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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Ratifikation des mit den Vereinigten Staaten Amerikas abgeschlossenen Schiedsvertrags.

(Vom 5. Juni 1908.)

Tit.

Mit Botschaft vom 19. Dezember 1904 (Bundesbl. 1904, VI, 688) hatten wir Ihnen eine Anzahl Schiedsverträge, darunter den am 21. November 1904 mit den Vereinigten Staaten Amerikas abgeschlossenen, zur Ratifikation unterbreitet.

Der Schiedsvertrag mit den Vereinigten Staaten bestimmte im Art. I, dass Streitigkeiten, die rechtlicher Natur sind, oder die sich auf die · Auslegung bestehender Verträge beziehen und auf diplomatischem Wege nicht haben erledigt werden können, dem ständigen Schiedsgerichtshof im Haag zu unterbreiten seien, soweit nicht die Lebensinteressen, die Ehre und die Unabhängigkeit der beiden vertragschliessenden Staaten oder die Interessen Dritter berührt würden.

Nach Art. II sollte in jedem einzelnen Falle eine besondere Vereinbarung (,,compromis spécial", im englischen Texte : -,,special agreement") abgeschlossen werden, welche den Streitgegenstand und die Befugnisse der Schiedsrichter genau zu um-

94 schreiben und die Fristen für die Bildung des Schiedsgerichts und das Verfahren festzusetzen hätte.

Am 11. Februar 1905 ratifizierte der Senat der Vereinigten Staaten die mit der Schweiz und einer Anzahl anderer Staaten abgeschlossenen Sehiedsverträge, glaubte jedoch, eine Änderung daran vornehmen zu sollen, indem er die Worte ,,special agreement" (,,compromis spécial", ,,besondere Vereinbarung''-) im Art. II durch das Wort ,,treaty" (traité, Vertrag) ersetzte.

Die Bedeutung dieser Änderung liegt darin, dass nach der amerikanischen Verfassung ein ,,treaty" von einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Senats genehmigt werden muss, um perfekt zu werden, während ein ,,agreement" dieser Genehmigung nicht bedarf.

Der amerikanische Senat behielt sich also vor, in jedem Falle zu entscheiden, ob das Schiedsgericht anzurufen sei oder nicht.

Es war nämlich im Senat darauf hingewiesen worden, dass es auf Grund der von der Bundesregierung abgeschlossenen Sehiedsverträge auswärtigen Gläubigern möglich wäre, einige Staaten der Union wegen gewisser Schulden vor dem Haager Schiedsgericht zu belangen. Und diese Bedenken hatte der Präsident der Vereinigten Staaten umsonst zu zerstreuen gesucht, indem er in einem an den Senator Cullom gerichteten, in ,,The Washington Posta vom 12. Januar 1905 veröffentlichten Schreiben folgendes ausführte : ,,Kein Präsident wird je eine solche Auslegung der Verträge zulassen. Die Käufer von Titeln einzelner Staaten der Union haben genau gewusst, dass die Bundesregierung nach der Verfassung die Rückzahlung nicht verbürgen konnte, und dass die Gläubiger lediglich auf den Kredit des Schuldnerstaats angewiesen wären. Die Bundesregierung könnte Ansprüche dieser Art an einen Staat der Union ebensowenig einem Schiedsverfahren unterwerfen wie Reklamationen, die sich etwa gegen ein ,,county" oder eine ,,municipality" richten würden. Ich bin daher der Ansicht, dass der Abänderungsantrag überflüssig ist, und dass man sich hüten sollte, den bereits von mehreren Mächten angenommenen Verträgen ohne Notwendigkeit Bestimmungen beizufügen, die unsere innere Politik betreffen. Warum sollen wir uns mit einer Frage befassen, welche die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den einzelnen Staaten berührt und die infolgedessen nie

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und nimmer einem fremden Schiedsgericht unterbreitet werden dürfte ?"

Dessenungeachtet wurde der Abänderungsantrag mit 50 gegen 9 Stimmen angenommen.

Der Präsident der Vereinigten Staaten zog darauf die mit der Schweiz und ändern Staaten abgeschlossenen Schiedsverträge zurück, weshalb auch die Ratifikation des Ihnen vorgelegten Vertrages vom 21. November 1904 unterblieb.

·*D^ Nach Abschluss der zweiten Haager Friedenskonferenz knüpfte die Regierung der Vereinigten Staaten Verhandlungen mit mehreren Staaten an, um neue Schiedsverträge abzuschliessen. Auch der Bundesrat wurde angefragt, ob er geneigt wäre, einen Schiedsvertrag zu schliessen, welcher dem Vertrage vom 21. November 1904 mit der einzigen Abänderung entspräche, dass Art. II wie folgt lauten würde.

,,Dans chaque cas particulier, les Hautes Parties contractantes, avant de s'adresser à la Cour permanente d'arbitrage, signeront un compromis spécial déterminant nettement l'objet du litige, l'étendue des pouvoirs des arbitres et les délais à observer en ce qui concerne la constitution du tribunal arbitral et les différentes phases de la procédure. Il est entendu que de tels compromis spéciaux (such special agreements) seront, de la part des Etats-Unis, conclus par le Président des EtatsUnis avec l'avis et le consentement du Sénat."

