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Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch den Bundesrat und das BAG zur Bewältigung der Coronakrise Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 30. Juni 2023

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Das Wichtigste in Kürze Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, welch wichtige Rolle wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Bekämpfung von Epidemien und allgemein bei der Bewältigung von Krisen grösseren Ausmasses spielen. Die Art und Weise, wie die zuständigen Bundesbehörden (namentlich das Bundesamt für Gesundheit [BAG] und das Eidgenössische Departement des Innern [EDI]) in der Covid-19-Pandemie die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzten, wurde verschiedentlich kritisiert. Deshalb beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation dieses Themas. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) legt in diesem Bericht auf der Grundlage der Evaluation der PVK sowie ihrer eigenen Abklärungen ihre Beurteilung aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht dar und formuliert acht Empfehlungen zuhanden des Bundesrates.

Die GPK-N kommt zum Schluss, dass die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Bundesbehörden zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie teilweise angemessen war. Grundsätzlich begrüsst sie die Bemühungen des EDI und des BAG, dem Bundesrat zu ermöglichen, in der Krise wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen. Das BAG verfügte über ein Netzwerk, das ihm die Beschaffung der erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse erlaubt hat. Zudem konnte die Nutzung der Erkenntnisse im Laufe der Krise verbessert werden. Dennoch hat sich gezeigt, dass in verschiedenen Bereichen wie die Verarbeitung der wissenschaftlichen Informationen durch das BAG oder die öffentliche Kommunikation klarer Verbesserungsbedarf besteht. Die Kommission ist erfreut, dass der Bundesrat bereits erste Lehren gezogen hat. Sie zeigt in ihrem Bericht aber auch verschiedene grundsätzliche Aspekte auf, die ihrer Ansicht nach der Klärung bedürfen.

Die GPK-N hält fest, dass sich das BAG zur Erfüllung seines Auftrags in der Pandemie auf breit gefächerte und aktuelle Quellen stützte. Dennoch wurden bei der Beschaffung und Verarbeitung der wissenschaftlichen Informationen durch das Bundesamt verschiedene Schwächen festgestellt, namentlich in den ersten Wochen der Krise. So baute das BAG sein wissenschaftliches Netzwerk zu spät und ohne echte Strategie auf. Der Austausch mit den wissenschaftlichen Kreisen war in
der ersten Phase von Unklarheiten und Misstrauen geprägt. Zudem waren die Verfahren zur Verarbeitung und Nutzung der Informationen innerhalb des Bundesamtes nicht klar geregelt. Die GPK-N erachtet es als unerlässlich, dass das BAG künftig über ein Konzept für den Aufbau und die Nutzung seines wissenschaftlichen Netzwerks sowie über klare Kriterien und Prozesse für die Auswahl und die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall verfügt (Empfehlung 3).

Eine weitere Schwäche bestand darin, dass die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den rechtlichen und strategischen Grundlagen für den Umgang der Behörden mit der Pandemie nur wenig konkretisiert war. Die GPK-N ersucht den Bundesrat, diesen Aspekt genauer zu regeln, und zwar nicht nur in Bezug auf die Epidemienbekämpfung (Empfehlung 1), sondern auch allgemein im Rahmen des Risikound Krisenmanagements des Bundes (Empfehlung 2).

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Die Arbeit der Swiss National Covid-19 Science Taskforce (SN-STF) beurteilt die GPK-N grundsätzlich als positiv. Sie begrüsst den Vorschlag des Bundesrates, im Hinblick auf künftige Krisen wissenschaftliche Ad-hoc-Beratungsgremien basierend auf einem interdisziplinären Netzwerk einzusetzen, und ersucht ihn, diesen Vorschlag rasch zu konkretisieren. Die Kommission hebt in ihrem Bericht verschiedene Aspekte hervor, die ihrer Ansicht nach bei den Umsetzungsarbeiten zwingend zu klären sind (Empfehlung 4). Ausserdem ist sie der Auffassung, dass der Bundesrat die Erteilung von Beratungsmandaten an externe Leistungserbringer für den Krisenfall klarer regeln muss (Empfehlung 5). Schliesslich ersucht sie den Bundesrat, die Rolle der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) eingehend zu überprüfen, da diese in der Covid-19-Pandemie nicht die ihr zugedachte Funktion erfüllte (Empfehlung 6).

In Bezug auf die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Entscheidfindungsprozess begrüsst die GPK-N, dass der Bundesrat dank den Bemühungen des EDI und des BAG in der Lage war, in der Pandemie möglichst fundierte Entscheide zu treffen. Sie hält aber fest, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse (z. B.

zum Maskentragen oder zur Virusübertragung) in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates nicht immer transparent ausgewiesen waren. Die Kommission ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass in den Entscheidungsgrundlagen künftig die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ansichten zum jeweiligen Thema, aber auch die Punkte, über welche Unsicherheit herrscht oder bei denen die Meinungen auseinandergehen, transparent und zusammenfassend dargestellt sind (Empfehlung 7). Die Abklärungen der GPK-N haben ferner gezeigt, dass der Bundesrat bei seinen Beschlüssen nicht nur die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch andere Interessen berücksichtigte. Wenn der Bundesrat einen von der Meinung der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten abweichenden Beschluss traf, tat er dies in Kenntnis der Sachlage und erläuterte er die Gründe für seine Entscheidung.

Die Kommission ist im Weiteren zum Schluss gekommen, dass in der öffentlichen Kommunikation der Bundesbehörden (Medienkonferenzen und Pressedossiers) relativ wenig Bezug auf die wissenschaftlichen
Erkenntnisse genommen wurde. Insbesondere das BAG verwies in seiner Kommunikation nur selten auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, was angesichts seiner Funktion als Fachamt überrascht. Aus Sicht der Kommission war insbesondere die Kommunikation des Bundesamtes über das Maskentragen im Frühjahr 2020 mangelhaft. Die GPK-N ist sich bewusst, dass die öffentliche Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse in verschiedener Hinsicht herausfordernd ist, ersucht den Bundesrat aber, zu prüfen, wie sich die entsprechenden Prozesse und Vorgaben verbessern lassen (Empfehlung 8).

Die Bilanz der Kommission hinsichtlich der Verteilung der Kommunikationsaufgaben zwischen der Bundesverwaltung und der SN-STF fällt durchzogen aus. Dieser Aspekt war von den betroffenen Akteuren im Vorfeld nicht ausreichend geregelt worden und wurde erst nach einer gewissen Zeit geklärt, was der Glaubwürdigkeit der Kommunikation schadete. Die Kommission ist der Auffassung, dass dieser Punkt in den kommenden Monaten vom Bundesrat geklärt werden sollte.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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Einleitung 1.1 Ausgangslage 1.2 Gegenstand der Evaluation und Methode 1.3 Sonstige Evaluationen und Berichte über die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse während der Covid19-Pandemie

5 5 6

Feststellungen und Empfehlungen 2.1 Rechtliche und strategische Grundlagen 2.2 Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse 2.2.1 Organisation und Prozesse im BAG 2.2.2 Rolle der SNSTF 2.2.3 An wissenschaftliche Beratungsgremien vergebene Rahmenmandate 2.2.4 Rolle der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung 2.3 Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Entscheidfindungsprozess 2.3.1 Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates 2.3.2 Entscheide des Bundesrates 2.4 Öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse 2.4.1 Inhalt der Kommunikation der Bundesbehörden 2.4.2 Rollenverteilung bei der Kommunikation

10 10

Schlussfolgerungen

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Abkürzungsverzeichnis

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Die Covid19-Pandemie1, mit der die Schweiz ab 2020 zu kämpfen hatte, hat deutlich aufgezeigt, dass für die Bekämpfung von Epidemien und allgemein für die Bewältigung grosser Krisen die Verfügbarkeit und das Management von wissenschaftlichen Erkenntnissen von zentraler Bedeutung sind. Aufgrund des Mangels an wissenschaftlichen Erkenntnissen2 über das neue Virus ­ insbesondere zu Beginn der Pandemie ­ waren die Behörden mit grossen Unsicherheiten konfrontiert. Bei der Beurteilung der epidemiologischen Lage und der Festlegung der Covid19-Massnahmen stützte sich der Bundesrat vorwiegend auf die Beurteilung und die Vorschläge des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) und des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), welche die für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zuständigen Einheiten des Bundes sind. Um bei den Bundesratsbeschlüssen die wissenschaftlichen Erkenntnisse einbeziehen zu können, pflegten die Bundesbehörden zudem Kontakte zu zahlreichen Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft. Dabei spielte die Swiss National Covid19 Science Task Force (SNSTF), die zwischen Ende März 2020 und Ende März 2022 tätig war, eine entscheidende Rolle als wichtigstes wissenschaftliches Beratungsgremium der Schweiz für Covid19.

Die Art und Weise, wie die Bundesbehörden während der Pandemie wissenschaftliche Erkenntnisse nutzten, wurde sowohl in Wissenschaftskreisen als auch in der Politik und in der öffentlichen Diskussion verschiedentlich kritisiert. Dem BAG wurde insbesondere vorgeworfen, bestimmte Fachkreise ignoriert und den Austausch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erst spät institutionalisiert zu haben. Ferner wurde kritisiert, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse analysiert, bei Behördenentscheiden einbezogen und der Öffentlichkeit kommuniziert wurden. Es wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse eingereicht, in denen es unter anderem darum ging, wie die wissenschaftliche Beratung in Krisenzeiten in Zukunft organisiert werden sollte.3

1 2

3

Nachfolgend «Coronakrise», «Krise», «Covid19-Krise», «Covid19-Pandemie» oder «Pandemie».

In diesem Bericht bezieht sich der Sammelbegriff «wissenschaftliche Erkenntnisse» insbesondere auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich der Epidemiologie.

Der Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse aus anderen Bereichen (z. B. Wirtschaft, Sozialwissenschaften usw.) wird hier nicht weiter vertieft.

Siehe insbesondere Po. Michel 20.3280 vom 5.5.2020 («Wissenschaftliches Potenzial für Krisenzeiten nutzen»), Po. De Quattro 20.3542 vom 8.6.2020 («Ein Kompetenzzentrum für die Zeit nach Covid19»), Mo. Français 21.3225 vom 17.3.2021 («Post-Covid19.

Für eine ständige Plattform von wissenschaftlichen Expertinnen und Experten»), Mo. Wettstein 21.3647 vom 7.6.2021 («Schaffung eines nationalen Pandemie-Frühwarnzentrums») oder Po. Rytz Regula 21.4320 vom 1.10.2021 («Den Dialog von Wissenschaft und Politik aktiv gestalten»).

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Angesichts der allgemeinen Tragweite der aufgeworfenen Fragen beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) an ihrer Sitzung vom 26. Januar 2021 die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) damit, zu evaluieren, wie das BAG in der Coronakrise die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzte. Das Geschäft wurde der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPKN) zugewiesen und ist Teil der 2020 eingeleiteten Inspektion der GPK über den Umgang des Bundesrates und der Bundesverwaltung mit der Covid19-Krise.4

1.2

Gegenstand der Evaluation und Methode

Im April 2021 umriss die für dieses Dossier zuständige Subkommission EDI/UVEK der GPKN5 den Evaluationsgegenstand genauer. Sie beauftragte die PVK, vier Aspekte zu vertiefen:6 die Art und Weise wie die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse in den einschlägigen rechtlichen und strategischen Grundlagen geregelt ist, die Organisation und die Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im BAG, die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den vom Bundesamt erarbeiteten Entscheidungsgrundlagen und schliesslich die öffentliche Kommunikation der Bundesbehörden über wissenschaftliche Erkenntnisse.7 Die Evaluation der PVK bezieht sich auf den Zeitraum von Anfang 2020 bis Ende März 2021. Die PVK führte dafür eine Dokumentenanalyse sowie rund 30 Interviews mit verwaltungsinternen und externen Personen durch. Um die Verarbeitung und Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Vorbereitung der Bundesratsbeschlüsse konkret nachzuvollziehen, nahm die PVK zudem fünf Fallstudien vor.8 Die Subkommission EDI/UVEK entschied, dass in diesen Fallstudien die folgenden Aspekte ­ die alle mit der Nutzung der Erkenntnisse über die Virusübertragung in Zusammenhang stehen ­ untersucht werden sollten: Maskentragen, Beschränkung für private Treffen, Beschränkung für Grossanlässe, Beschränkung des Restaurant- und Barbetriebs sowie Beschränkung des Schul- und Universitätsbetriebs. Für jede Fallstudie wurde mit Unterstützung eines Epidemiologen eine Chronologie der wichtigen

4

5

6

7

8

Siehe dazu: Die GPK leiten eine Inspektion zur Aufarbeitung der Bewältigung der Covid19 Pandemie durch die Bundesbehörden ein, Medienmitteilung der GPK vom 26.5.2020. Eine Übersicht über die von den GPK im Rahmen dieser Inspektion behandelten Themen findet sich in den Jahresberichten 2020, 2021 und 2022 der GPK und der GPDel vom 26.1.2021, 25.1.2022 und 24.1.2023, Kap. 4 (BBl 2021 570; 2022 513; 2023 579).

Die Subkommission EDI/UVEK der GPKN setzt sich aus den Nationalratsmitgliedern Thomas de Courten (Präsident), Angelo Barrile, Katja Christ, Alois Huber, Christian Imark, Matthias Samuel Jauslin, Priska Seiler Graf, Marianne Streiff-Feller (bis August 2022), Lilian Studer (ab August 2022) und Michael Töngi zusammen.

Siehe dazu: Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch das BAG in der Coronakrise, Bericht der PVK vom 24.8.2022 zuhanden der GPKN (nachfolgend Bericht der PVK vom 24.8.2022), Kap. 1.1.

Diese vier Aspekte entsprechen den verschiedenen Elementen der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Verwaltung, siehe Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 2 sowie Abbildung 2.

Siehe Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 1.2.

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Ereignisse und wissenschaftlichen Erkenntnisse erstellt.9 Schliesslich erteilte die PVK drei externen Fachleuten das Mandat, eine quantitative und qualitative Analyse der öffentlichen Kommunikation der Bundesbehörden über die wissenschaftlichen Erkenntnisse durchzuführen.10 Die vollständigen Ergebnisse dieser Analyse sind in einem separaten Bericht dargelegt.11 Die Subkommission EDI/UVEK der GPKN nahm an ihrer Sitzung vom 7. September 2022 Kenntnis vom Evaluationsbericht der PVK12. Auf dieser wissenschaftlichen Basis erstellte sie den vorliegenden Bericht, der ihre Schlussfolgerungen aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht enthält.

Die GPKN bezog die Ergebnisse verschiedener Abklärungen, die sie zusätzlich zur Evaluation der PVK vorgenommen hatte, in ihre Beurteilung mit ein. Insbesondere nahm sie von mehreren Evaluationen über die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse während der Pandemie Kenntnis (siehe Kap. 1.3). Weiter liess sie auch die Informationen aus verschiedenen Anhörungen einfliessen.13 Schliesslich nahm sie noch gezielte Abklärungen dazu vor, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei bestimmten Bundesratsentscheiden zu Covid19 berücksichtigt wurden. Zu diesem Zweck richtete sie 2021 und 2022 schriftliche Fragen an die betroffenen Bundesstellen und liess sich von der Verwaltung verschiedene Unterlagen aushändigen.

