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Bundesbeschluss betreffend

den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 22. Mai 1874, beschließt: \. Es wird dem zwischen der Schweiz und Großbritannien am 31. März 1874 zu Bern abgeschlossenen Vertrag, betreffend gegenseitige Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten, die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Auslieferungsvertrag zwischen

der Schweiz und Grossbritannien.

(Vom 31. März 1874.)

Nachdem die s c h w e i z e r i s c h e E i d g e n o s s e n s c h a f t und I h r e M a j e s t ä t d i e K ö n i g i n d e s V e r e i n i g t e n Königreiches von G r o ß b r i t a n n i e n und I r l a n d behufs besserer Verwaltung der Rechtspflege und zur Verhütung von Verbrechen innerhalb der beiden Gebiete und Gerichtsbarkeiten es für zwekmäßig befunden haben, daß Personen, welche der in diesem Vertrage aufgeführten strafbaren Handlungen beschuldigt öd er wegen solcher verurtheilt und vor der Justiz flüchtig geworden sind, unter bestimmten Umständen gegenseitig ausgeliefert werden sollen, so haben sie behufs Abschließung eines desfallsigen Vertrags zu ihren Bevollmächtigten ernannt, und zwar:

Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft: Joseph Martin Knüsel, Mitglied des schweizerischen Bundesrathes, und

Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreiches von Grossbritannien und Irland: Alfred Guthrie Graham 15 on a r, Esquire, Ihren außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der schweizerischen Eidgenossenschaft,

974 welche, nachdem sie sich gegenseitig ihre Vollmachten mitgetheilt und dieselben in guter und gehöriger Form befunden, die folgenden Artikel vereinbart und abgeschlossen haben.

Artikel I.

Die hohen vertragenden Theile verpflichten sich, einander diejenigen Personen auszuliefern, welche wegen einer auf dem Gebiete des einen Theils begangenen strafbaren Handlung beschuldigt oder verurtheilt sind und in dem Gebiete des andern Theiles aufgefunden werden, sofern die in dem gegenwärtigen Vertrage angegebenen Fälle und Voraussezungen vorhanden sind.

Artikel II.

Die strafbaren Handlungen,' wegen deren die Auslieferung zu gewähren ist, sind folgende : 1. Mord, mit Inbegriff des Kindsmordes, und Mordversuch.

2. Tocltschlag.

3. Nachmachen oder Verfälschen von Metallgeld, Verausgabung oder Inumlaufsezen nachgemachten oder verfälschten Metallgeldes.

4. Fälschung, Nachmachen oder Verändern, sowie die Verausgabung dessen, was. nachgemacht, gefälscht oder verändert ist, Inbegriffen die Verbrechen, welche in den Strafgesezen des einen oder andern Staates als Nachmachen oder Ver· fälschen von Papiergeld, Banknoten oder andern Werthschriften enthalten sind; ferner die Fälschung oder Verfälschung anderer öffentlicher oder Privaturkundcn, sowie die Verausgabung, das Inverkehrbringen oder der wissentliche Gebrauch solcher nachgemachter, gefälschter oder verfälschter Papiere.

5. Diebstahl und Unterschlagung.

6. Betrug, resp. Erlangung von Geld oder andern Sachen durch falsche : Vorspieglungen.

7. Bezüglicher Bankerott, resp. Verbrechen gegen das Gesez betreffend Bankerott.

8. Untreue von Seite eines Verwalters, Beauftragten, Bankiers, Agenten, Prokuristen, Vormundes oder Kurators, Vorstandes, Mitgliedes oder Beamten irgend einer Gesellschaft, soweit dieselbe nach den bestehenden Gesezen mit Strafe bedroht ist.

9. Nothzucht.

10. Entführung von Minderjährigen.

11. Menschenraub.

y 75 12. Rechtswidriges Gefangenhalten.

13. Einbrechen oder Einsteigen in ein "Wohnhaus in verbrecherischer Absicht.

14. Vorsäzliche Brandstiftung.

15. Raub, unter Anwendung von Gewalt.

16. Drohungen mittels Brief oder auf andere W de, mit der Absicht, zu erpressen.

17. Meineid und die Verleitung zum Meineid.

18. Böswillige Eigenthumsbeschädigung, insofern sie kriminalrechtliche Verfolgung begründet.

Die Auslieferung findet auch statt wegen Theilnahme an einer der vorbezeichneten strafbaren Handlungen, mag die Theilnahme vor oder nach der Verübung stattfinden.