Wir gingen auf den Vorschlag des Washingtoner Kabinetts ein, verlangten aber im Namen der Gleichheit beider Kontrahenten, dass jener Vorbehalt auch zu gunsten der schweizerischen Bundesversammlung gemacht werde. Wir schlugen daher vor, den letzten Passus des Art. II wie folgt abzufassen : ,,II est entendu que de tels compromis spéciaux seront, de la part de la Suisse, conclus par le Conseil fédéral de la Confédération suisse, avec l'avis et le consentement de l'Assemblée fédérale, et, de la part des Etats-Unis, par le Président des Etats-Unis, avec l'avis et le consentement du Sénat."

Die Regierung der Vereinigten Staaten nahm diesen Antrag an, und am 29. Februar 1908 wurde der Schiedsvertrag von den Bevollmächtigten der beiden Regierungen in Washington unterzeichnet. Der amerikanische Senat genehmigte ihn am 6. März abhin.

96 Indem wir Sie ersuchen, diesem auf fünf Jahre abgeschlossenen Vertrage Ihre Ratifikation ebenfalls erteilen zu wollen, benützen wir diesen Anlass, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 5. Juni 1908.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rangier.

Beilage : Schiedsvertrag zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten Amerikas.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Ratifikation des von der Schweiz mit den Vereinigten Staaten Amerikas abgeschlossenen Schiedsvertrags.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 5. Juni 1908; in Anwendung von Artikel 85, Ziffer 5, der Bundesverfassung, beschliesst: I. Der am 29. Februar 1908 in Washington unterzeichnete Schiedsvertrag der Schweiz mit den Vereinigten Staaten Amerikas wird genehmigt.

II. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Bundesblatt. 60. Jahrg. BJ. IV.

98 Übersetmny.

Schiedsvertrag zwischen der

Schweiz und den Vereinigten Staaten Amerikas.

(Vom 29. Februar 1908.)

Die Regierung der schweizerischen Eidgenossenschaft und die Regierung der Vereinigten Staaten Amerikas, als Mitunterzeichner der am 29. Juli 1899 im Haag unterzeichneten Konvention für die friedliche Schlichtung internationaler Streitigkeiten ; in Erwägung, dass die hohen vertragschliessenden Teile durch Artikel 19 dieser Konvention sich vorbehalten haben, Verträge abzuschliessen, um alle Fragen schiedsgerichtlicher Beurteilung zuzuführen, die ihrer Ansicht nach derselben unterstellt werden können, haben die Unterzeichneten ermächtigt, folgenden Vertrag abzuschliessen : Artikel I.

S t r e i t i g k e i t e n , die rechtlicher Natur sind, oder die sich auf die Auslegung der zwischen den beiden vertragschliessenden Teilen bestehenden Verträge beziehen, sollen, sofern sie nicht auf diplomatischem Wege haben erledigt werden können, dem durch die Konvention vom 29. Juli 1899

99 eingesetzten ständigen Schiedsgerichtshof im Haag unterbreitet werden. Dabei ist jedoch vorausgesetzt, dass solche Streitigkeiten weder die Lebensinteressen noch die Unabhängigkeit oder die Ehre der beiden vertragschliessenden Staaten und ebensowenig die Interessen dritter Mächte berühren.

Artikel II.

In jedem Einzelfalle sollen die hohen vertragschliessenden Teile, bevor sie den ständigen Schiedsgerichtshof anrufen, eine besondere Vereinbarung abschliessen, die den Streitgegenstand, den Umfang der Befugnisse der Schiedsrichter und die Fristen klar bestimmt, die für die Bildung des Schiedsgerichts und das Verfahren einzuhalten sind. Es ist vereinbart, dass solche besondere Vereinbarungen seitens der Schweiz vom Bundesrate der schweizerischen Eidgenossenschaft, mit dem Beirat und der Zustimmung der Bundesversammlung, und seitens der Vereinigten Staaten vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, mit dem Beirat und der Zustimmung des Senats abgeschlossen werden sollen.

Artikel HI.

Der gegenwärtige Vertrag ist für einen Zeitraum von fünf Jahren, vom Tage der Auswechslung der Ratifikationen an, abgeschlossen.

Artikel IV.

Der gegenwärtige Vertrag soll durch die Regierung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gemäss den Bestimmungen der schweizerischen Bundesverfassung und der schweizerischen Gesetze, und vom Präsidenten der Vereinigten Staaten mit Ermächtigung des amerikanischen Senats ratifiziert werden.

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Die Ratifikationen dieses Vertrages sollen so bald wie möglich in Washington ausgewechselt werden, und derselbe soll am Tage der Auswechslung der Ratifikationsurkunden in Kraft treten.

Also in doppelter Ausfertigung, in französischer und englischer Sprache, vollzogen zu W a s h i n g t o n , den neunundzwanzigsten Februar des Jahres 1908.

(L. S.)

(L. S.)

~5«>*^

L. Vogel.

Elihu Root.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Ratifikation des mit den Vereinigten Staaten Amerikas abgeschlossenen Schiedsvertrags. (Vom 5. Juni 1908.)

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10.06.1908

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