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Schweizerisches Bundesblatt.

XXYI. Jahrgang. I.

Nr. 7.

14. Februar

1874.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e b ü h r per Zeile 15 ßp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Drnk und Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

# S T #

Botschaft des

Bundesrathes zum Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem deutschen Reiche.

(Vom 28. Januar 1874.)

Tit. !

Im Laufe des Winters 1871/72 sprach der Präsident des Reichskanzleramtes, Herr Staatsminister Del b r ü c k , gegenüber Herrn Oberst H a m m e r , dem schweizerischen Gesandten in Berlin, die Geneigtheit aus, mit der schweizerischen Eidgenossenschaft behufs Abschlusses eines Niederlassungs - und eines Auslieferungsvertrages in Unterhandlung zu treten, und brachte hiebei in Vorschlag, daß die Unterhandlung über den ersteren in Bern, über den lezteren in Berlin geführt werden möchte.

Unterm 29. April 1872 gab der Bundesrath des deutschen Reiches seine Zustimmung zur Unterhandlung über die benannten Verträge, und es wurde von Seiner Majestät dein deutschen Kaiser der Geheime Legationsrath K ö n i g zur Führung der Unterhandlungen über den Auslieferungsvertrag ermächtigt.

Unterm 29. Mai desselben Jahres ertheilte der schweizerische Bundesrath seinerseits dem Herrn Oberst Hammer die bezügliche Vollmacht.

Bundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd.l.

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224 Mit Schreiben vom 1. Juni sprach der deutsche Bevollmächtigte dem leztern den Wunsch aus, daß den Verhandlungen der Text des deutsch-italienischen Auslieferungsvertrages zu Grunde gelegt werden möchte, und es bezeichnete derselbe unter Einsendung eines Exemplares dieses Vertrages zugleich auch diejenigen Aendcrungen, welche vom deutschen Standpunkt aus als wünschenswerth sich darstellten.

Schweizerischerseits wurde diese Unterhandlungs-Grundlage, welche im Wesentlichen mit dem Inhalte, der von der Schweiz schon abgeschlossenen Auslieferungsverträge übereinstimmt, annehmbar befunden, und es führten die daherigen Unterhandlungen nach vielfachem Meinungsaustausch schließlich zu derjenigen Fassung, welche in dem am 24. d. M. unterzeichneten Vertrage niedergelegt ist. Hinsichtlich des Ganges der Verhandlungen selbst ist noch zu bemerken, daß in Folge Berufung des deutschen Delegirten, des Geheimen Legationsrathés König, in das Bundesamt für Heimatswesen, derselbe in seiner bisherigen Mission als Delegirter zur Vertragsverhandlung durch den Geheimen Legationsrath W il k e ersezt wurde.

Der von deutscher Seite ursprünglich proponirte Vertragsentwurf erfuhr nicht bloß durch die unsererseits vorgebrachten Gegenvorschläge, sondern auch durch die Ansichten der deutscherseits maßgebenden Stellen (Auswärtiges Amt, Reichskanzleramt und bundesräthliche Ausschüsse) mehrfache Veränderungen, die in Nachfolgendem eine kurzgefaßte Darstellung finden.

Ad Art! 1.

Dieser Artikel enthält unter 23 Ziffern die Aufzählung derjenigen strafbaren Handlungen, für welche die Auslieferung der Schuldigen -- seien solche "Urheber" (intellektuelle Urheber) oder "Thäter" (physische Urheber) oder ,,Theilnehmer" -- stattfindet.

Die Auslieferung für Kuppelei mit Minderjährigen (Ziffer 9), für Unterschlagung (Ziffer 12) und für Betrügereien (Ziffer 13) findet nur dann statt, wenn diese Handlungen nach der Gesezgebung beider vertragenden Theile strafbar sind. Unter der nämlichen Voraussezung findet die Auslieferung auch für Versuchshandlungen, bezüglich Ziffer l bis 23, statt. Die im deutsch-italienischen Vertrage für die Diebstahls-, Unterschlagungs- und Betrugsfälle vorgeschriebene Werthsumme (Ziffer 11, 12, 13) wurde mit Rüksicht auf die Unwahrscheinlichkeit, daß Auslieferungen wegen Bagatellsachen anbegehrt werden sollten,
fallen gelassen.

Die Redaktion der Ziffer l (Tödtungen) wurde durch Streichung der Worte ,,Giftmord und Elternmord", weil im Begriff ,,Mord" schon enthalten, vereinfacht.

