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24.406 Parlamentarische Initiative «Unternehmerinnen und Unternehmer, welche Beiträge an die Arbeitslosenversicherung bezahlen, sollen auch gegen Arbeitslosigkeit versichert sein» Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 22. Februar 2024

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf einer Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes1 (Arbeitslosenversicherung für Arbeitnehmende in arbeitgeberähnlicher Stellung).

Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

22. Februar 2024

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Barbara Gysi

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2024-0765

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Übersicht Mit dieser Vorlage wird die parlamentarische Initiative Silberschmidt 20. 406 «Unternehmerinnen und Unternehmer, welche Beiträge an die Arbeitslosenversicherung bezahlen, sollen auch gegen Arbeitslosigkeit versichert sein» umgesetzt.

Die Kommission für Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) schlägt eine Anpassung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) vor, welche einen rascheren Zugang zu Arbeitslosenentschädigung für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitenden Ehegattinnen und ­gatten ermöglicht, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind.

Ausgangslage Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) ist der Ansicht, dass Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sowie mitarbeitende Ehegatten heute bei Arbeitslosigkeit zu wenig abgesichert sind. Gemäss aktueller Gesetzeslage (Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung) sind diese Personen als Unselbstständige in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig und haben damit im Falle von Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung.

Aktuell wird dieser Anspruch erst gewährt, wenn die arbeitgeberähnliche Stellung definitiv aufgegeben ist und sich die betroffene Person dem Arbeitsmarkt vollumfänglich zur Verfügung stellt.

Inhalt der Vorlage Mit dem vorliegenden Entwurf unterbreitet die SGK-N zwei Varianten zur besseren Absicherung von Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitenden Ehegattinnen und -gatten gegen Arbeitslosigkeit. Die Mehrheitsvariante sieht vor, dass diese Personen, welche mindestens zwei Jahre in einem Betrieb gearbeitet haben und ihre Arbeit verlieren, unter gewissen Voraussetzungen, ähnlich zu anderen Arbeitnehmenden, Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erhalten. Sie regelt auch die Taggeldhöhe, die Wartefristen und Rückzahlungsvoraussetzungen. Eine Minderheit schlägt hingegen in ihrer Variante vor, diese Arbeitnehmenden in arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitende Ehegattinnen und -gatten ganz von der Beitragspflicht an die Arbeitslosenversicherung auszunehmen.

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Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Entstehungsgeschichte

Am 12. März 2020 reichte Nationalrat Andri Silberschmidt die parlamentarische Initiative «Unternehmerinnen und Unternehmer, welche Beiträge an die Arbeitslosenversicherung bezahlen, sollen auch gegen Arbeitslosigkeit versichert sein» ein. Sie verlangt, das Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsgesetz, AVIG)2 dahingehend anzupassen, dass Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung, welche Beiträge an die Arbeitslosenversicherung (ALV) bezahlen, analog zu anderen Angestellten Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (ALE)erhalten.

Der Urheber stört sich an der Tatsache, dass gewisse Arbeitnehmende ­ konkret Personen, welche die Entscheidungen des Arbeitgebers als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums bestimmen oder massgeblich beeinflussen können ­ trotz Beiträgen an die ALV im Falle einer Arbeitslosigkeit keinen sofortigen Anspruch auf Entschädigung haben. Dies sei ungerecht und widerspreche dem Versicherungsprinzip, gemäss welchem Beitragszahlende auch Anspruch auf Leistungen hätten.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) gab der parlamentarischen Initiative am 5. Mai 2020 mit 18 zu 7 Stimmen Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) stimmte diesem Entscheid am 31. August 2021 mit 7 zu 5 Stimmen zu. Gestützt auf Artikel 112 Absatz 1 Parlamentsgesetz3 zog die Kommission für die weiteren Arbeiten Fachleute des Staatssekretariates für Wirtschaft für Rechts- und Sachauskünfte bei.

An ihrer Sitzung vom 18. August 2022 beriet die SGK-N die Eckwerte der Vorlage basierend auf Vorarbeiten der Fachleute des Staatssekretariates für Wirtschaft. Dabei beschloss die Kommission unter anderem, dass Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, nicht aber auf Kurzarbeitsentschädigung (KAE) erhalten sollen. Mögliche Missbräuche sollen soweit möglich ex-ante gesetzlich antizipiert werden.

Mit 16 zu 7 Stimmer trat die SGK-N an ihrer Sitzung vom 13. Januar 2023 auf den Vorentwurf ein, den die Verwaltung basierend auf den Beschlüssen vom 18. August 2022 erarbeitet hatte. Sie beschloss, zwei mögliche Umsetzungsvarianten weiterzuverfolgen
und gab den Fachleuten des Staatssekretariates für Wirtschaft entsprechende Formulierungen in Auftrag. Konkret beschloss die Kommission neben einer Ausweitung des Anspruchs auch eine Variante zu prüfen, bei der Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung von Beiträgen an die ALV befreit würden.

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AVIG; SR 837.0 ParlG; SR 171.10

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Am 27. April 2023 bekräftigte die Kommission ihre Unterstützung für die Vorlage erneut. Sie setzte die Detailberatung fort und gab der Verwaltung zusätzliche Formulierungen in Auftrag.

An ihrer Sitzung vom 3. Juli 2023 entschied die Kommission mit 18 zu 7 Stimmen, die Mehrheitsvariante «Arbeitslosenentschädigung für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung» zu unterstützen. Eine Minderheit beantragt hingegen, die Variante «Beitragspflicht nur für bezugsberechtigte Personen» weiterzuverfolgen. Mit 18 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung beschloss die SGK-N anschliessend, den Vorentwurf mit Mehr- und Minderheitsvariante zusammen mit dem erläuternden Bericht zur Vernehmlassung zu unterbreiten. Die Vernehmlassung dauerte vom 18. August bis zum 24. November 2023.

Am 22. Februar 2024 nahm die Kommission die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis. Als Reaktion auf die eingegangenen Stellungnahmen beschloss sie mit 13 zu 12 Stimmen, die Mehrheitsvariante um eine Bestimmung zu ergänzen, welche für Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen gewisse Ausnahmen vorsieht. Zudem beschloss die Kommission einstimmig, eine Evaluationsklausel in die Vorlage aufzunehmen. Ebenfalls mit 13 zu 12 Stimmen hält die SGKN an der Mehrheitsvariante aus der Vernehmlassung fest und zieht diese der Variante «Beitragspflicht nur für bezugsberechtigte Personen» vor. Mit 13 zu 12 Stimmen hat die Kommission ihren Entwurf schliesslich zuhanden des Rates verabschiedet und unterbreitet ihn gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme.

1.2

Aktuelle Gesetzeslage

Das Sozialversicherungssystem basiert in der Schweiz auf dem Solidaritätsprinzip. So werden die einzelnen Sozialversicherungen vorab durch die Beiträge der versicherten Personen finanziert, wobei in der Regel eine Beitragspflicht besteht. Eine Anspruchsberechtigung zu einer Sozialversicherungsleistung besteht nicht a priori, sondern dann, wenn die für den jeweiligen Sozialversicherungszweig geltenden gesetzlichen Voraus-setzungen erfüllt werden. Vorliegend bedeutet dies, dass auch versicherte Personen, die keine arbeitgeberähnliche Stellung innehaben, nicht zwingend anspruchsberechtigt sein müssen (obwohl sie die Beitragspflicht zu erfüllen haben).

Mit der KAE bietet die ALV den Arbeitgebern in konjunkturell schwierigen Zeiten eine Alternative zu Entlassungen. Die Bestimmungen zur KAE sind in Artikel 31 ff.

des AVIG geregelt. Der Bezug von KAE soll einen vorübergehenden Beschäftigungsrückgang ausgleichen und so dazu beitragen, Arbeitsplätze zu erhalten. Arbeitnehmende bleiben weiterhin angestellt, während der Arbeitgeber die Kosten der Personalfluktuation (Einarbeitungskosten, Verlust von betrieblichem Knowhow usw.) einspart und die Arbeitskräfte jederzeit auch kurzfristig wiedereinsetzen kann. Anspruch auf KAE haben Arbeitnehmende, deren normale Arbeitszeit aus wirtschaftlichen Gründen verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt wird.

Gemäss AVIG sind Personen per Gesetz von KAE ausgeschlossen, wenn sie Arbeitgeber sind, eine leitende Stellung innehaben oder durch Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit einer solchen Person verbunden und in deren Unternehmen angestellt

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sind (Art. 31 Abs. 1 und 3 Bst. b und c AVIG)4. Dies weil der Arbeitsausfall schwer bestimmbar und vor allem selbstbestimmt ist (massgebende Entscheidbefugnisse).

