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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse.

(Vom 29. Mai 1874.)

Die Bundesverfassung schreibt im Artikel 89 vor : ,,Für Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse ist Zustimmung beider Räthe erforderlich.

,,Bundesgeseze, sowie allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse, die nicht dringlicher Natur sind, sollen überdies dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 30,000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von 8 Kantonen verlaugt wird," und fügt im Art. 90 bei: ,,Die Bundesgesezgebung wird bezüglich der Formen und Fristen der Volksabstimmung das Erforderliche feststellen."

Da mit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung die gesezgeberischen Erlasse der Bundesversammlung sofort der Vorschrift des Art. 89 unterliegen, so ist es dringlich, in Ausführung des Art. 90 die nöthigen Bestimmungen zu treffen, um die Anwendung jener Vorschrift zu ermöglichen, und demgemäß das Vorfahren zu ordnen, welches jeweilen nach Erlaß eines Gesezes oder eines Beschlusses durch die beiden Räthe eingehalten werden soll.

1002 Zu diesem Zweke beehren wir uns, Ihnen den Entwurf eines Bundesgesezes betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse einzureichen und denselben mit den nachfolgenden erläuternden Bemerkungen zu begleiten.

Der Gesezesentwurf besteht, abgesehen von dem Art. l, welcher die auszuführende Verfassungsbestimmung textuell wiedergibt, und den Vollziehungs- und Uebergangsbestimmungen, aus zwei Abtheilungen, von denen die erstere -- von Art. 2 bis Art. 16 -- das Verfahren ordnet, welches in der Regel nach Erlaß von Bundesgesczen und Bundesbeschlüssen stattfindet, die zweite -- Art. 16 und 17 -- von den Ausnahmen, d. h. von denjenigen Bundesbeschlüssen handelt, in Betreff welcher ein Begehren um Volksabstimmung nicht gestellt werden kann.

Das o r d e n t l i c h e V e r f a h r e n findet statt zunächst bei s ä m m t l i c h e n B u n d e s g e s e z e n ohne Ausnahme. Eine Ausscheidung in dringliche und nicht dringliche Bundesgeseze ist nicht zuläßig. Möchte dies nach dem deutschen Texte des Art. 89 noch einigem Zweifel unterliegen, insofern die Worte ,,die nicht dringlicher Natur sind", auch auf ,,Bundesgeseze" zurükbezogen werden könnten, so läßt dagegen der französische Text, lautend : ,,Les lois fédérales sont soumises à. l'adoption ou au rejet du peuple, si la demande en est faite par 30,000 citoyens actifs ou par 8 cantons.

11 en est de même des arrêtés fédéraux, qui sont d'une portée générale et qui n'ont pas un caractère d'urgence", eine solche, übrigens auch im deutschen Text immerhin gewagte Interpretation durchaus nicht zu.

Das ordentliche Verfahren findet dann im Fernern statt bei solchen B u n d e s b e s c h l ü s s e n , welche allgemein v e r b i n d l i c h und n i c h t d r i n g e n d e r Natur sind.

Die bis dahin ziemlich gleichgültig gewesene Unterscheidung zwischen Gesez und Beschluß erhält durch die Disposition der Verfassung von nun an eine gewisse praktische Bedeutung. Die Frage der Dringlichkeit kann bei einem Gesez nicht gestellt werden. Alle Erlasse, welche den Titel ,,Gesez" tragen, unterliegen der fakultativen Volksabstimmung und haben die obligatorische Wartezeit durchzumachen. Nur bei Beschlüssen kann Dringlichkeit ausgesprochen und in diesem Fall sofortige Vollziehung angeordnet werden.

