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Schweizerisches Bundesblatt.

XXVI. Jahrgang. I.

Nr. 9.

21. Februar

1874.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e bühr per Zeile 15 Ep. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druk und Expedition der Stämpflischen Bnchdrukerei in Bern.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission betreffend Gewährleistung eines Dekretes des Verfassungsrathes des Kantons Neuenburg.

(Vom 23. Januar 1874.)

Tit. !

Da die übrigen Mitglieder Ihres Ausschusses zu sehr beschäftigt und in Anspruch genommen sind, so hat man mich, wenn auch mit Erfahrung und Tüchtigkeit am wenigsten ausgestattet, beauftragt, Ihnen den Bericht in Sachen zu unterbreiten. Ich werde mich meiner Aufgabe kurz und bündig zu entledigen .suchen. t Es handelt sich im gegebenen Falle, gemäß Art. 6 der bestehenden Bundesverfassung einer theilweisen Revision der Verfassung des Kantons Neuenburg die nöthige eidgenössische Gewährleistung zu ertheilen.

Am 28., 29. und 30. November 1873 hat nämlich das Neuenburger Volk mit 3810 gegen 1249 Stimmen einen neuen Artikel 30 und mit 3907 gegen 1152 Stimmen einen neuen Artikel 33 der bestehenden Verfassung angenommen. -Diese beiden Artikel beschlagen, der erstere das Stimmrecht und der zweite den Ausschluß von« demselben wie auch von der Wählbarkeit.

Bundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. 1.

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Gemäß Art. 30 der jezt bestehenden neuenburgischen Verfassung vom 21. November 1858 sind Wähler alle Neuenburger über 20 Jahre und alle daselbst niedergelassenen Schweizerbürger, diese leztern nach einem Aufenthalte von zwei Jahren; nach dem neu angenommenen Art. 30 aber sind stimmfähig alle Schweizerbürger, welche im Kanton Neuenburg ihren ständigen Wohnsiz aufgeschlagen und seit drei Monaten ihre Papiere niedergelegt haben.

Durch diesen neuen Artikel wird also unstreitig das Wahlrecht der niedergelassenen Schweizerbürger in Neuenburg merklich erweitert. Nur ließe sich hier die Frage aufwerfen, was in Neuenburg zu einem ständigen Wohnsize erforderlich sei, was man da unter ,,principal domicile" verstehe, und welche Bürger demnach als dort wohnsäßig im Sinne der Verfassung können angesehen werden.

Nach einigen Erkundigungen, die ich hierüber eingezogen, scheint es, es werde unter Wohnsiz nur ein. einjähriger Aufenthalt im Kantone Neuenburg verstanden, resp. es betrachte der Gesezgeber nur denjenigen niedergelassenen Schweizer als domizilirt im Kantone, welcher sich dort während einem Jahre aufgehalten und seine Ausweispapiere abgegeben hat.

Der Kanton Neuenburg wird nämlich, wie noch andere Kantone der Eidgenossenschaft, während einem gewissen Zeiträume des Jahres von Schweizern ziemlich zahlreich besucht, besonders von Bürgern aus dem Kanton Tessin, welche sich während der guten Jahreszeit dahin begeben, um als Arbeiter ihr Brod zu verdienen, und welche den Kanton Neuenburg im Spätjahr regelmäßig verlassen, nach einem Aufenthalte von 2/3 oder höchstens 3/4 Jahr.

Dieser zeitfristige Aufenthalt aber gilt iu den Augen des Gesezgebers von Neuenburg nicht als Wohnsiz, indem es sonst vorkommen könnte, daß eine ziemlich angeschwollene und bloß flottante Bevölkerung auf die jeweilen stattfindenden Wahlen einen erheblichen Druk ausüben und das Resultat vielleicht gegen den Sinn der Mehrheit der einheimischen wohnsäßigen Bevölkerung ändern würde.