Artikel III.

Kein Schweizer wird von Seite der Schweiz an die Regierung des Vereinigten Königreiches und von Seite dieser kein englischer Unterthan an die Schweiz ausgeliefert «'erden.

Artikel IV.

Die Auslieferung soll nicht stattfinden, wenn die von der schweizerischen Regierung verfolgte Person im Vereinigten Königreich, oder die Seitens der Regierung des Vereinigten Königreiches verfolgte, Person in einem Kanton der Schweiz wegen derselben strafbaren Handlung, wegen deren die Auslieferung nachgesucht wird, in Untersuchung gewesen und außer Verfolgung gesezt worden oder sich noch iu Untersuchung befindet oder bereits bestraft worden ist.

Wenn die von der schweizerischen Regierung verfolgte Person m Vereinigten Königreich, oder wenn die Seitens der Regierung ies Vereinigten Königreiches verfolgte Person in einem Kanton der O O o Schweiz wegen einer andern strafbaren Handlung in Untersuchung liegt oder bestraft worden ist, so kann die Auslieferung verschoben werden, bis diese Person in gehörigem Rechtsgang in Freiheit geiezt worden ist.

Wird ein solches Individuum wegen Verpflichtungen, die dasselbe mit Privatpersonen abgeschlossen hat, iu jenem Lande, in welchem es Zuflucht genommen lütt, gerichtlich verfolgt oder mit Personalarrest belegt, so soll dessen Auslieferung dennoch stattinden, dabei aber der beschädigten Partei das Recht vorbehalten bleiben, ihre Ansprache vor der kompetenten Behörde geltend zu nachen.

976 Artikel V.

Die Auslieferung soll nicht stattfinden, wenn seit der begangenen strafbaren Handlung oder der Einleitung der strafgerichtlichen Verfolgung, oder der erfolgten Verurtheilung nach den Gesezen des ersuchten Staates Verjährung der strafgerichtlichen Verfolgung oder der erkannten Strafe eingetreten ist.

Artikel VI.

Wird ein Individuum von einer der beiden Vertragsparteien auf Grund des gegenwärtigen Vertrages zur Auslieferung rcklamirt, zugleich aber auch dessen Auslieferung von einer oder mehreren andern Mächten wegen anderen auf deren Gebieten begangenen Verbrechen verlangt, so ist dasjenige Gesuch im Vorgange zu bewilligen, welches das älteste im Datum ist, es sei denn, daß zwischen den Regierungen, die das betreffende Individuum reklamirt haben, entweder wegen der "Wichtigkeit dei- begangenen Verbrechen, oder aus andern Gründen ein anderes Abkommen getroffen würde.

Artikel VII.

Ein flüchtiger Verbrecher soll nicht ausgeliefert werden, wenn die strafbare Handlung, wegen deren seine Auslieferung verlangt wird, einen politischen Charakter an sich trägt oder mit einem der- ·· artigen Verbrechen zusammenhängt, oder wenn er nachweisen kann, daß der Antrag auf seine Ausliei'erung in Wirklichkeit mit der Absicht gestellt worden ist, ihn wegen eines Verbrechens oder Vergehens politischer Natur zu verfolgen oder zu bestrafen.

Artikel VIH.

Die ausgelieferte Person darf in dem Staate, an welchen die Auslieferung erfolgt ist, keinenfalls wegen einer andern strafbaren Handlung oder auf Grund anderer Thatsaehen als derjenigen, wegen deren die Auslieferung erfolgt ist, in Haft gehalten oder zur Untersuchung gezogen werden.

Auf strafbare Handlungen, welche nach erfolgter Auslieferung verübt sind, findet diese Bestimmung keine Anwendung.

Artikel IX.

Das Auslieferungsbegehren muß immer auf diplomatischem Wege gestellt werden, und zwar in der Sehweiz durch den englischen Gesandten bei dem Bundespräsidenten und in Großbritannien durch den schweizerischen Generalkonsul in London, welcher von Ihrer Majestät für die Zweke dieses Vertrages als diplomatischer

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Repräsentant der Schweiz anerkannt wird, bei dem Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten.