Es führt dies zur Frage,. ob es nicht angezeigt wäre,
in dem vorliegenden Gesezc eine bestimmte Definition von Gesez und Beschluß zu geben, einerseits, um für die Zukunft etwas System in die Benennung der gesezgeberischen Erlasse zu bringen, namentlich aber, um von vornherein von der Bundesversammlung die Ver-

1003 suchung ferne zu halten, einen gesezgeberischen Erlaß durch willkürliche Benennung dem fakultativen Referendum zu entziehen und dessen unmittelbare Vollziehung su bewirken. Wir fanden uns nicht veranlaßt, diesem Gedanken weitere Folge zu geben und Union eine solche Begriffsbestimmung von Gesez und Beschluß vorzuschlagen. Die Garantien gegen willkürliches, von Sinn und Geist; der Bundesverfassung abweichendes Verfahren liegen nicht in einer theoretischen Begriffsbestimmung, welche selbst wieder verschiedenen Interpretationen Raum böte, wenn es sich um deren Anwendung auf einen zweifelhaften Fall handelte; sie liegen in der Bundesversammlung selbst, in der Notwendigkeit der Uebereinstimmung beider Räthe, in der öffentlichen Meinung des Schweizervolks. Ob ein gesezgeberischer Erlaß der Ruth e als Gesez zu behandeln sei oder als Beschluß, das wird also von der Bundesversammlung im einzelnen Falla je nach der besondern Natur der in dem Erlasse enthaltenen Anordnungen festgestellt, wobei im Uebrigen eine von der Regel abweichende Behandlung erst dann eintritt, wenn ein Beschluß überdies als nicht allgemein verbindlich oder als dringlich erklärt wird.

Der Artikel 2 des Entwurfes enthält die Vorschrift der Publikation der gesezgeberischen Erlasse, welche der fakultativen Volksabstimmung unterliegen. Diese Publikation geschieht durch das Bundesblatt; überdies werden dieselben in einer angemessenen Anzahl von Exemplaren den Kantonsregierungen zugestellt, von welchen die Bürger, welche nähere Einsicht von einem Gesez oder Beschluß zu nehmen wünschen, denselben erheben können. Dabei kann sicher darauf gerechnet werden, daß die öffentliche Presse die Erlasse zur allgemeinen Kenntniß bringen wird. Das Datum der Publikation im Bundesblatt bildet den amtlichen Beginn der im folgenden Artikel aufgestellten Frist zur Einreichung von Begehren um Volksabstimmung. Es konnte sich nun fragen, ob die Publikation eines Gcsezes oder Beschlusses unmittelbar nach dessen Erlaß durch die Räthe erfolgen solle, oder ob es nicht angemessener wäre,, mit der Publikation bis nach Schluß einer Sessionsabtheilung zu warten und dann mit Annahme eines einheitlichen Datums Kämmt liehe während der Session erlassenen Geseze und Beschlüsse zur Veröffentlichung zu bringen, so daß dann auch die. Frist für alle am gleichen Tage auslaufen
würde. Dieser Vortheil erschien uns jedoch gegenüber dem unter Umstanden sehr bedeutenden Zeitverlust, welcher durch dieses Verfahren für dio zu Anfangö einer Session erlassenen Geseze und Beschlüsse eintreten müßte, zu untergeordnet, und wir sind desshalb der Ansicht, daß die amtliche Publikation successiv eintreten solle.

1004..

Der Art. 3 bestimmt die Frist, innerhalb welcher das Verlangen der Volksabstimmung gestellt werden muß. Die Bemessung dieser Frist hängt wesentlich zusammen mit der Frage, in welcher Weise die Bürger oder die Kantone, welche von dem Art. 89 der Bundesverfassung, Gebrauch machen wollen, ihre Erklärungen abzugeben haben.

