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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Einbürgerung der Einwohner von Cavajone, Kantons Graubünden.

(Vom 29. Dezember 1873.)

Am 5. Dezember 1864 genehmigte die Blindes Versammlung den im gleichen Jahr mit Italien abgeschlossenen Vertrag, betreffend Feststellung der Grenze zwischen dem Kanton Graubünden und dem Veltlin. (Amtl. Samml. VIII, 174, 430.)

Auf dem infolge dieses Vertrags der Schweiz, resp. dem Kanton Graubünden definitiv zugeschiedenen Gebiete befindet sich die .Ortschaft C a v a j o n e , circa 2 Stunden von B r u s i o entfernt, mit einer Bevölkerung; von 103 Seelen. Von dieser BevölkerungO O sind nur 4 Familien in Italien heimathberechtigt, alle übrigen sind heimathlos. Nach einem von der Regierung von Graubünden eingesandten Personalverzeichniß dieser beimathlosen Bevölkerung von C a v a j o n e besteht dieselbe aus 71 Köpfen. Sie vertheilen sich auf 14 Familien, diese auf die 4 Geschlechter C h i t r o n , F e d r e t t i , Plorra und Baisarini.

Von den 71 Köpfen sind männlich . . . . 39 weiblich . . . . 3 2 71 verheirathet . . . 2 2 verwittwet . . . 4 ledig . . .

.45 71.

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Die ganze Bevölkerung beschäftigt sich ausschließlich mit Landwirthschaft, ist aber allen Berichten zufolge arm und überhaupt in hohem Grade verwahrlost.

Die Regierung von Graubüuden beabsichtigt nun, die Bewohner von Cavajone, welche ohne Heimathberechtigung sind, einzubürgern.

Sie hat zu diesem Zweke mit der Gemeinde Brusio verhandelt, welche nach den Mittheilungen der Regierung bereit wäre, die 14 heimathlosen Familien gegen eine Einkaufssumme von Fr. 21,500 in ihr Burgerrecht aufzunehmen. Diese Einbürgerung basirt auf der Erwerbung des vollen Burgerrechts, namentlich vollständiger Gleichberechtigung mit allen andern Bürgern im Genüsse des Kirchen-, Schul- und Armenfonds. Es wird hiefur berechnet Fr. 10,000.

lu Bezug auf Wald und Weide ist Cavajone auf die Corporationsnuzungen der Nachbarschaften Campocologno uniZalende angewiesen, deren diesfalligcs Eigenthum unabhängig von der Gemeinde besteht, und wofür demgemäß auch ein besonderer Einkauf zu leisten ist und zwar im Betrage von Fr. 2500.

Endlich macht die Gemeinde Brusio geltend, daß die große Entfernung zwischen Brusio und Cavajone es kaum vermeid lieh erscheinen lasse, in Cavajone eine eigene Schule zu errichten und zu halten, es wäre denn, daß man die dortigen Schulkinder während der Schulzeit in Brusio einquartiren wollte, was ohne Zweifel mit Schwierigkeiten und Inkonvcnienzen verschiedener Art verbunden sein wurde. Für den erstem Fall verlangt Brusio eine Entschädigung von Fr. 9000.

An diese Kosten der Einbürgerung beansprucht die Regierung von Graubunden eine Betheiligung der Eidgenossenschaft. Zar Begründung dieses Begehrens bringt sie im Wesentlichen Folgendes an : ,,Die Grenze zwischen der Lombardie und Graubunden beim Ausflusse des Posehiavino nach dem Veltlin an den beidseitigen Gebirgsabhangen war nie bestimmt. Namentlich am rechtseitigen Abhänge, wo Cavajone liegt, war ein ziemlich weites Gebiet von jeher streitig.