Mit dem Gesuche auf Auslieferung eines Beschuldigten müssen ein Verhaftsbefehl, welcher von der · zuständigen Behörde des die Auslieferung begehrenden Staates erlassen ist, und solche Beweise beigebracht werden, welche nach den Gesezen des Ortes, wo der Beschuldigte aufgefunden wird, dessen Verhaftung rechtfertigen würden, wenn die strafbare Handlung dort begangen wäre.

Betrifft das Ausliaferungsbegdiren eine bereits verurtheilte Person, so muß das Strafurtheil beigebracht werden, welches von dem zuständigen Gerichte des die Auslieferung begehrenden Staates gegen den Verurtheilten erlassen worden ist.

Auf Strafurtheile, welche in contumaciam erlassen worden sind, kann das Auslieferungsgesuch nicht gegründet werden.

Artikel X.

Indessen kann e:n flüchtiger Verbrecher in beiden Ländern auch verhaftet werden auf Grund eines Verhaftsbefehles, der von einem Polizei magistrat, Friedensrichter, oder von einer andern kompetenten Behörde auf eine solche Strafanzeige oder Klage und zugleich auf einen solchen Beweis oder nach einem solchen gerichtlichen Verfahren erlassen wird, daß nach der Ansicht des Beamten, welcher den Verhaftsbefehl erläßt, dessen Erlaß gerechtfertigt wäre, wenn das Verbrechen in demjenigen Theile der Gebiete der Vertragsparteien begangen worden wäre, in welchem der Beamte Gerichtsbarkeit ausübt. Es wird indessen bedungen, daß in dem Vereinigten Königreiche in einem solchen Falle der Beklagte so schnell wie möglich vor einen Polizeimagistrat in London gesendet werden soll. Solche Requisitionen mögen vermittelst der Post oder durch den Telegraphen gemacht werden.

Der Angeklagte soll indeß des Verhaftes entlassen werden, wenn inner einer billigen Frist, die von dem Polizeimagistraten anzusezen ist und bei' deren Fixirung die Verumständungen des einzelnen Falles zu berüksichtigen sind, das Begehren nicht in Gemäßheit der im Artikel IX enthaltenen Bestimmungen gestellt worden ist.

Artikel XL Die Auslieferung erfolgt nicht vor Ablauf von fünfzehn Tagen seit der Ergreifung und nur dann, wenn die Beweise für genügend befunden worden sind, um nach den Gesezen des ersuchten Staates entweder die Verweisung des Ergriffenen zur Hauptuntersuchung zu rechtfertigen, falls die strafbare Handlung im Gebiet dieses Staates

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begangen wäre, oder darzuthun, daß der Ergriffene mit der von den Gerichten des ersuchenden Staates verurtheilten Person identisch ist.

Artikel XII.

Die Behörden des ersuchten Staates haben bei der Prüfung-, welche ihnen nach den vorstehenden Bestimmungen obliegt, den beschwornen Depositionen und Zeugenaussagen, welche in dem andern Staate zu Protokoll genommen sind, deßgleichen den Abschriften hievon und ebenso den im andern Staate erlassenen Haftbefehlen und Urlheilen volle Beweiskraft beizulegen, vorausgesezt, daß diese Schriftstüke durch einen Richter, eine obrigkeitliche Person oder einen andern Beamten dieses Staates unterzeichnet oder bescheinigt und durch einen beeidigten Zeugen oder durch Beidrükung des Amtssiegels eines englischen Staatsministers oder des schweizerischen Bundeskanzlers beglaubigt sind.

Artikel XIII.

Wenn die zur Auslieferung genügenden Beweise nicht binnen zwei Monaten von dem Tage der Ergreifung des Flüchtigen an beigebracht werden, so ist der Ergriffene auf treten Fuß zu sezen.

Artikel XIV.

Alle in BeschlagO genommenen Gegenstände,i welche zur Zeit O der Verhaftung der auszuliefernden Person in deren Besiz waren, sollen, wenn die zuständige Behörde des um die Auslieferung ersuchten Staates die Ausantwortung derselben angeordnet hat, bei Vollziehung der Auslieferung mitübergeben werden, und diese Ueberlieferung soll sich nicht bloß auf die entfremdeten Gegenstände, sondern auch auf alles erstreken, was zum Beweis der strafbaren Handlung dienen kann.

