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Bericht der

nationalräthlichen Kommission zum Bundesgesetzesentwurfe betreffend die Verbindlichkeit der Eisenbahnen und anderer vom Bunde konzedirten Transportanstalten für die beim Bau und Betriebe herbeigeführten Tödtungen und Verletzungen.

(Vom 20. Oktober 1874.)

Tit. !

Der vorliegende Gesetzesentwurf ist zunächst die Ausführung des Art. 38, Ziff. 2 des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen.

Seit Erlaß dieses Gesetzes hat sich indeß die Situation erheblich verändert. Der Bund hat im Art. 64 der neuen Bundesverfassung das Recht erhalten, die Gesetzgebung über das Obligationenrecht im Ganzen zu ordnen. Ebenso ist er nach Art. 34 derselben berechtigt, Vorschriften zum Schütze der Arbeiter gegen einen, die Gesundheit und Sicherheit gefährdenden Gewerbebetrieb zu erlassen. Es konnte sich also fragen, ob ein Spezialgesetz für die vorwürfige Materie noch am Platze sei ? Die Kommission glaubte indeß diese Frage bejahen zu sollen, indem sie sich mehr auf den praktischen Standpunkt stellte, daß diese Materie theils am dringlichsten, theils schon vorgearbeitet sei.

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Weiter kam in Frage, ob dieses Gesetz gemäß der Andeutung des citirten Art. 38 des Eisenbahngesetzes auch die analoge Haftbarkeit der Post mit ordnen solle? Die Kommission war über diese Frage nicht ganz einig, entschloß sich aber nach gevvalteter Berathung, Ihnen mit Rücksicht auf die sachbezügliehen Entscheidungen des Bundes- und Ständerathes zu empfehlen, die Haftbarkeit der Post in einem Separatgesetze zu behandeln, da allerdings einzelne Momente, wie namentlich der Umstand, daß die Post sich keiner eignen Fahrbahn bedienen kann, für eine etwas andere Behandlung derselben sprechen. Die Kommission geht indeß dabei von der Voraussetzung aus, daß das Publikum auch gegenüber der Post in Zukunft günstiger gestellt werden solle; sie enthält sich jedoch weitern Eintretens in diese Materie, da der Bundesrath eine bezügliche Vorlage den Käthen bereits übermittelt hat.

Hingegen muß die Kommission darauf aufmerksam machen, daß der Ständerath seinem nachträglich veränderten Standpunkt nicht mehr den vollen Ausdruck gab. Dieses Bundesgesetz kann jetzt nicht mehr von der Verbindlichkeit der Eisenbahnen ,,und anderer vom Bunde konzedirten Transportanstaltena handeln. Der Bund koazedirt nämlich gegenwärtig dreierlei Transportanstalten : 1) Eisenbahnen, 2) Dampfschiffe, 3) Omnibusunternehmungen auf größere Distanzen. Diese letztern werden nun offenbar passender im Zusammenhange mit der Post, als in demjenigen mit den Eisenbahnen behandelt, so daß unser Gesetz auf Eisenbahnen und Dampfschiffe beschränkt werden kann. Wir schlagen demzufolge vor, dem Gesetze einen entsprechend veränderten Titel zu geben.

Während unser Gesetzesentwurf sich im Wesentlichen an die Bestimmungen des analogen deutschen Reichsgesetzes anschließt, hat es darin eine Erweiterung gefunden, daß derselbe nicht bloß die beim Betriebe erfolgten Verletzungen behandelt, auf welche sich das Reichsgesetz beschränkt, sondern auch die b e i m B a u entstandenen Verletzungen in Rücksicht zieht. Der Ständerath glaubte mit dem Bundesrathe diese Verhältnisse auf gleichem Fuße behandeln zu können und wickelte sie in Art. l seines Beschlusses sogar in den gleichen Satz ein. Man sieht aber beim ersten Lesen dieses Artikels, daß solches nicht angeht. Wir haben deßhalb die beiden Verhältnisse auseinander gewickelt und in Art. l a und b jedes nach seiner
besondern Natur behandelt.

Der Art. l a handelt vom B a u , und zwar der Natur der Sache entsprechend, nur vom Bau einer Eisenbahn, denn der Bau eines Dampfschiffes erfordert wohl selbstverständlich keine außerordentlichen Normirungen, da er keinerlei Besonderheiten zeigt.