Zweck dieses Ausschlussgrunds ist die Missbrauchsverhinderung: Weil solche Personen einen grossen Einfluss auf den Geschäftsgang und die Entscheidungen, namentlich über die Einführung von Kurzarbeit oder über Kündigungen haben, besteht ein inhärentes Missbrauchspotenzial, dem durch ihren Ausschluss begegnet werden soll (vgl. BGE 123 V 234, E.7b). Die erwähnte leitende Stellung deckt sich nicht mit dem Begriff der leitenden Angestellten oder Geschäftsleitung, sondern erfasst Personen, die massgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers haben. Daher wurde in der Praxis und in der Lehre dafür die Bezeichnung der arbeitgeberähnlichen Stellung geprägt. Eine solche Stellung besteht gemäss Gesetz, wenn eine Person Gesellschafterin oder Gesellschafter des Betriebes ist, eine massgebliche finanzielle Beteiligung besitzt oder an der Betriebsleitung teilhat und deshalb die Entscheide des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen kann (Art. 31 Abs. 3 Bst. c AVIG; vgl. BGE 123 V 234, E. 7a) Per Analogie hat das Bundesgericht (BGer) in seiner Rechtsprechung diesen Ausschluss auch auf die ALE angewendet, weil Personen, die gemäss Artikel 10 AVIG als arbeitslos gelten, ihre arbeitgeberähnliche (AG-ähnliche) Stellung allerdings nicht aufgegeben haben, sich wiedereinstellen bzw. den Betrieb wieder «reaktivieren» können. Ein Betrieb, der nicht rentabel ist, wird in der Regel verkauft oder liquidiert, wodurch die AG-ähnliche Stellung erlischt. Wird der Betrieb hingegen weder verkauft noch liquidiert, und die Person in AG-ähnlicher Stellung stellt sich selbst später wieder in diesem Betrieb ein, dann würde die ALE lediglich einen vorübergehenden Arbeitsausfall entschädigen, was eine Umgehung der KAE-Bestimmungen (Ausschluss AN in AG-ähnlicher Stellung jeglichen Anspruchs) bedeuten würde.

Mit der aktuellen Gesetzeslage sind AN in AG-ähnlicher Stellung zur ALE anspruchsberechtigt, sobald sie die AG-ähnliche Stellung definitiv aufgeben, sofern alle weiteren Anspruchsvoraussetzungen nach Artikel 8 AVIG (wie bspw. die Beitragszeit) erfüllt sind. Konkret haben sie bereits heute in den nachfolgend geschilderten Konstellationen Anspruch auf ALE:

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­

Nach 6 Monaten Anstellung in einem Drittbetrieb (ohne AG-ähnliche Stellung in diesem Betrieb).

­

Wenn die Liquidation abgeschlossen (und somit eine Reaktivierung des Betriebs ausgeschlossen), aber die Firma noch nicht gelöscht ist.

­

Wenn die betroffene Person als Verwaltungsrätin bzw. Verwaltungsrat demissioniert hat und die eigenständig vorgenommene Mitteilung als Beweis Diese Bestimmungen schliessen zum einen den mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers aus (Bst. b), und zum anderen den mitarbeitenden Ehegatten der Person, die die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen (Bst. c).

Buchstabe b. bezieht sich auf den Fall einer Person, die durch Heirat oder eingetragene Partnerschaft mit einer Person verbunden ist, die den Status eines Selbstständigen im Sinne der Gesetzgebung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung hat, z.B. ein Inhaber einer Einzelfirma. Buchstabe c. hingegen bezieht sich auf den Fall einer Person, die durch Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit einem Arbeitnehmer in leitender Position einer Kapitalgesellschaft (juristische Person) verbunden ist. Diese Unterscheidung findet sich an mehreren Stellen im Bericht und gilt für den gesamten Bericht.

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dem Handelsregisteramt (HReg) vorliegt. Ein Eintrag in das Tagebuch des HReg oder ein notariell beglaubigter Auszug aus dem Protokoll der entsprechenden Verwaltungsratssitzung mit Mandatsniederlegung genügt. Es ist nicht notwendig, auf die Löschung im HReg zu warten.

­

Wenn die Stellung als AG-ähnliche Person definitiv aufgegeben wurde, z. B.

durch Verkauf des Betriebs oder Übertragung der Beteiligung.

­

Wenn der Betrieb Konkurs geht, ohne dass die Person als Liquidatorin bzw.

Liquidator eingesetzt ist.

1.3

Handlungsbedarf und Ziele

Die SGK-N und die SGK-S haben der parlamentarischen Initiative Folge gegeben.

Sie erachten als wichtig, dass Arbeitnehmer in einer arbeitgeberähnlichen Stellung sowie mitarbeitende Ehegatten rascher Zugang zu den Leistungen der ALV bekommen, wenn sie Beiträge an die ALV zahlen.

1.4

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Die SGK-N schlägt vor, dass sich die Umsetzung der parlamentarischen Initiative auf ALE für Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitende Ehegatten beschränkt und dabei die Voraussetzungen für den Zugang angepasst werden sollen.

Mit der Vorlage beabsichtigt die Mehrheit der Kommission einen rascheren Zugang zur ALE für Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitende Ehegatten. Gleichzeitig soll das inhärente Missbrauchsrisiko möglichst minimiert werden.

Alternativ sollen Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitende Ehegatten von der Beitragspflicht befreit werden.

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Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Die in die Vernehmlassung gegebene Vorlage beinhaltete eine Mehr- und eine Minderheitsvariante, wobei erstere durch zwei Minderheitsanträge (Aeschi Thomas und Meyer Mattea) ergänzt wurde. Die Vernehmlassung dauerte vom 18. August bis zum 24. November 2023. Insgesamt wurden 61 Behörden und Organisationen angeschrieben, um an der Vernehmlassung teilzunehmen. Innert der gesetzten Frist sind 58 Stellungnahmen eingegangen.

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2.2

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Während die politischen Parteien, Organisationen und Verbände die Vorlage mehrheitlich begrüssen, wird diese seitens Kantone mit einzelnen Ausnahmen klar abgelehnt. Grundsätzlich wird das Anliegen der Vorlage, arbeitslosen Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sowie mitarbeitenden Ehegatten rascheren Zugang zu ALE zu ermöglichen, begrüsst. Ob die vorgeschlagenen Massnahmen zur Missbrauchsbekämpfung sowie die verschiedenen Anträge der Minderheiten zielführend sind, wird unterschiedlich beurteilt. Die Kantone äussern Bedenken hinsichtlich der tatsächlichen Umsetzung im Vollzug, insbesondere was den Prüfaufwand der ALK betrifft und sind der Auffassung, dass mit der aktuellen Regelung die besondere Situation dieser Zielgruppe bereits genügend Rechnung getragen wird.

Bezüglich der Varianten sind sich alle Teilnehmenden bis auf eine Partei einig, dass sie im Falle einer Umsetzung der Vorlage die Mehrheitsvariante präferieren.

Nachfolgend sind die Stellungnahmen zu den beiden Varianten und ergänzenden Minderheiten kurz erläutert. Für detaillierte Ausführungen und Eingaben formeller Natur wird auf den «Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens»5 und auf die publizierten Stellungnahmen6 verwiesen.

2.3

Mehrheitsvariante

Während mit 22 Kantonen deren grosse Mehrheit die vorliegende Neuregelung und damit auch die Mehrheitsvariante ablehnen, wird diese von drei Kantonen unterstützt.

Letztere allerdings mit verschiedenen, teilweise weitreichenden, Änderungsanträgen.

Ein Kanton unterstützt die Umsetzung der Mehrheitsvariante in der vorliegenden Form.

Drei der vier Parteien, welche eine Stellungnahme eingereicht haben, unterstützen die Mehrheitsvarianten. Von den 26 weiteren Teilnehmenden, sprechen sich 21 für diese aus, dabei sehen fünf Teilnehmende weiteren Anpassungsbedarf. Fünf weitere Organisationen und Verbände äussern sich ablehnend. Entsprechend den Kantonen ziehen sie den Status Quo der vorgeschlagenen Neuregelung vor.

2.3.1

Minderheit (Aeschi Thomas)

Die Minderheit Aeschi Thomas zur Mehrheitsvariante wird mehrheitlich abgelehnt, da die zusätzliche Voraussetzung als zu strikt erachtet werden. In einigen Stellungnahmen werden gewisse Voraussetzungen der Minderheit befürwortet, einzig eine Partei spricht sich für deren vollumfängliche Umsetzung aus.

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www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > Parl.

www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > Parl.

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Liquidation Die Voraussetzung der abgeschossenen Liquidation wird von ablehnenden Teilnehmenden als zu restriktiv beurteilt.

Finanzielle Beteiligung am Betrieb Neben der befürwortenden Partei gibt es einen Kanton, welcher diese Voraussetzung begrüsst. Die Ablehnung wird seitens der weiteren Teilnehmenden unter anderem mit der Problematik der massgebenden Einflussnahme bei Firmenkonglomeraten begründet.

Ausschluss der Mitglieder der Gesellschafterversammlung einer GmbH Einzelne Teilnehmende befürworten den Ausschluss der Mitglieder der Gesellschafterversammlung einer GmbH und verweisen dabei auf die gesetzliche Gleichstellung mit jenen des Verwaltungsrates einer AG.