Die PVK konzentrierte sich bei ihrer Evaluation auf die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Vorbereitung der Bundesratsbeschlüsse, welche die Gesundheitsmassnahmen betrafen. Ihr Ziel war nicht die Bewertung der Bundesratsbeschlüsse an sich, die das Ergebnis einer Interessenabwägung waren, bei der nebst den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch andere Erwägungen eine Rolle spielten.14 Die GPKN ihrerseits vertieft diese Frage punktuell im vorliegenden Bericht (siehe Kap. 2.3.2).

Die Evaluation der PVK bezieht sich auf den Zeitraum von Anfang 2020 bis Ende März 2021. Die GPKN berücksichtigte in ihren zusätzlichen Abklärungen auch einige Beschlüsse, die der Bundesrat bis Ende März 2022 (Aufhebung der «besonderen Lage» im Sinne des Epidemiengesetzes [EpG]15) gefasst hatte.

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14 15

Siehe Bericht der PVK vom 24.8.2022, Anhang 3.

Die Analyse konzentrierte sich auf die Kommunikation in zwei Fallstudien, nämlich in derjenigen zum Maskentragen und in derjenigen zur Beschränkung für private Treffen.

Oehmer-Pedrazzi, Franziska / Pedrazzi, Stefano / Schneider, Jörg (2022): Analyse der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum neuen Coronavirus. Bericht im Auftrag der PVK (verfügbar auf der Internetseite der GPK, www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Aufsichtskommissionen).

Bericht der PVK vom 24.8.2022.

Insbesondere: Anhörung vom 12.11.2020 (Subkommission EDI/UVEK der GPKN) mit Martin Ackermann (damaliger Präsident der SNSTF) und Matthias Egger (ehemaliger Präsident der SNSTF); Anhörung vom 28.6.2022 (GPKN) mit Alain Berset (Bundesrat, Vorsteher des EDI), Anne Lévy (Direktorin des BAG) und Andreas Balthasar (Büro Interface); Anhörung vom 21.10.2022 (GPK-S) mit Alain Berset (Bundesrat, Vorsteher des EDI), Anne Lévy (Direktorin des BAG) und Andreas Balthasar (Büro Interface).

Siehe Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 1.3.

Bundesgesetz vom 28.9.2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101).

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Der vorliegende Bericht wurde den betroffenen Bundesbehörden zur Konsultation vorgelegt. An ihrer Plenarsitzung vom 30. Juni 2023 behandelte und genehmigte die GPKN die Endfassung des Berichts sowie die darin enthaltenen Empfehlungen. Sie leitete ihn zusammen mit dem Evaluationsbericht der PVK an den Bundesrat weiter und veröffentlichte beide Dokumente.

In Kapitel 1.3 präsentiert die GPKN kurz die ihr wichtig erscheinenden Schlussfolgerungen der bedeutendsten bereits veröffentlichten Evaluationen zum Thema der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Covid19-Pandemie. In Kapitel 2 bewertet die GPKN die wichtigsten Erkenntnisse der PVK und leitet daraus die Empfehlungen zuhanden des Bundesrates ab.16 Kapitel 3 enthält die Schlussfolgerungen.

1.3

Sonstige Evaluationen und Berichte über die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse während der Covid19-Pandemie

Mehrere bereits publizierte Evaluationen und Berichte über die Covid19-Pandemie befassten sich ebenfalls mit der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Bundesbehörden bzw. mit der Zusammenarbeit von Verwaltung und Wissenschaft. Nachfolgend stellt die GPKN kurz die Schlussfolgerungen der bedeutendsten dieser Arbeiten vor. Die wichtigsten Punkte werden in Kapitel 2 nochmals aufgegriffen.

Erster Evaluationsbericht der Bundeskanzlei (BK) zum Krisenmanagement: In ihrem Bericht vom Dezember 2020 zum Krisenmanagement in der ersten Phase der Pandemie (Januar bis Juni 2020)17 hebt die BK hervor, dass zu Beginn der Krise die wissenschaftlichen Fachleute zu spät einbezogen wurden und dass die Zusammenarbeit manchmal schwierig sowie von Misstrauen geprägt war. Sie stellt fest, dass sich diese Zusammenarbeit mit der Gründung der SNSTF verbessert hat. In Empfehlung 10 werden die Departemente und die BK aufgefordert, sicherzustellen, «dass sie ihre bestehenden Netzwerke ins Krisenmanagement der Bundesverwaltung integrieren können».

Abschlussbericht der SNSTF: Die SNSTF veröffentlichte am 29. März 2022 einen Bericht, in dem sie die Bilanz ihrer 24-monatigen Tätigkeit präsentierte.18 Darin wird die Tätigkeit der SNSTF während der Krise als grundsätzlich positiv bewertet und darauf hingewiesen, dass die SN-STF dank ihrer interdisziplinären Ausrichtung dazu beitragen konnte, «dass die Schweizer Entscheidungsträger:innen aktuelle und relevante wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung hatten». Der Bericht betont, dass 16

17

18

Die Erläuterungen und Kommentare der PVK werden nur so weit wiedergegeben, wie dies für das Verständnis der Bewertungen und Schlussfolgerungen der GPKN erforderlich ist. Für die detaillierten Evaluationsergebnisse verweist die GPKN auf den Bericht der PVK vom 24.8.2022.

Bericht der BK vom 11.12.2020 zur Auswertung des Krisenmanagements in der Covid19-Pandemie (1. Phase / Februar bis August 2020) (nachfolgend Bericht der BK vom 11.12.2020), siehe insbesondere Kap. 2.5.

Abschlussbericht der Swiss National Covid19 Science Task Force vom 29.3.2022 (nachfolgend Abschlussbericht der SNSTF vom 29.3.2022).

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zu Beginn der Pandemie keine etablierten Prozesse zur Zusammenstellung einer wissenschaftlichen Begleitgruppe existierten und dass die akademischen Institutionen bei der Bildung der Gruppe eine entscheidende Rolle spielten. Er hebt auch die Bedeutung einer klaren Trennung zwischen dem politischen Entscheidungsprozess und der wissenschaftlichen Beratung hervor. Die SNSTF formuliert zudem verschiedene Empfehlungen zur Stärkung des zukünftigen Austausches zwischen Wissenschaft, Politik und Verwaltung.

Externe Evaluation des Krisenmanagements durch das BAG: Im Jahr 2020 beauftragte das BAG die Evaluationsbüros Interface und Infras sowie verschiedene Universitäten und Fachleute mit einer Gesamtevaluation des Krisenmanagements. Der Schlussbericht, der sich auf den Zeitraum bis Sommer 2021 bezieht, wurde Ende April 2022 veröffentlicht.19 Das Thema der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft wurde in dieser Evaluation nicht speziell vertieft, es wird aber dennoch punktuell angesprochen.20 Die Fachleute kommen zum Schluss, dass die Zusammenarbeit zwischen Bundesrat, Verwaltung und Wissenschaft insgesamt gut funktioniert hat und dass das BAG nach Startschwierigkeiten die relevanten Gremien und Instanzen in die Generierung von Wissen einbezogen hat. Der Bericht weist allerdings auf die Notwendigkeit hin, die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft zu überdenken und neu aufzustellen, und kommt insbesondere zum Schluss, dass die Rolle der Wissenschaft in der Kommunikation geklärt werden sollte. In Empfehlung 4 werden das BAG, der Bund und die Kantone aufgefordert, «Vorkehrungen zu treffen, um auch im Falle einer Pandemie wichtige Akteure systematisch in die Vorbereitung von Entscheidungen und in die Umsetzung von Massnahmen einbeziehen zu können».

Zweiter Evaluationsbericht der BK zum Krisenmanagement: In ihrem Bericht vom Juni 2022 über die zweite Phase der Pandemie (August 2020 bis Oktober 2021)21 beurteilt die BK die Tätigkeit der SNSTF und ihren Beitrag zum Krisenmanagement insgesamt als positiv und betont, dass dieses Gremium eine hohe Legitimität genoss und dass seine Autonomie gewährleistet war. Der Bericht hält jedoch fest, dass die Rolle der Wissenschaft bei der Krisenbewältigung nicht allen klar war. Bisweilen wurde von den befragten Personen die mangelnde Koordination der Kommunikation sowie die unklare
Aufgabenteilung zwischen der SNSTF und den ausserparlamentarischen Kommissionen kritisiert. Die BK hebt hervor, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Verwaltung ab Sommer 2020 deutlich verbesserte. Der Bericht skizziert auch verschiedene Optionen, in welcher Form die wissenschaftliche Beratung in künftigen Krisen erfolgen sollte. In Empfehlung 3 wird die BK beauftragt, zusammen mit dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und 19

20 21

Balthasar, Andreas / Essig, Stefan / von Stokar, Thomas / Vettori, Anna / von Dach, Andrea / Trageser, Judith / Trein, Philipp / Rubinelli, Sara / Zenger, Christoph / Perrotta, Maria / Weiss, Günter (2022): Evaluation der Krisenbewältigung Covid19 bis Sommer 2021. Schlussbericht zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit, Fachstelle Evaluation und Forschung (E+F), Luzern, Zürich, Bern (nachfolgend Bericht von Interface und Infras vom April 2022).

Siehe insbesondere Kap. 4.3 über die Kommunikation mit der Bevölkerung und Kap. 5, das das Fazit enthält.

Bericht der BK vom 22.6.2022 zur Auswertung des Krisenmanagements in der Covid19-Pandemie (2. Phase / August 2020 bis Oktober 2021) (nachfolgend Bericht der BK vom 22.6.2022), siehe insbesondere Kap. 2.3.

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Forschung (WBF) und dem EDI ein Aussprachepapier an den Bundesrat mit verschiedenen Varianten für die Organisation der wissenschaftlichen Politikberatung zu erarbeiten.22 Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro: Am 23. November 2022 veröffentlichte der Bundesrat einen Bericht in Erfüllung zweier Postulate,23 der sich mit der Nutzung des wissenschaftlichen Potenzials in Krisenzeiten befasste. Der Bundesrat bewertet in diesem Bericht vier Optionen für den künftigen Einbezug der Wissenschaft in das Krisenmanagement. Er kommt zum Schluss, dass die vielversprechendste Option diejenige von Ad-hoc-Gremien ist, die auf einem interdisziplinären, von Akteuren aus dem Bereich Bildung, Forschung und Innovation (BFI) unterhaltenen Netzwerk basieren. Der Bundesrat hält fest, dass er Regeln und Prozesse für den Einbezug von solchen wissenschaftlichen Ad-hoc-Gremien definieren und mit BFI-Akteuren die Ausgestaltung eines interdisziplinären Netzwerks diskutieren möchte. Weiter sollte die Krisentauglichkeit von krisenrelevanten ausserparlamentarischen Kommissionen überprüft werden. Der Bundesrat hat die BK damit beauftragt, bis Ende 2023 in Zusammenarbeit mit dem WBF einen Umsetzungsvorschlag auszuarbeiten.24

2

Feststellungen und Empfehlungen

2.1

Rechtliche und strategische Grundlagen

In ihrem Evaluationsbericht gibt die PVK einen Überblick über die rechtlichen und strategischen Grundlagen der Behörden für die Bewältigung der Pandemie.25 Sie kommt zum Schluss, dass die strategischen Grundlagen die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse kaum konkretisieren.26 Diese Thematik wird in verschiedenen Texten angesprochen, jedoch nur auf abstrakte Weise: Es handelt sich dabei vor allem um Bestimmungen, die empfehlen, die Ziele und Strategien der Krisenvorbereitung auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen. Auf die konkrete Zusammenarbeit zwischen der Bundesverwaltung und den Wissenschaftskreisen sowie auf die Verfahren für die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Krisenzeiten wird hingegen

22

23

24 25 26

Dieses Mandat wurde im Bericht des Bundesrates vom 8.6.2020 in Erfüllung der Postulate 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro vom 23.11.2022 (siehe nächsten Absatz) konkretisiert.

Wissenschaftliches Potenzial in Krisenzeiten nutzen, Bericht des Bundesrates vom 23.11.2022 in Erfüllung der Postulate 20.3280 Michel vom 5.5.2020 und 20.3542 De Quattro vom 8.6.2020 (nachfolgend Bericht des Bundesrates vom 23.11.2022).

Der Bericht des Bundesrates beruht auf einer Voranalyse des Büros Interface: Balthasar, Andreas / Ritz, Manuel / Rütsche, Bernhard / Winistörfer, Marc (2022): Optionen wissenschaftlicher Politikberatung im Hinblick auf Krisen. Grundlagenbericht für die Beantwortung des Postulats Michel 20.3280, Luzern (nachfolgend Interface-Bericht vom 23.9.2022).

Bundesrat möchte wissenschaftliches Potenzial in Krisenzeiten besser nutzen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.11.2022.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 2.1.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.1.

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kaum eingegangen.27 Einige Texte, z. B. die Epidemienverordnung (EpV)28 oder das Krisenhandbuch des BAG29, erwähnen die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt nicht.

Die GPKN hält die mangelnde Genauigkeit der rechtlichen und strategischen Grundlagen hinsichtlich der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Epidemienbekämpfung für problematisch. Sie ist der Ansicht, dass diese Schwäche teilweise die späte Zusammenarbeit des BAG mit externen Fachleuten zu Beginn der Pandemie sowie die in den ersten Monaten der Krise festgestellten Koordinationsschwierigkeiten zwischen den Bundesbehörden und der Wissenschaft erklärt (siehe Kap. 2.2). Aufgrund der aus der Covid19-Pandemie gezogenen Lehren hält es die GPKN für unerlässlich, dass die Strukturen und Prozesse der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und der Wissenschaft sowie die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Krisenzeiten nicht nur auf rechtlicher Ebene (insbesondere im EpG und in der EpV), sondern auch in den strategischen Grundlagen, wie beispielsweise dem Pandemieplan, klar festgelegt werden. Die Kommission geht davon aus, dass dies Teil der Folgearbeiten zu den Postulaten 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro (siehe Kap. 2.2.2) sein wird.

Empfehlung 1: Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den rechtlichen und strategischen Grundlagen für die Epidemienbekämpfung präzisieren Der Bundesrat wird ersucht, die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Wissenschaft sowie die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall in den rechtlichen und strategischen Grundlagen für die Epidemienbekämpfung genauer zu regeln. Er wird insbesondere ersucht, dafür zu sorgen, dass die Strukturen und Prozesse der Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Wissenschaft sowie die Art und Weise, wie wissenschaftliche Informationen im BAG gesammelt, priorisiert und analysiert werden, klar festgelegt werden.