279 Bezüglich der Verletzungen, die beim Bau einer Bahn entstehen, glaubte sich die Kommission vollständig auf den Boden des gemeinen (allgemein verbindlichen) Rechtes stellen zu können.

Der Eisenbahnbau steht, was die Erdarbeiten betrifft, mit dem gewöhnlichen Straßenbau völlig auf gleicher Linie 5 ebenso sind die Eisenbahn-Hochbauten in nichts von den übrigen Hochbauten verschieden. Unter solchen Umständen kann man unmöglich über 'die Haftbarkeit bei Verletzungen für diese gleichartigen Bauten verschiedene Rechtsgrundsätze aufstellen. Wenn z. B. der Fall einträte, daß eine Eisenbahngesellschaft für den Bau eines kleinen Güterschuppens oder eine Wagenretnise unter schwerere Haftpflicht gestellt würde als ein Privatmann, der ein großes Haus, oder eine Gemeinde, die einen Kirchthurm baut, so müßte dieß gewiß für Jedermann stoßend sein.

Nach Ansicht der Kommission soll daher die Eisenbahnunternehmung bei Bauten nur im Falle von V e r s c h u l d u n g haften, wie das für jeden andern Bauunternehmer gleichmäßig gilt. Unter Verschuldung verstehen wir Arglist und Fahrlässigkeit, und zwar bezüglich der letztern sowohl sog. negative wie positive Fahrlässigkeit, das heißt Fahrlässigkeit durch fehlerhafte Unterlassung, wie durch unrichtige positive Akte. Nur in einer Beziehung glaubt die Kommission die Haftpflicht der Eisenbahn der Natur der Sache nach etwas erweitern zu sollen, nämlich für die besonders gefährlichen Arbeiten, wie Tuunelbauten und Sprengarbeiten. Dies geschieht in der Weise, daß ohne Veränderung der Rechtsgrundsätze selbst für diese Fälle von der Unternehmung ein erhöhter Grad von Vorsicht gefordert wird (Art. l a, Satz 2).

Dagegen verhält es sich nun etwas anders bezüglich der Haftpflicht für Verletzungen beim Betriebe, und zwar können hierin Eisenbahnen und Dampfschiffe ganz auf gleiche Linie gestellt werden. Die frühere Rechtstheorie verlangte auch für diesen Fall von dem Verletzten zur Begründung einer Schadenersatzforderuug den Nachweis einer Verschuldung von Suiten der Transportanstalt. Allein dieser Nachweis war für den Verletzten außerordentlich schwierig zu leisten, und die Eisenbahngesellschaften profitirten mitunter von dieser Schwierigkeit in ungebührlicher Art.

In dieser Rechtsanschauung ist nun eine Veränderung eingetreten, welche im Grunde den Kernpunkt dieses Gesetzes bildet.
Diese Veränderung besteht darin, daß man die Beweislast umgekehrt hat, so daß die Transportanstalt den Beweis ihrer N ich t v ers c h u l d ü n g zu leisten hat. Diese Aenderung, die namentlich in dem erwähnten deutschen Reichsgesetze mit dem klarsten Bewußtsein durchgeführt wurde, wird nun durch den Art. l b unsers EntBundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. III.

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wurfs in das schweizerische Recht hinübergetragen, und sie scheint auch Ihrer Kommission vollständig gerechtfertigt zu sein.

Das Motiv liegt in der eigentümlichen Natur dieses Eisenbahnund Dampfschiffbetriebs. In der Dampfkraft ist von den Unternehmungen dieser Art ein Arbeiter eingestellt worden, der einer ganz ausnahmsweisen Behandlung bedarf. Der Passagier, der sich einer solchen Transportanstalt übergibt, wird sozusagen willen und machtlos, weiter für sich selbst zu sorgen. Er wird im geschlossenen Wagen mit einer ganz außerordentlichen Kraft vorwärts geschleudert, und es bedarf nur eines kleinen Hindernisses, sei es in der Maschine oder in den Wagen oder auf der Fahrbahn selbst, um Verletzungen zu bewirken. Die Administration kann sich wahrscheinlicherweise Rechenschaft darüber geben, worin die fragliche Ursache der Verletzungen bestanden habe; allein sie hat wie das Interesse, so auch die Mittel, -den wahren Sachverhalt im Unklaren zu belassen. Wenn die Verschuldung nicht in evidentester Weise vorliegt, so wird es ihr fast immer möglich werden, dem einzelnen Verletzten gegenüber obzusiegen, da diesem weit nicht die gleichen Mittel zu Gebote stehen, um die Wahrheit an den Tag zu bringen.