Ausschluss der mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers Der Ausschluss der mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers wird einzig seitens der Befürworter der gesamten Minderheit unterstützt.

Wartefrist Die Voraussetzung der Wartefrist von 120 Tagen wird von einigen wenigen Teilnehmenden begrüsst, diese diene zur Reduktion des Missbrauchspotenzials.

Taggeldhöhe Zwei Teilnehmende unterstützen die Voraussetzung der Taggeldhöhe von 50% des versicherten Verdienstes gemäss Minderheit.

Zahlreiche Kantone sowie weitere Teilnehmende lehnen die Reduktion der Taggeldhöhe bereits als Voraussetzung im Rahmen der Mehrheitsvariante ab, entsprechend beurteilen sie auch diese noch weitergehende Einschränkung der Leistungen als ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber anderen versicherten Personen.

2.3.2

Minderheit (Meyer Mattea)

Auch diese Minderheit wird von einem Grossteil der Teilnehmenden abgelehnt, einzig zwei Parteien und ein weiterer Teilnehmer befürworten deren Umsetzung ohne Vorbehalte.

Abzug von Gewinnen aus finanziellen Beteiligungen Mehrere Kantone sowie weitere Teilnehmende lehnen die Minderheit ab, wobei generell in Frage gestellt wird, ob die Regelung effektiv anwendbar wäre. Angesprochen wird auch der unverhältnismässig hohe Verwaltungsaufwand, welcher durch die Umsetzung dieser Minderheit entstehen würde.

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Rückerstattungspflicht bezogener Gewinne Die Bedingung wird unter anderem aufgrund des unverhältnismässigen Verwaltungsaufwand und der schwierigen Kontrolle abgelehnt.

Die unterstützenden Teilnehmenden bevorzugen die Minderheit um zu verhindern, dass Personen gleichzeitig Arbeitslosenentschädigung und Gewinne aus finanziellen Beteiligungen am Betrieb beziehen würden.

2.4

Minderheitsvariante (Aeschi Thomas)

Sämtliche Kantone sowie die überwiegende Mehrheit der weiteren Teilnehmenden lehnen die Minderheitsvariante ab. Einzig eine Partei befürwortet die Minderheitsvariante vollumfänglich, ein weiterer Teilnehmender unter Vorbehalten.

Die Gründe für die sehr deutliche Ablehnung sind vielseitig. Mehrere Teilnehmende seitens Kantone wie auch der weiteren Organisationen und Verbänden weisen darauf hin, dass damit auch jene betroffenen Personen den Versicherungsschutz verlieren, deren Anspruch auf Leistungen der ALV gemäss Satus Quo nach Aufgabe der arbeitgeberähnlichen Stellung von der ALV gegeben ist. Weiter wird auf die Schwierigkeit in der Bestimmung der Gruppe von Personen, welche nicht mehr beitragspflichtig seien, hingewiesen, insbesondere da sich der Status im Laufe der Zeit verändern kann.

Aus diesen Gründen steige mit dieser Variante die Unsicherheit und auch das Missbrauchspotenzial. Zudem werde der ALV wichtige Mittel entzogen, wenn ein wachsender Teil der Erwerbsbevölkerung keine Beiträge mehr leisten würden.

2.5

Stellungnahme der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung

Die Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung (AK ALV) überwacht gemäss Artikel 89 AVIG Stand und Entwicklung des Fonds und prüft Jahresrechnung und Jahresbericht zuhanden des Bundesrates. Sie berät den Bundesrat in allen finanziellen Fragen der Versicherung und in Rechtssetzungsfragen und kann ihm diesbezüglich auch Anträge stellen. Sie entscheidet über Beiträge für die Arbeitsmarktforschung, ist befugt, zuhanden der Ausgleichsstelle allgemeine Richtlinien für die Durchführung arbeitsmarktlicher Massnahmen zu erlassen, und hat bezüglich der Verwaltungskosten der ALK und der Kantone sowie der Ausgleichsstelle eine Budget- und Rechnungskompetenz. Die Kommission setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, der Kantone, des Bundes und der Wissenschaft zusammen.

Sieben der in der AK ALV vertretenen Verbände haben im Rahmen der Vernehmlassung Stellung genommen. Die Kommission sieht vor, dem Bundesrat ihre Einschätzung zur Vorlage zu unterbreiten, sobald dieser seitens SGK-N zur Stellungnahme eingeladen worden ist.

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2.6

Würdigung der Ergebnisse der Vernehmlassung

Die SGK-N hält an ihrem Entwurf fest. Dieser wird von 28 Teilnehmenden unterstützt und ist nach Ansicht der Kommissionsmehrheit die einfachste Option um Arbeitnehmende in einer arbeitgeberähnlichen Stellung sowie mitarbeitende Ehegatten im Falle von Arbeitslosigkeit zu unterstützen.

Aufgrund von verschiedenen von Teilnehmenden geäusserten Vorbehalte zur Voraussetzung, mindestens zwei Jahre im Betrieb gearbeitet haben zu müssen (Art. 8 Abs. 3 lit. c), hat die Kommission beschlossen, Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen von dieser Bestimmung sowie der Rückzahlungspflicht (Art. 95 Abs. 1quater) auszunehmen. Zudem ergänzt die SGK-N den Entwurf mit einer Übergangsbestimmung, wonach der Bundesrat fünf Jahre nach der Inkraftsetzung der neuen Regelung über deren Umsetzung und Wirksamkeit Bericht erstatten, und gegebenenfalls Gesetzes- und Verordnungsanpassungen unterbreiten soll.

Verschiedene Minderheiten beantragen, den Entwurf anzupassen, respektive einer anderen Umsetzungsvariante den Vorzug zu geben. Sie halten ebenfalls an ihren Anträgen aus dem Vernehmlassungsentwurf der Kommission fest.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die materiellen Änderungen dieser Vorlage betreffen die Anspruchsvoraussetzungen zur ALE. Das Sozialversicherungsrecht der EU sieht keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Jeder Staat im Raum der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) hat eigene Regelungen und Systeme, die in länderspezifischen Kontexten stehen. Die Mitgliedstaaten können dabei selbst über die Anspruchsvoraussetzungen ihrer Sozialversicherungssysteme bestimmen. Aufgrund der komplexen Natur des Arbeitsmarkts- und Sozialversicherungsrechts einschliesslich der spezifischen Definition von «arbeitgeberähnlichen Personen» in der Schweiz ist ein Rechtsvergleich der im Rahmen der Parlamentarischen Initiative 20.406 vorgeschlagenen AVIG-Anpassungen mit den Regelungen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums vorliegend nicht zielführend.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

Der SGK-N ist es wichtig, dass Arbeitnehmer in einer arbeitgeberähnlichen Stellung einen schnelleren Zugang zur ALE bekommen können, dabei soll die Missbrauchsgefahr verringert werden (Mehrheitsvariante). Alternativ sollen sie von der Beitragspflicht befreit werden (Minderheitsvariante).

Die Mehrheitsvariante zielt darauf ab den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, trotz Beibehalt der arbeitgeberähnlichen Stellung, zu öffnen. Um das Missbrauchsrisiko zu reduzieren, sind verschiedene Voraussetzungen vorgesehen, welche im Ge10 / 26

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setzesentwurf aufgeführt sind. Eine der beiden Minderheiten zu dieser Variante sieht weitergehende Voraussetzungen zur Minderung des Missbrauchsrisikos vor. Das Missbrauchsrisiko tangiert im Gegensatz zur Minderheitsvariante die Leistungen der ALV und nicht die Beitragspflicht der versicherten Personen (siehe Kapitel 4).

Die Mehrheitsvariante erfordert, dass die Person keine Erwerbstätigkeit mehr in dem Betrieb ausübt, in welcher sie eine arbeitgeberähnliche Stellung innehat. Diese Person muss demnach in diesem Betrieb ganz arbeitslos sein. Auch muss sie gemäss Kommissionsmehrheit mindestens zwei Jahre in diesem Betrieb gearbeitet haben, wobei Personen in häufig wechselnden oder befristeten Anstellungsverhältnissen von dieser Voraussetzung ausgenommen sind. Ebenso ist ein Wiedereinstieg in diesen Betrieb grundsätzlich während fünf Jahren (Rahmenfrist für den Bezug von ALE plus zusätzlich drei Jahre) untersagt, wobei gemäss Kommissionsmehrheit auch hier Personen in häufig wechselnden oder befristeten Anstellungsverhältnissen ausgenommen sind.