225 Die Ziffer 23 erhielt auf schließlich vorgebrachten ausdrüklichen Wunsch des Eisenbahnausschusses im deutschen Bundesrath gegenüber der ursprünglichen einfacheren Redaktion, die im Vertrage enthaltene, an Kasuistik reichere Fassung, welche zu beanstanden der schweizerische Bundesrath kein besonderes Interesse hatte.

Deuscherseits war anfänglich auch eine besondere Ziffer für Vergehen der Schiffsführer und Schiffsmannschaften auf Seeschiffen vorgeschlagen und festgehalten worden. In Folge der sch weise e rischerseits geltend gemachten Bemerkung, daß sich nach diesseitigen O g g O Verhältnissen ein Anlaß zur Reciprocität nicht denken lasse, und daß auch andere maritime Staaten in ihren Auslieferungsverträgen mit der Schweiz von der Aufnahme der sogenannten Schiffsvergehen Umgang genommen, kam die Ziffer 23 des deutsch-italienischen Vertrages hierorts in Wegfall.

Unwesentliche o.ler nur redaktionelle Aenderungen des ursprünglichen Entwurfes werden hier nicht berührt.

Ad Art. II.

Eigene Bürger liefert der eine Staat dem andern nicht aus, sondern übernimmt selbst die gerichtliche Verfolgung strafbarer Handlungen, welche eigene Staatsangehörige im Gebiet des andern vertragenden Theiles begangen, sofern solche Handlungen auch nach Maßgabe der eigenen Gesezgebung strafbar sind. Der Staat, in dessen Gebiet eine solche strafbare Handlung begangen worden, hat in diesem Falle die nöthigen Erhebungen etc. zur Feststellung des Thatbestandes zu veranstalten.

Auf den Wunsch des Auswärtigen Amtes des deutschen Reiches wurde diese anfanglich aus dem Entwurfe entfernte Bestimmung mit etwas geänderter Redaktion wieder aufgenommen. Der schweizerische Bundesrath konnte sich mit der Wiederaufnahme dieser Bestimmung, welche die Auslieferung eines Angeklagten an einen dritten Staat -- den Heimatsstaat des Angeklagten -- gestattet, um so eher befieunden, als dieses Verfahren ein willkommenes Aushilfsmittel gegen mögliche Härten und Incoii venienzen bietet, welche die Auslieferung des Verfolgten an den reklamirenden Staat selbst unter Umständen mit sich führen kann.

Art. III gab in den Verhandlungen und gibt im heutigen Bericht zu keiner besonderen Bemerkung Anlaß.

Art. IV.

Die Fassung dieses Artikels ist eine Verschmelzung der bezüglichen Bestimmungen des englisch-deutschen und deutsch-italienischen Vertrages. Der hierseitigen Auffassung kann selbstredend die Fassung

226 des deutsch-englischen Vertrages, insoweit sie hier in Lemma l aufgenommen ist, besser entsprechen, als die Redaktion des deutschitalienischen Vertrages, mit .welcher die einschlägigen Bestimmungen der übrigen von der Schweiz mit andern Staaten abgeschlossenen Auslieferungsverträge im Wesentlichen übereinstimmen.

Daß politische Verbrechen und Vergehen im eigentlichen und engeren Sinne als: Hochverrath, Landesverrath, Aufruhr, Landfriedensbruch etc. sich nicht zur Auslieferung qualificiren, ergibt sich logischer Weise schon daraus, daß solche, wie zum Beispiel auch die rein militärischen Vergehen, nicht im Art. I unter denjenigen strafbaren Handlungen aufgezählt sind, für welche die Auslieferung stattfindet, und es bedürfte somit, streng genommen, nachdem der Art. I die politischen Verbrechen und Vergehen schon ausgeschlossen hat, im Art. IV keiner ausdrüklichen und besonderen Bestimmung mehr, dahin gehend, daß der gegenwärtige Vertrag auf politische Verbrechen und Vergehen keine Anwendung finde, wie das ur* sprüngliche Vcrtragsprojekt lautete.

In dieser Beziehung bringt die Ausdruksweise des englischdeutschen Vertrages, wie solche im Ingreß von Art. IV aufgenommen ist, mehr Klarheit, und eine freiere und weitere Auffassung in die Sache, indem dadurch statuirt wird, daß auch von den im Art. I aufgezählten Verbrechen und Vergehen, einzelne', wie zum Beispiel Tödtung, Beraubung der persönlichen Freiheit, Körperverlezung u. s. w.

unter Umständen einen politischen C h a r a k t e r an sich tragen können, wodurch eine Auslieferung ausgeschlossen wird. Eines Hinweises auf geschichtliche Ereignisse zur Klarstellung dieser Fragen wird es kaum bedürfen.