Diesen thatsächlichen Verhältnissen gegenüber liegt die richtigste Remedur in der Umkehr der Beweislast. Die Transportanstalt soll haftbar sein, wenn sie nicht 1) höhere Gewalt oder 2) Versehen oder Vergehen der Passagiere oder dritter, bei der Transportanstalt nicht angestellter Personen ohne eignes Mitverschulden der Anstalt oder 3) Schuld des Verletzten selbst nachzuweisen vermag. Die Kommission empfiehlt Ihnen mit vollständigster Ueberzeugung die Annahme dieses Artikels im Einklänge mit dem Bundes- und Ständerathe.

Eine weitere Ausnahmsbestimmung wird noch eingeführt in Art. lWs des Ständerathes (beziehungsweise l c unseres Kommissionsvorschlags). In diesem Artikel wird vom Ständerathe der Grundsatz aufgestellt, daß jede der genannten Transportanstalten für ihre Angestellten einheitlich haften solle, sowie für andere Personen, deren sie sich zu ihren Transportgeschäften bedient. Ihre Kommission billigt diesen Grundsatz und sie wünscht, daß er auch auf die Verhältnisse des B a u e s ausgedehnt werde. Für die Nothwendigkeit dieser Ausdehnung können wir auf bekannte Vorfälle verweisen, welche die öffentliche
Meinung seinerzeit stark beschäftigt haben.

Allerdings widerspricht dies bis zu einem gewissen Grade den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, nach welcher für eine Verletzung der zunächst Schuldige in Anspruch genommen werden muß. Allein im Spezialfalle ist zu erwägen, daß der Bund das Expropriations-

281 recht sammt der Bau- und Betriebskonzession einer bestimmten Unternehmung ertheilt hat, welche in Folge dessen auch angehalten werden kann, ihm und dem Publikum gegenüber alle korrespondirenden Verpflichtungen einheitlich mit zu übernehmen. Die Frage, wie sich diese konzessionirte Unternehmung zu ihren Bau- oder Betriebsübernehmern und zu dem übrigen von ihr angestellten Personal stellen will, ist ihre Sache. Dagegen ist es passend, ihr in Verbindung mit ihrer Behaftung auch das R ü c k g r i f f s r e c h t gegenüber denjenigen Personen zu sichern, für welche sie nach Außen hin die Verantwortlichkeit übernehmen muß.

Art. 2 des Beschlusses des Ständerathes besteht aus zwei verschiedenen Theilen, die in keiner innern Verbindung stehen; es würde im Gegentheil das Lemma 2 desselben richtiger dem Art. l beigefügt werden, wenn dessen Aufnahme festgehalten werden sollte.

Mit dem e r s t e n Theil dieses Artikels ist die Kommission im Wesentlichen einverstanden. Er behandelt den Fall der eigenen Verschuldung des Verletzten und folgt in dieser Beziehung den Grundsätzen des gemeinen Rechtes, und zwar in den Termen des französischen Rechts. Ihre Kommission fand einzig, daß der Ständerath durch Streichung der Worte ,,oder mit wissentlicher Uebertretung polizeilicher Vorschriften" den Entwurf des Bundesrathes nicht verbessert habe, und sie beantragt Beibehaltung derselben. Es scheint ihr ganz klar zu sein, daß wenn z. B. Jemand in bewußter Kenntniß des bestehenden polizeilichen Verbotes auf dem Bahnkörper marschirt, er die Folgen eines daraus entstehenden Unglückfalles an sich selbst tragen muß. Ebenso kann wohl derjenige, der verbotene Artikel in einem Wagen unterbringt, keinen Schadenersatz fordern, wenn selbst der Unfall, der sie zerstört, ohne sein Verschulden, eingetreten sein sollte. Es scheint uns durchaus nothwendig, auf diese Fälle Rücksicht zu nehmen, da sie sich nicht unter die Qualifikation ,,von verbrecherischen oder unredlichen Handlungena rangiren lassen.

Der zweite Theil des Art. 2 veranlaßte Ihre Kommission zu einläßlichen Diskussionen und sie kam schließlich zu dem Antrage, Ihnen die gänzliche Streichung dieses zweiten Absatzes zu empfehlen.