Zudem dürfen die Personen keine Stellung als Verwaltungsrat oder Verwaltungsrätin innehaben. Vorgesehen ist auch eine massgebliche Wartefrist von 20 Tagen (im Minderheitsantrag von 120 Tagen, analog der Rechtsprechung des Bundesgerichts: hat die Person 6 Monate im Drittbetrieb gearbeitet, entfällt die Kausalität des Stellenverlustes in AG-ähnlicher Stellung; vgl. EVG C 171/03 vom 31.3.2004). Diese Voraussetzungen sind notwendig, um die Gefahr eines Missbrauchs zu reduzieren sowie um die Vermittlungsfähigkeit faktisch zu überprüfen. Zusätzlich ist vorgesehen, dass die Taggeldhöhe reduziert wird im Sinne einer Leistungseinschränkung (70 Prozent des versicherten Verdienstes bzw. 50% versicherten Verdienstes im Antrag der Minderheit).

Als Ergänzung zur Mehrheitsvariante schlägt eine weitere Minderheit vor, dass Gewinne aus finanziellen Beteiligungen am Unternehmen, welche an Personen nach Artikel 8 Absatz 3 ausbezahlt werden, von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen werden. Dies, damit diese Personen nicht gleichzeitig Arbeitslosenentschädigung und Gewinne aus finanziellen Beteiligungen beziehen können.

In ihrer Minderheitsversion soll die Mehrheitsvariante anhand der zusätzlichen Bedingungen der Liquidation, des ex lege-Ausschlusses von Gesellschaftern,
der maximalen Kapitalbeteiligung von 5% und des Ausschlusses der mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers, das Missbrauchsrisiko weiter verringern.

Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen soll ein Anspruch auf ALE bestehen. Gleichzeitig ­ und im Sinne des Zweckes der ALV ­ sollen die betroffenen Personen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden, weshalb das Erfordernis der Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 Bst. f AVIG) eine zentrale Bedeutung einnimmt.

Gemäss Artikel 15 Absatz 1 AVIG ist die stellensuchende versicherte Person vermittlungsfähig, wenn sie bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen (sog. arbeitsmarktlichen Massnahmen, AMM) teilzunehmen. Die Zuweisung zu AMM würde vorliegend ausserdem nicht nur dazu dienen, die Vermittlungsfähigkeit zu verbessern und die beruflichen Qualifikationen entsprechend den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts zu fördern, sondern würde ebenfalls dazu beitragen, das Missbrauchsrisiko zu reduzieren (wer an einer AMM teilnehmen muss, hat keine Zeit für den Wiedereinstieg in den ehemaligen Betrieb oder kann sich nicht mit der Liquidation beschäftigen).

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Diese Grundzüge gelten auch für die mitarbeitenden Ehegatten von Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung und grundsätzlich auch für den mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers.

Hinsichtlich des Missbrauchs von ALE bleibt schliesslich zu erwähnen, dass die Strafbestimmungen von Artikel 105 AVIG bzw. Artikel 148a StGB (Versicherungsbetrug), wonach mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise für sich oder eine andere Versicherungsleistung zu Unrecht erwirkt, auch vorliegend ihre volle Anwendbarkeit behalten.

Mit der Minderheitsvariante werden Mitarbeitende mit einer finanziellen Beteiligung von mehr als fünf Prozent im Betrieb, mitarbeitende Verwaltungsrätinnen/Verwaltungsräte bei einer AG, Gesellschafterinnen/Gesellschafter bei einer GmbH sowie Mitarbeitende, welche die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, von der Beitragspflicht befreit. Gleichzeitig sind sie vom Anspruch auf die Leistungen der ALV ausgeschlossen. Dasselbe gilt für die mitarbeitenden Ehegatten dieser Personen sowie für die mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber ist im Sinne der AHV-Gesetzgebung selbständig erwerbend.

Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung gelten AHV-rechtlich als Arbeitnehmende.

Es ist Aufgabe des Arbeitgebers, die Beiträge für seine Arbeitnehmenden von deren Lohn abzuziehen und der AHV-Ausgleichskasse zu entrichten. Diese neue Sonderkategorie von Beitragsbefreiten würde zu neuen Aufgaben bzw. Herausforderungen führen für die AHV-Ausgleichskassen und die Arbeitslosenkassen und den Bezug der ALV-Beiträge verteuern. Dieser Aufwand wird den AHV-Ausgleichskassen aus dem ALV-Fonds entschädigt werden müssen.

Die AHV-Ausgleichskasse bestimmt die Höhe der definitiv geschuldeten Beiträge im Folgejahr, gestützt auf die vom Arbeitgeber gemeldeten Löhne. Wenn ein Teil der Arbeitnehmenden von der Bezahlung der ALV-Beiträge befreit wird, muss der Arbeitgeber bei der Meldung der Löhne zwischen den ALV-pflichtigen und den ALVbefreiten Löhnen unterscheiden.

Faktisch könnte der Arbeitgeber den Kreis der ALV-beitragspflichtigen Personen somit bis zu einem gewissen Mass selber bestimmen. Bei expliziter Anfrage muss die ALV im Einzelfall, gestützt auf die Auskunfts- und Aufklärungspflicht,
gemäss Art. 27 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)7 die Betriebe bei der Feststellung der arbeitgeberähnlichen Stellung zwingend unterstützen, beraten und korrigieren. In jeden Fall könnte die Ausgleichskasse die vom Arbeitgeber gemachte Ausscheidung nicht systematisch überprüfen und müsste diese ­ ausser bei offensichtlichen Fehlern ­ übernehmen. Die Angaben könnten meist erst mehrere Jahre später im Rahmen von Arbeitgeberkontrollen überprüft und bei Bedarf rückwirkend korrigiert werden.

Im Falle von «Falsch»-Deklarationen kann es zu zwei möglichen Konstellationen kommen:

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SR 830.1

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Eine versicherte Person entrichtet Beiträge, obwohl sie eine arbeitgeberähnliche Stellung innehat, womit sie nicht beitragspflichtig wäre. Dennoch hat sie keinen Anspruch auf ALE und wäre gemäss Art. 16 Abs. 3 AHVG i.V.m.

Art. 41 AHVV deshalb innert gewisser Fristen zu einer Rückforderung der Beiträge berechtigt.

­

E contrario könnte eine versicherte Person, welche keine Beiträge entrichtet hat (und es eigentlich hätte tun müssen) zum Leistungsanspruch berechtigt sein, und müsste ihre Beitragspflicht nachträglich erfüllen.

Des Weiteren sieht der Entwurf eine Übergangsbestimmung vor, wonach der Bundesrat fünf Jahre nach der Inkraftsetzung der neuen Regelung über deren Umsetzung und Wirksamkeit Bericht erstatten, und gegebenenfalls Gesetzes- und Verordnungsanpassungen unterbreiten soll.

4.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Die Änderung hat für den Bund keine direkten finanziellen oder aufgabenbezogenen Konsequenzen. Die Vorlage hat hingegen direkte Auswirkungen auf den Ausgleichsfonds der ALV (Mehr- und Minderheitsvariante) und auf die Ausgleichskassen (Minderheitsvariante).

Die Vorlage (Mehrheitsvariante) würde die jährlichen Ausgaben für die ALE um geschätzt 6,4 Prozent erhöhen. Die Minderheitsvariante würde die Erträge (Beiträge der Versicherte) der ALV um geschätzt 6,4 Prozent verringern. Detailliertere Ausführungen sind im Kapitel 6.1 erwähnt.

Die Vorlage (Mehr- und Minderheitsvariante) hat direkte finanzielle und personelle Auswirkungen auf die kantonalen Vollzugsorgane der Arbeitslosenversicherung, die im Kapitel 6.2 erläutert sind. Die Minderheitsvariante führt bei den AHVAusgleichskassen zu einem hohen, noch nicht bezifferbaren zusätzlichen Aufwand.

4.3

Umsetzungsfragen

Für die Umsetzung der ALV sind auf Bundesebene die Ausgleichsstelle des Fonds der ALV (geführt durch das SECO) und auf Kantonsebene die jeweiligen Amtsstellen zuständig.

Die Änderungen werden auf Bundesebene umgesetzt, da unter anderem die betroffenen Informationssysteme zentral für die Kantone zur Verfügung gestellt werden. Generell wird der kantonale Vollzug durch die Ausgleichsstelle begleitet, unterstützt und evaluiert. Die Ausgleichstelle als Aufsichtsbehörde sorgt für eine einheitliche Rechtsanwendung. Sie erteilt den Durchführungsstellen Weisungen.

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5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Mehrheitsvariante

Art. 8 Abs. 3 (ergänzt durch Antrag der Minderheit Aeschi Thomas) Die bestehende Umschreibung «Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten», entspricht Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG. Das Bundesgericht hat hier den Begriff «arbeitgeberähnliche Stellung» vor über 20 Jahren eingeführt, weil diese Personen nach AHVG den Status unselbständig haben. Diese Definition «arbeitgeberähnliche Stellung» ergibt sich damit aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts sowie der Praxis. Eine engere und präzisere Definition von «arbeitgeberähnliche Stellung» als die bestehende ist generell-abstrakt kaum genauer zu formulieren, da im Einzelfall stets die massgebende tatsächliche interne Entscheidbefugnis, wie sie im Geschäftsalltag «gelebt» wird, ausschlaggebend ist. Da sich die jeweiligen Konstellationen unterscheiden können, ist somit jeder konkrete Fall einzeln in Hinblick auf Einflussmöglichkeiten von der ALK zu prüfen.