Es schien demnach angezeigt, unsererseits einer Fassung den Vorzug zu geben, welche einem Staate, der von politischen Flüchtlingen aller Nationen so vielfach als Asyl in Anspruch genommen wird, in Auslieferunssfällen eine klarere und -freiere Stellung einzuräumen geeignet erscheint, wobei anzuerkennen ist, daß deutscherseits der diesseitigen Auffassungsweise in loyalster Weise Rechnung getragen wurde.

Am Schlüsse des zweiten Lemma wurde auf unsern Antrag und veranlaßt durch einen Spezialfall die Einschaltung ,,oder für solche an einen dritten Staat ausgeliefert"1 aufgenommen.

Art. V und VI geben zu inhaltlichen Erörterungen keinen besondern Anlaß.

Art. VH und VIU.

Wohl auf Veranlassung eines oder einzelner deutschen Bundesstaaten, die zur Zeit eigene diplomatische Vertretung in der Schweiz 7

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o

227 nicht haben, wurde im lezten Stadium der Verhandlung deutscherseits zum Art. VII ein Zusaz folgenden Inhalts beantragt: ,,Der Schriftwechsel und die Verhandlungen können jedoch je nach den Umständen des einzelnen'Falles unmittelbar zwischen deibei der Auslieferung direkt beteiligten deutschen Regierung und der Schweiz, resp. der betheiligten schweizerischen Kantonsregierung stattfinden."Da jedoch sowohl nach dem Ingreß des Artikels VII selbst, als auch nach Maßgabe der durch anderweitige Auslieferungsverträge sanktionirten Prinzipien, solche Fragen im Wege des diplomatischen Verkehres behandelt werden und nach Artikel X der schweizerischen Bundesverfassung der diplomatische Vorkehr der schweizerischen Kantone mit dem Auslande durch den Bundesrath vermittelt wird, so konnte schweizerischerseits dem angeführten Antrag die Zustimmung nicht ertheilt werden. In Folge dessen erklärte man sich auch deutscherseits zum Fallenlassen des Antrages bereit, und es wird nach Inkrafttretung des Vertrages die Sache sich derart gestalten, daß die deutsche Reichsgesandtschaft in Bern alle deutschen Auslieferungsanträge zu vertreten haben wird, deren Geltendmachung nicht einem akkreditirten Vertreter eines Bundesstaates (Bayern) zusteht.

Es entspricht dieser Modus von Geschäftsbehandlung der beidseitigen konstitutionollen Organisation und kann um so weniger praktische Bedenken erregen, als im Art. VIII des Vertrages für dringliche Fälle besondere Vorsorge getroffen ist.

Art. IX, X, XI geben zu keinen einläßlichen Erörterungen Anlaß.

Ad Art. XII, XIII.

Diese Artikel, welche den gleichnamigen Artikeln des schweizerisch-badischcn Vertrages entsprechen, tragen in ihrer etwas veränderten Fassung über die Stellung von Zeugen theilweise den Bemerkungen Rechnung, welche mittels Schreiben vom 9. April 1872 der Kriminalgerichtspräsident und der Staatsanwalt von BaselStadt gegen die Bestimmungen von Art. XII,> Lemma 3 und Art. XIII,> g O Lemma l und 2 des schweizerisch-badischen Vertrages zuhanden des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements eingereicht haben.

Am Schlüsse vom Art. XIII des abgeschlossenen Vertrages findet sich auf diesseitigen Antrag die Einschaltung, daß ein vor einem ausländischen Gericht auf Vorladung hin freiwillig sich stellender Zeuge nicht für civilrechtliche Ansprüche irgend wie belästigt werden dürfe.

Art. XIV, XV geben zu keinen besondern Bemerkungen Anlaß.

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Art. XVI.

Uebcr die Frist zur Auswechslung der Ratifikationsurkunden wurde absichtlich keine Bestimmung aufgenommen, weil der Zeitpunkt der Genehmigung des Vertrages durch die schweizerische Bundesversammlung nicht mit genügender Sicherheit in Aussicht zu nehmen war und die Behandlung des Vertrages auch vom deutschen Reichstag nach einer frühern Aeußerung des Staatsministers Delbrück erst nach schweizerischerseits stattgefundener Genehmigung zu erwarten steht. Es wird hienach verstanden, daß die Auswechslung der Ratifikationsurkunden bald möglichst, und zwar da stattzufinden habe, wo der Vertrag seinen Abschluß gefunden.