Es bestimmt derselbe, daß die Transportunternehmung auch für Verletzungen haftbar sei, welche Beamte oder Angestellte derselben im Dienste in
Folge höherer Gewalt erleiden. Es sprechen für die Streichung folgende Gründe: 1) Dieser Satz ist im Widerspruche mit Art. 1. Dieser Artikel behandelt nicht bloß die Haftbarkeit der Transportanstalt nach Außen hin, sondern ganz generell, also auch gegenüber den Ange-

282 stellten und Arbeitern der Gesellschaft selbst. Es ist durchaus kein Grund vorhanden, die Anwendbarkeit des Art. l in dieser Weise zu beschränken.

2) Dieser Satz ist im absolutesten Widerspruche mit allen bisher bekannten Rechtsgrundsätzen. Alle Gesetzgebungen der Welt sind darüber einverstanden, daß jeder Entschädigungsanspruch eine Verschuldung zu seiner notwendigen Voraussetzung hat. Wo keine Verschuldung vorhanden ist oder wenigstens präsumirt werden kann, da k a n n v o n einer Haftpflicht überhaupt nicht die Rede sein. Der Satz, daß irgend Jemand für den Verlust eines Dritten haftbar sei, wenn dieser auch durch höhere Gewalt entstanden ist, liegt deßhalb über dem Gebiete des Rechts auf dem Boden der reinen Willkür, und es würde sicher zu -einer allgemeinen Empörung führen, wenn man den Landwirth für alle Unglücksfälle, die in Folge höherer Gewalt entstanden, seiner Knechte und Taglöhner oder den Handwerker für alle derartigen Unglücksfälle seiner Gesellen und Lehrjungen als entschädigungspflichtig erklären wollte. Es geht aber nicht an, den Eisenbahnen gegenüber Rechtsgrundsätze aufzustellen, die man sonst für alle andern verwandten Arbeitsgebiete verwirft und für welche auch in den besondern Verhältnissen des Eisenbahnbaues und Betriebs nicht die mindeste Nöthigung vorliegt. Wenn ein Blitzschlag einen Condukteur und einen Passagier neben einander niederwirft, so wird Niemand begreifen können, warum die Eiscnbahnverwaltung in einem Falle dafür entschädigungspflichtig und im andern Falle nicht entschädigungspflichtig sein soll, wie solches doch bei Annahme des ständeräthlichen Beschlusses der Fall wäre.

3) Eine derartige Regülirung wird auch den Interessen der Arbeiter gar nicht förderlich sein. Gegenwärtig kann sich der Arbeiter vor Unglücksfällen, die aus höherer Gewalt entstanden, durch den Eintritt in Assekuranzanstalten schützen, und da die Verwaltungen ihn "darin zu unterstützen pflegen, so wird er sich bei eintretendem Unglücksfalle der Regel nach besser stellen, als wenn er einfach auf eine Entschädigung der Transportanstalt angewiesen wird, die jedenfalls in solchen Fällen kein Richter in reichlicher Weise sprechen kann. Nimmt man dagegen diesen Satz des Ständerathes an, so wird der Arbeiter keine Veranlaßung mehr haben, Einlagen in Assekuranzanstalten zu machen, sondern es wird
die bezügliche Verpflichtung ganz auf die Transportanstalten fallen, von denen jedenfalls ein Theil entweder diese Einlagen reduziren oder mit Gehaltsreduktionen ihre- bezügliche Mehrausgabe wieder einzubringen suchen wird.

Die Kommission glaubt, daß es nicht thunlieh sei, aus vermeintlichen Utilitätsrücksichten die Grundsätze der Gerechtigkeit

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283 den Eisenbahnen gegenüber bei Seite zu schieben, und sie macht schließlich nur darauf aufmerksam, daß eine solche Bestimmung auch dem deutschen Reichsgesetze, das sonst dieser Arbeit als Vorbild diente, durchaus fremd ist.

Damit schließt die erste Partie des Gesetzes, welche die Grundsätze der Verantwortlichkeit feststellt. Die zweite Partie, welche von der Ausmessung der Entschädigung und der piraeßualischen Regulirung dieser Verhältnisse handelt, gibt Ihrer Kommission nur zu wenigen Abänderungsanträgen Anlaß. Sie empfiehlt Ihnen mit einziger ' o Ausnahme von 3 Punkten deren unveränderte Annahme.

