet sind.

Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Tuena) zu Art. 4 Abs. 1 Ziel des Gesetzes sei es, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu ermöglichen, und nicht Eltern finanziell zu unterstützen, die aus anderen Gründen die familienergänzende Kinderbetreuung in Anspruch nehmen.

Wenn Eltern einen Beschäftigungsgrad haben, der zusammengezählt weniger als 100 Prozent beträgt, sollten sie keinen Anspruch auf den Bundesbeitrag für ihr Kind haben, das institutionell betreut wird. In diesem Fall müssten die Eltern die Betreuung ihres Kindes selbständig finanzieren. Dasselbe gelte, wenn die Ausbildungszeit eines Elternteils kumuliert mit dem Beschäftigungsgrad oder der Ausbildungszeit des anderen Elternteils nicht mehr als 100 Prozent beträgt.

Minderheit (de Montmollin, Fiala, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Tuena, Umbricht Pieren) zu Art. 4 Abs. 1 Ziel des Gesetzes sei es, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu ermöglichen, und nicht Eltern finanziell zu unterstützen, die aus anderen Gründen die familienergänzende Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Um zu vermeiden,
dass Familien finanziell unterstützt werden, die sich in Anbetracht des Beschäftigungsgrades selber um die Betreuung ihrer Kinder kümmern könnten, sei in den Ausführungsbestimmungen der kumulierte Mindestbeschäftigungsgrad festzulegen, der den Anspruch auf den Bundesbeitrag begründet. Dabei seien die spezifischen Situationen der Familien zu berücksichtigen (bspw. die Situation von Einelternhaushalten). Es obliegt dem Bundesrat, den angemessenen Beschäftigungsgrad zu bestimmen.

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Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Tuena, Wasserfallen Christian) zu Art. 4 Abs. 2 Mit diesem Antrag soll der Geltungsbereich des Gesetzes auf die familienergänzende Betreuung von Kindern im Vorschulalter beschränkt werden. Der Bundesbeitrag würde nur für Kinder ausgerichtet, die die obligatorische Schule noch nicht angefangen haben. Eltern von Kindern im schulpflichtigen Alter, die eine schulergänzende Betreuung besuchen, hätten somit keinen Anspruch auf den Bundesbeitrag (vgl.

hierzu Minderheit zu Art. 2 Bst. a). Kinder im schulpflichtigen Alter besuchen die Schule und benötigen daher nur ausserhalb der Unterrichtszeiten eine Betreuung. Die damit verbundenen Kosten für die Eltern seien zudem verglichen mit den Kosten im Vorschulbereich geringer.

Minderheit (de Montmollin, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren, Wasserfallen Christian) zu Art. 4 Abs. 2 Mit diesem Antrag soll der Geltungsbereich des Gesetzes auf die familienergänzende Betreuung von Kindern bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit der Primarstufe beschränkt werden (vgl. Minderheit zu Art. 2 Bst. a). In der Vernehmlassung hätten viele Kantone sowie die SODK, der SGV, der SSV, Travail Suisse, das Centre Patronal und der SAV es als wichtig bezeichnet, dass das Gesetz vor allem für den Zeitraum von der Geburt bis zum Ende der Primarschule (12 Jahre) gilt. In dieser Zeit sei die familienergänzende Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von zentraler Bedeutung, insbesondere damit die Mütter nach der Geburt ins Erwerbsleben zurückkehren. Ab der Sekundarstufe I (ab 12 Jahren) sei die familienergänzende Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hingegen weniger entscheidend.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen seien ebenfalls zu berücksichtigen. Haushalte mit Kindern im Alter von 0 bis 12 Jahren würden pro Kind monatlich rund 465 Franken79 für die Betreuung in Kinderkrippen und in Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung ausgeben. Für junge Eltern, die am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen, sei dies eine beträchtliche Summe. Die Kosten für die schulergänzende Betreuung auf der Sekundarstufe I seien hingegen deutlich tiefer und würden die Eltern somit weniger stark belasten.

Um Einsparungen zu
erzielen und gleichzeitig das vorrangige Ziel des Gesetzes ­ die Unterstützung der Eltern ­ zu erreichen, könne der Bundesbeitrag für die Sekundarstufe I abgeschafft werden.

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Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) und der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zur Qualität und Finanzierung der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung, 15. November 2022. Kann abgerufen werden unter: https://www.sodk.ch/de/ dokumentation/empfehlungen/ https://www.edk.ch/de/dokumentation/rechtstexte-beschluesse/ empfehlungen.

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Minderheit (de Montmollin, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren, Wasserfallen Christian) zu Art. 4 Abs. 2 Der Bundesbeitrag zur Entlastung der Eltern bei der familienergänzenden Betreuung soll nur für in der Schweiz wohnhafte Kinder ausgerichtet werden. Für nicht in der Schweiz wohnhafte Kinder soll Artikel 6 gelten.

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Umbricht Pieren) zu Art. 4 Abs. 2 Dieser Antrag zielt auf die Anspruchsberechtigung ab (siehe auch Art. 5 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1). Die Gesetzgebung schaffe einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen Bundesbeitrag für die familienexterne Kinderbetreuung. Das übersteuere einige kantonale und kommunale Systeme, wie z.B. die Bildungsgutscheine. Auf einen Rechtsanspruch sei deshalb zu verzichten.

Minderheit (Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Umbricht Pieren, Wasserfallen Christian) zu Art. 4 Abs. 4 (neu) Dieser Antrag zielt auf die Kosten für die Umsetzung des Gesetzes ab. Die familienergänzende Kinderbetreuung sei primär eine kantonale Aufgabe. Die Kantone hätten unterschiedliche Systeme, die meist recht gut funktionierten. Wenn der Bund mit diesem Gesetz den Kantonen die Umsetzung diktieren wolle, so solle er auch die entstehenden Kosten der anfallenden Umstrukturierungen und Anpassungen übernehmen.

Art. 5

Anspruchsberechtigte

Abs. 1 Dieses Gesetz begründet einen Anspruch auf einen Beitrag des Bundes für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung. Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich die Eltern. Sie tragen im Normalfall die Kosten für die Inanspruchnahme der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung.

Diese Regelung gilt nicht nur für verheiratete Eltern, welche in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben. Sie gilt auch für getrenntlebende oder geschiedene Eltern, mit oder ohne gemeinsames Sorgerecht. Ein Anspruch auf den Bundesbeitrag hat in diesen Fällen derjenige Elternteil, welcher die Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung effektiv trägt. Der Bundesbeitrag ist somit diesem Elternteil geschuldet.

Tragen beide getrenntlebenden Elternteile einen Anteil der Kosten der familienergänzenden Kinderbetreuung, so haben beide einen anteilsmässigen Anspruch auf den Bundesbeitrag.

Abs. 2 In Einzelfällen kann eine andere Person einen Anspruch auf den Bundesbeitrag für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung haben, sofern sie regelmässig die Kosten übernimmt. Lebt ein Kind beispielsweise in einer Pflegefamilie, nimmt von dort aus institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung in Anspruch und die Pflegeeltern tragen die Kosten dafür, so haben sie Anspruch auf den Bundesbeitrag.

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Abs. 3 Für ein Kind besteht nur ein Anspruch auf einen Bundesbeitrag. Es können nicht gleichzeitig mehrere Personen, insbesondere beide Elternteile, einen Anspruch auf den Bundesbeitrag geltend machen (Verbot des Doppelbezugs). Der Bundesrat regelt die Anspruchskonkurrenz in der Verordnung.

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Umbricht Pieren) zu Art. 5 Sachüberschrift und Abs. 1 und 2 Dieser Antrag zielt auf die Anspruchsberechtigung ab (siehe auch Art. 4 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 1). Die Gesetzgebung schaffe einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen Bundesbeitrag für die familienexterne Kinderbetreuung. Das übersteuere einige kantonale und kommunale Systeme, wie z.B. die Bildungsgutscheine. Auf einen Rechtsanspruch sei deshalb zu verzichten.

Art. 6

Kinder im Ausland

Der im vorliegenden Bundesgesetz vorgesehene Bundesbeitrag ist bezüglich der Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung auf die inländischen Verhältnisse ausgerichtet und soll grundsätzlich ausschliesslich an Eltern ausbezahlt werden, die ihre Kinder in Einrichtungen auf dem Gebiet der Schweiz institutionell betreuen lassen. Der Gesetzesentwurf sieht dementsprechend, analog zur Regelung in Artikel 7 Absatz 1 der Familienzulagenverordnung (FamZV)80, eine möglichst weitgehende Einschränkung vor in Bezug auf die Anspruchsberechtigung für Kinder, die nicht auf dem Gebiet der Schweiz betreut werden und die gleichzeitig mit den staatsvertraglichen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar ist. Demnach soll nur dann ein Anspruch auf die vorgesehenen Leistungen für die institutionelle Betreuung von Kindern im Ausland geltend gemacht werden können, wenn die Schweiz durch Staatsverträge dazu verpflichtet ist.

Die Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen der Schweiz und den EU-/EFTAMitgliedstaaten wird durch die EU-Verordnungen (EG) Nr. 883/200481 und 987/200982 geregelt. Die Familienleistungen werden vom sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnungen erfasst. Familienleistungen i.S. von Art. 1 Bst. z der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sind alle Sach- und Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten ausgerichtet werden. Dem Ausgleich von Familienlasten dient gemäss EuGHRechtsprechung83 unter anderem auch ein staatlicher Beitrag zum Familienbudget, 80 81

82

83

SR 836.21 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit., ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1; eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.1.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (mit Anhängen), ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1; eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.11.

Urteil des EuGH vom 2. April 2020, C802/18, Caisse pour l'avenir des enfants, Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen, Randnr. 38.

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der die Kosten für den Unterhalt von Kindern verringert. Die im vorliegenden Gesetzesentwurf vorgesehene Leistung ist in ihrer Ausgestaltung als staatlicher Beitrag zur Reduktion der Unterhaltskosten von Kindern konzipiert, somit als Leistung zum Ausgleich von Familienlasten i.S. der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu qualifizieren und gemäss Art. 68 der Verordnung zu koordinieren. Die Leistung muss deshalb auch EU/EFTA-Staatsangehörigen gewährt werden, deren Kinder im EU-/EFTA-Ausland institutionell betreut werden.

Die vorgesehene Leistung muss hingegen weder an Staatsangehörige, mit deren Heimatstaat die Schweiz ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat noch an Drittstaatsangehörige ausgerichtet werden, die ihre Kinder im Ausland institutionell betreuen lassen.

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Umbricht Pieren) zu Art. 6 Gemäss diesem Antrag sollen die neu geschaffenen Bundesbeiträge nicht für Leistungen, die im Ausland bezogen werden, eingesetzt werden dürfen. Wenn der Bund familienexterne Kinderbetreuung finanzieren wolle, sollen die Leistungen auch in der Schweiz erbracht werden.

Art. 7

Bundesbeitrag

Der Bundesbeitrag ist zeitlich unbefristet. Im Verhältnis zu den Gesamtbetreuungskosten ist er zwar zweitrangig, trägt jedoch in nicht unerheblichem Mass zur Senkung der Kosten der Eltern bei. Der Beitrag wird ausgerichtet, solange die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.

Abs. 1 Der Bundesbeitrag bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes und entspricht höchsten 20 Prozent dieser Kosten. Dieser Prozentsatz ist insofern ein Höchstwert, als der Bundesbeitrag gemäss Artikel 8 gekürzt werden kann.

Abs. 2 Die Höhe des Bundesbeitrags richtet sich nach der tatsächlichen Inanspruchnahme der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung. Je mehr die Eltern die familienergänzende Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, desto höher fallen die von ihnen zu tragenden Kosten aus. Eltern, welche Teilzeit arbeiten und die familienergänzende Kinderbetreuung an zwei Tagen pro Woche in Anspruch nehmen, erhalten somit einen geringeren Bundesbeitrag als Eltern, die beide Vollzeit arbeiten und ihre Kinder an fünf Tagen pro Woche in der Kindertagesstätte betreuen lassen.

Das Recht auf einen Beitrag besteht für die Eltern nur für die tatsächliche, ihnen in Rechnung gestellte Dauer der Inanspruchnahme der institutionellen Betreuung.

