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Bundesrathsbeschluss betreffend

den Rekurs des Hrn. Statthalter Mathias Anton Wieland, in Somvix, wegen Gerichtsstand.

(Tom 26. März 1874.)

Der schweizerische Bundesrath hat

in Sachen des Hrn. Statthalter Mathias Anton W i e l a n d in Somvix, Kts. Graubünden, betreffend Gerichtsstand; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Der Rekurrent übergab im Herbste 1870 dem David Nüesch in Balgach, Kts. St. Gallen, eine Kuh zum Ueberwintern. Als er sie im folgenden Sommer zurüknehmen wollte, verlangte Nüesch ein Futtergeld von Fr. 60, während Wieland behauptete, daß Nüesch neben dem Nuzen von dem fraglichen Stük Vieh nur noch Fr. 15 zu fordern habe. Da aber Nüesch das Thier vor Bezahlung seiner Forderung nicht herausgeben wollte, so deponirte Wieland einen entsprechenden Betrag auf Recht hin bei dem Gemeindeammannamte zu Balgach.

Nüesch erhob hierauf bei dem Vermittleramte Balgach eine Klage gegen Wieland, welche an die Gerichtskommission des Be-

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Am 27. März 1872 sollte die Verhandlung vor dem genannten Gerichte stattfinden. Rekurrent erschien jedoch nicht. Er wurde deßhalb in Anwendung des 14. Titels des Zivilprozeßgesezes in contumaciam verurtheilt, dem Kläger Fr. 60 Futtergeld und Fr. 5 Trinkgeld dem Knecht, nebst den Prozeßkosten zu bezahlen. Laut den Erwägungen basirte das Gericht sein Urtheil darauf, daß Rekurrent durch Deposition des streitigen Betrages den St. Gallischen Gerichtsstand anerkannt habe, und daß sein Mandatar, Hr. Advokat Sturzenecker, peremptorisch vorgeladen worden, aber nicht erschienen sei, weßhalb die in der Klage angeführten Thatsachen als erwiesen zu betrachten seien.

II. Als nun dieses Urtheil im Kanton Graubünden exequirt werden wollte, rekurrirte Hr. Rechtsanwalt Dedual in Chur im Namen des Hrn. Wieland gegen dasselbe an den Bundesrath, indem er in seiner bezüglichen Eingabe vom 10. November 1873 O O geltend machte, daß Wieland gemäß Art. 50 der .Bundesverfassung an seinem Wohnorte im Kreise Dissentis belangt werden müsse.

Die Deposition des geforderten Betrages sei erfolgt, einerseits damit Wieland seine Kuh zurükerhalte, und andererseits zur Sicherstellung des Klägers, welch' lezteres eben so gut durch Bürgschaft hätte geschehen können. Rüksichtlich des Gerichtsstandes habe durch jene Deposition nichts geändert werden können, zumal weder ein Arrest noch Faustpfandrechte in Frage liegen. Uebrigens wäre dieses im Spezialfalle ohne Bedeutung, da für interkantonale Verhältnisse die Bundesverfassung maßgebend sei, die gegenüber dem aufrechtstehenden Schweizerbürger mit festem Wohnsize weder einen Gerichtsstand des Arrestes, noch einen Gerichtsstand des Faustpfandes kenne. Es liege hier nur ein Vertragsverhältniß im Streite, indem es sich lediglich frage, ob ein größeres oder ein kleineres Futtergeld ausbedungen worden sei. Die Klage sei somit rein persönlicher Natur.

III. Namens des David Nüesch antwortete Hr. Dr. Lutz-Müller in Thal, welcher mit Schreiben vom 22. Dezember 1873 auf die Abweisung der Beschwerde antrug.