Diese 3 Punkte sind folgende: 1) Die Kommission beantragt Ihnen in Art. 4 auf den vom Bundesrathe gemachten Antrag zurückzugehen und diesen im Gegensatz zum ständeräi blichen Antrag unverändert anzunehmen. Es handelt sich um die Frage, wie sich die Entschädigung.spflieht einer Assekuranzanstalt und die Entschädigungspflicht der Transportaustalt zu einander verhalten sollen. Der Bundesraih schlug nun im Einklang mit dem deutschen Reichsgesetze vor, es sei für den Fall, als die Mitleistung der Transportanstalt nicht unter einem Drittel der Gesammtleistung an die Versicherungsanstalt betragen habe, Alles was der Entschädigungsberechtigte von einer solchen Versicherungsanstalt beziehe, auf die Entschädigung der Transportanstalt einzurechnen. Der Stäuderath will dagegen auf die Entschädigung der Transportanstalt nur eine mit ihrem Beitrag im Verhältniß stehende Quote einrechnen lassen. Man ist im ersten Augenblick geneigt, diesen letztern Beschluß als der strengen Gerechtigkeit entsprechend zu betrachten; allein bei näherer Betrachtung hält diese Ansicht nicht Stand. Nach Art. 3 steht im Grundsätze fest, daß ein Verletzter nur im Verhältniß seines erlittenen Schadens entschädigt werden soll. Wer diese Entschädigung leisten solle, das kann im Grunde dem Staate, sowie dem Verletzten, völlig gleichgültig sein, und es wäre aus diesem Gesichtspunkte nm natürlichsten, über diese Frage gar nichts im Gesetze zu sagen. Da nicht anzunehmen ist, daß man dem Verletzten mehr als den Schadenersatz gewähren wolle, so könnte die Schlußnahme des Stiuiderathcs nur die, Wirkung haben, die Assekuranzanstalt auf Kosten der Transportanstalt zu entlasten, was kaum beabsichtigt wird.

Dagegen hat die Bestimmung des deutschen
Gesetzes, resp. der Antrag des Bundesrathes eine andere Tendenz. Man will damit die Transportanstalten ermuntern, an der Versicherung ihres Personals zu participiren, und zwar mit mindestens einem Drittel der Versicherungsprämie. Diese Tendenz ist nur zu billigen, obgleich

284 solches bisher auch ohne Gesetz schon geschehen ist. Damit wird dann auch indirekt der Zweck erreicht, den der Ständerath mit dem von uns bekämpften zweiten Satze des Art. 2 angestrebt hat, und zwar in durchaus gerechtfertigter Weise: Die Transportanstalten participiren damit im Wege der Freiwilligkeit an Unglücksfällen, die durch höhere Gewalt entstanden sind. Unter diesem Gesichtspunkte kann auch die Kommission einem solchen, allerdings nicht absolut notwendigen, auch im ursprünglichen deutschen Entwurfe fehlenden Artikel beipflichten.

2) Art. 5 gestattet im zweiten Absatz ein Zurückkommen auf ein gerichtliches Entschädigungsurtheil, wenn eine Körperverletzung nachträglich sich als Tödtung herausstellt oder schwerere Gesundheitsfolgen mit sich führt, als solche bei der Urtheilsfällung vorausgesehen wurden.

Hier entsteht sofort die Frage, warum soll diese Urtheilsrektifikation nur erfolgen können, wenn der Gesundheitszustand sich verschlimmert und nicht auch, w.enn er sich verbessert? Von Rechtswegen muß das Eine, wie das Andere gleichmäßig konzedirt werden.

Allein Ihre Kommission fand, daß damit ein permanenter Krieg zwischen Transportanstalt und Unterstützten organisirt würde. Man würde sich beständig gegenseitig bedrohen und alle Rechtssicherheit wäre damit für beide Theile zerstört.

Es wurde deßwegen in erster Linie in Ihrer Kommission die gänzliche Streichung dieser Bestimmung beantragt, indem man fand, daß die Rechtssicherheit viel werthvoller sei, als selbst ein vereinzelter Nachtheil, der aus einer solchen Nichtrektifikation hervorgehen möchte. Zur Unterstützung wurde noch beigefügt, daß keinerlei Sicherheit vorhanden sei, daß nicht andere Einflüsse mit zur Verschlimmerung des Gesundheitszustandes beigetragen haben, was sich fast unmöglich feststellen lasse.