Die Höhe des Bundesbeitrags häng auch von den durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes ab. Da diese Kosten regionalisiert sind (gemäss

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Abs. 4), richtet sich die Höhe des Bundesbeitrags nach den Kosten am Wohnsitz des Kindes und nicht nach den Kosten am Ort, an dem dieses institutionell betreut wird.

Abs. 3 Die Betreuung eines Kindes mit Behinderung verursacht zusätzliche Kosten, da sie mehr Ressourcen ­ namentlich Personalressourcen ­ erfordert. Es scheint somit sinnvoll, dass Eltern eines Kindes mit Behinderung einen höheren Bundesbeitrag erhalten, wenn ihnen durch die institutionelle Betreuung ihres Kindes tatsächlich höhere Kosten entstehen. Diese Kosten können von den Eltern oder der öffentlichen Hand, d. h.

vom Kanton oder der Gemeinde, getragen werden. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten der Berechnung des Bundesbeitrags für diese besonderen Situationen.

Abs. 4 Es ist Aufgabe des Bundesrates, die durchschnittlichen Kosten für einen familienergänzenden Betreuungsplatz in der Verordnung festzulegen. Er bestimmt zudem, welche Daten für die Berechnung dieser Kosten notwendig sind und welche Daten die Kantone dem Bund in standardisierter Weise zur Verfügung stellen müssen.

Diese durchschnittlichen Kosten sind nicht in der ganzen Schweiz gleich, da das Lohnniveau, die Mietkosten, aber auch die zu erfüllenden Qualitätskriterien je nach Region unterschiedlich sein können. Diese Unterschiede spiegeln sich letztlich in den Kosten für einen Betreuungsplatz wider. So kostet ein Krippenplatz in bestimmten Grossstädten mehr als ein Betreuungsplatz in einer ländlichen Region. Um eine gewisse Gerechtigkeit zwischen allen Eltern in der Schweiz zu gewährleisten, müssen diese Kostenunterschiede bei der Berechnungsweise des Bundesbeitrags berücksichtigt werden. Die durchschnittlichen Kosten könnten nach Kantonen oder nach grösseren, noch zu bestimmenden Regionen differenziert werden.

Die durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes können sich nicht nur aufgrund lokaler Besonderheiten, sondern auch aufgrund der Art der institutionellen Betreuung (Kindertagesstätten, schulergänzende Betreuung, Tagesfamilienbetreuung) unterscheiden. Der Bund erfasst regelmässig die durchschnittlichen Kosten eines Kinderbetreuungsplatzes für die verschiedenen Arten der institutionellen Betreuung, anhand deren er dann die durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes ermittelt.

Abs. 5 Unter Vorbehalt der
internationalen Abkommen und insbesondere der Abkommen mit der EU und der EFTA über die Koordinierung der sozialen Sicherheit verleiht Absatz 5 dem Bundesrat die Kompetenz, die Modalitäten für die Berechnung des Bundesbeitrags für im Ausland institutionell betreute Kinder festzulegen.

Artikel 6 schränkt den Anspruch auf den Bundesbeitrag dahingehend ein, dass dieser nur geltend gemacht werden kann, wenn die Schweiz durch Staatsverträge zu dessen Ausrichtung verpflichtet ist. Dies betrifft derzeit nur die EU- und die EFTA-Staaten.

Der Bundesrat muss also insbesondere die Situation der Kinder von Grenzgängerinnen und Grenzgängern regeln, die im Wohnsitzstaat der Familie betreut werden. Bei ausländischen Staaten ist es besonders schwierig, die durchschnittlichen Kosten für einen Betreuungsplatz festzulegen. Mangels relevanter und überprüfter Angaben ist 48 / 76

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es nicht möglich, sich bei der Festlegung einer allfälligen Kürzung des Bundesbeitrags auf den durchschnittlichen Jahresbetrag der von einem ausländischen Staat pro Kind ausbezahlten Beiträge zu stützen. Es gilt zu prüfen, ob die durchschnittlichen Kosten für diese Staaten pauschal bestimmt werden können oder sich ein Durchschnitt der nach der Beitragskürzung angewandten Sätze ermitteln lässt.

Minderheit (Kutter, Brunner, Fivaz Fabien, Gredig, Python, Roth Pasquier, Schneider Meret, Studer) zu Art. 7 Abs. 1, 2 und 4 Die Minderheit verweist darauf, dass die Subkommission mehrere Varianten für eine Regionalisierung geprüft habe. Resultat sei gewesen, dass der Aufwand unverhältnismässig hoch und die Wirkung klein sei, und dies aus folgenden Gründen: ­

Es gibt kein bestehendes Modell für eine regionale Abstufung des Beitrags, das einfach übernommen werden könnte, wie etwa die Prämienregionen gemäss KVG oder die Mietzinsmaxima im Bereich der Ergänzungsleistungen.

Zudem seien kaum Daten vorhanden, die es erlauben würden, eine Abstufung der Beiträge gemäss den Lebenshaltungskosten in den Regionen zu rechtfertigen;

­

ein gemäss Regionen abgestufter Bundesbeitrag hätte nur eine kleine Wirkung, da es sich um einen Bruchteil von 10 Prozent der durchschnittlichen Betreuungskosten in der Schweiz handeln würde;

­

der zusätzliche administrative Aufwand wäre unverhältnismässig hoch, um regional abgestufte Beiträge zu errechnen und gleichzeitig sicherzustellen, dass sie seitens der Kantone und Dritter breit akzeptiert sind;

­

der Bedarf an zusätzlichen familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten sei auf dem Land tendenziell grösser, weshalb es nicht opportun sei, in diesen Gebieten in der Tendenz kleinere Bundesbeiträge auszurichten.

Minderheit (Gutjahr, Gafner, Haab, Herzog Verena, Keller Peter, Rüegger, Umbricht Pieren, Wasserfallen Christian) zu Art. 7 Abs. 1 Der Antrag dieser Minderheit hänge indirekt mit dem Rückweisungsantrag an die Kommission zusammen, da die aktuelle Vorlage nur die institutionelle Kinderbetreuung unterstütze und die privat organisierte Kinderbetreuung ausblende. Mit dem Mehrheitskonzeptantrag gehe man von Kosten von rund 710 Millionen jährlich aus.

Mit diesem Minderheitsantrag werde die Kostenbeteiligung auf 10% festgelegt. Damit reduzierten sich die jährlichen Ausgaben um 50% auf rund 360 Millionen (siehe dazu auch Art. 8 Abs. 1). Dadurch werde zwar weiterhin die institutionelle Kinderbetreuung gegenüber der privat organisierten Kinderbetreuung bevorzugt, aber die Kosten für den Bund reduzierten sich.

Art. 8

Kürzung des Bundesbeitrags

Anfangs, d. h. in den ersten vier Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes, haben alle Eltern Anspruch auf einen Bundesbeitrag in Höhe von 20 Prozent (vgl. Art. 7). Es ist jedoch wichtig, dass die Kantone und Gemeinden, die in erster Linie für die familien49 / 76

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ergänzende Kinderbetreuung zuständig sind, auch nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes noch finanzielle Unterstützung leisten. Auf jeden Fall ist zu vermeiden, dass sie ihre Beiträge mit der Begründung kürzen, die Eltern würden nun vom Bund unterstützt. Aus diesem Grund sieht dieses Gesetz einen Mechanismus vor, gemäss dem der Bundesbeitrag gekürzt wird, falls die Kantone ihre Beiträge senken oder nicht bis zu einer bestimmten Höhe anheben.

Abs. 1 Der Bundesbeitrag darf alle vier Jahre gekürzt werden, falls das finanzielle Engagement des Kantons unzureichend ist, d. h., wenn die in einem Kanton ausbezahlte Summe der Beiträge an die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung einen vom Bund festgelegten Schwellenwert unterschreitet.

Eine allfällige Kürzung des Bundesbeitrags erfolgt erst nach Ablauf von vier Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes, um den Kantonen eine Frist zur Anpassung und gegebenenfalls zur Änderung ihrer Gesetzgebung einzuräumen. So sollen die Kantone ermutigt werden, mehr in die familienergänzende Kinderbetreuung zu investieren, um die Kosten für die Eltern zu verringern. In den Kantonen, die Gefahr laufen, den Schwellenwert zu unterschreiten, könnte die drohende Kürzung des Bundesbeitrags den politischen Druck zum Handeln erhöhen.

Damit alle Eltern, die ihr Kind institutionell betreuen lassen, unabhängig von ihrem Wohnsitzkanton einen Mindestbeitrag erhalten, soll der Bundesbeitrag mindestens 10 Prozent der Kosten für einen familienergänzenden Kinderbetreuungsplatz decken.

Zur Vermeidung unerwünschter Schwelleneffekte erfolgt eine allfällige Kürzung des Beitrags linear und nicht stufenweise.

Die Höhe des Beitrags bemisst sich nach dem durchschnittlichen Jahresbetrag der Beiträge, die pro Kind im Wohnsitz- und nicht im Betreuungskanton ausbezahlt werden.

Abs. 2 Sowohl die Höhe als auch die Art der ausbezahlten Beiträge variieren stark von einem Kanton zum anderen. Die Kommission wollte daher ein objektives und für alle Kantone leicht anzuwendendes Kriterium für die Bestimmung der allfälligen Kürzung wählen.

Massgebend ist der durchschnittliche Jahresbetrag der Beiträge, die in einem Kanton pro Kind im Alter von 0 bis 15 Jahren (Kinder unter 16 Jahren) für familienergänzende Kinderbetreuung ausbezahlt werden. Der Gesamtbetrag der gemäss Absatz 2 anrechenbaren
Beiträge wird durch die Anzahl Kinder im Alter von 0 bis 15 Jahren in einem bestimmten Kanton geteilt.

Gemäss Artikel 2 gilt der vorliegende Gesetzesentwurf für Kinder von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit. Der Einfachheit und Einheitlichkeit halber wurde eine Altersgrenze für die zu berücksichtigenden Kinder festgelegt. So muss man sich nicht auf Daten stützen, die im Hinblick auf das Ende der obligatorischen Schulzeit von einem Kanton zum anderen variieren können.

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Die Daten zu den Kindern sind beim BFS verfügbar. Es ist Aufgabe der Kantone, dem BSV die Informationen über die Höhe der auf ihrem Gebiet ausbezahlten Beiträge zu liefern (siehe Art. 9 Abs. 2 und 4).

Abs. 3 Anrechenbar sind die Subventionen der Kantone und Gemeinden sowie die gesetzlich vorgeschriebenen Beiträge der Arbeitgeber an die familienergänzende Kinderbetreuung. Berücksichtigt werden nur die Beiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung nach Artikel 3a Absatz 2 KBFHG. Es muss sich somit um Beiträge handeln, mit denen die Kosten für die Eltern langfristig verringert werden (z. B. Beiträge an Betreuungseinrichtungen zur Senkung der Elterntarife, Beteiligung an den Personalkosten [Löhne, Ausbildungskosten], direkt an Eltern ausgerichtete Beiträge, kostenlose Bereitstellung von Räumlichkeiten).

Minderheit (Gutjahr, Gafner, Haab, Herzog Verena, Keller Peter, Rüegger, Umbricht Pieren, Wasserfallen Christian) zu Art. 8 Abs. 1 Der Antrag dieser Minderheit hänge indirekt mit dem Rückweisungsantrag an die Kommission zusammen, da die aktuelle Vorlage nur die institutionelle Kinderbetreuung unterstütze und die privat organisierte Kinderbetreuung ausblende. Mit dem Mehrheitskonzeptantrag gehe man von Kosten von rund 710 Millionen jährlich aus.

Mit diesem Minderheitsantrag werde die Kostenbeteiligung auf 10% festgelegt.

Damit reduzierten sich die jährlichen Ausgaben um 50% auf rund 360 Millionen (siehe dazu auch Art. 7 Abs. 1). Dadurch werde zwar weiterhin die institutionelle Kinderbetreuung gegenüber der privat organisierten Kinderbetreuung bevorzugt, aber die Kosten für den Bund reduzierten sich.

Art. 9

Festlegung des Schwellenwerts

Abs. 1 Es ist Aufgabe des Bundesrates, in einer Verordnung den Schwellenwert, d. h. den Jahresbetrag der auf Kantonsebene pro Kind unter 16 Jahren ausbezahlten Beiträge, festzulegen, ab dem der Bundesbeitrag in Höhe von 20 Prozent beansprucht werden kann. Dieser Schwellenwert ist so festzusetzen, dass die Kantone einen Anreiz haben, mehr finanzielle Unterstützung zu leisten.

