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8253 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft und die Erweiterung der Bundesanwaltschaft.

(Vom 29. April 1985.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiemit den Entwurf zu einem dringlichen Bundesbesohluss betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft und die Erweiterung der Bundesanwaltschaft mit unserer Botschaft zu unterbreiten.

1.

Art. 8 des Bundesgesetzes über den Schutz der öffentlichen Ordnung vom 13. Oktober 1933 enthielt folgende Strafbestimmung gegen Amtshandlungen ausländischer Beamter und gegen den politischen Nachrichtendienst für das Ausland : «Wer ohne Bewilligung auf schweizerischem Gebiete Amtshandlungen im Namen eines fremden Staates vornimmt ; wer auf schweizerischem Gebiete im Interesse einer fremden Eegierung oder fremder Behörden Nachrichtendienst über die politische Tätigkeit von Personen oder Parteien betreibt; wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet, wird mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft. Ausländer sind überdies des Landes zu verweisen.

Als besonderer Straferschwerungsgrund gilt es, wenn der Täter zu Handlungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz zu gefährden.» Das Ordnungsgesetz wurde in der Volksabstimmung vom 11. März 1934 verworfen. Am 3. Oktober 1934 wurde eine Verfassungsinitiative zum Schutze der Armee und gegen ausländische Spitzel eingereicht (Bundesbl. 1934, Bd. III,

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S. 596), die die Art. 3 (Untergrabung der militärischen Disziplin) und Art. 8 des "verworfenen Gesetzes wieder aufnahm. Der Bundesrat beabsichtigt, den Eäten eine besondere Vorlage zum Schutze der Armee zu unter breiten. Im vorliegenden Bundesbeschluss werden Strafbestimmungen gegen verbotene Amtshandlungen für einen fremden Staat, gegen den politischen und wirtschaftlichen Nachrichtendienst im Interesse des Auslandes und den militärischen Nachrichtendienst gegen fremde Staaten aufgestellt und die Grundlage für die Erweiterung der Bundesanwaltschaft geschaffen. Der Bundesrat erachtet die Aufnahme der in der Initiative genannten Strafbestimmungen in die Verfassung vom gesetzes^ technischen Standpunkt aus als verfehlt; denn unsere Bundesverfassung ·enthielt bis jetzt keine bestimmten Strafandrohungen. Aus diesem Grunde und weil sich die Strafbestimmungen der Initiative nach den Erfahrungen der letzten Zeit als ungenügend erweisen, wird dem Erlass von Spezialgesetzen gegenüber der Verfassungsinitiative der Vorzug gegeben. Der Schutz der Armee und die Abwehr gegen die Angriffe auf unsere Gebietshoheit lassen sich aber schwerlich im gleichen Spezialgesetz unterbringen. Dazu kommt, dass der Erlass von Strafbestimmungen gegen die Vornahme fremder Amtshandlungen und die Spitzeltätigkeit in jeder Form nach den jüngsten Vorkommnissen dringend geboten ist. Auf die Dringlichkeit der Bestimmungen des vorliegenden Entwurfes hat in der letzten Frühjahrssession auch Herr Ständerat Thalmann anlasslich der Behandlung einer Initiative hingewiesen. Die Strafverfolgungen können aber ohne die schon seit Jahren in Aussicht genommene Eeorganisation der Bundesanwaltschaft nicht wirksam durchgeführt werden. Sie muss deshalb iji den dringlichen Bundesbeschluss einbezogen werden.

Der Bundesrat hat sich gefragt, ob die vorliegenden Bestimmungen wegen ihrer Dringlichkeit in der Form eines auf Art. 102, Ziff. 9 und 10, BV gestützten Bundesratsbeschlusse» zu erlassen sei. Er ist hievon hauptsächlich deshalb abgekommen, weil die Strafbestimmungen und die Eeorganisation der Bundesanwaltschaft nicht bloss vorübergehender Natur sind. Um so mehr erweist es sich als notwendig, den vorliegenden Bundesbeschluss als dringlich zu erklären (Art. 8).

II.