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; : Was" Zunächst die Kantonebetrifft, so istklar, daß wenn die Bundesversammlung das Begehren, gestellt von einer Kantonsregierung in ihrem Namen, ohne-Genehmigung oder Auftrag ihrer, obern gesezgebenden Behörde, für genügend erachten stillte, es keiner Frist von 90 Tagen bedürfte, um 8 Kantone, d. h. die Erklärungen von 8 Kantonsregierungen zusammen zu bringen. Wird verlangt, daß solche Initiativerklärungen für Volksabstimmung von den Großen Räthen auszugehen haben, so bedarf es schon einer längern Frist, und wollte man gar die Abgabe einer solchen Erklärung als förmliches kantonales Ständevotum behandeln, so würde, da in einer Reihe von Kantonen das eigentliche Standesvotum nur vom Volke ausgesprochen werden kann, die Frist von 90 Tagen zu kurz sein.

Aehnlich verhielt es sich mit dem Verlangen von 30,000 Schweizerbürgern um Volksabstimmung. Will man mit Riiksicht darauf, daß, wenn 30,000 stimmberechtigte Schweizerbürger es verlangen , das ganze Schweizervolk zur Abstimmung gerufen werden muß, gegen Mißbrauch gewisse Garantie sowohl betreffend die Zahl als die Stimmberechtigung aufstellen und fordern, daß das Begehren durch Einzelunterschrift gestellt, sowie daß die Stimmberechtigung der Unterzeichner amtlich bezeugt sei, so muß für die Sammlung der dreißig Tausend ein Frist gewährt werden, welche gestattet, diesen Bedingungen ein Genüge zu leisten. Wollte man von der Forderung persönlicher Unterzeichnung absehen und die Stimmabgabe an eigens zu diesem Zweke abgehaltenen öffentlichen Gemeindeversammlungen als genügend anerkennen, so könnte auch die Frist für die Stellung des Begehrens verkürzt werden.

Mit Rüksicht auf die Vorschläge, welche wir im Art. 4 betreffend die Abstimmungsbegehren von Bürgern, und im Art. 5 betreffend das von Kantonen ausgehende Verlangen machen, erachten wir eine Frist von 90 Tagen erforderlich und genügend. Eine ausreichend bemessene Frist hat den nicht geringen Vortheil, daß, wenn es gegenüber einem Bundesgesez zu einer oppositionellen
Bewegung kommt, dieselbe ruhiger sich gestalten und ihren Zwek erstreben und erreichen kann, ohne unstatthafte Mittel in Anwendung zu bringen, während eine sehr kurz bemessene Frist, abgesehen davon, daß sie schon von vornherein Mißtrauen zu erwirken geeignet ist, im gegebeneu Falle zu Agitationen nöthigt, die Dis-

1005 kussion unterdrükt, Bestürmung der Bürger veranlaßt und leicht auch Ungesezlicbkeiten in Betreff der Unterschriften nahe legt.

Es ist .nicht zu leugnen, daß die Frist von 90 Tagen, während welcher die Geseze und Beschlüsse-in suspense bleiben, für den Gang der eidgenössischen Angelegenheiten viel Unbequemes, hiu und wieder wohl auch Nachtheiliges bringen kann. Indessen hat diese obligatorische Wartezeit, welche zwischen dem Erlaß eines Gesezes durch die Räthe und dessen Inkrafttreten liegt, doch auch die vortheilhafte Kehrseite, daß während dieser Zeit,die Vollziehung eines Gesezes durch vollständige Bereithaltung der nöthigen Verordnungen und Instruktionen viel sorgfältiger .und präziser -vorbereitet werden kann, als dies dann der Fall ißt, wenn dem Erlaß eines Gesezes dessen Inkrafttreten unvorzüglich folgt.