Wie d'em nun auch sei, immerhin ist es wahr, daß durch den neuen Artikel 30 gegenüber dem alten Artikel die Stimmrechte der Schweizer in etwas erweitert werden, und es hat demzufolge, wenn auch in kleinerem Maße, die Bevölkerung von Neuenburg der heutigen Strömung und dem Geiste der Zeit Rechnung zu tragen gesucht und die Schranken, welche die Kantonsbürger
von den übrigen Schweizern trennen, etwas erniedrigt.

Der Art. 33 zählt die verschiedenen Fälle auf, in welchen ·weder: Kantons- .noch Schweizerbürger in Neuenburg wählen oder

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wählbar sein können. Da die dießfällige Botschaft des Bundesrathes Ihnen Tit. vor Augen liegt und dieselbe diese Fälle bezeichnet, so will ich sie hier nicht näher erwähnen.

Im Schöße Ihrer Commission gab sich einige Verwunderung kund über zwei Ausschlußgründe, hauptsächlich aber über einen, d. h. über die § 3 und 4. Im § 3 steht: ausgeschlossen diejenigen, welche wegen einfachem oder betrügerischem Bankerott verurtheilt worden sind. Es schien etwas scharf, an der Wahl nicht theilnehmen zu können wegen einfachem Falliment, ohne, Betrug und vielleicht auch ohne Schuld. Der alte diesfällige Paragraph schloß nur diejenigen Fallirten vom Wahlrechte aus, welche der betreffende Richter als diesfällig schuldbar erklärt hatte. Es ist demnach der neue Artikel restriktiver als der alte und beeinträchtigt demnach gewissermaßen die neuenburgischen Wähler in ihrem verfassungsmäßigen Rechte.

Ich wollte diesen Umstand nur hervorheben, bin aber keineswegs beauftragt, ihn des nähern zu betonen und auf ihn ein besonderes Gewicht zu legen.

Mehr Anstand fand der § 4 in der Mitte Ihrer Commission.

Dieser § heißt: ausgeschlossen die Steuerpflichtigen, welche mit der Bezahlung der Staatssteuern mehr als ein Jahr, außer dem laufenden, im Rükstande sind. Es schien besonders einigen Mitgliedern Ihres Ausschusses, eine derartige Bestimmung könne kaum der Gegenstand eines dießfälligen Artikels einer Verfassung bilden und sei geradezu antiliberaler Natur und den modernen Begriffen über Wahlrecht oder Berechtigung zur Wahl zuwiderlaufend. Eine derartige Verfügung befremdete um so mehr einige Mitglieder Ihrer Commission, als sie von einem Kantone ausgeht, welcher sich vielleicht mit Recht unter die ersten Kämpen des heutigen Liberalismus zählt und mit ziemlicher Genugthuung das" Bewußtsein hat, in den ersten Reihen der schweizerischen Fortschrittspartei zu stehen.

Und fürwahr, wie kann es auch einem Fortschrittsmanne einfallen, seinen Mitbürger von der gemeinschaftlichen Theilnahme an einer Wahl auszuschließen, welcher dem Fiskus eine volle Jahressteuer nicht entrichtet hat ? Daß der Staat gegen diesen im Rükstande befindlichen Bürger auf gerichtlichem Wege einschreite und denselben durch alle ihm zu Gebot stehenden Mittel zur Zahlung der rükständigen Steuer anhalte, versteht sich und begreift man; daß aber derselbe Bürger,
bloß weil er über ein Jahr dem Cäsar nicht gegeben, was ihm gebührte, vielleicht weil er es nicht konnte, deswegen eines verfassungsmäßigen Rechtes beraubt werde, ist, schwer aufzufassen.

Der neuenburgische Gesezgeber scheint dem Wähler zu sagen : ,,Zahle und dann erst wähle." Das Wahlrecht, das dein Bürger

316 von Rechts wegen zukömmt, wird demnach rechtswidrig der Zahlung einer Summe untergeordnet und von der Abtragung der Steuer abhängig gemacht.