,,Der urbarisirte Bo'ien auf diesem Gebiete gehorte Einwohnern von Tirano. Diese hatten im Sommer ihren Aufenthalt in Cavatone: auf den Winter zogen sie wieder nach Tirano zuruk. Im Laufe der Zeit siedelten sich einzelne Familien ständig daselbst an, uud zwar wohl aus dem Gründe, weil die dortigen Grundstuke als von Tirano sehr abgelesen, in die Hand ärmerer Leute gekommen waren. So entstand die Ortschaft Cavajone, wo die Wohnungen jezt noch, ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß, aus lauter Maiens.iß-Hutton mit Kuclu und Stallung bestehen.

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,,Daß sämmtliche dort wohnhafte Familien aus Italien, resp.

aus dem Veltlin stammen, ist unzweifelhaft. Die Leute lebten da auf neutralem Boden, führten begreiflich keine Heimathschrift en mit sich, und wurden von keiner Seite weder mit Steuern noch Militärdienst belästigt. Daher die jezige Heimathlosigkeit.

,,Endlich in den Jahren 1863 und 1864 fand die Grenzbereinigung zwischen Italien und der Schweiz statt. Der diesfallige Vertrag bezwekte aber bloß, die Grenze zwischen Staat und Staat festzusezen, ohne zugleich andere Rechtsfragen, betreffend das Privateigenthum und die heimathlichen Verhältnisse der Bewohner des streitigen Gebietes, zu berühren."

Nachdem durch diesen Vertrag die ganze Gegend von Cavajone der Schweiz zugefallen war, glaubte die Regierung von Graubunden, es sei nunmehr an der Zeit, dafür zu sorgen, daß die dortigen Einwohner ihre Heimathschriften beibringen. Eine langwierige diplomatische Correspondenz, um die Anerkennung des Burgerrechts verschiedener Familien in ihrer ursprünglichen Heimath im Veltlin, namentlich in Tirano, auszuwirken, blieb jedoch erfolglos, und das ganze Resultat derselben war, daß von allen in Cavajone wohnhaften Italiener einzig 4 Familien als in Tirano verburgert anerkannt w u r den; alle übrigen waren und sind noch heimathlos.

Fragt man: Wer tragt die Schuld dieser Heimathlosigkeit? so ist die kurzeste und auch gegründetste Antwort wohl diese : Die Umstände, die Unbestimmtheit der Grenze haben das Meiste dazu beigetragen.

Da jene Leute"-, bemerkt die Regierung von Graubunden im Weitern, ,,auf streitigem Gebiete wohnten, und dort auch ihren Grund und Boden hatten, so ist leicht begreiflich, dass der Kanton es unterließ und sich nicht berufen glaubte, auf Beischaffung von Heimathbschriften zu dringen, -- um so weniger, als man in keiner Weise die Regulirung der Grenze beeinflussen oder prajudiziren wollte. Deshalb beschränkte man sich darauf, die Bundesbehörden um beforderliche RegulirungO der Grenzen anzugehen.l welche sich aber gar sehr in die Lauge zog. Schließlich w urde im Vertrage selbst über die heimathrechtlichen Verhältnisse der Einwohner von Cavajone keinerlei Bestimmung getroffen, und so kann wohl mit Grund behauptet werden, daß diese Leute schweizerische Heimathlose seien, für deren Einbürgerung der Hund mit dem Kanton zu sorgen habe.
,,Eine solche Mitbetheiligung an der Einbürgerung laßt sich nun außerdem auch dadurch motivimi, daß wir in der DappenthalAngelegenheit bereits einen ähnlichen Vorgang haben.

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,,Im Artikel 3 des bezüglichen Vertrags vom S. Dezember 1862 wurde stipulirt, daß die Bewohner, welche in dem an die Schweiz fallenden Gebiete des üappenthales heimathberechtigt seien, Schweizer werden, woferne sie nicht innert Jahresfrist erklären, Franzosen bleiben zu wollen; und so umgekehrt sollten Individuen, welche auf dem an Frankreich fallenden Gebiete wohnten und heimathberechtigt waren, Franzosen werden, wenn sie es nicht vorzögen, Schweizer zu bleiben.