Der Art. 4 handelt von; der Form, in welcher das Begehren, sofern es von Bürgern ausgeht, zu stellen ist. : Wir haben hier als einzigen Modus für den Beitritt zu einem Volksabstimmungsbegehren, welches selbstverständlich in schriftlicher Eingabe an den Bundesrath zu richten ist, die persönliche Erklärung des einzelnen Bürgers durch eigenhändige Unterschrift angenommen. Es handelt sieh um eine durchaus individuelle Willensäußerung, die unabhängig von der politischen Gemeinde ihren Ausdruk soll finden können und die andererseits die politische Gemeinde auch nicht in Anspruch zu nehmen hat, um die Erklärung des Einzelnen zu vermitteln. Eine Kombination der beiden Wege, Erklärung durch Unterschrift und, Erklärung durch Stimmabgabe an einer ad hoc zu berufenden Gemeindeversammlung öffnet, wie die Erfahrung bewiesen, verschiedenen Mißbräuchen die Thüre und ermöglicht namentlich doppeltes Eintreten eines Bürgers, ohne daß eine sichere Kontrole darüber geführt werden könnte, da in einer Gemeinde nur Stimmen gezählt, die Namen aber nicht aufgenommen werden. Ist die persönliche, schriftliche Unterzeichnung für den Bürger mit etwas mehr Unbequemlichkeit verbunden, als die einfache Stimmabgabe an einer öffentlichen Gemeindeversammlung, so dürfte doch die Bequemlichkeit des Einzelnen, angesichts der großen Kosten und Lasten, welche mit der zu provozirenden allgemeinen Volksabstimmung verbunden sind, nicht so sehr ins Gewicht fallen.

Der Entwurf verlangt dafür, daß die einzelne Unterschrift echt sei,
keine besondere Beglaubigung. Die Strafgeseze haben gegen Betrug durch falsche Namensunterschrift Strafbestimmungen, und es genügt, darauf hinzuweisen, daß wer unter ein Abstimmungsbegehren eine andere Unterscürift als die seinige sezt, der Anwendung der bezüglichen Strafbestimmungen unterliegt.

1006 Die Stimmberechtigung der Unterzeichner dagegen muß positiv bezeugt sein, da ohne diese Kontrole die Schranken, welche die Verfassung durch Forderung von 30,000 stimmberechtigten Schwcizerbürgern gesezt hat, mit Leichtigkeit illusorisch gemacht werden könnte. Wir haben hiefür "die Vorschrift aufgenommen, welche das Bundesgesez betreffend die Begehren der Revision der Bundesverfassung vom 5. Christmonat 1867, im Art. 2, Alinea 2 und 3 aufgestellt hat\ wobei wir ausdrüklich hervorheben wollen, daß die Bezeugung der Stimmberechtigung vom Vorstand der Gemeinde, wo der Unterzeichner seine politischen Rechte ausübt, nicht verweigert und nicht mit Taxen belegt werden darf.

Der Art. 5 behandelt den Fall, wenn ,,Kantone" das Verlangen der Volksabstimmung stellen. Hier fragt sich zunächst, ob die Bundesgesezgebung kompetent ist, von sich aus festzustellen, von wem in diesem Falle das Begehren auszugehen habe ? Wir bejahen diese Frage. Wenn Art. 90 der Bundesverfassung sagt : .,,Die Bundesgesezgebung wird bezüglich der Formen und Fristen der Volksabstimmung das Erforderliche festsezena, so bezieht sich dies ebenso sehr auf die Formen und Fristen, welche von Kantonen zu beobachten sind, wenn sie ein Begehren von Volksabstimmung stellen, als auf diejenigen, welche für die von Bürgern gestellten Begehren zur Anwendung kommen sollen.

Es wird auch zwekmäßig sein, wenn das Gesez selbst in bestimmter Weise darüber statuirt, von wem ein kantonales Begehren auszugehen habe. Geschieht dies nicht, so muß nothwendig deiFall eintreten, daß die Kantone nach Gutfinden die fragliche Kompetenz ertheilen, und daß in dem einen Kanton ein Begehren um Volksabstimmung lediglich von der Regierung ausgehen kann, während ein anderer Kanton dasselbe von dem Resultate einer kantonalen Volksabstimmung abhängig macht. Nach dem gegenwärtigen Stande der kantonalen Verfassungen und Gesezgebungen würden nothwendig sofort Zweifel entstehen, wer zur Abgabe der fraglichen · Erklärung, die dann doch nicht als eigentliches Standesvotum zu betrachten ist, die Kompetenz habe. So kann es den Kantonen selbst nur erwünscht sein, wenn durch eine bundesgesezliche Bestimmung diese Schwierigkeiten beseitigt und dem Eintreten von stoßender Ungleichheit vorgebeugt wird.

