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Staatsvertrag zwischen

d e r Schweiz u n d I t a l i e n , betreffend

die Verbindung der Gotthardbahn mit den italienischen Bahnen bei Chiasso und Pino.

(Vom 23. Dezember 1873.)

Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft und

Seine Majestät der König von Italien, in der Absicht, die Durchführung des internationalen Vertrages vorn 15. Oktober 1869, betreffend den Bau und Betrieb einer Gotthardeisenbahn, so weit es hauptsächlich die Verbindung des schweizerischen mit dem italienischen Bahnneze und die Errichtung internationaler Stationen betrifft, zu ordnen, haben zu diesem Zweke Bevollmächtigte ernannt, nämlich :

Der schweizerische Bundesrath : Herrn Johann Jakob Scherer, Bundesrath, Vorsieher des Eisenbahnund Handelsdepartements ;

Seine Majestät der König von Italien: Herrn Ritter Louis Amédée Melegari, Senator des Königreichs, Seinen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der schweizerischen Eidgenossenschaft, welche, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgetheilt und dieselben in guter und gehöriger Form befunden, folgende Artikel vereinbart haben :

66 Artikel 1.

Die Verbindung der Gotthardbahn mit dem italienischen Bahnnez an der Grenze bei Chiasso findet auf der Bahnstreke statt, welche von Chiasso durch den Monte Olimpino nach Como geht.

Die Schienenhöhe am Anschlußpunkte soll 239,130 Meter über Meer oder 5,296 Meter über dem am obern Rande des Postaments des Grenzsteins westlich der Poststrasse angebrachten Fixpunkte betragen. Die für eine zweispurige Linie projektirte Bahnaxe soll die Richtung einhalten, welche sowohl auf dem Terrain, als auf dem beiliegenden beiderseitig unterzeichneten Plane A angegeben ist.

Die zwischen den innern Rändern der Schienen gemessene Spurweite soll am Anschlußpunkt 1,445 Meter und die Entfernung der beiden Geleise, im Falle einer doppelspurigen Bahn, zwischen den innern Rändern der nächsten Schienen gemessen 2,1oo Meter, mithin die Entfernung von Mitte zu Mitte der beiden Geleise 3,545 Meter betragen.

Die beiden Gesellschaften, denen der Bau der Streken LuganoChiasso und Chiasso-Camerlata obliegt, haben sich in kürzester Frist und unter Vorbehalt der Zustimmung der respektiven Regierungen über die Konstruktions-Details des Bahnkörpers am Anschlußpunkt zu verständigen.

Artikel 2.

Der Punkt an der Grenze bei Pino, wo der Anschluß der Gotthardbahn an das italienische Bahnnez auf dem linken Ufer des Langensees stattfinden wird, soll, sobald die Vorstudien hinreichend fortgeschritten sind, festgesezt werden.

Immerhin ist schon jezt vereinbart, daß sowohl die Spurweite als die Entfernung der Geleise, im Falle einer zweispurigen Bahn, bei diesem Anschlußpunkt gleich sein soll wie diejenige, welche für den Anschluß bei Chiasso festgesezt wurde.

Die italienische Bahn auf dem linken Ufer des Langensees soll gleichzeitig mit dem Tunnel von Göschenen nach Airolo vollendet und in Betrieb gesezt werden.

Artikel 3.

Es soll für jede der beiden Linien Bellinzona-Chiasso-Camerlata und Bellinzona-Pino-Luino eine internationale Station errichtet werden, um darin den Zoll-, Post-, Telegraphen-, Polizei- und Gesundheitspolizeidienst der beiden Staaten zu vereinigen.

Diese Stationen werden in Chiasso und Luino erstellt.

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Artikel 4.

Die in jeder der beiden internationalen Stationen, sowie zwischen diesen Stationen und der Grenze von den beiden interessirten Regierungen für die genannten Dienstzweige als nothwendig erkannten Lokale und Räumlichkeiten sind von den respektiven Bahngesellschaften unentgeldlich zur Verfügung zu stellen.

O O o Sofern außer diesen Dienstlokalitäten auch noch Wohnungen für das Personal besagter Dienstzweige erforderlich sein sollten, so sind die genannten Bahngesellschaften ebenfalls zu deren Herstellung verpflichtet, dagegen aber zum Bezüge eines jährlichen Miethzinses von 5% des hiefür gemachten Kapitalaufwandes, sowie zum Ersaz der entsprechenden Grundsteuer berechtigt.

Die Kosten der innern Einrichtung, des Unterhalts, der Beleuchtung und Reinigung sind von den diese Lokalitäten benuzenden Verwaltungen zu tragen.

Artikel 5.