Eine derartige Verfügung besteht meines Wissens in puncto Wahlrechte und deren Fixirung in andern Schweizerverfassungen nicht. Dieselben stellen den Staat als dießfälligen Gläubiger den übrigen Gläubigern gleich, und überlassen es ihm, durch seine Einzieher die nöthigen Schritte thun zu lassen, um bezahlt zu werden, berauben aber deßwegen den Bürger seines Wahlrechtes nicht.

Dessen ungeachtet glaubte Ihr Ausschuß nicht, die förmliche Ausmerzung des rekliminirten § verlangen zu sollen und zwar aus folgenden zwei Gründen : 1) weil die gleiche Verfügung schon im alten Artikel 33 der neuenburgischen Verfassung vom Jahr 1858 enthalten ist, welcher Verfassung seiner Zeit die bundesräthliche Genehmigung ertheilt worden, welche somit bezüglich des bestrittenen § zu Rechten besteht und als Antecedenz füglich kann angerufen werden. Der alte § ist sogar noch weitläufiger abgefaßt, indem es dort ohne anders heißt : die Steuerpflichtigen, welche dem Staate die schuldige Steuer nicht entrichten.

2) Weil man nicht mit Grund behaupten kann, daß eine derartige Verfügung der bestehenden Bundesverfassung formell oder virtuell zuwiderlaufe. Es besteht unseres Wissens kein Artikel in der Bundesverfassung, der das Gegentheil verfügt.

Da aber unsere heutige Aufgabe hauptsächlich darin besteht, zu prüfen, ob die gut zu heißenden Artikel in allfälligem Widerspruche seien mit der bestehenden Bundesverfassung, und da dieses mit Fug und Recht nicht kann behauptet werden, so liegt es auf der Hand, daß die nachgesuchte Gutheißung, so wie sie verlangt wird, nicht kann verweigert werden, resp. daß der beanstandete §, wenn auch etwas auffallend, mit dem übrigen muß angenommen und zugegeben werden.

Zufolge dessen beantragt Ihnen Ihr Ausschuß, den vorgeschlagenen Bundesbeschluß anzunehmen und den 2 neuen Artikeln der Verfassung von Neuenburg die eidgen. Gewährleistung zu ertheilen.*) B e r n , den 23. Januar 1874.

Namens der ständeräthlichen Commission, deren Referent :

Graven.

*) Angenommen: Ständerath 23-, Nationalrath 27. Januar 1874.

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Bericht des

Schweiz. Konsuls in Bordeaux (Hrn. Paul Mestrezat von Genf) über das Jahr 1873.

(Vom 5. Februar 1874.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Aufeinander folgende Nachtfröste zu Ende April und namentlich in der Nacht vom 27. zum 28. haben gewisse Erträge von Früchten und kleinen Kulturen, welche unserem flachen Lande Wohlstand bringen, vollständig vernichtet. Auch die Rebe, welche stark mitgenommen war, hat nur ungefähr den dritten Theil ihres gewöhnlichen Ertrages gebracht. Das Resultat des Getreidebaues hat einen Ausfall von 20°/o nachgewiesen und nur die Heuerndte hat einen verhältnismäßig guten Ertrag geliefert.

Aus diesen Umständen folgt, daß, während die Einnahmen geringer gewesen, der Preis von vielen Nahrungsmitteln gestiegen ist.

Betreffend den Wein, welcher das Haupterzeugniss unserer Gegend ist, so haben wir für ihn eine Hausse von 40°/o zu konstatiren und fast doppelt so hohe Preise als früher; unglücklicherweise läßt sich auch nachweisen, daß der Konsument vor solchen Preisen zurückschreckt und in Folge dessen der Umsatz geringer wird-

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Bericht der ständeräthlichen Kommission betreffend Gewährleistung eines Dekretes des Verfassungsrathes des Kantons Neuenburg. (Vom 23. Januar 1874.)

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21.02.1874

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