16.056 Botschaft zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Verlängerung des Moratoriums, Integration der Resultate des NFP 59 und GVO-Anbaugebiete) vom 29. Juni 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Gentechnik im Ausserhumanbereich (Gentechnikgesetz, GTG; SR 814.91).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Juni 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2012-1630

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Übersicht Der Bundesrat schlägt vor, das bestehende Moratorium für den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der Landwirtschaft um vier Jahre zu verlängern. Daneben beantragt er die Ergänzung der Rechtsgrundlagen bezüglich der Koexistenz zwischen GVO und nicht-GVO sowie die Schaffung von sogenannten GVO-Anbaugebieten, in denen der konzentrierte Anbau von GVO nach Ablauf des Moratoriums möglich sein soll.

Ausgangslage Diese Botschaft zu den Vorschlägen für eine Änderung des Gentechnikgesetzes übernimmt Elemente aus dem Regelungsentwurf «Berücksichtigung der Ergebnisse des NFP 59 und der GVO-freien Gebiete», der 2013 in die öffentliche Vernehmlassung gegeben wurde. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der öffentlichen Anhörung und der Vernehmlassung bei den betroffenen Kreisen zu den Koexistenzoptionen wurden hingegen die ursprünglichen Bestimmungen über die GVO-freien Gebiete durch Bestimmungen zur Moratoriumsverlängerung und zur Struktur, Rolle und Funktionsweise von GVO-Anbaugebieten ersetzt.

Inhalt der Vorlage Der Bundesrat beantragt, das Gentechnikgesetz so zu ergänzen, dass gleichzeitig und parallel zwei Ziele verfolgt werden. Er schlägt vor, das Moratorium zu verlängern, um den zahlreichen, verbleibenden Unsicherheiten und Zweifeln Rechnung zu tragen. Der Einsatz von GVO in der landwirtschaftlichen Produktion wird im Moment weder von den Landwirten und ihren Partnern aus der Lebensmittelindustrie noch von den Konsumentinnen und Konsumenten befürwortet. Es bestehen Zweifel in Bezug auf das Interesse am Einsatz von GVO in der Landwirtschaft, die komplexe Umsetzung in einer kleinräumigen Landwirtschaft und die Kosten der Koexistenz für die GVO-Bewirtschafter (Einhaltung des Abstands zu konventionellen Kulturen, Trennung der Maschinen und Geräte, Trennung der Lagerorte). Ausserdem bestehen in der Bevölkerung weiterhin Zweifel an der Sicherheit und der Nachhaltigkeit des GVO-Anbaus.

Sollte sich hingegen herausstellen, dass die Unsicherheiten in Zukunft abnehmen, GVO-Sorten in der Landwirtschaft auf positives Echo stossen und bei den Konsumentinnen und Konsumenten eine ausreichende Akzeptanz vorhanden ist, müsste der Bundesrat Koexistenzgrundsätze und -regeln festlegen. In diesem Fall muss gewährleistet sein, dass sich die GVO-Kulturen in die kleinräumige und lokale Landwirtschaft
integrieren lassen, ohne an dieser Schäden zu verursachen; auch die Rechtssicherheit in Bezug auf die Koexistenz muss gewährleistet sein. Aus diesem Grund schlägt der Bundesrat ein spezielles Koexistenzregime vor, dem zufolge der Anbau von GVO in speziell ausgeschiedenen, sogenannten GVO-Anbaugebieten zusammengefasst werden soll.

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Nach Auffassung des Bundesrates ermöglicht die Zusammenfassung von Parzellen zum Anbau von GVO zu GVO-Anbaugebieten die Bildung abgeschotteter Produktionsketten, dank denen die Standards bezüglich der Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten gewährleistet sind. Mit der vorgeschlagenen Regelung der GVO-Anbaugebiete, welche sich nach dem Verursacherprinzip richtet, werden der konventionelle Anbau nicht beeinträchtigt und die Verfügbarkeit GVO-freier Erzeugnisse gewährleistet. Durch die Gruppierung der Nutzflächen können die GVO-Produzenten Skaleneffekte erzielen, da die Koexistenzmassnahmen nur an den Grenzen der GVO-Anbaugebiete zum Schutze der benachbarten GVO-freien Kulturen zur Anwendung kommen. Auf diese Weise lassen sich für die GVO spezifische Produktionsketten bilden, deren Rückverfolgbarkeit vom Feld bis auf den Teller erleichtert wird.

Im aktuellen Umfeld erachtet der Bundesrat die Verlängerung des Moratoriums als gerechtfertigt. Im Hinblick auf die Zukunft und den Fall, dass die GVO ein höheres Interesse geniessten, gilt es, eine glaubwürdige und rationelle Alternative vorzuschlagen. Für diesem Fall schlägt der Bundesrat vor, die GVO-Produktion in GVOAnbaugebieten zusammenzufassen. Er erachtet dies als eine durchdachte und verhältnismässige Lösung, um die Ausübung der Koexistenz im Einzelfall überwachen zu können.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Gentechnik in der Schweiz 1.1.2 Heutige Rechtslage 1.1.2.1 Geltendes Recht 1.1.2.2 Das Moratorium 1.1.2.3 Standesinitiativen 1.1.2.4 Die neuen Techniken der Pflanzenselektion 1.1.2.5 Frühere Regelungsentwürfe 1.2 Die beantragte Neuregelung 1.2.1 Verlängerung des Moratoriums 1.2.2 Koexistenzregelung 1.2.2.1 Koexistenz zwischen GVO und Nicht-GVO 1.2.2.2 Ergänzung der Regelung aufgrund der Ergebnisse des NFP 59 1.2.2.3 Die GVO-Anbaugebiete 1.3 Mitwirkung 1.4 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 1.5 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

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3

Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.2 Auswirkungen für Kantone und Gemeinden sowie für urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 3.3.1 Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Akteure der landwirtschaftlichen Produktion 3.3.2 Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Saatgutunternehmen 3.3.3 Auswirkungen auf den Detailhandel 3.3.4 Auswirkungen auf die Verarbeiter von landwirtschaftlichen Erzeugnissen 3.3.5 Auswirkungen auf die Konsumentinnen und Konsumenten 3.3.6 Auswirkungen auf die Forschung im Bereich der grünen Biotechnologien 3.3.7 Auswirkungen für die gesamte Gesellschaft 3.4 Auswirkungen auf das Gesundheits- und Sozialwesen 3.5 Auswirkungen auf die Umwelt

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Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates 4.1 Verhältnis zur Legislaturplanung 4.2 Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

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Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungs- und Gesetzmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.2.1 Welthandelsorganisation (WTO) 5.2.2 Europäische Union 5.3 Erlassform 5.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 5.5 Einhaltung der Grundsätze der Subventionsgesetzgebung 5.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 5.7 Datenschutz

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Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich (Gentechnikgesetz, GTG) (Entwurf)

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

Mit dieser Vorlage schlägt der Bundesrat eine neue Gesetzesarchitektur für die nahe und mittelfristige Zukunft vor. Damit reagiert er auf die Unsicherheiten, die Zweifel und die Ablehnung der Koexistenz, das heisst, des zeitgleichen Anbaus von gentechnisch veränderten (GVO und nicht veränderten Organismen in der Landwirtschaft. Die beiden Kernpunkte der Revision des Gentechnikgesetzes, die den eidgenössischen Räten zur Genehmigung unterbreitet wird, sind die Moratoriumsverlängerung einerseits und die Grundsätze der Koexistenzregelung zwischen GVOund Nicht-GVO andererseits. Hinzu kommt eine Ergänzung betreffend die Zusammenfassung des Umgangs mit GVO in der schweizerischen Landwirtschaft in GVOAnbaugebieten.

Seit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes vom 21. März 20011 (GTG) im Jahr 2003, das die Grundsätze für die Nutzung von GVO festlegt, wurden wesentliche Schritte für deren Umsetzung in der Umwelt unternommen. Im Jahr 2008 hat der Bundesrat die detaillierten Vorschriften der Freisetzungsverordnung vom 10. September 20082 (FrSV) betreffend die Freisetzungsversuche mit GVO und die Fragen zur biologischen Sicherheit sowie zur menschlichen und tierischen Gesundheit in Bezug auf Produkte aus der Gentechnik revidiert.

Seither wird die Frage von Nutzen und Risiken der Verwendung von GVO-Produkten in der Schweizer Landwirtschaft heftig diskutiert, was die Konkretisierung der GTG-Grundsätze immer weiter verzögert hat, insbesondere den Schutz der GVO-freien Produktion und die Massnahmen, die die freie Wahlmöglichkeit der Konsumentinnen und Konsumenten gewährleisten sollen. 2005 wurde ein Entwurf einer Koexistenzverordnung vorbereitet und in die Vernehmlassung gegeben. Der Entwurf wurde jedoch mangels Interesse zurückgezogen, nachdem Volk und Stände am 27. November 2005 die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft», die die Verwendung von GVO in der Landwirtschaft während fünf Jahren untersagte (Moratorium), angenommen hatten.

Im Jahr 2010 hat der Gesetzgeber beschlossen, das Gentechnikmoratorium um drei Jahre zu verlängern. Diese Entscheidung wurde in erster Linie mit der Notwendigkeit begründet, die Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms 59 «Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen» (NFP 59) abzuwarten, damit nicht gelöste Fragen
beantwortet und Vorschriften unter Berücksichtigung der neusten Kenntnisse erlassen werden konnten. Der Gesetzgeber verknüpfte dieses vorübergehende Verbot mit der Verpflichtung, das Koexistenzrecht zu ergänzen.

Ende 2012 verlängerte das Parlament das Moratorium über die Agrarpolitik 2014­ 2017 um weitere vier Jahre und schuf somit etwas mehr Zeit für die Ausarbeitung der Koexistenzregelung. Es beauftragte ferner den Bundesrat mit der Erarbeitung einer Methodik zur Evaluation des Nutzens von gentechnisch veränderten Pflanzen 1 2

SR 814.91 SR 814.911

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und der Erstellung einer Kosten-Nutzen-Bilanz gentechnisch veränderter Pflanzen für die Landwirtschaft (Art. 187d LwG)3. Dieser Bericht, der bis Mitte 2016 vorgelegt werden soll, untersucht die potenziellen Vorteile der GVO gegenüber konventionell hergestellten Produkten und landwirtschaftlichen Produktionsmitteln sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Produzenten und die Konsumentinnen und Konsumenten. Die darin enthaltenen Detailinformationen ergänzen den vorliegenden Revisionsentwurf und bilden die Grundlage für die kommende Debatte in den Räten.

2013 wurden Entwürfe für eine Änderung des Gentechnikgesetzes «Berücksichtigung der Ergebnisse des NFP 59 und der GVO-freien Gebiete» sowie für eine Verordnung über die Koexistenz ausgearbeitet und in die öffentliche Vernehmlassung geschickt. Letzterer wurde von der Mehrheit der Landwirtschafts-, Umwelt- und Konsumentenverbände sowie von den Kantonen abgelehnt. Einerseits sprachen sie sich gegen die landwirtschaftliche Produktion von GVO aus, andererseits kritisierten sie den Vorschlag betreffend die GVO-freien Gebiete mit dem Argument, dass getreu dem Verursacherprinzip die Last der Koexistenz von den GVO-Produzenten zu tragen sei.

Gestützt auf ein detailliertes Gutachten, die insbesondere während der Vernehmlassung geäusserten Meinungen und die denkbaren Koexistenzoptionen schlägt der Bundesrat ein zweistufiges Regime vor: ­

Kurzfristig und unter Berücksichtigung der Meinung der Bevölkerung, der Mehrheit der Kantone und der Stakeholder, die eine Öffnung der Schweiz für GVO ablehnen, beabsichtigt der Bundesrat eine Verlängerung des Moratoriums. Die dafür angeführten Gründe reichen über rein gesundheitsrelevante Fragen hinaus.

­

Mittelfristig strebt er eine breit angelegte Diskussion über die für die Schweiz denkbaren Koexistenzmöglichkeiten an, die schnellstmöglich lanciert werden soll. Nebst der für die Koexistenz notwendigen Rechtssicherheit will der Bundesrat ein Modell für die Koexistenz verschiedener Formen der Landwirtschaft nach dem Grundsatz des Verursacherprinzips schaffen.

Er schlägt vor, für den GVO-Anbau funktionelle Einheiten in speziell dafür vorgesehenen Zonen, die GVO-Anbaugebiete, auszuscheiden. Durch die Zusammenfassung der Produktion sollen spezifische Produktionsketten gebildet und auf diese Weise die Gefahr einer unbeabsichtigten Vermischung von GVO- und GVO-freien Produkten verringert sowie die Rückverfolgbarkeit erleichtert werden. Ausserdem wird für die GVO-Produzenten des Kollektivs die Ausübung der Koexistenz erleichtert, da die Massnahmen zur Koexistenz nur am inneren Rand der GVO-Anbaugebiete als dichtes Band zum Schutze der benachbarten GVO-freien Kulturen zur Anwendung kommen werden.

Auf diese Weise beabsichtigt der Bundesrat, bis zum Ablauf des Moratoriums der Schweiz eine Koexistenzregelung zu geben, die den landwirtschaftlichen Strukturen Rechnung trägt und zum Schutze der Vielfalt der GVO-freien Produktionsketten die 3

Bundesgesetz vom 29. April 1998 über die Landwirtschaft (LwG, SR 910.1).

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Schaffung spezieller GVO-Produktionsketten fördert. Im Gegenzug, und dank der gemeinsamen Planung und Bewirtschaftung der Kulturen in GVO-Anbaugebieten, kommen die Produzenten von GVO in den Genuss von Erleichterungen bei der Umsetzung der technischen und organisatorischen Massnahmen.

Nach Ansicht des Bundesrats weist sein zweistufiger Vorschlag, der gegebenenfalls eine schrittweise und kontrollierte Öffnung für eine neue Kulturart bei gleichzeitiger Gewährleistung der Verfügbarkeit und des Schutzes GVO-freier Kulturen ermöglicht, den Vorteil auf, dass er eine kleinräumige, diversifizierte Landwirtschaft verteidigt und der Meinung der betroffenen Kreise Rechnung trägt. Er bietet eine glaubwürdige Alternative zum Moratorium und stellt eine integrative und innovative Lösung dar. Im Bestreben, eine grösstmögliche Transparenz sicherzustellen, will der Bundesrat die Grundsatzdiskussion über den GVO-Anbau und die Koexistenzmöglichkeiten von jener über die rein technischen Koexistenzmassnahmen trennen.

Deshalb hat er darauf verzichtet, im Rahmen dieser Vorlage eine detaillierte Verordnung zur Koexistenz auszuarbeiten; erst nach der Grundsatzdiskussion wird er einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Gentechnik in der Schweiz

Die Gentechnikforschung kann in der Schweiz insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Pharmaindustrie auf eine lange Tradition zurückblicken, die bis in die 1970er-Jahre zurückreicht, als die ersten Gentechnikversuche im geschlossenen System durchgeführt wurden (Laboratorien, Produktionsanlagen, Gewächshäuser).

Gemäss der Registrierung von Projekten mit GVO4 und der Statistik der Einschliessungsverordnung vom 9. Mai 20125 (ESV) haben die Tätigkeiten mit GVO (Forschungsprojekte, diagnostische Analysen, Produktionsprozesse) zwischen 1999 und 2015 stetig zugenommen6.

Im Vergleich zu den zahlreichen Tätigkeiten mit GVO in geschlossenen Systemen gibt es in der Schweiz in der Umwelt, das heisst, ausserhalb geschlossener Systeme, nur wenige Aktivitäten mit Pflanzen (grüne Biotechnologie). Bis 2012 wurden vereinzelte Gesuche für Freisetzungsversuche eingereicht (ein Gesuch im Jahr 2003, drei im Jahr 2007). Seit 2013 hat die Anzahl Gesuche zugenommen (eines pro Jahr zwischen 2013 und 2016) dank der finanziellen Unterstützung, die vom Parlament für die Errichtung eines geschützten Standorts in Zürich-Reckenholz (Protected Site) zur Förderung der Forschung im Bereich der grünen Biotechnologie gesprochen wurde (BFI 2013­20167): 4 5 6 7

Von der Schweizerischen Kommission für biologische Sicherheit SFBS (seit 1996: EFBS) zu Beginn der 1980er-Jahre umgesetzte Praxis.

Verordnung vom 9. Mai 2012 über den Umgang mit Organismen in geschlossenen Systemen (ESV, SR 814.912).

Umweltbericht 2011, veröffentlicht vom BAFU unter der Adresse www.bafu.admin.ch/publikationen/publikation/01608/index.html?lang=de.

12.033 Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2013­2016, BBl 2012 3099 ff.

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­

2003 wurde ein Gesuch für einen Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem Weizen bewilligt, das von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) eingereicht worden war (die Aussaat fand von 2004­2005 in Lindau statt).

­

Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 59 «Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen» (NFP 59) wurden im Jahr 2007 ein Gesuch der ETH Zürich und zwei Gesuche der Universität Zürich eingereicht und bewilligt. Diese Gesuche bezogen sich auf gentechnisch veränderten Weizen und Hybridpflanzen (Kreuzung zwischen gentechnisch verändertem Weizen und der Wildpflanze Aegilops cylindrica).

­

Im Jahr 2016 sind drei Freisetzungsversuche im Gange: ­ Freisetzungsversuch von gentechnisch veränderten Weizenlinien mit einer verbesserten Mehltauresistenz, um die Funktionsweise der Resistenzgene von Pflanzen zu studieren und Fragen der Biosicherheit zu klären; ­ Freisetzungsversuch von gentechnisch veränderten (cisgenen) Kartoffellinien mit einer verbesserten Resistenz gegen den falschen Mehltau, um die Resistenz gegen lokale (schweizerische) Isolate des Krankheitserregers zu studieren, die phänotypischen Eigenschaften zu analysieren und Fragen der Biosicherheit zu klären; ­ Freisetzungsversuch von gentechnisch veränderten Apfelbäumen mit einer verbesserten Feuerbrandresistenz, um abzuklären, ob die cisgene Linie morphologische, physiologische und genetische Unterschiede zur ursprünglichen Sorte Gala Galaxy aufweist, und Fragen der Biosicherheit zu klären.

Auch die Anzahl Produkte mit GVO8, deren Inverkehrbringen bewilligt wurde, ist derzeit relativ gering. Zurzeit sind vier GVO-Produkte als Lebensmittel und Tierfutter (Mais und Soja), vier Enzyme, Vitamine und weitere GVO-Produkte zugelassen.

Trotz der bestehenden Bewilligungen sind zurzeit keine gentechnisch veränderten Lebensmittel in den Verkaufsregalen anzutreffen, und seit Ende 2007 wurden keine gentechnisch veränderten Futtermittel mehr importiert.9

1.1.2

Heutige Rechtslage

1.1.2.1

Geltendes Recht

Gemäss Artikel 120 der Bundesverfassung (BV), der auf das Jahr 1992 zurückgeht, sind der Mensch und seine Umwelt vor Missbräuchen der Gentechnologie geschützt (Abs. 1). Der Bund hat den Auftrag, Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen zu erlassen; dabei muss er der

8 9

Bewilligungsregister des BLV: www.blv.admin.ch/themen/04678/04817/04833/04840/index.html?lang=de.

Statistik der GVO-Futtermittelimporte, erstellt durch das BLW.

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Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung tragen und die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten schützen (Abs. 2).

In Erfüllung dieses Auftrags haben die Eidgenössischen Räte am 21. März 2003 das GTG beschlossen. Dieses wurde vom Bundesrat auf den 1. Januar 2004 in Kraft gesetzt, zusammen mit verschiedenen Änderungen von Gesetzen und Verordnungen, die insbesondere den Umgang mit GVO regeln. Für den Umgang mit GVO sieht das Gentechnikgesetz verschiedene Prinzipien vor: Nach dem Vorsorgeprinzip sind Gefährdungen und Beeinträchtigungen durch GVO frühzeitig zu begrenzen 10. Das Vorsorgeprinzip wird durch die gesetzliche Pflicht zur stufenweisen Risikobeurteilung (Step-by-Step-Prinzip) konkretisiert. Dank dieser Vorschrift kann das nötige Wissen erlangt werden, um schrittweise und mit der gebotenen Vorsicht die Risiken einer GVO-Exposition zunächst in einem streng kontrollierten System (geschlossenes System) und anschliessend in einem offenen System (Umwelt) zu testen. Des Weiteren ermöglicht diese Vorschrift, die fehlenden wissenschaftlichen Daten zur Risikoevaluation in Fällen zu erheben, in denen neue Technologien zum Einsatz kommen und Erfahrungswerte fehlen. Gemäss GTG ist das Inverkehrbringen eines bestimmten GVO in der Umwelt erst dann zulässig, wenn im geschlossenen System und anschliessend mittels Freisetzungsversuchen nachgewiesen wurde, dass die biologische Sicherheit gewährleistet ist11. Das GTG sieht hingegen vor, dass gentechnisch veränderte Wirbeltiere nur für Zwecke der Forschung, Therapie und Diagnostik an Menschen oder Tieren erzeugt und in Verkehr gebracht werden dürfen12.

Folglich müssen Tätigkeiten mit nicht bereits bewilligten GVO in geschlossenen Systemen stattfinden13. Je nach Beurteilung des mit der jeweiligen Tätigkeit verbundenen Risikos unterliegt diese einer Melde- oder Bewilligungspflicht14, wobei Einzelheiten und das Verfahren in der 2012 totalrevidierten ESV geregelt sind.

