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Archivierung und Ablage von Dokumenten sowie Verfahren bei Zugangsgesuchen nach BGÖ: allgemeine Abklärungen zu den Vorgaben und im Kontext des Vorwurfes von nicht auffindbaren E-Mails im GS-EDI Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 10. Oktober 2023

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommissionen des National- und Ständerates (GPK-N/S) hatten an ihrer Sitzung vom 14. Juni 2022 ihren Bericht «Abklärungen zur versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset»1 behandelt und zur Veröffentlichung freigegeben.

Gleichentags erschien ein Beitrag in einer Tageszeitung, der geltend machte, dass im Generalsekretariat des EDI (GS-EDI) im Zusammenhang mit der Erpressung von Bundesrat Berset verschiedene E-Mails nicht mehr auffindbar bzw. gelöscht worden seien und dass dieser Sachverhalt Gegenstand eines Schlichtungsverfahrens nach Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ)2 vor dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) sei.

Mit Beschluss vom 6. Juli 2022 entschied die GPK-S, dem Vorwurf nachzugehen, wonach Dokumente und E-Mails im GS-EDI verschwunden und/oder vernichtet worden seien.

1.2

Auftrag und Gegenstand der Abklärungen

Die GPK-S beauftragte ihre Subkommission EJPD/BK in genereller Weise sowie anhand des konkreten Einzelfalls abzuklären, welche Vorgaben zur Aufbewahrung und Archivierung von Unterlagen in der Bundesverwaltung existieren und welche Dokumente in Anwendung des BGÖ zugänglich gemacht werden müssen. Insbesondere folgende Punkte sollten vertieft werden:

1 2

­

Ablage bzw. Archivierung von Daten und Dokumenten im Allgemeinen und mit besonderer Berücksichtigung der Situation bei Ausscheiden von Mitarbeitenden aus der Bundesverwaltung.

­

Regelung im Öffentlichkeitsgesetz im Allgemeinen: Grundlagen, Verfahrensablauf, Erfahrungen des EDÖB, insbesondere in Bezug auf das Einsichtsrecht des EDÖB. Dies soll auch mit Blick auf das besagte Schlichtungsverfahren zwischen der Tageszeitung und dem GS-EDI untersucht werden.

­

Abklärung der Frage, ob beim EDI im Zusammenhang mit der versuchten Erpressung von Bundesrat Berset Daten oder Dokumente vernichtet wurden, die abgelegt oder archiviert hätten werden müssen.

Bericht der GPK-N/S vom 14. Juni 2022 (BBl 2022 2083).

Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz; SR 152.3).

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Zur Klärung dieser Fragen wurden verschiedene Anhörungen mit dem EDÖB, der Bundeskanzlei (BK), dem Bundesarchiv (BAR) und dem GS-EDI durchgeführt.

Zudem wurden von der BK, dem BAR und vom EDÖB Berichte und Dokumente eingefordert.

2

Relevante Erlasse und weitere Vorgaben

2.1

Ablage und Archivierung: gesetzliche Grundlagen und weitere Regeln

In einem ersten Schritt klärte die Subkommission ab, welche Regelungen für die Ablage und Aufbewahrung für Daten und Dokumente existieren und wie die Vorgaben beim Ausscheiden von Mitarbeitenden aus der Bundesverwaltung sind.

Für die Ablage und Archivierung von Unterlagen sind die folgenden Erlasse relevant: einerseits regelt das Archivierungsgesetz (BGA)3 mit der dazugehörigen Verordnung (VBGA)4 die Archivierung von Unterlagen von Verwaltungseinheiten des Bundes.

Andererseits sind für die Ablage von Dokumenten Vorgaben des Bundesrates massgebend, die primär in der GEVER-Verordnung5 und der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV)6 festgehalten sind. Daneben existieren für jede Verwaltungseinheit Weisungen und damit Konkretisierungen zur GEVERVerordnung. Das BGÖ regelt seinerseits den Zugang zu amtlichen Dokumenten.

Alle Erlasse beinhalten u.a. Begrifflichkeiten, die sich auf die Ablage und Aufbewahrung von Dokumenten und Unterlagen beziehen.

2.1.1

Archivierungsgesetz

Das BGA7 regelt unter anderem die Archivierung von Unterlagen des Bundes (Art. 4 Abs. 1 BGA) und soll dadurch einen Beitrag zur Rechtssicherheit sowie zur kontinuierlichen und rationellen Verwaltungsführung leisten (Art. 2 Abs. 2 BGA). Alle Stellen, die unter das BGA fallen, namentlich auch die Bundesverwaltung, müssen alle Unterlagen, die sie nicht mehr benötigen, dem BAR zur Übernahme anbieten, soweit sie nicht selbst für die Archivierung zuständig sind (Art. 6 BGA).8 Als Unterlagen im Sinne des BGA gelten nach Artikel 3 Absatz 1 BGA sämtliche aufgezeichneten Informationen ­ unabhängig vom Informationsträger ­, welche bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben des Bundes empfangen oder erstellt worden sind, sowie alle 3 4 5 6 7 8

Bundesgesetz vom 26. Juni 1998 über die Archivierung (Archivierungsgesetz, BGA; SR 152.1).

Verordnung vom 8. September 1999 zum Bundesgesetz über die Archivierung (Archivierungsverordnung, VBGA; SR 152.11).

Verordnung vom 3. April 2019 über die elektronische Geschäftsverwaltung in der Bundesverwaltung (GEVER-Verordnung; SR 172.010.441).

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (RVOV; SR 172.010.1).

SR 152.1 Bsp. SBB, Post, SUVA.

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Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für das Verständnis dieser Informationen und deren Nutzung notwendig sind.

In Zusammenarbeit mit der jeweiligen Verwaltungseinheit ermittelt das BAR die Archivwürdigkeit (Art. 7 Abs. 1 BGA). Dabei gelten unterschiedliche Perspektiven: die Verwaltungseinheit bewertet die Archivwürdigkeit der Unterlagen aus rechtlichadministrativer Sicht, das BAR nimmt eine Bewertung aufgrund von historischen und archivfachlichen Gesichtspunkten vor (Art. 5 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 VBGA9). Die Bewertung der Archivwürdigkeit erfolgt entweder prospektiv oder retrospektiv. Seit Einführung der elektronischen Geschäftsverwaltung werden die Unterlagen standardmässig prospektiv bewertet.

Die Anbietepflicht gilt gemäss BGA für alle Unterlagen, die bei der Wahrnehmung von Bundesaufgaben empfangen oder erstellt worden sind. Dies gilt grundsätzlich unabhängig vom Informationsträger; sie umfasst somit auch autorisierte Fachapplikationen und prinzipiell Handakten. Bei Letzteren handelt es sich um Unterlagen, die Personen in Topkaderfunktion in ihrem Verantwortungsbereich zum persönlichen Gebrauch ausserhalb der offiziellen Ablage ihrer Verwaltungseinheit führen.10 Im Zusammenhang mit der Digitalisierung und der dadurch verbundenen Herausforderungen für die Archivierung führte der Bundesrat in seinem Bericht vom 18. August 202111 in Erfüllung des Postulates Janiak 18.302912 aus, dass mit der weitgehend umgesetzten digitalen Informationsverwaltung in GEVER-Systemen in der Bundesverwaltung ein tragfähiges Fundament zur umfassenden Erfüllung der Archivierung gelegt wurde. Für die Sicherstellung der flächendeckenden Archivierung muss die Verwaltung im Alltag sicherstellen, dass sämtliche Unterlagen in den entsprechenden Systemen abgelegt und fristgerecht abgeliefert werden. Gemäss Postulatsbericht ist das BAR mit der Sicherstellung der Archivierung betraut und hat deswegen auch gewisse Inspektions- und Weisungsrechte13. Der Bundesrat wies darauf hin, dass in einem zukünftigen Revisionsprojekt des Archivgesetzes zu entscheiden wäre, ob die aktuell geltenden Kompetenzen und Verpflichtungen einer Präzisierung oder Änderung bedürfen.14 In seiner Medienmitteilung vom 29. Juni 202215 bestätigte der Bundesrat in der Folge, dass sich das BGA im Grundsatz bewährt hat und kein Revisionsbedarf angezeigt ist, aber gleichzeitig Handlungsbedarf bei dessen Umsetzung besteht. Deshalb beschloss er, Massnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen aus

9 10 11 12 13 14

15

Verordnung vom 8. September 1999 zum Bundesgesetz über die Archivierung (Archivierungsverordnung, VBGA; SR 152.11).