,,Nun heißt es in dem Berichte des eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 6. März 1865 an den Bundesrath: ,,Nach dem Wortlaute des Vertrags hätte der Bund an Waadt nichts zu bezahlen, da aus dem von Frankreich an die Schweiz abgetretenen Gebiete, wovon allein die Rede ist, Niemand eingebürgert werden muß.

,,Von den 15 Personen, beziehungsweise 3 Familien, welche das Schweizer Bürgerrecht optirten, könnte keine von obigem Art. 3 Gebrauch machen, und doch hat sich der Bundesrath nicht veranlaßt gesehen, dies gegenüber Frankreich geltend zu machen.

,,Auch gegenüber dem Kanton Waadt hat der Bund die Einbürgerungsfrage nicht als eine rein kantonale behandelt, wenn gleich das der Schweiz zugeschiedene Gebiet an diesen Kanton fiel ; denn der bundesräthliche Antrag an die Bundesversammlung, welcher dann auch bei Genehmigung des Vertrages am 28. Januar 1863 gutgeheißen wurde, ging dahin : Es habe die Eidgenossenschaft sich mit dem Kanton Waadt zu verständigen und bei allfällig nöthig werdenden Einbürgerungen vom Grundsaze auszugehen, daß die Eidgenossenschaft der. Billigkeit volle Rechnung tragen solle.

0 .,In Folge dessen hat sodann die Eidgenossenschaft bei einer Einkaufssumme von Fr. 9600 nicht weniger als Fr. 8000, somit fast den ganzen Befrag übernommen und bezahlt.

. ,,Nach diesem Vorgange dürfen wir wohl erwarten,i daß der i) o o Bund auch gegenüber unserm Kanton in gleicher Weise den Rüksichten der Billigkeit volle Rechnung tragen werde, und zwar um so mehr, als im vorliegenden Fall es um die Einbürgerung einer bedeutenden Zahl so zu sagen ganz mittelloser Personen sich handelt, während die Bewohner des Dappenthals, welche s. Z. in der Waadt eingebürgert wurden, wohlhabende -Leute waren.tl

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Zur Beurtheilung des gestellten Begehrens übergehend, ist zunächst zuzugeben, daß ein einfaches Fortbestehenlassen des gegenwärtigen Status quo, wonach die 71 Einwohner von Cavajone als Bürger des Kantons Graubünden angesehen und behandelt werden, weder mit dem Bundesgesez, die Heimathlosigkeit betreffend, noch mit den Gemeindeeinrichtungen des Kanton? Graubünden vereinbar ist und ebenso ist leicht begreiflich, daß die Gemeinde Brusio, welche bis jezt die durch die Grenzregulirung dem Kanton Graubünden und der Schweiz zugeschiedene Bevölkerung provisorisch an allen ihren Einrichtungen und Rechten hat participiren lassen, aus längerer, stillschweigender Duldung nicht ein förmliches Bürgerrecht entstehen lassen will, und auf Regulirung der Verhältnisse dringt.

Der Bund kann diesem Bestreben nicht entgegen sein ; er müßte im Gegentheil, wenn GraubUnden die Familien in Cavajone in ihrem halbheimathlosen Zustand belassen wollte, von sich aus die Regularisirung ihrer bürgerlichen Verhältnisse verlangen.

Die eidgenössischen Commissure, welche mit Italien die Grenzbereinigung verhandelten und in den Fall gesezt wurden, sich über die Frage der Einbürgerung der Einwohner von Cavajone auszusprechen, waren anfänglich der Ansieht, es könnte aus dem Territorium von Cavajone und dessen, sonst nirgends heimathberechtigter Bevölkerung eine eigene Gemeinde gebildet und die Summe, welche für Einbürgerung in eine andere Gemeinde verlangt wird, als Dotation zur Constituirung der neuen Gemeinde verwendet werden.