Können angestrebte Erkenntnisse nicht durch Versuche in geschlossenen Systemen gewonnen werden, so dürfen GVO im Versuch freigesetzt werden, sofern die Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt einschliesslich der biologischen Vielfalt gewährleistet ist.15 Freisetzungsversuche bedürfen einer Bewilligung des Bundes16, wobei Einzelheiten und das Verfahren in der
2008 totalrevidierten FrSV geregelt sind.

Schliesslich bedarf auch das Inverkehrbringen von GVO einer Bewilligung des Bundes17, deren Einzelheiten und Verfahren ebenfalls in der FrSV geregelt sind.

Eine Bewilligung unterliegt einer abschliessenden Beurteilung der Risiken für die Gesundheit und die Umwelt, die belegen muss, dass der betreffende Organismus sich nicht in unerwünschter Weise auf die Umwelt auswirkt, insbesondere, dass er schützenswerte Populationen nicht beeinträchtigt, nicht zum unbeabsichtigten Aus10 11 12 13 14 15 16 17

Art. 2 Abs. 1 GTG Art. 6 GTG Art. 9 GTG Art. 10 Abs. 1 GTG Art. 10 Abs. 2 GTG Art. 6 Abs. 2 GTG Art. 11 Abs. 1 GTG Art. 12 Abs. 1 GTG

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sterben einer Art führt, nicht den Stoffhaushalt der Umwelt oder wichtige Funktionen des betroffenen Ökosystems schwerwiegend oder dauerhaft beeinträchtigt und sich oder seine Eigenschaften nicht in unerwünschter Weise verbreitet18.

Darüber hinaus müssen beim Inverkehrbringen von GVO jederzeit der Schutz der Produktion von Erzeugnissen ohne GVO und die Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten gewährleistet sein19.

Heute konkretisiert Artikel 9 der FrSV den Schutz der Produktion von Erzeugnissen ohne GVO, und er regelt gewisse Voraussetzungen für den Anbau von GVO nach Ablauf des Moratoriums in groben Zügen: So müssen insbesondere die erforderlichen Abstände zwischen Kulturen mit und ohne gentechnisch veränderte Organismen eingehalten werden (Abs. 1 Bst. a), Vorkehrungen zur Verhinderung von Verlusten gentechnisch veränderter Organismen getroffen werden (Abs. 1 Bst. c), die Qualitätssicherung beim Inverkehrbringen von GVO gewährleistet sein (Abs. 3) und zahlreiche Dokumentationspflichten eingehalten werden (Abs. 1 bis 5). Untersagt ist der direkte Umgang mit und insbesondere der Anbau von GVO in besonders empfindlichen oder schützenswerten Lebensräumen und Landschaften, das heisst, in Natur- und Landschaftsschutzgebieten nach eidgenössischem oder kantonalem Recht, an Gewässern, in Wäldern sowie in Jagdbanngebieten20.

1.1.2.2

Das Moratorium

Vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtslage haben Volk und Stände am 27. November 2005 Artikel 197 Ziffer 7 BV zugestimmt, der die schweizerische Landwirtschaft während fünf Jahren für gentechnikfrei erklärt. Am 10. März 2010 haben die Eidgenössischen Räte beschlossen, das Verfassungsmoratorium um weitere drei Jahre zu verlängern, das ohne Änderung seiner materiellen Reichweite in Form eines neuen Artikels in das Gentechnikgesetz 21 überführt wurde. Folglich sind für diese Dauer Teile des Gentechnikgesetzes ausser Kraft gesetzt. Gekoppelt mit diesem vorübergehenden Verbot erging an den Bundesrat der Auftrag, innerhalb dieser Frist (bis 27. November 2013) die für den GVO-Anbau erforderlichen Ausführungsvorschriften zu erarbeiten (siehe auch Antwort auf die Interpellation Amacker 09.374222 und Botschaft 09.05623).

Am 28. Februar 2012 wurde die Motion Ritter (12.3028) mit 121 Mitunterzeichnungen im Nationalrat eingereicht. Sie verlangte die Erarbeitung von gesetzlichen Bestimmungen für eine Verlängerung des geltenden Gentech-Moratoriums für die Landwirtschaft. Der Vorstoss wurde begründet mit der anhaltenden Skepsis der Bevölkerung gegenüber GVO, den mangelnden Vorteilen der momentan oder dem18 19 20 21 22 23

Art. 6 Abs. 3 GTG Art. 7 und 15­17 GTG Art. 8 FrSV Art. 37a GTG Antwort des BR auf die Interpellation Amacker 09.3742, https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20093742.

Botschaft 09.056 zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Verlängerung des GVO-Moratoriums in der Landwirtschaft): www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/16387.pdf.

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nächst erhältlichen GVO-Sorten für die Schweizer Landwirtschaft und den Kosten, die durch die Koexistenzmassnahmen verursacht werden. Schliesslich wurde geltend gemacht, dass sich die Schweizer Landwirtschaft gemäss Verfassungsauftrag nachhaltig und marktorientiert entwickeln müsse. Die Motion sah das Moratorium als Chance, die gentechnikfreie Schweizer Landwirtschaft als qualitativ hochstehende Landwirtschaft zu profilieren.

Anlässlich der Prüfung der Agrarpolitik 2014­2017 (Antrag Walter 98) wurde die Thematik der Motion Ritter von der WAK-N aufgenommen und die Verlängerung des Moratoriums um vier Jahre am 26. September 2012 durch den Nationalrat angenommen (112 Stimmen gegen 62), ohne Gegenstand eines Vernehmlassungsverfahrens gewesen zu sein. Des Weiteren wurde die Motion Ritter durch den Nationalrat am 28. September 2012 mit 123 gegen 62 Stimmen angenommen.

Am 5. Dezember 2012 nahm auch der Ständerat eine Verlängerung des Moratoriums um vier Jahre an und folgte damit dem Nationalrat. In seiner Diskussion zog er mit 22 gegen 12 Stimmen den Vorschlag Walter gegenüber dem ­ vom Bundesrat unterstützten ­ Vorschlag Gutzwiller (Moratoriumsverlängerung für drei Jahre) vor.

So wurde die Behandlung der Motion Ritter, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, hinfällig.

Infolge der Verlängerung des Moratoriums (Erneuerung des Art. 37a GTG) wurde auch der Auftrag des Parlaments betreffend die Ausarbeitung einer Koexistenzregelung automatisch verlängert. Ergänzt wurde dieser Auftrag um die Prüfung und den Einbezug der Ergebnisse des NFP 59 mit dem Ziel, eine auf den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und einer ausreichend gesicherten Rechtsgrundlage beruhende Koexistenzregelung auszuarbeiten.

1.1.2.3

Standesinitiativen

Während der ersten Diskussion über die Verlängerung des Moratoriums hatten die Kantone Genf, Bern, Jura und Neuenburg Initiativen eingereicht (am 2. Mai, 14. Mai und 18. Dezember 2008 und am 30. März 2009), die eine Verlängerung des Moratoriums von Artikel 197 Ziffer 7 BV verlangten.

Gestützt auf ihr jeweiliges kantonales Recht und unter Vorbehalt des Vorrangs des Bundesrechts verboten anfangs 2016 vier Kantone (TI, FR, GE, JU) den Umgang mit GVO in ihrer Landwirtschaft.24 Den Verzicht auf den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen haben sie sowohl im Bereich der Landwirtschaft als auch im Konsumentenbereich positiv gewertet und eindeutige Vorbehalte gegenüber der Nutzung dieser Technologie in der Landwirtschaft angebracht. Unter Hinweis auf die kleinräumigen landwirtschaftlichen Strukturen forderten sie vor allem mehr Zeit für die Klärung der Koexistenzfrage von GVO- und konventionellem Anbau. Weitere Kantone (BE, GR, VD, ZH) unterstützen die Möglichkeit eines nationalen 24

Für einen Überblick vgl. Epiney/Waldmann/Oeschger/Heuck, S. 132 ff.; für die Problematik der Vereinbarkeit dieser kantonalen Vorschriften mit dem Bundesrecht vgl. S. 141 f. und 146 ff.

www.bafu.admin.ch/biotechnologie/13902/13908/index.html?lang=de.

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Moratoriums oder prüfen kantonale oder regionale Alternativen. 2013 erklärten sich 85 Gemeinden freiwillig zu GVO-freien Gebieten.

1.1.2.4

Die neuen Techniken der Pflanzenselektion

Das Hauptinstrument dieser neuen Generation von Pflanzenzüchtungstechniken (New Plant Breeding Technologies, NPBT) sind die DNA-Scheren. Mittels dieser Verfahren lassen sich die Eigenschaften von Organismen mit Hilfe der Gentechnologie verbessern. Verglichen mit den herkömmlichen Transgenesetechniken ermöglichen die NPBT, das Erbgut von Pflanzen mit einer beispiellosen Leichtigkeit und Präzision zu verändern. Mittels dieser Technologien lässt sich die Genexpression der Produkte verändern (Aktivierung, Hemmung, Mutation), womit sie neue Modalitäten der Erbgutveränderung eröffnen. Dazu zählt die Bearbeitung von Genen (Genome Editing) mit Hilfe der Nuklease CRISPR-Cas9 (Nukleasen in Verbindung mit einer Guide RNA), deren Einsatz besonders vielversprechend ist, aber auch verwandte Techniken wie etwa die ZFN (Zinkfinger-Nukleasen), TALENs (transkriptionsaktivatorartige Effektornukleasen), die Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese oder Gen-Silencing durch RNA-Interferenz. NPBT-induzierte Änderungen sind zwar kostengünstig, präzise und schnell, jedoch nicht ganz zuverlässig (Auswirkungen ausserhalb der Standorte, «Off Targets»). Ausserdem fehlen entsprechende Erfahrungswerte. So können andere Stellen im Erbgut verändert werden (Mutationen), was verbunden ist mit Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Lokalisierung dieser unbeabsichtigten sekundären Veränderungen und möglichen Auswirkungen auf den Organismus. Theoretisch wäre es möglich, beliebige bestehende Mutationen zu erkennen. Ihr Ursprung (natürlich oder NPBT-induziert) lässt sich jedoch nicht überprüfen, was ein offensichtliches Problem in Bezug auf die Rückverfolgbarkeit darstellt. Mit diesen neuen Technologien zur Veränderung von Lebewesen könnten gentechnisch veränderte Organismen ohne transgenes Erbmaterial geschaffen werden. Aufgrund des veralteten rechtlichen Status dieser Techniken, insbesondere bezüglich ihrer Definition (FrSV; Richtlinie 2001/18EG25), und der Schwierigkeiten betreffend die Rückverfolgbarkeit der damit erzeugten Produkte könnten diese Techniken für die Industrie attraktiv werden, wenn für sie keine Kennzeichnungspflicht besteht.

2007 hat die Europäische Kommission eine Arbeitsgruppe zum Thema NPBT eingesetzt. Bis heute haben die beiden zuständigen Direktionen, die GD Umwelt und die GD Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
noch keine baldige Stellungnahme angekündigt, obwohl anlässlich der Vorstellung der Arbeiten der Arbeitsgruppe des wissenschaftlichen Ausschusses deren Dringlichkeit betont wurde. Da die Kommission keine Entscheidungsbefugnis besitzt, könnte alleine der Europäische Gerichtshof auf die Klage eines Herstellers oder eines Verbandes hin oder im Rahmen einer spezifischen Vorabentscheidung festlegen, ob NPBT als GVO einzustufen sind.

Der Bundesrat ist sich der Herausforderungen bewusst, welche die rasante Entwicklung in der Anwendung dieser neuen Technologien (insbesondere der CRISPR25

ABl L 106, 17.4.2001, S. 1­39

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Cas9-Technologie, zu der erst 2012 erste Publikationen erschienen sind) sowohl hinsichtlich des Nutzungspotenzials, der damit verbundenen Risiken als auch deren rechtlichem Status darstellt. Er vertritt ebenfalls die Auffassung, dass einige der neuen Techniken zur Selektion von Pflanzensorten die Grenze zwischen herkömmlicher Selektion und Gentechnologie in Frage stellen. Der im geltenden Recht festgelegte Geltungsbereich ist angesichts der technischen Entwicklung in der Gentechnologie überholt. In seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage (15.1022 Munz, «Regelungsbedarf im Bereich der Gentechnik. Was sind GVO-Organismen?») erklärte der Bundesrat, dass er die Ergebnisse der Gutachten und Überlegungen der zuständigen Ämter abwarten und die Entwicklung in den Nachbarländern verfolgen wolle, bevor er sich in dieser Frage festlege. Mit Blick auf die vorliegende Gesetzesänderung ist die Einstufung der NPBT ausschlaggebend dafür, ob deren Einsatz den Koexistenzregeln unterworfen wird oder nicht. Es sei darauf hingewiesen, dass bereits gesetzliche Grundlagen bestehen, um über ein allfälliges Gesuch für das Inverkehrbringen von NPBT-Produkten im Einzelfall zu entscheiden: Die Artikel 159 und 160 des LwG ermächtigen den Bundesrat zum Erlass von Vorschriften für das Inverkehrbringen solcher Produkte. Obwohl der gesetzliche Rahmen im Moment ausreicht, bereiten die zuständigen Bundesämter eine Stellungnahme vor.

1.1.2.5

Frühere Regelungsentwürfe

Koexistenzverordnung Nach dem Inkrafttreten des GTG im Jahr 2004 wurde zwar noch kein Gesuch für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderten Saatguts eingereicht26. Trotzdem mussten die Bestimmungen des GTG und des LwG in Bezug auf das Nebeneinander von GVO- und herkömmlichen Kulturen und auf die zentrale Frage der Isolationsabstände zwischen Flächen mit GVO- und herkömmlichem Anbau konkretisiert werden. Zu diesem Zweck wurde ein Entwurf einer Koexistenzverordnung27 erarbeitet, der im Oktober 2005 in die öffentliche Vernehmlassung geschickt wurde.

Angesichts der Stellungnahmen, die während der öffentlichen Konsultation eingereicht wurden und die eine erneute Prüfung des Entwurfs bei Ablauf des Moratoriums forderten, hat das zuständige Departement beschlossen, die Arbeiten bis zum Abschluss des 2005 lancierten Nationalen Forschungsprogramms NFP 59 zu sistieren, damit die Projektergebnisse berücksichtigt werden konnten.

26 27

Verordnung vom 7. Dezember 1998 über die Produktion und das Inverkehrbringen von pflanzlichem Vermehrungsmaterial (Vermehrungsmaterial-Verordnung, SR 916.151).

Verordnung über Koexistenzmassnahmen beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen sowie beim Umgang mit daraus gewonnenem Erntegut (Entwurf vom 3. Oktober 2005): www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/1292/Vorlage_d.pdf.

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Das Nationale Forschungsprogramm NFP 59 Das NFP 5928 «Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen» wurde am 2. Dezember 2005, also kurz nach Annahme der Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft», lanciert, um weitere Erkenntnisse über den Nutzen und die potenziellen Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen (GVP) zu gewinnen. Einige für die hauptsächlich aus Kleinbetrieben bestehende Schweizer Landwirtschaft besonders wichtige Aspekte mussten geregelt werden, insbesondere die Koexistenz von herkömmlichem Anbau und von GVO-Anbau.

Darüber hinaus wurden weitere Aspekte im Zusammenhang mit einer Landwirtschaft, die GVP einsetzt, untersucht, um festzustellen, inwiefern die Schweizer Gesellschaft eine Landwirtschaft mit GVP gutheissen würde, ob diese Landwirtschaft rentabler und ökologischer wäre, und ob die Konsumentinnen und Konsumenten schliesslich auch einen Nutzen daraus ziehen könnten.

Entwurf zur Koexistenzregelung «Berücksichtigung der Ergebnisse des NFP 59» und der GVO-freien Gebiete Gestützt auf die Ergebnisse eines Rechtsgutachtens des NFP 5929, das aufzeigt, dass das GTG in seiner heutigen Form nicht als abschliessende Gesetzesgrundlage für eine neue und vollständige Verordnung dienen kann, die alle technischen Landwirtschaftsmassnahmen für die Koexistenz umfasst, erachtete der Bundesrat die Änderung des GTG als gerechtfertigt. Daher wollte er das GTG so ergänzen, dass einerseits die rechtlichen Grundlagen für das angestrebte Koexistenzregime geschaffen und andererseits alle erforderlichen Massnahmen zur Gewährleistung der Koexistenz von GVO und Nicht-GVO sowie zur Trennung der Warenflüsse vom Produktionsort bis zum Vertrieb integriert werden können; ausgenommen hiervon sind die Punkte, die bereits jetzt in den betreffenden Gesetzen geregelt sind (z. B. Lebensund Futtermittel).

201230 legte der Bundesrat einen neuen Entwurf für die Regelung der Koexistenz, der die Ausscheidung von Gebieten mit gentechnikfreier Landwirtschaft, so genannte «GVO-freie Gebiete», vorsah, sowie eine neue Koexistenzverordnung vor.

Er beauftragte das UVEK und das WBF mit der Durchführung einer öffentlichen Vernehmlassung, die vom 31. Januar 2013 bis 15. Mai 201331 dauerte und die ergab, dass der vorgeschlagene Regelungsentwurf deutlich abgelehnt wurde.

28 29

30 31

Nationales Forschungsprogramm 59 (NFP 59): www.nfp59.ch/d_portrait_details.cfm.

Schweizer et al., Koexistenz der Produktion mit und ohne gentechnisch veränderte Organismen in der Landwirtschaft, Rechtsvergleich sowie Grundlagen und Vorschläge für die künftige Regulierung der Schweiz, Zürich/St. Gallen 2012.

Art. 37a GTG Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Gentechnik (Berücksichtigung der Ergebnisse des NFP 59 und der GVO-freien Gebiete) und der Koexistenz-Verordnung, www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/42379.pdf.

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1.2

Die beantragte Neuregelung

1.2.1

Verlängerung des Moratoriums

Neben der Machbarkeit der Koexistenz löste die Frage des gleichzeitigen Anbaus von GVO und nicht-GVO eine Diskussion über die landwirtschaftlichen Produktionsmodelle und die Organisation landwirtschaftlicher Tätigkeiten in den ländlichen Gebieten aus. Im Ausland wird in jenen Ländern, die viel GVO anbauen, die Landwirtschaft in einer auf die Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten Industrialisierungslogik gesehen. In der Schweiz wird diese landwirtschaftliche Produktionsweise stark hinterfragt. Die schweizerische Landwirtschaft muss nämlich neben quantitativen Aspekten (Ertrag) auch Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit (Reduktion von Pestiziden) und die Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigen.

Verschiedene Vernehmlassungen32 und Umfragen33 haben eine wachsende Skepsis gegenüber den GVO sowohl bei den Stakeholdern34 als auch in der Bevölkerung aufgezeigt.

Die Mehrheit der Bevölkerung, der Kantone und der Stakeholder lehnen die Einführung des GVO-Anbaus in die Schweizer Landwirtschaft nicht wegen einer allfällig bestehenden Rechtsunsicherheit ab, sondern weil sie die Schweizer Produktion nicht für GVO öffnen will, dies aus Gründen, die weit über die ursprünglich ins Feld geführte Lebensmittelsicherheit hinaus reichen. So sind zahlreiche Fragen wie zum Beispiel Biosicherheit, Risiken für Biodiversität, Wasser und Boden sowie andere verbleibenden Restrisiken, die komplexe Umsetzung in einer kleinräumigen Landwirtschaft, die Kosten der Koexistenz für die Anbauer von GVO (Verlust von landwirtschaftlicher Nutzfläche infolge der Einhaltung des Abstands zu konventionellen Kulturen, Trennung der Maschinen und Geräte, Trennung der Warenflüsse am Lagerort) oder die derzeit mangelnde Verfügbarkeit von für die Schweizer Landwirtschaft geeigneten GVO-Sorten noch unbeantwortet.

In Anbetracht dieser Einwände beabsichtigt der Bundesrat, das Moratorium aus Gründen zu verlängern, die weit über den Gesundheitsschutz hinausgehen. Seiner Ansicht nach können die technischen und materiellen Koexistenzvoraussetzungen nicht ohne eine vorausgehende Grundsatzdiskussion in Angriff genommen werden, ansonsten die Gefahr besteht, dass das Verfahren de facto gebremst oder abgelehnt wird. Mit der Moratoriumsverlängerung um vier Jahre bietet er dem Gesetzgeber die Möglichkeit, eine vertiefte und sachliche Diskussion über
die Vor- und Nachteile der Einführung der GVO oder sonstiger Innovationen und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Umwelt zu führen. Der Bundesrat hat immer die Meinung vertreten, dass der Einsatz einer Technologie nicht ein für allemal verboten werden soll, weil 32

33

34

Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Gentechnik (Berücksichtigung der Ergebnisse des NFP 59 und der GVO-freien Gebiete) und der Koexistenz-Verordnung, www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/42379.pdf.

Bericht über die Stakeholder-Workshops zu den überarbeiteten Koexistenzregelungen zwischen GVO und nicht-GVO www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/42319.pdf.

Nichtregierungsorganisationen, Konsumentenverbände, Vertreter der Landwirtschaft, der Nahrungsmittelproduktion, der Forschung, der Wirtschaft und der betroffenen ausserparlamentarischen Kommissionen.