Nach der Verwerfung des Ordnungsgesetzes hat der Kanton Tessin die dort vorgesehenen
Strafbestimmungen, insbesondere auch Ait. 8, mit geringen Abänderungen m einem kantonalen Spezialgesetz aufgenommen. Am 25. März 1985 legte auch der Begierungsrat des Kantons Basel-Stadt den Entwurf zu einem Gesetz betreffend Ergänzung des Strafgesetzes durch Aufnahme von Strafbestimmungen gegen den Nachrichtendienst für einen fremden Staat und unbefugte Amtshandlungen für das Ausland vor. Letzthin wurde im Grossen Eat des Kantons Schaffhausen eine auf Schaffung solcher Strafbestimmungen Kielende Motion eingereicht. Es ist durchaus verständlich, dass sich gerade Grenzkantone gegen solche Übergriffe schützen wollen. Letzten Endes bedeuten aber diese Straftaten einen Angriff auf die Gebietshoheit der Schweiz, so dass

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die Abwehr in erster Linie Sache des Bundes ist. Die in Frage stehenden Vergehen erstrecken sich in vielen Fällen auf das Gebiet mehrerer Kantone. Auch aus diesem Grunde ist die bundesrechtliche Eegelung geboten.

III.

Zu den einzelnen Strafbestimmungen bemerken wir: Die Bestimmung des Art. l betreffend die verbotenen Amtshandlungen für einen ausländischen Staat ist eine Erweiterung des Art. 8. Satz l, des verworfenen B G über den Schutz der öffentlichen Ordnung. Die Strafbestimmung des Art. 8 wurde geschaffen, weil die Anklagekammer des Buiidesgerichts die Anwendbarkeit des Art. 39 des Bundesstrafrechts auf die Umtriebe von, Polizeispitzeln verneint hat. Es bestand die Absicht, jene Handlungen in Wahrung unserer Unabhängigkeit selbständig unter Strafe zu stellen, gleichgültig, ob sie auch geschriebene oder ungeschriebene Sätze des Völkerrechtes verletzen oder nicht. Wir verweisen auf die Ausführungen in der Botschaft und in den Beratungen aber das verworfene Gesetz (Bundesbl. 1933, Bd. I, S. 759: Sten.BulL Nationalrat Ï933, 348, 351; Ständerat 1933, 252).

Der Entwurf spricht allgemein von den Amtshandlungen für einen fremden Staat. Es sind darunter in erster Linie Amtshandlungen der Polizei (Erhebungen, Beschlagnahme, Verhaftung usw.) zu verstehen; darunter fallen im weitern Erhebungen im Interesse der ausländischen Finanz ver waltung (Devisenpolizei, Finanzspionage).

Im 2. Satz des Art. l des vorliegenden Entwurfes ist der Tatbestand der verbotenen Amtshandlung in der Weise erweitert worden, dass jede nicht durch Staatsvertrag, Gesetz, völkerrechtliches Gewohnheitsrecht oder besondere Bewilligung gebotene Unterstützung fremder Amtstätigkeit in die Strafbestimmung einbezogen wird, und zwar ohne Unterschied, ob die Amtshandlung im In- oder Auslande vorgenommen wurde. Als besondere Erscheinung eines solchen Vorschubleistens ist die widerrechtliche Zuführung zu einer Festnahme oder Verhaftung im Auslande und die Vorbereitung einer solchen Entführung hervorgehoben (Fälle Eossi, Weber und Jacob). Damit soll der Frage nicht vorgegriffen werden, ob eine solche Entführung als Gebietsverletzung oder völkerrechtswidrige Handlung im Sinne des Art. 39 des Bundesstrafrechts anzusehen sei. Wir möchten durch eine ausdrückliche Strafvorschrift die absolute Gewissheit darüber schaffen, dass eine derartige Verschleppung und schon die Vorbereitungen hiezu unter allen Umständen bestraft werden.