Der Entwurf schlägt vor, es habe das Begehren, wenn es von einem Kanton gestellt
werden will, von dessen Großem Rath oder von der Landesgemeincle auszugehen. Acht Begehren, von diesen Instanzen ausgehend, mögen wohl den 30,000 einzelnen Bürgern an die Seite gesezt werden, wogegen acht lediglich von kantonalen

1007 idministrativen Oberbehörden gestellte Begehren ein gleiches Gericht kaum beanspruchen dürften.

Die Bestimmungen, welche in den Art. 6 bis 15 enthalten sind, Dedürfen, als in der Natur der Sache liegend, keiner besondem Begründung.

Die beiden Art. 16 und 17 bilden die zweite Abthcilung des Entwurfes. Sie handeln von den Bundesbeschlüssen, welche der fakultativen Volksabstimmung nicht unterliegen. Nach dem Wortlaut der Verfassung, sind dies solche Bundesbeschlüsse, welche nicht allgemein verbindlich oder welche dringlich sind.

·o^ Der Art. 16 sagt bestimmt, daß es Sache der Bundesversammlung sei, zu entscheiden, ob ein Beschluß in die eine dieser beiden Kategorien falle, und zwar, um durchaus keinen Zweifel darüber bestehen zu lassen, daß es nicht in der Kompetenz der vollziehenden Behörden sei, die Bundesbeschlüsse nach ihrem Ermessen der fakultativen Volksabstimmung zu unterstellen, oder aber sie derselben zu entziehen.

Auch hier könnte mau nun vielleicht eine nähere Definition vermissen, eine scharfe und eklare Begriffsbestimmung von ,,allgemein verbindlichen''- und ,,nicht allgemein verbindlichen" Beschlüsse, dnrch welche der möglichen Willkür der Bundesversammlung selbst eine feste Schranke gesezt würde. Wir können aber auch bezüglich dieser Definition nur wiederholen, was wir oben bezüglich einer begrifflichen Ausscheidung zwischen Gesez und Beschluß zu bemerken hatten. Wie wenig die Klarheit übrigens bei weitem Definitionen gewinnen würde, mag man daraus ersehen, daß schon das ,,allgemein verbindlich"' im französischen Text sich nicht vollständig gleich wiedergegeben findet, indem ,,arrêtés d'une portée générale"- offenbar eine elastischere Kategorie sind, als ,,allgemein verbindliche'1 Beschlüsse. Wir glauben gut zu thun, hier einfach den Wortlaut der Verfassung stehen zu lassen und damit der Bundesversammlung die unbeschränkte Möglichkeit zu wahren, in jedem einzelnen Fall zu entscheiden, ob einem Beschluss", seinem ganzen Inhalte nach der Charakter eines allgemein oder nicht allgemein verbindlichen zukomme, sowie, ob die in einem Beschlüsse enthaltenen Maßregeln und Anordnungen dringender oder nicht dringender Natur seien.

Der Art. 17 verlangt, daß wenn ein Bundesbeschluß der fakultativen Volksabstimmung nicht offen gelassen werden, sondern ausnahmsweise sofort zur Vollziehung gelangen soll, sei es, weil derselbe als nicht allgemein verbindlich oder aber als dringlich au-

L

1008' gesehen wird, die gesezgebende Behörde dies in dem Beschlüsse selbst ausdrüklich ausspreche.