Vgl. Weisungen vom 28. September 1999 über die Anbietepflicht und die Ablieferung von Unterlagen an das Schweizerische Bundesarchiv, abrufbar unter www.bar.admin.ch Der Postulatsbericht beruht auf einer Evaluation, die das Bundesarchiv in Auftrag gegeben hatte. Die Evaluation ist abrufbar unter www.bar.admin.ch.

Postulat Janiak 18.3029: Umsetzung des Archivierungsgesetzes: Evaluation und weiteres Vorgehen.

Vgl. Art. 5 Abs. 2 und 3 BGA.

Die Evaluation hatte Handlungsbedarf in neun Stossrichtungen identifiziert und schlug 54 Empfehlungen vor. Der Bundesrat befürwortete die im Evaluationsbericht aufgezeigten Stossrichtungen (vgl. Medienmitteilung vom 1. September 2021).

Medienmitteilung vom 29. Juni 2022, abrufbar unter www.bar.admin.ch > Medienmitteilungen.

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der Evaluation des BGA durch Anpassungen in der Archivierungspraxis sowie Änderungen der VBGA16 zu ergreifen.

2.1.2

GEVER-Verordnung und Weisungen der Departemente

Die GEVER-Verordnung17 beinhaltet Vorschriften für die Bearbeitung von geschäftsrelevanten Informationen in elektronischen Geschäftsverwaltungssystemen. In Artikel 10 der GEVER-Verordnung verpflichtet der Bundesrat die Verwaltungseinheiten, Organisationsvorschriften zu erlassen. In diesen sowie weiteren Dokumenten, wie etwa Merkblättern und Checklisten, haben die Departemente departements- oder amtsspezifische Vorgaben zur Ablage und zur Beurteilung der Geschäftsrelevanz von Informationen festgehalten. Die Verwaltungseinheiten sind dazu angehalten, ihre Organisationsvorschriften laufend nachzuführen und zu überprüfen, ob die Organisationsvorschriften eingehalten werden.

Die GEVER-Verordnung und die RVOV18 bestimmen, dass für den Nachweis der Verwaltungstätigkeit sämtliche geschäftsrelevanten Informationen der Bundesverwaltung im Geschäftsverwaltungssystem zu bearbeiten sind (Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GEVER-Verordnung i. V. m. Art. 22 Abs. 1 RVOV). Als geschäftsrelevant gelten Informationen, die für den Nachweis der Geschäftstätigkeit im Sinne einer systematischen Geschäftsverwaltung notwendig sind. Nicht nur der Endzustand eines Geschäfts, sondern auch der Entstehungsprozess gilt als geschäftsrelevant. Die während der Laufzeit eines Geschäfts registrierten Informationen müssen das Geschäft vollständig und verlässlich dokumentieren (vgl. Art. 6 Abs. 2 GEVER-Verordnung; vgl. auch die Erläuterungen zur GEVER-Verordnung19).

Gemäss den Erläuterungen zur GEVER-Verordnung ist eine abstrakte Auflistung aller geschäftsrelevanten Informationen für die gesamte Bundesverwaltung nicht möglich. Vielmehr sind die Verwaltungseinheiten dazu angehalten, in ihren Organisationsvorschriften selbstständig festzulegen, welche Informationen in ihrem Aufgabenbereich als geschäftsrelevant bzw. als nicht geschäftsrelevant einzustufen sind.

Jedes Departement und die BK verfügen über eigene Weisungen zur elektronischen Geschäftsverwaltung, die hinsichtlich des Umfangs und Detaillierungsgrads unterschiedlich ausgestaltet sind. Der Inhalt der einzelnen Weisungen der Departemente und deren Beurteilung bilden nicht Gegenstand des vorliegenden Berichts, weshalb nicht weiter darauf einzugehen ist. Punktuell wird aufgrund des konkreten Anlasses der Untersuchung auf die Weisung des GS-EDI eingegangen.

16 17 18 19

SR 152.11 SR 172.010.441 SR 172.010.1 Erläuterungen vom 3. April 2019 zur Verordnung über die elektronische Geschäftsverwaltung in der Bundesverwaltung (GEVER-Verordnung; SR 172.010.441), abrufbar unter www.bk.admin.ch > Dokumente > GEVER Bund.

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2.1.3

Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ)

Mit dem am 1. Juli 2006 in Kraft getretenen BGÖ20 fand ein Paradigmenwechsel21 statt, mit dem in Bezug auf die Verwaltungstätigkeit das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt wurde. Um die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Tätigkeit der Verwaltung zu fördern, hat jede Person grundsätzlich den Anspruch darauf, ohne Interessensnachweis amtliche Dokumente einzusehen und Auskünfte über deren Inhalt zu erhalten (vgl. auch Art. 1 und 6 BGÖ).

Der Begriff des amtlichen Dokuments wird in Artikel 5 BGÖ definiert: danach sind alle Informationen, die auf einem beliebigen Informationsträger aufgezeichnet sind, sich im Besitze einer Behörde befinden, von der sie stammen oder der sie mitgeteilt worden sind und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben betreffen, amtliche Dokumente im Sinne des BGÖ. Nicht als amtliche Dokumente gelten solche, die durch eine Behörde kommerziell genutzt werden, nicht fertig gestellt oder zum persönlichen Gebrauch bestimmt sind.

Der Zugang zu amtlichen Dokumenten und das entsprechende Verfahren dazu sind im BGÖ und der dazugehörigen Verordnung22 geregelt. Die Ausnahmen und besonderen Fälle, bei denen der Zugang zu Dokumenten eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden kann, sind im Gesetz festgehalten (vgl. Art. 7­9 BGÖ). Wird einem Zugangsgesuch seitens der Behörden nicht stattgegeben, besteht die Möglichkeit der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens beim EDÖB. Dabei handelt es sich um ein formloses, unpräjudizielles und informelles Verfahren, bei dem auch keine Protokolle erstellt werden. Daraus geht hervor, dass dem EDÖB keine Verfügungskompetenz zukommt;23, 24 das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)25 findet grundsätzlich keine Anwendung.26 Kommt keine Einigung zustande, gibt der EDÖB eine schriftliche Empfehlung ab.

Diese richtet sich primär an das für die Behandlung des Zugangsgesuchs zuständige Bundesorgan, das gegebenenfalls eine Verfügung nach VwVG erlässt und über den Zugang entscheidet. Die Empfehlungen des EDÖB sind rechtlich nicht bindend und werden unter Weglassung der Namen der Antragstellenden resp. angehörten Dritten veröffentlicht.27 Der EDÖB hat aufgrund seiner Schlichtungsfunktion bei einem Wei-

20 21 22 23

24 25 26

27

SR 152.3 Wechsel vom Geheimhaltungs- zum Öffentlichkeitsprinzip (Botschaft zum BGÖ; BBl 2003 1963 ff, Ziff. 1.1.3.2 und 2.2.1.1).

Verordnung 24. Mai 2006 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsverordnung, VBGÖ; SR 152.31).

Bhend/Schneider, Kommentar zu Art. 13 N. 33, in: Maurer-Lambrou Blechta (Hrsg.), Datenschutzgesetz/Öffentlichkeitsgesetz, Datenschutzgesetz/Öffentlichkeitsgesetz, Basler Kommentar, 3. Auflage, 2014.

Vgl. auch Anhörung des EDÖB vom 22. Juni 2023.

Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021).

Allerdings ist der EDÖB an gewisse Verfahrensgrundsätze gebunden, welche auch im VwVG enthalten sind. Zum Beispiel Art. 8 VwVG (Überweisungs- oder Weiterleitungspflicht der Sache von der unzuständigen an die zuständige Behörde).

Abrufbar unter www.edoeb.admin.ch > oeffentlichkeitsprinzip > Empfehlungen nach BGÖ.

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terzug der Verfügung ans Bundesverwaltungs- und Bundesgericht keine Parteistellung.