Ganz allgemein erachtet es die GPKN als notwendig, dass der Bundesrat die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Risiko- und Krisenmanagement des Bundes mittelfristig einer eingehenden Prüfung unterzieht. Er wird gebeten, im Rahmen dieser Prüfung zu ermitteln, ob in dieser Hinsicht Präzisierungen erforderlich sind, erstens auf der konzeptionellen und strategischen Ebene und zweitens in den einschlägi-

27

28 29

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.1 und 7.1. So verlangt das EpG, dass die Strategien und die Empfehlungen zu Massnahmen der Epidemiebekämpfung dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen sind, während der Pandemieplan (InfluenzaPandemieplan Schweiz, Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung auf eine InfluenzaPandemie, 5. aktualisierte Auflage, Januar 2018) das BAG zwar beauftragt, die wissenschaftliche Entwicklung laufend zu beobachten und einen Informationspool zu bewirtschaften, aber nicht festlegt, welche Wissenschaftskreise zu konsultieren sind und auf welche Weise dies zu geschehen hat.

Verordnung vom 29.4.2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung. EpV; SR 818.101.1).

BAG: Krisenhandbuch vom 27.4.2018.

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gen Rechtsgrundlagen derjenigen Bereiche, in denen sich grosse Krisen ereignen können.30 Zudem erwartet die GPKN vom Bundesrat, dass er prüft, ob in bereichsübergreifenden rechtlichen oder strategischen Grundlagen des Bundes wie dem Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG)31 oder den Weisungen des Bundesrates über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung32 Ergänzungen hinsichtlich der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgenommen werden müssen.

Empfehlung 2: Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Risiko- und Krisenmanagement des Bundes prüfen Der Bundesrat wird ersucht, die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Risiko- und Krisenmanagement des Bundes einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Er wird ersucht, im Rahmen dieser Prüfung zu ermitteln, ob in dieser Hinsicht Präzisierungen erforderlich sind, erstens auf der konzeptionellen und strategischen Ebene und zweitens in den einschlägigen Rechtsgrundlagen derjenigen Bereiche, in denen sich grosse Krisen ereignen können.

Der Bundesrat wird weiter ersucht, zu prüfen, ob in anderen bereichsübergreifenden rechtlichen oder strategischen Grundlagen des Bundes Ergänzungen zur Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall vorgenommen werden sollten.

2.2

Organisation und Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse

2.2.1

Organisation und Prozesse im BAG

Das BAG33 stützte sich nicht nur auf das interne Fachwissen, sondern auch auf zahlreiche nationale und internationale wissenschaftliche Quellen,34 um die Entwicklung der epidemiologischen Lage zu verfolgen und dem Bundesrat Vorschläge für Gesundheitsmassnahmen zu unterbreiten. Das wissenschaftliche Netzwerk des BAG basierte zum Teil auf bereits vor der Krise bestehende Arbeitskontakte (z. B. mit dem Netzwerk Swiss School of Public Health [SSPH+] oder mit dem Nationalen Zentrum für Infektionsprävention [Swissnoso]), während andere Kooperationen während der Pan-

30 31 32 33 34

Zum Beispiel Naturgefahren, Stromversorgung, Cybersicherheit, Telekommunikation, nukleare Sicherheit, Verteidigung oder Migration.

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (RVOG, SR 172.010).

Weisungen des Bundesrates vom 21.6.2019 über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung (BBl 2019 4593).

Insbesondere die BAG-Abteilung «Übertragbare Krankheiten».

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 2.2.

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demie ad hoc gebildet wurden (in dieser Hinsicht war die SNSTF eine zentrale Akteurin35).

Aus der Evaluation der PVK geht hervor, dass das BAG dank den zahlreichen Kanälen, die es nutzte, über das nötige Wissen zur Erfüllung seines Auftrags verfügte.36 Die PVK weist darauf hin, dass die Verarbeitung einer sehr grossen Menge an wissenschaftlichen Informationen, die zudem mit bedeutenden Unsicherheiten behaftet waren, eine Herausforderung darstellte.37 Sie hebt auch das grosse Engagement und die Flexibilität aller verwaltungsinternen und externen Personen hervor, die an der Beschaffung und Verarbeitung der wissenschaftlichen Informationen beteiligt waren,38 ein Fakt, den die GPKN ausdrücklich begrüsst.

Die PVK zeigt in ihrer Evaluation aber auch mehrere Schwächen auf, welche die Organisation und die Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im BAG insbesondere in der ersten Phase der Pandemie betrafen: ­

35

36 37

38 39

40 41 42

43

Erstens baute das BAG sein wissenschaftliches Netzwerk zu spät auf.39 In den ersten Wochen der Pandemie stützten sich die Verantwortlichen des Bundesamtes hauptsächlich auf ihre bereits bestehenden Kontakte. Die GPKN hält jedoch fest, dass diese Kontakte ­ auch wenn sie durchaus ihre Berechtigung hatten ­ nicht geeignet waren, eine angemessene und repräsentative Einbindung der wissenschaftlichen Gemeinschaft in das Krisenmanagement zu ermöglichen.40 Dies führte zu negativen Reaktionen eines Teils der Wissenschaftsgemeinschaft, der das Gefühl hatte, nicht gehört zu werden, und der Meinung war, dass das BAG der Situation nicht die Beachtung schenkt, die sie verdienen würde.41 Bereits Ende Februar 2020 äusserten verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegenüber dem Bundesrat und dem BAG,42 aber auch in den Medien43 ihre Bedenken. Die Kontakte zwischen dem BAG und der Wissenschaft wurden erst Ende März 2020 institutiBericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 2.2. Festzuhalten ist, dass sich die PVK in ihrer Evaluation auf die Interaktionen zwischen dem BAG und der SNSTF sowie der SSPH+ konzentrierte, auf das Thema der an den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) vergebenen Forschungsaufträge beispielsweise aber nicht näher einging.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7, 7.2 und 7.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.1 und 7.2. Gemäss PVK waren Ende März 2021 fast 140 000 wissenschaftliche Artikel zum Thema Covid19 erfasst, was rund 2000 neuen Publikationen pro Woche entspricht.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2. Diese Aussage wird durch mehrere andere Evaluationen bestätigt (Bericht der BK vom 11.12.2020, Bericht von Interface und Infras vom April 2022).

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2. Siehe dazu auch den Bericht von Interface und Infras vom April 2022, S. 89/90.

Anhörung der SNSTF-Vertretung, 12.11.2020.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Basel, Bern und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) richteten Ende Februar 2020 einen Brief an den Bundesrat. Am 18.3.2020 traf sich eine Wissenschaftsdelegation mit einer Vertretung des EDI und des BAG. Im Anschluss an dieses Treffen beschlossen die Eidgenössischen Technischen Hochschulen, eine erste wissenschaftliche Taskforce zu bilden (Anhörung
der SNSTF-Vertretung vom 12.11.2020).

Siehe insbesondere: Man muss nicht die halbe Schweiz unter Quarantäne stellen.

In: Neue Zürcher Zeitung, 26.2.2020; Nous devons aller vers des mesures plus strictes.

In: Le Temps, 26.3.2020.

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onalisiert, also fast drei Monate nach den ersten Meldungen über das Auftreten von Covid19.44 Die PVK spricht von einem «Fehlen konkreter Verfahrensvorgaben, [das] den Einbezug der Wissenschaft verzögerte»45.

44 45 46 47 48 49

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53 54

­

Die Evaluation der PVK sowie weitere von der GPKN gesammelte Informationen weisen darauf hin, dass zwischen dem BAG und der Wissenschaft in den ersten Wochen der Krise ein von Verwirrung und gegenseitigem Misstrauen geprägter Austausch herrschte.46 Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warfen dem BAG vor, die Wissenschaft nicht in seine Arbeit einbeziehen zu wollen und die von Covid19 ausgehende Gefahr zunächst heruntergespielt zu haben.47 Der Vorsteher des EDI betonte seinerseits, dass damals in Wissenschaftskreisen eine gewisse Kakophonie herrschte, da die Positionen der Fachleute wenig koordiniert und manchmal unrealistisch waren.48

­

Aus der Evaluation der PVK geht hervor, dass das BAG gesamthaft betrachtet keine proaktive Rolle beim Aufbau des wissenschaftlichen Netzwerks spielte, dieses entwickelte sich vielmehr von selbst. So entstand die SNSTF auf Initiative der Wissenschaft und das BAG spielte bei der Bildung und Zusammensetzung dieses Gremiums keine Rolle.49 Ausserdem war die SNSTF organisatorisch zunächst nicht über das BAG, sondern über den Krisenstab des Bundesrates Corona (KSBC) an die Krisenorganisation des Bundes angegliedert.50

­

Im Zusammenhang mit den vorgenannten Punkten stellt die PVK fest, dass das BAG über keine klare Methode und Strategie für den Aufbau und den Betrieb des wissenschaftlichen Netzwerks verfügte.51 Ihr zufolge bezog das Bundesamt unkoordiniert mehrere wissenschaftliche Akteure52 ein, ohne dass sich der Mehrwert der einzelnen Leistungen klar erschliesst.53 Die Anfragen des BAG an die SNSTF waren heterogen und nicht immer waren das Ziel der Anfrage und das erwartete Produkt klar definiert.54 Ausserdem wurden geBericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.1 und 7.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3 und 7.1.

Anhörung der SNSTF-Vertretung vom 12.11.2020, Bericht von Interface und Infras vom April 2022, S. 89 f.

Anhörung des Vorstehers des EDI, 22.10.2022 (GPK-S).

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3 und 7.1. Der Rat der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH-Rat) spielte bei der Bildung der ersten wissenschaftlichen Taskforce am 18.3.2020 eine entscheidende Rolle. Diese Taskforce wurde dann am 30.3.2020 um den Schweizerischen Nationalfonds (SNF), Swissuniversities und die Akademien der Wissenschaften Schweiz erweitert (Anhörung der SNSTF-Vertretung vom 12.11.2020, siehe auch Abschlussbericht der SNSTF vom 29.3.2022).

Erst ab August 2020 war die SNSTF offiziell dem BAG angegliedert.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2. Die PVK nennt neben der SNSTF und SSPH+ insbesondere die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Swissnoso, die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF), das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) sowie die Forschungsaufträge des SNF.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2.

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wisse Anfragen gleichzeitig an mehrere Akteure gerichtet.55 Die PVK sieht bei dieser Praxis die Gefahr, dass gewisse Analysen doppelt vorgenommen werden, was eine unnötige Belastung für die betroffenen Akteure darstellt.

Laut PVK trug das Fehlen einer klaren Strategie dazu bei, dass einzelne Personen bei der Beurteilung der zu Krisenbeginn verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse grosses Gewicht hatten und dass die Zusammenarbeit stark von den beteiligten Personen im BAG und in der SNSTF abhing.56 ­

Schliesslich war laut PVK die Verarbeitung der gesammelten Informationen im BAG nicht klar geregelt. Im Grossen und Ganzen war das Bundesamt in der Lage, die für die Entscheidungsfindung des Bundesrates relevanten Informationen zu verarbeiten und an den Bundesrat weiterzuleiten (siehe auch Kap. 2.3.1). Allerdings sind nach Ansicht der PVK die Kriterien für die Beschaffung und die Auswahl der wissenschaftlichen Erkenntnisse nur schwer zu erkennen; dasselbe gilt für die Kriterien, nach denen entschieden wurde, ob eine interne oder eine externe Analyse erfolgen sollte.57 Zwar bewertet die PVK die Einführung von Fachdiskussionen im BAG positiv, da sie eine vertiefte Auseinandersetzung mit bestimmten Themen ermöglichten und den fachlichen Austausch im Bundesamt gewährleisteten, sie bedauert jedoch, dass schriftliche Aufzeichnungen über die Diskussionsergebnisse sowie über deren Nutzung fehlen.58

Die GPKN teilt die kritische Beurteilung der PVK bezüglich der Beschaffung und Verarbeitung der wissenschaftlichen Informationen durch das BAG in den ersten Wochen der Pandemie. Sie bedauert, dass das Bundesamt nicht die aktive Rolle gespielt hat, die es beim Aufbau und Betrieb eines wissenschaftlichen Beratungsnetzwerks hätte übernehmen sollen. Der GPK-N ist keine Planung zu diesem Punkt bekannt.

Aus Sicht der Kommission wirkten sich die Verzögerungen beim Aufbau des wissenschaftlichen Netzwerks und das zu Beginn fehlende gegenseitige Vertrauen zwischen dem BAG und der Wissenschaft während der ersten Pandemiewelle, aber auch in den späteren Phasen negativ auf das Krisenmanagement aus (insbesondere in Bezug auf die Kommunikation, siehe Kap. 2.4.2). Gründe dafür sind laut der Kommission das Fehlen von vorgängig festgelegten Koordinationsstrukturen sowohl in der Wissenschaft als auch in der Verwaltung, ein unzureichender Austausch zwischen den betroffenen Akteuren vor der Krise und das Fehlen einer klaren Strategie sowie klarer Prozesse für die Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung und der Wissenschaft in Krisenzeiten. Verstärkt wurde dies wahrscheinlich dadurch, dass die rechtlichen und reglementarischen Grundlagen bezüglich der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse ungenau sind bzw. diesen Aspekt überhaupt nicht erwähnen (siehe Kap. 2.1). Zudem muss der besondere Kontext zu Beginn der Krise berücksichtigt werden, der von vielen Unsicherheiten geprägt war.

55 56 57 58

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2 und 7.3. Die PVK weist insbesondere auf die Doppelspurigkeiten bei den Anfragen an die SNSTF und an das Netzwerk SSPH+ hin.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3 und 7.1.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.1 und 7.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.1.

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Die GPKN nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich die Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und der Wissenschaft nach anfänglichen Schwierigkeiten deutlich besserte. Insbesondere etablierten sich nach und nach Kooperationsprozesse, wurden die jeweiligen Rollen geklärt und wurde das gegenseitige Vertrauen gestärkt.59 Für die Kommission ist es entscheidend, dass aus diesem Fall Lehren für den Aufbau und den Betrieb des Wissenschaftsnetzwerks des Bundes im Krisenfall gezogen werden. Was den Gesundheitsbereich betrifft, so hält sie es für unerlässlich, dass das BAG im Hinblick auf eine nächste Krise ein explizites Konzept für den Aufbau und Betrieb seines Wissenschaftsnetzwerks erstellt. Dieses Konzept sollte klare Prozesse für die Vergabe von Forschungsaufträgen sowie eine Liste der wichtigsten Fachleute und Partner beinhalten, die periodisch zu aktualisieren ist. Die GPKN fordert den Bundesrat zudem auf, dafür zu sorgen, dass das BAG über klare und transparente Kriterien und Prozesse für die Auswahl und die Verarbeitung der nationalen und internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall verfügt.

Die GPKN zieht eine insgesamt positive Bilanz der vom BAG organisierten Fachdiskussionen und ist der Meinung, dass mit diesem Instrument der Austausch wissenschaftlicher Informationen im BAG auf flexible Weise sichergestellt werden konnte.