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dies die Innovation behindern würde. Seiner Ansicht nach muss eine Diskussion über einen möglichen Einsatz von Spitzentechnologie in der Landwirtschaft geführt werden, damit in Zukunft entsprechende Produkte zur Lösung künftiger Herausforderungen (Sachzwänge für die Produktion, Ressourcenknappheit, Energie, Treibhauseffekt, Verringerung der Umweltbelastung) produziert werden können. Aus diesem Grund beantragt er nicht nur eine Moratoriumsverlängerung, sondern unterbreitet gleichzeitig Vorschläge für ein zukünftiges Koexistenzregime, die er als sinnvoll und verhältnismässig erachtet. Ausserdem sieht das GTG zur Konkretisierung des Vorsorgeprinzips die Förderung des Dialogs und den Einbezug der Stakeholder und Fachleute vor. Die Vorschläge eines Moratoriums und der Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten stehen somit im Einklang mit den Zielen des GTG.

1.2.2

Koexistenzregelung

Nachdem der Bundesrat mögliche Varianten der Koexistenzregelung gründlich geprüft und die Ergebnisse der verschiedenen Vernehmlassungen zu diesem Thema zur Kenntnis genommen hat, ist er der Meinung, dass nicht über ein Moratorium diskutiert werden kann, ohne gleichzeitig eine Alternative anzubieten. Diese Alternative besteht darin, den GVO-Anbau zu regeln und strenge Standards zu erlassen.

Gestützt auf das Rechtsgutachten des NFP 59 (vgl. 1.1.2.3) bleibt der Bundesrat der Auffassung, dass das GTG in seiner heutigen Form nicht als abschliessende Gesetzesgrundlage für die Anordnung aller technischen Landwirtschaftsmassnahmen für die Koexistenz dienen kann. Daher beantragt er, das GTG so ergänzen, dass die rechtliche Legitimation für das angestrebte Koexistenzregime geschaffen und alle erforderlichen Massnahmen zur Gewährleistung der Koexistenz von GVO und Nicht-GVO sowie zur Trennung der Warenflüsse vom Produktionsort bis zum Vertrieb integriert werden können; ausgenommen hiervon sind die Punkte, die bereits jetzt in den entsprechenden Spezialgesetzen geregelt sind (z. B. Lebens- und Futtermittel).

Der GVO-Anbau, wie er heute praktiziert wird, liegt in der Notwendigkeit der Intensivierung und der Mechanisierung begründet. Die überwiegende Mehrheit der heute vertriebenen GVO wurde nämlich aus dem Bedürfnis nach regelmässigeren Erträgen und einer flexibleren technischen Bewirtschaftung (Reduktion der Arbeitszeit pro Hektar) nach dem Modell der auf dem amerikanischen Kontinent verbreiteten intensiven Landwirtschaft heraus entwickelt. In den betreffenden Ländern ist auch eine zunehmende und unvermeidliche Vorherrschaft dieser Anbauweise zu beobachten. Die Schweizer Landwirtschaft hingegen bewirtschaftet relativ kleine Flächen, ist diversifiziert und versteht sich als lokale und qualitativ hochstehende Landwirtschaft -- alles Eigenschaften, welche die GVO für die Schweizer Agrarsysteme wenig attraktiv machen. In Anbetracht dieser Tatsachen stellt sich die Frage, ob der individuell betriebene und faktisch im ganzen Land verbreitete GVO-Anbau mit der Aufrechterhaltung der Werte der Schweizer Landwirtschaft vereinbar wäre.

Das Nebeneinander von Produktionsarten mit unterschiedlichen Pflichtenheften wie dem konventionellen, dem integrierten und dem biologischen Anbau wird in der Schweizer Landwirtschaft erfolgreich betrieben. Anders verhält es sich mit dem 6537

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parallelen Anbau von verschiedenen GVO-Sorten und allen übrigen GVO-freien Sorten. Im ersten Fall wird die Reinheit der Produkte auf freiwilliger Basis anerkannt, obwohl sie festgelegten Standards entspricht. Im Falle der Koexistenz von GVO- und anderen Kulturen muss die Reinheit der Nicht-GVO-Sorten zwingend gewährleistet sein, da andernfalls bei Verstoss eine Strafe droht. Mit der Schaffung möglicher GVO-Produktionsketten sollen in erster Linie die Wahlfreiheit und die Identität der Landwirte aller anderen Produktionsketten gewahrt werden.

Angesichts der Komplexität des Systems müssen die Tätigkeiten der Landwirte und ihrer Partner in den Anbaugebieten koordiniert werden. Der Bundesrat ist davon überzeugt, dass die Koexistenz, falls eine solche besteht, auf eine den schweizerischen Gegebenheiten entsprechende Weise zu regeln ist. Seiner Meinung nach soll die Koexistenz nicht individuell, sondern gemeinsam mit der Unterstützung einer Trägerschaft verwaltet werden. Aus diesem Grund schlägt der Bundesrat die Bildung von GVO-Anbaugebieten vor.

1.2.2.1

Koexistenz zwischen GVO und Nicht-GVO

Es ist erwiesen, dass Massnahmen entlang der gesamten Produktionskette getroffen werden müssen, um die Produktionsketten von der Aussaat bis auf den Teller abzudichten, wie dies das GTG bereits heute vorschreibt (Art. 7 und 16)35: auf dem Feld, an den Lagerorten und in den Landwirtschaftsbetrieben, an den Verarbeitungs(Mühlen usw.) und Vertriebsorten sowie beim Transport. Die typischsten Koexistenzmassnahmen, die ebenfalls breit diskutiert wurden, betreffen die Isolationsabstände zwischen Anbauflächen mit GVO und ohne GVO. Wie erwähnt, schreibt das GTG schon heute vor, dass besondere Vorsichtsmassnahmen zu treffen sind, um Vermischungen zwischen GVO und Nicht-GVO zu verhindern und um den herkömmlichen Anbau zu schützen. Im vorliegenden Entwurf zur Änderung des GTG wird die Art der einzuführenden Vorsichtsmassnahmen präzisiert, darunter die einzuhaltenden Isolationsabstände zu den herkömmlichen Kulturen. Zu dieser Auflage kommen weitere Koexistenzmassnahmen zur Verhinderung von versehentlichen Vermischungen mit GVO und Nicht-GVO hinzu, die von den berücksichtigten Sorten, von der Produktionsart und von vorhersehbaren exogenen Faktoren (Fläche des GVO-Felds, Aufbau von Landschaft und Topografie) sowie von anderen weniger beherrschbaren, auf örtliche oder vorübergehende Gegebenheiten zurückzuführenden Parametern abhängen, zum Beispiel der Richtung und Stärke der lokalen Winde, die die Pollenverbreitung steuern. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Zerstückelung der Parzellen und der Anzahl Landwirte einerseits und der Komplexität und den Kosten der Anwendung der Koexistenzmassnahmen um die GVO-Parzellen herum andererseits36.

35 36

Vergleiche auch: Elemente zum Verständnis von Art. 7 GTG von Christoph Erass, in Schriften zum Recht des ländlichen Raums, Dike Verlag, in Vorbereitung.

Modell zur Beurteilung der Kosten der Koexistenz, Forschungsinstitut für Biolandbau FiBL: www.bioaktuell.ch/de/pflanzenbau/gvo-bedeutung.html.

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Hinsichtlich der Anwendungsbedingungen, welche die Koexistenz am Produktionsort und entlang der Produktionskette sicherstellen sollen, ist die Koexistenz am Produktionsort zurzeit rudimentär geregelt (Art. 9 ESV). In Bezug auf die Trennung der Warenflüsse ist sie im Lebensmittelgesetz37 geregelt. Für die Landwirtschaft ist die Koexistenz von kulturartspezifischen Produktionssystemen an sich kein neues Problem, zahlreiche klassische Produktionsketten sind damit schon konfrontiert. Im Falle der GVO wird ein anderer Zweck verfolgt: Es geht nämlich darum, die gesamte landwirtschaftliche Produktion vor Vermischungen aus der GVO-Produktion zu schützen.

Die Koexistenz soll die zeitliche und räumliche Anordnung der Parzellen festlegen, um ungewollte Auskreuzungen oder Vermischungen zwischen gentechnisch veränderten Kulturen und konventionellen oder biologischen Kulturen einzuschränken.

Die Koexistenzmassnahmen müssen technische, physische und organisatorische Massnahmen umfassen, um eine Vermischung von GVO und Nicht-GVO sowie eine unfreiwillige Freisetzung auf Landwirtschaftsparzellen und deren Umgebung zu verhindern (Isolationsabstände, Bekämpfung von Durchwuchs). Dazu kommen Massnahmen zur Isolation am Lagerort und bei der Verarbeitung, welche die Trennung beider Ketten sicherstellen. Zudem sind geeignete organisatorische Massnahmen (vorgängige Meldung des GVO-Anbaus, Onlineverzeichnis) und Kommunikationsmassnahmen (Information über das Produkt und die Art der Verwendung) vorzusehen. Angesichts der Komplexität der verschiedenen Produktionsarten müssen die Tätigkeiten der Landwirte und ihrer Partner auf der Ebene der Anbaugebiete koordiniert werden.

Der Bundesrat möchte eine Grundsatzdiskussion über die Ausgestaltung des zukünftigen Koexistenzregimes eröffnen. Er erachtet es als sinnvoll, die Diskussion über die Grundsatzfragen und jene über die technischen Aspekte der Koexistenz getrennt zu führen. Aus diesem Grund enthält dieser Vorschlag keine Details zu den für die Anwendung der Koexistenz erforderlichen technischen Massnahmen (z. B. Trennungsabstände, unterschiedliche Blütezeiten, technische Bewirtschaftung). Diese werden gegebenenfalls in einer weiteren Vorlage (Koexistenzverordnung) geregelt werden.

1.2.2.2

Ergänzung der Regelung aufgrund der Ergebnisse des NFP 59

Neben den Erkenntnissen aus den naturwissenschaftlichen NFP 59-Projekten, die in erster Linie für die Ausarbeitung einer Koexistenzregelung auf Verordnungsstufe von Bedeutung sind, wurden für die Ausarbeitung der Vorlage bezüglich der Anpassung der Bestimmungen des Gentechnikgesetzes die Resultate des NFP-59-Projekts «Koexistenz von Pflanzenproduktion mit und ohne Gentechnik ­ Möglichkeiten der rechtlichen Regulierung und der praktischen Umsetzung (Koexistenz-Projekt)» unter

37

Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (LMG, SR 817.0) und entsprechende Verordnungen.

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der Leitung von Prof. Dr. Rainer J. Schweizer herangezogen 38. Neben den ausführlichen Grundlagearbeiten zur bestehenden schweizerischen Gesetzgebung im Bereich der Koexistenz sowie Vergleichen zum europäischen sowie internationalen Recht sind vor allem die Empfehlungen der Autoren für eine mögliche Koexistenzordnung zu berücksichtigen.

Zum einen schlagen die Autoren vor, die Zielnorm von Artikel 7 GTG zwar beizubehalten, neben ihr aber eine umfassende Delegationsnorm zugunsten des Bundesrats für den Erlass von Bestimmungen, die das Nebeneinander verschiedener Produktionsformen garantieren sollen, im GTG zu schaffen 39. Die allgemeine Formulierung von Artikel 7 GTG sowie die allenfalls punktuell zusätzlich hinzuziehbaren anderen Delegationsnormen des GTG (z. B. Art. 12, 16 Abs. 2, 19 GTG) lassen den Schluss zu, dass sich auf die bestehenden Rechtsgrundlagen des GTG derzeit nur eine sehr rudimentäre Koexistenzordnung stützen lässt40. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass das GTG durch ausgewählte Delegationsnormen ergänzt werden muss, um die Koexistenzregelung konsistent und abschliessend umsetzen zu können ­ nicht zuletzt auch, um in diesem Bereich für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Die Vorlage sieht daher die Anpassung von Artikel 7 durch die Einfügung eines neuen Absatzes 2 vor, in welchem der Bundesrat zum Erlass von Bestimmungen zum Schutze der Produktion von Erzeugnissen ohne gentechnisch veränderte Organismen sowie zum Schutze der Wahlfreiheit ermächtigt wird (vgl. Ziff. 2).

Auch soll die Tragweite der Delegationsnorm von Artikel 16 Absatz 2 GTG zur Warenflusstrennung präzisiert werden. Ausserdem ist eine Delegationsnorm im Bereich der Ausbildung von Personen, die mit gentechnisch veränderten Organismen umgehen, vorgesehen (Art. 15a). Der Bundesrat trägt damit den Erkenntnissen des NFP 59 Rechnung.

Weiteren Handlungsbedarf sehen die Autoren einer anderen NFP-59-Studie zum Thema «Konzepte zum Vollzug der öffentlichen Information gemäss GTG» (Informationsprojekt). Sie schlagen vor, die Bestimmungen über die Informationsmöglichkeiten im Rahmen des Verwaltungsverfahrensrechts (z. B. Akteneinsicht) besser von jenen über die Information und den Dialog mit der Öffentlichkeit zu trennen.

Ausserdem sehen sie Verbesserungspotential bei der Kommunikationstätigkeit der Kommissionen sowie beim Einsatz
moderner Kommunikationsmittel41. Der Bundesrat erachtet die bestehenden Grundlagen im GTG, insbesondere Artikel 18, sowie die Bestimmungen des Öffentlichkeitsgesetzes vom 17. Dezember 200442 der Verwaltung (BGÖ) in diesem Bereich als ausreichend. Inwieweit er den Dialog mit der

38

39 40 41 42

Siehe Zusammenfassung unter www.nfp59.ch/files/dokumente/Schweizer_Rainer_J._2_Summary_D_E.pdf; s. Rainer Schweizer et. al., Koexistenz der Produktion mit und ohne gentechnisch veränderte Organismen in der Landwirtschaft, Zürich / St. Gallen 2012.

Schweizer et.al., Koexistenz, N 53.

Vgl. ebd., N 91.

S. Zusammenfassung unter www.nfp59.ch/files/dokumente/Schweizer_Rainer_J._1_Summary_D_E.pdf.

SR 152.3

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Öffentlichkeit im Bereich der Gentechnologie führt und fördert, hat er in seinem Bericht in Zusammenhang mit dem Postulat Leumann43 bereits dargelegt.

Die Autoren des Informationsprojekts schlagen ausserdem eine Neuregelung der Kennzeichnungs- und Schwellenwertbestimmungen bezüglich gentechnisch veränderter Produkte vor. So regen sie an, im GTG (Art. 17) eine allgemein gültige Definition der unbeabsichtigten Spuren von GVO einzuführen, auf die die betroffenen Verordnungen (Freisetzungsverordnung, Vermehrungsmaterial-Verordnung, Lebensmittelverordnung etc.) als Grundlage für ihre eigenen Regelungen künftig verweisen sollen. Ausserdem sehen sie einen Verweis auf die in einem Drittstaat bewilligten gentechnisch veränderten Organismen vor. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die bestehenden Bestimmungen über die Kennzeichnungs- und Schwellenwerte nicht in dem von den Autoren vorgeschlagenen Ausmass zu harmonisieren sind, da die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung insbesondere von Saatgut, Futter- und Lebensmitteln nicht dieselben sind und auch zwischen einem direkten und indirekten Umgang in der Umwelt unterschieden werden muss.

Einen weiteren Anpassungspunkt sehen die Autoren des Koexistenz-Projekts bezüglich der Haftpflichtbestimmungen des Gentechnikgesetzes (Art. 30 ff.). Sie bemängeln ­ neben grundsätzlicher Kritik am sogenannten Landwirtschaftsprivileg (Haftungskanalisierung auf den Bewilligungsinhaber) ­ in erster Linie Unklarheiten in Bezug auf den Schadensbegriff. Sie sehen die möglichen Schäden bei der Auskreuzung einer gentechnisch veränderten Pflanze mit einer nicht gentechnisch veränderten Art als reine Vermögensschäden an, die nach dem GTG nur ersetzt werden können, wenn sie widerrechtlich sind. Da sich im GTG keine diesbezügliche Schutznorm finden lasse, seien diese Schäden nicht gedeckt, und auch das allgemeine Haftpflichtrecht (Art. 41 OR) helfe nicht weiter 44. Der Bundesrat ist der Meinung, dass die Haftpflichtbestimmungen das Ergebnis eines in langen Beratungen austarierten Kompromisses im Rahmen der ursprünglichen Genlex-Vorlage darstellen und sich derzeit kein unmittelbarer Handlungsbedarf für deren Anpassung aufdrängt. Auch wenn es aus den Materialien nicht ausdrücklich hervorgeht 45, so scheint doch das Parlament bei seinen Debatten davon ausgegangen
zu sein, dass Schäden an Kulturpflanzen, die durch Auskreuzung von gentechnisch veränderten Sorten entstanden sind, etwa weil sich die Ernte nicht mehr als gentechnikfreies Produkt verkaufen lässt, keine reine Vermögensschäden, sondern Sachschäden oder zumindest Vermögensschäden, die auf einem Sachschaden beruhen, darstellen. Dies wird auch in der Lehre vertreten46. Tatsächliche reine Vermögensschäden, etwa wenn der nicht von einer Auskreuzung betroffene benachbarte Landwirt seine Produkte aufgrund des schlechten Images einer Region weniger gut verkaufen kann, 43

44 45 46

09.3794 ­ Förderung des öffentlichen Dialogs über die Gentechnik im Ausserhumanbereich; Bericht einzusehen unter: www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/24249.pdf.

Schweizer et.al., Koexistenz, N 242 ff.

Siehe etwa Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz, BBl 2000 2391 2431 ff.

Christian Hediger, Die Haftungsbestimmungen des Gentechnikgesetzes (Art. 30­34 GTG), Beurteilung und Vergleich mit der Haftungsregelung des deutschen Gentechnikgesetzes, Dissertation Luzern, Zürich/Basel/Genf 2009.

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sollen weiterhin nicht von den Haftpflichtbestimmungen erfasst werden; hierzu sieht der Bundesrat jedenfalls keine Notwendigkeit einer diesbezüglichen Schutznorm.

Letztlich sehen die Autoren des Koexistenz-Projekts Anpassungsbedarf im Rahmen der Strafbestimmungen des Gentechnikgesetzes. Sie bemängeln die Strafandrohungen als zu pauschal und unpräzise. Der Bundesrat erachtet die möglichen Defizite im Bereich der Strafbestimmungen des GTG als Thematik, die nicht nur das Gentechnikgesetz, sondern vielmehr auch andere Erlasse des Umwelt- und Verwaltungsrechts betrifft. Insofern sieht der Bundesrat keinen spezifischen Handlungsbedarf für das Gentechnikrecht, sondern regt an, die Strafbestimmungen des Umweltrechts zu gegebener Zeit im Rahmen einer Gesamtschau zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

1.2.2.3

Die GVO-Anbaugebiete

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Koexistenz als kollektive Strategie in funktionalen Einheiten ausgestaltet werden soll (vgl. 1.2.2).

Das Zusammenfassen von Parzellen zu Produktionsinseln, sogenannten GVOAnbaugebieten, führt tendenziell zu einer Verringerung des Aufwands für die Einführung der Koexistenz, weil die Kontaktflächen zwischen GVO- und herkömmlichen Kulturen beschränkter und die Vermarktungseinheiten weniger zahlreich sind.

Die GVO-Anbaugebiete sind somit ein Mittel, um die Koexistenzkosten zu senken und den Aufwand für deren Umsetzung getreu dem Verursacherprinzip und der Absicht des GTG auf die Bewirtschafter von GVO-Flächen zu übertragen.

Die Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten ermöglicht eine effizientere Kontrolle der Anwendung der Koexistenzmassnahmen am Ursprungsort, vereinfacht die Rückverfolgbarkeit der GVO-Produkte und entspricht vollumfänglich dem mit dem GTG verfolgten Schutzzweck in Bezug auf die Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten und den Schutz der GVO-freien Produktionsketten sowie in Bezug auf die in der Gentechnikgesetzgebung festgeschriebenen Informationspflichten47.

Wenn GVO-Produzenten gezwungen werden, sich zu GVO-Anbaugebieten zusammenzuschliessen, steht dies zwar im Widerspruch zum Grundrecht eines Landwirts, den Anbauort und die anzubauenden Sorten frei zu wählen (Eigentumsgarantie und Wirtschaftsfreiheit). Der Bundesrat ist aber der Ansicht, dass die allfällige Einschränkung der Grundrechte eines Landwirtes, der am individuellen Anbau von GVO gehindert wird, durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt werden kann, beispielsweise der korrekten und wirksamen Umsetzung der Koexistenz; diese wiederum ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Gewährleistung einer GVO-freien Produktion ist, die auf dem Feld beginnt. Ausserdem geht der Bundesrat davon aus, dass die Einschränkung insofern verhältnismässig ist, als eim Landwirt in einem GVO-Anbaugebiet, in dem die Ausübung der Koexistenz für ihn vorteilhaft ist, trotzdem GVO anbauen kann.

47

Art. 18 und 24 GTG (SR 814.91)

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Funktionsweise der GVO-Anbaugebiete Die Verantwortung für die Umsetzung der Koexistenz gegenüber den GVO-freien Produktionsarten liegt bei den Landwirten des GVO-Anbaugebiets.

Das Modell der GVO-Anbaugebiete sieht vor, dass Bewirtschafter, die den Anbau von zugelassenen GVO-Sorten integrieren möchten, sich mit anderen Interessierten unter der Führung einer Trägerschaft organisieren, um auf diese Weise eine als GVO-Anbaugebiet anerkannte Fläche auszuscheiden. Um eine gewisse Einheitlichkeit, Kohärenz und Glaubwürdigkeit sicherzustellen, muss das GVO-Anbaugebiet bestimmte Anforderungen erfüllen, die vom Bund festgelegt werden. Die Einheitlichkeit (zusammenhängendes Gebiet ohne Enklaven) des GVO-Anbaugebiets, die Dauer des Zusammenschlusses und die Ausnahme- und Sistierungsbedingungen sowie die Zuweisung von Kompetenzen und Zuständigkeiten sind im Gesetz definiert.

