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Bericht einer

Minderheit der ständeräthlichen Kommission . über den Gesetzentwurf betreffend Feststellung und Beurkundung des Civilstandes und die Ehe.

(Vom 26. Oktober 1874.)

Tit.

Als Minderheit Ihrer Commission erlaubt sich Referent einen von der Mehrheit derselben abweichenden Antrag; über die EinO tretensfrage zu stellen.

Wir glauben die vorliegende Gesetzesvorlage als eine zwei verschiedene Materien umfassende Arbeit betrachten zu sollen, als eine Gesetzgebung über Feststellung und Beurkundung des Civilstandes einerseits,7 und sodann als eine Gesetzgebung über dio Ehe O o selbst.

Unsere Verfassung gibt im § 53 dem Bunde das unzweifelhafte Recht, durcb Gesetzgebung die Feststellung und Beurkundung des Civilstandes zu regeln und soweit der vorliegende Entwurf sich auf diese Aufgabe beschränkt, ist Referent mit der Commissionsmehrheit über die Frage des Eintretens auf die Vorlage einverstanden.

Die Tragweite dieser Berechtigung darf aber keine andere sein, als die drei Standesregister unter der speziellen Bezeichnung Geburts-, Todten- und Heirathsregister nach gemeinsamen Vorschriften

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und Formularien auf dem ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft zu führen, beziehungsweise die durch Geburt, Tod oder die Ehe festgestellte Thatsache amtlich und gleichmäßig zu controliren.

Die weiter gehenden Bestimmungen des Entwurfes behandeln die Erfordernisse und Eigenschaften zur Ehe, sowie die Förmlichkeiten un l Bedingungen zur Abschließung und Trennung derselben.

Es fragt sieh nun, ob diese gesetzgeberische Arbeit durch die Verfassung dem Bunde übertragen sei, oder nicht.

Der § 64 der Verfassung benennt diejenigen Materien, welche der Bund auf dem Gebiete des Privatrechtes zu regeln hat, und da sehen wir demselben nur das Gesetzgebungsrecht über di : persönliche Handlungsweise, über alle auf den Handel und Mobiliarverkehr bezüglichen Verhältnisse, über das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst und über das Betreibungs- und Konkursrecht zugetheilt; über alle, übrigen Theile des Privatrechtes bleibt das Gesetzgebungsrecht den Kantonen reservirt und folglich auch die Gesetzgebung in Ehesachen.

Untersuchen wir nun, wie weit dieses souveräne Recht der Kantone durch andere Bestimmungen der Verfassung beschränkt ist und in dieser Richtung werden wir auf die §§ 53, 54 und 58 hingewiesen.

Der erst citirte § 53 theilt dem Bunde lediglich das Recht zu, die Feststellung und Beurkundung des Civilstandes gesetzlich zu normiren und uns will scheinen, diese gesetzgeberische Arbeit sei unabhängig von der Gesetzgebung über die Ehe selbst und könne sich nur auf amtliche Controlirung der auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft vorkommenden Geburten, Todesfälle und vollzogenen Eben beschränken. Denn so wenig der Staat dem Menschen durch die Geburts- und Todtenregist Tod und Leben gibt, ebensowenig hat er durch die Eheregister der Ehe Sein und Leben zu geben, sondern er hat dieselbe, wie bei Führung der übrigen Register, Hineinzutragen und dafür zu sorgen, dass ihm im einten wie, im andern Fallodie; vollendete Thatsache rechtzeitigmitgetheiltl werde, damit die Register gehörig geführt wer leu können.

Nach der Ansicht des Referenten liegt somit im § 53 kein Präjudiz, welches den Kantonen das durch ihre verfassungsmäßige Souveranetät erworbene Gesetzgebungsrecht in Ehesachen schmälern könnte.

Der § 54 stellt das Recht zur Ehe unter den Schutz des Bundes und setzt fest, daß dieses Recht weder aus kirchlichen oder ökonomischen Rücksichten, noch wegen bisherigen Verhaltens oder aus andern polizeilichen Gründen beschränkt werden könne.

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Wir vermögen in dieser bundesmäßigen Garantie des Rechtes zur Ehe keineswegs die Berechtigung des Bundes abzuleiten, seine gesetzgeberische Thätigkeit auf das Ehcreeht überhaupt und namentlich auf die Form des Abschlusses und Auflosung der Ehe auszudehnen, sondern wir können sowohl aus dem Wortlaute, als aus dem Geiste dieser Bestimmungen nur die Ueberzeugung gewinnen, daß die Kantone verpflichtet werden, die Rechte des Individuums in angegebener Richtung nicht zu beengen, sondern demselben volle Freiheit zu gewähren.

Wenn sich der Bund das Recht zur Ehegesützgebung hätte vorbehalten wollen, so wäre es ia seiner Pflicht gelegen, dieses Attribut in klarer Definition zu verlangen, wie dieses bezüglich aller andern Verhältnisse aus dem Gebiete des öffentlichen und Privatrechtes geschehen ist, über welche das gesetzgeberische Recht verfassungsmäßig auf denselben übergegangen ist.

Wir verweisen in dieser Beziehung auf die §§ 20, 25, 26, 34, 39^ 46-49, 53, 64, 68, 69 der Verfassung. In allen diesen Artikeln wird klar und deutlich gesagt, welche gesetzgeberischen Rechte der Bund auf die damit berührten öffentlichen und privatrechtlichen Materien erworben hat.

Neben dem Wortlaute spricht aber auch die Logik durchaus dafür, daß die Souveränetät der Kantone in allen Richtungen respektirt werden muß, wo sie nicht ausdrücklich durch die VerfasT sung beschränkt, ist. Das Gesetzgebungsrecht der Kantone muss die Regel, jenes des Bundes aber die Ausnahme sein, das ist die unzweideutige Folgerung des § 3 unseres Grundgesetzes.