Laut Art. 99 des St. Gallischen Schuldtriebgesezes seien Pfandrechte eingeräumt (Litt, b) ,,für zum Aufhirten oder Abäzen verkaufte Fütterung auf
die Vieh- und Fahrhabe des Schuldners, welche sich auf dem Gute, wo die Behirtung stattgefunden, befinde,tt und (Litt, c) ,,auf verarbeitete oder zur Besorgung erhaltene Gegen-

1099 stände, welche in der Hand des Gläubigers liegen, für den Arbeitslohn und jede darauf gemachte Verwendung oder dafür bestrittene Auslage." Nüesch habe von Anfang an für die Fütterung, sowie für anderweitige, auf die fragliche Kuh gemachte Verwendungen (Arztkonto etc.) Faustpfandrechte geltend gemacht. Da es sich also um eine Forderung mit gesezlichem Pfandrecht gehandelt, so habe der Richter der gelegenen Sache zu entscheiden gehabt. Der Art. 50 der Bundesverfassung sei nicht entgegengestanden, da er den Gerichtsstand des Wohnortes nur für rein persönliche Forderungen vorschreibe (Ullmer Bd. I, 8. 322 ff, Bd. II, S. 222 ff, Beschluß des Bundesrathes und der Bundesversammlung vom Jahr 1871 in Sachen Heim, Bundesblatt 1S71, Bd. III S. 387).

IV. Von Seite der Gerichtskommission des Bezirkes Unterrheinthal kam keine Antwort ein, und die Regierung von St. Gallen beschränkte sich auf die Erklärung, daß sie es nicht für nöthig halte, der Antwort des Rekursbeklagten etwas Weiteres beizufügen.

In E r w ä g u n g : Aus den angeführten faktischen Verhältnissen ergibt es sich, daß Wieland durch Deposition des seitens des Nüesch von ihm verlangten Betrags verhüten wollte, daß die Kosten sich unnüzer Weise vermehren, und daß er damit einen Rechtsakt vornahm, welcher für ihn keine nachtheilige Folge bezüglich des Gerichtsstandes der Klage nach sich ziehen kann.

· Die vom Rekursbeklagten Nüesch angerufenen Bestimmungen des St. Gallischen Gesezes können unter diesen Umständen den Rekurrenten der Wohlthat und der Garantie des Art. 50 der Bundesverfassung nicht berauben.

Die Voraussezungen dieses Artikels sind im vorliegenden Falle vorhanden, und Wieland hat seine Zahlungsfähigkeit durch die behufs Rükerstattung seiner Kuh gemachte Hinterlage hinlänglich bewiesen.

Wieland muß daher an seinem Domizil belangt werden, beschlossen: 1. Der Rekurs wird als begründet erklärt und das vom Bezirksgericht Unterrheinthal gegen Wieland erlass 'ne Kontumazialurtheil aufgehoben.

2. Ton diesem Entscheide ist dem Hrn. Advokat Dednal in Chur, als Anwalt und zuhanden des Rekurrenten Mathias Anton

1100 Wieland in Somvix, und an die Regierung von St. Gallen zuhanden des Bezirksgerichts Unterrheinthal, sowie dem Hrn. Fürsprecher LutzMüller in Thal, als Anwalt des Rekursbeklagten David Nüesch in Balgach, Kenntniß zu geben.

B e r n , den 26.März 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Johann Georg Carisch, von und in Andest (Graubünden), betreffend Gerichtsstand.

(Vom 26. März 1874.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath

hat in Sachen des Johann Georg C a r i s c h , von und in Andest (Graubünden), betreffend Gerichtsstand; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Im Oktober 1870 stellte Jeremias Riseli in Waltensburg (Graubünden) eine Kuh, die er vom Rekurrentcn zur Besorgung übernommen hatte, bei Jakob Halter in Balgach (St. Gallen), zur Fütterung während des Winters. Das fragliche Thier litt jedoch laut einem Gutachten des Thierarztes Ritz in Balgach an einer Krankheit der Verdauungsorgane und warf daher nicht den in Aussicht gestellten Milchertrag ab. Halter forderte deßhalb unterm 18. Februar und 3. März 1871 den Eigenthümer Carisch durch das Gemeindeammannamt Balgach auf, sich mit ihm bezüglich des Futtergeldes abzufinden, wofür er bis dahin Fr. 50 und, falls er das Thier noch länger füttern müßte, weitere Fr. 7 per Woche verlange. Zugleich machte er für seine Ansprache ein gesezliches Pfandrecht geltend und begehrte am 22. Mai 1871 die Pfändung der fraglichen Kuh.

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Bundesrathsbeschluss betreffend den Rekurs des Hrn. Statthalter Mathias Anton Wieland, in Somvix, wegen Gerichtsstand. (Vom 26. März 1874.)

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13.06.1874

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