Abs. 2 Der vom Bundesrat festgelegte Schwellenwert muss genau bemessen sein. Er darf weder zu hoch noch zu niedrig sein. Ist er zu hoch, benachteiligt er alle Kantone, auch diejenigen, die sich bereits stark für die familienergänzende Kinderbetreuung einsetzen. Ist er zu niedrig, stellt er keinen Anreiz mehr dar. Um diesen Schwellenwert möglichst genau zu bemessen, benötigt der Bundesrat Daten von den Kantonen. Er muss für jeden Kanton insbesondere den durchschnittlichen Jahresbetrag der in diesem Kanton pro Kind unter 16 Jahren ausbezahlten Beiträge kennen. Nur die Kantone können diese Daten liefern. Diese Daten sind auch für die Berechnung einer allfälligen Kürzung erforderlich.

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Diese Daten müssen dem Bund in standardisierter Weise zur Verfügung gestellt werden, um effizient genutzt werden zu können.

Abs. 3 Der Bundesrat muss den Schwellenwert regelmässig anpassen. Eine Periodizität von vier Jahren scheint angemessen: So kann gegebenenfalls sichergestellt werden, dass ein neuer Schwellenwert mit einer neu anbrechenden Vertragslaufzeit für die Programmvereinbarungen zusammenfällt.

Abs. 4 Es ist Aufgabe des BSV als Vollzugsbehörde, für jeden Kanton die allfällige Kürzung des Bundesbeitrags zu berechnen. Hierzu prüft das Bundesamt die Daten der Kantone nach Absatz 2 und vergleicht sie mit dem vom Bundesrat festgelegten Schwellenwert.

Die Kürzung des Beitrags erfolgt linear.

Minderheit (Fivaz Fabien, Prezioso, Python, Schneider Meret) zu den Art. 7, 8 und 9 Dieser Antrag soll die Nachteile des Stufenmodells korrigieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass auch weiterhin ein starker Anreiz für die Kantone besteht. Bei diesem linearen Bonusmodell zahlt der Bund allen Eltern einen Sockelbeitrag (10 %) aus.

Eltern, die in einem Kanton wohnen, der zusätzliche Subventionen vorsieht, wird ein Zusatzbeitrag (höchstens 10 %) ausgerichtet. Dieser Zusatzbeitrag (Bonus) wird nach einem linearen Prinzip festgelegt, wodurch Schwelleneffekte vermieden und gleichzeitig selbst bescheidene Bemühungen der Kantone belohnt werden. Der Mindestbetrag der kantonalen Subventionen pro Kind gilt als Untergrenze, die für die Ausrichtung eines Zusatzbeitrags erforderlich ist. Die lineare Erhöhung erfolgt erst ab diesem Schwellenwert, was die Kantone dazu veranlassen soll, ihr Engagement zu verstärken.

Auch eine Obergrenze ist vorgesehen, ab welcher sich der Zusatzbeitrag nicht mehr erhöht. Dieses Modell trägt den sehr grossen strukturellen Unterschieden zwischen den Kantonen Rechnung ­ namentlich was die Form und die Höhe der ausgerichteten Subventionen betrifft ­ und schafft gleichzeitig Anreize für ein stärkeres Engagement der Kantone. Zudem werden Schwelleneffekte beseitigt.

Das von der WBK-N vorgeschlagene Bundesbeitragsmodell zielt darauf ab, die Betreuungskosten für die Eltern deutlich zu verringern und gleichzeitig Anreize für die Kantone zu schaffen, ihr Engagement in der familienergänzenden Betreuung zu verstärken oder beizubehalten.

Nach Ansicht dieser Minderheit hat die Vernehmlassung
gezeigt, dass der Bundesbeitrag zur Entlastung der Eltern als prioritär erachtet wird, das Modell mit einem Sockelbeitrag und einem abgestuften Zusatzbeitrag jedoch auch verschiedene Nachteile aufweist, unter anderem den Schwelleneffekt, Umsetzungsschwierigkeiten und geringe Anreize für Kantone, die sich bereits unterstützend tätig sind.

Um den sehr grossen strukturellen Unterschieden zwischen den Kantonen Rechnung zu tragen ­ namentlich was die Form und die Höhe der ausgerichteten Subventionen betrifft ­ und gleichzeitig Anreize für ein stärkeres Engagement der Kantone zu schaffen, soll der Zusatzbeitrag (Bonus) nach einem linearen Modell mit Unter- und Obergrenze ausgerichtet werden.

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Die geschätzten Kosten für den Bundesbeitrag an die Eltern belaufen sich für dieses Modell auf rund 610 Millionen Franken im ersten Jahr nach Inkraftsetzung des Gesetzes.

Minderheit (Wasserfallen Christian, de Montmollin, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Keller Peter, Rüegger, Umbricht Pieren, Vincenz) zu den Art. 7, 8 und 9 Nach Meinung dieser Minderheit soll sich die Rolle des Bundes darauf beschränken, die Eltern bei der familienergänzenden Betreuung zu unterstützen. Mit der beantragten Lösung sollen die Beträge zur Unterstützung der Eltern unabhängig von der kantonalen Politik sein, d. h., nicht nach oben oder nach unten variieren, je nachdem, welche Politik verfolgt wird. Es sollen nur die tatsächlichen lokalen Kosten (Löhne, Mieten) berücksichtigt werden, die von den Entscheidungen der kantonalen Politik unabhängig sind. Die Minderheit will verhindern, dass die Kantone über einen Hebel verfügen, mit dem sie die Bundesbeteiligung an den Kosten für Kinderbetreuungseinrichtungen erhöhen (oder verringern) können.

Die geschätzten Kosten für den Bundesbeitrag an die Eltern belaufen sich für dieses Modell auf rund 530 Millionen Franken im ersten Jahr nach Inkraftsetzung des Gesetzes.

Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Keller Peter, Rüegger) zu den Art. 7, 8 und 9 Gemäss diesem Antrag deckt der Beitrag des Bundes 10 Prozent der Kosten, die den Eltern in einer bestimmten Einrichtung in Rechnung gestellt werden. Diese Variante würde die Eltern auf der Grundlage des Tarifs entlasten, den sie nach Abzug anderer 53 / 76

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Subventionen (kommunal, kantonal, von Dritten) tatsächlich bezahlen. Eltern, die höhere Rechnungen für die familienergänzende Betreuung haben, würden einen entsprechend höheren Bundesbeitrag erhalten. Eltern, die bereits kantonale oder kommunale Subventionen erhalten, würden einen geringeren Bundesbeitrag erhalten. Aus Sicht der Minderheit würde dieses System, das auf die effektiven Kosten und nicht auf den Kita-Tarif abstellt, das Bedürfnis nach einer vergleichsweise gerechten Behandlung aller Eltern am ehesten einlösen und einer schlanken Gesetzgebung entsprechen.

Die geschätzten Kosten für den Bundesbeitrag an die Eltern belaufen sich für dieses Modell auf höchstens 360 Millionen Franken im ersten Jahr nach Inkraftsetzung des Gesetzes.

Art. 10

Überentschädigung

Abs. 1 Das Ziel des Bundesbeitrags ist es, die Eltern finanziell zu entlasten, die ihre Kinder institutionell betreuen lassen. Allerdings soll der Bundesbeitrag nicht dazu führen, dass Eltern, deren Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung tiefer sind, als der ihnen zustehende Bundesbeitrag, bessergestellt werden.

Abs. 2 Sobald der Bundesbeitrag, der den Eltern aufgrund der Betreuungsdauer zusteht, die den Eltern in Rechnung gestellten Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung übersteigt, liegt eine Überentschädigung vor.

Abs. 3 Die Höhe der Überentschädigung ergibt sich aus der Differenz zwischen der Höhe des Bundesbeitrags und der den Eltern in Rechnung gestellten Höhe der Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung. Der Bundesbeitrag wird um diesen Differenzbetrag gekürzt. Er kann bis auf 0 Franken gekürzt werden.

Art. 11

Gewährung des Bundesbeitrags an die Anspruchsberechtigten

Abs. 1 Die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung fallen monatlich an. Deshalb ist es angezeigt, dass ihnen der Bundesbeitrag monatlich gewährt wird.

Eine Zahlung, die nur episodisch (z. B. jährlich oder halbjährlich) erfolgt, würde die Familien nicht wirksam entlasten. Einige von ihnen haben ein knappes Budget und wenig Ersparnisse. Eine rückwirkende Zahlung, gleichzeitig für mehrere Monate, würde im Alltag ihr Budget nicht entlasten. In Ausnahmefällen, hauptsächlich dann, wenn die Eltern die Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung nur selten und unregelmässig in Anspruch nehmen, erfolgt die Rechnungsstellung nicht monatlich. In diesen Fällen soll den Eltern der Bundesbeitrag ebenfalls nur ausgerichtet, wenn ihnen effektiv Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung anfallen.

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Abs. 2 Für die Einhaltung der Voraussetzungen für die Gewährung des Bundesbeitrags und für dessen Auszahlung sind die Kantone zuständig.

Konkret ist der Kanton zuständig, in dem das Kind wohnt.

Abs. 3 Es ist an den Kantonen das Verfahren für die Ausrichtung des Bundesbeitrags gestützt auf ihre bereits bestehenden Strukturen und Systeme im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung festzulegen. So können sie das am besten an ihr bereits bestehendes System angepasste Modell wählen. Sie müssen sicherstellen, dass je nach Wahl des Modells die Institutionen, die Gemeinden, die Eltern oder Dritte in der Lage sind, die nötigen Angaben für die Ausrichtung des Bundesbeitrags zu liefern. Die Kantone bestimmen ausserdem die für den Vollzug dieses Gesetzes zuständige kantonale Stelle, führen Kontrollmechanismen ein usw.

Gemäss Artikel 46 BV haben die Kantone die administrativen Kosten für den Vollzug von Bundesrecht zu tragen.

Abs. 4 In zahlreichen Kantonen sind in erster Linie die Gemeinden und nicht der Kanton für die familienergänzende Kinderbetreuung zuständig. Deshalb können die Kantone die Gewährung des Bundesbeitrags an die Gemeinden delegieren. Eine Aufgabendelegation an einen Gemeindeverband ist ebenfalls denkbar. Gewisse Kantone wie beispielsweise der Kanton Waadt haben eine öffentlich-rechtliche Stiftung gegründet, die den Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung auf dem Kantonsgebiet koordiniert und fördert. Sie verwaltet zudem die Beiträge für die familienergänzende Kinderbetreuung. Es kann somit angezeigt sein, die im vorliegenden Gesetz vorgesehenen Aufgaben an eine solche Körperschaft zu übertragen. Es ist auch denkbar, dass ein Kanton bestimmte Aufgaben auf eine oder mehrere privatrechtliche Einrichtungen überträgt.

Die Verantwortung für den ordnungsgemässen Vollzug dieses Gesetzes bleibt in jedem Fall bei den Kantonen, unabhängig davon, ob sie die ihnen übertragenen Aufgaben selber wahrnehmen oder diese delegieren.

Abs. 5 Der Bundesrat soll die Möglichkeit haben, gewisse Vorgaben zum Verfahren der Kantone zu machen. Zu denken ist bspw. daran, dass die Kantone sicherstellen müssen, dass den Eltern eine Ansprechstelle zur Verfügung steht, die sie bei allfälligen Fragen im Zusammenhang mit der Ausrichtung des Bundesbeitrags unterstützt.

Minderheit (Wasserfallen Christian,
Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Umbricht Pieren) zu Art. 11 Sachüberschrift und Abs. 1 Dieser Antrag zielt auf die Anspruchsberechtigung ab (siehe auch Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1). Die Gesetzgebung schaffe einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen Bundesbeitrag für die familienexterne Kinderbetreuung. Das übersteuere einige 55 / 76

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kantonale und kommunale Systeme, wie z.B. die Betreuungsgutscheine. Auf einen Rechtsanspruch sei deshalb zu verzichten.

Art. 12

Rückerstattung der Bundesbeiträge an die Kantone

Abs. 1 Das BSV ist für den Vollzug dieses Gesetzes zuständig und muss sich in jedem Kanton an eine einzige Ansprechstelle wenden können. Selbst wenn der Kanton einige seiner Aufgaben an die Gemeinden oder eine andere Körperschaft gemäss Artikel 11 delegiert, ist der Kanton allein für die Einhaltung des Gesetzes auf seinem Gebiet zuständig und hat dem BSV Bericht zu erstatten.