Sie mußten sich indessen bald überzeugen, daß die Verhältnisse der Ausführung dieses Gedankens in jeder Beziehung ungünstig seien. Zu demselben Resultat ist auch der Bundesrath gekommen, nachdem er die Frage der Selbstkonstituirung von Cavajone als Gemeinde wieder aufgenommen und mit der Regierung von Graubünden erörtert hat. ,,Die ganze Entstehungsgeschichte dieser abgelegenen Ortschaft," sagt der Kleine Rath von Graubünden in seiner bezüglichen Vornehmlassung, ,,hat es naturgemäß mit sich gebracht, daß die Bewohner insgesammt, auf einer sehr niedrigen Bildungsstufe stehen und vermöge ihrer von jedem engern Zusammenhang mit den staatlichen Einrichtungen abgerissenen ganz ausnahmsweise eigentümlichen Lage dem öffentlichen Leben mit seinen Bedürfnissen und Bestrebungen fern geblieben sind, Zustände, aus denen
sich die Thatsache erklärt, daß dermalen in Cavajone absolut keine Persönlichkeiten für die Leitung und Verwaltung eines selbstständigen Gemeindewesens vorhanden sind, ja die Zahl derjenigen, welche ihren Namen schreiben können, sich auf sehr wenige Individuen beschränkt. Hiezu kommt der wichtige Umstand, daß die

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Ortschaft in ihrer Gesammtheit kein Vermögen, keine öffentlichen Fonds irgend welcher Ar.t besizt. Leider wissen wir aus der Erfahrung zur Genüge, wie es mit der Leistungsfähigkeit und dem öffentlichen Leben solcher" in Graubünden durch die Macht der Verhältnisse geschaffenen und fortbestehenden Gemeinwesen, mit den kärglichsten materiellen und geistigen Hülfsmitteln ausgestattet, beschaffen ist und es würden bei Cavajone diese Mängel und ihre Wirkungen noch in weit höherem Maße zutreffen als bei irgend einer Gemeinde des Kantons. Daß die Bildung einer eigenen Gemeinde Cavajone für den Kanton nicht nur schon anfänglich mit viel größern Opfern als die Einverleibung in Brusio verbunden wäre, sondern auch für alle Zukunft zu einer schwer clrükenden Last sich gestalten müßte, ist einleuchtend.

Das Urtheil der Kantonsregierung muß in diesem Punkte maßgebend sein. Wir halten dasselbe übrigens für begründet und erbliken in der beabsichtigten Vereinigung von Cavajone mit der Gemeinde Brusio das rationellste Auskunftsmittel.

Es ließe sich nun fragen, ob die Einbürgerung sich nicht O / ~ O wesentlich vereinfachen, namentlich finanziell sich leichter gestalten würde, wenn man dabei lediglich nach Analogie des Gesezes über die Einbürgerung der Heimathlosen verführe, beziehungsweise sich darauf beschränkte, gemäß Art. 4 des genannten Gesezes den Bewohnern von Cavajone das allgemeine Bürgerrecht von Brusio zu verschaffen und vom direkten Einkauf derselben in bürgerliche Naturalnuzungen Umgang zu nehmen. Eine finanzielle Ersparniß ließe sich auf diesem Wege allerdings erzielen, allein die wirthschaftlichcn Verhältnisse der fraglichen Bergbevölkerung sind der Art,? daß sie diese Berechtigungen in Wald und Weide durchaus nicht -T O entbehren kann und durch einen Ausschluß von denselben von vornherein in f.-iue .unhaltbare Lnge versezt würde.

Erscheint somit eine sofortige volle und ganze Einbürgerungais das einzig Richtige, so können wir im Weitern die Entschädigungssumme, welche die · Gemeinde Brusio für die Aufnahme der 71 Köpfe verlangt, nicht als eine unbillige erachten.