Nach Artikel 20 BGÖ hat der EDÖB im Rahmen des Schlichtungsverfahrens Zugang zu amtlichen Dokumenten, auch wenn diese der Geheimhaltung unterliegen. Nach Artikel 12b VBGÖ sind die Behörden zwar verpflichtet, am Schlichtungsverfahren teilzunehmen und dem EDÖB die erforderlichen Dokumente zuzustellen. Das BGÖ sieht für den Fall, dass sich eine Behörde weigert, am Schlichtungsverfahren mitzuwirken, jedoch kein entsprechendes Instrument zur Durchsetzung vor. Die einzigen Mittel des EDÖB sind, in einem solchen Fall einen entsprechenden Hinweis in den Empfehlungen sowie entsprechende Feststellungen im Tätigkeitsbericht aufzuführen.

Kommt im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens keine einvernehmliche Lösung zustande, verfasst der EDÖB eine Empfehlung, die umgehend auf der Homepage des EDÖB publiziert wird.

2.2

Praxis und Umsetzung der gesetzlichen Grundlagen und Regeln

2.2.1

Archivierungsgesetz

Das Archivierungsgesetz (BGA) regelt die Archivierungspflicht für Bundesstellen und Private. Als Grundsatz hält das BGA fest, dass rechtlich, politisch, wirtschaftlich, historisch, sozial oder kulturell wertvolle Unterlagen des Bundes archiviert werden (Art. 2 Abs. 1 BGA). Artikel 6 BGA regelt, dass alle Unterlagen, die nicht mehr ständig benötigt werden, dem BAR zur Übernahme angeboten werden müssen, soweit die Verwaltungseinheiten nicht selbst für die Archivierung zuständig sind. Die anbietepflichtige Stelle bewertet in einem ersten Schritt die Archivwürdigkeit aus rechtlicher und administrativer Sicht (Art. 5 Abs. 2 VBGA28; weitere Details sind in den Weisungen des Bundesarchivs geregelt29). Teilweise wird in den GEVER-Weisungen, bspw. derjenigen des EDI, die Aufbewahrung von nicht archivwürdigen Unterlagen erwähnt.

Hinsichtlich der Archivwürdigkeit nimmt das BAR seinerseits in einem zweiten Schritt eine wissenschaftlich-historische Einschätzung vor, die je nach Fall unterschiedlich ausfallen kann; je grösser bspw. ein Grundrechtseingriff ist, desto lückenloser muss die Tätigkeit der Behörde dokumentiert werden. Wesentlich im Hinblick auf die Archivwürdigkeit ist aus Sicht des BAR, welche Informationen langfristig verfügbar sein müssen.

Das BAR ist darauf angewiesen, dass die zuständigen Mitarbeitenden einen Geschäftsvorfall sinnvoll dokumentieren. Für die Archivierung werden jedoch nicht unbedingt alle geschäftsrelevanten Informationen übernommen, um Redundanzen zu vermeiden.

28 29

SR 152.11 Weisungen vom 28. September 1999 über die Anbietepflicht und die Ablieferung von Unterlagen an das Schweizerische Bundesarchiv (abrufbar unter www.bar.admin.ch > Über uns > rechtliche Grundlagen).

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Gemäss den Ausführungen des BAR kann dieses nicht kontrollieren, wie die Ämter ihre Aufgaben bezüglich Archivierung wahrnehmen. Bei der Ablieferung von Daten werden Stichproben vorgenommen. Die Menge von Daten ist für sich allein noch kein Indikator für die Vollständigkeit der Unterlagen, da einzelne Verwaltungseinheiten Kerninformationen in ihren Fachapplikationen und nicht in GEVER ablegen. Es ist deshalb für jede Verwaltungseinheit eine individuelle Überprüfung vorzunehmen.

Gemäss BAR ist eine lückenlose Überprüfung illusorisch und es verweist darauf, dass diese Praxis auch derjenigen von anderen Nationalarchiven entspricht.

Festzuhalten ist, dass die rechtlichen Grundlagen bei der Bestimmung der Archivwürdigkeit einen Ermessensspielraum einräumen. Dies ist insofern zweckmässig, als eine allgemeingültige Eingrenzung schwierig ist. Eine Evaluation zum BGA aus dem Jahr 202030 kam zum Schluss, dass in Bezug auf die Bestimmung des Archivguts der Prozess zur Ermittlung der Archivwürdigkeit als insgesamt zielführend und zweckmässig zu beurteilen ist.31

2.2.2

GEVER-Verordnung und Weisungen der Departemente

Die GEVER-Verordnung gilt für die Verwaltungseinheiten der zentralen Bundesverwaltung und diejenigen Stellen, die sich dazu verpflichtet haben.32 Sowohl die GEVER-Verordnung als auch die GEVER-Weisungen über die elektronische Geschäftsverwaltung der Departemente bilden die Grundlage für die Dokumentierung der Verwaltungstätigkeit. Sie beinhalten die Pflicht, geschäftsrelevante Dokumente im elektronischen Geschäftsverwaltungssystem abzulegen. Teilweise fallen die Anweisungen sehr detailliert aus; vereinzelt existieren auch sog. Negativlisten, die aufführen, was als nicht geschäftsrelevant gilt.

Gemäss den Ausführungen der BK ist der Begriff der Geschäftsrelevanz zentral. In der Regel muss der jeweilige Geschäftskontext betrachtet und gestützt darauf eine Einschätzung vorgenommen werden, ob eine Information für das Geschäft von Bedeutung ist. Es gibt jedoch auch Zweifelsfälle, bei denen die Geschäftsrelevanz unklar ist. Laut Aussagen der BK ist in einem solchen Fall die Geschäftsrelevanz zu bejahen; die Vorgaben in den einzelnen Departementen und Ämtern sind jedoch unterschiedlich. Der Entscheid, ob ein Dokument geschäftsrelevant ist und somit in GEVER abgelegt werden muss, liegt im Ermessen der zuständigen Mitarbeitenden, die über die notwendigen Dossierkenntnisse verfügen. Die Mitarbeitenden sind dazu angehalten, regelmässig die relevanten E-Mails und Dokumente abzulegen.

In den Departementen und der BK existieren Merkblätter, welche die Mitarbeitenden und teilweise die Vorgesetzten auffordern, die Ablage von geschäftsrelevanten Dokumenten und E-Mails zu überprüfen. Auch in Bezug auf diesen Aspekt existiert keine Regelung, die für alle Departemente gleichermassen gilt.

30 31 32

Evaluation des Bundesgesetzes über die Archivierung (BGA), Schlussbericht vom 17. Dezember 2020 (abrufbar unter www.bar.admin.ch > Über uns > Evaluation).

Vgl. Kap. 6 der Evaluation, insb. Kap. 6.4. Dementsprechend haben die Autoren in diesem Bereich auch keine Empfehlung formuliert.

Vgl. Art. 1 GEVER-Verordnung.

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Beim Ausscheiden von Mitarbeitenden aus der Bundesverwaltung gibt es keine spezielle Regelung. Das Mailkonto wird ab Austrittsdatum 45 Tage lang gesperrt. Ab diesem Zeitpunkt können während 90 Tagen E-Mails wiederhergestellt werden.

Damit besteht die Möglichkeit, während viereinhalb Monaten nach Austritt eines Mitarbeitenden nicht abgelegte E-Mails wiederherzustellen. Diese zeitliche Vorgabe wurde laut BK gemeinsam mit allen Leistungserbringern festgelegt.

Aus Sicht der BK ergibt sich bei Ausscheiden oder Wechsel eines Mitarbeitenden aus der Bundesverwaltung grundsätzlich kein Handlungsbedarf, wenn die Vorgaben in Bezug auf die Ablage von geschäftsrelevanten Unterlagen eingehalten wurden. Die Federführung für Geschäftsdossiers wird auf die nachfolgende Person übertragen. Das Exchange-Profil (Outlook) wird gelöscht. Danach werden die Daten unwiderruflich gelöscht.