So muss der Kanton ein- bis zweimal pro Jahr eine Abrechnung der auf seinem Gebiet ausgerichteten Beiträge erstellen.

Die Übertragung der Abrechnungen und Rückforderungen der Kantone an das BSV erfolgt standardisiert, d.h. mit den vom BSV vorgegebenen digitalen Anwendungen.

Abs. 2 Nach erfolgter Prüfung der Abrechnung entscheidet das BSV gemäss Artikel 16 SuG über den Gesamtbeitrag, der dem jeweiligen Kanton erstattet wird. Ist der Kanton mit dem festgelegten Betrag nicht einverstanden, kann er gegen die Verfügung des BSV Einsprache erheben.

Gemäss Artikel 23 Absatz 2 SuG dürfen dem Kanton vor der Festsetzung des endgültigen Betrages in der Regel höchstens 80 Prozent der Finanzhilfe ausbezahlt werden.

3. Abschnitt: Programmvereinbarungen Art. 13

Finanzhilfen an Kantone und Dritte

Programmvereinbarungen sind öffentlich-rechtliche Verträge, die zwischen dem zuständigen Bundesamt und den Kantonen abgeschlossen werden.

Das Instrument der Programmvereinbarung geht von folgender Konzeption aus: Bund und Kanton handeln einen Globalbeitrag für ein Programm aus, das heisst für ein koordiniertes, kohärentes Massnahmenpaket, welches sich in der Regel auf vier Jahre erstreckt. Die finanzielle Leistung des Bundes hängt von der Erreichung bestimmter Ziele, Erfolge und Wirkungen ab. Die mit den einzelnen Kantonen ausgehandelten Vereinbarungen beziehen sich auf strategische Ziele, die vorgängig zwischen Bund und Kantonen vereinbart wurden.

Die Programmvereinbarung entspricht folgendem Leitgedanken: Anstelle von projektbezogenen Einzelsubventionen sollen die Kantone für Aufgaben, die sie gemeinsam mit dem Bund erfüllen, Global- und Pauschalsubventionen vom Bund erhalten.

Artikel 16 ­ 22 SuG regeln die Gewährung von Subventionen. Während Subventionen grundsätzlich durch Verfügung oder Vertrag gewährt werden (Art. 16 Abs. 1 und 2 SuG), werden solche an Kantone in der Regel aufgrund von Programmvereinbarungen gewährt (Art. 16 Abs. 3 SuG).

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Abs. 1 Im vorliegenden Gesetz soll der Bund für die Bereiche Lückenschliessung im Betreuungsangebot, bessere Abstimmung des Angebots auf die Bedürfnisse der Eltern sowie der Qualität der Betreuungsangebote (Buchstaben a­c) mit den Kantonen Programmvereinbarungen abschliessen, um eine Verbesserung in diesen Bereichen zu erzielen.

Die Verbesserungen in diesem Bereich bzw. die Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung ist ein übergeordnetes Ziel der Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen. Mit diesem übergeordneten Ziel sollen die Kantone dazu angehalten werden, nicht auf dem Status Quo zu verbleiben, sondern den Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung umfassend weiterzuentwickeln. Dieser Grundsatz hat zur Folge, dass die Kantone hier generell stärker investieren müssen und beispielsweise auch ihre Subventionen im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung nicht zurückfahren dürfen.

Bei der Lückenschliessung (Bst. a) besteht das Problem, dass ein Bedarfsnachweis für fehlende Plätze im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen für die meisten Kantone wohl nur sehr schwer zu erbringen sein dürfte. Dafür fehlen heute die nötigen (statistischen) Grundlagen. Deshalb ist angedacht, dass der Bund in der ersten Programmperiode (d.h. während den ersten 4 Jahren) keinen solchen Bedarfsnachweis von den Kantonen verlangt. Die hälftige Mitfinanzierung der neu geschaffenen Plätze durch die Kantone bietet ausreichend Sicherheit dafür, dass die Kantone ausschliesslich Plätze schaffen, für welche tatsächlich ein Bedarf besteht. Parallel dazu sollen die Kantone verpflichtet werden, während den ersten vier Jahren die nötigen Grundlagen zu schaffen, um für eine nachfolgende Programmperiode den Bedarfsnachweis bzw.

Versorgungsziele aufzuzeigen. Erleichtert werden soll dies durch die Einführung einer nationalen Statistik zu den Förderbereichen gemäss diesem Gesetz (vgl. 4. Abschnitt).

Wie die Lückenschliessung umfassen auch die Massnahmen zur besseren Abstimmung des Betreuungsangebots auf die Bedürfnisse der Eltern (Bst. b) den Vorschulsowie den schulergänzenden Bereich. Die Angebote sollen für Eltern, die am Abend arbeiten oder unregelmässige Arbeitszeiten haben (bspw. Arbeit auf Abruf, Schichtund Wochenendarbeit), verbessert werden. Im schulergänzenden Bereich ist insbesondere
an die bessere Abdeckung der Betreuung während der Schulferien zu denken.

Die Qualität der Angebote hängt sowohl von pädagogischen wie betrieblichen Faktoren ab (Bst. c). Die Massnahmen zur Verbesserung der Qualität können beispielsweise der Förderung der Entwicklungs-, Unterstützungs- und Lernaktivitäten, der Erhöhung der Verbleibdauer des Betreuungspersonals im Beruf oder der Erhöhung des Anteils an ausgebildetem Personal dienen, oder die Professionalisierung im Bereich des Managements und der Administration der Betreuungsstrukturen, die Senkung des Betreuungsschlüssels oder die Einführung von Qualitätssicherungstools beinhalten. Im November 2022 verabschiedeten die EDK und die SODK gemeinsam Empfehlungen zur Qualität der Finanzierung der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung84.

Diese Empfehlungen dienen den Kantonen sowohl auf fachlicher als auch auf poli84

Kann abgerufen werden unter: SODK_EDK_Empfehlung_Kinderbetreuung22_DE_Digital_2211.pdf (ch-sodk.s3.amazonaws.com) (Stand: 25.11.2022).

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tischer Ebene als Orientierungsrahmen. Sie unterstützen die zuständigen Stellen in den Kantonen und Gemeinden bei der Überprüfung und Weiterentwicklung ihrer Angebote, Grundlagen und spezifischen Prozesse. Es ist daher sinnvoll, dass sich die Programmvereinbarungen auf diese Empfehlungen oder auf allfällige Nachfolgeempfehlungen beziehen.

Sowohl betreffend die Schaffung neuer Plätze sowie hinsichtlich der Förderung der Qualität der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung ist den spezifischen Aspekten von Kindern mit Behinderungen besonders Rechnung zu tragen.

Abs. 2 Auch die Weiterentwicklung der Politik der frühen Förderung von Kindern in den Kantonen soll mittels Programmvereinbarungen durchgeführt werden. Die Massnahmen können sich sowohl auf die sogenannte allgemeine Förderung in der frühen Kindheit (z.B. familienergänzende Kinderbetreuung, Elternbildung, frühe Sprachförderung), Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Bewältigung allgemeiner Herausforderungen und besonderer Lebenslagen (z.B. Angebote für Erziehende und weitere Bezugspersonen) als auch auf ergänzende Erziehungshilfen (z.B. aufsuchende Familienarbeit) beziehen.

Abs. 3 Dieser Absatz hält fest, dass insbesondere die gemeinsam von Bund und Kantonen festgelegten Ziele sowie die finanzielle Beteiligung des Bundes in den jeweiligen Verträgen festgehalten werden sollen. Natürlich umfassen die Verträge darüber hinaus noch weitere Punkte wie bspw. Mechanismen zur Kontrolle («Controlling»), Überwachung («Monitoring») und Erarbeitung von Berichten («Reporting»).

Abs. 4 Absatz 4 sieht vor, dass der Bund insbesondere während der Vorbereitungsphase, aber auch im Rahmen der Laufzeiten von Programmvereinbarungen Projekte und Programme fördern kann, die von nationaler oder sprachregionaler Bedeutung sind. Diese Projekte sollen die Kantone bspw. darin unterstützen, geeignete Programmeingaben zur Qualitätsförderung oder zur Schaffung von weiteren Betreuungsplätzen zu entwickeln. Weiter könnten damit auch die Harmonisierungsbestrebungen der Kantonskonferenzen unterstützt, Beispiele guter Praxis ausgewertet und bekannt gemacht werden oder Projekte Dritter, die der Weiterentwicklung im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung dienen, gefördert werden.

Minderheit (Fivaz Fabien, Aebischer Matthias, Amoos, Atici, Brunner,
Locher Benguerel, Piller Carrard, Prezioso, Python, Roth Pasquier, Weber) zu Art. 13 Abs. 1 Bst. a Die Minderheit möchte den Kreis der Kinder erweitern, für welche zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden sollen. So sollen insbesondere auch für Kinder mit besonderen Bedürfnissen im Vorschulalter familienergänzende Betreuungsplätze geschaffen werden. Aus Sicht der Minderheit sei es wichtig, die in der Vorlage vorgesehenen Massnahmen nicht auf Kinder mit Behinderungen zu begrenzen. In der Realität der familienergänzenden Betreuung zeige sich, dass viele Kinder mehr 58 / 76

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Aufmerksamkeit ihrer Bezugspersonen, achtsamere Begleitung in ihrer Entwicklung und damit intensivere Betreuung benötigen. Es sei deshalb angezeigt, diesem Umstand Rechnung zu tragen und spezifische Massnahmen auch in diesem Bereich vorzusehen.

Minderheit (Herzog Verena, Gafner, Gutjahr, Haab, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren, Wasserfallen Christian) zu Art. 13 Abs. 1 Bst. c Gemäss diesem Antrag sei auf den Verweis auf die Empfehlungen zur Qualität der familienergänzenden Kinderbetreuung zu verzichten. Die Verbesserung der Qualität der Angebote sei Sache der Kantone und Gemeinden. Im Rahmen des Bewilligungsprozesses und der Aufsicht verfügten die Kantone und Gemeinden bereits anhand klarer Kriterien Qualitätsvorgaben zur Infrastruktur sowie auch Vorgaben zur pädagogischen und betrieblichen Qualität. Jeder Kanton soll gestützt auf die lokalen und kantonalen Nachfragen oder Interessen unterschiedliche Vorgaben machen können.

Die gemeinsamen Empfehlungen der interkantonalen Konferenzen (SODK und EDK) gingen zu weit. Die Regulierungsdichte sei bereits heute immens.

Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Tuena, Wasserfallen Christian) zu Art. 13 Abs. 1 Bst. b und c sowie Minderheit (Umbricht Pieren, Gafner, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Tuena) zu Art. 13 Abs. 4 Die Minderheit schlägt vor, die Möglichkeit für den Bund zu streichen, über Programmvereinbarungen Massnahmen zu unterstützen, die eine bessere Abstimmung der familienergänzenden Kinderbetreuungsangebote auf die Bedürfnisse der Eltern zum Ziel haben. Sie möchte zudem die Möglichkeit für den Bund, über Programmvereinbarungen Massnahmen zur Verbesserung der Qualität der Betreuungsangebote zu unterstützen, streichen. Schliesslich schlägt sie vor, die Möglichkeit des Bundes zu streichen, Kantone oder Dritte zu unterstützen, die Programme und Projekte von nationaler oder regionaler Bedeutung umsetzen, die den Zielen des Gesetzes entsprechen. Als Konsequenz aus dem Antrag beim Zweckartikel (Art. 1 Abs. 2 Bst. c) ist die Minderheit der Ansicht, dass sich die Vorlage auf die Entlastung der Eltern konzentrieren sollte. Alle übrigen Massnahmen ­ namentlich die Massnahmen zur besseren Abstimmung der familienergänzenden Betreuungsangebote auf die Bedürfnisse der Eltern insbesondere
hinsichtlich der Erweiterung und Flexibilisierung der Betreuungszeiten sowie die Massnahmen zur Qualitätsverbesserung ­ seien Sache der Kantone und Gemeinden und damit aus der Vorlage zu streichen.