Die Grundvoraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 AVIG müssen ohnehin erfüllt sein, damit der Leistungsanspruch unter den weiteren, neuen Voraussetzungen entstehen kann.

Die aktuell noch geltende Regelung sieht den Anspruch auf ALE für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung im Prinzip erst dann vor, wenn die Firma liquidiert wird und der Liquidationsprozess abgeschlossen ist. Der Anspruch dieser Personen auf Arbeitslosenentschädigung wird in solchen Fällen grundsätzlich jeweils bis zum Abschluss des Liquidationsverfahrens abgelehnt, weil eine Reaktivierung der Geschäftstätigkeit bis zum Abschluss des Handelsregisteraustrages während diesem Verfahren nicht auszuschliessen ist.

Mit der Mehrheitsvariante ist das Kriterium der Liquidation nicht mehr verlangt. Der Anspruch auf ALE kann bereits dann gewährt werden, wenn sich der Betrieb nicht in Liquidation befindet, der Person jedoch gekündigt wurde, bspw. aufgrund eines Strategiewechsels der Geschäftsführung.

Dahingegen wird das Kriterium der Liquidation mit dem Minderheitsantrag beibehalten. Der Zugang zur ALE ist jedoch nicht ausgeschlossen, sondern wird dann gewährt bzw. beschleunigt, wenn sich der Betrieb in Liquidation
befindet und sobald die arbeitgeberähnliche Stellung vermutungsweise aufgegeben wird. Als wesentliches Element zur Missbrauchsbekämpfung ex ante dient das Erfordernis der Liquidation dazu, jene Konstellationen zu verhindern, in welchen die betroffenen Personen gar nicht beabsichtigen sich fortan permanent dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, ihre arbeitgeberähnliche Stellung nicht aufgeben und sich nachträglich wiedereinstellen bzw. den Betrieb wieder «reaktivieren» können. Deswegen müssen diese Personen während der Liquidationstätigkeit weiterhin zwingend gemäss Art. 15 AVIG vermittlungsfähig sein ­ also bereit, berechtigt und in der Lage, eine Daueranstellung anzutreten.

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Die Umschreibung der «Eigenschaft als Gesellschafter» bezieht sich auf jene Gesellschaftsformen, welche nicht ex lege (vgl. Ausführungen zu Art. 8 Abs. 3 lit. c, untenstehend) vom Anspruch auf ALE ausgeschlossen werden. Darunter fallen bspw. die einfache Gesellschaft (Art. 530 OR), die Kollektivgesellschaft (Art. 552 OR) oder die Kommanditgesellschaft (Art. 594 OR). Der Gesellschafter der GmbH ist in der Auslegung dieses Begriffs mitenthalten.

Art. 8 Abs. 3 lit. a Die Beschränkung auf Ganzarbeitslosigkeit im eigenen Betrieb dient der grösstmöglichen Vermeidung einer Umgehung des Ausschlusses von Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung für KAE (Art. 31 Abs. 1 und 3 lit. c AVIG). Würde man auch Teilarbeitslosigkeit zulassen, dann bestünde ein Missbrauchsrisiko. Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung könnten sich nämlich im Falle eines vorübergehenden Arbeitsausfalls als teilarbeitslos anmelden und somit den Ausschluss für KAE umgehen. Dies betrifft nur den Teil an Arbeitszeit aus diesem Betrieb. Eine eventuelle weitere Teilzeitanstellung in einem finanziell unbeteiligten Drittbetrieb ist davon nicht betroffen.

Art. 8 Abs. 3 lit. abis (Antrag der Minderheit Aeschi Thomas) Im Rahmen der geltend gemachten Arbeitslosigkeit wird bei einer finanziellen Beteiligung von höchstens 5°Prozent als neu definierte Voraussetzung einem bestimmten Kreis von Personen ein Anspruch auf ALE gewährt. «Direkt» bedeutet die unmittelbare, persönliche finanzielle Beteiligung am Betrieb, und «indirekt» die Beteiligung durch Familienmitglieder oder durch eine andere Firma, an welcher dieselbe Person wiederum beteiligt ist (Firmen-Konglomerat). Eine Konkretisierung dieser beiden Begriffe ist auf Verordnungsstufe vorzunehmen.

Dies bedingt eine vollständige Offenlegung der tatsächlichen Kapitalverhältnisse, um eruieren zu können wer wie hoch effektiv am betreffenden Betrieb beteiligt ist. Zudem müssten auch die Beteiligungen der Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung an anderen Betrieben offengelegt werden, weil auch die Beteiligung via Firmenkonglomerat ausgeschlossen bleiben muss. Die massgebende Einflussmöglichkeit via Kapitalbeteiligung am ursprünglichen Betrieb via eine andere Firma, welche ebenfalls der betroffenen Person gehört, muss zwingend ausgeschlossen sein. Die Mitwirkungsund Auskunftspflicht umfasst
die Übermittlung sämtlicher erforderlicher Informationen, selbst dann, wenn diese Informationen Dritte betreffen. Werden diese notwendigen Informationen nicht geliefert, kann dies ohne weiteres zur Ablehnung des Leistungsanspruchs aufgrund der Unvollständigkeit der Akten und Unüberprüfbarkeit des Anspruchs führen.

Die Kapitalbeteiligung ist für die Beurteilung der arbeitgeberähnlichen Stellung nicht alleine massgebend, da es auf die tatsächlichen innerbetrieblichen Entscheidbefugnisse ankommt und Kapitalbeteiligungen relativ einfach verschoben werden können.

Die Entscheidbefugnisse können gleichzeitig jedoch sehr wohl bei den betreffenden Personen verbleiben (z.B. durch Übertragung der Beteiligung auf einen Strohmann, auf ein Familienmitglied).

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Art. 8 Abs. 3 lit. b Personen, welche Mitglieder im Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft und per Gesetz (Obligationenrecht) zwingend mit Entscheidungskompetenz versehen sind, sind vom Anspruch auf ALE ex lege ausgeschlossen.

Art. 8 Abs. 3 lit. b (Antrag der Minderheit Aeschi Thomas) Nach dem Willen des Gesetzgebers ergibt sich der erhebliche Einfluss eines Gesellschafters oder einer Gesellschafterin einer GmbH nach Schweizer Recht (mit oder ohne Führungsfunktion) bereits aus der Organisation der Gesellschaft an sich. Die Gesellschafter einer GmbH haben gemäss Art. 811 Abs. 1 OR grundsätzlich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich an der Geschäftsführung der Gesellschaft zu beteiligen. Dies wird von der ständigen Praxis der Rechtsprechung des Bundesgerichts bestätigt. In dieser Hinsicht nehmen die Gesellschafter gemeinsam eine Position ein, die mit der des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft vergleichbar ist.

Aus diesen Gründen sind Mandate wie Verwaltungsrätin/Verwaltungsrat bei der AG, Gesellschafterin/Gesellschafter bei der GmbH, welche per Gesetz (OR) zwingend mit Entscheidungskompetenz versehen sind, sind vom Anspruch auf ALE ex lege ausgeschlossen.

Art. 8 Abs. 3 lit. c Personen gemäss Art. 8 Abs. 3 E-AVIG müssen mindestens zwei Jahre im Betrieb gearbeitet haben.

Die Voraussetzung gilt nicht für Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen.

Arbeitnehmende in Berufen gemäss Art. 8 Abs. 1 AVIV wie Musiker, Schauspieler, Artist, künstlerische Mitarbeitende, Filmtechniker oder Journalist sind häufig in befristeten oder häufig wechselnden Arbeitsverhältnissen. Die Voraussetzung, zwei Jahre im Betrieb gearbeitet haben zu müssen, stellt für Personen in arbeitgeberähnliche Stellung in diesen Berufen eine grosse Hürde dar. Der Zugang zur ALE soll mit der vorliegenden Ausnahmeregelung auch diesen Personen erleichtert werden.

Art. 8 Abs. 3 lit. c (Antrag der Minderheit Gutjahr) Personen gemäss Art. 8 Abs. 3 E-AVIG müssen mindestens zwei Jahre im Betrieb gearbeitet haben, ohne Ausnahme.

Art. 8, Abs. 4 Mit diesem Entwurf soll einerseits der Zugang zur Arbeitslosenentschädigung für welche eine arbeitgeberähnliche Stellung innehaben sowie für ihre mitarbeitenden Ehegatten, und andererseits auch für die mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers, beschleunigt werden. Letztere haben auch einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung unter den Voraussetzungen von Abs. 3.