Wie der PVK erscheint es jedoch auch ihr wichtig, dass die Diskussionsergebnisse sowie deren Verwendung schriftlich festgehalten werden, und zwar in einer der Krisensituation angemessenen Form. Nach Ansicht der GPKN ist diese Massnahme wichtig, um die Kontinuität und die Transparenz der BAG-Tätigkeit zu gewährleisten.60 Die GPKN ist ganz allgemein der Ansicht, dass hinsichtlich der Einsetzung von wissenschaftlichen Ad-hoc-Beratungsgremien in Krisenfällen verschiedene Grundsatzfragen geklärt werden müssen. Sie fordert den Bundesrat insbesondere auf, klar zu definieren, ab wann und nach welchen Prozessen ein externes wissenschaftliches Netzwerk bei Ausbruch einer Krise aktiviert werden soll und welchen Bundeseinheiten oder Organen dieses anzugliedern ist (siehe Kap. 2.2.2).

59

60

Dies geht aus der Evaluation der PVK (Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3), aber auch aus den Anhörungen der GPKN und aus anderen veröffentlichten Evaluationen hervor.

In ihrem Bericht vom Mai 2022 über die Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid19-Pandemie kamen die GPK zum Schluss, dass es wichtig ist, die Kompetenzen und Abläufe dieser Diskussionsgremien klar festzulegen und im Organigramm der Krisenorganisation des BAG aufzuführen; siehe Krisenorganisation des Bundes für den Umgang mit der Covid19-Pandemie (Januar bis Juni 2020), Bericht der GPK vom 17.5.2022, Kap. 6.4.7 (BBl 2022 1801, S. 57).

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Empfehlung 3: Im BAG die Organisation und die Prozesse für die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Pandemiefall verbessern Der Bundesrat wird ersucht, dafür zu sorgen, dass das BAG: ­

ein Konzept für den Aufbau und Betrieb seines Wissenschaftsnetzwerks im Bereich der Epidemienbekämpfung erstellt, das klare Prozesse für die Vergabe von Forschungsaufträgen sowie eine Liste der wichtigsten Fachleute und Partner beinhaltet, die periodisch zu aktualisieren ist;

­

über klare und transparente Kriterien und Prozesse für die Auswahl und die Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall verfügt;

­

die in Krisenzeiten im Bundesamt durchgeführten Fachdiskussionen stärker formalisiert und angemessen dokumentiert.

2.2.2

Rolle der SNSTF

Die SNSTF spielte bei der wissenschaftlichen Beratung der Bundesbehörden während der Covid19-Pandemie eine entscheidende Rolle. Die GPKN beurteilt deren Tätigkeit insgesamt positiv: Die Mehrheit der von der PVK befragten Akteure war der Auffassung, dass das BAG dank der SNSTF innert nützlicher Frist über die erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse verfügte und zu einer evidenzbasierten Entscheidungsfindung beitragen konnte.61 Diese positive Bilanz geht auch aus anderen Berichten62 sowie aus den von der Kommission durchgeführten Anhörungen hervor.63 Der interdisziplinäre Charakter der SNSTF, ihre breite Abstützung in den Fachkreisen sowie ihre Unabhängigkeit waren ihre grössten Stärken. Es wurden jedoch auch verschiedene Kritikpunkte vorgebracht, die insbesondere die Definition der Aufgaben dieses Gremiums und das Kommunikationsmanagement betrafen (siehe Kap. 2.4.2).

Die GPKN begrüsst ausdrücklich das Engagement der Fachleute, die mit ihrem Fachwissen zur Einrichtung und zur Funktionsfähigkeit dieses Gremiums beigetragen haben.

Die Beziehungen zwischen dem BAG und der SNSTF waren zu Beginn nicht gut (siehe vorhergehendes Kapitel), später trug jedoch die Klärung der gegenseitigen Rollen zu einem deutlich besseren Verständnis und stärkeren gegenseitigen Vertrauen bei.64 Die GPKN hält fest, dass der Bundesrat aus dem Fall der SNSTF bereits verschiedene Lehren gezogen hat. In seinem Bericht vom November 2022 in Erfüllung der Postulate 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro kam er zu dem Schluss, dass die Einrichtung von Ad-hoc-Beratungsgremien basierend auf einem interdisziplinären 61 62 63 64

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3.

Bericht der BK vom 22.6.2022, Abschlussbericht der SNSTF vom 29.3.2022.

Insbesondere Anhörung der BAG-Direktorin vom 28.6.2022 und Anhörung der SNSTFVertretung vom 12.11.2020.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3.

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Netzwerk die geeignetste Option ist, um bei künftigen Krisen auf die Expertise der Wissenschaft zurückzugreifen.65 In Bezug auf die Ad-hoc-Beratungsgremien ist der Bundesrat der Ansicht, dass ihre Funktionsweise und ihre Zusammensetzung in internen Weisungen, Richtlinien oder in einem «Aide-Mémoire» festgelegt werden könnten.66 Ob es beim interdisziplinären Netzwerk gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt, hängt gemäss Bundesrat «davon ab, ob der Bund das Netzwerk in Form eines Leistungsauftrages gewährleisten und mitgestalten will».67 Der Bundesrat hat die BK und das WBF mit der Erarbeitung eines Umsetzungsvorschlags bis Ende 2023 beauftragt.

Die GPKN begrüsst das Vorgehen des Bundesrates und seine Vorschläge zur Einrichtung von Ad-hoc-Beratungsgremien, diese sind für sie ein Schritt in die richtige Richtung. Sie fordert den Bundesrat auf, die in seinem Bericht vom November 2022 formulierten Vorschläge rasch umzusetzen. Nach Ansicht der Kommission wäre es wünschenswert, das interdisziplinäre Netzwerk mit einem Leistungsauftrag auszustatten und rechtlich zu verankern. Angesichts der strategischen Bedeutung eines solchen Netzwerks für die Bewältigung allfälliger zukünftiger Krisen hält sie es für wichtig, dass der Bundesrat und das Parlament die Aufgaben und die Organisation des Netzwerks mitgestalten.

Basierend auf der Evaluation der PVK und deren Abklärungen zur SNSTF hat die GPKN verschiedene Aspekte eruiert, die ihr zufolge bei den Umsetzungsarbeiten unbedingt geklärt werden müssen:

65 66 67 68 69

­

Prozess zur Aktivierung des wissenschaftlichen Netzwerks: Es ist wichtig, klar zu definieren, wann und nach welchen Prozessen das wissenschaftliche Netzwerk bei Ausbruch einer Krise aktiviert werden soll und welcher Bundeseinheit bzw. welchen Bundeseinheiten das Beratungsgremium anzugliedern ist.

Ein solcher Prozess soll insbesondere verhindern, dass das wissenschaftliche Netzwerk zu spät in die Krisenbewältigung einbezogen wird (siehe Kap. 2.2.1 und Empfehlung 3).

­

Bildung und Zusammensetzung des Beratungsgremiums: Aus Sicht der GPKN stellt sich die Frage, ob der Bund bei der Zusammensetzung des Beratungsgremiums ein Mitspracherecht haben soll bzw. ob diesbezüglich allgemeine Regeln aufgestellt werden sollen. In ihrer Evaluation stellt die PVK fest, dass die Meinungen diesbezüglich auseinandergehen: Während einige Personen der Ansicht sind, der Umstand, dass sich die SNSTF selbst konstituiert hat, habe ihre Legitimität und ihre Unabhängigkeit gestärkt,68 sind andere der Meinung, dass ihr die Behörden aus diesem Grund weniger Vertrauen entgegenbrachten. Aus Sicht der PVK wäre die Zusammenarbeit unter Umständen einfacher gewesen, wenn das BAG stärker an der Bildung des Netzwerks beteiligt gewesen wäre.69 Bundesrat möchte wissenschaftliches Potenzial in Krisenzeiten besser nutzen, Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.11.2022; Bericht des Bundesrates vom 23.11.2022.

Bericht des Bundesrates vom 23.11.2022, Kap. 2.4.

Bericht des Bundesrates vom 23.11.2022, Kap. 2.4.

Der ehemalige Präsident der SNSTF Matthias Egger führte der GPKN im Detail aus, wie die Zusammensetzung der Taskforce festgelegt worden war.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3 und 7.1.

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Finanzielle und personelle Ressourcen des Beratungsgremiums und des interdisziplinären Netzwerks: Während der Pandemie wurde die Tätigkeit der SNSTF grösstenteils von den Wissenschaftsinstitutionen finanziert.70 Die Fachleute arbeiteten in diesem Gremium parallel zu ihren regulären Verpflichtungen in den Forschungsinstitutionen. Die GPKN ist der Ansicht, dass die Finanzierung eines allfälligen künftigen Beratungsgremiums geklärt werden muss. Das Personalmanagement muss so gestaltet sein, dass die Tätigkeit des Beratungsgremiums über einen längeren Zeitraum gewährleistet ist, falls dies erforderlich ist.

­

Schnittstellen zwischen Beratungsgremium und Verwaltung: Die SNSTF wurde im Verlauf der Krise administrativ verschiedenen Einheiten angegliedert und auch die Adressaten ihrer wissenschaftlichen Beratung variierten.71 Für die GPKN ist es wichtig, dass diesbezüglich Richtlinien festgelegt werden und dass insbesondere genau angegeben wird, für wen die Expertise des Beratungsgremiums bestimmt ist.72 Zudem müssen die Rollenverteilung und die Koordination zwischen dem Beratungsgremium und den anderen von der Verwaltung konsultierten wissenschaftlichen Akteuren geklärt werden.

Grundsätzlich sollte festgelegt werden, in welchen Fällen die wissenschaftlichen Abklärungen verwaltungsintern durchgeführt und in welchen Fällen sie an externe Auftragnehmende vergeben werden sollen.

­

Aufgaben des Beratungsgremiums, insbesondere hinsichtlich Beurteilung und Beratung: Die PVK hält in ihrer Evaluation fest, dass sich die Anfragen des BAG an die SNSTF und deren Antworten während der Pandemie veränderten. Während die Anfragen zu Beginn der Krise regelmässig Fragen der Beurteilung betrafen, ging es später vermehrt um die «blosse» Bereitstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und die SNSTF hielt sich mit Stellungnahmen zurück. Trotzdem liess die SNSTF dem BAG weiterhin auf informellem Weg Lagebeurteilungen zukommen, was gemäss PVK in Bezug auf

Dies war allerdings z. B. bei SSPH+ nicht der Fall, diesem Netzwerk wurde ein Leistungsauftrag erteilt, für den es bezahlt wurde. Siehe Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3.

Eine Ende 2022 publizierte Studie kommt zum Schluss, dass sich die Angliederung der SNSTF an das BAG im August 2020 negativ auf ihren Status und den politisch-strategischen Einfluss ihrer Empfehlungen ausgewirkt hat. Siehe Eichenberger, Steven / Varone, Frédéric / Sciarini, Pascal / Stähli, Robin / Proulx, Jessica (2022): When do decision makers listen (less) to experts? The Swiss government's implementation of scientific advice during the Covid19 crisis. In: Policy Studies Journal, Dezember 2022 (nachfolgend Eichenberger, Steven / Varone, Frédéric / Sciarini, Pascal / Stähli, Robin / Proulx, Jessica [2022]).

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die Transparenz problematisch ist.73 Die GPKN ist der Meinung, dass dieser Aspekt geklärt werden muss. Ihrer Ansicht nach sollte das wissenschaftliche Beratungsgremium die Behörden nicht nur über die wissenschaftlichen Erkenntnisse informieren, sondern es sollte auch wissenschaftliche Beurteilungen oder Empfehlungen zur Krisenbewältigung abgeben dürfen. Es versteht sich von selbst, dass solche Empfehlungen strikt auf den jeweiligen Fachbereich beschränkt sowie konstruktiv und ausgewogen formuliert sein müssten.

Die Einzelheiten zu Form, Übermittlung und Verarbeitung der Empfehlungen des Beratungsgremiums sollten geklärt werden. Unbedingt erforderlich ist schliesslich, dass sich alle Akteure auf eine klare Definition der gegenseitigen Verantwortlichkeiten und Rollen einigen und insbesondere darauf verständigen, dass die endgültige Entscheidkompetenz immer bei den Bundesbehörden liegt.

73

­

Form der Anfragen an das Beratungsgremium und seiner Antworten: Nach Ansicht der GPKN sollten klare Richtlinien formuliert werden, um die Kohärenz des Austauschs zwischen den Bundesbehörden und dem Beratungsgremium sicherzustellen, wobei angesichts der unterschiedlichen Arten von Krisen gleichzeitig eine gewisse Flexibilität gewahrt werden muss.

­

Kommunikation über die wissenschaftlichen Erkenntnisse: Die Evaluation der PVK zeigt, dass dieser Aspekt während der Pandemie eine Herausforderung darstellte. Für die GPKN ist es wichtig, dass grundsätzliche Überlegungen angestellt und klare Richtlinien für die Rollenverteilung bei der öffentlichen Kommunikation festgelegt werden (siehe Kap. 2.4.2). Die Unterlagen für das Krisenmanagement sollten mit Bestimmungen zur Kommunikation über wissenschaftliche Erkenntnisse ergänzt werden. Die Kommission hält es für wichtig, dass das wissenschaftliche Beratungsgremium in Sachen Kommunikation über bestimmte Zuständigkeiten verfügt.

­

Förderung des gegenseitigen Vertrauens und der Kontakte zwischen dem interdisziplinären Netzwerk und der Verwaltung: Die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren muss auch ausserhalb von Krisenzeiten gefördert werden, insbesondere durch Übungen und regelmässige Kontakte.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 4.3. Nach Meinung der PVK führte diese Entwicklung zwar zu einer Klärung der Rollen, aber auch dazu, dass sich die Funktion der SNSTF immer weniger von der anderer Akteure, wie SSPH+, unterschied.

Im Rahmen der Verwaltungskonsultation zum vorliegenden Bericht machte die SN-STF die folgenden Elemente geltend: «Die SN-STF schärfte über die Zeit ihr Profil als sogenannter [Hinweis: der wird in der Lehre als eine Person oder eine Gruppe von Personen beschrieben, die persönliche Voreingenommenheit und Wertvorstellungen beiseite schieben, um politischen Entscheidungsträgern bei der Auswahl von Optionen zu helfen, indem sie im Allgemeinen Klarheit über die Faktenlage schaffen]. Die SN-STF hat damit bewusst verschiedene mögliche Ziele dargelegt und die daraus resultierenden Handlungsoptionen diskutiert [...]. Die dargelegten wissenschaftlichen Beurteilungen innerhalb der Sitzungen mit den Mandatsgebern wurden parallel in schriftlicher Form verfasst und [auf der Webseite der SN-STF] publiziert [...].»