2.2.3

Probleme bei Zugangsgesuchen nach Öffentlichkeitsgesetz

Im Schlichtungsverfahren ist nach Ausführungen des EDÖB das in Artikel 20 BGÖ geregelte Einsichtsrecht des EDÖB eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung der Schlichtungstätigkeit, um beurteilen zu können, ob eine Behörde zu Recht den Zugang zu Dokumenten verweigert hat.33 Die fehlenden rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten des EDÖB sind aber gemäss seinen eigenen Aussagen folgerichtig, da er eine Schlichtungs- und keine Aufsichtsfunktion wahrnimmt, und der Gesetzgeber eine gesetzliche Vermutung zugunsten der grundsätzlichen Zugänglichkeit zu amtlichen Dokumenten verankerte. Daraus resultiere bei Nichtherausgabe von Dokumenten eine Begründungspflicht seitens der Behörden.

Gemäss Auskunft des EDÖB wurde ihm in den Jahren 2021 und 2022 in 11 Fällen die Einsicht verweigert, wobei keine Häufung bei einzelnen Departementen festzustellen ist. Laut den Ausführungen des EDÖB machen Teile der Bundesverwaltung die Gewährung des Einsichtsrechts von einer Art Vortriage abhängig, die dazu führt, dass die fraglichen Dokumente nach Eingang des Schlichtungsantrags gegenüber dem EDÖB ganz oder teilweise zurückbehalten werden. Als Begründung wird seitens der Dienststellen gegenüber dem EDÖB angeführt, ­

die fraglichen Dokumente würden nicht in den persönlichen oder sachlichen Geltungsbereich des BGÖ fallen, dass sie Gegenstand des Mitberichtsverfahrens seien, oder eine Spezialbestimmung zur Anwendung gelange oder die Einreichung der Dokumente aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips nicht notwendig sei;

­

bei den fraglichen Dokumenten handle es sich nicht um amtliche Dokumente aufgrund der fehlenden Geschäftsrelevanz.

Durch die fehlende Möglichkeit zur Sichtung von Dokumenten kann der EDÖB folglich nicht beurteilen, ob die Behörden zu Recht den Zugang zu den Dokumenten (teilweise) verweigern. Eine Verweigerung der Dokumenteneinsicht wird den Antragstel33

Vgl. auch Anhörung des EDÖB vom 22. Juni 2022.

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lenden in den Schlichtungssitzungen mitgeteilt, was laut Auskunft des EDÖB bei Letzteren zu Unmut führt und den Abschluss von einvernehmlichen Schlichtungen wesentlich erschwert.

2.3

Schlussfolgerung

Die bisherigen Ausführungen haben aufgezeigt, dass sich die dargestellten Erlasse nicht nur in Bezug auf die Begrifflichkeiten, sondern auch hinsichtlich Zielsetzung, Regelungsgegenstand und Geltungsbereich unterscheiden: Das BGA regelt zur langfristigen Nachvollziehbarkeit des staatlichen Handelns die Sicherung von archivwürdigen Unterlagen sowie den Zugang zum Archivgut. Die GEVER-Verordnung richtet den Fokus auf die sog. Geschäftsrelevanz, bei der die Informationen für den Nachweis der Geschäftstätigkeit abgelegt werden müssen; die Führung eines laufenden Geschäfts steht dabei im Vordergrund. Das BGÖ bezweckt, dass der Zugang zu amtlichen Dokumenten gewährleistet wird.

Unterlagen und Dokumente können somit grundsätzlich eine oder mehrere Voraussetzungen erfüllen: Ein Dokument kann das Kriterium der Geschäftsrelevanz aufweisen, ist aber nicht unbedingt archivierungswürdig. Ein nichtamtliches Dokument kann hingegen durchaus die Kriterien der Geschäftsrelevanz und der Archivwürdigkeit erfüllen etc.34 Einheitliche Vorgaben, die für alle relevanten Erlasse und denkbaren Sachverhalte gleichermassen Gültigkeit beanspruchen, sind dadurch erschwert.

Bei der Archivierungsgesetzgebung obliegt der Entscheid, welche Unterlagen und Dokumente zu archivieren sind, im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Ermessenspielraums den abliefernden Stellen, im Zusammenspiel mit dem BAR. Die Beurteilung, ob eine Information im Sinne der GEVER-Verordnung geschäftsrelevant ist, stellt eine Führungsaufgabe dar, die Verantwortung für die Ablage liegt jedoch in erster Linie bei den Mitarbeitenden.35 Hinsichtlich des BGÖ entscheidet hingegen nicht der einzelne Mitarbeitende darüber, ob ein Dokument amtlich und somit grundsätzlich zugänglich ist.

Hinsichtlich der Kontrollen ist festzuhalten, dass die GEVER-Verordnung in Artikel 10 explizit regelt, dass die Verwaltungseinheiten selbst regelmässig überprüfen, ob die Organisationsvorschriften eingehalten werden. Eine übergeordnete Kontrollfunktion durch eine andere Stelle ist nach Aussage der BK zum heutigen Zeitpunkt nicht vorgesehen. Auch hinsichtlich der Archivierungsgesetzgebung kontrolliert das BAR die Unterlagen nicht systematisch, sondern beschränkt sich auf Stichproben. Sowohl in Bezug auf eine Kontrolle bei der Ablage von geschäftsrelevanten Unterlagen als auch bei der
Archivwürdigkeit von Dokumenten ist aus Sicht der Kommission die gegenwärtige Regelung angemessen: eine weitergehende Kontrolle durch eine andere Stelle wäre angesichts der Datenmengen mit einem sehr grossen und unverhältnismässigen Aufwand verbunden und nicht praxistauglich. Wenn geschäftsrelevante Unterlagen nicht ordnungsgemäss abgelegt oder archivwürdige Dokumente dem BAR 34 35

Als Beispiel können Entwürfe oder Vorversionen zu nicht finalisierten Dokumenten genannt werden.

Anhörung der Vertreter der BK und des BAR vom 13. Februar 2023.

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nicht angeboten werden, widerspricht dies den Regeln, ist aus Gründen der Verhältnismässigkeit aber grundsätzlich in Kauf zu nehmen.

3

Abklärungen der konkreten Vorwürfe an das GS-EDI und Beurteilung der Abklärungsfragen

3.1

Sachverhalt

3.1.1

Zugangsgesuch als Auslöser

In einem Zeitungsartikel vom 14. Juni 2022 wurde im Zusammenhang mit dem Fall der versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset der Vorwurf erhoben, dass verschiedene E-Mails im GS-EDI nicht mehr auffindbar sind oder gelöscht wurden, und dass dieser Sachverhalt Gegenstand eines Schlichtungsverfahrens nach BGÖ vor dem EDÖB sei. Das GS-EDI habe die Herausgabe verweigert mit dem Hinweis, dass das BGÖ vorliegend nicht anwendbar sei.

Die Subkommissionen EJPD/BK der GPK-N/S haben den Vorwurf der mutmasslich verschwundenen bzw. vernichteten E-Mails an ihrer Sitzung vom 22. Juni 2022 im Rahmen der Anhörung des EDÖB erstmals thematisiert.

Die Anhörung ergab, dass das erste Zugangsgesuch nach BGÖ von einem Journalisten am 17. September 2021 an das GS-EDI gestellt worden war, in dem sämtliche Unterlagen zu Kontakten von Mitarbeitenden des EDI und des Departementsvorstehers zur betreffenden Person A. sowie aus dem EDI zum Erpressungsfall ab 2012 bis zum erwähntem Datum herausverlangt wurden. Das GS-EDI verweigerte die Herausgabe mit dem Hinweis, dass die verlangten Dokumente Teil eines Strafverfahrens seien, weshalb das BGÖ auf diese Dokumente nicht anwendbar sei (Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ). Der Gesuchsteller wehrte sich mit dem Hinweis, dass erstens das Strafverfahren abgeschlossen sei und zweitens seine Anfrage sich auch auf Dokumente beziehe, die einen Zeitraum vor dem Strafverfahren betreffen, sowie auf sämtliche Kontakte des EDI zur betreffenden Person A.36 Der EDÖB lud in der Folge das GS-EDI und den Journalisten auf Dezember 2021 zu einer Schlichtungsverhandlung ein. Der EDÖB wies das EDI darauf hin, dass Artikel 3 BGÖ nicht auf abgeschlossene Strafverfahren anwendbar sei. Das EDI vertrat die Auffassung, dass das Schlichtungsverfahren zu sistieren ist: Sowohl der Abschluss des Strafverfahrens betreffend Strafanzeige der Bundesanwaltschaft wegen Amtsgeheimnisverletzung im Zusammenhang mit der versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset als auch der Abschluss der Untersuchung der GPK seien abzuwarten werden. Dieses Begehren wurde vom EDÖB dahingehend beantwortet, dass eine Sistierung aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlage nicht möglich sei.