Was zunächst die Summe von Fr. 10,000 für das Bürgerrecht in Brusio anbelangt, so ließe sich allerdings der Grundsaz aufstellen, daß für den einzelnen Cavajonesen nicht mehr und nicht minder bezahlt werden solle, als der Betrag, der auf
jeden Bürger von Brusio entfällt, wenn die sämmtlichen vorhandenen Fonds durch die Zahl der Bürger getheilt werden. Jene Fonds betragen nach den amtlichen Angaben Fr. 84,279, die Zahl der Bürger von Brusio (unter Abzug der Abwesenden) nach der Volkszählung von 1870 856 ; es ergibt sich somit für den Einzelnen ein Antheil von circa.

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Fr. 100. Demnach hätten die 71 Cavajonesen zu bezahlen Fr. 7100.

Wenn man indessen berüksichtigt, daß diese Berechnung nur dann eine zutreffende wäre, wenn die zu übernehmende Bevölkerung in ökonomischer Beziehung durchschnittlich gleich stünde wie diejenige von Brusio, daß aber die Bewohner von Cavajone mit Ausnahme von 2 oder 3, welche ein Vermögen von einigen hundert Franken besizen mögen, durchaus arm sind, so erscheint die Forderung von Fr. 10,000, welche Brusio stellt, nicht zu hoch.

Mit dieser Summe solito nun freilich Brusio die Verpflichtung übernehmen, für die Schulbedürfnissc der Kinder von Cavajone zu sorgen, ohne daß hiefür nebst dein in jener Summe enthaltenen Einkauf in den Schulfond noch eine besondere Entschädigung -- Fr. 9000 -- bezahlt werden sollte. Es wäre dies ohne Zweifel ganz richtig, wenn Brusio sich damit begnügen könnte, die Schule dieser Gemeinde den Kindern von Cavajone zur Benuzung anzuweisen. Dies ist aber nicht möglich. Cavajone liegt volle 2 Stunden von Brusio entfernt. Es muß für die verhältnißmäßig geringe Anzahl von Kindern in Cavajone selbst ein Schullokal eingerichtet und ein eigener Lehrer angestellt werden, wie denn auch der leztjährige Große Rath von Graubünden provisorisch bis zum Vollzug der Einbürgerung und ohne Präjudiz für seine definitiven Entschließungen, für Abhaltung einer Winterschule in Cavajone selbst einen Beitrag von Fr. 340 ausgeworfen hat. Einmal die Einbürgerung vollzogen, wird die Gemeinde Brusio die Sorge für den Primarunterricht in Cavajone übernehmen müssen und da dürfte der Zins von Fr. 9000 = Fr. 450 kaum hinreichen, um die Kosten für Lehrerbesoldung, Entschädigung für das Schullokal etc. zu bestreiten.

o o Was die Naturalnuzungen in Wald und Weide anbetrifft, so scheint dafür ein besonderer Ansaz gerechtfertigt, weil die Bewohner von Cavajone hier auf das von Brusio ausgeschiedene Separateigenthum von Carnpocologno und Zalende angewiesen sind.

Der Ansaz von Fr. 2500 selbst für den Einkauf von 14 Familien ist, selbst wenn die Nuzungen sehr rninim sind, nicht zu hoch.

Der Bundesrath hat demnach gegen die Gesammtsumrnc von Fr. 21,500 nichts einzuwenden.

Was endlich die rechtliche Begründung des Anspruchs von Graubünden anbelangt, so ist der Bundesrath nach einläßlicher Prüfung aller hiebei in Betracht kommenden Verhältnisse zu dem
Schlüsse gelangt, daß es in der That der Billigkeit entspreche, daß die Eidgenossenschaft einen Theil der Kosten für die Einbürgerung der Bewohner von Cavajone auf sich nehme.