Die Landwirte verpflichten sich vertraglich, ihre Arbeitskraft, ihre Felder und ihre Produktion zusammenzulegen. Sie funktionieren vom Feld bis zum Vertrieb als Produktionseinheit und halten die Koexistenzmassnahmen gegenüber den GVOfreien Kulturen ausserhalb des GVO-Anbaugebiets ein. Alle Landwirte, die dieses Anbaugebiet bewirtschaften (100 %), müssen insbesondere dokumentieren, wie sie die Produktion entsprechend den geltenden Vorschriften über die Kennzeichnung von GVO-Produkten zu organisieren gedenken, und sich verpflichten, die Produktionsstandards der Pflichtenhefte, die für die Produzenten ausserhalb des GVOAnbaugebiets gelten, einzuhalten. Zugelassene GVO-Sorten können sie dort ohne besondere Trennungsmassnahmen zwischen Parzellen mit ähnlichen Kulturen anbauen, wenn sie dies wünschen (Interesse, Singularität) oder die Notwendigkeit (Marktbedingungen, Fruchtfolge) besteht. Diese Massnahmen werden hinfällig, wenn die Ernte unter der gleichen Bezeichnung (GVO) zusammengelegt wird.

Das Funktionskonzept des GVO-Anbaugebiets sowie die von den Bewirtschaftern dieses Gebiets eingegangenen detaillierten vertraglichen Verpflichtungen können über die Trägerschaft bei den Bundesbehörden eingereicht werden. Diese prüfen, ob alle Anforderungen erfüllt sind, wobei auch die betroffenen Kantone zur Stellungnahme eingeladen werden, und erteilen die allfällige Anerkennung. In ihrer Stellungnahme beurteilen die Kantone das Projekt für ein
GVO-Anbaugebiet unter Berücksichtigung der ihnen bekannten Besonderheiten des Standorts mit dem Ziel, beispielsweise besondere Landwirtschaftsstrukturen zu schützen oder Flächen mit hohem Naturwert in einer bestimmten Region zu fördern. Die Kantone können von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, um Biotope oder besonders empfindliche Landschaften zu melden (Art. 8 FrSV), in denen der landwirtschaftliche Umgang mit GVO verboten oder nicht erwünscht ist. So können sie auch Praktiken wie beispielsweise die Bienenzucht berücksichtigen, falls in deren Rahmen Honig ohne Spuren von GVO-Pollen hergestellt werden soll. Um die Rückverfolgbarkeit der GVO-Kulturen zu gewährleisten, wird ein Verzeichnis geführt.

Die Kosten für die Trennung von GVO- und GVO-freien Produktionsketten und -wegen werden internalisiert und von der Funktionseinheit getragen. Der Koordinationsaufwand sollte durch den Gewinn aus der gemeinsamen Bewirtschaftung und die Grössenvorteile kompensiert werden.

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Die Bildung von GVO-Anbaugebieten zielt darauf ab, die GVO-Produktion und die Produktionskreisläufe in bestimmten Gebieten zusammenzufassen. Damit sollte die Koordination unter den betroffenen Landwirten gefördert und die Umsetzung bestimmter technischer Massnahmen zur Trennung der Produktionsketten innerhalb des so gebildeten Anbaugebiets erleichtert werden. Durch die Zusammenlegung von Parzellen können die Produkte aus den GVO-Anbaugebieten vom Feld über die Lagerung bis zum Vertrieb eine eigene Produktionskette bilden. Die Sichtbarkeit und die Rückverfolgbarkeit des Prozesses sollten erhöht und gleichzeitig die Gefahr unbeabsichtigter Vermischungen am Ursprungsort vermindert werden.

Um solche Zusammenlegungen zu fördern, kann der Bund im Einzelfall zusätzliche spezifische Kriterien erlassen wie zum Beispiel eine Mindestfläche, eine Mindestproduktionsmenge oder aber spezifische Kriterien in Abhängigkeit von der Art der in den GVO-Anbaugebieten bewirtschafteten Kulturen oder Sorten (Saatgutproduktion, agronomische oder biologische Eigenschaften). Da die Umsetzung der technischen und organisatorischen Massnahmen administrativ unterstützt und strenger überwacht wird, bietet die Produktion in den GVO-Anbaugebieten eine zusätzliche Garantie für die Einhaltung der Reinheitsnormen. Ausserdem erzielen die Bewirtschafter dank den Grössenvorteilen und der vereinfachten Organisation einen Mehrwert.

1.3

Mitwirkung

Der Regelungsentwurf trägt in seiner heutigen Form den in der Vernehmlassung geäusserten Mehrheitsmeinungen sowie den Forderungen aus Landwirtschafts- und Konsumentenkreisen Rechnung.

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens Zum ersten Entwurf der Koexistenzregelung, der die Ergebnisse aus dem Nationalen Forschungsprogramm NFP 59 berücksichtigte, wurde im ersten Halbjahr 2013 eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Die Ergebnisse dieses Vernehmlassungsverfahrens sind in einem Bericht zusammengefasst, den der Bundesrat am 18. Dezember 2015 zur Kenntnis genommen hat48. Die im vorliegenden Entwurf vorgeschlagene Koexistenzregelung wurde entsprechend den in der Vernehmlassung angebrachten Bemerkungen abgeändert. Darüber hinaus konnten die betroffenen Kreise im Juli 2014 zu den Optionen der Koexistenzregelung, insbesondere zu den GVO-Anbaugebieten und zum Gentechnikmoratorium in der Schweiz, Stellung nehmen. Die Ergebnisse dieses Vernehmlassungsverfahrens sind Gegenstand eines separaten Berichts. In Anbetracht der bereits durchgeführten Vernehmlassungen und nach Einarbeitung der Vorschläge und Kommentare der Vernehmlassungsteilnehmer in den Entwurf hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 18. Dezember 2015 beschlossen, diese Vorlage ohne eine weitere öffentliche Konsultation zu überweisen, da sich 48

Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Gentechnik (Berücksichtigung der Ergebnisse des NFP 59 und der GVO-freien Gebiete) und der Koexistenz-Verordnung, www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/42317.pdf.

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die Stakeholder anlässlich von Workshops zu den Optionen äussern konnten49. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass zwischen 2009 und 2015 die Ablehnung der GVO in Lebensmitteln zugenommen hat.

Meinung der Landwirtschaftskreise und der Konsumentenschaft Auf der Grundlage der oben erwähnten Berichte lässt sich abschätzen, wie diese Vorlage von den betroffenen Stakeholdern, allen voran von der Landwirtschaft und der Konsumentenschaft, aufgenommen würde. Die Landwirtschafts- und Konsumentenkreise haben sich gegen den Anbau von GVO in der Schweiz ausgesprochen.

Die einen, weil die derzeit auf dem Markt verfügbaren GVO für die Schweizer Landwirtschaft nicht von Interesse sind, die anderen, weil sie sich weigern, GVO zu konsumieren und wegen der Einführung von GVO in der Schweizer Landwirtschaft keine Verkleinerung des Angebots an GVO-freien Lebensmitteln hinnehmen wollen (vgl. ausführlicher unter Ziff. 1.2.1).

1.4

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Dieser Entwurf verändert die Aufgabenteilung zwischen dem Bund und den Vollzugsorganen nicht grundlegend, sondern er sieht höchstens eine leichte Erweiterung der Aufgaben dieser Organe vor. Die präzisen Bestimmungen dieses Entwurfs ersetzen jene des geltenden Rechts (bestehender Art. 19) und zielen auf die Einhaltung der Grundsätze der bestehenden Artikel 6­9 ab. In diesem Sinne ergeben sich aus den Präzisierungen des neuen Artikels 19a keine eigentlichen neuen Aufgaben.

Diese sind gesetzlich bereits verankert, nur ist deren Anwendung wegen des Moratoriums zurzeit sistiert. Die Mittel, um die konkrete Umsetzung der Aufgaben (Dossieranalyse) zu finanzieren, werden jedoch auf dem Verordnungsweg beantragt. Der Vollzug dieser Aufgaben ist so geregelt, dass sich die zuständigen Behörden ergänzen sollen. Der Entwurf sieht keine neuen Subventionen und keine finanziellen Mittel für die darin festgelegten neuen Pflichten vor.

1.5

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Ausserhalb der Europäischen Union haben von den grossen GVO-Produzentenländern nur wenige Länder, nämlich Brasilien und Indien, verbindliche Koexistenzgesetze. Dieses Regelungsvakuum in Bezug auf die Koexistenz lässt sich durch die Tatsache erklären, dass GVO in den meisten dieser Länder nicht als besondere marktfähige Produkte betrachtet werden, weil sie eine gentechnische Veränderung erfahren haben. Sie werden genau gleich wie die Produkte aus der herkömmlichen Landwirtschaft geregelt, das heisst, auf der Grundlage ihrer neuen Eigenschaft und ihrer Zusammensetzung. Falls Isolations- oder Trennungsmassnahmen zwischen 49

Bericht über die Stakeholder-Workshops zu den überarbeiteten Koexistenzregelungen zwischen GVO und nicht-GVO, www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/42319.pdf.

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verschiedenen angebauten Sorten angewandt werden müssen, sollen sie ausschliesslich die Sortenreinheit garantieren. Dass diese GVO-Sorten weder gleichzeitig noch in allen Ländern, die zu den Handelspartnern der Schweiz zählen, zugelassen sind (zeitliche und räumliche Asynchronizität), ist mit Blick auf die Vereinheitlichung der Schwellenwerte für die Sortenreinheit problematisch. Koexistenzfragen ­ einer anderen Art zwar ­ stellen sich somit auch für diese Länder.

Es gilt zu beachten, dass die Frage der Koexistenz eng mit der Verpflichtung verknüpft ist, das Vorhandensein von GVO50 in einem Produkt bei dessen Vermarktung zu deklarieren. Die Koexistenzmassnahmen wurden als Reaktion auf die Forderung des Marktes und der Konsumentenschaft nach einer besseren Transparenz über die Produktherkunft erlassen. Mit Entscheidung vom 5. Juli 2011 anerkannte die CodexAlimentarius-Kommission51, dass Lebensmittel, die GVO oder aus GVO gewonnene Produkte enthalten, auf freiwilliger Basis gekennzeichnet werden können. Damit war ein Schritt hin zu mehr Transparenz im Umgang mit GVO gemacht. Es handelt sich hierbei um einen entscheidenden Schritt, weil der Codex internationale Normen festlegt, die bei Wirtschaftsstreitigkeiten im Rahmen der WTO zwischen zwei Ländern anerkannt werden.

Die derzeit laufenden bilateralen Verhandlungen zwischen der EU und den USA über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership), deren Inhalt vertraulich ist, haben den Erlass gemeinsamer Regeln der Europäischen Union (EU) und der Vereinigten Staaten vor allem im Bereich des Konsumentenschutzes zum Ziel. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Bestimmungen des Transatlantischen Freihandelsabkommens auch auf die europäischen Regeln über die GVO-Kennzeichnung auswirken. Diese könnten nämlich als Handelshemmnis betrachtet werden und müssten somit abgeschafft werden. Die EU hat dies in ihrer offiziellen Stellungnahme deutlich geltend gemacht.

Situation in der Europäischen Union Die Koexistenzdefinition der EU basiert auf der informierten Wahl der Konsumentinnen und Konsumenten, aus verschiedenen Produktionstypen, das heisst, aus dem herkömmlichen, dem biologischen oder dem GVO-Anbau, zu wählen, und dies im Einklang mit den nach EU-Recht geltenden Kennzeichnungspflichten. Da
eine versehentliche Verunreinigung von Nicht-GVO-Produkten durch GVO-Produkte nicht ausgeschlossen werden kann, müssen beim Anbau, bei der Ernte, bei der Lagerung und bei der Verarbeitung geeignete Massnahmen zur Gewährleistung der Koexistenz getroffen werden. In der EU bezweckt die Koexistenz somit eine genügende Trennung zwischen GVO und Nicht-GVO ausschliesslich für die durch ein standardisiertes Verfahren als ausreichend sicher beurteilten GVO. Folglich berücksichtigen die Koexistenzregeln den Umgang mit den potenziellen Risiken der GVO nicht.

50 51

Richtlinie 2001/18/EG Der Codex Alimentarius ist eine Sammlung von Empfehlungen für die Lebensmittelsicherheit, den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten und der Arbeiter im Nahrungsmittelbereich sowie den Umweltschutz, die von zwei weltweit anerkannten Organisationen (FAO, WHO) herausgegeben wurde.

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Im Jahr 2003 hat die Europäische Kommission eine Empfehlung mit Leitlinien für die Entwicklung nationaler Strategien und guter Praktiken verabschiedet, um die Mitglieder dabei zu unterstützen, einen nationalen Gesetzesrahmen oder andere Koexistenzinstrumente zu entwickeln52. Da sie der Auffassung war, dass die Koexistenz durch die Mitgliedstaaten geregelt werden müsse, weil sich die landwirtschaftlichen Verhältnisse von Land zu Land, ja sogar von Region zu Region unterscheiden und eine gemeinschaftliche Regelung nicht für alle Fälle geeignet sein könne, überarbeitete und lockerte die Europäische Kommission die Empfehlung im Jahr 2010. Diese Leitlinien sind unverbindliche Empfehlungen mit dem Ziel, die Unterschiede zwischen den nationalen Vorschriften zu begrenzen (2010/C 200/01)53.

Dank dieser Empfehlung können die Mitgliedsstaaten frei entscheiden, ob sie den GVO-Anbau auf Teilen oder der Gesamtheit ihres Hoheitsgebiets erlauben, einschränken oder untersagen möchten. Gemäss dieser Empfehlung ist es ebenfalls möglich, GVO-freie Zonen festzulegen, wenn die klimatischen Bedingungen, die Anbauarten oder die Strukturen der Betriebe die Umsetzung effizienter Massnahmen zu vernünftigen Kosten nicht erlauben. Ausserdem legt diese Empfehlung die besonderen Bedingungen für ein Verbot fest; zu den Bedingungen gehört beispielsweise das berechtigte Ziele, das unbeabsichtigte Vorhandensein von GVO in konventionell und biologisch angebauten Kulturen zu verhindern. Um solche Verbote zu verhängen, müssen die Mitgliedstaaten jedoch nachweisen, dass für diese Gebiete andere Massnahmen nicht ausreichen, um einen genügenden Reinheitsgrad zu erzielen.

Die seit 2010 geführten Diskussionen über die Möglichkeit der Mitgliedsländer, den GVO-Anbau auf ihrem Hoheitsgebiet einzuschränken oder zu verbieten (Opt-outKlausel), mündeten in einen umstrittenen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG. Mit der Richtlinie (EU) 2015/41254 nahm die Kommission diesen Vorschlag am 11. März 2015 an. Das Ziel der neuen Richtlinie bestand darin, den einzelnen Mitgliedstaaten eine grössere Entscheidungsfreiheit auf ihrem Hoheitsgebiet zu gewähren, um Blockaden auf Gemeinschaftsebene zu vermeiden. Per 3. Oktober 2015, dem Ablauf der Frist zur Einreichung eines Gesuchs bei der Kommission, hatten bereits 17 Mitgliedstaaten und 4 Regionen
den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet verboten. Portugal, Spanien, Tschechien, die Slowakei und Rumänien verbannen als Einzige den GVO-Anbau nicht von ihrem Staatsgebiet.

Derzeit wird in Europa lediglich die Maissorte MON810 angebaut55.

52

53

54

55

Empfehlung der Kommission mit Leitlinien für die Erarbeitung einzelstaatlicher Strategien und geeigneter Verfahren für die Koexistenz gentechnisch veränderter, konventioneller und ökologischer Kulturen, ABl. L 189 vom 29. Juli 2003, S. 36.

Empfehlung der Kommission mit Leitlinien für die Entwicklung nationaler Koexistenzmassnahmen zur Vermeidung des unbeabsichtigten Vorhandenseins von GVO in konventionellen und ökologischen Kulturpflanzen, ABl. C 200 vom 22. Juli 2010, S. 1.

Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG zu der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen.

Liste der Mitgliedstaaten und Regionen, die ein Gesuch für eine Bewilligungseinschränkung oder ein Verbot von GVO-Kulturen eingereicht haben: http://ec.europa.eu/food/plant/gmo/authorisation/cultivation/geographical_scope_en.htm.

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Im Jahr 2015 wurde gestützt auf europäisches Recht und besondere einzelstaatliche Vorschriften die Koexistenz von Kulturen mit konventionellem Mais und GVOMais der Sorte MON810 in Spanien (107 749.24 Hektare), Portugal (801,11 Hektare), Rumänien (2,5 Hektare), der Slowakei (104,07 Hektare) und Tschechien (997 Hektare) angewendet.

Derzeit sind acht europäische Anbaubewilligungsgesuche für GVO-Mais hängig für die Sorten MON810 (Erneuerungsgesuch), TC1507 des amerikanischen Unternehmens Pioneer, die von der Kommission im November 2013 auf Druck einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Anbau vorgeschlagen wurde, sowie sechs weitere Maissorten von Pioneer, Dow AgroSciences und Syngenta. Auf Grund der für das Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung geltenden Fristen dürfte mit deren Anbau nicht vor 2016 begonnen werden.

Im Oktober 2015 hat das EU-Parlament hingegen einen europäischen Gesetzesentwurf abgelehnt, der es jedem Mitgliedstaat erlaubt hätte, den Verkauf und die Verwendung von Lebensmitteln oder Tiernahrung, die von der EU zugelassene GVO enthalten, auf seinem Hoheitsgebiet einzuschränken oder zu verbieten.

Situation in den wichtigsten GVO-produzierenden Ländern In den Vereinigten Staaten und in Kanada sind der Anbau von GVO und die Produkte aus GVO gleich geregelt wie die mit klassischen oder konventionellen Methoden hergestellten Produkte. Es wird dort das Prinzip der substanziellen Äquivalenz angewandt. Jedoch ist die Frage der Koexistenz vor kurzem aktuell geworden, weil die in den letzten Jahren sehr starke Zunahme der Flächen, die für den GVO-Anbau genutzt werden, der Nachfrage seitens der Konsumentinnen und Konsumenten widerspricht, die in zunehmendem Masse nach Nahrungsmitteln verlangen, die aus biologischem Anbau, aus einer Herstellung ohne Biotechnologie oder aus einer sich naturnah präsentierenden Landwirtschaft stammen. Seit 2013 besteht in Kanada eine Kontroverse in Bezug auf die Zulassung des Anbaus von GVO-Luzerne. Diese hat zur Folge, dass das Unternehmen Forage Genetics International auf die Vermarktung einer gentechnisch veränderten Alfalfa, welche gegen das Herbizid Glyphosat resistent ist, verzichtete. Diese jüngsten Aktionen von Bürgerinnen und Bürgern, die ihrem Bedürfnis nach Transparenz und Rückverfolgbarkeit der GVO Ausdruck verliehen hatten,
haben weder zu einer Änderung der Koexistenzregelung, noch zur einer Kennzeichnungspflicht für GVO-Produkte geführt. Zur Erinnerung: Das kanadische und das US-amerikanische Recht kennen eine Kennzeichnungspflicht für Produkte (GVO oder Nicht-GVO), von denen ein Gesundheitsrisiko ausgeht, weil sie Allergene enthalten oder sich die Zusammensetzung der Nahrungsmittel verändert hat.

Seit einigen Jahren ertönt hauptsächlich in den USA die Forderung nach nationalen Normen zur besseren Information der Konsumentinnen und Konsumenten über die GVO immer lauter. In den USA haben drei Staaten (Connecticut56, Maine57 und 56 57

Connecticut Act concerning the labelling of genetically engineered food: https://www.cga.ct.gov/2013/act/pa/pdf/2013PA-00183-R00HB-06527-PA.pdf.

An Act to Amend Maine's Genetically Modified Food Products Labeling Law: https://www.mainelegislature.org/legis/bills/bills_127th/billtexts/HP068601.asp.

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Vermont58) bereits Gesetze über die Information der Konsumentinnen und Konsumenten über GVO erlassen, und in gut zwanzig weiteren Staaten wurden Gesetzesentwürfe eingereicht. 2014 haben zwei Landkreise ein Moratorium verhängt. Obwohl die betroffenen Staaten dessen Rechtsgültigkeit bestritten haben, ist die Diskussion nun lanciert.

Ein entscheidender Schritt hin zur GVO-Kennzeichnung wurde in den USA am 7. Januar 2016 gemacht, als der Lebensmittelkonzern Campbell ankündigte, dass er die Ausarbeitung eines nationalen Gesetzes zur Vereinheitlichung der GVO-Kennzeichnung unterstützen und für seine in den USA verkauften Produkte eine GVOKennzeichnung einführen werde.

Jüngst entbrannte in den USA eine Diskussion über eine produkt- oder prozessspezifische Regelung. In Anbetracht neuer Technologien, mittels derer das Erbgut auf nicht nachweisbare Weise verändert werden kann, fordern einige US-amerikanische Behörden (USDA) eine molekülgenaue Beschreibung des Systems, das den zu prüfenden Organismus hervorbringt59, diese Forderung wird damit begründet, dass die neuen Eigenschaften unabhängig davon, ob sie schädlich sind oder nicht, zum Teil davon abhängen, wie sie integriert wurden.