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Art. 8 Abs. 4 (Antrag der Minderheit Aeschi Thomas) Art. 8 Abs. 4 wurde aufgrund der Differenzierung zwischen den Ehegatten der Person in arbeitgeberähnlicher Stellung gemäss Art. 8 Abs. 3 und jener des Arbeitgebers (welcher gemäss AHV-Beitragsstatut als selbständig gilt), formuliert. Danach sind die mitarbeitenden Ehegatten der Personen in selbständiger Erwerbstätigkeit vom Leistungsanspruch auf ALE ausgeschlossen. Dieser Entwurf zielt gemäss der Minderheitsversion der Mehrheitsvariante einzig darauf ab, Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sowie ihren mitarbeitenden Ehegatten den Anspruch auf ALE zu öffnen bzw.

zu beschleunigen. Die mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers sind, analog zur gesetzlichen Regelung der KAE, welche in Art. 31 Abs. 3 lit. b AVIG den Anspruch der mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers explizit verwehrt, auch bei der ALE weiterhin explizit ausgeschlossen.

Art. 18 Abs. 1ter (ergänzt durch Antrag der Minderheit Aeschi Thomas) Die (besondere) Wartefrist von 20 Tagen (bzw. 120 Tagen im Antrag der Minderheit) dient der Überprüfung, ob wirklich ein Wille zum Antritt einer neuen Dauerstelle als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin vorhanden ist, und stellt eine Voraussetzung zur Missbrauchsbekämpfung ex-ante dar. Die 120 Wartetage lassen sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts herleiten, wonach nach 6 Monaten Arbeit in einem Drittbetrieb die damalige arbeitgeberähnliche Stellung als nicht mehr kausal bei Stellenverlust gilt.

Sollte die betreffende Person ihre Eigenschaft gemäss Art. 8 Abs. 3 und 4 E-AVIG während der Wartezeit definitiv und nachgewiesen verlieren, gelten sofort die «normalen» Wartefristen nach Art. 18 AVIG.

Art. 18d (Antrag der Minderheit Meyer Mattea zur Mehrheitsvariante) Gemäss des die Mehrheitsvariante ergänzenden Minderheitsvorschlags sollen Gewinne aus finanziellen Beteiligungen für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung, welche unter den Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 3 und 4 fallen, von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen werden.

Die ALK kann nur jene Gewinne berücksichtigen bzw. abziehen, welche für den Zeitraum ausgeschüttet werden, in welchem die Person die ALE bezieht. Somit werden die Gewinne, welche vor dem ALE-Bezug erwirtschaftet und im Zeitraum des ALEBezugs ausgeschüttet werden, von der ALK nicht berücksichtigt. Gewinne,
welche aus dem Verkauf von Aktien resultieren, sind von Art. 18d nicht betroffen.

Aufgrund der Tatsache, dass Gewinnbeteiligungen i.d.R. im Folgejahr ausgeschüttet werden, erfolgt der Abzug rückwirkend, was zur Korrektur der ALE und somit zu Rückforderungen auf der Basis von Art. 95 Abs. 1quinquies E-AVIG führt. Dabei ist es die versicherte Person, welche im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht die ALK über die Gewinnausschüttung in Kenntnis setzen muss. Hierbei besteht das Risiko, dass die versicherte Person dieser Pflicht nicht mehr nachkommt, wenn sie von der ALV abgemeldet ist. In solchen Fällen muss die ALK die erforderlichen Nachforschungen, bspw. bei der Steuerbehörde, anstellen, um im konkreten Einzelfall (mittels schriftlich begründeter Anfrage) zu den entsprechenden Informationen zu gelangen.

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Die Minderheitsversion der Mehrheitsvariante sieht die Voraussetzung der Liquidation vor. Gewinne aus Finanzbeteiligungen sind somit ausgeschlossen: Das Unternehmen erwirtschaftet nämlich keine Gewinne, die anschliessend ausgeschüttet werden, z.B. in Form einer Dividende, wenn es sich gemäss Handelsregistereintrag in Liquidation befindet. Der Abzug von Gewinnen aus finanzieller Beteiligung am Betrieb ist in dieser Version nicht vorgesehen.

Art. 22 Abs. 2bis (ergänzt durch Antrag der Minderheit Aeschi Thomas) Der Anspruch auf ALE wird auf Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung erweitert. Um Missbräuchen vorzubeugen, wird die Leistung eingeschränkt (70 % des versicherten Verdienstes, bzw. 50% des versicherten Verdienstes im Antrag der Minderheit), was einerseits zwar den Versicherungsschutz, andererseits aber auch den Anreiz zu Missbräuchen senkt. Der Zuschlag für Kinder- und Ausbildungszulagen verbleibt unter denselben Voraussetzungen wie Art. 22 Abs. 1 AVIG.

Sollte die Eigenschaft gemäss Art. 8 Abs. 3 und 4 E-AVIG wegfallen, so gelten wieder die allgemeinen Regeln nach Art. 22 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AVIG (d.h. 70-80% des versicherten Verdienstes).

Art. 95 Abs. 1quater Während der Rahmenfrist für den Leistungsbezug und 3 Jahre danach darf keine Wiederbeschäftigung im selben Betrieb erfolgen, da ansonsten die Anspruchsvoraus-setzungen rückwirkend auf die Anmeldung vollumfänglich entfallen. Dies bedeutet, dass alle Leistungen zu Unrecht (gesetzwidrig) ausbezahlt wurden. Deshalb hat im Nachgang unverzüglich eine volle Rückerstattung aller bezogenen Leistungen zwingend zu erfolgen.

Die ALK können im Rahmen der Amts- und Verwaltungshilfe (Art. 32 ATSG) die zuständigen AHV-Ausgleichskassen um die Bekanntgabe spezifischer Daten (z.B. individueller Kontoauszug) ersuchen. Auf der Basis des regelmässig erhaltenen individuellen Kontoauszugs seitens der AHV-Ausgleichskassen kann die ALK überprüfen, ob für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sowie für ihre mitarbeitenden Ehegatten und für den mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers Beiträge entrichtet worden sind und somit, ob diese Personen wieder im selben Betrieb arbeiten.

Da Rückforderungen u. U. sechs bis sieben Jahre nach der Anmeldung bei der ALK erfolgen müssen, bedingt dies eine längere absolute Verwirkungsfrist als die in Art. 25 Abs. 2
ATSG vorgesehene Frist von fünf Jahren. Die Möglichkeit eines Erlassgesuchs ist ausgeschlossen.

Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen sind von dieser Rückerstattungspflicht ausgenommen.

Art. 95 Abs. 1quater (Antrag der Minderheit Gutjahr) Der Antrag der Minderheit sieht im Vergleich zur Mehrheit im Art. 95 Abs. 1quater E-AVIG keine Ausnahme zu Gunsten von Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen vor.

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Art. 95 Abs. 1quinquies (Antrag der Minderheit Meyer Mattea zur Mehrheitsvariante) Neu werden Personen, welche unter Art. 8 Abs. 3 und 4 E-AVIG fallen, und welche aufgrund von Art. 18d von der ALE abgezogene Gewinne aus ihnen zustehenden finanziellen Beteiligungen am Betrieb, in welchem sie gearbeitet haben, beziehen, im Umfang dieser bezogenen Gewinne oder Erträge, rückerstattungspflichtig. Je nach Höhe der Gewinne und Erträge könnte die Rückerstattungspflicht der Leistungen u.U.

den vollen Umfang der ALE betragen. Auch hier ist eine längere absolute Verwirkungsfrist als jene von Art. 25 Abs. 2 ATSG vorgesehen. Die Möglichkeit eines Erlassgesuchs ist ebenfalls ausgeschlossen.

5.2

Minderheitsvariante (Aeschi Thomas)

Art. 2 Abs. 2 lit. g Ziff. 1 Personen welche finanziell mit mehr als fünf Prozent am Betrieb, in welchem sie arbeiten, beteiligt sind, werden von der Betragspflicht befreit, womit auch der Versicherungsschutz der ALV entfällt. «Direkt» bedeutet die unmittelbare, persönliche finanzielle Beteiligung am Betrieb, und «indirekt» die Beteiligung durch Familienmitglieder oder durch eine andere Firma, an der dieselbe Person wiederum beteiligt ist (Firmen-Konglomerat). Die Konkretisierung dieser beiden Begriffe sollte auf Verordnungsstufe vorgenommen werden.

Dies bedingt eine vollständige Offenlegung der tatsächlichen finanziellen Beteiligungsverhältnisse, um eruieren zu können wer wie hoch effektiv am betreffenden Betrieb beteiligt ist. Zudem müssten auch die Beteiligungen der Person in arbeitgeberähnlicher Stellung an anderen Betrieben offengelegt werden.