Die Bedingungen, unter welchen der Betrieb auf den gemeinsamen Stationen zur Ausführung kommen soll, der Wechsel der Lokomotiven und die Mitbenuzung von Bahnstreken und Stationen der einen Bahngesellschaft durch die andere, sollen durch eine besondere Vereinbarung der respektiven Bahnverwaltungen geregelt werden. Diese Vereinbarung ist den beiden Regierungen zur Genehmigung vorzulegen, und zwar bezüglich der Linie Lugano-Camerlata spätestens den 1. Juni 1874 und bezüglich der Linie auf dem linken Ufer des Langensees spätestens ein Jahr vor der Eröffnung derselben.

In Ermanglung einer Verständigung unter den beiden Bahngesellschaften werden die beiden Regierungen die Bedingungen des · o o o o gemeinsamen Betriebes festsezen.

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Artikel 6.

Der Betrieb soll in der Weise organisirt werden, daß auf der Streke zwischen der Grenze und, der internationalen Station weder ein Wechsel der Wagen für die Reisenden, noch ein Umladen der Guter stattfindet.

Das für den durchgehenden Verkehr bestimmte Betriebsmaterial soll so konstruirt werden, daß es ohne Schwierigkeit von einem Bahnnez auf das andere übergehen kann.

Unmittelbar nach erfolgter Ratifikation des gegenwärtigen Vertrages werden die beiden Regierungen die erforderlichen Mittheilungen über die wesentlichen Dimensionen des zu diesem Verkehr bestimmten Betriebsmaterials austauschen.

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Die von einer der kontrahirenden Regierungen hinsichtlich ihrer Betriebsfähigkeit geprüften Lokomotiven und Wagen sollen ungehindert auf die im Gebiete des andern Staates liegenden Linien übergehen können.

Artikel 7.

Die periodischen Abänderungen in den Fahrtenplänen, Winterund Sommerdienst, sind möglichst gleichzeitig mit denen anderer influirender Bahnen festzusezen und in Ausführung zu bringen.

Falls während der Dauer eines Dienstes Aenderungen in der FahrtordnungO nothwendig werden sollten,' so sind dieselben sobald O als möglich vor ihrem Inkrafttreten den beiden Regierungen mitzutheilen.

Artikel 8.

Die volle Landeshoheit bleibt jeder Regierung für die auf ihrem Gebiete befindlichen Bahnstreken vorbehalten.

- Die Bahnbetriebspolizei wird unter Aufsicht der dazu in jedem Staatsgebiete kompetenten Behörde und in Gemäßheit der daselbst gültigen allgemeinen Vorschriften durch die Bahnangestellten ausgeübt.

Artikel 9.

Das gesammte Bahnpersonal steht unter den Gesezen und Polizeiverordnungen desjenigen Staates, in welchem es sich befindet.

Personen, welche wegen gemeiner Verbrechen oder Vergehen verurtheilt worden sind, dürfen weder auf den internationalen Stationen noch auf den Bahnstreken desjenigen Staates, dem sie nicht angehören, Verwendung finden.

Artikel 10.

Die zollamtliche Abfertigung "Seitens der Verwaltungen der beiden Staaten findet ausschließlich- auf den internationalen Stationen statt.

Dabei soll bezüglich der Passagiereffekten und des Reisegepäks jede nach den bestehenden Gesezen zuläßige Erleichterung und Vereinfachung eintreten.

Die nähern Formalitäten sollen zwischen den Zollverwaltungen der beiden Staaten, der Betriebseröffnung vorgängig, durch eine besondere Vereinbarung geregelt werden.

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Artikel 11.

Den betreffenden Zollbehörden steht es frei, die Züge von der internationalen Station bis zur nächsten Haltstation jenseits der Grenze durch Zollbedienstete begleiten zu lassen.

Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, für dieses Personal die erforderlichen Unterkunftslokale auf den Haltstationen zur Verfügung zu stellen, demselben auf jedem Zuge Pläze einzuräumen, von welchen aus der ganze Zug übersehen werden kann, endlich den von der Begleitung zurükkehrenden Bediensteten die unentö O geldliche Rükfahrt zu gewähren, und zwar den Zollbeamten in einem Wagen II. Klasse und den Zollwächtern, sofern sie nicht Offiziersrang bekleiden, in einem Wagen III. Klasse.

Artikel 12.

Von der königlich italienischen Regierung wird zugestanden, O O O O i daß die schweizerischen Fahrpostsendungen, welche nach Mailand oder weiter zu gehen bestimmt sind, an der Grenze, beziehungsweise auf der internationalen Station, nicht zollamtlich behandelt werden müssen, sondern unter Verblciung ohne weitere Formalität bis Mailand spedirt und erst auf dortigem Zollamt abgefertigt werden können.