Art. 2 wiederholt mit einigen Erweiterungen die Strafbestimmung des Art. 8 des Ordnungsgesetzes über den politischen
Nachrichtendienst. Unsere Fassung lehnt sich mehr dem von Nationalrat Farbstein beantragten und im Anschluss an das Ordnungsgesetz redigierten Art. 233ter des Entwurfes zum schweizerischen Strafgesetz an. Neu ist, dass auch der Nachrichtendienst zugunsten einer Partei ausdrücklich genannt ist. Das Ordnungsgesetz wollte mit der Fassung «im Interesse» einer fremden Eegierung oder ausländischen

745 Behörde das gleiche erreichen (Sten Bull Ständerat 1933, 253). Die Strafvorschri-ft wurde auf das Einrichten eines Nachrichtendienstes ausgedehnt. Die Strafverfolgungsbehörde soll schon zufassen können, sobald eine für unsern Staat gefährliche Organisation, ein Bureau, eine Zentrale, entdeckt wird, ohne dass der Nachweis dafür zu leisten wäre, dass bereits Nachrichten eingezogen und übermittelt worden sind. Für den Tatbestand des politischen Nachrichtendienstes genügt aber auch schon eine einmalige Handlung (Überwachen, Einziehen oder Weitergeben der Nachricht usw.) ; es ist nicht nötig, dass ein Nachrichtendienst organisiert worden ist. Wie in der Botschaft zum Ordnungsgesetz heben wir auch hier hervor, dass die Berichterstattung einer Gesandtschaft oder eines Konsulates selbstverständlich keinen unerlaubten Nachrichtendienst bildet.

Art. 3 richtet sich gegen den wirtschaftlichen Nachrichtendienst im Interesse des Auslandes. Im Gegensatz zu Art. 2 wird hier nicht jedes Sammeln und Weitergeben von Nachrichten über wirtschaftliche Verhältnisse unter Strafe gestellt, sondern bloss das Ausspähen und das Zugänglichmachen von Fabrikations- und Geschäftsgeheimnissen im Interesse des Auslandes. Es ist vorgekommen, dass im Interesse ausländischer Finanzämter Erhebungen bei Bankinstituten gemacht worden sind. Der Bundesrat hat Ausweisungen gestützt auf Art. 70 Bundesverfassung verfügt und die Bundesanwaltschaft hat die kantonalen Polizeibehörden auf die Gefahr solcher Übergriffe ausländischer Amtsstellen aufmerksam gemacht. Art. 3 geht über die Vorschrift des Art. 47, Abs. l, lit. fc, des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (Verletzung der Schweigepflicht und des Berufsgeheimnisses) hinaus und richtet sich gegen jede landesverräterische, d. h. im Interesse ausländischer Regierungen. Behörden oder Parteien ausgeübte Verletzung des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses. In diesem Spezialgesetz zum Schutze der Landessicherheit kann dagegen nicht eine Strafvorschrift gegen die bloss zum Zwecke des Wettbewerbes begangene Geheimnisverletzung geschaffen werden (vgl. Art. 139 des Strafgesetzentwurfes). Wegen Verletzung militärischer Geheimnisse unserer Landesverteidigung können auch Zivilpersonen nach Art. 2, Ziff. 8, und 86 des Militärstrafgesetzes verfolgt werden. Hervorzuheben
ist, dass auch die im Ausland begangene Handlung strafbar ist, sofern i^ie sich gegen das Geheimnis eines inländischen, d. h. auf schweizerischem Gebiet gelegenen Geschäftes oder Betriebes richtet.

Art.,4 befasst sich in erster Linie mit dem militärischen Nachrichtendienst des Auslandes zum Nachteil der Schweiz. Art. 86 des Militärstrafgesetzes -- der ausdrücklich vorbehalten wird --· bezieht sich "bloss auf die Ausspähung von Tatsachen, Vorkehren, Verfahren oder Gegenständen, die« geheim gehalten werden (Verletzung militärischer Geheimnisse). Der militärische Nachrichtendienst kann sich aber auch auf Dinge erstrecken, die an sieh nicht geheim gehalten werden, deren Ausspähung jedoch ebenfalls den Interessen unserer Landesverteidigung zuwiderläuft. -- Der Bundesrat hat