Im Hinblick auf die Schlichtungsverhandlung teilte das GS-EDI seinerseits dem EDÖB mit, dass nach erneuter Recherche einige wenige E-Mails in Zusammenhang mit dem Gesuch gefunden worden seien, welche dem Gesuchsteller zur Verfügung 36

Dabei handelt es sich um die Täterin im Sinne des Berichtes der GPK-N/S «Abklärungen zur versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset» (BBl 2022 2083).

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gestellt werden können. Laut GS-EDI ging es dabei um den E-Mailverkehr des GS--EDI mit Dritten, in dem zwar die betreffende Person erwähnt wurde, aber in dem es inhaltlich nicht um die Erpressung ging. Da sich gemäss EDÖB das GS-EDI in der Folge trotz Mitwirkungspflicht (Art. 12b VGBÖ) weigerte, dem EDÖB die Dokumente zuzustellen, kann die inhaltliche Richtigkeit dieser Aussage nicht beurteilt werden.

An der Schlichtungssitzung vom 16. Dezember 2021 wurde eine Einigung gefunden.

In dieser wurde festgehalten, dass erstens das GS-EDI dem Gesuchsteller einen Teilzugang zu den E-Mails gewährt sowie zweitens, dass weitere Dokumente, die Gegenstand des Zugangsgesuchs vom 17. September 2021 bilden, nicht gefunden werden konnten. Mit der Einigung vom 16. Dezember 2021 galt das BGÖ-Verfahren als abgeschlossen. Am 17. Dezember 2021 stellte der gleiche Journalist zahlreiche neue Fragen an das GS-EDI, welche sich im Nachgang zum abgeschlossenen BGÖVerfahren ergeben hätten. Das GS-EDI stellte sich auf den Standpunkt, die Fragen beantwortet zu haben. Nach seiner Ansicht erfüllten die Fragen des Journalisten die formellen Anforderungen an ein BGÖ-Gesuch nicht.

Am 18. Januar 2022 reichte der Journalist einen neuen Schlichtungsantrag zu seinem zweiten Zugangsgesuch in dieser Angelegenheit ein. In seiner Stellungnahme an den EDÖB ersuchte das GS-EDI einerseits um eine Sistierung des Verfahrens, um das Ergebnis des Berichtes der GPK-N/S zur versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset abzuwarten. Andererseits äusserte sich das GS-EDI zu den Begehren des Journalisten dahingehend, dass zum ersten Gesuch vom 17. September 2021 keine amtlichen Dokumente gefunden worden seien. Dem zweiten Gesuch fehle es an ausreichenden Angaben im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 VBGÖ, um es als BGÖ-Gesuch zu qualifizieren, weshalb es als journalistische Anfrage behandelt und beantwortet worden sei. Zudem fehle dem Gesuchsteller die Berechtigung, eine Schlichtung zu verlangen. Dieses zweite Schlichtungsverfahren, wurde mangels einer Einigung der Parteien mit einer Empfehlung des EDÖB vom 3. Mai 2022 abgeschlossen. Der EDÖB empfahl dem GS-EDI das Zugangsgesuch nach den Vorgaben des BGÖ zu bearbeiten und aus verfahrensökonomischen Gründen eine Verfügung zu erlassen, in welcher das GS-EDI dem Gesuchsteller seine Einschätzung eröffnen
solle. Gemäss Verfügung des GS-EDI vom 24. Mai 2022 wurde dieses in Abweichung zu der Empfehlung des EDÖB das Zugangsgesuch nicht direkt in einer Verfügung beantwortet, sondern in Form der im BGÖ vorgesehenen Stellungnahme nach Artikel 12 BGÖ.

In seiner Verfügung vom 24. Mai 2022 hat das GS-EDI den Fragenkatalog vom 28. Dezember 2021 ­ entgegen seiner früheren Ansicht ­ als BGÖ-Gesuch anerkannt.

Es wurde eine entsprechende Stellungnahme in Aussicht gestellt, so wie dies das BGÖ beim Eingang von Gesuchen vorsieht. Gegen die Verfügung wurde keine Beschwerde erhoben; sie wurde rechtskräftig. Das GS-EDI nahm in der Folge am 13. Juli 2022 Stellung zum nachträglich anerkannten BGÖ-Gesuch vom 28. Dezember 2021. Mit Schreiben vom 28. Juli 2022 reichte der Gesuchsteller gegen diese Stellungnahme einen vorsorglichen dritten Schlichtungsantrag beim EDÖB ein. Dieser stellte dem Gesuchsteller eine Empfangsbestätigung zu. Nach Aussagen des EDÖB informierte er den Gesuchsteller mit E-Mail vom 8. August 2022 mit Kopie an das GS-EDI, dass er das weitere Vorgehen nach Erhalt der Rückmeldungen zur weiteren Bearbeitung des Gesuchs durch das GS-EDI festlege. Da gemäss EDÖB weder vom Gesuchsteller noch vom EDI weitere Rückmeldungen bei ihm eingingen, hat er dem Wunsch des 12 / 22

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Gesuchstellers entsprechend kein Schlichtungsverfahren eröffnet. Dieses Verfahren ist daher für den EDÖB abgeschlossen.37

3.1.2

Existenz der E-Mails?

Gestützt auf die verschiedenen Aussagen des GS-EDI ist die Existenz von E-Mails belegt: im Rahmen des ersten Schlichtungsverfahrens wurde die Herausgabe von E-Mails seitens des GS-EDI dem Gesuchsteller zugesichert. Zu weiteren E-Mails wurde der Zugang mit Hinweis auf das Strafverfahren verwehrt, also existieren auch diese. Zudem gibt es gemäss dem Generalsekretär des EDI Hinweise auf E-Mails, die jedoch nicht aufgefunden werden konnten.

Gemäss Aussagen des GS-EDI wurde die Existenz von E-Mails, welche vom Gegenstand des BGÖ-Gesuchs vom 17. September 2021 erfasst wurden, von ihm nicht bestritten. Gemäss seinen Aussagen hätte der Zugang zu den fraglichen E-Mails nicht gewährt werden können, da sich diese wenigen E-Mails anscheinend in den Akten des Strafverfahrens gegen die Täterin befanden; beim GS-EDI selbst konnten die E-Mails gemäss eigenen Aussagen nicht aufgefunden werden.

Für die Unauffindbarkeit der E-Mails sind verschiedene Szenarien denkbar: entweder existierten die E-Mails nie, oder sie waren vorhanden, wurden jedoch entweder gelöscht, oder konnten aus Gründen einer falschen Beschlagwortung, wegen Tippfehlern oder fehlender Erfassung in GEVER nicht gefunden werden.

Bezüglich des letzteren Aspekts hat sich die Kommission erkundigt, wie lange die Mailbox von Bundesangestellten, welche die Bundesverwaltung verlassen haben, aufbewahrt werden. Sie tat dies vor dem Hintergrund, dass vermutlich ein Teil der nicht auffindbaren Mails vom früheren Generalsekretär des Departements versandt oder empfangen worden waren.

Gemäss Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) sind aus technischen und/oder datenschutzrechtlichen Gründen gelöschte E-Mails auch nach der Löschung beim BIT noch vorhanden. Innerhalb von Outlook gelöschte E-Mails können nach Leeren des Outlook-Papierkorbs noch während 90 Tagen wiederhergestellt werden. Dies gilt ebenso für via «Shift + Delete» gelöschte E-Mails. Bei einem Austritt ist das Konto ab Austrittstag während 45 Tagen gesperrt; auch nach diesem Zeitpunkt können Nachrichten noch während 90 Tagen wiederhergestellt werden. Ab Austrittsdatum ist das Konto während 45 Tagen gesperrt.38 Sollten E-Mails gelöscht worden sein, stellt sich die Frage, ob diese wiederhergestellt hätten werden müssen und können. Gemäss Aussagen des GS-EDI an der Anhörung vom 23. März 2023
wurden beim Weggang des früheren Generalsekretärs E-Mails gelöscht. Ausgehend davon, dass dieser per Ende Februar 2020 das GS-EDI verliess, hätten die E-Mails während 4 ½ Monaten nach seinem Abgang wiederhergestellt werden können. Der Gesuchsteller hatte am 17. September 2021 seinen Antrag gestellt; 37 38

Anhörung des EDÖB vom 13. Februar 2023.