Art. 2 Abs. 2 lit. g Ziff. 2 Nach dem Willen des Gesetzgebers ergibt sich der erhebliche Einfluss eines Gesellschafters oder einer Gesellschafterin einer GmbH nach Schweizer Recht (mit oder ohne Führungsfunktion) bereits aus der Organisation der Gesellschaft an sich. Die Gesellschafter einer GmbH haben gemäss Art. 811 Abs. 1 OR grundsätzlich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich an der Geschäftsführung der Gesellschaft zu beteiligen. Dies wird von der ständigen Praxis der Rechtsprechung des Bundesgerichts bestätigt. In dieser Hinsicht nehmen die Gesellschafter gemeinsam eine Position ein, die mit der des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft vergleichbar ist.

Aus diesen Gründen sind Mandate wie Verwaltungsrätin/Verwaltungsrat bei der AG, Gesellschafterin/Gesellschafter bei der GmbH, welche per Gesetz (OR) zwingend mit Entscheidungskompetenz versehen sind, von der Beitragspflicht ex lege befreit.

Art. 2 Abs. 2 lit. g Ziff. 3 Der Wortlaut «die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten», musste aus Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG, welcher sich als Definition von «arbeitgeberähnliche Stellung» faktisch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt und nicht im AVIG enthalten ist, 19 / 26

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übernommen werden. Eine engere und präzisere Definition von «arbeitgeberähnliche Stellung» als die bestehende ist generell-abstrakt kaum genauer zu formulieren, da in jedem Einzelfall stets die massgebende tatsächliche interne Entscheidbefugnis, wie sie im Geschäftsalltag «gelebt» wird, ausschlaggebend ist. Die vorgängige Abklärung betreffend die Beitragspflicht oder Beitragsbefreiung obliegt dem Arbeitgeber.

Bei expliziter Anfrage muss die ALV im Einzelfall, gestützt auf die Auskunfts- und Aufklärungspflicht, gemäss Art. 27 ATSG die Betriebe bei der Feststellung der arbeitgeberähnlichen Stellung zwingend unterstützen, beraten und korrigieren.

Art. 2 Abs. 2 lit h Von der Beitragspflicht ausgenommen sind die mitarbeitenden Ehegatten von Personen nach Buchstabe g.

Art. 2 Abs. 2 lit i Von der Beitragspflicht ausgenommen sind die mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers.

Art. 31 Abs. 3 Bst. b und c Artikel 31 Abs. 3 Bst. b und c ist aufgehoben. Die Befreiung von der Beitragspflicht für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sowie für ihre mitarbeitenden Ehegatten und die Ehegatten des (selbständigen) Arbeitgebers gilt auch für die KAE: Art. 31 Abs. 1 lit. a AVIG sieht die Beitragspflicht für die Versicherung als Anspruchsvoraussetzung für die KAE vor (wie bei der ALE in Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG). Dies bedeutet, dass Art. 31 Abs. 3 lit. b (mitarbeitende Ehegatte des Arbeitgebers) und lit. c (Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung und ihre mitarbeitenden Ehegatten) gestrichen werden müssen, da die Befreiung von der Beitragspflicht jeglichen Anspruch auf ALE/KAE ausschliesst.

5.3

Übergangsbestimmungen

Der Bundesrat erstattet dem Parlament fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Änderung Bericht über dessen Umsetzung und Wirksamkeit und dessen finanzielle Auswirkung.

Zum gleichen Zeitpunkt schlägt er Anpassungen auf Gesetzes- und Verordnungsstufe vor, welche sich aus den gemachten Erfahrungen sowie dem im erwähnten Bericht festgestellten Handlungsbedarf ergeben.

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6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

6.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Die vorliegende Gesetzesrevision hat keine direkten finanziellen Auswirkungen auf den Bund. Dennoch hat sie direkte Auswirkungen auf den Ausgleichsfonds der ALV (Mehr- und Minderheitsvariante) und auf die Ausgleichskassen (Minderheitsvariante).

Direkte Auswirkungen auf die Erträge des Ausgleichsfonds der ALV Die ordentlichen Erträge des Ausgleichsfonds der ALV stammen zu rund 90 Prozent aus Lohnbeiträgen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebern und zu rund 10 Prozent aus Beiträgen von Bund und Kantonen. Die Höhe dieser Beiträge leiten sich ebenfalls aus einem definierten Prozentsatz der beitragspflichtigen Lohnsumme ab und sind gesetzlich gebunden (Art. 90a Abs. 1, Art. 90 Bst. b und Art. 92 Abs. 7bis AVIG). Die Mehrheitsvariante hat keine direkten finanziellen Auswirkungen auf die Erträge des Ausgleichsfonds, da AN in AG-ähnlicher Stellung bereits heute beitragspflichtig sind.

Direkte Auswirkungen auf die Kosten des Ausgleichfonds der ALV Für den Vollzug des AVIG und der öffentlichen Arbeitsvermittlung (öAV) gemäss dem Bundesgesetz über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih (Arbeitsvermittlungsgesetz, AVG) werden die kantonalen Amtsstellen aus dem Ausgleichsfonds der ALV entschädigt (Art. 92 Abs. 7 AVIG). Den kantonalen Amtsstellen wird, in Abhängigkeit der kantonalen Quote und Zahl der Stellensuchenden, ein Kostendach (Plafond) für ihre anrechenbaren Vollkosten vorgegeben. Innerhalb dieses Plafonds werden den Kantonen die effektiv angefallenen Vollzugskosten entschädigt.

Da keine Statistik zu AN in AG-ähnlicher Stellung existiert, ist eine Schätzung der Folgekosten mit grosser Unsicherheit behaftet. Basierend auf Daten der Schweizer Arbeitskräfteerhebung könnten ca. 6,4 Prozent der Arbeitnehmenden in einer AGähnlicher Stellung sein8. Somit würde diese neue Regelung (Mehrheitsvariante) die jährlichen Ausgaben für ALE um geschätzt 6,4 Prozent erhöhen. Die Minderheitsvariante würde die Erträge (Beiträge der Versicherte) der ALV um geschätzt 6,4 Prozent verringern.9

8 9

Die Schätzung basiert auf der SAKE 2021. Als Annäherungswert für die Anzahl der AN in AG-ähnlicher Stellung werden AN mit eigener Firma genommen.

Annahme: Die durchschnittlichen ALE-Kosten bzw. die Beitragssumme pro AN in AG-ähnlicher Stellung wären gleich hoch wie die durchschnittlichen ALE-Kosten bzw.

die durchschnittliche Beitragssumme pro registrierte stellensuchende Person. Einerseits könnte dieser Anteil höher sein, da die hier verwendete Definition von AN in AG-ähnlicher Stellung Ehegatten, Partner, Partnerinnen und weitere Familienmitglieder, die eine AG-ähnliche Stellung innenhaben könnten, nicht berücksichtigt. Andererseits könnte dieser Anteil tiefer sein, da ein Teil der Personen in AG-ähnlicher Stellung bereits heute Anspruch auf ALE hat, sobald sie die AG-ähnliche Stellung aufgeben. Deshalb ist diese Schätzung mit grosser Unsicherheit behaftet.

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6.1.2

Personelle Auswirkungen

Die vorliegende Gesetzesrevision hat keine direkten personellen Auswirkungen.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

6.2.1

Finanzielle Auswirkungen

Die vorliegende Gesetzesänderung hat direkte finanzielle Auswirkungen auf die kantonalen Vollzugsorgane der Arbeitslosenversicherung. Im Folgenden werden die Auswirkungen auf die Aufgaben der kantonalen Vollzugsorgane der Arbeitslosenversicherung und die Verwaltungskosten, welche ihnen über den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung zurückerstattet werden, skizziert.

Die Mehrheitsvariante wird für die Durchführungsstellen zusätzliche Aufgaben mit sich bringen. Neben der teilweise langwierigen und komplexen Prüfung, ob eine arbeitgeberähnliche Stellung der versicherten Person vorliegt, werden die Arbeitslosenkassen im Falle einer leitenden Stellung neu auch prüfen müssen, ob die Voraussetzungen von Artikel 8 Absatz 3 erfüllt sind. Zudem wird die kantonale Vollzugsstelle die Vermittlungsfähigkeit, welche bescheinigt, dass die Person bereit, berechtigt und in der Lage ist, eine feste Stelle als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer bei einem neuen Arbeitgeber anzutreten, laufend gründlich überprüfen müssen. Dies kann insbesondere durch die Zuweisung zu arbeitsmarktlichen Massnahmen geschehen. Die kantonalen Vollzugsstellen müssen daher auf die vorliegende Führungsfunktion und auf die Erfüllung der damit verbundenen Aufgaben achten, um sicherzustellen, dass die Person während ihrer Entschädigung vermittlungsfähig ist.

Mit Art. 95 Abs. 1quater müssen die Arbeitslosenkassen ausserdem überprüfen, ob die Personen während der Rahmenfrist für die Arbeitslosenentschädigung sowie drei Jahre danach nicht wieder im selben Unternehmen arbeiten. Zu diesem Zweck müssen sie von der Amtshilfe Gebrauch machen, um die Informationen von den AHV-Ausgleichskassen zu erhalten.