Übrige Länder 2015 hatten 170 Länder das Cartagena-Protokoll60 ratifiziert, welches unter anderem Normen für die Kennzeichnung von GVO beim Transport zwischen und nach Unterzeichnerstaaten des Protokolls festlegt. Gewisse Länder haben auf nationaler Ebene die Kennzeichnungspflicht für GVO-Produkte eingeführt. Der verpflichtende Charakter der Deklaration variiert je nach Art der GVO, des Toleranzwerts und des Produkttyps. Ausserhalb der EU hat jedoch noch kein einziges Land eine Regelung in Bezug auf die eigentliche Koexistenz erlassen. In den Ländern, die am meisten GVO- und konventionelle Produkte exportieren (Argentinien, Brasilien, Kanada), treffen die Betriebe selbst die erforderlichen Massnahmen, um Vermischungen oberhalb eines vertraglich vereinbarten Schwellenwerts zu verhindern. Daher entstehen bei den Exporten von Produkten aus konventioneller Landwirtschaft Mehrkosten. Zu beachten gilt es hingegen, dass in diesen Ländern ganz andere Grössenverhältnisse herrschen: So umfasst beispielsweise in Argentinien eine grosse Produktionseinheit (Farm) 2000 Hektare, was die Interaktionen mit den Nachbarbetrieben faktisch verringert.
GVO-freie Gebiete in Europa In der EU existieren auf freiwilliger Basis schon seit 2003 GVO-freie Gebiete.

Damals haben zehn europäische regionale Gebietskörperschaften eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, um ihre lokalen oder regionalen Produktionen zu bewah58 59

60

Vermont GMO labeling regulations (07.01.2016): www.foodpolitics.com/wp-content/uploads/Final-Rule-CP-121_Vermont_15.pdf.

Policy: Reboot the debate on genetic engineering, Jennifer Kuzma, 10 March 2016, Nature 531:165, www.nature.com/news/policy-reboot-the-debate-on-genetic-engineering-1.19506.

Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit: https://bch.cbd.int/protocol/default.shtml.

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ren, die ihrer Ansicht nach durch die Einführung von GVO bedroht waren. Ihr Netzwerk handelt nach den Grundsätzen, die im Februar 2005 in der Charta von Florenz61 festgeschrieben wurden. Derzeit gibt es in den meisten europäischen Ländern GVO-freie Regionen.62 Seit Mai 2010 ist Madeira die erste europäische Region, die gestützt auf eine verbindliche Rechtsgrundlage von der Europäischen Kommission im Sinne ihrer neuen Empfehlung (2010/C 200/01) offiziell zur GVO-freien Zone erklärt wurde. Am 5. Mai 2009 hatte Portugal gemäss Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Europäische Kommission über den Entwurf eines Gesetzesdekrets von Madeira informiert mit der Begründung, dass GVO eine potenzielle Gefahr für die Biodiversität der Insel darstellten.

In Anwendung der Opt-out-Regelung63 im Bereich des GVO-Anbaus haben per Anfang Mai 2016 19 der 28 Mitgliedstaaten der EU bis zum Ablauf der Frist am 3. Oktober 2015 bei der Kommission ein Gesuch um ein Verbot des GVO-Anbaus eingereicht. Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Polen, Slowenien, Ungarn und Zypern haben sich zu GVO-freien Regionen erklärt, während sich Belgien und Grossbritannien für ein teilweises Verbot des GVOAnbaus auf ihrem Hoheitsgebiet entschieden haben.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Ingress Die Regelung über die GVO-Anbaugebiete (Art. 19a­19c GTG) stützt sich neben den bereits im Ingress genannten Grundlagen auch auf Artikel 104 BV, die Verfassungsgrundlage für die Landwirtschaft (siehe Ziff. 5.1). Diese Verfassungsgrundlage ist daher in den Ingress aufzunehmen.

Art. 6 Abs. 2 Bst. c Als Folge der Anträge und Bemerkungen, die vom NFP 59 formuliert wurden, will der Bundesrat eine wesentliche Entlastung für die Grundlagenforschung (Freisetzungsversuche) schaffen, indem er das Verbot der Verwendung von Resistenzgenen gegen in der Human- und Veterinärmedizin eingesetzte Antibiotika aufhebt. Es hat sich in der Tat gezeigt, dass diese Einschränkung den internationalen Austausch von Material zwischen Forscherinnen und Forschern hemmte und übermässige Kosten für die Entwicklung von alternativen Markern in Projekten der Grundlagenforschung 61 62

63

Link zur Charta von Florenz: www.gmo-free-regions.org/ Liste der GVO-freien Regionen im Jahr 2010: www.gmo-free-regions.org/fileadmin/files/gmo-free-regions/full_list/List_GMOfree_regions_Europe_update_September_2010.pdf Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG zu der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen.

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bewirkte, die nicht die Entwicklung einer marktfähigen GVO-Sorte bezweckten. Die vorgeschlagene Änderung steht in diesem Sinne nicht im Widerspruch zur nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR). Zudem besteht bei den betreffenden Auflagen nun eine Übereinstimmung mit dem europäischen Recht.

Art. 7 Abs. 1 Diese Bestimmung wird neu geschlechterneutral formuliert.

Art. 7 Abs. 2 Zusätzlich zum Ziel des Gentechnikgesetzes, das hauptsächlich sicherheitsbezogen ist, soll dieses Gesetz den Schutz der Produktion ohne gentechnisch veränderte Organismen sowie der Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten gewährleisten. Dieser Grundsatz ist in Artikel 7 festgelegt. Der neue Absatz 2 fügt keine zusätzlichen Elemente in Bezug auf die Koexistenz hinzu, sondern liefert die klare Rechtsgrundlage für konkrete Massnahmen, die ­ rudimentär ­ bereits in der FrSV festgeschrieben sind und die der Bundesrat in der künftigen Koexistenzverordnung zu präzisieren und zu ergänzen hat.

Der Bundesrat wird aufgerufen, die Isolationsabstände zwischen GVO- und NichtGVO-Kulturen (Bst. a) festzulegen; diese Abstände sind die wichtigste Risikomanagementmassnahme. Unter diesem Buchstaben wird die Möglichkeit eingefügt, weitere effiziente technische Massnahmen wie Pufferzonen, zu erlassen. Pufferzonen sind Flächen, die mit einer natürlichen Sorte bebaut werden und die an die GVO-Parzellen grenzen. Sie sollen als biologische Barriere dienen, indem ihre Pflanzen die GVO-Pollen aufnehmen.

Buchstabe b behandelt die Informations- und Dokumentationspflicht der GVOBewirtschafter gegenüber deren Nachbarn und den Behörden, die bereits in der FrSV genannt werden. Mit dieser neuen Bestimmung hat sich der Bundesrat dafür entschieden, Auflagen zur direkten Koordination zwischen den privaten Akteuren einzuführen, einschliesslich der Bienenzüchterinnen und Bienenzüchter. Letztere sind für die Landwirtschaft wichtige Akteure, und ihre Produkte vermitteln ein positives, authentisches Bild. Daher könnte das Vorhandensein von Anbauflächen mit gentechnisch veränderten Nektarpflanzen in der Nähe der Bienenstöcke dem Willen, Honig ohne GVO-Spuren zu produzieren, zuwiderlaufen.

Buchstabe c sieht die Möglichkeit vor, dass der Bundesrat auf Verordnungsstufe die Pflicht zur Durchwuchskontrolle einführt. Dies ist eine effiziente und anerkannte
Landwirtschaftsmethode, um GVO-Pflanzen zu zerstören, die ausserhalb der Parzelle und ausserhalb der Anbauperioden überleben und folglich unfreiwillige Vermischungen bewirken könnten. Mit dieser Ergänzung werden die Verpflichtungen für die Koexistenz zeitlich (nach dem Anbau) und geografisch (ausserhalb der bebauten Parzelle) ausgedehnt.

Die Analyse der geltenden Koexistenzvorschriften hat eine mögliche Lücke in den technischen Klauseln für die Zertifizierung einer GVO-freien Kette aufgezeigt. In der heutigen Praxis, bei der die Produkte aus konventioneller Landwirtschaft stammen, liegt die Entwicklung von Prozessen und Normen in Bezug auf die Qualitäts6551

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kontrolle entlang der gesamten Produktionskette bei den verschiedenen Akteuren, die sie nach ihrer Zufriedenheit und jener der Konsumentinnen und Konsumenten ausgestalten. In Bezug auf die GVO-Produkte fehlt nicht nur die Erfahrung, um zu wissen, ob ein identisches System funktionieren kann, sondern es bestehen diesbezüglich grosse Skepsis und offene Fragen. Aus diesem Grund sieht Buchstabe d die Einführung allfälliger geeigneter technischer Vorschriften auf Verordnungsebene vor.

Art. 7 Abs. 3 Gemäss Artikel 2 Absatz 2 liegt die Last der zu treffenden Massnahmen in Sinne des GTG beim Verursacher. Doch nach den Bestimmungen des GTG (Art. 30 Abs. 2 und 3) ist hauptsächlich der Bewilligungsinhaber haftpflichtig für Schäden infolge der Verwendung von GVO, unabhängig davon, ob diese Verwendung sachgemäss oder unsachgemäss ist; dieser Grundsatz wird gemeinhin als Betreiberprivileg bezeichnet. Falls der Bewilligungsinhaber beweisen kann, dass die Verwendung durch den Benutzer unsachgemäss war, kann er eine Rückgriffsforderung gegen diesen Benutzer einleiten. Diese Bestimmungen decken die effektiven Schadenskosten ab.

Falls hingegen ein Nicht-GVO-Produzent die Nichteinhaltung der Voraussetzungen für die Anwendung gemäss Artikel 7 Absatz 2 feststellt und diesen Sachverhalt von der zuständigen Behörde bestätigen lässt, kann er überprüfen lassen, ob die fehlerhafte Verwendung (z. B. nicht eingehaltene Abstände) einen Schaden verursacht hat (z. B. Überschreitung der zulässigen Schwellenwerte). Falls kein Schaden festgestellt wird, werden die Kosten im Zusammenhang mit der Überprüfung gemäss heutigem Recht weder vom Bewilligungsinhaber noch vom fehlbaren Benutzer übernommen. Absatz 3 füllt diese Lücke und verpflichtet den fehlerhaften Betreiber (Nichteinhaltung der Anwendungsbedingungen), die zusätzlichen Kosten zu übernehmen, die anfallen, wenn die Produkte der betreffenden Person auch dann einer Qualitätskontrolle unterzogen werden. Um Streitigkeiten zwischen Betreibern vorzubeugen, ist vorgesehen, dass der Sachverhalt von der zuständigen Behörde, beispielsweise einer beauftragten kantonalen Behörde, gemäss Artikel 20 Absatz 2 GTG festgestellt wird.

Art. 15a Artikel 15 GTG sieht vor, dass der Abnehmer nicht nur über die besonderen Eigenschaften der gentechnisch veränderten Pflanzen, die er verwenden will,
informiert wird; der Abnehmer muss vielmehr auch so angewiesen werden, dass beim bestimmungsgemässen Umgang mit den Organismen die Vorschriften für die Nutzung des zu erwerbenden Produkts nicht verletzt werden (Abs. 1). Diese Ausbildung dient dazu, aktiv die spezifischen Produktempfehlungen, Vorbehalte und weitere Nutzungsbedingungen zu vermitteln, die beim Gesuch und bei der Zulassung für das Inverkehrbringen des besagten Produkts festgelegt wurden; dies geschieht in erster Linie, um die Beeinträchtigung der vom Gentechnikgesetz angestrebten Ziele (Art. 1 GTG) zu verhindern. Der Abnehmer hat die Anweisungen von Herstellern und Importeuren einzuhalten (Art. 15 Abs. 2 GTG).

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In Bezug auf die Informations- und Anweisungspflicht seitens des Bewilligungsinhabers (oder von Intermediären) muss der Benutzer in der Lage sein, die notwendigen Massnahmen zu verstehen, damit er sie korrekt umsetzen kann. Dieser Grundsatz, der voraussetzt, dass der Benutzer die Kenntnisse und Fähigkeiten für die GVO-Nutzung besitzen muss, wird im neuen Artikel 15a GTG geregelt. Gleichzeitig muss der Bundesrat die Möglichkeit haben, die erforderlichen Ausbildungsmassnahmen zu erlassen; konkret umfassen diese Massnahmen die Art, den Inhalt und die Dauer der zu erteilenden Ausbildung in den Bereichen, in denen Mängel festgestellt werden. Zurzeit betrifft dies nicht das Wissen, das die Landwirte während ihrer Berufsbildung erworben haben, denn dieses scheint zur Gewährleistung einer korrekten Umsetzung der Anwendungsanweisungen für GVO ausreichend zu sein.

Artikel 15a GTG ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Art und der Inhalt der zu erteilenden Ausbildung in den Zuständigkeitsbereich jener Person fallen, die die gentechnisch veränderte Pflanze vermarktet. Heute existiert bereits eine Ausbildung für Personen, die für die biologische Sicherheit im geschlossenen System (Laboratorien, Forschungsinstitutionen, Spitäler usw.) zuständig sind (Biosafety Officers, BSO). Die Kurse für die BSO64, die momentan auf freiwilliger Basis erteilt werden, entsprechen einem Bedürfnis und haben sich als Instrument für die biologische Sicherheit bewährt. Desgleichen könnte im Rahmen der Koexistenz die Harmonisierung von Normen im Ausbildungsbereich zu einer relevanten Frage für deren Umsetzung werden. Der neue Artikel 15a überführt in das Gesetz die Möglichkeit, ein solches Instrument einzuführen, und verweist damit auf die Sicherheitsziele des GTG.

Art. 16 Abs. 2 Die Koexistenz umfasst sämtliche Massnahmen, die die Qualität der Produktionsketten ohne GVO gewährleisten sollen. Um sicherzustellen, dass das zu vertreibende Produkt die geltenden Kennzeichnungsnormen erfüllt, müssen technische, biologische und organisatorische Massnahmen ergriffen werden. Schon heute sieht Artikel 16 GTG die Anwendung solcher Massnahmen entlang der Produktionsketten vor, allerdings mit Bezug auf den Warenfluss und ohne explizit den Produktionsort zu erwähnen. Bei den als Lebensmittel verwendeten Produkten gelten die Bestimmungen
gemäss dem spezifischen Recht65. In der Landwirtschaftspraxis werden die GVO-Produkte, die für die Landwirtschaft (z. B. Saatgut) oder als Futtermittel bestimmt sind, jedoch häufig vorübergehend an verschiedenen Orten zwischengelagert (Feld, Fahrzeuge, Hof), bevor sie in die eigentliche Produktionskette gelangen.

Absatz 2 fordert nun, dass Massnahmen auch für die Produktions- oder Zwischenlagerungsorte getroffen werden.

Durch die Vereinheitlichung der Terminologie von Absatz 1 und 2 wurde ferner eine geringfügige redaktionelle Anpassung vorgenommen: Der Terminus «Verunreinigungen» wurde durch «unerwünschte Vermischung» ersetzt.

64 65

www.bafu.admin.ch/biotechnologie/01744/02964/index.html?lang=de Verordnung vom 23. November 2005 über gentechnisch veränderte Lebensmittel (VGVL, SR 817.022.51).

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Auch hier handelt es sich nicht wirklich um einen neuen Regelungsgegenstand, sondern es geht vielmehr darum, den Text einer bestehenden Norm zu präzisieren, um die Trennung vor und entlang der Produktionsketten zu gewährleisten.

Gliederungstitel: 3. Abschnitt: GVO-Anbaugebiete Die Grundsätze und Detailbestimmungen der Artikel 19a, 19b, 19c präzisieren die bestehenden Vorschriften, die in Artikel 19 in nicht abschliessender Aufzählung festgehalten sind. In seiner neuen Fassung zielt dieser Artikel auf die Einhaltung der Prinzipien der Artikel 6­9 ab.

Der Hauptzweck besteht darin, den Anbau von GVO in funktionalen Einheiten zu strukturieren und zusammenzufassen, den sogenannten GVO-Anbaugebieten, deren Rechtsform bewusst offen gelassen wurde. Die Konkretisierung dieser Artikel soll auf dem Wege einer Verordnung erfolgen.

Art. 19a Absatz 1: Mit dem Ziel, die Koexistenz auf strukturierte Weise und unter Einhaltung des in Artikel 2 festgelegten Verursacherprinzips zu organisieren, erlaubt Artikel 19a den Umgang mit GVO nur noch in speziell ausgeschiedenen funktionalen Einheiten, den sogenannten GVO-Anbaugebieten. Zu diesem Zweck müssen sich jene Landwirte, die GVO anbauen möchten, zusammenschliessen, die Produktion sowie die Produktionsketten getrennt von den GVO-freien Erzeugnissen planen und dies dokumentieren. Dieser Absatz verbietet den individuellen, verstreuten Anbau von GVO. Obwohl diese Zusammenschlusspflicht die individuelle Freiheit der Landwirte eines GVO-Anbaugebiets leicht einschränkt, kann diese Einschränkung als annehmbar betrachtet werden angesichts der übrigen überwiegenden Interessen wie der genügenden und vorschriftsmässigen Abschottung der Flächen, auf denen GVO angebaut werden, von den anderen GVO-freien Produktionsflächen. Ausserdem kann die den Landwirten auferlegte Koordination auch Vorteile für die individuelle Anwendung der Koexistenz in einer kleinräumigen oder zerstückelten landwirtschaftlichen oder landschaftlichen Struktur mit sich bringen.

Um den Erfahrungen oder kulturartspezifischen Besonderheiten (Fruchtfolge, angebaute Sorten) Rechnung tragen oder gewisse Verpflichtungen aufschieben zu können, delegiert Artikel 19b Absatz 2 dem Bundesrat die Möglichkeit, auf dem Verordnungsweg Normen und Kriterien zu erlassen.

Absatz 2: Die Freisetzungsversuche mit GVO sind von
der Zusammenschlusspflicht in Absatz 1 ausgenommen. Artikel 11 des bestehenden Rechts behält seine Gültigkeit.

Art. 19b In Absatz 1 sind die von einem GVO-Anbaugebiet zu erfüllenden strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen aufgelistet mit dem Ziel, diese Flächen zu vereinheitlichen und deren Zerstückelung zu vermeiden.

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So ist es möglich, innerhalb eines GVO-Anbaugebiets eine oder mehrere GVOKulturarten anzubauen (Bst. a und b). Es muss sich dabei um eine zusammenhängende Fläche handeln. Für die Parzellen besteht hingegen keine Zusammenführungspflicht, wenn die Landwirte dies nicht wünschen oder aus landwirtschaftlichen (z. B. Fruchtfolge, agronomische Eigenschaften der Böden) oder anderen Gründen nicht dürfen.

Buchstabe c präzisiert, wie die Abgrenzung der GVO-Anbaugebiete vorzunehmen ist. Anstelle der Eigentumsbeschränkungen (z. B. Kataster) sollen nach Möglichkeit leicht erkennbare natürliche Grenzen oder feste Landschafts- oder Strukturelemente als Abgrenzung dienen.

Gemäss Artikel 19b Buchstabe d müssen die Landwirte eines GVO-Anbaugebiets in einer Trägerschaft organisiert sein. Diese hat die allgemeinen Bedingungen für die Betreiber und Bewirtschafter festzulegen und zu dokumentieren, die Anwendung der Massnahmen zu koordinieren und die Kontrollen betreffend die Einhaltung der Verpflichtungen der Artikel 19a, 19b und 19c zu organisieren. Im Bedarfs- oder Zweifelsfall kann die Trägerschaft einen anerkannten Dienstleister mit der Produktprüfung beauftragen. Dieser prüft, ob die Pflichten im Zusammenhang mit einem GVO-Anbaugebiet eingehalten werden; zusätzlich weist dieser allenfalls nach, dass alle Kennzeichnungsvorschriften für Produkte oder Mischungen, die Kennzeichnungsschwellenwerte und die GVO-Spuren sowie die Modalitäten der Kennzeichnung von genetisch nicht veränderten Organismen eingehalten werden. Ein Landwirt oder eine Institution kann theoretisch als Trägerschaft fungieren, wenn er oder sie der einzige Bewirtschafter des GVO-Anbaugebiets ist und von Gesetzes wegen keine Mindestnutzfläche vorgeschrieben ist.

Die Anerkennung als GVO-Anbaugebiet wird für mindestens vier Jahre erteilt (Bst. e), damit die Bewirtschafter über genügend Zeit verfügen, um eine positive Bilanz dieser Anbauweise zu ziehen oder sich anderenfalls neu auszurichten.

Mit der Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten sollen die Nutzung von landwirtschaftlichen Anbauflächen optimiert und die Bildung von gesonderten Produktionsketten gefördert werden. Absatz 2 bietet dem Bundesrat die Möglichkeit, Kriterien festzulegen, um die konkretisierenden Vorschriften den Zielsetzungen anzupassen.

So kann er insbesondere für GVO-Anbaugebiete eine
kulturartspezifische Mindestparzellgrösse festlegen. Damit liesse sich eine zu grosse Zerstückelung der Landwirtschaftsflächen, die die Vorteile der GVO-Anbaugebiete zunichtemachen würde, vermeiden. Des Weiteren kann er spezifische Sonderauflagen erlassen (z. B. Produktionsmenge, gesicherte GVO-Produktionskette, Isolationsabstände oder Vertretung durch eine unabhängige Trägerschaft im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GTG).