Gemäss BIT gibt es für gewisse Anwendungen Speziallösungen, wie etwa für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement oder die Bundesanwaltschaft.

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eine etwaige Wiederherstellung war aus technischen Gründen deshalb nicht mehr möglich.

3.2

Zu vertiefende Aspekte

Im Folgenden ist zu analysieren, ob die nicht auffindbaren E-Mails nach den gesetzlichen Vorgaben aufbewahrt und archiviert hätten werden müssen. Weiter ist zu klären, ob die besagten E-Mails ­ also die mutmasslich gelöschten und die noch vorhandenen E-Mails ­ einen amtlichen Charakter aufweisen und damit nach BGÖ grundsätzlich zugänglich sind.

3.2.1

Einhaltung der Vorgaben des Archivierungsgesetzes und der GEVER-Verordnung bzw. der Weisungen

Das GS-EDI führte anlässlich der Anhörung vom 23. März 2023 aus, dass vermutlich Dokumente existierten, die durch das offen formulierte BGÖ-Gesuch erfasst gewesen wären, deren Verbleib jedoch offen ist. Bei der Suche nach den entsprechenden Dokumenten seien diese nicht gefunden worden, wofür verschiedene Gründe angeführt wurden. Im Rahmen des Strafverfahrens kam ein entsprechendes E-Mail zu Tage, das jedoch vom früheren Generalsekretär gelöscht worden war, da es von ihm als rein private Angelegenheit und somit nicht als archivierungswürdig eingestuft wurde. Auch die Geschäftsrelevanz sei nicht gegeben, da ein solches E-Mail nicht die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe betreffe, sondern eine private Angelegenheit des Departementsvorstehers sei.39 Es stellt sich für die Kommission die Frage, ob die E-Mails ­ sofern sie überhaupt existierten ­ als geschäftsrelevant bzw. archivierungswürdig einzustufen gewesen wären und damit eine Ablage- bzw. Aufbewahrungspflicht bestanden hätte.

Die Beurteilung dieser Frage richtet sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Die GEVER-Weisung des EDI hält in Ziffer 4.5.2 fest, dass nicht archivwürdige Unterlagen im GS-EDI bis zum Ablauf der definierten und im Ordnungssystem hinterlegten Aufbewahrungsfrist aufgehoben werden müssen.40 Nach Ablauf dieser Frist können die Geschäftsdossiers vernichtet oder gelöscht werden.

Die GEVER-Weisung des EDI bestimmt auch, dass alle geschäftsrelevanten Unterlagen von den jeweils fachlich zuständigen Mitarbeitenden zeitnah und regelmässig abgelegt werden müssen. Die Weisung enthält zudem eine Beschreibung, was als geschäftsrelevant gilt, sowie Kriterien für die Beurteilung bei Unsicherheiten, ob ein Dokument als geschäftsrelevant gilt. Zudem gibt es eine Negativliste, welche Unterlagen als nicht geschäftsrelevant gelten.

39 40

Stellungnahme GS-EDI vom 7. Juli 2022; Aktennotiz des GS-EDI vom 14. März 2023.

Art. 9 GEVER-Verordnung bestimmt, dass die Verwaltungseinheiten die Aufbewahrungsfristen festlegen; die GEVER-Weisung des EDI hält fest, dass diese i.d.R. 10 Jahre beträgt (vgl. Ziff. 4.5.2 GEVER-Weisung des EDI).

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Gemäss den Ausführungen des Generalsekretärs werden keine flächendeckenden Kontrollen zur Einhaltung der GEVER-Weisung des EDI durchgeführt. Werden im Rahmen einer Überprüfung Lücken in den Dossiers festgestellt, werden die Mängel korrigiert. Gemäss den Ausführungen des GS-EDI sind die Vorgaben und Prozesse bei den Support- und Querschnittsaufgaben, aber auch im Bereich des Controllings der Bundesratsgeschäfte klar. Bei persönlichen E-Mails und den bearbeiteten Geschäften hingegen besteht für die einzelnen Mitarbeitenden mehr Spielraum, um zu entscheiden, welche Dokumente geschäftsrelevant sind.

Bei der Archivwürdigkeit steht ­ wie bereits weiter oben ausgeführt ­ die Dokumentation staatlichen Handelns im Vordergrund. Gemäss den Aussagen des GS-EDI war ein E-Mail Bestandteil von Strafakten, das vom früheren Generalsekretär jedoch als nicht archivierungswürdig eingestuft wurde, da er dies als private Angelegenheit des Departementsvorstehers eingeschätzt hatte und deshalb weder eine Aufbewahrungsnoch eine Archivierungspflicht bestanden habe.

Aus den Vorgaben des BGA und der GEVER-Verordnung bzw. Weisungen folgert das GS-EDI, dass die Verwaltungseinheiten keine Pflicht haben, alle Unterlagen aufzubewahren. Dies gelte insbesondere für Unterlagen, die nicht geschäftsrelevant sind, sondern persönlichen Zwecken dienen oder eine private Angelegenheit betreffen. Die Mitarbeitenden können über solche Unterlagen frei verfügen und diese somit auch löschen. Auf die persönlichen Ablagen hat das GS-EDI unter dem Vorbehalt von Missbrauchsfällen keinen Zugriff. Damit sind Fälle gemeint, bei denen bestimmte, rechtlich geschützte Interessen der Verwaltungseinheit tangiert werden, wie bspw.

Daten- und Anwendungssicherheit, Speicherkapazität oder Rufschädigung infolge Rechtsverletzung. Besteht ein konkreter Verdacht, dass ein solcher Missbrauchsfall vorliegt, kann unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips im Einzelfall das Interesse der Verwaltungseinheit einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person rechtfertigen.

Damit die GPK abschliessend beurteilen könnte, ob die fraglichen E-Mails das Kriterium der Geschäftsrelevanz oder Archivwürdigkeit erfüllen, müsste deren Inhalt bekannt sein. Zentral ist dabei die Frage, ob es sich bei diesen E-Mails um eine rein private Angelegenheit
des Vorstehers EDI handelte. Die GPK-N/S kam in ihrem Bericht41 zum Schluss, dass eine versuchte Erpressung einer Magistratsperson immer auch einen Bezug zum Amt hat, auch wenn es sich um eine «private» Angelegenheit handelt, zumal Stabsmitarbeitende des GS-EDI im Rahmen ihrer Tätigkeit für ihren Departementsvorsteher sich mit dieser Angelegenheit befasst hatten. Zudem stellt sich die Frage, ob solche Dokumente, die Teil eines Strafverfahrens sind, nicht zwingend als geschäftsrelevant betrachtet und deshalb abgelegt werden müssten.

Die Kommission kann nicht ausschliessen, dass die E-Mails ­ allenfalls in unterschiedlich starker Ausprägung ­ sowohl einen Bezug zum Amt des Departementsvorstehers haben als auch einen privaten Charakter aufweisen. Dies gilt wahrscheinlich auch für die E-Mails, welche Teil des abgeschlossenen Strafverfahrens in Sachen mutmasslicher Erpressung waren. Auch die Archivwürdigkeit wäre unter dem wissen41

Abklärungen zur versuchten Erpressung von Bundesrat Alain Berset. Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des National- und Ständerates vom 14. Juni 2022 (BBl 2022 2083; vgl. Kap. 4.3).

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schaftlich-historischen Aspekt vertieft zu prüfen gewesen. Ob die Archivierungswürdigkeit schliesslich bejaht worden wäre, lässt sich vorliegend jedoch nicht abschliessend beurteilen.

3.2.2

Einhaltung der Vorgaben nach BGÖ?