Art. 14

Verfügbare Mittel

Dieser Artikel hält fest, dass der Bund im Bereich der Programmvereinbarungen mit mehrjährigen Verpflichtungskrediten arbeiten wird. Aus diesem Grund muss explizit festgehalten werden, dass der Bund nur im Rahmen der bewilligten Kredite Finanzhilfen gewähren kann. D.h., sollten die Kredite vorzeitig ausgeschöpft sein, käme das Instrument der sogenannten Prioritätenordnung gemäss Artikel 13 SuG zur Anwendung. Bei der Verteilung der Mittel gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Kantone. In der Regel sind seitens der zuständigen Ämter Verteilschlüssel vorgesehen, 59 / 76

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die die Vergabe der Mittel mitbestimmen. Zeichnet sich ab, dass die gesprochenen Mittel nicht ausreichen, kann der Bundesrat, anstatt eine Prioritätenordnung zu erlassen, dem Parlament auch eine Krediterhöhung beantragen.

Art. 15

Bemessung der Finanzhilfen an Kantone

Der Bund beteiligt sich höchstens zur Hälfte an den Kosten für Projekte und Programme, welche der Kanton gestützt auf Artikel 13 Absatz 1 lanciert hat. Mit dieser hälftigen finanziellen Beteiligung wird u.a. der subsidiären Rolle des Bundes im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung Rechnung getragen.

Art. 16

Verfahren

Abs. 1 Die Programmvereinbarungen erstrecken sich gemäss Art. 20a Abs. 2 SuG in der Regel über mehrere Jahre. Im vorliegenden Gesetz wird im Grundsatz eine vierjährige Programmdauer vorgesehen ­ dies in Übereinstimmung mit der Dauer von Programmvereinbarungen in anderen Bereichen wie z. B. Migration, Denkmalschutz oder Umwelt.

Abs. 2 Das Ziel ist, dass alle Kantone gleichzeitig mit einer ersten Programmvereinbarung starten. Deshalb soll der Bundesrat festlegen, wann diese erste Programmperiode beginnen soll. Dies erlaubt es dem Bundesrat ­ sollte das Gesetz unterjährig in Kraft treten ­ unabhängig davon einen Termin für den Beginn der Programmperioden auf den Beginn eines Kalenderjahres festzulegen. Ein unterjähriger Beginn der Programmvereinbarungen würde auf Seiten der Kantone und des Bundes zu grossen Problemen führen (insbesondere Abgrenzungsprobleme finanztechnischer Art).

Der Bundesrat kann ausserdem eine Vorbereitungsphase vorsehen, in der die strategischen Ziele zwischen Bund und Kantonen gemeinsam festgelegt werden. Zudem brauchen die Kantone Zeit, um die notwendigen Vorbereitungsarbeiten für eine Programmeingabe durchführen zu können. Auf Seiten des Bundes gilt es, objektive und nachvollziehbare Prüfkriterien zu definieren, die eine Gleichbehandlung der Gesuche sicherstellen. Darüber hinaus soll der Bundesrat nach dem Vorbild im Migrationsbereich den Informations- und Erfahrungsaustausch mit den Kantonen und weiteren relevanten Akteuren regeln.

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren) zum 3. Abschnitt (Art. 13 bis 16, streichen) Gemäss Antrag seien Programme durch die Kantone und Gemeinden zu finanzieren.

Letztlich tragen diese Körperschaften die Verantwortung für die Modelle der familienexternen Kinderbetreuung, nicht der Bund. Wenn der Bund nun die direkte Subjektfinanzierung mit diesem Gesetz verankert, dann sind die Kantone nun in der Pflicht, die Programme selber zu finanzieren.

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4. Abschnitt: Statistik, Verhältnis zum europäischen Recht, Evaluation Art. 17

Statistik

Heute sind auf Bundesebene Daten gemäss einer einheitlichen Typologie der Betreuungsformen verfügbar. Folgende Aspekte werden dabei unterschieden: Haushalte, die Kinderbetreuungsangebote in Anspruch nehmen; Kinder, die in familienergänzenden Betreuungseinrichtungen betreut werden; Ausgaben der Haushalte für die familienergänzende Kinderbetreuung.

Für eine umfassende Statistik in diesem Bereich fehlt die Rechtsgrundlage. So fehlen in der Schweiz beispielsweise Daten zur Zahl der landesweit verfügbaren familienergänzenden Betreuungsplätze. Dieser Artikel verankert die Mitarbeit der Kantone bei der Erstellung einer Statistik, indem sie dem BFS die entsprechenden Daten in standardisierter Form liefern. Einzelheiten zum Inhalt dieser Statistik sind auf Verordnungsstufe zu regeln.

Artikel 17 schafft zudem die notwendige Gesetzesgrundlage für die Einführung einer Statistik im Bereich der Politik der frühen Förderung von Kindern, an der es heute fehlt.

Art. 18

Verhältnis zum europäischen Recht

Da der Bundesbeitrag als Familienleistung in den sachlichen Anwendungsbereich der europäischen Koordinierungsregelungen gemäss Anhang II zum FZA sowie Anlage 2 zu Anhang K des EFTA-Übereinkommens fällt, muss eine entsprechende Verweisbestimmung in das Gesetz aufgenommen werden. Sie entspricht den Verweisbestimmungen in anderen Sozialversicherungsgesetzen.

Abs. 1 In Absatz 1 wird das anwendbare Recht bezeichnet, indem auf den persönlichen Geltungsbereich, die EU-Rechtsakte und die für die Schweiz massgebliche Fassung von Anhang II zum FZA Bezug genommen wird. Die seit der 3. Aktualisierung von Anhang II zum FZA für die Schweiz massgeblichen Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009 werden hier aufgeführt. Soweit darauf in den Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 oder (EG) Nr. 987/2009 Bezug genommen wird oder Fälle aus der Vergangenheit betroffen sind, bezieht sich Anhang II zum FZA weiterhin auf die vor der 3. Aktualisierung von Anhang II zum FZA anwendbaren Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72.

Abs. 2 Absatz 2 regelt die gleiche Frage in analoger Weise in Bezug auf Anlage 2 zu Anhang K des Übereinkommens vom 4. Januar 196085 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Übereinkommen).

85

SR 0.632.31

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Abs. 3 Mit Absatz 3 soll der Bundesrat ermächtigt werden, die Referenzen auf die EURechtsakte in den Absätzen 1 und 2 jeweils selbstständig in den Sozialversicherungsgesetzen anzupassen, sobald Anhang II zum FZA oder Anlage 2 zu Anhang K des EFTA-Übereinkommens geändert werden.

Abs. 4 Absatz 4 präzisiert, dass alle verwendeten Ausdrücke für EU-Mitgliedstaaten in den Sozialversicherungsgesetzen die Vertragsstaaten bezeichnen, für die das FZA gilt.

Art. 19

Evaluation

Das KBFHG (Art. 8) enthielt bereits eine ähnliche Bestimmung. Die gestützt darauf ausgerichteten Finanzhilfen wurden mehrmals evaluiert (2006, 2010, 2013, 2017 und 2021).

Die Finanzhilfen sind folglich ebenfalls regelmässig einer Evaluation zu unterziehen.

Damit wird überprüft, ob die mit dem neuen Gesetz eingeführten Instrumente geeignet sind, die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen. Die Evaluation dient dem Gesetzgeber als Referenz. Unter Berücksichtigung der Evaluationsergebnisse kann er beschliessen, eine Anpassung des geltenden Rechts vorzunehmen.

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Umbricht Pieren) zu Art. 19 Sachüberschrift und Abs. 1 Dieser Antrag zielt auf den Vollzugsaufwand ab. Der Aufwand soll im Verpflichtungskredit enthalten sein. Gemäss diesem Antrag würden damit keine zusätzliche Budgetaufstockung in diesem Bereich gebraucht. Damit würde auch ein Anreiz geschaffen, den Vollzugsaufwand klein zu halten.

5. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 20

Ausführungsbestimmungen

Diese Delegationsnorm überträgt dem Bundesrat die Kompetenz, Ausführungsbestimmungen zum Verfahren für die Gewährung der Finanzhilfen festzulegen und bestimmte Begriffe zu präzisieren. Dabei stützt sich der Bundesrat auf die Erfahrungen, die im Rahmen des Impulsprogramms für die familienergänzende Kinderbetreuung und bei anderen Bereichen, in denen der Bund bereits Programmvereinbarungen mit den Kantonen abschliesst, gemacht wurden. Er wird darauf achten, dass das Verfahren sowohl für die Empfängerinnen und Empfänger der Finanzhilfen als auch für das mit dem Vollzug beauftragte BSV möglichst einfach ausgestaltet ist.

Art. 21

Referendum, Inkrafttreten und Geltungsdauer

Abs. 1 Wie jedes Bundesgesetz untersteht auch dieses Gesetz dem fakultativen Referendum.

Werden innerhalb von 100 Tagen nach der amtlichen Veröffentlichung des Erlasses 62 / 76

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50 000 Unterschriften gesammelt oder ergreifen mindestens acht Kantone das Referendum, wird das Gesetz dem Volk zur Abstimmung unterbreitet. Das Gesetz tritt nur in Kraft, wenn sich die Mehrheit der Stimmbevölkerung dafür ausspricht.

Abs. 2 Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes. Unterschiedliche Zeitpunkte des Inkrafttretens für die Bestimmungen über den Bundesbeitrag an die Eltern und jene über die Programmvereinbarungen sind denkbar.

Das Datum des Inkrafttretens ist einerseits so festzulegen, dass die Kantone genügend Zeit haben, um ihre Gesetzgebung im Hinblick auf das Verfahren für die Gewährung des im 2. Abschnitt vorgesehenen Beitrags anzupassen. Andererseits soll das Inkrafttreten zeitnah erfolgen, damit die Eltern möglichst rasch von den neuen Finanzhilfen profitieren können. Ausserdem benötigen die Kantone genügend Zeit, um die Verhandlung einer Programmvereinbarung mit dem Bund vorzubereiten.

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens wird der Bundesrat zudem bestimmen, welche Personalressourcen für die Umsetzung des Gesetzes notwendig sind. Die Höhe hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab: u. a. dem Aufbau und von der Pflege der notwendigen Strukturen für die Verhandlungen mit den Kantonen, dem Management der Verträge und Abrechnungen und der Schaffung eines Informatiktools für die Durchführung.

Abs. 3 Gemäss dem Willen des Parlaments soll die Möglichkeit, Programmvereinbarungen zu schliessen, nur während einer begrenzten Zeit möglich sein. Vorgesehen sind drei vierjährige, aufeinanderfolgende Vertragsperioden mit einer Gesamtdauer von insgesamt zwölf Jahren. Der 3. Abschnitt des Gesetzes tritt vor Beginn der ersten vom Bundesrat festgelegten Vertragsperiode in Kraft. Eine Übergangsfrist von zwei Jahren, während der die Kantone in Absprache mit dem Bund die Ziele der Programmvereinbarung festlegen und deren Modalitäten verhandeln können, scheint angemessen. Die maximale Geltungsdauer des 3. Abschnitts beträgt somit 14 Jahre.

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren) zu Art. 21 Abs. 3 Dieser Antrag hängt mit der Streichung der Programmvereinbarungen zusammen (Art. 13 bis 16). Gemäss Antrag seien Programme durch die Kantone und Gemeinden zu finanzieren. Letztlich tragen diese
Körperschaften die Verantwortung für die Modelle der familienexternen Kinderbetreuung, nicht der Bund. Wenn der Bund nun die direkte Subjektfinanzierung mit diesem Gesetz verankert, dann sind die Kantone nun in der Pflicht, die Programme selber zu finanzieren.

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6.2

Bundesbeschluss über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern

Minderheit (Wasserfallen Christian, Gafner, Gutjahr, Haab, Herzog Verena, Huber, Keller Peter, Nantermod, Umbricht Pieren) für Nichteintreten Dieser Antrag hängt mit der Streichung der Programmvereinbarungen zusammen (Art. 13 bis 16). Gemäss Antrag seien Programme durch die Kantone und Gemeinden zu finanzieren. Letztlich tragen diese Körperschaften die Verantwortung für die Modelle der familienexternen Kinderbetreuung, nicht der Bund. Wenn der Bund nun die direkte Subjektfinanzierung mit diesem Gesetz verankert, dann sind die Kantone nun in der Pflicht, die Programme selber zu finanzieren.