Wenn auch gesagt werden kann, daß das Gebiet von Cavajone schon seit dem Schiedsrichterspruche vom 2. Juni 1526 schwei-

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zerisch gewesen sei ; daß Graubünden selbst bei Verfechtung seiner Ansprüche anläßlich der Grenzverhandlungen mit Italien gestüzt auf genannten Spruch die beständige, unzweifelhafte Zugehörigkeit jenes Gebiets zum Kanton Graubünden behauptet habe; daß es demgemäß Pflicht und Recht der Regierung gewesen, über die Bevölkerung jenes Gebiets ihre hoheitlichen Rechte auszuüben und durch Handhabung ausreichender Frerndenpolizei die Entstehung von Heimathlosigkeit zu verhüten; daß die internationale Grenzregulirungskommission nach Kermtnißnahme der Beweisurkunden Graubündeiis dessen Hechte auch ohne Anstand als khu- und unbestreitbar anerkannt habe : so bleibt nichts desto weniger wahr, daß diese Rechte Seitens des Veltlins während Jahrhunderten bestritten wurden und daß Graubünden sich infolge dessen verhindert sah, seine Rechte in vollem Umfange geltend zu machen.

Es liegt also hier unzweifelhaft ein analoges Verhältniß vor mit demjenigen des Dappenthals. Allerdings hat in diesem leztern Fall der betheiligte Kanton Waadt bei den bezüglichen Verhandlungen die Bundesbehörden rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß die prqjektirte Gebietsausscheidung die Einbürgerung derjenigen Bewohner des streitig gewesenen Gebiets nothwendig machen werde, welche für die schweizerische Nationalität optiren würden und vom Bunde schon vor dem Vertragsabschluß eine Erklärung darüber verlangt und erhalten, daß die Kosten einer solchen Einbürgerung nicht ausschließlich dem Kanton Waadt zur Last fallen sollen.

Allein daraus, daß bei den GrenzregulirungsVerhandlungen zwischen der Schweiz und Italien von Graubünden bezüglich der Bevölkerung von Cavajone ein solcher Vorbehalt gegenüber der Eidgenossenschaft nicht gemacht wurde, dürfte um so weniger ein Grund zu einer andern Behandlung Graubündens herzuleiten sein, als dieser Kanton nach jenem Vorgang zu der Annahme berechtigt war, daß der Bund eine Betheiligung an den Kosten der Einbürgerung auch in seinem Falle nicht ablehnen \verde.

Einen positiven Anhaltspunkt zur Bestimmung der Quote, welche der Bund zu übernehmen hätte, bietet lediglich dieses Präcedens des Bundesbeitrags an Waadt für die Einbürgerungen in Folge der Grenzregulirung im Dappenthal. Es ist dies der Maßstab, welchen Graubünden für sich in Anspruch nimmt, ohne eine bestimmte Summe zu nennen, und welcher
auch gegenüber Graubünden im Wesentlichen wird zur AnwendungO kommen müssen.

Der Kanton Waadt hatte damals 15 Personen einzubürgern.

Da dieselben alle der katholischen Konfession angehörten, so wurden für dieselben katholische oder wenigstens gemischte Bürgerschaften im Bezirk Echallens ausfindig gemacht. Die Einkaufssummen,

45 welche diese Gemeinden verlangten, betrugen im Ganzen Fr. 9600, gleich einer Einkaufssumme von Fr. 640 per Kopf. Nach langen Verhandlungen zwischen dem Bundesrath, dem diese Preise namentlich deshalb sehr hoch erschienen, weil in keiner der fraglichen Gemeinden den Bürgern besondere Nuzungen zufielen, und der Regierung von Waadt, entschloß sich ersterer, von jener Summe Fr. 8000, also 5/5 zu übernehmen, wofür auch die Bundesversammlung den nöthigen Kredit gewährte.

Nach diesem Maßstab beträgt die Summe, welche der Bund an die Einkaufskosten der Bewohner von Cavojonè zu übernehmen hätte, Fr. 17,900.