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Empfehlung 4: Rahmenbedingungen für die Einrichtung und die Organisation von wissenschaftlichen Beratungsgremien basierend auf einem interdisziplinären Netzwerk sicherstellen Der Bundesrat wird ersucht, Option 4 seines Berichts vom November 2022 in Erfüllung der Postulate 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro ­ also die Möglichkeit, wissenschaftliche Ad-hoc-Beratungsgremien basierend auf einem interdisziplinären Netzwerk zu etablieren ­ rasch zu konkretisieren. Der Bundesrat wird eingeladen, dieses Netzwerk gesetzlich zu verankern und mit einem Leistungsauftrag auszustatten.

Der Bundesrat wird ersucht, im Rahmen dieser Arbeiten folgenden Aspekten besondere Aufmerksamkeit zu widmen: dem Prozess für die Aktivierung des wissenschaftlichen Netzwerks, der Einrichtung und Zusammensetzung des Beratungsgremiums, den finanziellen und personellen Ressourcen des Beratungsgremiums und des interdisziplinären Netzwerks, den Schnittstellen zwischen Beratungsgremium und Verwaltung, den Aufgaben des Beratungsgremiums (insbesondere hinsichtlich Beurteilung und Beratung), der Form der Anfragen an das Beratungsgremium und seiner Antworten, der Kommunikation über die wissenschaftlichen Erkenntnisse, der Förderung des gegenseitigen Vertrauens sowie der Kontakte zwischen dem interdisziplinären Netzwerk und der Verwaltung.

2.2.3

An wissenschaftliche Beratungsgremien vergebene Rahmenmandate

Zusätzlich zu den oben (Kap. 2.2.2) genannten Punkten geht aus dem Bericht der PVK auch hervor, dass die Rahmenmandate, die das BAG an die wissenschaftlichen Beratungsgremien (insbesondere SNSTF und SSPH+) vergeben hatte, während der Pandemie mehrfach angepasst wurden.74 Die Evaluation der PVK zeigt auf, dass sich diese Mandate mit der Zeit insgesamt verbessert haben, da das BAG im Verlauf der Pandemie in vielerlei Hinsicht (insbesondere hinsichtlich der Unabhängigkeit, der Kommunikation und des verwaltungsinternen Adressatenkreises der wissenschaft-lichen Beratung) seine Lehren gezogen hat. Gemäss der PVK zeigt die Art und Weise, wie diese Mandate präzisiert wurden, dass die Bundesverwaltung nicht agierte, sondern reagierte (siehe auch Kap. 2.2.1). Diese Vorgehensweise bietet nach Ansicht der PVK zwar eine gewisse Flexibilität, um in der Krise auf veränderte Bedürfnisse reagieren zu können, birgt aber auch die Gefahr, dass die Rollen der beteiligten Akteure nicht klar getrennt sind und es zu Doppelspurigkeiten kommen kann.75 Die GPKN stellt weiter fest, dass der Übergang von einem Mandat zum nächsten nicht immer ausreichend antizipiert wurde; so verfügte die SNSTF zwischen Juni und August 2020 über kein gültiges Mandat, was bei den betroffenen Akteuren zu Unsicherheiten führte.76 74 75 76

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.3 und 7.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.3 und 7.3.

Siehe dazu auch den Bericht von Interface und Infras vom April 2022, S. 89 f.

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Die GPKN erachtet es als notwendig, dass der Bundesrat eine Typologie erstellt, um klarer festzulegen, welche Form der Beratung in Krisenzeiten von den verschiedenen Kategorien wissenschaftlicher Ansprechpartner (z.B. Ad-hoc-Beratungsgremium, bestehende wissenschaftliche oder akademische Vereinigungen, SNF, ausserparlamentarische Kommissionen, einzelne Fachleute) erwartet wird, um eine klare Unterscheidung der verlangten Leistungen zu gewährleisten und Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Sie fordert den Bundesrat auf, auf dieser Grundlage ein Modell für an externe Dienstleistende zu vergebende Rahmenmandate für die wissenschaftliche Beratung in Krisenfällen zu erstellen. Diese Abklärungen könnten im Rahmen der Folgearbeiten zum Bericht des Bundesrates vom November 2022 in Erfüllung der Postulate 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro vorgenommen werden.

Empfehlung 5: Erteilung von Rahmenmandaten für die wissenschaftliche Beratung in Krisenfällen klären Der Bundesrat wird ersucht, eine Typologie zu erstellen, um klarer festzulegen, welche Form der Beratung in Krisenzeiten von den verschiedenen Kategorien externer wissenschaftlicher Ansprechpartner erwartet wird.

Der Bundesrat wird aufgefordert, auf dieser Grundlage ein Modell für an externe Dienstleistende zu vergebende Rahmenmandate für die wissenschaftliche Beratung in Krisenfällen zu erstellen

2.2.4

Rolle der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung

Die Evaluation der PVK zeigt, dass die Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP), die über Experten- und Beratungskompetenzen in Disziplinen verfügt, die für die Bewältigung einer Pandemie wichtig sind, während der Covid19-Krise keine Rolle spielte.77 Ihre Einsetzungsverfügung und der Pandemieplan weisen der EKP jedoch eine beratende Funktion im Falle einer Pandemie zu.78 Wie die Abklärungen der PVK zeigen, ist das darauf zurückzuführen, dass einige Akteure der Auffassung waren, die EKP habe lediglich bei der Vorbereitung auf eine Pandemie ­ und auch nur auf eine Influenza-Pandemie ­ eine Funktion, obwohl in der Einsetzungsverfügung ausdrücklich das Gegenteil verankert ist.79 Gegenüber der GPKN machte das BAG geltend, dass die Mitglieder der EKP als Einzelpersonen ihre Kompetenzen in verschiedenen Arbeitsgruppen des Bundes eingebracht haben.80 Die GPKN weist jedoch darauf hin, dass keines der dreizehn derzeitigen

77 78 79 80

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.2 und 7.1.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.2. Siehe dazu auch: Ausserparlamentarische Verwaltungskommissionen, Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 20.6.2022.

Anhörung des BAG vom 28.9.2020 (Subkommission EDI/UVEK der GPKN).

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Mitglieder der EKP81 auf der Liste der Expertinnen und Experten der SNSTF82 aufgeführt ist. Der Vorsteher des EDI erklärte gegenüber der GPKN, dass die zusätzliche Einsetzung der EKP keinen Mehrwert gebracht hätte.83 Wie die PVK ist auch die GPKN der Meinung, dass die EKP auf der Grundlage des einschlägigen Rechts eine zentralere Rolle bei der Bewältigung der Covid19-Krise hätte spielen sollen. Für die GPKN ist es unbefriedigend, dass Gremien, deren Einsetzung im Krisenfall schon seit Langem vorgesehen ist, beim Ausbruch einer Krise ohne zwingenden Grund nicht ihrem Auftrag entsprechend mobilisiert werden. Die GPKN räumt jedoch ein, dass die begrenzten Ressourcen dieser beratenden Kommission ein Hindernis für eine verstärkte Aktivität während einer Pandemie darstellten. Sie hält zudem fest, dass die Einrichtung einer grossen wissenschaftlichen Taskforce wie der SNSTF die Untätigkeit der EKP weitgehend wettgemacht hat und dass sich die Taskforce letztendlich wahrscheinlich besser eignete als die EKP.

Vor diesem Hintergrund ist die Kommission der Ansicht, dass die Rolle der EKP in Pandemiezeiten und ihre Vernetzung mit der Verwaltung, aber auch mit anderen wissenschaftlichen Beratungsstrukturen grundlegend überdacht werden muss. Die Kommission fordert den Bundesrat auf, zu prüfen, ob dieses Gremium im EpG genannt werden sollte, was bislang nicht der Fall war.84 Ganz allgemein erachtet es die GPKN als erforderlich, dass der Bundesrat die Krisentauglichkeit der ausserparlamentarischen Kommissionen überprüft. Sie begrüsst daher die Schlussfolgerungen des Bundesrates in seinem Bericht vom November 2022 in Erfüllung der Postulate 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro, die in dieselbe Richtung gehen.85 Die Kommission hält es insbesondere für wichtig, dass diejenigen parlamentarischen Kommissionen eruiert werden, die im Falle einer Krise ­ in welchem Bereich auch immer ­ eine Rolle spielen können, und dass analysiert wird, inwiefern sie die Bundesbehörden unterstützen können bzw. welche Rolle sie im Krisenfall spielen sollen.

Empfehlung 6: Rolle der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) klären Der Bundesrat wird ersucht, die Rolle der EKP während einer Pandemie und ihre Vernetzung mit der Verwaltung und mit anderen wissenschaftlichen Beratungsstrukturen im Lichte der
aus der Covid19-Krise gezogenen Lehren grundlegend zu analysieren und die rechtlichen und reglementarischen Grundlagen entsprechend anzupassen. Er wird zudem ersucht, gleichzeitig zu prüfen, ob die EKP im Epidemiengesetz genannt werden sollte.

81

82 83 84 85

Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung, www.admin.ch > Dokumentation > Ausserparlamentarische Kommissionen > Nach Departement > Eidg. Departement des Innern (Stand: 8.2.2023).

Abschlussbericht der SNSTF vom 29.3.2022, Anhang A.2.

Anhörung des Vorstehers des EDI, 28.6.2022 (GPKN).

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 3.2.

Bericht des Bundesrates vom 23.11.2022, Kap. 2.2.

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2.3

Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Entscheidfindungsprozess

2.3.1

Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates

Anhand der von der GPKN ausgewählten Fallbeispiele beurteilte die PVK, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Covid19 in den vom EDI und vom BAG für den Bundesrat erarbeiteten Entscheidungsgrundlagen berücksichtigt wurden. Die GPKN betont, wie wichtig es ist, diese Analyse in den besonderen Kontext der Pandemie zu stellen: Wie die Evaluation zeigt, setzte die Dringlichkeit der Situation alle Akteure der Verwaltung unter grossen Zeitdruck, der das übliche Verfahren für die Ausarbeitung von Entscheidungsgrundlagen durcheinanderbrachte.86 Aus den von der PVK untersuchten Fällen geht hervor, dass die Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates zwar zahlreiche Informationen zur epidemiologischen Lage enthielten, in den Anträgen zur Verschärfung oder Lockerung der Massnahmen aber häufig nicht explizit auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse als solche verwiesen wurde. Laut den von der PVK befragten Personen bemühten sich das BAG und das EDI jedoch, die Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Massnahmen aufzuzeigen, damit der Bundesrat die Entscheide in voller Kenntnis der Sachlage fällen konnte.87 Diese Problematik kann exemplarisch an den Empfehlungen zum Maskentragen für die Allgemeinbevölkerung aufgezeigt werden.88 Einige Studien zu diesem Thema lagen bereits vor der Pandemie vor, sie betrafen allerdings vor allem asiatische Länder und den Gesundheitsbereich. Die SN-STF empfahl ab dem 20. April 2020 ausdrücklich, die gesamte Schweizer Bevölkerung solle Masken tragen. Zu jenem Zeitpunkt waren andere anerkannte Wissenschaftsgremien wie das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) und die WHO skeptischer. Im Laufe des Sommers 2020 setzte sich immer mehr der Standpunkt durch, dass es sinnvoll ist, wenn die gesamte Bevölkerung Masken trägt.89 Die PVK stellte fest, dass die wissenschaftlichen Stellungnahmen zu diesem Thema nur unvollständig in die dem Bundesrat Ende April 2020 zur Verfügung gestellten Dokumente aufgenommen wurden. Insbesondere wurde der Standpunkt der SNSTF (die diese Massnahme befürwortete) nicht erwähnt, die Standpunkte von anderen, skeptischeren Akteuren hingegen schon.90 Auf dieser Basis entschied sich der Bundesrat gegen eine allgemeine Maskenpflicht.91 Die Evaluation der PVK zeigt, dass die Unterlagen zuhanden des Bundesrates ab Juni 2020 eine ausführlichere Präsentation 86 87 88 89 90

91

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.1.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.1.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.2.

In den Unterlagen für die Bundesratssitzung vom 22.4.2020 wurde auf die Positionen der WHO und des ECDC verwiesen, die beide Vorbehalte gegen die allgemeine Maskenpflicht hatten. Nicht erwähnt wurde hingegen die Empfehlung der SNSTF vom 20.4.2020, die sich klar für diese Massnahme aussprach.

Coronavirus: Bundesrat will keine allgemeine Maskentragpflicht, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.4.2020.

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der verschiedenen Meinungen zum Maskentragen enthielten, das BAG blieb in Bezug auf diese Massnahme jedoch auch im Juni und Juli 2020 noch sehr zurückhaltend. Der Entscheid von Ende Oktober 2020, eine allgemeine Maskenpflicht einzuführen, wurde laut PVK eher aus anderen als aus wissenschaftlichen Gründen getroffen, etwa wegen der in den Nachbarländern geltenden Massnahmen sowie aufgrund der Verfügbarkeit und Akzeptanz der Masken.92 Die PVK kommt zum Schluss, dass sich weniger die wissenschaftlichen Erkenntnisse als solche änderten, sondern eher die Haltung der Behörden gegenüber dem Maskentragen. Sie hält fest, dass im BAG in Bezug auf dieses Thema nur langsam ein Umdenken stattfand, nämlich erst als alle wissenschaftlichen Empfehlungen zum Maskentragen in dieselbe Richtung wiesen und als andere Faktoren ebenfalls für das Maskentragen sprachen.93 Die Erkenntnisse zur Virusübertragung stellten einen weiteren Aspekt dar, mit dem sich die PVK eingehender befasste.94 Sie kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass diese in den Entscheidungsgrundlagen unterschiedlich klar ausgewiesen wurden.95 Mehrere Beispiele zeigen, dass die im Verlaufe des Jahres 2020 publizierten wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema in den Dokumenten zuhanden des Bundesrates nur wenig zur Sprache kamen. Die PVK ist der Ansicht, dass die Entscheidungsgrundlagen damals «nicht unbedingt die aktuellen Erkenntnisse über die Virusübertragung enthielten.»96 Eine ausführliche Erläuterung der verschiedenen Übertragungswege und des damaligen Kenntnisstands wurde hingegen im März 2021 vorgelegt, als das EDI dem Bundesrat beantragte, die Restaurants noch nicht wieder zu öffnen.97 Schliesslich hebt die PVK positiv hervor, dass die wissenschaftlichen Unsicherheiten bezüglich der Virusübertragung durch Kinder ab April 2020 in den Entscheidungsgrundlagen transparent dargestellt wurden, ebenso wie der mit der Schliessung der Schulen verbundene Wertekonflikt zwischen den epidemiologischen Risiken und dem Recht der Kinder auf Bildung.