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zu Beginn des Weltkrieges zur Wahrung unserer Neutralität besondere Strafbestimmungen gegen den Nachrichtendienst zum Nachteil eines fremden Staates erlassen (vgl. Art. 5 der Verordnung über den Kriegszustand vom . August 1914, Bundesratsbeschluss betreffend den Nachrichtendienst zugunsten fremder Mächte vom 22. Februar 1916, Burckhardt, Bundesrecht Bd. IV, Nr. 2030). Der nämliche Tatbestand ist in den Art. 265 des Strafgesetzentwurfes und 98 des Militärstrafgesetzes, hier allerdings allgemein gültig nur in Kriegszeiten, vorgesehen. Die militärische Agententätigkeit macht sich auch heute in der Schweiz wieder stärker bemerkbar und hat schon zu Ausweisungen gemäss Art. 70 Bundesverfassung geführt. Die Aufnahme einer solchen Strafbestimmung ist gegenwärtig weniger zur Wahrung der Neutralität als zum Schutze unserer Landsleute geboten, die von ausländischen Agenten zum Nachrichtendienst angeworben und in einen andern ausländischen Staat gesandt werden, wo sie der Gefahr einer schweren Bestrafung ausgesetzt sind.

Es haben sich schon mehrere solche bedauernswerte Fälle ereignet. Bin militärischer Nachrichtendienst wird oft gleichzeitig mit dem politischen betrieben.

Auch beim militärischen Nachrichtendienst genügt ein einzelnes Einziehen oder Weitergeben von Nachrichten. Wie die Praxis des Bundesstrafgerichts angenommen hat, kann sich der militärische Nachrichtendienst nicht nur auf rein militärische, sondern auch auf politische und wirtschaftliche Fragen beziehen, die die fremden Militärstellen interessieren.

Art. 5 enthält den Hinweis auf die allgemeinen und die presserechtlichen Bestimmungen des Bundesstrafrechtes. Er führt ausdrücklich die Landesverweisung als fakultative Nebenstrafe an, in der Meinung, dass der Eichter in allen schwereren Fallen die Strafe ausspricht.

Gremäss Art. 6 wird für die Beurteilung der strafbaren Handlungen die Bundesgerichtsbarkeit mit der Möglichkeit der Delegation an die kantonalen Behörden vorgesehen. Vgl. Art. 18 und 254 f. des Bundesgesetzes über die Bundesstraf rechtspf lege.

IV.

Im engen Zusammenhang mit den vorstehenden Strafbestimmungen steht die Erweiterung der B u n d e s a n w a l t s c h a f t durch Einstellung eigener Polizeiorgane (Art. 7). Eine durchgreifende Erfassung und Verfolgung jener Straftaten ist ohne Eeorganisation dieses Amtes nicht möglich.
Schon im Bericht des Chefs des Generalstabes der Armee an den General über die Mobilmachung und über den Verlauf des Aktivdienstes wird auf die Mängel der bestehenden Polizeiorganisation hingewiesen. «Die Bekämpfung dieser Spionage (Spionageabwehr) konnte niemals zu vollem Erfolge gelangen und uns auch deshalb nicht das von ihr billigerweise erwartete Ergebnis liefern weil die Zwiefältigkeit in der Organisation des schweizerischen Polizeiwesens eine zweckmässige und rasche Verfolgung und Erledigung der Fälle verunmöglichte. Die Fäden der einzelnen Spionagefälle zogen sich zumeist über das

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Gebiet mehrerer Kantone, und da die Bundesanwaltschaft für die 'Nachforschungen über kein eigenes Personal verfügte, sondern auf die Tätigkeit -einer nicht selten ungeschickten, zuweilen selbst widerstrebenden kantonalen oder Gemeindepolizei angewiesen war, so gelang es oft nicht, die verworrenen Irrgänge der Spionage rechtzeitig und vollständig aufzudecken» (S. 354).