Art. 1 Diese Bestimmung legt die Höhe der finanziellen Mittel für die Programmvereinbarungen zur Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und für Massnahmen der Kantone zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern fest.

Art. 2 Der Verpflichtungskredit wird in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses, der nicht dem Referendum untersteht, beschlossen.

7

Auswirkungen

7.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund

7.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Die finanzielle Mehrbelastung des Bundes beläuft sich für den dauerhaft auszurichtenden Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung auf rund 710 Millionen Franken im ersten Jahr nach Inkraftsetzung. Diese Mehrkosten werden am Ende der ersten vierjährigen Periode in Folge der zu erwartenden zunehmenden Inanspruchnahme der familienergänzenden Kinderbetreuung und der (gewünschten) Subventionserhöhungen in den Kantonen tendenziell auf rund 860 Millionen Franken steigen. Für die Programmvereinbarungen sollen 56 Millionen Franken pro Jahr bereitgestellt werden. Es sind maximal drei vierjährige Vertragsperioden vorgesehen. (vgl. Ziff. 5.3.2).

7.1.2

Personelle Auswirkungen

Für die Durchführung der neuen Bundesaufgabe fallen Mehrkosten beim Personalund Sachaufwand an.

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Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass für die Ausrichtung des Bundesbeitrags an die Betreuungskosten der Eltern die Kantone zuständig sind. Die Kantone stellen dem zuständigen Bundesamt jährlich Abrechnungen zu. Das Bundesamt hat diese zu prüfen, um darauf gestützt, entsprechende Rückerstattungen vornehmen zu können. Hierfür werden geeignete digital basierte Durchführungs- und Controllinginstrumente aufgebaut und angewendet werden müssen. Ebenso sind Investitionen für den Aufbau der Bundesstatistiken im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung sowie im Bereich der frühen Förderung von Kindern notwendig. Auch hierfür sind entsprechende Sachmittel bereit zu stellen. Die Kommission geht von einem Sachmittelbedarf für die ersten vier Jahre von insgesamt 5.6 Mio. Franken aus und von einem personellen Mehrbedarf von 7 FTE im ersten Durchführungsjahr aus (3 FTE für die Durchführung Elternbeiträge, 4 FTE für die Statistik). In den Folgejahren verringert sich der Personalbedarf für die jährliche Erhebung und Publikation der Statistik auf 1,6 FTE.

Für die Durchführung der Programmvereinbarungen rechnet die Kommission mit einem aufwändigen Verfahren. Nebst der Erarbeitung der strategischen Ziele zwischen Bund und Kantonen sowie den Aushandlungsprozessen mit den einzelnen Kantonen muss die Umsetzung in den Kantonen begleitet, überprüft und allenfalls angepasst werden. Hierfür wird ein Personalbedarf von 9 bis 11 Stellen (FTE) veranschlagt.

Die Personal- und Verwaltungskosten für die gesamte durch den vierjährigen Verpflichtungskredit abgedeckte Periode werden von der Kommission auf insgesamt 16 Millionen Franken veranschlagt. Das Gesamtbudget für die Fördermassnahmen sowie den Personal- und Verwaltungsaufwand beläuft sich somit auf maximal 240 Millionen Franken. Die Personal- und Verwaltungskosten fallen in den zuständigen Bundesämtern an und gehen nicht zulasten des Verpflichtungskredits, sondern werden ­ gemäss Führungsmodell für die Bundesverwaltung (NFB) ­ den allgemeinen Budgets der zuständigen Ämter angerechnet werden. Diese Budgets werden entsprechend erhöht werden müssen. Die sich aus den Vollzugsaufgaben ergebenden Ausgaben sind somit nicht im Verpflichtungskredit enthalten.

7.2

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden

7.2.1

Finanzielle Auswirkungen

Für die Kantone ergeben sich beim Förderinstrument des Bundesbeitrags an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung keine Mehrausgaben, weil sie sich nicht am Bundesbeitrag beteiligen. Hingegen ergeben sich für die Kantone Mehrkosten, wenn sie mit dem Bund Programmvereinbarungen abschliessen wollen.

Diese basieren auf dem Grundsatz, dass sich der Bund höchstens zur Hälfte an den Ausgaben des Kantons für die in der Programmvereinbarung festgelegten Massnahmen beteiligt. Es ist deshalb in der alleinigen Kompetenz der Kantone zu entscheiden, welche Mittel sie für die Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und die Weiterentwicklung der frühen Förderung von Kindern im Rahmen von Programmvereinbarungen mit dem Bund einsetzen wollen.

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7.2.2

Personelle Auswirkungen

Wie in Ziffer 7.1.2 dargelegt, sind die Kantone für die Gewährung des Bundesbeitrags an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung zuständig. Sie legen das Verfahren für den Vollzug fest. Der für den Vollzug erforderliche zusätzliche personelle Aufwand dürfte stark davon abhängen, wie im jeweiligen Kanton das Subventionssystem für die familienergänzende Kinderbetreuung organisiert ist. In jenen Kantonen, in denen sich der Kanton gemeinsam mit den Gemeinden an der Subventionierung beteiligt, werden die Kantone an diese Organisationsform anknüpfen können. In jenen Kantonen, in denen der Kanton die Subventionierung vollumfänglich an die Gemeinden delegiert hat, muss der Vollzug zumindest auf Verwaltungsebene neu aufgebaut werden. In beiden Fällen dürften jedoch die sehr grossen Unterschiede hinsichtlich der Zuständigkeit für die familienergänzende Kinderbetreuung in den Kantonen zu einem sehr unterschiedlichen Mehrbedarf an personellen Ressourcen führen.

Ein weiterer Personalbedarf auf Kantonsebene ergibt sich ausserdem aus der Bereitstellung der dafür notwendigen Angaben gegenüber dem BSV, um die Höhe des Bundesbeitrags regelmässig zu bestimmen.

Der personelle Mehrbedarf der Kantone für die Aushandlung und Durchführung der Programmvereinbarungen wird im Wesentlichen davon abhängen, welche Massnahmen der jeweilige Kanton mit wie hohen finanziellen Mitteln umsetzen will.

7.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Sowohl in der Schweiz als auch im Ausland wurden verschiedene Studien durchgeführt, um die Vorteile für Eltern, Kinder, Unternehmen und Staat von ähnlichen Massnahmen, wie sie im neuen Gesetz enthalten sind, zu evaluieren.86 Alle Studien kamen zu einem positiven Fazit, was die möglichen Auswirkungen auf das Einkommen der Eltern, das Wohl und die Entwicklung der Kinder, die Steuereinnahmen des Gemeinwesens und das Wirtschaftswachstum im Allgemeinen betrifft. Zahlreiche Akteure

86

Für einen Überblick über die in den letzten Jahren erzielten Ergebnisse siehe insbesondere Kapitel 5 in BAK Economics AG (2020): Volkswirtschaftliches Gesamtmodell für die Analyse zur «Politik der frühen Kindheit». Bericht im Auftrag der Jacobs Foundation, Basel: BAK Economics AG. Kann abgerufen werden unter: https://www.bak- economics.com/fileadmin/user_upload/BAK_Politik_Fruehe_Kindheit_ Mai_2020.pdf.

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sprechen sich für solche Massnahmen aus und betonen deren wirtschaftliche Vorteile.87 Nur wenige Studien konnten indes die Auswirkungen dieser Massnahmen auf die gesamte Volkswirtschaft aufzeigen oder beziffern. Die aktuellste und umfassendste Studie ist die BAK-Studie 2020. Sie enthält Aussagen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Massnahmenpakets im Bereich der Politik der frühen Kindheit. Die Studie simuliert die Auswirkungen der Massnahmen (verschiedene Pakete zusätzlicher Investitionen zwischen rund 800 Millionen und 1,5 Milliarden Franken pro Jahr) auf der Basis von Annahmen aus früheren empirischen Studien sowie angewandt auf die Funktionsweise der Schweizer Wirtschaft. Die in der BAK-Studie 2020 aufgezeigten Auswirkungen können weitgehend auf die im neuen Gesetz vorgesehenen Massnahmen übertragen werden, wobei mit Blick auf den Endeffekt die Unterschiede zwischen den in den Szenarien der BAK-Studie investierten Beträgen und den Beträgen, die durch die Massnahmen des vorliegenden Gesetzes investiert werden, zu berücksichtigen sind. Die nachfolgenden Ausführungen basieren überwiegend auf der BAKStudie.

7.3.1

Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit der Eltern

Mit den neuen Massnahmen im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung werden Arbeitskräfte frei, indem die Eltern von gewissen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben entlastet werden. Mit dem Ausbau des Angebots an familienergänzenden Betreuungsplätzen, der Senkung der Kosten der Eltern und der besseren Abstimmung der Öffnungszeiten von Betreuungseinrichtungen auf die Bedürfnisse der Eltern können mehr Eltern in den Arbeitsmarkt eintreten oder ihren Beschäftigungsgrad erhöhen.88 Pro zusätzlich geschaffenen Betreuungsplatz könnte das Arbeitsvolumen bei den Eltern um 46 Prozent steigen. Dabei dürften es angesichts der vorherrschenden Strukturen vor allem Frauen sein, die zusätzlich am Arbeitsmarkt teilnehmen.89 Das heisst, dass beispielsweise durch die Schaffung von 21 000 Betreuungsplätzen mit einem zusätzlichen Arbeitsangebot von rund 10 000 Vollzeitstellen oder 0,2 Prozent der Beschäftigung in der Schweiz zu rechnen wäre.90 Die Erwerbseinkommen nehmen zu. Der Erhöhung des Arbeitsvolumens und die damit einhergehenden Zusatzeinkommen wirken sich unmittelbar positiv auf die Volkswirtschaft aus. Das bedeutet mehr 87

88 89 90

Siehe OCDE (2022): Études économiques de l'OCDE: Suisse 2022, Paris: Éditions OCDE, 99-102. Kann abgerufen werden unter: https://www.oecd-ilibrary.org/ docserver/19b666e6-fr.pdf?expires=1646207765&id=id&accname=oid030182& checksum=84B18ADA5AFF87E690C356367C0BA0E4; Jeanrenaud, Claude / Macuglia, Julia (2021): La politique d'accueil extrafamilial du Canton et de la ville de Neuchâtel: effets sur l'activité professionelle et le revenu des mères de jeunes enfants, estimation du retour fiscal, Neuchâtel: Université de Neuchâtel. Kann abgerufen werden unter: https://edu.ge.ch/site/biblio-cfps-esede/new-politique-daccueil-extrafamilial-canton-deville-de-neuchatel-effets-lactivite-professionnelle-revenu-meres-de-jeunes-enfantsestimation-reto/.

Stern, Susanne et al. 2018.

BAK 2020: 3.

BAK 2020: 5.

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Möglichkeiten hinsichtlich Konsum und Sparen sowie Investitionen und höhere Steuereinnahmen. Letztere ergeben sich aus der direkten Besteuerung des Erwerbseinkommens und der Gewinne sowie aus der Mehrwertsteuer auf Waren und Dienstleistungen.

Die Möglichkeit zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit kommt namentlich Alleinerziehenden zugute, bei denen das Armutsrisiko besonders hoch ist und die überdurchschnittlich oft auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das durch die höhere Erwerbsbeteiligung entstehende Zusatzeinkommen ermöglicht es, die Familienarmut zu verringern und die Ausgaben für die Sozialhilfe zu senken. Gleichzeitig steigen die Sozialversicherungsbeiträge und die entsprechenden Leistungsansprüche. Von dieser Entwicklung profitieren die Finanzen von Bund, Kantonen, Gemeinden und Sozialversicherungen.

Die Ausweitung des Arbeitsangebots trägt ausserdem dazu bei, dem demografisch bedingten Arbeitskräfterückgang und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Der Abbau von Engpässen auf dem Arbeitsmarkt stärkt das Wirtschaftswachstum.

Parallel zu den kurzfristigen positiven Effekten bei der Erwerbstätigkeit der Eltern ergeben sich langfristige Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt: Wenn die Eltern (meistens die Mütter) im Arbeitsprozess bleiben, steigen sowohl deren Karrierechancen als auch deren Löhne. Die Lohnzunahme liegt laut Berechnungen bei 2,4 Prozent pro zusätzlichem Jahr Berufserfahrung.91 Volkswirtschaftlich steht dem höheren Lohn eine höhere Produktivität gegenüber.92 Somit steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und der Wohlstand, aber auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.