Das vorliegende Bundesgesez unterliegt selbst der eventuellen Volksabstimmung. Es müssen also durch Uebergangsbestimmungen, welche sofort in Kraft treten, die Formen und Fristen festgestellt werden, welche für ein allfälliges Begehren von Bürgern oder Kantonen um Volksabstimmung über dieses Bundesgesez zur Anwendung kommen sollen.

Es geschieht dies in einfacher Weise dadurch, daß übergangsweise das in dem Gesez für Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse aufgestellte Verfahren auf dieses Gesez selbst angewendet wird.

" Indem wir uns auf diese erläuternden Bemerkungen beschränken, benuzen wir den Anlaß, Ihnen, Tit., unserer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 29. Mai 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der 0 Bu n des p räsi d e n t:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

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(Entwurf)

Bundesgesez betreffend

Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse.

Die Bundesversammlung der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach. Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 29. Mai 1874; in Vollziehung der Artikel 89 und 90 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, beschließt: Art. 1. Bundesgeseze, sowie allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse, die nicht dringlicher Natur sind, sollen dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn 30,000 stimmberechtigte Schweizerbürger oder 8 Kantone dies verlangen. (Bundesverfassung Art. 89.)

Art. 2. Alle Bundesgeseze, sowie solche Bundesbeschlüsse, welche nicht als dringlich oder als nicht allgemein verbindlich erklärt werden (Art. "16 und 17) sind unmittelbar nach ihrem Erlaß zu veröffentlichen und den Kantonsregierungen in einer angemessenen Anzahl von Exemplaren zuzustellen.

Art. 3. Das Verlangen der Volksabstimmung, sei es, daß es von Bürgern oder von Kantonen ausgeht, muß innerhalb 90 Tagen, vom Tage der Veröffentlichung des fraglichen Gesezes oder Bundesbeschlusses im Bundesblatte an gerechnet, gestellt werden.

Art. 4. Das Verlangen wird auf dem Wege der schriftlichen Eingabe an den Bundesrath gerichtet.

1010 Der-Bürger, der das Verlangen stellen oder unterstüzen - will, hat dasselbe eigenhändig zu unterzeichnen. Wer unter eine-solche Eingabe eine andere Unterschrift als die: seinige sezt unterliegt der Anwendung der Bestimmungen der Strafgeseze. Die Stimmberechtigung jedes.Unterzeichneten ist vom Vorstand der Gemeinde, wo der .Unterzeichner. seine politischen Rechte ausübt, zu bezeugen.

Für diese Amtsverrichtung dürfen keinerlei Taxen bezogen werden..

Art. 5. Wenn Kantone .das Verlangen der Volksabstimmung stellen, : so hat dasselbe von dem Großen Rath odervon "der,.Landsgemeinde auszugehen.

Art. 6. Wenn innerhalb 90 Tagen nach Veröffentlichung eines Bundesgesezes oder Bundesbeschlusses im Bundesblatt eia Begehren tun Volksabstimmung nicht gestellt Ut, oder wenn solche Begehren innerhalb genannter Frist zwar eingelangt sind, es sich aber an Folge amtlicher-Zusammenstellung, und Prüfung erweist, daß dieselben weder von 30,000 stimmberechtigten Schweizerbürgern, noch von 8 Kantonen unters tüzt sind, so erklärt der Bundesrath das betreffende Bundesgesez oder den betreffenden Bundesbeschluß als in.Kraft getreten, und ordnetdessen Vollzug und Aufnahme in die amtliche Gesezsammlung an.

; .Die Zahl der für Volksabstimmung .eingelangten Unterschriften wird nach Kantonen und Gemeinden .im Bundesblatt veröffentlicht, ebenso die von Kantonen nach Art. 6 gestellten Begehren. Ueber'dics -wird der Bundesrath der Bundesversammlung in ihrer nächstfolgenden Sizung unter Vorlegung der Akten-Bericht erstatten.