Weiter stellt sich die Frage, ob die fraglichen E-Mails des GS-EDI den Bestimmungen des BGÖ unterliegen. Das GS-EDI stellt sich auf den Standpunkt, dass es sich beim Erpressungsversuch des Departementsvorstehers um eine Privatangelegenheit handle, weshalb die fraglichen E-Mails auch nicht herausgegeben bzw. wiederbeschafft42 werden mussten.43 Aus Sicht des EDÖB konnte er selber keine materielle Einschätzung abgeben, ob konkret eine Wiederbeschaffungspflicht bestanden hätte, da das GS-EDI das Zugangsgesuch nicht nach den Vorgaben des BGÖ bearbeitet hatte.44 Daher habe diese Frage offengelassen werden müssen.

Wie bereits dargelegt, führte das GS-EDI an, dass gewisse E-Mails Teil eines Strafverfahrens seien und deshalb eine Einsicht nicht gewährt werden könne.45 Nach Artikel 3 BGÖ ist das Gesetz u.a. nicht anwendbar auf Strafverfahren. Das Gesetz selbst äussert sich nicht dazu, ob die Bestimmung nur auf hängige oder auch auf abgeschlossene Verfahren anwendbar ist. In der Botschaft zum BGÖ steht ausdrücklich, dass die Ausnahmeregelung auch für abgeschlossene Verfahren gilt,46 was auch vom Bundesgericht bestätigt wurde.47 Dieses Prinzip wird jedoch teilweise in der Literatur und auch vom EDÖB kritisiert.48 In seiner Empfehlung vom 18. Dezember 2012 etwa bejahte der EDÖB einen Ausschluss des Öffentlichkeitsprinzips nur für Dokumente, die explizit für das Verfahren erstellt wurden. Auch in der Rechtsprechung finden sich Urteile, die diese Auffassung bestätigen.49 Aufgrund dieser Ausführungen kann deshalb nicht abschliessend beantwortet werden, ob die Nichtherausgabe der E-Mails mit Berufung auf das BGÖ gerechtfertigt war.

Dokumente, die zum persönlichen Gebrauch bestimmt sind, sind nach Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe c BGÖ keine amtlichen Dokumente. Sind E-Mails mit einem privaten Hintergrund allein «zum persönlichen Gebrauch» bestimmt, sind sie im Grundsatz 42

43 44 45 46 47 48 49

Das BGÖ kennt keine Bestimmung, welche die (Wieder-)Beschaffung von Dokumenten explizit regelt; die Aufbewahrungspflicht wird insbesondere im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) und im BGA geregelt. Gemäss Botschaft zum BGÖ hat eine Behörde, als Erstellerin oder Hauptadressatin alle erforderlichen Massnahmen zur Beschaffung zu ergreifen, falls die betreffenden Dokumente sich nicht mehr in ihrem Besitz befinden. Das Bundesgericht äusserte sich zur Wiederbeschaffungspflicht dahingehend, dass für amtliche Dokumente, die sich einmal in Besitz der Behörden befanden, eine Wiederbeschaffungspflicht im Falle der Entledigung oder bei einem Verlust besteht, nicht jedoch bei rechtmässiger oder vorschriftsmässiger Besitzaufgabe.

Vgl. auch den Bericht der GPK-N/S vom 14. Juni 2022 (vgl. Kap. 3.3 und 4.3).

E-Mail des EDÖB vom 23.8.2023.

Nach BGÖ gilt das Gesetz nicht für den Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend Strafverfahren (Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ).

BBl 2003 1963 BGE 147 I 463 Vgl. z.B. die Empfehlung des EDÖB vom 18.12.2012 oder 3.7.2009.

Vgl. BGer 1C_367/2020; BVGE 2016/9.

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vom Geltungsbereich des BGÖ ausgenommen. Private Angelegenheiten können aber nicht immer klar von der Amts- bzw. Behördentätigkeit getrennt werden.50 Ob bei amtlich erstellten oder empfangenen Dokumenten, die eine private Angelegenheit betreffen, das Zugangsrecht nach BGÖ besteht oder nicht, ist daher im Einzelfall zu prüfen.

Ist die gesuchstellende Person mit der Behandlung ihres Gesuchs durch die Behörde nicht einverstanden, kann sie beim EDÖB einen Schlichtungsantrag stellen, woraufhin dieser ein Schlichtungsverfahren durchführt. Um beurteilen zu können, ob Unterlagen zu Recht nicht herausgegeben werden, sieht Artikel 20 BGÖ den Zugang des EDÖB zu amtlichen Dokumenten vor, auch wenn diese der Geheimhaltung unterliegen. Dieses Einsichtsrecht ist deshalb ein zentrales Instrument für die Ausübung der Tätigkeit des EDÖB. Bedeutsam ist dabei die Frage, ob die betroffene Behörde oder der EDÖB im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens über den amtlichen Charakter eines Dokuments entscheidet. In der Lehre wird davon ausgegangen, dass der EDÖB im Zusammenhang mit einem Zugangsgesuch die Vollständigkeit der amtlichen Dokumente überprüfen können und damit auch Zugang zu Dokumenten erhalten muss, welche von der Behörde gegebenenfalls nicht als amtlich beurteilt werden, um seinem gesetzlichen Auftrag nachkommen zu können.51 Im konkreten Fall erhielt der EDÖB trotz des Einsichtsrechts keinen Zugang zu den Dokumenten. Das BGÖ sieht keine Mittel zur Durchsetzung vor, wenn eine Behörde sich weigert, mitzuwirken; eine Weigerung kann lediglich in einer Empfehlung des EDÖB festgehalten werden, die auf seiner Webseite veröffentlicht wird. Mit seiner Weigerung, dem EDÖB die Einsicht in die Dokumente zu gewähren, ist das GS-EDI seinen rechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen.

4

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

4.1

Prüfung der Regelungsbereiche von BGA und BGÖ

Die Abklärungen durch die GPK-S haben gezeigt, dass verschiedene Regelungen in Bezug auf die Ablage und Archivierung von Dokumenten sowie den Zugang zu diesen bestehen. Die Regelungsbereiche sind sehr heterogen ausgestaltet und es gibt keine Definitionen, die für alle dargestellten Bereiche gleichermassen gelten, da die Zielsetzungen und der jeweilige Fokus sehr unterschiedlich sind. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Begriffe der Archivwürdigkeit und der Geschäftsrelevanz sehr allgemein gehalten sind und es je nach Situation einen erheblichen Interpretationsspielraum gibt. Probleme stellen sich primär in Situationen, in denen ein Sachverhalt aus unterschiedlicher Perspektive beurteilt wird. Beispielweise sind für archivierte Unterlagen sowohl das BGA als auch das BGÖ anwendbar.

50 51

Dies hatte der Bericht der GPK-N/S vom 14. Juni 2022 zum Erpressungsfall aufgezeigt; vgl. Kap. 4.3.

Astrid Schwegler, Kommentar zu Art. 20 BGÖ, N. 17, in: Maurer-Lambrou Blechta (Hrsg.), Datenschutzgesetz/Öffentlichkeitsgesetz, Basler Kommentar, 3. Auflage, 2014.

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Der Postulatsbericht zur Umsetzung des Archivierungsgesetzes52 hielt hierzu gestützt auf die Evaluation denn auch fest, dass allenfalls gesetzgeberisch abzuklären sei, welches Recht bei der Einsicht in archivierte und nach BGÖ zugängliche Dokumente anzuwenden sei. Die Evaluation ergab, dass bei der Gesuchsbeurteilung das je nach Fall für die Einsicht vorteilhaftere Recht angewendet wurde. Der Bundesrat kam zum Schluss, dass keine Änderung des BGA nötig sei, sondern lediglich eine Anpassung der Archivierungspraxis sowie eine Änderung der Verordnung, welche sich in Erarbeitung befindet.53 Die GPK-S erachtet es jedoch aufgrund des geschilderten Sachverhalts als notwendig, das Einsichtsrecht zu Dokumenten, die sowohl einen Bezug zum Amt wie auch den privaten Bereich tangieren, insbesondere auch im Hinblick auf Magistratspersonen, zu überprüfen und gegebenenfalls eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben einzuleiten.54 Empfehlung 1

Überprüfung des Verhältnisses BGA und BGÖ

Die GPK-S lädt den Bundesrat ein zu prüfen, ob Anpassungen der gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf das Einsichtsrecht zu Dokumenten notwendig sind, die sowohl einen Bezug zum Amt wie auch den privaten Bereich tangieren, insbesondere auch im Hinblick auf Magistratspersonen.