Für die PVK verdeutlichen diese Beispiele das Spannungsfeld zwischen zwei Zeithorizonten: auf der einen Seite die Notwendigkeit einer raschen politischen Reaktion auf die Krise, auf der anderen Seite die Tatsache, dass sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht immer eindeutige Schlussfolgerungen ableiten lassen, weil sie mit Unsicherheiten behaftet sind und es einer gewissen Zeit bedarf, um diese zu verringern.98

92 93 94 95 96 97 98

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.3. Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang war, ob das Virus nur durch Tröpfchen oder auch durch Aerosole übertragen wird.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.3 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.4

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Exkurs: Information des Bundesrates über die epidemiologische Lage im Hinblick auf die Zulassung von Grossveranstaltungen, August 2020 Anfang 2021 behaupteten einige Medien, das EDI habe es beim im August 2020 getroffenen Entscheid, Grossanlässe wieder zuzulassen, versäumt, den Bundesrat transparent über die besorgniserregende Entwicklung der epidemiologischen Lage zu informieren.99 Die GPKN führte eine vertiefte Analyse des Austauschs durch, der während des betreffenden Zeitraums zwischen dem BAG, dem EDI und dem Bundesrat stattgefunden hatte.

Die Kommission stellte fest, dass das EDI in seinem Antrag über die Grossanlässe vom 5. August 2020 an den Bundesrat die besorgniserregende Entwicklung der epidemiologischen Lage klar erwähnt hatte. Im Anhang dieses Dokuments befanden sich ausserdem eine detaillierte Einschätzung der Lage durch das BAG sowie eine Stellungnahme der SNSTF. Die GPKN kommt zum Schluss, dass der Bundesrat seinen Entscheid, Grossanlässe wieder zuzulassen,100 in Kenntnis der Sachlage und nach einer Interessenabwägung getroffen hat, bei der gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Aspekte einbezogen wurden (siehe auch Kap. 2.3.2).

Die GPKN begrüsst die Bemühungen des BAG, den Bundesrat in die Lage zu versetzen, in Krisenzeiten möglichst fundierte Entscheidungen zu treffen. Sie stellte fest, dass diese Anforderung während der Covid19-Pandemie weitgehend erfüllt wurde, und begrüsst insbesondere die regelmässige Information des Bundesrates über die epidemiologische Lage. Aus ihrer Sicht ist es jedoch entscheidend, dass aus den Beispielen der PVK Lehren gezogen werden, um sicherzustellen, dass sich der Bundesrat in künftigen Krisen jederzeit auf Entscheidungsgrundlagen stützen kann, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ansichten zum jeweiligen Thema transparent und zusammenfassend darstellen. Die GPKN fordert den Bundesrat auf, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, ein Konzept zu erarbeiten, in dem klarer festgelegt ist, in welcher Form die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber auch die Punkte, über welche Unsicherheit herrscht oder bei denen die Meinungen auseinandergehen, in die ihm bereitzustellenden Entscheidungsgrundlagen aufgenommen werden sollen.

Im Falle der Maskenpflicht scheint für die Kommission die Interessenabwägung zur vorgeschlagenen Massnahme ­
zumindest teilweise ­ auf Verwaltungsebene stattgefunden zu haben, noch bevor sich der Bundesrat damit befasste. Die GPK-N ist daher der Ansicht, dass dem Bundesrat im April 2020 die Meinung der SNSTF zu dieser Massnahme ebenso hätte zur Kenntnis gebracht werden müssen wie die Ansichten anderer, skeptischerer Akteure. Die Evaluation der PVK lässt vermuten, dass die kritische Haltung des BAG diesem Thema gegenüber bei der Auswahl der übermittelten Informationen eine Rolle gespielt haben könnte.101 Für die GPKN ist es selbstver99

Dieses Papier entlarvt Bersets Fehler. In: Basler Zeitung, 15.2.2021; Alain Berset a étouffé l'alerte de ses spécialistes. In: 24 Heures, 15.2.2021.

100 Coronavirus: Grossanlässe ab Oktober unter strengen Bedingungen und mit Bewilligung wieder möglich, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.8.2020.

101 Das fehlende gegenseitige Vertrauen zwischen dem BAG und der Wissenschaft zu Beginn der Krise dürfte bei dieser Haltung ebenfalls eine Rolle gespielt haben (siehe Kap. 2.2.1).

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ständlich, dass die Bundesämter und Departemente die Verantwortung haben, die vorgeschlagenen Massnahmen vorgängig zu beurteilen und die für den Bundesrat bestimmten Informationen aufzubereiten. Es ist jedoch wichtig, dass dadurch der Ermessensspielraum der Exekutive bei ihrer abschliessenden Interessenabwägung nicht eingeschränkt wird, denn die Entscheidungsverantwortung liegt schliesslich bei ihr.

Transparenz wird noch wichtiger, wenn mehrere anerkannte wissenschaftliche Akteure zu einem bestimmten Thema unterschiedliche Positionen vertreten, wie das hier der Fall war.

Wie die PVK schliesst auch die GPKN nicht aus, dass die kritische Haltung der Behörden gegenüber dem Maskentragen zumindest teilweise auf Erwägungen zurückzuführen sind, die mit den Schwierigkeiten bei der Maskenbeschaffung zu Beginn der Pandemie zusammenhingen, auch wenn in den Entscheidungsgrundlagen kein solcher Zusammenhang ausdrücklich hergestellt wurde.102 Für die Kommission ist ein solches Argument zwar verständlich, aber es sollte nicht ausreichen, um auf eine Empfehlung zu verzichten, die aus Sicht der öffentlichen Gesundheit klar indiziert ist. Sie hält es grundsätzlich für sinnvoller, wenn in einem solchen Fall transparent kommuniziert wird, dass die Massnahme zwar wünschenswert wäre, vorläufig aber nicht realisierbar ist. Die Evaluation der PVK zeigt zudem, dass die unklare Haltung der Behörden gegenüber dem Maskentragen in der Folge ihre Glaubwürdigkeit schwächte und wahrscheinlich auch die Akzeptanz der Massnahmen in der Bevölkerung verringerte (siehe Kap. 2.4.1).

Die PVK wirft in ihrer Evaluation auch die Frage auf, wie verlässlich Erkenntnisse sein müssen, damit sie in die Entscheidungsgrundlagen aufgenommen werden, und wie die nach wie vor bestehenden Unsicherheiten dargestellt werden können.103 Sie weist darauf hin, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, den Zuverlässigkeitsgrad von wissenschaftlichen Erkenntnissen anzugeben, z. B. durch Kategorisierung der Erkenntnisse.104 Wie die PVK erachtet auch die GPKN Transparenz in diesem Zusammenhang für sehr wichtig. Die Kommission fordert den Bundesrat auf, grundsätzliche Überlegungen zu diesem Punkt anzustellen und zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, eine einheitliche Methode zu definieren, mit welcher der Zuverlässigkeitsgrad der wissenschaftlichen Erkenntnisse
in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates angegeben werden kann. Zudem erachtet es die Kommission als wichtig, dass der Öffentlichkeit die Unsicherheiten, mit denen die wissenschaftlichen Erkenntnisse allenfalls behaftet sind, transparent kommuniziert werden (siehe Kap. 2.4.1).

Wesentlich ist für sie auch, dass die Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates allfällige Zielkonflikte zwischen den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und anderen Interessen, die der Bundesrat bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat (z. B. wirtschaftliche Folgen, Akzeptanz in der Bevölkerung, Ver102

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 5.2. Diese These wird von einigen von der PVK befragten Personen bestritten, die Mehrheit von ihnen räumt indes ein, dass es keinen Sinn gehabt hätte, das Maskentragen zu empfehlen, ohne über ausreichend Masken zu verfügen.

103 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.4.

104 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.4 und Fussnote 82. Zu beachten ist, dass sich die Abstufungssysteme der verschiedenen Fachgebiete (z. B. Gesundheit, Naturgefahren usw.) unterscheiden.

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hältnismässigkeit), transparent aufzeigen. Die Kommission ersucht den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass diese Bedingung bei einer künftigen Krise beachtet wird.

Empfehlung 7: Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates verbessern Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass er sich in künftigen Krisen jederzeit auf Entscheidungsgrundlagen stützen kann, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ansichten zum jeweiligen Thema transparent und zusammenfassend darstellen.

In diesem Zusammenhang wird der Bundesrat ersucht, ein Konzept zu erarbeiten, in dem klarer festgelegt ist, in welcher Form die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber auch die Punkte, über welche Unsicherheit herrscht oder bei denen die Meinungen auseinandergehen, in die Entscheidungsgrundlagen aufgenommen werden sollen. Er wird insbesondere gebeten, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, eine einheitliche Methode zur Einschätzung des Zuverlässigkeitsgrads der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu definieren.

Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass die für ihn vorbereiteten Entscheidungsgrundlagen allfällige Zielkonflikte zwischen den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und anderen beim Entscheid zu berücksichtigenden Interessen transparent aufzeigen.

2.3.2

Entscheide des Bundesrates

Die PVK prüfte in ihrer Evaluation, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates berücksichtigt wurden. Sie untersuchte jedoch nicht, wie der Bundesrat diese Erkenntnisse bei seiner abschliessenden Interessenabwägung zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung miteinbezogen hat. Im Rahmen ihrer seit 2020 durchgeführten Abklärungen zur Bewältigung der Covid19-Pandemie hat die GPKN verschiedene Informationen zu diesem Thema gesammelt, die im Folgenden zusammengefasst werden.

Der Vorsteher des EDI teilte den GPK mit, dass der Bundesrat die Einschätzung der SNSTF in seinen Entscheidungsprozess einbezogen habe.105 Er betonte jedoch, dass die Regierung bei ihrer abschliessenden Interessenabwägung nicht nur wissenschaftliche Überlegungen zu den gesundheitlichen Aspekten, sondern auch andere Elemente ­ z. B. soziale und wirtschaftliche Interessen ­ berücksichtigt habe. Seiner Meinung nach war es angemessen, dass sich der Bundesrat in bestimmten Fällen bewusst dafür entschied, den Empfehlungen der Wissenschaft nicht zu folgen und auf bestimmte strengere Massnahmen zu verzichten.106 105

Insbesondere in den Anhörungen des Vorstehers des EDI vom 28.6.2022 (GPKN) und vom 21.10.2022 (GPK-S).

106 Der Vorsteher des EDI erwähnte in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Bundesrates im Frühling 2020, entgegen der Meinung einiger Fachleute auf die Anordnung eines vollständigen Lockdowns zu verzichten.

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Die GPKN stellte verschiedene Beispiele fest, in denen der Bundesrat in seiner endgültigen Beschlussfassung den Empfehlungen der SNSTF nicht gefolgt war:

107 108

109 110 111

112 113

­

Berücksichtigung der Reproduktionszahl des Virus im Sommer 2020: Ab April 2020 empfahl die SNSTF, dass Lockerungen der Gesundheitsmassnahmen nur dann genehmigt werden sollten, wenn die Reproduktionszahl des Virus deutlich unter 0,7 liegt, und dass die Massnahmen verschärft werden sollten, wenn diese Zahl über 1 steigt. Diese Empfehlung wurde jedoch nicht befolgt: Am 19. Juni 2020 beschloss der Bundesrat, die «ausserordentliche Lage» im Sinne des EpG zu beenden und einen Grossteil der Gesundheitsmassnahmen aufzuheben, obwohl die Reproduktionszahl über 1 lag.107

­

Zulassung von Grossveranstaltungen im August 2020: Die SN-STF empfahl in einem Gutachten vom Juli 2020 angesichts der kritischen epidemiologischen Lage klar eine Verlängerung des Verbots von Grossanlässen. Nach einer Interessenabwägung, bei der gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Aspekte einbezogen wurden, beschloss der Bundesrat hingegen Anfang August 2020 Grossanlässe «unter strengen Bedingungen und mit Bewilligung»108 wieder zuzulassen.

­

Lockerungen im Frühjahr 2021: Im April 2021 zeichnete die SNSTF in ihren wissenschaftlichen Updates pessimistische Szenarien zu den Auswirkungen von Lockerungen auf die Anzahl der Infektionen, Hospitalisierungen und Todesfälle.109 Dennoch beschloss der Bundesrat verschiedene Lockerungen, da er das damit verbundene Risiko für vertretbar hielt.110 Die SNSTF gestand im Nachhinein ein, dass sich die von ihr damals erstellten Szenarien in der Realität nicht bewahrheitet hatten.111

­

Gemäss den von der GPKN gesammelten Informationen waren bestimmte Gesundheitsmassnahmen ­ wie Mindestabstände oder Isolation und Quarantäne ­ epidemiologisch eindeutig gerechtfertigt, einige Detailbeschlüsse zu deren Anwendung ­ wie die Verringerung des Sicherheitsabstands von 2 m auf 1,5 m (Juni 2020)112 oder die Verkürzung der Isolations- und der Quarantänedauer von 10 auf 5 Tage (Januar 2022)113 ­ beruhten jedoch nicht auf wis-

Eidgenössische Technische Hochschule Zürich: Covid19 Re, https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international (Stand: 23.2.2023).

Coronavirus: Grossanlässe ab Oktober unter strengen Bedingungen und mit Bewilligung wieder möglich, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.8.2020. In diesem Fall wurden die verschiedenen Interessen, die der Bundesrat bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigte, in der Pressemitteilung erwähnt.

SNSTF: Wissenschaftliches Update, 7.4.2021; SNSTF: Wissenschaftliches Update, 20.4.2021.

Coronavirus: Nächster Öffnungsschritt am 19. April, Pressemitteilung des Bundesrates vom 14.4.2021.

Abschlussbericht der SNSTF vom 29.3.2022, S. 31. Die SNSTF stellte jedoch auch klar, dass ein Szenario nicht mit einer Vorhersage gleichgesetzt werden kann, sondern eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung darstellt.

Coronavirus: Weitgehende Normalisierung und vereinfachte Grundregeln zum Schutz der Bevölkerung, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19.6.2020.

Coronavirus: Bundesrat schlägt Verlängerung der Massnahmen vor und verkürzt Isolation und Quarantäne auf 5 Tage, Medienmitteilung des Bundesrates vom 12.1.2022.

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senschaftlichen Erkenntnissen oder Empfehlungen im engeren Sinne, sondern eher auf praktischen oder politischen Erwägungen.

Eine Ende 2022 publizierte Studie114 kommt zum Schluss, dass die Bereitschaft des Bundesrates, die Empfehlungen der SNSTF umzusetzen, während der ersten Pandemiewelle hoch war, ab Sommer 2020 jedoch abnahm. Diese Entwicklung wird unter anderem damit erklärt, dass sich der Status der SNSTF änderte115 und ihre Autorität von den politischen Akteuren zunehmend infrage gestellt wurde. Gemäss der Studie wurden 44 Prozent der bis Ende Juni 2021 von der SNSTF abgegebenen Empfehlungen nicht umgesetzt.