7.3.2

Auswirkungen auf das Ausbildungsniveau der Kinder

In einem 2018 veröffentlichten Bericht93 betonte der Bundesrat, dass sich Investitionen in die frühe Kindheit auch aus makroökonomischer Sicht lohnen. Er hielt fest, dass geförderte Kinder über bessere kognitive, soziale und sprachliche Kompetenzen verfügen. Sie sind seltener krank, zeigen bessere Schulleistungen und sind später erfolgreicher auf dem Arbeitsmarkt. Angebote der frühen Förderung entlasten somit das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen.

91 92

93

BAK 2020: 3.

Ein Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung kommt auch Eltern zugute, die eine Ausbildung absolvieren. Eine Ausbildung hat ausserdem positive Rückwirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Produktivitätsniveau.

Bundesrat (2018): Ergebnisse des Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut 2014­2018. Bericht des Bundesrates zum Nationalen Programm sowie in Erfüllung der Motion 14.3890 der Sozialdemokratischen Fraktion vom 25. September 2014. Kann abgerufen werden unter: https://www.parlament.ch/centers/ eparl/curia/2014/20143890/Bericht%20BR%20D.pdf; Stern et al. (2019): Für eine Politik der frühen Kindheit. Eine Investition in die Zukunft. Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung / Frühe Förderung in der Schweiz, Zürich: INFRAS. Kann abgerufen werden unter: https://www.unesco.ch/wp-content/uploads/2019/02/Publikation_F%C3% BCr-eine-Politik-der-fr%C3%BChen-Kindheit-1.pdf.

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Je früher Massnahmen zur frühen Förderung von Kindern zum Tragen kommen, desto höher ist der wirtschaftliche Nutzen. Die positive wirtschaftliche Rückwirkung solcher Massnahmen ist für die Schweizer Volkswirtschaft nicht unerheblich: Schätzungen zufolge sind rund 10 Prozent der Kinder in der Schweiz in ihrer Entwicklung benachteiligt.94 Beim Anteil der 3- bis 5-jährigen Kinder, die Bildungs- und Betreuungseinrichtungen besuchen, ist die Schweiz unter den OECD-Staaten das Schlusslicht.95 Dabei sind zu Beginn der Schulzeit entstandene Bildungslücken in den folgenden Jahren nur sehr schwer aufzuholen. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Massnahmen ergibt sich in erster Linie aus den Steuereinnahmen durch höhere Einkommen aufgrund des besseren Bildungsniveaus. Gemäss der BAK-Studie 202096 können Kinder durch den Besuch eines Förderangebots ihre Kompetenzen und Fähigkeiten auf- und ausbauen, was einem Bildungseffekt von rund einem halben Jahr zusätzlicher Schulzeit entspricht. Die positiven Effekte dieses zusätzlichen Humankapitals zeigen sich beim Eintritt in den Arbeitsmarkt. Der durchschnittlich zu erwartende Lohn liegt um rund 4 Prozent höher, was in einem typisierten Fall eine potenzielle Erhöhung des Lebensarbeitseinkommens um 160 000 Franken bedeuten würde.97 Diese positiven Auswirkungen ­ Steigerung von Produktivität, Wirtschaftswachstum und internationaler Wettbewerbsfähigkeit ­ auf lange Sicht werden durch schneller realisierbare Einsparungen im Kindes- und Jugendalter ergänzt. Durch mit frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung assoziierte individuelle Verhaltensänderungen ändert sich die Prävalenz für verschiedene Krankheiten wie auch die Wahrscheinlichkeit für deviantes und sozial unerwünschtes Verhalten. Dadurch sinken die Kosten aufgrund von Gesundheitsproblemen oder Gerichtsverfahren.98

7.3.3

Auswirkungen der zusätzlichen Förderinstrumente auf die öffentlichen Finanzen

Gemäss den verfügbaren wissenschaftlichen Daten gehen die Ausgaben für Kinderbetreuungsangebote mit einer positiven «Rendite» einher und sind finanzpolitisch absolut gerechtfertigt.

Sobald das Angebot die Nachfrage übersteigt, kann die Rendite jedoch sinken oder gänzlich verschwinden. In der Schweiz ist das jedoch nicht der Fall.99 Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, sind die «Opportunitätskosten» dieser Ausgaben: Die zugunsten der Politik der frühen Förderung von Kindern verwendeten 94

95 96 97 98

99

Stern et al. (2016): Whitepaper zu den Kosten und Nutzen einer Politik der frühen Kindheit, Zürich und St. Gallen: INFRAS und Universität St. Gallen. Kann abgerufen werden unter: https://old.jacobsfoundation.org/publication/whitepaper-kosten-und-nutzen-einerpolitik-der-fruehen-kindheit/ OECD (2022): 99.

BAK (2020): 4.

BAK (2020): 4.

Del Boca, Daniela / Monfardini, Claudia / See, Sarah Grace (2018): Government Education Expenditures. Pre-Primary Education and School Performance: A Cross-Country Analaysis. Working Paper, HCEO Working Paper Series, Chicago: The University of Chicago. Kann abgerufen werden unter: https://www.econstor.eu/handle/10419/176953?locale=de.

INFRAS (2018).

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öffentlichen Mittel stehen nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung. Bei Investitionsentscheidungen braucht es immer eine Interessenabwägung. Aus heutiger Sicht hätte die Finanzierung der im neuen Gesetz enthaltenen Massnahmen keinen Verdrängungseffekt zuungunsten anderer Investitionen zur Folge, die für die volkswirtschaftliche Entwicklung der Schweiz vorrangiger wären.

Bei der Lastenverteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden sind die «Mitnahmeeffekte» im Zusammenhang mit Finanzhilfen des Bundes zu berücksichtigen: Es ist wahrscheinlich, dass ein Teil der Investitionen der Kantone und Gemeinden im Bereich der frühen Förderung von Kindern auch ohne Finanzhilfen des Bundes getätigt worden wären.100 Dieser Umstand wirkt sich jedoch nicht auf den erwarteten volkswirtschaftlichen Nutzen der geplanten Massnahmen aus.

7.3.4

Auswirkungen auf die Unternehmen

Für die Unternehmen ist es ein klarer Vorteil, wenn Frauen nach der Geburt oder der Einschulung ihres Kindes weiterarbeiten und ihren Beschäftigungsgrad nicht oder zumindest nicht stark reduzieren. Wenn eine Stelle nicht neu besetzt werden muss, zahlen sich die Kosten für die Weiterbildung des Personals aus, und das im Unternehmen erworbene Wissen bleibt erhalten und wird weiterentwickelt. Ein fehlendes familienergänzendes Betreuungsangebot könnte in Zukunft auch vermehrt Väter dazu veranlassen, ihr Pensum zu reduzieren. Familienfreundliche Massnahmen dürften für die Schweizer Unternehmen somit zu einer eindeutig positiven Kosten-Nutzen-Relation führen.101

7.3.5

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft

Die Gesamtwirtschaft wird von der Dynamik, die durch die Investitionsmassnahmen des Bundes ausgelöst werden, profitieren. Die Investitionsmassnahmen umfassen den dauerhaft vorgesehenen Bundesbeitrag an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung mit einem Volumen von rund 710 Millionen Franken pro Jahr. Hinzu kommen 56 Millionen Franken pro Jahr für die Programmvereinbarungen mit den Kantonen über einen Zeitraum von vier Jahren und einer vorgesehenen Verlängerung um eine oder zwei weitere Vertragsperioden. Insgesamt würden sich die Investitionen des Bundes auf rund 765 Millionen Franken pro Jahr belaufen und tendenziell zunehmen. Dazu kämen die Investitionen der Kantone und Gemeinden.

Unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Auswirkungen, welche die Investitionen in den Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Politik der frühen Förderung von Kindern auf das Arbeitsangebot und die Produktivität haben, ist mit einem positiven Effekt auf das BIP zu rechnen. Die einzige Unsicherheit aus 100 101

Vogt et al. (2022) (noch unveröffentlicht).

Prognos (2010): Betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse familienfreundlicher Unternehmenspolitik. Eine Studie bei ausgewählten Schweizer Unternehmen, Basel: Prognos. Kann abgerufen werden unter: https://www.prognos.com/publikationen/ alle-publikationen/231/show/5f7c984f244cc3d32e887900d8eecbf6/.

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ökonomischer Sicht besteht in Bezug auf das Ausmass dieses Effekts und der Entwicklung im Laufe der Jahre. Die Wachstumseffekte eines Massnahmenpakets im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Politik der frühen Förderung von Kindern zeigen sich bereits in den ersten Jahren nach der Einführung. Dadurch, dass die Kinder ihr Qualifikationsniveau verbessern, kann davon ausgegangen werden, dass die Auswirkungen der Massnahmen noch während rund dreissig Jahren spürbar sind.102

7.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

In den letzten 20 Jahren sank der Anteil an Personen, die sich ausschliesslich als Hausfrau/Hausmann betätigten, von 6,7 Prozent auf 2,7 Prozent. Die Erwerbsquote der Frauen in der Schweiz ist in der gleichen Zeit gestiegen und im internationalen Vergleich sehr hoch. So sind 83 Prozent der Frauen zwischen 25 und 54 erwerbstätig, während dieser Wert in der EU-28 bei 76 Prozent liegt. Bei den Frauen haben Kinder im Haushalt einen entscheidenden Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung; sowohl in der Schweiz als auch in der EU-28 gehen Mütter im Vergleich zu Frauen ohne Kinder weniger häufig einer Erwerbstätigkeit nach.103 Im Unterschied zur EU-28 sind die Erwerbspensen der Frauen in der Schweiz tief.

Auf Vollzeitäquivalente umgerechnet entspricht die Erwerbsbeteiligung der 15- bis 64-jährigen Frauen lediglich einem Anteil von 60 Prozent. Als Gründe für die tiefen Erwerbspensen werden insbesondere die Kinder- und die Angehörigenbetreuung genannt, die nach wie vor deutlich häufiger durch Frauen wahrgenommen wird.104 Kinder im Haushalt beeinflussen die Rollenverteilung der Eltern stark. 78 Prozent der 25- bis 54-jährigen erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter 25 Jahren arbeiten Teilzeit. Bei den Frauen ohne Kinder im Haushalt sind es 40 Prozent, wenn sie mit einem Partner zusammenwohnen, und 31 Prozent, wenn sie alleine leben. Männer arbeiten wesentlich seltener Teilzeit. Der Anteil der teilzeiterwerbstätigen Väter mit Kindern unter 25 Jahren liegt bei 12 Prozent.

Der Ausstieg aus dem Erwerbsleben, der Unterbruch der Erwerbstätigkeit oder die Fortführung der Erwerbstätigkeit mit einem geringen Erwerbspensum nach der Geburt eines Kindes, führt dazu, dass Mütter finanziell abhängig von ihrem Ehemann oder Partner werden. Im Fall einer Trennung oder Scheidung können sie dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geraten.105 Die Rollenteilung zwischen voll berufstätigen Vätern als Haupternährer und nicht oder nur geringfügig berufstätigen Müttern, die die Hauptverantwortung für die Be102 103 104

BAK 2020: 7.

Bundesamt für Statistik 2021: 87.

Bundesamt für Statistik (2021): SAKE in Kürze 2020. Schweizerische Arbeitskräfteerhebung, Neuenburg: Bundesamt für Statistik. Kann abgerufen werden unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/ publikationen.assetdetail.18144204.html.

105 Nouvelle jurisprudence du Tribunal fédéral sur les contributions d'entretien en droit de la famille 5A_907/2018 vom 3.11.2020, 5A_311/2019 vom 11.11.2020, 5A_891/2018 vom 02.02.21, 5A_104/2018 vom 02.02.2021, 5A_800/2019 vom 09.02.2021.

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treuung der Kinder und den Haushalt übernehmen, führt in der beruflichen Vorsorge bis heute zu voneinander abweichenden Rentenansprüchen. Die Leistungen weiterer Sozialversicherungen, die massgeblich den Anspruch über die Erwerbsarbeit schaffen, fallen bei den Müttern ebenfalls entsprechend tiefer aus. Diese Rollenteilung wirkt sich zudem negativ auf die Verdienstmöglichkeiten und Karrierechancen der Mütter aus.