4.2

Ablage von Dokumenten bei Austritt von Mitarbeitenden

Im Rahmen der Abklärungen zur Ablage von Dokumenten wurde festgestellt, dass beim Ausscheiden von Mitarbeitenden aus der Bundesverwaltung ­ soweit ersichtlich ­ keine spezielle Regelung gilt. Für die Ablage von Dokumenten gilt das Kriterium der Geschäftsrelevanz, wonach die Unterlagen für den Nachweis der Geschäftstätigkeit abgelegt werden müssen, unabhängig von der Fortdauer oder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Aus Sicht der GPK-S ist jedoch zu prüfen, ob im Falle der Beendigung der Anstellung beim Bund die betroffenen Personen, insbesondere in höheren Kaderfunktionen, besondere Massnahmen bezüglich der Abläufe oder Sensibilisierung sinnvoll sind, um sicherzustellen, dass die Einhaltung der Aufbewahrungsund Archivierungspflicht gewährleistet ist.

52 53 54

Postulat 18.3029 Janiak: Umsetzung des Archivierungsgesetzes: Evaluation und weiteres Vorgehen.

Vgl. Medienmitteilung des Bundesrates vom 29. Juni 2022.

Gemäss dem Tätigkeitsbericht 2022/23 des EDÖB ist eine Revision des BGA notwendig, um die Frage zu klären, welches Recht bei Einsicht in archivierte Dokumente während der Schutzfrist anzuwenden ist. Eine Änderung der Archivierungsverordnung erachtet der EDÖB für die Regelung der Koordination von BGA und BGÖ als ungenügend.

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Empfehlung 2

Regelung bei Weggang von Mitarbeitenden

Die GPK-S lädt den Bundesrat ein zu prüfen, ob im Falle der Beendigung der Anstellung beim Bund für die betroffenen Personen, insbesondere in höheren Kaderfunktionen, besondere Massnahmen im Hinblick auf die Einhaltung der Aufbewahrungs- und Archivierungspflicht sinnvoll sind.

4.3

Löschung von Dokumenten

E-Mails können während der Dauer von 4 ½ Monaten nach Weggang eines Mitarbeitenden wiederhergestellt werden, sofern diese in den Papierkorb verschoben wurden und dort noch vorhanden sind. Aus Sicht der Kommission ist diese Frist als relativ kurz einzuschätzen. Je nach hierarchischer Position eines Mitarbeitenden ist erst nach einer gewissen Zeit ersichtlich, ob gelöschte E-Mails nach einem Weggang eines Mitarbeitenden wiederhergestellt werden sollten, da sie möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt als archivierungswürdig oder geschäftsrelevant erachtet werden.

Empfehlung 3

Zugriff auf gelöschte elektronische Dokumente

Die GPK-S lädt den Bundesrat ein, die Möglichkeit zu prüfen, dass bei Weggang von Mitarbeitenden elektronische Daten länger verfügbar sind, um diese wiederherstellen zu können.

4.4

Sachlicher Geltungsbereich des BGÖ

Die Ausführungen haben gezeigt, dass Uneinigkeit darüber herrscht, ob das BGÖ auch auf abgeschlossene Strafverfahren anwendbar ist. Sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung finden sich für beide Auffassungen gewichtige Argumente. Die GPK-S ist deshalb der Auffassung, dass anlässlich einer nächsten Revision des BGÖ diese Frage geprüft und gegebenenfalls geklärt werden sollte.

Empfehlung 4

Klärung des sachlichen Anwendungsbereichs

Die GPK-S lädt den Bundesrat ein zu prüfen, ob das BGÖ auch auf abgeschlossene Strafverfahren anwendbar ist bzw. sein sollte und gegebenenfalls bei der nächsten Revision präzisiert werden sollte.

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4.5

Schlichtungsverfahren nach BGÖ

Im Schlichtungsverfahren nach BGÖ ist das Einsichtsrecht des EDÖB zentral, um beurteilen zu können, ob Unterlagen oder E-Mails als amtliche Dokumente gelten.

Wird seitens der Behörden die Einsichtnahme verweigert, besteht die einzige Möglichkeit des EDÖB darin, den Betroffenen dies so mitzuteilen. Dadurch kann der EDÖB seinen gesetzlichen Schlichtungsauftrag nicht richtig wahrnehmen. Laut Aussagen des EDÖB werden seitens der Behörden zunehmend Pauschaleinreden geltend gemacht, wonach die erforderlichen Unterlagen nicht unter das BGÖ fallen würden und die Behörden gestützt darauf den Zugang dem EDÖB nicht gewähren. Aus Sicht der Kommission ist es notwendig, dass dem EDÖB der Zugang zu allen Unterlagen gewährt wird, damit er beurteilen kann, ob die Dokumente und Unterlagen einen amtlichen Charakter aufweisen. Die Kommission erachtet diese Situation deshalb als nicht zufriedenstellend und bittet den Bundesrat, eine Änderung des BGÖ zu prüfen, wonach dem EDÖB ein Interventionsrecht oder Verfügungsrecht eingeräumt wird.

Empfehlung 5

Interventions- oder Verfügungsrecht des EDÖB

Die GPK-S lädt den Bundesrat ein, eine Änderung des BGÖ zu prüfen, wonach dem EDÖB ein Interventions- oder Verfügungsrecht eingeräumt wird, wenn sein Einsichtsrecht nicht respektiert wird.

4.6

Ablage der nicht auffindbaren E-Mails im GS-EDI

Die GPK-S kommt bei ihren Abklärungen zum Schluss, dass nicht abschliessend beurteilt werden kann, in welchem Umfang die nicht auffindbaren E-Mails existiert haben und ob ein Teil davon gegebenenfalls vernichtet wurde. Gemäss Einschätzung der Kommission ist davon auszugehen, dass die fraglichen E-Mails nicht nur privater Natur waren, sondern auch einen Bezug zum Amt des Departementsvorstehers hatten.

Aus Sicht der GPK-S dürfte damit die Geschäftsrelevanz gegeben sein, namentlich auch für diejenigen E-Mails, die Teil des abgeschlossenen Strafverfahrens sind. Ob die Voraussetzungen der Archivwürdigkeit erfüllt sind, lässt sich aus den dargelegten Gründen nicht abschliessend beantworten. Die GPK-S hält zudem fest, dass das GS-EDI durch seine Weigerung, dem EDÖB die Einsicht in die Dokumente zu gewähren, seinen rechtlichen Verpflichtungen nach BGÖ nicht nachgekommen ist.

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5

Weiteres Vorgehen

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, bis zum 11. Januar 2024 zum vorliegenden Bericht Stellung zu nehmen.

10. Oktober 2023

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Der Präsident: Matthias Michel Die Sekretärin: Ursina Jud Huwiler Der Präsident der Subkommission EJPD/BK: Daniel Fässler Die Sekretärin der Subkommission EJPD/BK: Jeanne Prodolliet

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Abkürzungsverzeichnis Abs.

Art.

BAR BGA BGE BGer BGÖ BIT BK BR Bst.

BVGer bzw.

E.

EDI EDÖB EJPD GEVER GPK-N/S GS Kap.

RVOV Rz.

VBGA VBGÖ Ziff.

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Absatz Artikel Bundesarchiv Bundesgesetz vom 26. Juni 1998 über die Archivierung (Archivierungsgesetz; SR 152.1) Bundesgerichtsentscheid Bundesgericht Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz; SR 152.3) Bundesamt für Informatik und Telekommunikation Bundeskanzlei Bundesrat Buchstabe Bundesverwaltungsgericht Beziehungsweise Erwägung Eidgenössisches Departement des Innern Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Elektronische Geschäftsverwaltung Geschäftsprüfungskommissionen des National- und Ständerates Generalsekretariat Kapitel Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (SR 172.010.1) Randziffer Verordnung vom 8. September 1999 zum Bundesgesetz über die Archivierung; SR 152.11) Verordnung vom 24. Mai 2006 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsverordnung; SR 152.31) Ziffer