Art 19c Dieser Artikel enthält die Voraussetzungen für die Anerkennung als GVO-Anbaugebiet. Absatz 1 verpflichtet die Landwirte, die GVO-Sorten anbauen möchten (Produktionsart und Produkte), sich durch eine Trägerschaft vertreten zu lassen (vgl.

auch Art. 19b Abs. 1 Bst. d), die beim Bund ein Gesuch um Anerkennung als GVOAnbaugebiet einreicht. Diese Trägerschaft hat insbesondere sicherzustellen und

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durchzusetzen, dass die Pflichten zum Schutz von GVO-freien Kulturen und der Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten eingehalten werden (Abs. 2).

Absatz 3 erweitert den dem Bund von Artikel 24 erteilten Auftrag in Bezug auf die Auskunftspflicht und die Erstellung von Verzeichnissen, die in Artikel 56 FrSV konkretisiert sind. Das Führen eines Verzeichnisses der ausgebrachten zugelassenen GVO in den GVO-Anbaugebieten ist zwingend; die Zuständigkeit dafür liegt beim Bund. Diese Klausel trägt ausserdem zur Rückverfolgbarkeit der Parzellen mit GVO bei und ermöglicht im Falle von versehentlichen Vermischungen oder sonstigen Problemen mit der Einhaltung der Vorschriften, insbesondere von Artikel 19b, die Rekonstruktion der Kausalitätskaskade. Da der Zugang zu solchen Informationen Stakeholdern mit einem berechtigten Interesse, beispielsweise jenen aus der Landwirtschaft, namentlich den Bienenzüchtern, gewährt werden muss, können diese die ihnen zweckmässig erscheinenden Massnahmen zum Schutz der Qualität oder Echtheit ihres Produkts ergreifen.

Art. 24a Im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip und gemäss der allgemeinen Pflicht zum Umweltmonitoring wird vorgeschlagen, die Aufgabe des Bundes explizit zu verankern und im Zusammenhang mit der Verwendung und der Verbreitung von GVO ein Umwelt- und Biodiversitätsmonitoring einzuführen, insbesondere, um möglichst frühzeitig allfällige Auswirkungen des unbeabsichtigten Vorhandenseins von GVO oder von transgenem Erbmaterial in der Umwelt zu erkennen. Das Monitoring soll dazu dienen, einzelne oder kumulierte, direkte oder indirekte Beeinträchtigungen festzustellen, die aus der Verwendung von GVO kurz- und langfristig resultieren könnten. Zu überwachen sind beispielsweise das Vorhandensein von transgenen Pflanzen ausserhalb der Zonen, in denen sie zugelassen sind, und die Auswirkung von gentechnisch veränderten Pflanzen, die Pestizide erzeugen (z. B. das Toxin Bt), auf Nicht-Zielorganismen oder auf die biologische Vielfalt. Absatz 2 dieses vorgeschlagenen Artikels verpflichtet die Kantone, dem Bund einschlägige Daten zu übermitteln, die insbesondere aus ihren Kontrollen über die die Wirksamkeit der auf dem Beschlussweg getroffenen Sicherheitsmassnahmen stammen. Artikel 24a ist eigentlich keine neue Regelung, sondern führt eine explizite Gesetzesgrundlage für
das Umweltmonitoring ein, wie sie bereits Artikel 51 FrSV vorsieht. Allerdings wurde die Terminologie des geltenden Verordnungsartikels leicht angepasst, um die Ziele des Monitorings kohärent und neutral zu definieren. Die Termini «Risiken und Beeinträchtigungen» wurden ersetzt durch «die Auswirkungen», weil das Monitoring bestimmte Auswirkungen feststellen soll und das Identifizieren einer Beeinträchtigung oder eines Schadens das Ergebnis einer Analyse ist, die nicht durch das eigentliche Monitoring abgedeckt ist.

In Artikel 24a werden jedoch die Kriterien und Auflagen für den Monitoringplan weder geregelt noch festgelegt. Ein solcher Plan muss von Personen, die ein Zulassungsgesuch für ein GVO-Produkt gemäss geltendem Recht einreichen, erstellt und umgesetzt werden (Art. 28 Abs. 2 Bst. e FrSV). In diesem Fall muss für ein bestimmtes Produkt geprüft werden, ob die Hypothesen der Risikobewertung und die Sicherheitsmassnahmen korrekt angewandt werden. Diese Verpflichtung, die dem Gesuchsteller obliegt, ist bereits durch Artikel 12 GTG abgedeckt.

6556

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Gliederungstitel: 6. Kapitel: Strafbestimmungen und Verwaltungsmassnahmen Die Einfügung des neuen Artikels 35a bedingt eine Anpassung des Titels des 6. Kapitels. Neu befinden sich in diesem Kapitel neben den Bestimmungen zu den Strafen auch Bestimmungen zu Verwaltungsmassnahmen. Der bestehende Artikel 35 wird zudem mit der entsprechenden Sachüberschrift «Strafbestimmungen» ergänzt.

Art. 35a Bisher waren die konkreten Massnahmen, die im Schadenfall, bei Missbrauch oder Nichteinhaltung der Vorschriften des GTG und der daraus resultierenden Entscheidungen zu ergreifen sind, nicht explizit aufgeführt. Die vom neuen Artikel vorgesehenen Massnahmen sind je nach Schwere der Widerhandlung abgestuft. Sie reichen vom Verbot einer Tätigkeit über den Entzug von Bewilligungen, eine Ersatzmassnahme auf Kosten der zuwiderhandelnden Person oder der Trägerschaft, die Beschlagnahme, die Vernichtung des Produktes aus der widerrechtlichen Tätigkeit bis hin zur Bezahlung eines Betrags bis 10 000 Franken oder zur Abgabe des Erlöses, der mit einem nicht zugelassenen Produkt erzielt worden ist.

Art. 37a Dieser Artikel legitimiert die Moratoriumsverlängerung. Der Wortlaut des ersten Satzes ist identisch mit jenem des geltenden Rechts. Der zweite Satz kann hingegen gestrichen werden. Da heute ein Entwurf für eine Koexistenzregelung als Alternative zum Moratorium eingereicht wird, bedarf Letzteres keiner Begründung mehr.

Für die materielle Begründung des Moratoriums wird auf Ziffer 1.2.1 oben verwiesen.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Mit der Verlängerung des Gentechnikmoratoriums in der Landwirtschaft werden die Vollzugsaufgaben hinfällig. Die Situation nach der Legalisierung der Moratoriumsverlängerung wird sich im Vergleich zu heute nicht ändern.

Falls GVO-Pflanzen in der Schweizer Landwirtschaft eingeführt werden, würden die bereits im GTG enthaltenen Vollzugsaufgaben, deren Anwendung jedoch wegen des Moratoriums aufgeschoben wurde (vor allem Zulassungsverfahren), von der Bundesverwaltung übernommen. Obwohl dadurch der administrative Aufwand steigt, handelt es sich streng genommen nicht um Aufgaben, die aus dem vorliegenden Revisionsentwurf des GTG entstehen.

Im Hinblick auf die neuen GTG-Bestimmungen betreffend die GVO-Anbaugebiete beschränken sich die Umsetzungsaufgaben des Bundes auf die technische Analyse und die Dossierführung anlässlich der Gebietsanerkennung. Das Zulassungsverfahren für die Freisetzungsgesuche steht bereits unter der Führung des Bundes. Die Anerkennung eines GVO-Anbaugebiets wird nach einem ähnlichen Verfahren 6557

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erfolgen, sodass von einem bestehenden System und der gewonnenen Erfahrung profitiert werden kann. Zugleich lassen sich die für die Umsetzung eines neuen Verfahrens notwendigen Ressourcen vermindern. Die Vollzugsbedingungen werden in einer Durchführungsverordnung zur Koexistenz und den Kriterien für die GVOAnbaugebiete festgelegt. Die direkten Kosten, die durch die Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten verursacht werden, die zur Deckung dieser Kosten vorgesehenen Mittel und die Auswirkungen in Bezug auf den Personalbedarf werden im betreffenden erläuternden Bericht beschrieben und können momentan noch nicht im Detail beziffert werden.

Groben Schätzungen zufolge wird über einen Zeitraum von fünf Jahren mit einem Gesuch bis fünf Gesuchen für GVO-Anbaugebiete gerechnet. Der aus dieser Neuregelung resultierende Zusatzaufwand für den Bund wird langfristig auf weniger als eine Vollzeitstelle geschätzt; nicht berücksichtigt ist hier der Aufwand, der infolge der Entwicklung des Rechts auf Verordnungsebene und der anderen Unterlagen als Vollzugshilfe entsteht. Eine Auslagerung der Tätigkeit ist jedoch nicht ausgeschlossen. Ausserdem sind für die Schaffung dieser GVO-Anbaugebiete keine Subventionen vorgesehen, weshalb sich die diesbezügliche finanzielle Belastung für den Bund in Grenzen hält.

Aus den obengenannten Gründen haben die geplanten Gesetzesänderungen des vorliegenden Entwurfs betreffend das Moratorium und die Koexistenz in Form der GVO-Anbaugebiete keine signifikanten finanziellen und personellen Auswirkungen für den Bund.

3.2

Auswirkungen für Kantone und Gemeinden sowie für urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Gemäss heutigem Stand sollte die Moratoriumsverlängerung für die Kantone ­ von denen die meisten von ihnen die Moratoriumsoption unterstützen ­ und Gemeinden keine anderen Auswirkungen als die bestehenden haben.

Sollte das Moratorium beendet werden, hat die Möglichkeit zur Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten Auswirkungen auf die Kantone, auf deren Hoheitsgebiet sich solche Zonen befinden, da sie zu jedem Anerkennungsgesuch Stellung nehmen müssen. Obwohl gemäss den vorgesehenen Bestimmungen die Zuständigkeit für den Vollzug des GTG beim Bund liegt, kann den Kantonen eine gewisse Verantwortung im Zusammenhang mit der Verwaltung der GVO-Anbaugebiete und der Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen zukommen. Denkbar ist ferner, dass die Kantone eine begrenztere Vermittler- oder Überwachungsfunktion wahrnehmen. Die Gemeinden können ihrerseits bei der Ausscheidung und der Überwachung der Verpflichtungen die Kantone unterstützen. Der zusätzliche finanzielle und personelle Aufwand für die Kantone und Gemeinden hängt somit von der Einbindung der Kantone ab und ist daher schwierig abzuschätzen.

Die Städte und Agglomerationen sind a priori nicht von dieser neuen Regelung betroffen, da sich die GVO-Anbaugebiete in der Landwirtschaftszone befinden.

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3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Dieser Entwurf zielt auf die Moratoriumsverlängerung und die Regelung der Koexistenz ab. Die jeweiligen Auswirkungen werden für beide Elemente getrennt behandelt.

3.3.1

Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Akteure der landwirtschaftlichen Produktion

Die Moratoriumsverlängerung erlaubt es der Schweiz, GVO-frei zu bleiben. Nach Ansicht des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) ist dies ein Hauptargument für die hochwertigen Schweizer Lebensmittel. Die Akteure der landwirtschaftlichen Produktion versprechen sich zum heutigen Zeitpunkt von der Einführung des GVOAnbaus für die Schweizer Landwirtschaft weder einen wirtschaftlichen noch einen agronomischen Nutzen. Dass die Konsumentinnen und Konsumenten gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen, stellt nach Meinung des SBV einen weiteren wichtigen Grund für die Wahl der Produktionsmethode dar. Die Akteure der landwirtschaftlichen Produktion sollten vom Moratorium folglich eher profitieren können.

Dieser Entwurf der Koexistenzregelung ergänzt die Gesetzesgrundlagen und legt die Koexistenzgrundsätze fest, die ihrerseits als gesetzliche Grundlage für die Koexistenzmassnahmen und die technischen Voraussetzungen des Anbaus dienen. Aus diesem Grund werden die Auswirkungen der Anwendung der Koexistenz in den GVO-Anbaugebieten im Detail analysiert.

Die für die Koexistenz notwendigen Isolationsmassnahmen werden von den Akteuren der landwirtschaftlichen Produktion mehrheitlich als negativ beurteilt, weil sie als einschränkend und komplex gelten, wie die Landwirtschaftskammer des SBV in ihrer Stellungnahme vom 23. Februar 2012 zugunsten einer Verlängerung des Moratoriums66 übrigens betont hat. Eines der Projekte des NFP 59 hat die Kosten im Zusammenhang mit der Koexistenz auf Ebene der Einzelbetriebe und in Bezug auf jeden Produktionsschritt analysiert. Angesichts der in der Beurteilung betrachteten Elemente (z. B. Zeit für die Reinigung der Transportfahrzeuge und der Lagereinrichtungen, Einrichtung einer Pufferzone um ein Feld, auf dem gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden) und unter Berücksichtigung des bestehenden Angebots an GVO-Sorten und der Besonderheiten der Landschafts- und Landwirtschaftsstruktur in der Schweiz kommt das Projekt zum Schluss, dass die Einführung der bisher auf dem Markt erhältlichen gentechnisch veränderten Pflanzen sich für den ganzen Landwirtschaftssektor nicht rentiert. Im Verhältnis zu den Gesamtproduktionskosten blieben die durch die Koexistenzmassnahmen verursachten Kosten im Allgemeinen tief, hängen jedoch grösstenteils von der Struktur der nachgelagerten Verarbeitungskette ab (vgl. Kosten-Nutzen-Verhältnis, vgl. Ziff. 1).

66

Stellungnahme des SBV vom 23. Februar 2012, www.sbv-usp.ch/de/medien/ medienmitteilungen/archiv-2015/181215-gentech-moratoriums/.

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Die Landwirte, die GVO anbauten, tragen die Kosten für die Organisation, die Koordination sowie gegebenenfalls die Umstellung ihrer Betriebsabläufe, Produktions- und Vertriebsketten. Aus Praktikabilitätsgründen müssen sie dazu bereit sein, in den GVO-Anbaugebieten auf die Trennung von identischen Sorten zu verzichten und somit die gesamte Produktion der betreffenden Sorte als GVO zu bezeichnen.

Trotzdem können die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Akteure der landwirtschaftlichen Produktion verglichen mit den wirtschaftlichen und organisatorischen Vorteilen, die sie aus der Kooperation in den GVO-Anbaugebieten ziehen, als geringfügig eingestuft werden.

3.3.2

Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Saatgutunternehmen

Die Schweizer Hersteller von konventionellem Saatgut würden von der Moratoriumsverlängerung profitieren, da sie sich im Gegensatz zu heute nicht um mögliche Verunreinigungen durch einheimische GVO sorgen und keine kostspieligen Kontrollen zur Beseitigung jeglicher Zweifel über allfällige Verunreinigungen vornehmen müssen. Die Eingrenzung des GVO-Anbaus auf spezielle GVO-Anbaugebiete kann gegebenenfalls als Vorteil für die Schweizer Hersteller von konventionellem Saatgut betrachtet werden, da infolge des Anbauverbots von GVO auf einzelnen GVO-Parzellen das Risiko von Verunreinigungen abnimmt.

3.3.3

Auswirkungen auf den Detailhandel

Mit dem Moratorium sichern sich die GVO-freien Schweizer Produkte weiterhin den Zugang zum gesamten europäischen Markt und zum Weltmarkt. Da die Gefahr einer möglichen Kontamination der Produktionsflüsse mit GVO ausgeschlossen werden kann, geniessen Schweizer Produkte ein positives Image.

Der Anbau von GVO in speziell dafür ausgeschiedenen Zonen dürfte trotz der Mehrkosten für die Errichtung dieser Gebiete und der Massnahmen für die Koexistenz und die Trennung der Produktionsflüsse wirtschaftlich wettbewerbsfähig sein.

Zurzeit profitieren die Schweizer Landwirtschaftsprodukte von einem Mehrwert als GVO-freie Erzeugnisse. Ausserdem schliessen die meisten Qualitätslabels die Verwendung von gentechnisch veränderten Produkten aus. GVO-Produkte wären somit marktfähig, wenn die Produktionskosten niedriger wären als jene konventioneller Produkte (z. B. stabilere Erträge, geringerer Einsatz von Pestiziden) oder sie auf Grund eines spezifischen Mehrwerts (z. B. gesundheitliche oder geschmackliche Vorteile) zu besonderen Märkten Zugang hätten. Mit der Entwicklung neuer GVOGenerationen, deren Eigenschaften auf die Bedürfnisse der Detailhändlerinnen und Detailhändler oder der Konsumentinnen und Konsumenten ausgerichtet sind, nimmt die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von gentechnisch veränderten Linien womöglich zu.

6560

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3.3.4

Auswirkungen auf die Verarbeiter von landwirtschaftlichen Erzeugnissen

Die Verarbeiter von landwirtschaftlichen Erzeugnissen müssen grundsätzlich die Produktionsketten von GVO- und GVO-freien Produkten gemäss den geltenden Reinheitsnormen trennen. Das gesetzliche Moratorium betrifft nur die einheimische Produktion. Infolge eines freiwilligen Verzichts werden ferner keine zugelassenen GVO-Produkte importiert (faktisches Moratorium). Der Verzicht auf die Einfuhr von GVO-Waren verursacht Mehrkosten (insbesondere im Tierfutterbereich), die von der Branche nur schwer auf die Verkaufspreise überwälzt werden können. Da der Importmarkt einen grösseren Anteil darstellt als die einheimische Produktion, könnte sich die Aufhebung des faktischen Moratoriums negativ auf die Trennungskosten auswirken. Das gesetzliche Moratorium hat nur geringfügige Auswirkungen auf die Verarbeiter von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, für die sich im Vergleich zur aktuellen Situation keine zusätzlichen Konsequenzen ergeben (freiwilliger Verzicht). Die Auswirkungen für die verarbeitenden Betriebe hängen stark von der betreffenden Spezies ab. Bei einem GVO-Apfel würde sich beispielsweise nichts ändern, während Randenverarbeiter stark unter den Konsequenzen leiden würden.

Der Einfluss dieser Massnahmen müsste somit im Einzelfall geprüft und ihre Auswirkungen auf die Lebensfähigkeit der GVO-Kultur beurteilt werden (vgl. KostenNutzen-Verhältnis, vgl. Ziff. 1).

Die Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten hat auf die Verarbeiter landwirschaftlicher Erzeugnisse aus solchen Gebieten wirtschaftliche Auswirkungen, weil sie eine Warenflusstrennung für die Produkte garantieren oder sich auf eine einzige Produktionskette spezialisieren müssen. Es sei darauf hingewiesen, das für bestimmte Nahrungsmittel wie beispielsweise für die Erzeugnisse aus biologischem Anbau bereits eine Warenflusstrennung besteht.

3.3.5

Auswirkungen auf die Konsumentinnen und Konsumenten

Mit dem Moratorium behalten die Produkte aus Schweizer Produktion ihren Platz auf dem Markt. Die Konsumentinnen und Konsumenten sollten die Schwankungen der Produktpreise, zumindest der in der Schweiz fakturierten, nicht zu spüren bekommen.

Sollte sich die Schweiz dem GVO-Anbau öffnen, könnten die Produkte aus GVOAnbaugebieten für die Konsumentinnen und Konsumenten preisgünstiger sein, sofern sie eine höhere Ertrags- und Renditeeffizienz aufweisen. Möglicherweise profitieren die Konsumentinnen und Konsumenten von einer vereinfachten Trennung der Produktflüsse in den GVO-Anbaugebieten und von einem geringeren Einfluss der Isolationskosten auf die Preise sowohl der konventionellen als auch der GVO-Produkte.

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3.3.6

Auswirkungen auf die Forschung im Bereich der grünen Biotechnologien

Die Bestimmungen zur Moratoriumsverlängerung und zur Koexistenz dürften die Situation im Bereich der Forschung nicht verändern, da sich die geltenden Verbote ausdrücklich nicht auf die Freisetzungsversuche beziehen.

In seiner Antwort auf die Interpellation des Nationalrats (08.3291: GentechMoratorium gefährdet den Forschungsstandort Schweiz) erklärte der Bundesrat, dass er diese Befürchtung nicht nur nicht teilt, sondern dass er zudem überzeugt ist, dass die Schweizer Forschung zu den Risiken im Zusammenhang mit GVO in den letzten Jahren von mehr Finanzmitteln profitieren konnte (NFP 59). Um das vorhandene Know-how in Bezug auf die Gentechnik im Pflanzenbereich längerfristig zu sichern (BFI-Botschaft 2013­201667), stimmten die Räte der Einrichtung eines geschützten Standorts in der Schweiz zu, womit die Anlage der Eidgenössischen Forschungsanstalt Reckenholz dauerhaft gesichert ist. Es kann sogar eine leichte Zunahme der Anzahl Freisetzungsversuche festgestellt werden, was wohl auf die Einrichtung des geschützten Standorts zurückzuführen ist.

Wie durch die statistischen Daten bestätigt wird68, dürfte die Gesetzesänderung betreffend die GVO-Anbaugebiete die oben beschriebene Situation nicht wesentlich verändern, da sie die Freisetzungsversuche nicht betrifft.

Die Aufhebung des Verbots, Antibiotikaresistenzgene nur für Forschungszwecke zu verwenden (Freisetzungsversuche), wird die finanziellen Verpflichtungen erleichtern und den internationalen Austausch von Material unter Forscherinnen und Forschern erlauben (siehe Ziffer 2, Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln).