Gegenüber den bisher mit den süddeutschen Staaten (Baden, und Bayern) abgeschlossenen Auslicfcrungsverti-ägen unterscheidet sich gegenwärtiger Vertrag wesentlich in folgenden Beziehungen : 1) Er vermehrt die Zahl und präzisirl; mehr den Umfang der Auslieferungsfälle. (Art. I.)

2) Er stellt die Ausnahmen der Ausliefemngspflicht auf eine klarere Basis und verbietet die Auslieferung ausgelieferter Personen an dritte Staaten wegen Handlungen politischer Natur (Art. IV).

3) Er erleichtert das Verfahren in dringlichen Fällen (Art. VIII).

.4) Er regulirt die Grundsäze über die Durchführung einer von einem dritten Staate ausgelieferten Person durch das Landesgebiet der vertragenden Staaten. (Art. X.)

5) Er enthält genauere Bestimmungen über das Erscheinen von Zeugen und die Vornahme von Confrontationen etc. (Art. XII, XIII, XIV.)

Wir schließen mit dem Antrage, es sei diesem Vertrage die Genehmigung zu ei'theilen und uns Vollmacht zu geben, denselben in Vollzug zu sezen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 28. Januar 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Dei' Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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(Entwurf) Bundesbeschluss betreffend

den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 28. Januar 1874, beschließt: Art. 1. Dem zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche unterm 24. Januar 1874 zu Berlin abgeschlossenen Vertrage, betreffend gegenseitige Auslieferung von Verbrechern, wird hiemit die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

Art. 2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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A u s l i e f e r u n g s Y e r t rag zwischen

der Schweiz und dem Deutschen Reiche.

(Vom 24. Januar 1874.)

Der schweizerische Bundesrath einerseits und Seine Majestät der Deutsche Kaiser andererseits sind übereingekommen, einen Vertrag wegen gegenseitiger Auslieferung der Verbrecher abzuschließen, und haben zu diesem Zvveke mit Vollmacht versehen, und zwar:

Der schweizerische Bundesrath den Herrn eidgenössischen Oberst Bernhard H a m m e r , seinen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minisleibei dem Deutschen Reiche,

Seine Majestät der Deutsche Kaiser den Herrn Hermann Karl W i l k e, Allerhöchstihren Geheimen Legationsrath, welche nach Mittheilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten über nachstehende Artikel übereingekommen sind : Artikel 1.

Die hohen vertragenden Theile verpflichten sich durch gegenwärtigen Vertrag, sich einander in allen nach den Bestimmungen

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desselben zuläßigen Fällen diejenigen Personen auszuliefern, welche von den Behörden einer der vertragenden Theile wegen einer der nachstehend aufgezählten Handlungen, sei es als Urheber, Tliäter oder Thcilnehmer, verurtheilt oder in Anklagestand versext, oder zur gerichtlichen Untersuchung gezogen sind und im Gebiete des anderen Theiles sich aufhalten, nämlich : 1) wegen Todtschlages und Mordes, einschließlich des Kindermordes; 2) wegen vorsäzlicher Abtreibung der Leibesfrucht; 3) wegen Aussezung oder vorsäzlicher Verlassung eines Kindes; 4) wegen Raubes, Unterdrükung, Verwechselung oder Unterschiebung eines Kindes ; o) svegen Entführung einer minderjährigen Person; 6} wegen vorsäzlicher und rechtswidriger Beraubung der persönlichen Freiheit eines Menschen, sei es, daß sich eine Privatperson oder ein öffentlicher Beamter derselben schuldig macht; 7) wegen mehrfacher Ehe; 8) wegen Nothzucht; 9) wegen Kuppelei mit minderjährigen Personen des einen oder anderen Geschlechts in denjenigen Fällen, in welchen dieselbe durch die Landesgesezgebung der vertragenden Theile mit Strafe bedroht ist; 10) wegen vorsäzlicher Mißhandlung oder Verlezung eines Menschen, welche eine unheilbare oder voraussichtlich unheilbare Krankheit oder Entstellung oder den Verlust des unbeschränkten Gebrauchs eines Organs, oder ohne den Vorsaz zu tödten, den Tod zur Folge gehabt hat; 11) wegen Dicbstahls, Raubes und Erpressung ; 12) wegen Unterschlagung in denjenigen Fällen, in welchen dieselbe von der Landesgesezgebung der vertragenden Theilen mit Strale bedroht ist ; 13) wegen Betruges, hetrüglichen Bankerotts und betrüglicher Benachtheiligung einer Konkursmasse in denjenigen Füllen, in welchen diese Handlungen nach der Gesezgebung der vertragenden Theile als Verbrechen oder Vergehen strafbar sind; 14) wegen Meineides ; 15) wegen falschen Zeugnisses und wegen falschen Gutachtens eines Sachverständigen oder Dolmetschers;