Schliesslich müssen die Arbeitslosenkassen allenfalls zusätzliche Kontrollen im Zusammenhang mit dem Vorschlag der Minderheit durchführen, wonach Gewinnauszahlungen aus finanziellen Beteiligungen von Personen, welche eine arbeitgeberähnliche Stellung innehaben, von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen werden sollen. Die Arbeitslosenkassen müssen nämlich rückwirkend auf der Grundlage einer Selbstanzeige oder beispielsweise durch Informationsaustausch mit den Steuerbehörden prüfen, ob die Personen Gewinne aus finanziellen Beteiligungen bezogen haben.

Werden Gewinne ausbezahlt, müssen die Arbeitslosenkassen die vergangenen Abrechnungen rückwirkend
korrigieren und eine Rückerstattungsverfügung erlassen.

Die Minderheitsvariante impliziert einen Systemwechsel, welcher die Bestimmung der arbeitgeberähnlichen Stellung, durch die Betriebe selbst, mit sich ziehen wird.

Vollzugspraxis und Rechtsprechung haben stets gezeigt, dass diese Einschätzung der tatsächlichen Entscheidbefugnisse im konkreten Einzelfall oftmals schwierig ist, und 22 / 26

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dass es zu Fehleinschätzungen durch den Arbeitgeber selbst bzw. durch den Betrieb kommen kann. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Unternehmen bei den Arbeitslosenkassen nachfragen müssen, welche Arbeitnehmer eine arbeitgeberähnliche Stellung innehaben, und somit von der Beitragspflicht befreit werden müssen. Die Arbeitslosenkassen werden potenziell mit einer Zunahme der Unterstützungsanträge von Unternehmen konfrontiert sein, insbesondere während des besagten Systemwechsels.

Die Minderheitsvariante führt bei den für den Beitragseinzug zuständigen AHVAusgleichskassen (Art. 86 AVIG) zu einem hohen, noch nicht bezifferbaren zusätzlichen Aufwand. Dieser Mehraufwand ist den AHV-Ausgleichskassen vom Ausgleichsfonds der ALV zu vergüten (Art. 92 AVIG). Die Minderheitsvariante führt auch zu einem Mehraufwand für die ALV-Durchführungsstellen.

6.2.2

Personelle Auswirkungen

Angesichts der in Kapitel 5.2.1 beschriebenen Zunahme der Aufgaben könnte die vorliegende Gesetzesrevision direkte Auswirkungen auf den Personalbestand haben.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und Gesellschaft

Arbeitsverhältnisse und Arbeitsformen werden auch in der Schweiz immer vielfältiger, weshalb die Anzahl der Arbeitnehmer in einer arbeitgeberähnlichen Stellung in Zukunft möglicherweise steigen könnte. Eine Ausweitung des Anspruchs auf ALE auf Arbeitnehmer in einer arbeitgeberähnlichen Stellung würde dieser Entwicklung Rechnung tragen und die Funktion der ALV zur automatischen Konjunkturstabilisierung dadurch tendenziell stärken. Gleichzeitig steigt auch das Risiko von Missbräuchen. Ausserdem übernimmt die ALV durch die vorliegende Gesetzesänderung einen Teil des Unternehmensrisikos, indem der Zugang zur ALE während des Liquidationsverfahrens vereinfacht wird.

6.4

Auswirkungen auf andere gesetzliche Normen

Eine Gesetzesanpassung im Sinne der oben dargelegten Varianten zieht keine Anpassung weiterer gesetzlichen Normen mit sich.

6.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Die vorliegende Gesetzesrevision hat keine direkten Auswirkungen auf die Umwelt.

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6.6

Andere Auswirkungen

Es werden keine anderen Auswirkungen erwartet.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

7.1.1

Übereinstimmung mit Artikel 8 der Bundesverfassung (BV)

Artikel 8 BV verankert den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung. So gilt dieser auch bei der unterschiedlichen Definition der Personen mit arbeitgeberähnlicher Stellung bei der Gewährung von ALE einerseits und für KAE andererseits.

Nach der Rechtsprechung des BGer ist der Gleichheitsgrundsatz gewährt, wenn Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Es ist erforderlich, dass sich eine ungerechtfertigte unterschiedliche oder ähnliche Behandlung auf einen wichtigen Sachverhalt bezieht. Der Gesetzgeber verfügt im Rahmen dieser Grundsätze über einen weiten Ermessensspielraum.

Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung haben bei der KAE, welche vorübergehende Arbeitsausfälle regelt, nach wie vor keinen entsprechenden Leistungsanspruch.

Mit der neuen gesetzlichen Regelung (Mehrheitsvariante) haben (dieselben) Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung hingegen Anspruch auf ALE, sofern ihren Arbeitsausfall definitiv und dauerhaft ist. Somit liegen unterschiedliche Situationen in Einklang mit der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts vor.

Sofern diese Personen während der Rahmenfrist sowie drei Jahre danach wieder im selben Betrieb angestellt werden, womit der Arbeitsausfall vorübergehend ist, so wäre die gleiche Situation wie bei der KAE gegeben. Durch die Rückforderung der gesamten ALE ist die Gleichbehandlung zur KAE gewährleistet. Dadurch, dass die neue Regelung Art. 95 Abs. 1quater E-AVIG die vollständige und dauerhafte Beendigung der Arbeitstätigkeit im Betrieb, in welchem die Person eine arbeitgeberähnliche Stellung innehatte, fordert, wird dem Grundsatz der Gleichbehandlung gemäss Art. 8 BV Rechnung getragen.

Die neue gesetzliche Regelung (Minderheitsvariante) befreit sämtliche Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten und die Ehegatten des Arbeitgebers von der Beitragspflicht, weshalb die Gleichbehandlung (KAE-ALE) gemäss Art. 8 BV gewährleistet ist.

7.1.2

Vereinbarkeit mit Artikel 114 BV

Die vorgesehene Regelung (Mehrheitsvariante) ist mit Artikel 114 BV vereinbar: gemäss Abs. 2 lit. a und b muss die Versicherung, die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch ist, einen angemessenen Ausgleich des Einkommensausfalls gewährleisten.

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Die Beitragsbefreiung arbeitgeberähnlicher Personen (Minderheitsvariante) ist mit Artikel 114 Absatz 2 lit. b BV, welcher ausdrücklich zulässt, dass das Gesetz Ausnahmen vorsehen kann, vereinbar. Dies, sofern nur Ausnahmen zulässig sind, welche das Gleichbehandlungsgebot nicht verletzen.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Festlegung der (innerstaatlichen) Voraussetzungen für die ALE richtet sich nach nationalem Recht. Es gibt zwar eine internationale Koordinierung der einzelnen Sozial-systeme, nicht aber eine Harmonisierung.

Sowohl die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 als auch das Freizügigkeitsabkommen (FZA) garantieren unter anderem die Gleichbehandlung von EU-Bürgerinnen und Bürgern in der Schweiz und umgekehrt. Der vorliegende Entwurf sieht keine Diskriminierung von EU-Bürgerinnen und Bürgern vor, weshalb sie auch diesbezüglich im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und dem FZA steht.

Die Regeln für EU-/EFTA-Staatsangehörige sehen vor, dass diese von der Zusammenrechnung der Beitragszeiten profitieren können, sofern sie in der Schweiz eine unselbstständige Tätigkeit ausgeübt haben. Allerdings gibt es in diesem Bereich keine Mindestdauer der unselbstständigen Erwerbstätigkeit, die erfüllt werden muss (theoretisch reicht 1 Tag aus). Missbrauchsgefahr besteht insofern, als dass der Lohn für die in der Schweiz ausgeübte unselbstständige Tätigkeit überbewertet werden könnte, damit der versicherte Verdienst höher ausfällt und dies somit zu höherer ALE führen würde.

Zusammenfassend ist dieser Entwurf grundsätzlich mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

7.3

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen. Dieser Entwurf enthält wichtige Bestimmungen zur Gewährung des beschleunigen Anspruchs auf ALE für Personen, welche weiterhin eine arbeitgeberähnliche Stellung innehaben, alternativ dazu, dass diese Personen von der Beitragspflicht befreit werden.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen (die Ausgaben über einem der Schwellenwerte nach sich ziehen) geschaffen, noch neue Verpflichtungskredite / Zahlungsrahmen (mit Ausgaben über einem der Schwellenwerte) beschlossen. Entsprechend finden die Regelung der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV vorliegend keine Anwendung.

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7.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die Erwerbsersatzleistungen wie ALE werden durch Lohnbeiträge finanziert. Die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen bleibt mit dieser Gesetzesvorlage unverändert. Die Prinzipien der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz werden nicht tangiert.

7.6

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Diese Vorlage ist von der Subventionsgesetzgebung nicht betroffen.

7.7

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Vorlage sieht keine neuen Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat vor.

7.8

Datenschutz

Die Vorlage wird keine Auswirkungen weder auf das Datenschutzgesetz noch auf spezifische Gesetzgebung haben.

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