3.3.7

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Es wird nicht erwartet, dass sich der GVO-Anbau in den nächsten zehn Jahren nach dem Moratoriumsablauf in der Schweiz stark entwickeln wird. Erstens ist unklar, inwieweit sich der GVO-Anbau in der Landwirtschaft wegen unsicherer Produktivitätsgewinne, der kleinräumige Struktur, der Kosten der Koexistenzmassnahmen und der Haftungsrisiken überhaupt kommerziell lohnt. Zweitens stehen Europa und insbesondere die Nachbarländer dem GVO-Anbau immer noch sehr kritisch gegenüber (vgl. Ziff. 1.5: Situation in der Europäischen Union). So sind in der EU zwar zwei GVO-Sorten für den Anbau zugelassen, angebaut wird aber nur der Mais MON810 auf immer kleineren Flächen. Und drittens wird das Zulassungsverfahren in der Schweiz mehrere Jahre dauern. Die Entwicklung neuer GVO-Sorten, die speziell auf die Schweiz abgestimmt oder für sie interessant sind (Weizen, Kartoffeln usw.), könnte diese Situation jedoch rasch ändern.

67 68

BBl 2012 3099 ff.

Kernindikatoren des BAFU: www.bafu.admin.ch/umwelt/indikatoren/08575/08578/index.html?lang=de.

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Im Moment dürfte die Anerkennung von GVO-Anbaugebieten keine wesentlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Sie könnte jedoch sowohl von den Befürwortern einer Öffnung der Schweiz für GVO als auch von den Gegnern kritisiert werden. Die einen erachten die auf die GVO-Anbaugebiete beschränkte Koexistenz als ein Hemmnis, während nach Ansicht der anderen selbst der auf bestimmte Gebiete beschränkte GVO-Anbau eine Bedrohung für die Reinheit der GVO-freien Produkte darstellt.

3.4

Auswirkungen auf das Gesundheits- und Sozialwesen

Die Moratoriumsverlängerung sollte im Vergleich zu heute keinerlei Auswirkungen auf das Gesundheits- und Sozialwesen haben, da die allfällig zum Anbau zugelassenen Sorten zuvor insbesondere auf ein potenzielles Gesundheitsrisiko hin geprüft werden. Die Zusammenfassung eines allfälligen GVO-Anbaus in GVO-Anbaugebieten ermöglicht es, die Trennung der Produktionsketten besser zu überwachen.

In diesem Sinne profitiert die GVO-freie Produktionskette stärker von dieser Option.

Diese Vorteile können jedoch nicht leicht in Geld gemessen werden.

3.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Mit der Moratoriumsverlängerung wird die Umwelt nicht stärker belastet als durch die konventionelle Landwirtschaft.

Durch die Zusammenführung des GVO-Anbaus in GVO-Anbaugebiete ist die Auswirkung auf die Umwelt konzentrierter. Verglichen mit GVO-Kulturen und den damit verbundenen zerstückelten Produktionsketten können die Auswirkungen dieser GVO-Anbaugebiete jedoch als geringfügig betrachtet werden. Ausserdem hängen die Auswirkungen auf die Umwelt stark von der Sortenart, den neuen Eigenschaften und der Anbauart ab. So sind die heute angebauten GVO grösstenteils gegen Unkrautvertilgungsmittel resistent. Man weiss, dass ihr Einsatz gewisse technische Abläufe wesentlich erleichtert hat, dass hingegen in zahlreichen Pflanzenfamilien Resistenzen gegen diese systemischen Herbizide aufgetreten sind.

Deshalb ist es äusserst wichtig, nicht nur die Sicherheit der eingesetzten Techniken zu prüfen, sondern sich auch mit den möglichen Konsequenzen, die die Integration neuer Eigenschaften bei Pflanzensorten für die Umwelt haben kann, zu befassen.

Werden diese Sorten ausschliesslich in den GVO-Anbaugebieten ausgebracht, können sie zweckmässiger und genauer überwacht werden. Ausserdem lassen sich in den GVO-Anbaugebieten die erforderlichen Kenntnisse über die Änderung der technischen Abläufe, die Rotationsmöglichkeiten, die Nachhaltigkeit und die Effizienz der neuen Eigenschaften der GVO-Pflanzen in den landwirtschaftlichen Ökosystemen leichter erwerben.

6563

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4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

4.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Der vorliegende Entwurf wurde weder in der Botschaft vom 27. Januar 2016 69 über die Legislaturplanung 2015­2019 noch im zugehörigen Bundesbeschluss über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt. Die Änderung des GTG ist dennoch angezeigt, damit dem verfassungsmässigen Auftrag, dass alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in Form von Bundesgesetzen zu erlassen sind, nach-gekommen wird, insbesondere da das geltende Moratorium 2017 auslaufen wird. Er steht jedoch im Einklang mit den Zielen 2 und 7 der Legislaturplanung, wonach die Schweiz für bestmögliche Rahmenbedingungen im Inland sorgen und so ihre Wettbewerbsfähigkeit unterstützen sowie Boden und natürliche Ressourcen schonend nutzen und eine nachhaltige Energieversorgung sichern soll. Die Koexistenzregelung und die Bildung von GVO-Anbaugebieten konkretisieren eines der wichtigen Ziele dieser Strategie.

4.2

Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

Obwohl dieser Entwurf nicht explizit genannt wurde, fügt er sich in mehrere der grossen Achsen der Agrarpolitik 2014­2017 ein.70 Zunächst zielt die Koexistenz darauf ab, durch die Flexibilisierung der Produktionsarten eine sichere Lebensmittelproduktion und -versorgung zu gewährleisten. Das Prinzip der Ernährungssouveränität, einer der Eckpfeiler der Agrarpolitik 2014­2017, wird dadurch gestärkt.

Dieser Entwurf steht ebenfalls im Einklang mit der Moratoriumsverlängerung, die vom Parlament bei der Diskussion der AP 2014­2017 gesetzlich festgeschrieben wurde. Ausserdem schlägt er eine strukturierte Koexistenzregelung in den GVOAnbaugebieten vor, mit der die konventionelle Produktionskette nach dem Verursacherprinzip geschützt werden soll. Der vorgeschlagene Entwurf, der die Moratoriumsverlängerung und die Koexistenz in den GVO-Anbaugebieten gleichzeitig regelt, erfüllt die Ziele der strategischen Stossrichtungen 3 und 4 vollumfänglich, indem er die Vitalität des ländlichen Raums stärkt und Innovation und Unternehmertum in der Landwirtschaft fördert.

69 70

BBl 2016 1105, hier 1233; www.bk.admin.ch/themen/planung/04622/index.html?lang=de.

Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik in den Jahren 2014­2017, www.blw.admin.ch/themen/00005/00044/01178/01591/index.html?lang=de.

6564

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5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Materiell lässt sich die Vorlage in drei Regelungsansätze unterteilen. Erstens wird das bestehende Moratorium um weitere vier Jahre verlängert. Zweitens werden ausgehend von den Resultaten und Empfehlungen des NFP59 verschiedene Bestimmungen des Gentechnikgesetzes angepasst: Delegationsnormen werden präzisiert und konkretisiert sowie dergestalt ergänzt, dass sich darauf ein funktionierendes, lückenloses Koexistenzregelwerk auf Verordnungsstufe schaffen lässt, ohne die bisher bestehenden Delegationsnormen zu überdehnen. Drittens wird durch die Einführung eines neuen dritten Abschnittes im Gentechnikgesetz das Erfordernis eines GVO-Anbaugebiets für den Anbau von GVO aufgestellt.

Verlängerung des Moratoriums Das bestehende Moratorium des heutigen Artikels 37a GTG wurde bereits zweimal verlängert. Die Verlängerungen um drei (von 2010­2013) respektive vier Jahre (von 2013­2017) erfolgten jeweils mit unterschiedlichen Begründungen: Während bei der ersten Verlängerung das Abwarten der Forschungsergebnisse des NFP 59, der Zeitbedarf für die Erarbeitung der rechtlichen Grundlagen einer Koexistenzregelung sowie die ablehnende Einstellung gegenüber GVO von Landwirt- und Konsumentenschaft genannt wurden,71 standen für die zweite Verlängerung neben diesen auch ökonomische Interessen der Landwirte, insbesondere befürchtete Mehrkosten der Koexistenzmassnahmen72, im Vordergrund. Verschiedentlich wurden Bedenken geäussert, dass eine (erneute) Verlängerung des Moratoriums nicht mit der Verfassung vereinbar sei, insbesondere wenn es sich um eine längerfristige Verlängerung handle.73 Sobald das Weiterführen eines Verbots des Anbaus von GVO nämlich nicht mit dem Schutz von Mensch, Tier, Umwelt und biologischer Vielfalt sowie dem Schutz der Produktion von Erzeugnissen ohne GVO begründet werden könne, sei eine Abstützung auf Artikel 120 BV nicht mehr möglich, weil man dann annehmen müsse, dass die Massnahme ein wirtschaftspolitisches Ziel verfolge. Ausserdem seien die verschiedenen Produktionsformen mit und ohne GVO gleichwertig zu behandeln. Als verfassungsrechtliche Grundlage für eine Abweichung vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit könne insbesondere nicht Artikel 104 Absatz 2 BV dienen, weil für das Erreichen der Ziele nach Artikel 104 Absatz 1 BV ein Verbot der Gentechnik in der Landwirtschaft nicht notwendig sei.74 Eine weitergehende

71 72

73

74

Botschaft vom 1. Juli 2009 zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Verlängerung des GVOMoratoriums in der Landwirtschaft), BBl 2009 5435 5440 ff.

Siehe Motion Ritter (12.3028) und Entwurf vom 28. Juni 2012 der Botschaft zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Zweite Verlängerung des GVOMoratoriums in der Landwirtschaft), S. 4 ff.

Zusammenfassung von Schweizer Rainer J./Errass Christoph/Kohler Stefan/Burkert Herbert/Gasser Urs, Perspektiven des schweizerischen Gentechnikrechts, NFP59 auf der Internetseite «www.nfp59.ch/d_resultate.cfm?kat=18»; Schreiben des Bundesamts für Justiz (BJ) vom 18. Oktober 2012 an die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S).

Vgl. zum Ganzen Schreiben BJ an WBK-S, S. 3.

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Verlängerung des Moratoriums sei daher nur mit einer entsprechenden Verfassungsänderung möglich.75 Von anderer Seite wird ins Feld geführt, dass dem Gesetzgeber bei der Umsetzung seines Schutzauftrages aus Artikel 120 BV eine komplexe Abwägungsentscheidung zwischen Gefährdungen und Chancen der Gentechnologie in ihren verschiedenen Formen obliege. Er müsse bei dieser Abwägung Risiken einschätzen und bestimmen, welche Risiken angesichts des Gewichts der betroffenen Rechtsgüter und der möglichen Unumkehrbarkeit der Entscheidungen noch hinnehmbar sind und welche nicht. Ein erneutes Moratorium als sachlich und zeitlich begrenztes Verbot des Inverkehrbringens von GVO, wie in Artikel 37a GTG geregelt, überschreite den Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers aus Artikel 120 BV nicht; insbesondere führe die kumulative Wirkung eines mehrfach verlängerten Moratoriums nicht zu einem unzulässigen Pauschalverbot, da bei jeder Verlängerung der Gesetzgeber in der Verantwortung stehe, die Rechtfertigungsfähigkeit der Verlängerung neu zu bewerten.76 Vor diesem Hintergrund sprechen folgende Gründe für die Zulässigkeit eines Moratoriums im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts:

75 76

­

Die wissenschaftlichen Daten, auf denen die Risikoanalysen des Anbaus von GVO basieren, werden auch nach Abschluss des NFP 59 heftig diskutiert, obwohl diese zum Schluss kam, dass gemäss heutigem Stand der Wissenschaft keine Risiken von gentechnisch veränderten Pflanzen für die Gesundheit von Mensch und Tier nachweisbar sind. Die Zweifel in der Gesellschaft über den Schutz der Produktion ohne GVO sowie der Umwelt konnten aber offenbar, wenn man die Vernehmlassungsergebnisse betrachtet, auch mit dem NFP 59 nicht beseitigt werden. Die Gesellschaft kann hier unabhängig von der Beurteilung in anderen Bereichen (z. B. Heilmittel, Medizin, Industrie) zum Schluss kommen, dass jede noch so geringe Unsicherheit auszuschliessen und daher auf den Anbau von GVO zu verzichten sei.

­

Der Schutz der Produktion ohne GVO und die umfassende Trennung der Warenflüsse zur Wahrung der Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten sind zu gewährleisten. Bezüglich inländischen Produkten bestehen derzeit ­ nicht zuletzt aufgrund der kleinräumigen Struktur der schweizerischen Landwirtschaft ­ Vorbehalte bezüglich der praktischen Umsetzung der Koexistenzmassnahmen sowie deren Wirtschaftlichkeit. Die Übertragbarkeit der in europäischen Ländern gewonnenen Erfahrungen im GVOAnbau auf vergleichbare Regelungen über die Koexistenz sowie zur Trennung der Warenflüsse nach der Ernte ist für die Schweiz gemäss der Auffassung gewichtiger Akteure der Land- und Ernährungswirtschaft nicht mög-

Vgl. Schweizer et al., NFP59, a.a.O. (Internetseite), ganz am Schluss.

Vgl. zum Ganzen Mahlmann Matthias, Verfassungsrechtliche Handlungsoptionen der Gestaltung der Gentechnologie, Gutachten zu Handen des BAFU/BLW vom 22.12.2014, S. 47; siehe auch Rausch Heribert, Rechtsgutachten zur Verfassungsmässigkeit eines Verbots des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen zuhanden des Schweizerischen Bauernverbandes und der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie vom 31. Januar 2014.

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lich. Nicht Gegenstand der derzeitigen Diskussion ist hingegen das bereits hinreichend geregelte Inverkehrbringen von Lebensmitteln.

­

Es besteht derzeit bei den betroffenen Kreisen kein Interesse, GVO anzubauen sowie solche Ernteprodukte zu konsumieren.77 Bei einer Mehrheit der Bevölkerung bestehen nach wie vor Zweifel bezüglich der Gesundheits- und Umweltverträglichkeit von GVO beim Anbau. Die «Opt-out-Lösung», welche die EU ihren Mitgliedstaaten gewährt, trägt ebenfalls zur Verunsicherung der schweizerischen Konsumentenschaft bei.

­

Durch die sachliche Beschränkung des Moratoriums auf den Anbau von GVO in der Landwirtschaft, im produzierenden Gartenbau und in der Waldwirtschaft bleiben wesentliche Teile der Gentechnologie ­ insbesondere Forschung, Entwicklung sowie industrielle und pharmazeutische Produktion, das Inverkehrbringen von Futter- und Lebensmitteln sowie Freisetzungsversuche ­ vom Moratorium unberührt.78

­

Eine allfällig bestehende Einschränkung der Grundrechte (z. B. der Wirtschaftsfreiheit, Art. 27 BV) erscheint aus den genannten Gründen gerechtfertigt.

Eine weitere Verlängerung des Moratoriums um vier Jahre ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Anpassung der Delegationsnormen Angepasst werden die Bestimmungen über den Schutz der Produktion ohne gentechnisch veränderte Organismen und der Wahlfreiheit hinsichtlich der Möglichkeit des Bundesrates, Qualitätssicherungsvorschriften festzulegen; angepasst werden auch die Bestimmungen über die Trennung des Warenflusses, wobei die gesamte Produktionskette berücksichtigt wird. Neu geschaffen werden Normen bezüglich der für den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie betreffend den Aufbau und den Betrieb eines Monitoringsystems. Formell stützt sich die Vorlage betreffend diese Anpassungen der Delegationsnormen auf Artikel 120 Absatz 2 BV, der dem Bund die Kompetenz gibt, Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen zu erlassen. Dieselbe Verfassungsgrundlage wurde bereits bei der Schaffung des GTG herangezogen. Da sich die Anpassung der Delegationsnormen auf Gebiete beschränkt, die bereits bisher im GTG in den Grundzügen geregelt waren, und ausserdem sachlich in den Anwendungsbereich von Artikel 120 Absatz 2 BV fallen, ist diese Verfassungsgrundlage als ausreichend zu qualifizieren.

GVO-Anbaugebiete Mit der Einführung eines neuen Gliederungstitels (3. Abschnitt, GVO-Anbaugebiete) werden drei neue Bestimmungen in das Gentechnikgesetz aufgenommen.

Mit den Artikeln 19a, 19b und 19c wird festgelegt, nach welchen Bedingungen der Anbau von Saatgut und anderem pflanzlichen Vermehrungsmaterial, das aus gentechnisch veränderten Organismen besteht oder solche enthält, zu erfolgen hat.

77 78

Siehe Vernehmlassungsbericht und Ergebnisse aus den Stakeholder-Workshops.

So auch Mahlmann Matthias, a.a.O., S. 47.

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Insbesondere darf ein solcher Anbau von GVO nur in einem dafür ausgeschiedenen Gebiet, einem sogenannten GVO-Anbaugebiet, stattfinden (Art. 19a Abs. 1). Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Organismen werden von diesen Bestimmungen nicht tangiert (Art. 19a Abs. 2). Das GVO-Anbaugebiet muss den Anforderungen von Artikel 19b Absatz 1 gerecht werden, das heisst, es muss sich auf eine oder mehrere bestimmte Kulturarten beziehen, eine zusammenhängende Fläche bilden und möglichst durch landschaftlich leicht wahrnehmbare natürliche oder künstliche Strukturelemente abgegrenzt sein. Das GVO-Anbaugebiet muss ausserdem durch eine Trägerschaft organisiert und mit zweckmässigen Massnahmen für mindesten vier Jahre gesichert sein. Die Organisation der Trägerschaft ist an keine besondere Rechtsform gebunden, auch eine einfache Gesellschaft kann die Trägerschaft bilden. Die konkretisierenden Vorschriften bestimmt der Bundesrat im entsprechenden Verordnungsrecht. Er kann insbesondere eine kulturartspezifischen Mindestumfang an landwirtschaftlicher Nutzfläche bestimmen, der sich am Ziel, eigene Produktionsketten zu gewährleisten, orientiert (Art. 19b Abs. 2). Die Anerkennung des GVO-Anbaugebiets liegt beim Bund (Art. 19c Abs. 1). Sie erfolgt, wenn eine Trägerschaft, die sämtliche Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter vertritt, welche im betreffenden Gebiet landwirtschaftliche Erzeugnisse und deren Verarbeitungsprodukte produzieren, darum ersucht. In der Trägerschaft vertreten sein können darüber hinaus auch Verarbeiterinnen und Verarbeiter, welche landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den GVO-Anbaugebieten entgegennehmen (z. B. Mühlebetreiber). In ihrem Gesuch um Anerkennung muss die Trägerschaft aufzeigen, wie sie den Anforderungen von Artikel 7 gerecht wird (Art. 19c Abs. 2). Über den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen in den GVO-Anbaugebieten führt der Bund ein Verzeichnis. Der Zugang zu diesem Verzeichnis wird denjenigen Personen gewährt, welche ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht haben (Art.

19c Abs. 3).

Das Regelungsziel der Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten ist es, grösstmögliche Transparenz im Hinblick auf den GVO-Anbau zu schaffen. Ausserdem sollen im Sinne des Verursacherprinzips die GVO-Anbauer einerseits in die Pflicht genommen werden, vorgängig darzulegen, wie sie die
Einhaltung der Anforderungen zum Schutze der Produktion ohne gentechnisch veränderte Organismen und der Wahlfreiheit konkret gewährleisten wollen; andererseits soll den GVO-Anbauern durch die Ausscheidung eines GVO-Anbaugebiets der Vorteil, der ihnen durch den Verzicht auf Koexistenzmassnahmen im Innern des Gebiets entsteht, zugute kommen. Der Anbau von GVO in eigens dafür geschaffenen Gebieten erleichtert zudem die praktische Umsetzung der Koexistenz. Der GVO-Anbau in der Schweiz wird nicht verboten, sondern organisiert. Die GVO-Anbaugebiete sind somit mit den geltenden Verfassungsbestimmungen vereinbar.

Die Vorlage stützt sich auf unterschiedliche Verfassungsgrundlagen: Als erstes ist Artikel 120 BV als Verfassungsartikel über die Gentechnologie im Ausserhumanbereich heranzuziehen. Absatz 2 dieser Bestimmung ermächtigt den Bund, zum Schutz vor Missbräuchen der Gentechnologie Vorschriften über den Umgang mit Keimund Erbgut von Tiere, Pflanzen und anderen Organismen zu erlassen. Der Schutz vor Missbrauch bedeutet nicht nur, dass GVO weder gesundheits- noch umweltgefährdend sind, sondern auch, dass das Nebeneinander der landwirtschaftlichen Produktion mit und ohne GVO jederzeit gewährleistet ist, gerade auch im Hinblick 6568

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auf den Eigentumsschutz. Hier ist zumindest denkbar, dass der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut in der Landwirtschaft über einen längerfristigen Zeitraum die Möglichkeit zur GVO-freien Produktion einschränken könnte. Den GVO-Anbau ausschliesslich in einem dafür ausgeschiedenen GVO-Anbaugebiet zu erlauben, wirkt damit auf das Schutzziel von Artikel 120 BV hin. Der Schutz der Produktion ohne GVO gemäss Artikel 7 und unter Berücksichtigung weiterer Bedingungen des GTG, insbesondere die Erfordernis eines vom Bund anerkannten GVO-Anbaugebietes, schränkt die Wirtschaftsfreiheit der Bauern ein. Entsprechende Einschränkungen sind gemäss Artikel 104 BV möglich, wenn dadurch die bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betriebe gefördert werden. Erwähnt wird unter anderem die Förderung von Produktionsformen, die besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich sind und der GVO-freien Produktion entsprechen. Das vorgeschlagene Instrument dient darüber hinaus auch den Bewirtschafterinnen und Bewirtschaftern: Innerhalb des GVO-Anbaugebiets können sie auf die vorgeschriebenen Koexistenzmassnahmen, die zusätzlichen Aufwand verursachen, verzichten. Die Anforderungen an GVO-Anbaugebiete sollen gewährleisten, dass koordiniert vorgegangen wird, Synergien genutzt werden und zusätzlicher Aufwand abschätzbar bleibt. Die Vorlage stützt sich neben Artikel 120 und 74 BV daher auch auf Artikel 104 BV, die Verfassungsgrundlage für die Landwirtschaft.