Die SNSTF-Vertreterinnen und vertreter ihrerseits erklärten der GPKN, ihnen sei klar gewesen, dass ihre Rolle darin bestand, den Behörden wissenschaftliche Informationsgrundlagen zur Verfügung zu stellen, und dass die Verantwortung für den endgültigen Entscheid beim Bundesrat lag. Sie liessen jedoch durchblicken, dass ihnen nicht immer klar war, wie die wissenschaftlichen Informationen dann bei der Entscheidungsfindung einflossen.116 Die GPKN hält fest, dass der Bundesrat während der Krise seine Entscheidungsfreiheit bewahrte und seine Entscheide auf der Grundlage von Interessenabwägungen traf, die neben gesundheitlichen Aspekten auch andere Elemente umfassten, wie den sozialen Zusammenhalt, die Unterstützung der Wirtschaftstätigkeit oder die Ausübung der demokratischen Rechte. Obwohl die Angemessenheit der einzelnen Bundesratsentscheide nicht im Zentrum ihrer Untersuchungen stand, stellt die Kommission anhand der ihr bekannten Beispiele fest, dass der Bundesrat ­ wenn er einen von der Meinung der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten abweichenden Beschluss traf ­ dies in Kenntnis der Sachlage tat, die Gründe für seine Entscheidung erläuterte und seine Massnahmen mit bestimmten Sicherheitsvorkehrungen versah.117 Die Kommission hält zudem fest, dass es für die Öffentlichkeit jederzeit möglich war, die Entscheide des Bundesrates mit den Ansichten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu vergleichen, denn die Schlussfolgerungen der SNSTF wurden systematisch publiziert. Ihr sind keine Fälle bekannt, in denen sich der Bundesrat über die Empfehlungen der Expertinnen und Experten hinweggesetzt hätte.

Für die GPKN bestätigt dies zwei bereits genannten Feststellungen, nämlich erstens,
dass eine klare Rollenverteilung zwischen dem wissenschaftlichen Beratungsgremium und dem Bundesrat als Exekutivbehörde (siehe Empfehlung 4) zentral ist, und zweitens, dass es wichtig ist, dass der Bundesrat über umfassende Entscheidungs114

Eichenberger, Steven / Varone, Frédéric / Sciarini, Pascal / Stähli, Robin / Proulx, Jessica (2022).

115 Die Verfasserinnen und Verfasser der Studie sind der Ansicht, dass die Angliederung der SN-STF an das BAG im August 2020 diese vom Bundesrat distanzierte und sich negativ auf den politisch-strategischen Einfluss ihrer Empfehlungen auswirkte.

116 Anhörung der SNSTF-Vertretung vom 12.11.2020.

117 Bei der Zulassung von Grossveranstaltungen bestimmte der Bundesrat beispielsweise, dass diese nur «unter strengen Bedingungen» möglich sein würden und dass die Kantone die Genehmigung je nach epidemiologischer Lage verweigern könnten. Bei den Öffnungsschritten im April 2021 erklärte der Bundesrat, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass er die beschlossenen Lockerungen wieder rückgängig machen werde, und er appellierte an die Bevölkerung, insbesondere an die Risikopersonen, sich weiterhin vorsichtig zu verhalten.

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grundlagen verfügt, die Auskunft über die wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Zuverlässigkeit geben, damit er seine Entscheide in Kenntnis der Sachlage treffen kann (siehe Empfehlung 7).

2.4

Öffentliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse

2.4.1

Inhalt der Kommunikation der Bundesbehörden

Eine angemessene Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist in Krisenzeiten ein wichtiger Faktor, um die beschlossenen Massnahmen erklären zu können und ihre Akzeptanz zu erhöhen. Die Medienkonferenzen und Points de Presse, welche die Schweizer Behörden während der Covid19-Pandemie organisierten, fanden besonders häufig statt und stiessen bei der Bevölkerung auf ein grosses Echo. Auch weitere Kommunikationskanäle ­ wie die Websites der Behörden, die Policy Briefs der SNSTF und die sozialen Medien ­ spielten in der Pandemie eine wichtige Rolle.118 Wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Maskentragen und zur Beschränkung von privaten Treffen öffentlich kommuniziert wurden, ist Gegenstand einer Analyse, die am Rande der Evaluation der PVK119 vorgenommen und von Letzterer extern vergeben wurde. Die PVK ergänzte diese Studie mit einer Dokumentenanalyse und Interviews. Die GPKN nahm zudem verschiedene punktuelle Abklärungen zu diesen Aspekten vor, die sie im Folgenden in ihre Beurteilung einbezieht.

Als Vorbemerkung sei darauf hingewiesen, dass die Erwartungen, wie ­ bzw. ob überhaupt ­ eine Behörde wissenschaftliche Erkenntnisse kommunizieren soll, von der Funktion abhängen, welche die betreffende Behörde in Krisenzeiten wahrnimmt. So kann erwartet werden, dass wissenschaftliche Erkenntnisse vor allem von der SNSTF als Expertengruppe und vom BAG als Fachamt vermittelt werden, während der Bundesrat als Exekutivbehörde seine Kommunikation mehr auf Fragen der politischen Strategie und der Interessenabwägung ausrichtet.

Die Analysen zeigen, dass die öffentliche Kommunikation der Bundesbehörden während der Pandemie verständlich war.120 Laut PVK hatten die Medienkonferenzen und die Points de Presse eine klare Struktur und die mündlichen und schriftlichen Aussagen waren sowohl für die Medienschaffenden als auch für die Bevölkerung verständlich. Die Evaluation zeigt aber auch, dass sich die Behörden in der öffentlichen Kommunikation nur wenig ausdrücklich auf die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse stützten. Der externe Expertenbericht weist darauf hin, dass nur bei einem kleinen Teil (10,4 %) der 268 an Medienkonferenzen gemachten Aussagen zum Mas118 119

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 2.4 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 1.2, 6.1 und 6.2. Drei Kommunikationsfachleute nahmen eine gründliche inhaltliche und qualitative Analyse der Medienkonferenzen und ­ dossiers zu diesen Themen vor. Ihre ausführlichen Ergebnisse sind in einem separaten Bericht dargelegt: Oehmer-Pedrazzi, Franziska / Pedrazzi, Stefano / Schneider, Jörg (2022): Analyse der öffentlichen Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum neuen Coronavirus. Bericht im Auftrag der PVK (verfügbar auf der Internetseite der GPK).

120 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.1.

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kentragen und zur Beschränkung privater Treffen auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse verwiesen wurde. Aus den gesammelten Daten geht insbesondere hervor, dass dieser Anteil auch bei den Beiträgen des BAG niedrig war. Die Aussagen der SNSTF-Mitglieder enthielten hingegen stets einen Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse.121 Die vertiefte Analyse zeigt, dass einige wichtige gesundheitspolitische Entscheide (z. B. die Beschränkung privater Treffen auf fünf Personen oder die Einführung der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr) nicht durch Verweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse untermauert wurden. Laut dem Expertenbericht wird vor allem bei Massnahmenverschärfungen sowie bei Massnahmen, die in Form von Empfehlungen formuliert wurden, auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse verwiesen. Auf konkrete Quellenangaben wurde meist verzichtet und ganz allgemein von Fachleuten oder Studien gesprochen.122 Weiter geht aus der Analyse hervor, dass bestehende Unsicherheiten sowie die Weiterentwicklung von Erkenntnissen nicht aktiv kommuniziert wurden.123 In dieser Hinsicht ist die Kommunikation der Behörden zum Maskentragen ein Musterbeispiel. So wurde vielfach kritisiert, dass das BAG den Nutzen der Masken im März 2020 kategorisch verneinte, obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema nicht so eindeutig waren. Die PVK ist der Ansicht, dass diese Stellungnahme den damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht transparent widerspiegelte.124 Verschiedene Studien kommen zum Schluss, dass die Kommunikation des BAG zu diesem Thema zu wenig mit den Fachleuten abgestimmt war und die öffentliche Glaubwürdigkeit des Bundesamtes nachhaltig schwächte.125 Die von der PVK extern vergebene Analyse zeigt auch auf, dass die Widersprüche zu allfälligen früheren Aussagen von den Kommunikationsverantwortlichen wenig proaktiv thematisiert wurden.126 Die GPKN ist sich bewusst, dass es insbesondere in Krisenzeiten eine Herausforderung darstellt, das richtige Gleichgewicht zwischen einer transparenten Darstellung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der guten Verständlichkeit der Botschaften zu finden. Zudem ist zu beachten, dass die Vorbereitung der Medienkonferenzen zu Covid19 und der dazugehörigen Begleitdokumente in einem sehr engen Zeitrahmen erfolgte und dass der öffentliche Druck rund um diese
Kommunikation besonders hoch war. Schliesslich mussten neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch andere Aspekte bedacht und von den Bundesbehörden kommuniziert werden, z. B. die sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Folgen der Pandemie.

Die Kommission ist der Meinung, dass eine transparente und ausgewogene Darstellung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum besseren Verständnis und zur besseren Akzeptanz der beschlossenen Massnahmen in der Bevölkerung beiträgt, insbesondere 121 122 123 124 125

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.1.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.1.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.2.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.2.

Siehe dazu z. B. den Bericht von Interface und Infras vom April 2022, insbesondere S. 27 und 64.

126 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.2. Die PVK erwähnt in diesem Zusammenhang als Beispiel die Einführung der Maskenpflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln im Juli 2020, eine Massnahme, die klar im Widerspruch zur Erklärung des BAG vom März 2020 über die Unwirksamkeit der Masken stand.

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bei restriktiven Massnahmen. Die öffentliche Kommunikation sollte es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, den Zusammenhang zwischen den verfügbaren Erkenntnissen und den von den Behörden getroffenen Entscheidungen möglichst gut zu verstehen. Nach Ansicht der GPKN sollten die Behörden proaktiv auf diese Weise kommunizieren und nicht nur als Reaktion auf Fragen von Medienschaffenden.127 Zu erwarten, dass jede Behauptung der Behörden durch eine wissenschaftliche Quelle belegt wird, wäre nach Erachten der GPKN unrealistisch. Es ist durchaus angemessen, dass die Mitglieder des Bundesrates weniger systematisch auf die Wissenschaft Bezug nehmen und sich bei ihren Auftritten auf strategische oder politische Aspekte konzentrieren. In bestimmten Fällen kann es nach Meinung der Kommission dennoch angebracht sein, dass auch der Bundesrat auf wissenschaftliche Erkenntnisse verweist, insbesondere wenn dadurch die Transparenz seiner Entscheidungsfindung erhöht wird.

Überrascht ist die Kommission hingegen davon, dass die Aussagen des BAG, das als Fachamt für die fachspezifischen Fragen zuständig ist, kaum durch wissenschaftliche Quellen belegt wurden, obwohl eigentlich zu erwarten wäre, dass sich die Expertinnen und Experten des Bundesamtes vermehrt darauf beziehen.128 Wie die PVK ist auch die GPKN der Meinung, dass es mündlich zwar nicht immer möglich sein mag, die wissenschaftlichen Referenzen anzugeben, doch sollten diese zumindest in den Pressedossiers zu finden sein.

Eine transparente Kommunikation ist insbesondere immer dann wichtig, wenn in Bezug auf die betreffenden wissenschaftlichen Erkenntnisse Unsicherheit oder Uneinigkeit herrscht. Da diese Erkenntnisse dem Stand der Forschung zu einem bestimmten Zeitpunkt entsprechen, beinhaltet die Forderung nach Transparenz auch, dass der Grad ihrer Zuverlässigkeit angegeben wird. Besonders wichtig ist dies bei einer Pandemie wie der Covid19-Pandemie, in deren Verlauf sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse rasch ändern und der Bundesrat gezwungen ist, trotz grosser Unsicherheiten Entscheidungen zu treffen. In dieser Hinsicht sieht die GPKN die in der Anfangszeit der Coronakrise erfolgte Kommunikation der Behörden zum Maskentragen als kritisch an. Dass das BAG im März 2020 den Nutzen dieser Massnahme kategorisch verneinte, obwohl die wissenschaftlichen
Meinungen diesbezüglich auseinandergingen, war in Bezug auf die Grundsätze der Transparenz und der Ausgewogenheit nicht angemessen. Diese Aussage und die Tatsache, dass das Bundesamt seine Haltung zu diesem Thema im Sommer 2020 ohne besondere Erklärung änderte, fügte der Glaubwürdigkeit der behördlichen Kommunikation nachhaltigen Schaden zu. Für die GPKN ist eine transparente Kommunikation nicht nur über die Entwicklung der Erkenntnisse, sondern auch über allfällige Widersprüche oder Fehleinschätzungen der Behörden die beste Strategie, um das Vertrauen der Bevölkerung zu sichern.

Die Kommission ist der Ansicht, dass aus diesen Beispielen Lehren für die Kommunikationsstrategie des BAG und ganz allgemein für die von den Bundesbehörden er127 128

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.5 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.1. Die PVK stellt diesbezüglich fest, dass eine Diskrepanz zwischen der Praxis der Behörden und den von zahlreichen Befragten geäusserten Wünschen besteht (wonach es wichtig ist, die wissenschaftliche Begründung für die ergriffenen Massnahmen darzulegen).

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stellten Richtlinien für die Krisenkommunikation gezogen werden müssen (siehe Empfehlung 8 weiter unten).

Exkurs: Kommunikation der Bundesbehörden über den indirekten Schutz des Covid19-Impfstoffs Ende 2022 wurden öffentlich Zweifel daran geäussert, dass der Covid-19-Impfstoff die Übertragungsfähigkeit geimpfter Personen zu verringern vermag (indirekter Schutz).129 Die GPKN richtete zu diesem Punkt ergänzende Fragen an das Schweizerische Heilmittelinstitut (Swissmedic) und das EDI, um zu erfahren, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu während der Pandemie vorlagen und wie diese der Öffentlichkeit kommuniziert wurden.

Sowohl das EDI als auch Swissmedic betonten in ihren Antworten, dass das erste Ziel der Covid19-Impfung zu jedem Zeitpunkt der individuelle bzw. direkte Schutz vor schweren Krankheitsverläufen war. Dies war der Aspekt, der ­ entsprechend der üblichen Praxis in diesem Bereich ­ Gegenstand der klinischen Wirksamkeits- und Sicherheitsprüfungen war, die Ende 2020 / Anfang 2021 zur ersten Zulassung der Impfstoffe durch Swissmedic führten.

In Bezug auf den indirekten Schutz der Impfstoffe bestätigten Swissmedic und das EDI gegenüber der GPKN, dass geimpfte Personen generell eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, ein Virus auf andere Personen zu übertragen ­ auch wenn eine Übertragung nie ganz ausgeschlossen werden kann ­ und dass sich Impfungen auf der kollektiven Ebene auf die Viruszirkulation auswirken.130 Der indirekte Schutz der Covid19-Impfstoffe wurde ab Anfang 2021 untersucht, als diese in grossem Umfang verabreicht wurden. Zahlreiche internationale Studien bestätigten damals, dass mit der Impfung sowohl die Ansteckung mit Covid19 auf individueller Ebene als auch die Viruszirkulation in der Bevölkerung verringert werden kann, dass dieser indirekte Impfschutz allerdings nicht absolut ist und von mehreren Faktoren (insbesondere von der jeweils zirkulierenden Virusvariante131) abhängt. Die GPKN hält fest, dass die Bundesbehörden während der Pandemie auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema waren.