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16) wegen Verleitung eines Zeugen zu falschem Zeugniß und wegen Verleitung eines Sachverständigen oder Dolmetschers zum falschen Gutachten; 17) wegen Fälschung von Urkunden oder telegraphisehen Depeschen, sowie wegen wissentlichen Gebrauches falscher oder gefälschter Urkunden und telegraphischei- Depeschen, vorausgesezt, daß die Absicht zu betrugen oder zu schaden obgewaltet hat; 18) wegen Falschmünzerei, insbesondere wegen Nachmachens und Veräuderns von Metall- und Papiergeld und wegen wissentlichen Ausgebens und Inumlaufsezens von nachgemachtem oder verändertem Metall- und Papiergelde; 19) wegen Nachmachens und Verfälschens von Bankbillets und anderen vom Staate oder unter Autorität des Staates von Korporationen, Gesellschaften oder Privatpersonen ausgegebenen Schuldverschreibungen und sonstigen Wertpapieren, sowie wegen wissentlichen Ausgebens und Inumlaufsezens solcher nachgemachten oder gefälschten Bankbillets, Schuldverschreibungen und anderer Werthpapiere ; 20) wegen vorsäzlicher Brandstiftung; 21) wegen Unterschlagung und Erpressung seitens öffentlicher Beamten; 22) wegen Bestechung öffentlicher Beamten zum Zweke einer Verlezung ihrer Amtspflicht; 23) wegen vorsäzlicher und rechtswidriger gänzlicher oder theilwciser Zerstörung von Eisenbahnen, Dampfmaschinen oder Telegraphenanstalten ; wegen vorsäzlicher Störung eines Eisenbahnzuges auf der Fahrbahn durch Aufstellen, Hinlegen oder Hinwerfen von Gegenständen, durch Verrükung von Schienen oder ihrer Unterlagen, durch Wegnahme von Weichen oder Bolzen oder durch Bereitung von Hindernissen anderer Art, welche dazu geeignet sind, den Zug aufzuhalten oder aus den Schienen zu bringen. Die Auslieferung kann auch wegen Versuches einer der von l--23 aufgeführten strafbaren Handlungen stattfinden, wenn der Versuch derselben nach der Landesgesezgebung der vertragenden Theile mit Strafe bedroht ist.

233 Artikel 2.

Jedoch soll von Seiten der Regierungen des Deutschen Reiches kein Deutscher an die schweizerische Regierung und von Seiten dieser kein Schweizer an eine dei' Deutschen Regierungen ausgeliefert werden.

Wenn nach den Gesezen desjenigen Staates, welchem der Beschuldigte angehört, Anlaß vorhanden sein sollte, ihn wegen der in Frage stehenden Handlung zu verfolgen, so soll der andere Staat die Erhebungen und Schriftstüke, die zur Feststellung des Thatbcstandes dienenden Gegenstände und jede andere fiir das Strafverfahren erforderliche Urkunde oder Aufklärung mitthcilen.

Ist die rekln mirte Person weder ein Deutscher, noch ein Schweizer, so kann der Staat, an welchen der Auslieferungsautrag gerichtet wird, von dem gestellten Antrage diejenige Regierung, welcher der Verfolgte angehört, in Kenntniß sezen, und wenn diese Regierung ihrerseits den Angeschuldigten beansprucht, um ihn vor ihre Gerichte zu stellen, so kann diejenige Regierung, an welche der Auslieferungsantrag gerichtet ist, den Angeschuldigten nach ihrer Wahl der einen oder der anderen Regierung ausliefern.

Artikel 3.

Die Auslieferung soll nicht stattfinden, wenn die von einer Deutschen Regierung reklamirte Person in der Schweiz oder die von der schweizerischen Regierung reklamirte Person in einem der Deutschen Staaten wegen derselben strafbaren Handlung, wegen deren die Auslieferung beantragt wird, in Untersuchung gewesen und außer Verfolgung' gesezt worden ist, oder sich noch in Untersuchung befindet, oder bereits bestraft worden ist.