Das gleiche Verfahren wird Seitens des schweizerischen Bundesrathes für die italienischen nach Lugano, Bellinzona oder wpiter gehenden Fahrpostsendungen bewilligt werden. Aehnliche Bestimmungen sollen später für die Linie Bellinzona-Luino und deren Fortsezung gegen Genua und Turin zur Anwendung kommen.

Artikel 13.

Die gegenseitigen Beziehungen der beiden Postverwaltungen, sowohl betreffend den Dienst auf den Bureaux der internationalen Stationen, als denjenigen der auf den betreffenden Linien fahrenden Bahnpostbüreaux, sollen durch besondere Verständigung unter denselben geregelt werden.

Artikel 14.

Die Verwaltung der Gotthardbahn ist berechtigt, für den Bahndienst auf der Streke von der Schweizergrenze bei Pino bis zur internationalen Station Luino eine Telegraphenleitung anzulegen und auf dieser Station sowohl als auf den allfälligen Zwischenstationen besondere Telegraphenapparate aufzustellen.

Die gleiche Berechtigung wird der Verwaltung der oberitalienischen Bahnen zugesichert für die Anlage einer Telegraphenleitung

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von der Schweizergrenze bei Chiasso bis zur internationalen Station Chiasso und die Aufstellung eines besondern Apparates auf dieser Station.

Die nähern Details des Telegraphendienstes sollen durch eine besondere Vereinbarung zwischen den Telegraphenverwaltungen der beiden Staaten geregelt werden.

Artikel 15.

Die zwischen der Grenze und einer internationalen Station liegenden und den Eisenbahnen gehörenden Grundstüke und Gebäulichkeiten sind nur den Steuern desjenigen Landes, in welchen sie sich befinden, unterworfen. Diese Bestimmung bezieht sich auch auf die Besteuerung des Betriebs auf derselben Bahnstreke.

Die auf der Station Chiasso beschäftigten italienischen Angestellten sollen von jeder direkten und persönlichen Steuer in der Schweiz befreit sein, ebenso sollen die auf der Station Luino beschäftigten schweizerischen Angestellten die gleiche Steuerbefreiung in Italien genießen.

Artikel 16.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratifizirt werden, und es sind, die Ratifikationen bald möglichst in Bern auszuwechseln.

Zur Urkunde dessen haben die Bevollmächtigten den Vertrag unterschrieben und besiegelt.

So geschehen in B e r n , in doppelter Ausfertigung, den 23.

Dezember 1873.

(Gez.) Scherer.

(L. S.)

(GezO Melegari.

(L. S.)

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Bericht der

ständeräthlichen Eisenbahnkommission, betreffend erneuerte Fristerstrekungen für einige Sectionen der Broyethalbahn.

(Vom 6. November 1873.)

Tit.

$ Die Direktion der Broyethalbahn hat dem schweizerischen Bundesrath in einer vom 2. Oktober tu c. datirten Eingabe berichtet, daß die von der BundesversammlungO am 26. Juli a. c. bewilligten O Fristerstrekungen für Beginn der Erdarbeiten und Leistung des Finanzausweises, welche für die Sektion Payerne-Yverdon mit dem 19. November und für die Sektion Lyß-Fräschels mit dem 11. Dezember a. c. ablaufen, wider alles Erwarten nicht ausreichen werde, um die Verhandlungen zu Ende zu führen, welche einerseits mit der Eisenbahngesellschaft der Westschweiz, anderseits mit der Eisenbahngesellschaft des bernischen Jura zum Zwek der O Uebergabe dieser beiden Sektionen in's Werk gesezt worden sind.

Während die Direktion zuverläßig hoffte, daß die Bundesversammlung noch während der Julisizung sowohl die Abtretung der Linie Lyß-Fräschels (Bernergebiet) an die Gesellschaft des Berner Jura als die Verschmelzung des auf Waadtländer Gebiet liegenden Theils der Transversallinie (Freiburg-Yverdon) und des auf Waadtländer und Freiburger Gebiet liegenden Theils der Longitudinallinie (Fräschels-Palézieux), zu sanctioniren im Fall sein werde, sei durch eine beim Bundesrath eingelegte Einsprache des Herrn Fürsprech Hafner in Murten gegen die Verschmelzung eines Theils der

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Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Italien, betreffend die Verbindung der Gotthardbahn mit den italienischen Bahnen bei Chiasso und Pino. (Vom 23. Dezember 1873.)

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Jahr

1874

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

04

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

24.01.1874

Date Data Seite

65-71

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10 008 036

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