Artikel XV.

Die vertragenden Theile verzichten darauf, die Erstattung derjenigen Kosten, welche ihnen aus der Festnahme und dem Unterhalt des Auszuliefernden und seinem Transport bis zur Grenze des requirirten Staates erwachsen, in Anspruch zu nehmen, willigen vielmehr gegenseitig darein, diese Kosten selbst zu tragen.

Artikel XVI.

Die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages sollen auf die Kolonien und auswärtigen Besizungen Ihrer Großbritannischen Majestät Anwendung finden.

Der Antrag auf Verhaftung und Auslieferung eines flüchtigen Verbrechers, welcher in einer dieser Kolonien oder auswärtigen

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Besizungen Zuflucht gefunden hat, soll durch den schweizerischen Generalkonsul in London bei dem Staatssekretär der auswärtigen Angelegenheiten gestellt werden, welcher nach Vorschrift dieses Vertrages und der bestehenden Geseze zu verfahren hat.

Ihrer Großbritannischcn Majestät soll es jedoch freistehen, in den britischen Kolonien und auswärtigen Besizungen über die Auslieferung solcher Individuen, die in der Schweiz ein im Vertrag genanntes Verbrechen begangen haben, aber innerhalb dieser Kolonien und auswärtigen Besizungen Zuflucht gefunden haben, auf möglichst gleicher Grundlage mit den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages besondere Anordnungen zu treffen.

Begehren betreffend die Auslieferung von Verbrechern, welche aus einer Kolonie oder auswärtigen Besizung Ihrer Großbritannischeu Majestät geflüchtet sind, sollen nach den Bestimmungen der vorstehenden Artikel des gegenwärtigen Vertrages behandelt werden.

Artikel XVII.

Der gegenwärtige Vertrag soll zehn Tage nach seiner, in Gemäßheit der durch die Gesezgebung der hohen vertragenden Thoile vorgeschriebenen Formen erfolgten Veröffentlichung in Kraft treten.

Der Vertrag kann von jedem der beiden hohen vertragenden Theile aufgekündet werden, bleibt jedoch nach erfolgter Aufkündung noch sechs Monate in Kraft.

Der Vertrag wird ratifizirt, und die Ratifikationen werden nach vier Wochen, oder wo möglich früher, in Bern ausgewechselt werden.

Zur Urkunde dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten die gegenwärtige Uebereinkunft unterzeichnet und mit ihren Wappen untersiegelt.

So geschehen zu Bern, den einunddreißigsten März des Jahres eintausend achthundert und vierundsiebenzig.

(Sig.) 3. M. Kniisel.

(Sig.) A. G. G. Bonar.

(L. L.)

(L. L.)

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Botschaft

o

des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Gewährleistung verschiedener Verfassungsabänderungen des Kantons Glarus.

(Vom 22. Mai 1874.)

Tit. !

Mit Schreiben vom 15. Mai a. c. hat uns die Standeskommission des Kantons Glarus mitgetheilt, daß die Landsgemeinde am 11. Mai 1873 die Revision einiger Artikel der Kantonsverfassung genehmigt, aber einen Punkt zur endgültigen Redaktion an den Landrath zurükgewiesen habe. Die Landsgemeinde vom 8. Mai laufenden Jahres habe nun diese Revision definitiv beschlossen.

Indem die Standeskommission die neuen Artikel uns mittheilte, stellte sie das Gesuch, daß wir gemäß Art. 6 der Bundesverfassung die Garantie des Bundes dafür auswirken möchten.

Die durch diese Revision bewirkten Abänderungen der Verfassung des Kantons Glarus von 1851 bestehen wesentlich in Folgendem : Die §§ 30, 31 und 95 sind gänzlich gestrichen worden.

In § 46 wurden einige Modifikationen in der Wahlart des dreifachen Landrathes vorgenommen und in § 47 einige Modifikationen seiner Kompetenzen.

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Bundesbeschluss betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien.

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1874

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24

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06.06.1874

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972-980

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10 008 178

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