129

Siehe z.B. Die Ächtung der Ungeimpften. In: Neue Zürcher Zeitung, 11.11.2022. Diese Zweifel kamen auf, nachdem eine leitende Mitarbeiterin des Unternehmens Pfizer in einer Rede vor dem Europäischen Parlament gesagt hatte, dass zum Zeitpunkt der Markteinführung vom Unternehmen nicht geprüft wurde, ob der Impfstoff vor einer Übertragung des Virus schützt.

130 Laut der Erklärungen von Swissmedic sind «bei einem Impfstoff, der die Anzahl Infektionen verringert oder die Viruslast bei einer betroffenen Person senkt, automatisch auch der Grad und das Risiko der Virusübertragung tiefer».

131 Gemäss den Informationen von Swissmedic und des EDI hatte die Impfung beim initial zirkulierenden Virus Reduktion der Virusübertragung zur Folge. Als die Virusvarianten (Alpha, Delta) auftraten, wurde ein reduzierter Schutz beobachtet. Bei der Omikron-Variante gehen EKIF und BAG auf Basis der verfügbaren Evidenz davon aus, dass kein relevanter Schutz gegen Virusübertragung mehr besteht.

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Die GPKN analysierte die Informationen, die von den Bundesbehörden zwischen Ende 2020 und Ende 2022 zu dieser Frage kommuniziert worden waren.132 Sie hält fest, dass sowohl in den Impfempfehlungen des BAG und der EKIF als auch in der öffentlichen Kommunikation das Argument des direkten Schutzes vor schweren Krankheitsformen im Vordergrund stand, dass das Argument des indirekten Schutzes nur zurückhaltend gebraucht wurde und dass die Kommunikation den damaligen Kenntnisstand ausgewogen widerspiegelte. Als die Impfstoffe im Dezember 2020 zugelassen wurden, machte das BAG deutlich, dass zum Übertragungsschutz des Impfstoffs keine Informationen vorliegen. Danach folgte die Kommunikation der Behörden der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Bereich. Mehrere Verantwortliche betonten, dass der Impfstoff das Risiko einer Übertragung senke, diese aber nicht völlig ausschliesse. Ab Sommer 2022 wurde klar kommuniziert, dass im Fall der Omikron-Variante davon auszugehen ist, dass kein relevanter indirekter Schutz mehr besteht. Die GPKN kann in der einschlägigen Kommunikation der Behörden nichts erkennen, das aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht einen Mangel darstellen würde.

Die Tatsache, dass sich die Vertreterinnen und Vertreter der SNSTF bei ihren öffentlichen Auftritten systematisch auf wissenschaftliche Fakten stützten, begrüsst die GPKN ausdrücklich, auch wenn sich diese Praxis weitgehend aus der Funktion dieses Organs erklären lässt. Die Kommission hält zudem fest, dass die SNSTF transparent über die Unsicherheit verschiedener wissenschaftlicher Fakten kommuniziert hat.133 Schliesslich hält sie es für zweckmässig, dass die SNSTF bei den Medienkonferenzen des Bundes zu Wort kam, erhielten die wissenschaftlichen Aussagen dadurch doch eine grosse öffentliche Sichtbarkeit. Dieser letzte Punkt zeigt jedoch auch auf, dass die Rollenverteilung zwischen Behörden und Wissenschaft im Bereich der Kommunikation einige Probleme stellt (siehe weiter unten).

Empfehlung 8: Öffentliche Kommunikation der Behörden über die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Krisenzeiten verbessern Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, wie sich die Prozesse und Vorgaben für die öffentliche Kommunikation in Krisenzeiten verbessern lassen, damit relevante wissenschaftliche Erkenntnisse der Öffentlichkeit angemessen kommuniziert werden können.

Der Bundesrat wird insbesondere ersucht, dafür zu sorgen, dass Leitsätze zu folgenden Aspekten festgelegt werden: ­

Bezugnahme auf wissenschaftliche Erkenntnisse durch den Bundesrat und die Fachämter bei öffentlichen Auftritten;

132

Impfempfehlungen des BAG zu den mRNA-Impfstoffen, die zwischen dem 22.12.2020 und dem 10.10.2022 veröffentlicht wurden, Pressemitteilungen, die zwischen dem 21.4.2021 und dem 21.1.2022 erschienen sind, Points de presse der Bundesbehörden und der EKIF, die zwischen dem 19.12.2020 und dem 9.9.2022 stattgefunden haben.

133 Dies war zum Beispiel beim Übertragungsrisiko von Kindern der Fall.

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­

Bezugnahme auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Fachämter in den Mediendossiers (insbesondere durch Quellenangabe und verweis);

­

Kommunikation der wissenschaftlichen Unsicherheiten, der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der allfälligen widersprüchlichen Aussagen der Behörden.

2.4.2

Rollenverteilung bei der Kommunikation

Aus der Evaluation der PVK geht hervor, dass die Aufteilung der Kommunikationsaufgaben zwischen den verschiedenen Akteuren der Verwaltung (BAG, EDI, Bundesrat) und der SNSTF auf dem Papier zwar eindeutig war, dass in der Praxis aber eine gewisse Rollenkonfusion herrschte, was Kritik hervorrief und die Glaubwürdigkeit der kommunizierten Inhalte schwächte.134 Die PVK zieht eine insgesamt positive Bilanz bezüglich der verwaltungsinternen Verteilung der Kommunikationsaufgaben zwischen dem Bundesrat (politische und strategische Ebene) und dem BAG (fachliche Ebene). Die Evaluation zeigt jedoch drei Punkte auf, die Verbesserungspotenzial bergen: erstens die Tatsache, dass das BAG als Fachamt bei seinen Auftritten nicht häufiger auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse verwies als der Bundesrat (siehe Kap. 2.4.1); zweitens die Tatsache, dass der Inhalt der Kommunikation teilweise von den Ansichten der an den Konferenzen anwesenden Personen beeinflusst war (namentlich beim Thema Maskentragen, siehe Kap. 2.3.1 und 2.4.1); drittens die Tatsache, dass die im Pandemieplan vorgesehene «Kerngruppe Kommunikation» während der Krise kaum eingesetzt wurde.135 Für die Kommission ist es wichtig, dass die Bundesbehörden in Bezug auf diese Aspekte Lehren für künftige Krisen ziehen. Da diese Aspekte bereits weitgehend durch ihre übrigen Empfehlungen und die laufenden Verbesserungsarbeiten abgedeckt sind, verzichtet die GPKN darauf, eine spezifische Empfehlung dazu abzugeben.

In Bezug auf die Verteilung der Kommunikationsaufgaben zwischen den Bundesbehörden und der SNSTF fällt die Bilanz durchzogen aus. Die PVK hält fest, dass diese Frage in den einschlägigen Dokumenten zum Krisenmanagement nicht angesprochen wurde und dass sie deshalb in den der Taskforce erteilten Rahmenmandaten geregelt wurde. Der Evaluation der PVK ist zu entnehmen, dass das erste Mandat (März 2020) in diesem Punkt recht vage blieb, das zweite Mandat (ab Juli 2020) aber viel ausführlicher war.136 Trotzdem stellt die PVK fest, dass weiterhin ein gewisser Mangel an Klarheit bei der Aufgabenverteilung herrschte. Einige Akteure kritisierten insbesondere, dass sich die SNSTF (oder einige ihrer Mitglieder) öffentlich zu politischen 134 135

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.3. Die PVK stellt in ihrer Bewertung fest, dass die Bundesbehörden in der Lage waren, sich während der Pandemie an das OneVoice-Prinzip zu halten.

136 Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.3. Im zweiten Mandat wurden insbesondere die Grundsätze bezüglich der für die Kommunikation zuständigen Personen festgelegt und die zeitliche Koordination mit dem Kommunikationskalender der Behörden geregelt.

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Entscheiden der Behörden geäussert hat. Dies schwächte insbesondere in den Augen der politischen Akteure die Glaubwürdigkeit des Gremiums.137 Gemäss der Evaluation brauchte es eine gewisse Zeit, bis die Rolle der SNSTF und deren Funktion in der öffentlichen Kommunikation geregelt war.138 Die PVK ist weiter der Ansicht, dass zur Aufteilung der Verantwortlichkeiten bezüglich der Inhalte der Kommunikation klare Regeln fehlten.139 Der Kommission gegenüber wiesen einige Mitglieder der SNSTF darauf hin, dass die plötzliche öffentliche Aufmerksamkeit und die zahlreichen Medienanfragen nach dem Ausbruch der Pandemie für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine völlig neue Herausforderung darstellten.140 Die von Interface und Infras durchgeführte Evaluation zeigt, dass sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem ihre Verantwortung in Sachen Kommunikation bewusst machen mussten.141 Die GPKN hält fest, dass weder die Bundesbehörden noch die Akteure aus der Wissenschaft vorhergesehen haben, welch wichtige Rolle Letztere bei einer Pandemie in der öffentlichen Kommunikation spielen würden. Beide wurden in dieser Hinsicht überrumpelt. Es brauchte seine Zeit, bis die SNSTF in die Rolle gefunden hat, welche sie während der Pandemie in der Kommunikation spielen sollte, was vermutlich teilweise auch auf das zunächst zwischen den beteiligten Akteuren herrschende Misstrauen zurückzuführen ist (siehe Kap. 2.2.1). Wie die PVK ist auch die Kommission der Ansicht, dass die Aufgabenverteilung rascher hätte geregelt werden können und dass mit grundsätzlichen Überlegungen zu den Inhalten der Kommunikation Missverständnisse hätten vermieden werden können, ohne die Meinungsäusserungsfreiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu beschneiden.142 Die GPKN ist der Meinung, dass im Rahmen der Folgearbeiten zu den Postulaten 20.3280 Michel und 20.3542 De Quattro unbedingt die Rollenverteilung zwischen der Verwaltung und den wissenschaftlichen Beratungsgremien in der Kommunikation vertieft und geklärt werden muss (siehe Empfehlung 4). Insbesondere sollte dieses Thema in den Dokumenten des Bundes zur Krisenbewältigung angesprochen werden.

3

Schlussfolgerungen

Die GPK-N kommt zum Schluss, dass die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Bundesbehörden zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie teilweise angemessen war. Das BAG verfügte über ein Netzwerk, das ihm die erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse verschafft hat und die Nutzung der Erkenntnisse konnte im Laufe der Krise verbessert werden. Dennoch hat sich gezeigt, dass in verschiedenen Bereichen klarer Verbesserungsbedarf besteht.

137

138 139 140 141 142

Siehe hierzu insbesondere Eichenberger, Steven / Varone, Frédéric / Sciarini, Pascal / Stähli, Robin / Proulx, Jessica (2022) sowie den Bericht von Interface und Infras vom April 2022.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 6.3.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.5.

Anhörung der SNSTF-Vertretung, 12.11.2020.

Bericht von Interface und Infras vom April 2022, S. 65.

Bericht der PVK vom 24.8.2022, Kap. 7.5.

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Die Kommission zeigt sich erfreut, dass der Bundesrat aus den Erfahrungen bereits erste Lehren gezogen hat. Neben den im Laufe der Krise vorgenommenen Verbesserungen begrüsst sie insbesondere die Absicht des Bundesrates, zu prüfen, ob künftig auf einem interdisziplinären Netzwerk beruhende wissenschaftliche Ad-hoc-Bertungsgremien eingesetzt werden können. Sie erachtet es als wichtig, dass diese Option rasch konkretisiert wird, und verweist auf verschiedene Aspekte, die ihrer Ansicht nach in diesem Zusammenhang zwingend zu vertiefen sind (Empfehlung 4, Kap. 2.2.2).

Darüber hinaus hat die GPK-N im vorliegenden Bericht verschiedene grundsätzliche Aspekte im Zusammenhang mit der Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall aufgezeigt, die ihrer Ansicht nach der Klärung bedürfen.

­

Erstens ist die Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Krisenfall in den rechtlichen und strategischen Grundlagen genauer zu regeln, und zwar nicht nur in den Grundlagen für die Epidemienbekämpfung, sondern auch allgemein im Rahmen des Risiko- und Krisenmanagements des Bundes (Empfehlungen 1 und 2, Kap. 2.1).

­

Zweitens ist das Vorgehen des BAG bei der Beschaffung und Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Epidemien zu verbessern (Empfehlung 3, Kap. 2.2.1).

­

Drittens sind die Modalitäten für die Erteilung von Rahmenmandaten zur wissenschaftlichen Beratung an externe Leistungserbringer zu klären (Empfehlung 5, Kap. 2.2.3).

­

Viertens ist die Rolle der EKP in einer Pandemie zu klären (Empfehlung 6, Kap. 2.2.4).

­

Fünftens ist die Präsentation der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Entscheidungsgrundlagen zuhanden des Bundesrates zu verbessern (Empfehlung 7, Kap. 2.3.1).

­

Sechstens ist die öffentliche Kommunikation der Behörden über die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die sie ihre Massnahmen und Beschlüsse stützen, zu verbessern (Empfehlung 8, Kap. 2.4.1).

Die GPK-N erwartet vom Bundesrat, dass er auf der Grundlage der Abklärungen zu diesen Punkten die notwendigen Anpassungen der rechtlichen und strategischen Grundlagen (namentlich EpG und Pandemieplan) sowie der Weisungen und der sonstigen einschlägigen Dokumente vornimmt.

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Die GPK-N ersucht den Bundesrat, zu den Feststellungen und Empfehlungen dieses Berichts sowie zum Evaluationsbericht der PVK bis zum 4. Oktober 2023 Stellung zu nehmen und ihr mitzuteilen, mit welchen Massnahmen und bis wann er ihre Empfehlungen umsetzen wird.

30. Juni 2023

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Die Präsidentin: Prisca Birrer-Heimo Die Sekretärin: Ursina Jud Huwiler Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Thomas de Courten Der Sekretär der Subkommission EDI/UVEK: Nicolas Gschwind

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Abkürzungsverzeichnis GPK GPK-S GPKN EKP

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und bewältigung EKIF Eidgenössische Kommission für Impffragen BK Bundeskanzlei PVK Parlamentarische Verwaltungskontrolle WBF Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung EDI Eidgenössisches Departement des Innern ECDC European Centre for Disease Prevention and Control, Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten KSBC Krisenstab des Bundesrates Corona ETH Eidgenössische Technische Hochschulen EPFL École polytechnique fédérale de Lausanne, Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne BBl Bundesblatt SNF Schweizerischer Nationalfonds BFI Bildung, Forschung und Innovation EpG Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, SR 818.101) RVOG Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (SR 172.010) Mo.

Motion EpV Verordnung vom 29. April 2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung, SR 818.101.1) BAG Bundesamt für Gesundheit WHO World Health Organisation, Weltgesundheitsorganisation Po.

Postulat SR Systematische Sammlung des Bundesrechts SNSTF Swiss National Covid19 Science Task Force SSPH+ Swiss School of Public Health Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissnoso Nationales Zentrum für Infektionsprävention

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