Dagegen wurde augeführt, daß mitunter auf diese Art doch der Verletzte unter dem Irrthum dés Arztes zu leiden hätte. Der Regel nach'werde der Richter in unklaren Fällen mit seinem Urtheil etwas zuwarten; indeß könne der Fall eintreten, daß der Entschädigungsbezug für den Verletzten wünschbir und dringlich sei, ehe der Zustand sich ganz abgeklärt habe. Man solle für diesen Fall eine gewisse Ausnahme zulassen.

Diese letztere Ansicht erhielt die Mehrheit der Stimmen, und in Folge dessen beantragen wir zu sagen : ^Wenn die Folgen einer Körperverletzung im Momente der Urtheilsfällung noch nicht genü-

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gend klar vorliegen, so kann der Richter ausnahmsweise für den Fall des nachfolgeuden Todes oder einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Verletzten eine spätere Rektifikation des Urtheils vorbehalten." Die Kommission glaubt, daß dadurch der Gerechtigkeit in allen Fällen Genüge gethan werden könne, indem der Richter in allen Fällen begründeten Zweifels sich dieses Auskunftsmittels bedienen werde.

3) Der dritte Punkt betrifft die Frage der Klagverjährung (Art. 5). Der Ständerath beantragt 2 Verjährungsfristen, eine von 1 Jahr für die gewöhnlichen Fälle und eine solche von 5 Jahren in Fällen von Arglist und grober Fahrläßigkeit der Transportanstalt.

Ihre Kommission fand, daß daraus viele Händel entstehen können.

Die erste Frage wird die sein, ob unter dieser Arglist und groben Fahrläßigkeit der Transportanstalt auch solche einzelner Angestellten zu verstehen sei? In zweiter Linie wird in allen Fällen wohl die Vorfrage aufgeworfen werden, ob grobe Fahrläßigkeit vorhanden gewesen sei? Der Kläger, der die erste Verjährungsfrist versäumt hat, wird dies behaupten, der Beklagte wird es bestreiten, sodaß über diesen Punkt ein Vorprozeß nothwendig werden wird. Bei dieser Sachlage geht gerade der Vortheil verloren, den man mit; dem Institut der Klagverjährung anstrebt, nämlich die Rechtssicherheit nach Ablauf eines gewissen Zeitraumes. Ihre Kommission glaubt, es sei viel besser, eine einheitliche Frist festzuhalten und dieselbe dafür etwas zu verlängern ; sie schlägt Ihnen deßhalb vor, statt der Doppelfrist von l Jahr und 5 Jahren eine einheitliche Durchschnittsfrist von 2 Jahren anzunehmen unter Beseitigung des letzten Satzes dieses Artikels im Beschluß des Ständerathes.

Dies, Tit., sind die Bemerkungen und Anträge, zu denen sich die Kommission veranlaßt findet; sie billigt im Ganzen die Tendenz, im Interesse des Publikums und der Angestellten mit einer gewissen Schärfe gegen die Eisenbahnen vorzugehen ; dagegen könnte sie nicht dazu rathen, für diese Seite der Industrie ganz ausnahmsweises materielles Recht zu schaffen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung und Ergebenheit.

Bern, 20. Oktober 1874.

Der Berichterstatter:

Dr. J. Dubs.

(Die Kommission bestand aus den Herren Dribs, Berthoud, Carteret, Fischer, Marti, Eomedi, Stoffel.)

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Bericht der

schweizerischen Generalkonsuls in Washington (Hrn. John Hitz von Davos und Klosters, Graubünden) über das Jahr 1873.

(Datirt 24. Juli, eingegangen am 11. August 1874.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath 1. Lage im Allgemeinen.

a. G e g e n w ä r t i g e r Stand und Aussichten.

Wenn auch nicht in Abrede gestellt werden kann, daß die im vergangenen Herbst eingetretene Geldkrisis einen nachtheiligen Einfluß auf den Handel und die Gewerbe des ganzen Landes ausgeübt, so gestalten sich die finanziellen Verhältnisse, : näher besehen, schließlich doch günstiger, als man noch vor Kurzem annehmen zu dürfen glaubte. Wenn vielleicht die Resultate in einzelnen Punkten gegenüber dem Vorjahre ungünstiger sind, so lassen sieh erhebliche Fortschritte in diesem Jahre in Bezug auf die Entwicklung des Handels im Allgemeinen dennoch leicht nachweisen. Den massenhaften Einlagen von Kapitalien in unrentable Eisenbahn-Unternehmungen ist Einhalt gethan, und wenn

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1874

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31.10.1874

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277-286

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