Das Erfordernis eines GVO-Anbaugebiets für den Anbau von GVO kann die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) sowie die Eigentumsfreiheit (Art. 26 BV) von GVOanbauwilligen Bewirtschafterinnen und Bewirtschaftern einschränken. Eine solche Einschränkung der Grundrechte ist nur im Rahmen von Artikel 36 BV zulässig.

Allerdings sind die in erster Linie aus Transparenzgründen aufgestellten Anforderungen nicht besonders hoch, sodass auch der Eingriff als leicht zu qualifizieren ist.

Artikel 36 BV schreibt in Absatz 1 vor, dass Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Diese Anforderung ist vorliegend mit den Artikeln 19a bis 19c erfüllt. Weiter müssen die Einschränkungen nach Absatz 2 durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. Als heranziehbares öffentliches Interesse zugunsten des Erfordernisses
eines ausgeschiedenen GVO-Anbaugebietes für den Anbau von GVO kommt etwa der Schutz der biologischen und integrierten landwirtschaftlichen Produktion in Frage, dies unter Berufung auf die besonders kleinräumigen Strukturen der Landwirtschaft, die eine Einhaltung der vorgeschriebenen Koexistenzregelungen zuweilen verunmöglichen. Als heranziehbares öffentliches Interesse in Frage kommt auch das Interesse der Öffentlichkeit an Transparenz im Hinblick auf die Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben betreffend Schutz der Produktion ohne gentechnisch veränderte Organismen und Wahlfreiheit. Die Ausscheidung von GVOAnbaugebieten ermöglicht einen Schutz der Bio- und IP-Betriebe, was insbesondere mit dem Förderungsauftrag von Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe b BV im Einklang steht. Den Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten ist ebenfalls Rechnung zu tragen. Das Erfordernis eines ausgeschiedenen GVO-Anbaugebietes für den Anbau von GVO sowie insbesondere das damit verbundene Verzeichnis über den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen in den GVO-Anbaugebieten dienen in diesem Sinne auch der Erhöhung der Transparenz sowie der Durchführbarkeit der Koexistenz (z. B. für Bienenhalterinnen und Bienenhalter).

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Nach Absatz 3 von Artikel 36 BV müssen die Einschränkungen verhältnismässig sein, das heisst, das Erfordernis eines ausgeschiedenen GVO-Anbaugebietes für den Anbau von GVO muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Wie erwähnt, kann durch das Erfordernis eines GVO-Anbaugebiets die Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit der Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter respektive Eigentümerinnen und Eigentümer eingeschränkt werden. Im Rahmen der Verhältnismässigkeit ist daher das Interesse des Bewirtschafters am überall möglichen Anbau von GVO gegen das öffentliche Interesse an der Schaffung von Transparenz durch das Erfordernis eines GVO-Anbaugebiets für den GVO-Anbau abzuwägen. Die Einhaltung der Koexistenzmassnahmen wird durch verschiedene Faktoren erschwert: So ist die Umsetzung der geforderten Massnahmen zur Sicherung der Koexistenz in eher kleinräumigen und -betrieblichen Strukturen mit wesentlich höherem Aufwand verbunden, als dies bei grossflächigen Betrieben mit im gesamtschweizerischen Verhältnis überdurchschnittlicher Grösse der Fall ist. Der Hauptgrund der Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter für den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen dürfte in der Ertrags- und damit Einkommenssteigerung zu sehen sein.

Der Ertrag aus dem Anbau von GVO dürfte dabei im Vergleich zum Ertrag aus konventionellem Anbau nicht so hoch sein, wenn die Bewirtschafterin und der Bewirtschafter umfangreiche Abklärungen und Vereinbarungen zwecks Einhaltung der Koexistenzmassnahmen in kleinräumigen Strukturen zu unternehmen beziehungsweise abzuschliessen hat. Diverse öffentliche Interessen dürften in Gebieten mit kleinräumigen Strukturen daher dem persönlichen Interesse des Bewirtschafters am Anbau von GVO vorgehen, und das Erfordernis eines ausgeschiedenen GVOAnbaugebietes erscheint auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Tragbarkeit als verhältnismässig. Aufgrund der vielen verschiedenen Nachbarn sowie der eher unübersichtlichen Gesamtlage ist es in kleinräumigen landwirtschaftlichen Strukturen nämlich eher denkbar, dass den Bewirtschaftern Fehler bei der Einhaltung der Koexistenzmassnahmen unterlaufen. Aus finanzieller Sicht sowie hinsichtlich der Schaffung von Transparenz zur Erhöhung der Akzeptanz von GVO kann es im Gegenteil im Hinblick auf die Erleichterungen bezüglich der Einhaltung der Koexistenzvorschriften
im Innern des GVO-Anbaugebiets sogar im Interesse des Bewirtschafters liegen, in einem GVO-Anbaugebiet zu produzieren und seine Produkte entsprechend zu vermarkten. Ausgehend vom öffentlichen Interesse an der Gewährleistung der Versorgungssicherheit bietet der Vorschlag, dass ein GVO-Anbaugebiet ausgeschieden werden muss, die Möglichkeit, insbesondere die Saatgutproduktion vor einem möglichen Eintrag von gentechnisch veränderten Organismen zu schützen. Gerade bei der Saatgutproduktion sind die Kosten und möglichen Folgen einer Verunreinigung erheblich. Hier dürfte also das öffentliche Interesse an einem ausgeschiedenen GVO-Anbaugebiet das privaten Interesse des überall freien GVOAnbaus überwiegen, und damit dürfte die Verhältnismässigkeit gewährleistet sein.

Die Anforderungen an die Ausscheidung eines bestimmten Anbaugebietes als GVOAnbaugebiet sind im Übrigen nicht besonders hoch, sodass die Einschränkung der tangierten Grundrechte als verhältnismässig zu qualifizieren ist.

Der Kerngehalt (Art. 36 Abs. 4 BV) der Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit wird durch die vorgeschlagene Regelung des Erfordernisses eines ausgeschiedenen GVOAnbaugebietes für den Anbau von GVO somit nicht tangiert.

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5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Weder die Bestimmungen der Welthandelsorganisation noch die bestehenden Verpflichtungen aus den bilateralen Verträgen mit der Europäischen Union stehen mit den vorgeschlagenen Neuregelungen im Widerspruch. Die Vorlage tangiert ausserdem keine Pflichten der Schweiz im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen oder mit internationalen Abkommen.

5.2.1

Welthandelsorganisation (WTO)

Die Vorlage ist bezüglich der Anpassung der Delegationsnormen über die Koexistenz hinsichtlich des Handelsvölkerrechts unproblematisch. Zweifelsohne entfaltet aber ein Moratorium für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Pflanzen und Pflanzenteilen, gentechnisch verändertem Saatgut und anderes pflanzliches Vermehrungsmaterial sowie gentechnisch veränderte Tieren handelsbeschränkende Wirkung. Deshalb ist die Verlängerung des Moratoriums sowie das Erfordernis eines ausgeschiedenen GVO-Anbaugebietes für den Anbau von GVO auf die Vereinbarkeit mit verschiedenen Bestimmungen des WTO-Rechts (insbesondere dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen, GATT und dem WTO-Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Abkommen) zu prüfen.

Verlängerung des Moratoriums Die Vereinbarkeit eines Moratoriums mit dem Handelsvölkerrecht und insbesondere dem WTO-Recht wurde bereits in der Botschaft über die Einführung des Moratoriums79 diskutiert. In der Botschaft über die erste Verlängerung des Moratoriums von 200980 wurden die weiteren Erkenntnisse aus dem WTO Streitfall EC ­ Approval and Marketing of Biotech Products81 ausgeführt. Gemäss dem Entscheid verletzte die EU das Verzögerungsverbot beim Zulassungsverfahren von GVO und die Notwendigkeit einer hinreichenden Risikobewertung bzw. wissenschaftlichen Abstützung von Schutzmassnahmen gegenüber GVO. Auch wurde in der Botschaft auf die Kritik, welche die USA und Kanada am schweizerischen Moratorium als Folge von dessen Notifikation in der WTO geäusserte hatten, hingewiesen; die Kritik betraf insbesondere die Tatsache, dass eine einzelfallweise Beurteilung der Risiken von GVO fehle. Der Bundesrat kam zum Schluss, dass nicht abschliessend beurteilt werden könne, ob das Moratorium aus WTO-Sicht problematisch sei. Aber während einer begrenzten Zeit könne wohl rechtmässig auf das Vorsorgeprinzip unter dem WTO-Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und 79 80 81

Siehe Botschaft vom 18. August 2004 über die Volksinitiative «Für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft», BBl 2004 4937.

Botschaft vom 1. Juli 2009 zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Verlängerung des Gentechnikmoratoriums in der Landwirtschaft), BBl 2009 5435.

WT/DS291-293, European Communities ­ Measures Affecting the Approval and Marketing of Biotech Products.

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pflantzenschutzrechtlicher Massnahmen (Art. 5 Ziff. 7 SPS) abgestellt werden, und zwar solange, bis die notwendigen zusätzlichen Informationen und Forschungsresultate für eine objektive Risikobewertung vorliegen. Deshalb seien die Ergebnisse des NFP 59 abzuwarten. Vor diesem Hintergrund wurde bereits in der Antwort des Bundesrates zur Motion Ritter (12.3028) für die zweite Verlängerung des Moratoriums festgehalten, dass ein mehrfach verlängertes, langfristiges Moratorium aus Sicht des Verfassungsrechts und des Handelsvölkerrechts problematisch sein könne.

Inzwischen liegen die Ergebnisse des NFP 59 vor82. Hinsichtlich der Gesundheit von Mensch und Tier kommt das NFP 59 mittels Zusammenfassung zahlreicher Studien zum Schluss, dass bis heute keine negativen Auswirkungen von gentechnisch veränderten Pflanzen, jedoch einige positive Effekte durch GVO belegt seien.

Mit Bezug auf bestimmte nachteilige Effekte gewisser GVO auf die Umwelt kommt das NFP zum Schluss, dass diese alle nicht typische Folgen der Gentechnik sind, sondern auch bei konventioneller oder nicht fachgerechter Landwirtschaft auftreten.

Der Gesetzgeber kann jedoch bei der Abwägung für und gegen die Verlängerung eines Moratoriums neben diesen Resultaten im Rahmen seiner Ermessensausübung auch andere Allgemeininteressen, sozioökonomische Gründe oder ethische Überzeugungen berücksichtigen, muss dabei aber die internationalen Verpflichtungen der Schweiz einhalten. Auch die neue Gesetzgebung der EU gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Anbauverbote aus überwiegenden öffentlichen Interessen zu erlassen (sog. Opt-out); dies wird aber in der WTO insbesondere von den USA kritisiert.

Die Vereinbarkeit der Verlängerung des Moratoriums mit dem Handelsvölkerrecht ist vor dem Hintergrund zu prüfen, dass gemäss dem vorliegenden Antrag der Anbau von GVO und damit die (handelsvölkerrechtlich relevante) Einfuhr und der Marktzutritt von ­ nach schweizerischem Recht zugelassenem ­ GVO-Saatgut nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden soll.

Zu bedenken ist auch, dass im vorerwähnten Entscheid des WTO-Panels gegen die EU GVO allgemein betroffen waren und dies somit nicht direkt mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist. Obwohl sich das WTO-Streitbeilegungssystem noch nie zur Frage der allfälligen Gleichartigkeit von GVO mit konventionell angebauten
Lebensmitteln und Pflanzen geäussert hat, sprechen gute Gründe dafür, dass die vom Moratorium betreffend GVO-Anbau erfassten Produkte und konventionell produzierte Produkte nicht als gleichartig im Sinne des des GATT und des TBTabkommens anzusehen sind. Selbst wenn die Gleichartigkeit im Streitfall bejaht würde, läge keine Diskriminierung zugunsten inländischer GVO vor. Das bedeutet aber nicht, dass weitere Verlängerungen eines nicht auf einzelne Kulturarten abstellenden Moratoriums notwendigerweise verhältnismässige Handelsbeschränkungen sind und dass diese Verlängerung deshalb mit den WTO-Verpflichtungen vereinbar wären. Es kann dann von einem völkerrechtskompatiblen Moratorium ausgegangen werden, wenn dessen Dauer für die Schaffung eines politisch mehrheitsfähigen und vor allem funktionierenden Koexistenzregimes genutzt wird.

Die hiermit vorgeschlagene Verlängerung des Moratoriums muss wie die beiden vorangehenden Verlängerungen in der WTO notifiziert und begründet werden, was zu Kritik durch WTO-Staaten, vorab den USA, führen kann. Es ist deshalb auch 82

Vgl. www.nfp59.ch.

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nicht völlig auszuschliessen, dass andere WTO-Mitglieder Konsultationen verlangen, welche im Fall der Nichteinigung zu einer WTO-Klage gegen die Schweiz führen könnten. Die Eintretenswahrscheinlichkeit eines solchen Falles ist nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse schwer abschätzbar, und der Ausgang je nach Konstellation unsicher. Sollte die Schweiz in einem WTO-Streitverfahren unterliegen, könnte sie dazu verpflichtet werden, eine Gesetzesanpassung vorzunehmen.

GVO-Anbaugebiete Das Erfordernis, für den Anbau von GVO ein GVO-Anbaugebiet auszuscheiden, ist keine produkt-, sondern eine produktionsbezogene Massnahme. Die Einfuhr, der Handel und der Anbau von GVO bleiben möglich, wenngleich der Anbau nur mit Einschränkungen erfolgen kann.

5.2.2

Europäische Union

Die Vorlage entspricht sowohl hinsichtlich der Verlängerung des Moratoriums wie auch der Anpassung der Delegationsnormen und hinsichtlich der Regelung der GVO-Anbaugebiete den Verpflichtungen der Schweiz im Rahmen der bilateralen Verträge mit der Europäischen Union. Das Abkommen vom 21. Juni 199983 über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (nimmt gentechnisch veränderte Sorten ausdrücklich vom grundsätzlich geltenden liberalisierten bilateralen Saatgutverkehr aus (Art. 5 Abs. 3 von Anhang 6).

Bezüglich des Abkommens vom 22. Juli 197284 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Freihandelsabkommen) sind die unter Ziffer 5.2.1 erwähnten Ausführungen analog übertragbar: Die Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten stellt eine produktionsbezogene Massnahme dar, die vom Abkommen grundsätzlich nicht erfasst ist. Trotz dieser Massnahme bleibt der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen in der Schweiz möglich.

5.3

Erlassform

Die Umsetzung der Vorlage erfolgt durch die Anpassung einzelner bestehender Bestimmung im GTG sowie, ebenfalls im GTG, durch die Einführung eines neuen Abschnittes über die GVO-Anbaugebiete. Sowohl die Anpassung und Konkretisierung der Delegationsnormen als auch die Neuschaffung des Instruments der GVOAnbaugebiete bedürfen der Regelung auf Gesetzesstufe. Aufgrund der inhaltlichen Nähe der Regelungsthematik wurde das GTG als der zu ändernde Erlass gewählt.

83 84

SR 0.916.026.81 SR 0.632.401

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5.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die vorgesehene Anpassung des Gentechnikgesetzes zieht weder eine einmalige Ausgabe von mehr als 20 Millionen Franken noch wiederkehrende Ausgaben von mehr als zwei Millionen Franken nach sich.

5.5

Einhaltung der Grundsätze der Subventionsgesetzgebung

Es werden keine Subventionsbestimmungen vorgeschlagen.

5.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Artikel 20 Absatz 1 weist dem Bundesrat ganz allgemein die Kompetenz zum Erlass von Ausführungsvorschriften in Zusammenhang mit dem Vollzug des Gesetzes zu.

Daneben wird der Bundesrat in weiteren Bestimmungen ermächtigt, Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Aufgrund der vorgegebenen Leitlinien in den Gesetzesartikeln ist die Rechtsetzungsermächtigung hinreichend konkretisiert.

Ausgehend vom Grundsatz, dass mit gentechnisch veränderten Organismen nur so umgegangen werden darf, dass sie, ihre Stoffwechselprodukte oder ihre Abfälle die Produktion von Erzeugnissen ohne GVO sowie die Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten nicht beeinträchtigen, wird der Bundesrat mit dem neuen Artikel 7 Absatz 2 ermächtigt, Bestimmungen zum Schutz der genannten Rechtsgüter zu erlassen. Nicht abschliessend zählen die Buchstaben a- d auf, welche Qualitätssicherungsmassnahmen ergriffen werden können.

Gemäss Artikel 15a kann der Bundesrat Vorschriften über den Umfang, den Inhalt und die Dauer der für den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen erforderlichen Ausbildung festlegen. Personen, die mit GVO umgehen, müssen über die für ihre Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Im Hinblick auf die Schutzziele des Gentechnikgesetzes erscheint es sinnvoll, dem Bundesrat hier die Kompetenz zur Festlegung vom Mindeststandard dieser Ausbildung zu übertragen.

Artikel 16 Absatz 2 ausschliesslich betreffend den Anwendungsbereich der zu erlassenden Ausführungsbestimmungen ergänzt. Mit der Präzisierung, dass der Bundesrat bei seinem Erlass von Bestimmungen über die Trennung des Warenflusses die gesamte Produktionskette berücksichtigt, wird sichergestellt, dass auch Massnahmen vor der eigentlichen Ernte eines Produktes erlassen werden können. In diesem Sinne wird keine neue Delegationsnorm vorgeschlagen. Ebenfalls keine Delegationsnorm beinhaltet Artikel 24a: Hier wird der Auftrag zum Aufbau und Betrieb eines Monitoringsystems, der bisher ausschliesslich in Artikel 51 der FrSV geregelt war, auf Gesetzesstufe gehoben.

Im Rahmen der Ausscheidung von GVO-Anbaugebieten wird der Bundesrat in Artikel 19b Absatz 2 mit dem Erlass von Ausführungsbestimmungen beauftragt. Der Bundesrat hat dabei die Einzelheiten der Anerkennung eines GVO-Anbaugebietes 6574

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zu konkretisieren, beispielsweise die Anforderungen an die Organisation der Trägerschaft sowie Anerkennungs- und Überprüfungsmechanismen. Er kann insbesondere einen kulturartspezifischen Mindestumfang an landwirtschaftlicher Nutzfläche im Anbaugebiet vorschreiben, der sich am Ziel, eigene Produktionsketten zu gewährleisten, orientiert. Die Kontrollbefugnis kann gemäss Artikel 20 Absatz 3 GTG auch an Organisationen und Personen des öffentlichen oder privaten Rechts übertragen werden.

Verfassungsrechtlich müssen sich Delegationsermächtigungen auf einen bestimmten Regelungsgegenstand beschränken und dürfen nicht unbegrenzt sein. Die Rechtsetzungsermächtigungen des Entwurfs beschränken sich jeweils auf einen bestimmten Regelungsgegenstand und sind nach Inhalt, Zweck und Ausmass hinreichend konkretisiert (siehe auch Ziff. 2 zu den einzelnen Bestimmungen). Die dem Bundesrat eingeräumte Verordnungskompetenz wird damit dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht und ist aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichend umrissen.

5.7

Datenschutz

Der Entwurf sieht zum Schutze der Produktion ohne gentechnisch veränderte Organismen und der Wahlfreiheit von Konsumentinnen und Konsumenten vor, dass der Bundesrat Informations- und Dokumentationspflichten einführen kann (vgl. Art. 7 Abs. 2 Bst. b). Der Zugang zu den einschlägigen Akten sowie die Information der Öffentlichkeit sind heute bereits durch Artikel 18 GTG geregelt. Die Delegationsnorm schafft darüber hinaus die gesetzliche Grundlage für eine Informationsund Dokumentationspflicht zwischen den Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter.

Der Bund führt ein Verzeichnis, über das gewisse Informationen von Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter von Parzellen mit gentechnisch veränderten Organismen einzusehen sind (Art. 19c Abs. 3). Der Zugang zum Verzeichnis wird Personen gewährt, die ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht haben (Art. 19c Abs. 3).

Für dieses Verzeichnis werden keine besonders schützenswerten Personendaten im Sinne des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199285 über den Datenschutz (DSG) erhoben (Art. 3 Bst. c DSG). Das Verzeichnis dient der vorgängigen Information von Behörden, betroffenen benachbarten Bewirtschafterinnen und Bewirtschaftern sowie Bienenhalterinnen und Bienenhaltern und ermöglicht ihnen so, freiwillig zusätzliche Sicherheitsmassnahmen zur Verhinderung eines möglichen Eintrags von GVO vorzunehmen. Der Zugang zum Verzeichnis wird verweigert, wenn das schutzwürdige Interesse der Bewirtschafterin oder des Bewirtschafters an der Vertraulichkeit von Informationen überwiegt (Art. 19c Abs. 2). Die vorgeschlagene Delegationsnorm für eine Informations- und Dokumentationspflicht ist daher mit den Grundsätzen des Datenschutzes (Art. 4 DSG) vereinbar.

85

SR 235.1

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