Wenn die Seitens einer Deutsehen Regierung reklamirte Person in der Schweiz oder die Seitens der schweizerischen Regierung reklamirte Person in einem der deutschen Staaten wegen einer anderen strafbaren Handlung in .Untersuchung ist, so soll ihre Auslieferung bis zur Beendigung dieser Untersuchung und vollendeter Vollstrekung der etwa gegen sie erkannten Strafe aufgeschoben werden.

Artikel 4.

Die Auslieferung soll nicht stattfinden, wenn die strafbare Handlung, wegen deren die Auslieferung verlangt wird, einen politischen Charakter an sich trägt, oder wenn die auszuliefernde Person beweisen kann, daß der Antrag auf ihre Auslieferung in Wirklichkeit mit der Absicht gestellt worden, sie wegen eines

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Verbrechens oder Vergehens politischer Natur zu verfolgen oder zu bestrafen.

Die Person, welche wegen eines der im Artikel i aufgeführten gemeinen Verbrechens oder Vergehens .ausgeliefert worden ist, darf demgemäß in demjenigen Staate, an welchen die Auslieferung gewährt ist, in keinem Falle wegen eines von ihr vor der Auslieferung verübten politischen Verbrechens oder Vergehens, noch wegen einer Handlung, die mit einem solchen politischen Verbrechen oder Vergehen im Zusammenhange steht, zur Untersuchung gezogen oder bestraft oder für solche an -einen dritten Staat ausgeliefert werden.

Eben so wenig kann eine solche Person wegen eines Verbrechens oder Vergehens, welches in dem gegenwärtigen Vertrage nicht vorgesehen ist, zur Untersuchung gezogen oder bestraft werden ; es sei denn, daß dieselbe, nachdem sie wegen des Verbrechens, welches zur Auslieferung Anlaß gegeben hat, bestraft oder freigesprochen ist, versäumt habe, vor Ablauf einer Frist von drei Monaten das Land zu verlassen, oder da.ß sie aufs Neue dorthin komme.

Artikel 5.

Die Auslieferung soll nicht stattfinden, wenn seit der begangenen strafbaren Handlung oder der Iczten gerichtlichen Handlung im Strafverfahren oder der erfolgten Verurtheilung nach den Gcsezen desjenigen Landes, in welchem der Verfolgte zur Zeit, wo die Auslieferung beantragt wird, sich aufhält, Verjährung der strafgerichtlichen Verfolgung oder der erkannten Strafe eingetreten ist.

Artikel 6.

Eine an sich begründete Auslieferung soll auch dann zugestanden werden, wenn der Angeschuldigte dadurch verhindert wird, übernommene Verbindlichkeiten gegen Privatpersonen zu erfüllen, und es bleibt dem dadurch beeinträchtigten Theile überlassen, seine Rechte vor der zuständigen Behörde geltend zu machen.

Artikel 7.

Die Auslieferung soll bewilligt werden auf den im diplomatischen Wege gestellten Antrag und nach Beibringung eines Strafurtheils oder eines Beschlusses über Versezung in den Anklagestand, eines Haftbefehls oder eines anderen Aktes, welcher die gleiche Wirkung hat und ebenfalls die Art und Schwere der verfolgten That, sowie die auf dieselbe anwendbare strafgesezliche

235 Bestimmung angibt. Diese Aktenstükc sollen im Original oder iu beglaubigter Ausfertigung eines Gerichtshofes oder einer anderen zuständigen Behörde des die Auslieferung beantragenden Landes mitgetheilt werden. Gleichzeitig sollen, sofern dies möglich ist, das Signalement der reklamirten Person und alle anderen zur Feststellung ihrer Identität geeigneten Angaben beigebracht werden.

Artikel 8.

In dringenden Fällen und insbesondere, wenn Gefahr der Flucht vorhanden ist, kann jeder der vertragenden Staaten unter Berufung auf das Vorhandensein eines Strafurtheils, eines Beschlusses auf Versezung in den Anklagestand oder eines Haftbefehls, in kürzester Weise, selbst auf telegraphischem Wege, die vorläufige Festnahme des Verurtheilten oder Angeschuldigten beantragen und erwirken, unter der Bedingung, daß das Dokument, auf dessen Vorhandensein man sich berufen hat, binnen einer Frist von zwanzig Tagen nach der Festnahme beigebracht wird. Unter der gleichen Voraussezung und unter derselben Bedingung soll der Verfolgte in dringenden Fällen auf direktes Verlangen der zuständigen Behörde einstweilen in Verhaft genommen werden.

Artikel 9.