Da für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung verschiedene Massnahmen erforderlich sind (vgl. Ziff. 5.1), können mit dem Gesetzesentwurf nicht sämtliche Hindernisse für eine gelingende Vereinbarkeit aus dem Weg geräumt werden. Er trägt jedoch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung bei, indem Eltern, die ihre Kinder familienergänzend betreuen lassen (wollen), über ein bedarfsgerechteres Betreuungsangebot verfügen und finanziell entlastet werden. Eltern können ihr Familien- und Berufsleben so gestalten, dass es ihren Bedürfnissen entspricht. Ein lückenloses, qualitativ gutes und bezahlbares Kinderbetreuungsangebot, im Vorschul- und Schulalter ihrer Kinder, während der Schulzeit und während der Schulferien, erleichtert ihnen die Organisation ihres Alltags. Eltern können sowohl ihr Familienleben als auch ihre jeweiligen beruflichen Laufbahnen mittel- und langfristig besser planen.

Die vorgesehenen Massnahmen begünstigen den Einstieg der Mütter in den Arbeitsmarkt und deren Verbleib mit einem höheren Erwerbspensum und leisten dadurch auch einen Beitrag an die Gleichstellung von Frau und Mann.

Eine qualitativ gute familienergänzende Kinderbetreuung sowie weitere Massnahmen der Kantone zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern erhöhen die Bildungschancen von Kindern im Vorschulalter, nivellieren ungleiche Startbedingungen und verbessern dadurch die Chancengerechtigkeit. Davon profitieren nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern: Der Einbezug der Eltern erweitert ihren erzieherischen Handlungsspielraum und erhöht ihre Kompetenzen, was sich wiederum positiv auf die Kinder auswirkt.106 Kinder aus sozial benachteiligten Familien, Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder mit Behinderungen profitieren ganz besonders von der integrierenden Wirkung eines qualitativ hochstehenden Angebots, welches deren spezifischen Bedürfnissen Rechnung trägt und gleichzeitig allen Kindern offen steht.

8

Rechtliche Aspekte

8.1

Verfassungsmässigkeit

Der Gesetzesentwurf stützt sich auf Artikel 116 Absatz 1 BV107, der dem Bund eine Unterstützungskompetenz verleiht. Für die familienergänzende Kinderbetreuung sind in erster Linie die Kantone und Gemeinden zuständig, und zwar sowohl im Vorschulals auch im Schulbereich. Es ist somit ihre Aufgabe, die Massnahmen umzusetzen.

Gemäss der bestehenden Kompetenzordnung nach Artikel 116 Absatz 1 BV wird der 106 107

BBl 2020 3611 SR 101

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Bund insoweit zur Gesetzgebung zur Förderung der Familie ermächtigt, als er damit entsprechende Massnahmen Dritter (Kantone, Gemeinden, private Organisationen) unterstützt. Die Rechtsetzungskompetenz des Bundes in diesem Bereich ist auch mit Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a BV (Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) sowie Artikel 8 Absatz 3 BV (Gleichberechtigung von Mann und Frau) begründet.108 Im Rahmen von Programmvereinbarungen mit den Kantonen können der Bund und die Kantone gemäss Artikel 46 Absatz 2 BV miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt. Gemäss Artikel 46 Absatz 3 BV belässt der Bund den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung. Die in der Vorlage enthaltenen Massnahmen stehen im Einklang mit der Bundesverfassung und wahren die Kompetenzen des Bundes im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung.

Für die Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter stützt sich die Vorlage auf Artikel 67 Absatz 2 BV, der dem Bund die Kompetenz gibt, in Ergänzung zu kantonalen Massnahmen die ausserschulische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu unterstützen.109 Es handelt sich hierbei um eine parallele und subsidiäre Kompetenz des Bundes. Mit der Vorlage wird zudem der in Artikel 11 Absatz 1 BV verankerte Anspruch von Kindern und Jugendlichen, in ihrer Entwicklung gefördert zu werden, umgesetzt. Das gleiche gilt mit Blick auf das in Artikel 41 Absatz 1 Buchstabe g BV festgehaltene, an den Gesetzgeber gerichtete Sozialziel, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu selbstständigen und sozial verantwortlichen Personen zu fördern und in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration zu unterstützen.

8.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

8.2.1

EU-Recht

Die EU hat Regelungen zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zwecks Erleichterung der Freizügigkeit geschaffen. Die Schweiz nimmt an diesem Koordinationssystem teil, seit das Abkommen vom 21. Juni 1999110 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeits-

108

Die Kompetenzen des Bundes im Bereich familien- und schulergänzende Kinderbetreuung, Rechtsgutachten im Auftrag der Jakobs Foundation, Mahon und Huruy, Januar 2021 und Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz vom 25. Oktober 2001, VPB 66.1.

109 Der Begriff «ausserschulisch» ist dabei als «örtlich und zeitlich ausserhalb der Schule» zu verstehen; vgl. BBl 2010 6838. Vgl. auch Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz vom 4 August 2017: «Rôle de la Confédération en matière de petite enfance; Tragweite von Art. 67 Abs. 2 BV».

110 SR 0.142.112.681

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abkommen) am 1. Juni 2002 in Kraft getreten ist.111 Die wichtigsten Grundsätze sind die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit den eigenen Staatsangehörigen, die Aufrechterhaltung der erworbenen Ansprüche und die Auszahlung von Leistungen im ganzen europäischen Raum. Das EU-Recht sieht hingegen keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Konzeption, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unter Beachtung der europarechtlichen Koordinationsgrundsätze selber festlegen.

Dies gilt aufgrund des EFTA-Übereinkommens112 auch in den Beziehungen zwischen der Schweiz und den übrigen EFTA-Staaten.

Der im vorliegenden Bundesgesetz vorgesehene Bundesbeitrag ist vereinbar mit den erwähnten Koordinierungsvorschriften.

8.2.2

Weitere internationale Verpflichtungen

Mit der Ratifizierung des UNO-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau113 hat sich die Schweiz insbesondere verpflichtet, die Errichtung und den Ausbau eines Netzes von Einrichtungen zur Kinderbetreuung zu fördern (Art. 11 Abs. 2 Bst. c). Das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes114 wiederum sieht vor, dass die Vertragsstaaten alle geeigneten Massnahmen treffen, um sicherzustellen, dass Kinder berufstätiger Eltern das Recht haben, Kinderbetreuungsdienste und -einrichtungen zu nutzen (Art. 18 Abs. 3). Ausserdem haben die Vertragsorgane beziehungsweise die unabhängigen Expertengremien, welche die Einhaltung der völkerrechtlichen UNO-Verträge im Bereich der Menschenrechte überprüfen, der Schweiz ausdrücklich empfohlen, für Frauen mehr Möglichkeiten zu schaffen, Zugang zu Vollzeitbeschäftigung zu erhalten (Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau), sich verstärkt dafür einzusetzen, dass im gesamten Vertragsstaat verfügbare, zugängliche und erschwingliche Kinderbetreuungsdienste angeboten werden (Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte), und auf Bundesebene Standards für die Qualität der Kindertagesstätten zu entwickeln (Ausschuss für die Rechte des Kindes). Die Vorlage geht in die Richtung der von der Schweiz ratifizierten Übereinkommen und steht im Einklang mit den Empfehlungen der jeweiligen Ausschüsse.

Bei den Massnahmen der Kantone zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern handelt es sich um eine im Sinne von Artikel 4 des UNOÜbereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989115 geeignete Massnahme zur Verwirklichung der in der Konvention anerkannten Rechte. Dieser 111

112 113 114 115

Die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit wird durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie durch die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 geregelt.

SR 0.632.31 Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA).

SR 0.108 SR 0.107 SR 0.107

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Gesetzesentwurf trägt direkt oder indirekt dazu bei, u. a. die Rechte des Kindes auf Entwicklung (Art. 6 Abs. 2), auf angemessenen Lebensstandard (Art. 27 Abs. 1) und auf Bildung auf der Grundlage der Chancengleichheit (Art. 28) zu verwirklichen. Zudem steuert er dazu bei, dass die Eltern und der Vormund bei ihrer Aufgabe, das Kind zu erziehen, u. a. durch den Ausbau von Institutionen, Einrichtungen und Diensten für die Betreuung von Kindern unterstützt werden (Art. 18 Abs. 2). Der vorliegende Gesetzesentwurf nimmt zudem bestimmte Empfehlungen des Europarates auf, insbesondere diejenige von 2006 über die Politik zur Förderung einer positiven Elternschaft116 und diejenige von 2011 über die Rechte des Kindes und kinder- und familienfreundliche Sozialdienste117. Schliesslich trägt der vorliegende Gesetzesentwurf auch der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen (und 169 Unterzielen) für nachhaltige Entwicklung Rechnung: Das Unterziel 4.2 lautet, dass bis 2030 «alle Mädchen und Jungen Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Erziehung, Betreuung und Vorschulbildung erhalten, damit sie auf die Grundschule vorbereitet sind».118

8.3

Erlassform

Das Gesetz ergeht in der Form des ordentlichen Bundesgesetzes nach Artikel 164 der Bundesverfassung.

8.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV bedürfen Artikel 4 Absatz 1 sowie Artikel 13 Absätze 1, 2 und 4 E-UKibeG der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder beider Räte, da diese Bestimmungen neue wiederkehrende Subventionen von deutlich mehr als 2 Millionen Franken pro Jahr nach sich ziehen. Ebenfalls der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder beider Räte bedarf Artikel 1 des Bundesbeschlusses über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung, da dieser Ausgaben von bis zu 224 Millionen Franken für die Dauer von vier Jahren nach sich zieht.

8.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Der Erlass steht im Einklang mit dem Grundsatz der Subsidiarität (Art. 5a und 43a Abs. 1 BV). Die Hauptzuständigkeit im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung und in der Politik der frühen Förderung von Kindern liegt bei den Kantonen 116 117

Siehe https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=09000016805d6dc5.

Conseil de l'Europe (2011): Recommandation du Conseil de l'Europe sur les droits de l'enfant et les services sociaux adaptés aux enfants et aux familles, Strasbourg: Conseil de l'Europe. Kann abgerufen werden unter: https://rm.coe.int/1680472b8c.

118 Siehe https://www.eda.admin.ch/agenda2030/de/home/agenda-2030/die-17-ziele-fuereine-nachhaltige-entwicklung/ziel-4-inklusive-gleichberechtigte-und-hochwertigebildung.html.

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und Gemeinden, die näher an den örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen der Bevölkerung sind als der Bund. Gestützt auf Artikel 116 Absatz 1 BV kann der Bund jedoch ebenfalls Massnahmen zum Schutz der Familie ergreifen. Der Bund übernimmt vorliegend keine Aufgaben, die bisher von den Kantonen wahrgenommen wurden. Er beteiligt sich an den Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung und schafft für die Kantone die Möglichkeit, Finanzhilfen auf der Grundlage von Programmvereinbarungen zu erhalten. Ob die Kantone Programmvereinbarungen abschliessen wollen oder nicht, steht ihnen frei.

Auch das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz (Art. 43a Abs. 2 BV) wird respektiert: Der Bund beteiligt sich an den Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung sowie an den Programmvereinbarungen mit den Kantonen und bestimmt die Voraussetzungen für die Gewährung der finanziellen Unterstützung. Damit wird die fiskalische Äquivalenz in Bezug auf die Kongruenz von Kostenträger und Entscheidungsträger eingehalten.

8.6

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Der Bund strebt im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung einerseits die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung und andererseits Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter an.

Auf der Grundlage eines von einem Kanton eingereichten Unterstützungsgesuchs verhandeln der Bund (BSV) und der Kanton über den Abschluss einer Programmvereinbarung, in der die Ziele des Programms, die finanzielle Beteiligung des Bundes und die weiteren Punkte der Programmvereinbarung festgelegt werden. Dieses Vorgehen entspricht den Bestimmungen von Artikel 16 Absatz 3 SuG119, wonach Finanzhilfen und Abgeltungen an die Kantone in der Regel aufgrund von Programmvereinbarungen gewährt werden.

8.7

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Gestützt auf Artikel 20 des Gesetzesentwurfs erlässt der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen.

8.8

Datenschutz

Weder die Bearbeitung von Personendaten noch Massnahmen, die sich auf den Datenschutz auswirken könnten, sind vorgesehen.

119

SR 616.1

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