Wir können daher von unserem Standpunkte aus dem Bunde keine weitere Competenz in Ehesachen zugestehen, als das Aufsichtsrecht darüber auszuüben, daß die Kantone durch ihre Ehegesetzgebung die im § 54 aufgestellten Grundsätze respectiren, sei es, daß er über deren Ehegesetzgebungen das Placetrecht geltend macht, oder sein Veto vorbehält.

Wenn wir das vierte Alinea des § 54 unserer Kritik unterstellen, welches lautet, daß die in einem Kantone oder im Auslande nach der dort geltenden Gesetzgebung abgeschlossene Ehe im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft als Ehe anerkannt werden soll, so kann unsere Auffassung über die Competenzfrage nur beatärkt werden.

Damit wird nicht nur eine im Auslande gesetzlich abgeschlossene Ehe als für die ganze Eidgenossenschaft rechtsverbindlich erklärt,
sondern auch gesagt, daß die in einem Kanton nach der daselbst geltenden Gesetzgebung abgeschlossene Ehe im Gebiete der Eidgenossenschaft als Ehe anerkannt werden soll.

861 Kann dieser Wortlaut einen andern Sinn haben, als daß. das kantonale Recht für den Abschluß der Ehe maßgebend sei und daß jeder andere Kanton die nach diesem Rechte vollzogene Ehe anerkennen muß?

Referent vermag nicht einzusehen, daß solche Bestimmungen nur transitorische Bedeutung haben, sondern muß annehmen, man habe damit wie mit allen andern Grundsätzen der Verfassung eine staatsrechtliche Basis für die Zukunft geschaffen. -- Gehen wir selbst weiter, als uns die Auffassung des § 54 führen darf, setzen wir sogar voraus, es liege in dessen Fassung nicht nur die von uns angenommene Tragweite einer Norm für die kantonale GesetzO O gebung. Nehmen wir an, der Bund habe durch den § 54 das Recht erworben, die damit berührten Grundsätze als gemeinsam verbindliche Regel in eine bestimmte Form za bringen, so können offenbar nur die Ehehindernisse festgestellt, keineswegs aber die Form des Abschlusses der Ehe und Grundsätze über Scheidung und Trennung derselben gesetzlich geregelt werden, sondern es müßte dieses Recht unbeschadet den Bestimmungen des § 54 in das Gebiet des kantonalen Rechtes fallen.

Dadurch, daß mit § 58 die geistliche Gerichtsbarkeit als ein unverfassungsmäßiges Gericht in Ehesachen ausgeschlossen wird, erblicken wir ebenfalls nur eine für die Kantonalgesetzgebung verbindliche Vorschrift, welche bei Festsetzung des Gerichtsstandes in Ehesachen als maßgebend beachtet werden muß. Daß dagegen diese Rekusation eines Gerichtsstandes gleichzeitig das Recht involvire, den Gerichtsstand selbst zu bestimmen, dafür finden wir nach unserer Auffassung keine rechtliche Grundlage.

Fragen wir endlich, warum hat sich der Bund in den §§ 53, 54 und 58 weder einzeln, noch im Zusammenhange das ausdrückliche Recht zur Gesetzgebung über die Ehe vorbehalten, wie dieses überall da geschieht, wo ein bestimmter Kreis des Rechtslebens in den Bereich der Bundesgesetzgebung gezogen wird, so führt uns das zurück auf den Ursprung und Verlauf der in den Käthen über diese Frage gepflogenen Verhandlungen und daraus kann Referent keine andere Ueberzeugung erhalten, als daß man den vielseitig bestehenden Beschränkungen und Hemmungen in Ehesachen ein Ziel setzen und den Rechten des Individuums die volle Freiheit gewähren wollte. Unter diesem Eindrucke scheinen uns die speziellen Bestimmungen des § 54 und 58 entstanden
zu sein, ohne Absicht, damit die kantonale Gesetzgebung aufzuheben, jedoch mit der Forderung, sich den zum Schütze des Individuums aufgestellten Grundsätzen unterzuordnen.

862 Noch ist die Sohöpfungsperiode der Verfassung kaum hinter uns, man ist sich noch lebhaft bewußt, daß man einerseits die, Competenzen des Bundes noch weiter ausdehnen, andererseits das souveräne Recht der Kantone weniger beengen lassen wollte. Es liegt nahe, daß das unter diesem Antagonismus vom Volke sanktionirte Grundgesetz von der obsiegenden Majorität möglichst weitgehend entwickelt werden will ; allein es ist nicht nur eine verfassungsmäßige Pflicht, sondern auch ein Gebot staatsmännischer Klugheit, die den Kantonen auf dem Gebiete der Gesetzgebungvorbehaltenen ö o Rechte mit Loyalität zu wahren.

Denn wenn einmal die Schranken fallen, welche die Competenzen des Bundes und der Kantone auseinanderhalten, so dürften die Consequenzen schwieriger sein, als sie sich im Anfange zeigen.

Referent wird daher von seiner Anschauung zu dem Antrage geführt, der Ständerath möge beschließen, es sei in vorliegendem Eut-: wurf des Bundesrathes betr. Gesetzgebung über Civilstand und Ehe nur soweit einzutreten, als derselbe die Führung der drei Standesregister, nämlich der Geburts-, Todes- und Eheregister beschlägt, dagegen sei in den Entwurf über die Ehegesetzgebung, namentlich in Bezug auf die Form des Abschlusses und Trennung derselben, aus Mangel an Competenz nicht einzutreten.

B e r n , den 26. October 1874.

Reichlin, Ständerath, als Minderheit.

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19.12.1874

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