Die entwendeten oder im Besize des Verurtheilten oder Angeschuldigten vorgefundenen Gegenstände, die Geräthschaften und Werkzeuge, deren er sich zur Verübung seines Verbrechens oder Vergehens bedient hat, sowie alle anderen Beweisstüke sollen gleichzeitig mit der Auslieferung der verhafteten Person ausgefolgt werden.

Dies soll selbst dann geschehen, wenn die Auslieferung, nachdem sie zugestanden worden ist, in Folge des Todes oder der Flucht des Schuldigen nicht sollte stattfinden können. Diese Ausfolgung wird sich auch auf alle Gegenstände der gedachten Art erstreken, welche von dem Angeschuldigten in dem Lande, in welches er sich gefluchtet hat, verstekt oder hinterlegt, worden sind, und die daselbst später aufgefunden worden.

Jedoch werden die Rechte dritter Personen an den erwähnten Gegenständen vorbehalten, und es sollen ihnen dieselben nach Schluß des gerichtlichen Verfahrens kostenfrei wieder ausgehändigt werden.

Artikel 10.

Liefert eine dritte Regierung Jemanden aus, so gestatten die vertragenden Theile die Durchführung des Auszuliefernden durch

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ihr Laudesgebiet, oder den Transport des Auszuliefernden auf ihren Fahrzeugen und Dienstschiffen, sofern die betreffende Person nicht dem um die Gewährung der Durchführung angegangenen Staate augehört. In diesem Falle bedarf es nur eines einfachen Antrages auf diplomatischem Wege seitens derjenigen Regierung, welche die Auslieferung verlangt hat und der Beibringung der nöthigen Beweisstüke dafür, daß es sich nicht um ein politisches oder rein militärisches Vergehen handelt.

Die Durchführung findet auf dem kürzesten Wege unter der Begleitung von Agenten des requirirten Landes und auf Kosten der reklamirenden Regierung statt.

Artikel 11.

Die vertragenden Theile verzichten auf die Erstattung derjenigen Kosten, welche ihnen aus der Festnahme und dem Unterhalt des Auszuliefernden oder aus dessen Transporte bis zur Grenze des requirirten Theiles erwachsen. Sie wollen vielmehr diese Kosten gegenseitig selbst tragen.

O O O w> Artikel 12.

Wenn im Laufe eines nicht politischen Strafverfahrens einer der vertragenden Theile die Vernehmung von Zeugen oder irgend eine andere Untersuchungshandlung in dem Gebiete des anderen Theiles für nothwendig erachten sollte, so wird zu diesem Zweke ein Ersuchsschreiben auf diplomatischem Wege oder direkt von der zuständigen Behörde des einen Landes an die zuständige Behörde des anderen Landes übersandt, und es soll demselben nach Maßgabe der Gesezgebung des Landes, wo der Zeuge vernommen oder der Akt vorgenommen werden soll, Statt gegeben werden; die Ausführung des Antrages kann verweigert werden, wenn das Verfahren gegen einen von der requirirenden Behörde noch nicht verhafteten Angehörigen des requirirten Landes gerichtet ist, oder wenn die Untersuchung eine Handlung zum Gegenstande hat, welche nach den Gesehen des Staates, an welchen das Ersuchsschreiben gerichtet ist, nicht gerichtlich strafbar ist.

Die betheiligten Regierungen entsagen jedem Ansprüche auf Erstattung der aus der Ausführung der Requisition entstandenen Kosten, so weit es sich nicht um strafgerichtliche, kommerzielle oder medizinische Gutachten Sachverständiger handelt.

Artikel 13.

Wenn in einer nicht politischen Untersuchungssache das persönliche Erscheinen eines in dem andern Lande wohnhaften Zeugen

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nothwendig oder wünschenswerth ist, so wird seine Regierung ihn auffordern, der an ihn ergehenden Ladung Folge zu leisten. Leistet er Folge, so werden ihm die Kosten der Reise und des Aufenthaltes nach seiner Wahl entweder nach den Tarifsäzen und Reglementen des Landes, wo die Vernehmung stattfinden soll, oder nach denjenigen des requirirten Staates bewilligt werden; auch kann dem Zeugen auf seinen Antrag durch die Behörden seines Wohnorts der Gesammtbetrag oder ein Theil der Reisekosten vorgeschossen werden; diese Kosten werden demnächst von der dabei interessirten Regierung zurükerstattet.