Art. 7. Ergibt sich hingegen aus der Zusammenstellung und aus der Prüfung der Eingaben, daß das Begehren um Volksabstimmung von der erforderlichen Anzahl stimmberechtigter Schweizerbürger oder Kantone unterstüzt ist. so beschließt der Bundesrath die Vornahme der allgemeinen Volksabstimmung, sezt die Kantonsregierangen davon in Kenntniß, und sorgt für beförderliche und geeignete allgemeine Bekanntmachung des. der Abstimmung zu unterstellenden Bundesgesezes oder Bundesbeschlusses.

Art. 8. Die Stimmgebung des schweizerischen Volkes erfolgt auf dem ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft an einem und .demselben Tage. Dieser Tag wirddurch den Bundesrath festgesezt.

Es darf jedoch die Abstimmung nicht früher als vier Wochen nach geschehener ausreichender Bekanntmachung des fraglichen Bundesgesezes oder Bundesbeschlusses geschehen.

1011 Art. 9. Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, welcher das wanzigste Altersjahr zurükgelegt hat und im Uebrigen nach der esezgebung des Kantons, in welchem er seinen Wohnsiz hat, nicht om Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist.

Art. 10. Jeder Kanton ordnet die Abstimmung auf seinem ebiete iete nach den den bundesgesezlichen l Vorschriften über eidgenössische bstimmungen an.

Art. 11. lieber die Abstimmung ist in jeder Gemeinde, bezieungsweise in jedem Kreise, ein Protokoll aufzunehmen, in weichein enau anzugeben ist, wie viele Stimmen das dem Volksentscheid unterworfene Bundesgesez, beziehungsweise den Bundesbeschluß angenommen und wie viele ihn verworfen haben.

Art. 12. Die Kantonsregierungen haben die Protokolle über lie Abstimmungen dem Bundesrathe innerhalb 10 Tagen zu übersenden und halten die Stimmkarten zu dessen Verfügung.

Der Bundesrath wird auf Grundlage derselben, das Ergebniß 1er Abstimmung erwahren.

O Art. 13. Das Bundesgesez oder der Bundesbeschluß ist als angenommen zu betrachten, wenn die Mehrheit der stimmenden Schweiserbürger sich dafür ausgesprochen hat.

In diesem Falle ordnet der Bundesrath dessen Aufnahme in die ammtliche Gesezsammlung und Vollziehung an.

Art. 14. Erzeigt sich dagegen, daß eine Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger die Vorlage verworfen hat, so ist sie als dahingefallen zu betrachten, und es unterbleibt deren Vollziehung.

Art. 15. In beiden Fällen veröffentlicht der Bundesrath die Resultate der Abstimmung und erstattet der Bundesversammlung in ihrer nächsten Sizung Bericht.

Art. 16. Die Bestimmung darüber, ob ein Bundesbeschluß entweder als nicht allgemein verbindlich oder als dringlich zu behandeln sei, steht der Bundesversammlung zu.

Art. 17. Wenn ein Bundesbeschluß als nicht allgemein verbindlich oder als dringlich erklärt werden soll, so ist dies i a dem Beschlüsse selbst ausdrüklich auszusprechen.

In diesem Falle ordnet der Bundesrath, unter Aufnahme des Beschlusses in die amtliche Gesezsammlung, dessen Vollziehung au.

1012 Art. 18. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Gesezes beauftragt.

Uebergangsbestimmung.

Art. 1. Vorstehendes Bundesgesez ist im Bundesblatt zu veröffentlichen und den Kantonsregierungen in einer angemessener Zahl von Exemplaren zuzustellen.

Art. 2. Sämmtliche Bestimmungen desselben finden auf dieses Gesez selbst Anwendung.

Art. 3. Diese Uebergangsbestimmungen treten sofort in Kraft.

Art. 4. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung derselben beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse. (Vom 29. Mai 1874.)

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1874

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06.06.1874

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1001-1012

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