Wir haben schon oben bei der Prüfung der Gesammteinkaufssumme gefunden, daß dieselbe nicht zu hoch sei. Auf den Kopf berechnet, beträgt sie die Hälfte derjenigen, welche im Kanton Waadt bezahlt wurde, wobei überdieß in Betracht fällt, daß die Gemeinde Brusio den Aufzunehmenden Nuzungen in Wald und Weide bietet und besondere Leistungen für den Unterricht der betreffenden Bevölkerung zu übernehmen hat. Weder in den ökonomischen Verhältnissen dieser Bevölkerung noch in denjenigen des Kantons Graubünden lassen sich Gründe finden, welche es rechtfertigen würden, einen andern Maßstab anzulegen als gegenüber dem Kanton Waadt zur Anwendung kam.

Sofern also überhaupt anerkannt wird, daß die Stellung der Eidgenossenschaft bezüglich der in Folge des Grenzregulirungsvertrags mit Italien nothwendig gewordenen Einbürgerungen im Wesentlichen dieselbe sei, wie bezüglich der in Folge des Grenzregulirungsvertrags mit Frankreichnothwendigg gewordenen Einbürgerungen, was kaum bestritten werden kann, so halten wir dafür, daß in Betreff der Quote derBundesbetheiligungg da wie dort derselbe,Maßstab) in Anwendung zu bringen und dem Kanton Graubündenauf' Nachweis der erfolgten Einbürgerung der Bewohner vonCavajonee und hiefür geleisteter Einkaufssumme von Fr. 21,500 ein Beitrag von Fr. 17,000 zu vergüten sei.

Wir beehren uns daher, Ihnen nachstehenden Beschlußentwurf zur Annahme zu empfehlen und benuzen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 29. Dezember 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, D e r B u n d es p r ä s i d e n t :

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

Bundes blatt. Jahrg. XXVI. Bd.I.

o

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die Einbürgerung der Einwohner von Cavajone, Kantons Graubünden.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Eingaben der Regierung von Graubünden d. d. 27. Mai 1872 und 25. -Juni 1873, betreffend Einbürgerung der Bewohner von Cavajone, einer Botschaft des Bundestages vom 29. Dezember 1873, beschließt: 1. Der Bundesrath ist ermächtigt, der Regierung von-Graubünden auf den Nachweis der vollzogenen Einbürgerung der dermalen heimathlosen Bewohner der Ortschaft Cavajone in die Gemeinde Brusio an die bezüglichen Kosten eine Vergütung von Fr. 17,900 zu leisten.

2. Dar Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Einnahmen der Zollverwaltimg in den Jahren 1872 und 1873.

1873.

Monate.

1873.

1872.

Mehreinnahme.

Januar Februar März April Mai Juni Juli Au<>ïi,st September Oktober November Dezember '

1,152,068 1,034,116 1,233,873 1,241,051 1.208,415 1,130,401 1,104,182 1,048,891 1,184,163 1,289,284 1,286.321 1,436,590

223,680 76,634 157,200 224,609 201,711 182,035 124,848 81,881 141,803 135,372 113,631 169,965

81 57 53 31 85 07 22

14,349,361

76

1,833,375

49

Kp.

Fr.

928,388 957481 1 076 672 l'oie'441 1,006,704 948,365 979 333 967 009 1,042,360 1,153,912 1 172 690 j 1,266,625

13 22 49 90 87 97 45 (K) 14 06 88 56 27

Total Fr. ,12,515,986

Fr.

Kp.

69 08 43 67 87 78 02 13 45 91 95 78

F,

Fr.

Kp.

56 86 94 77 !

1

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1

Kp.

Mindereinnahme.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Einbürgerung der Einwohner von Cavajone, Kantons Graubünden. (Vom 29. Dezember 1873.)

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1874

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03

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.01.1874

Date Data Seite

37-47

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