In keinem Falle darf ein Zeuge, welcher in Folge der in dem einen Lande an ihn ergangenen Vorladung freiwillig vor den Richtern des andern Landes erscheint, daselbst wegen früherer strafbarer Handlungen oder Verurtheilungen oder unter dem Verwände der Mitschuld an den Handlungen, welche den Gegenstand der Untersuchung bilden, worin er als Zeuge erscheinen soll, zur Untersuchung gezogen oder in Haft genommen, oder für civilrechtliche Ansprüche irgendwie belästigt werden. Hierbei kommt es auf die Staatsanhörigkeit des Zeugen nicht au.

Artikel 14.

Wenn es bei einer Untersuchung, welche in einem der vertragenden Staaten geführt wird, nothwendig werden sollte, den Angeschuldigten mit in dem andern Lande verhafteten Schuldigen zu konfrontiren, oder Beweisstüke oder gerichtliche Urkunden, welche lezterem Staate gehören, vorzulegen, so soll ein Gesuch dieser Art auf diplomatischem Wege oder im direkten Verkehr unter den zuständigen Behörden der vertragenden Theile. gestellt werden, und es soll demselben, sofern nicht etwa außergewöhnliche Bedenken dagegen obwalten, stets entsprochen werden, unter der Bedingung jedoch, daß, sobald als möglich, die Verhafte!en zurükgeliefert und die obigen Beweisstüke und Urkunden zurükgesandt werden.

Die Kosten des Transports der oben erwähnten Personen und Gegenstände von einem Staate zum andern werden von derjenigen Regierung getragen, welche; den bezüglichen Antrag gestellt hat.

Artikel 15.

Die vertragenden Regierungen verpflichten sich, einander wechselseitig die Verurtheilungen wegen Verbrechen und Vergehen jeder Art mitzutheilen, welche von den Gerichtshöfen des einen Landes gegen Angehörige des anderen ausgesprochen werden.

238 Diese Mittheilung wird auf diplomatischem Wege erfolgen durch vollständige oder auszugsweise Uebersendung des ergangenen und rechtskräftig gewordenen Urtheils an die Regierung desjenigen Landes, welchem der Verurtheilte angehört. Jede der vertragenden Regierungen wird zu diesem Zweke au die zuständigen Behörden die entsprechenden Anweisungen erlassen.

Artikel 16.

Der gegenwärtige Vertrag ist auf zehn Jahre abgeschlossen.

Von dem Zeitpunkte seiner Geltung ab verlieren die früher zwischen den einzelnen Staaten des Deutschen Reiches und der Schweiz abgeschlossenen Verträge über die Auslieferung von Verbrechern ihre Gültigkeit.

Wenn von keinem der vertragenden Theile sechs Monate vor dem Ablauf der zehnjährigen Frist die Absicht, diesen Vertrag außer Kraft zu sezen, angezeigt wird, so soll derselbe für zehn weitere Jahre in Geltung bleiben, und so ferner von zehn zu zehn Jahren.

Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten unter Vorbehalt der Genehmigung der gesezgebenden Körperschaften der vertragenden Theile diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Geschehen zu B e r l i n , den 24. Januar 1874.

(Gez.) Hammer, Oberst.

(L. S.)

(Gez.) Wilke.

(L. S.)

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Bericht des

=

eidg. Justiz- und Polizeidepartemnntes an den schweizerischen Bundesrath über ein von Hrn. Nationalrath Louis Wuilleret verfasstes Memorial, betreffend Anrufung der Intervention der französischen Regierung in die innern Angelegenheiten der Schweiz.

(Vom 25. Januar 1874.)

Der ,,Confédéré" von Freiburg hat in seiner Nr. 10 vom Freitag 23. Januar 1874 unter dem Titel ,,Les traîtres" einen Artikel publizirt, in welchem er dem Hrn. Louis Wuilleret, gegenwärtig Präsident des Großen Rathes des Kantons Freiburg und Mitglied des Nationalrathes, die Abfassung eines Memorials zuschreibt, welches nach seinem Inhalte aus dem Jahr 1852 7,11 stammen scheint, und womit hätte bezwekt werden sollen, die Intervention der französischen Regierung in die innern Angelegenheiten der Schweiz zu veranlaßen.

Der Veröffentlichung dieses Dokumentes, betitelt : ,,Un aperçu de la situation en Suisse", fügte der Confédéré bei, daß dasselbe keine Unterschrift trage, daß es aber von Anfang bis zu Ende von der Hand» des Hrn. Wuilleret geschrieben sei.

Endlich erklärte das gleiche Blatt, daß das Original zur Ein sieht eines Jeden bereit liege, der dessen Identität konstatiren wolle.

Bundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. I.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes zum Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem deutschen Reiche. (Vom 28. Januar 1874.)

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14.02.1874

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223-239

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10 008 062

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