In der Bundesversammlung ist seit mehreren Jahren von der Schaffung einer Bundespolizei die Eede gewesen, insbesondere nach den Genfer Unruhen vom November 1932 und zuletzt bei der Interpellation Thalmann. Vgl. Sten Bull Nationalrat 1932, 938. 981. Das Justiz- und Polizeidepartement hat diese Frage eingehend geprüft. Die Bundesanwaltschaft arbeitete nach Fühlungnahme mit kantonalen Polizeichefs mehrere Berichte und Entwürfe aus. Das Departement unterbreitete die Frage auch den kantonalen Polizeidirektoren (Kreisschreiben vom 7. und Polizeidirektorenkonferenz vom 19. Februar 1984).

In dieser Polizeidirektorenkonferenz wurde die Notwendigkeit eines Ausbaues ·der Bmidesanwaltschaft in polizeilicher Hinsicht allgemein anerkannt und sogar als Gebot der Stunde bezeichnet. Dagegen zeigten sich Schwierigkeiten in bezug auf das Zusammenarbeiten mit der kantonalen Polizei und insbesondere Widerstände gegen die der Konferenz vorgelegten Richtlinien für die Schaffung einer Sicherheitspolizei.

Die heutige Vorlage sieht lediglich einen Ausbau der Bundesanwaltschaft vor. Von der Schaffung einer Schutzpolizei, d. h. einer für den Ordnungsdienst bestimmten Polizeitruppe de? Bundes, ist nicht die Eede und ebensowenig von der Grnndung einer eigenen Staatspolizei des Bundes, die ihre besondern Aiiigaben selbständig und ohne Verbindung mit der kantonalen Polizei durchführen würde. Es muss auch bei der Lösung dieser Aufgabe auf unsere bundesstaatlicheii Verhältnisse und die verfassungsmässige Verteilung der Aufgaben auf Bund und Kantone abgestellt werden (vgl. Burckhardt, Kommentar zur Bundesverfassung S. 126, 679, 739). Sowohl die grundsätzliche Bestimmung des Art. 7 als auch die darauf gestützte Organisation müssen von einem Zusammenarbeiten der Polizeiorgane der Bundesanwaltschaft mit der kantonalen Polizei ausgehen. Der Bundesstrafprozess sieht ausdrücklich die Ermittlungen der kantonalen Polizei bei der Verfolgung von Bundesstrafsachen vor. Diese
Zuständigkeit der kantonalen Polizei bleibt bestehen. Ebensowenig will die neue Ordnung die bisherige politische Polizei der Kantone ausschalten. Wie im nachstehenden näher ausgeführt wird, handelt es sich darum, das Zusammenwirken der zentralen Bundesbehörde mit der kantonalen Polizei aktiver zu gestalten und dem Bunde die Möglichkeit zu geben, die im Bundesinteresse erforderlichen Ermittlungen nötigenfalls selbst zu treffen. EP ist keineswegs beabsichtigt, die Kriminalpolizei in Bundesstrafsachen und die politische Polizei als'ausschliessliche Bundessache zu erklären.

Ein Ausbau der Bundesanwaltschaft ist schon mit Bücksicht auf die immer zunehmende Geschäftslast nicht mehr zu umgehen (Sten Bull Nationalrat 1932, 267; 1933, 146, 150). Die Einstellung polizeilich geschulter Beamter

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erweist sich als notwendig für die Bewältigung der diesem Amte angegliederten, auf internationalen Konventionen beruhenden Zentralstellen, insbesondere derjenigen zur Bekämpfung der Geldfälschung und des Verkehrs mit Betäubungsmitteln. Bei dieser Gelegenheit soll nun die Bundesanwaltschaft in polizeilicher Hinsicht in der Weise erweitert werden, dass ihr eine Anzahl Polizeiorgane zur Verfügung gestellt wird, die sie instandsetzen, die Verbindung mit den kantonalen Polizeibehörden (Information, Weisungen) aktiver zu gestalten und die ihr nach Massgabe des Bundesstrafprozesses zukommenden Ermitthingen (vgl. insbesondere Art. 100 f., 259) sowie die Erhebungen im Interesse der innern und äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft selbständig durchzuführen. Die kriminalpolizeilichen Aufgaben der Bundesanwaltschaft bei der Verfolgung der strafbaren Handlungen des Bundesrechts haben sich mit dem Inkrafttreten des Bundesstrafprozesses erweitert. Die dem Bundesanwalt zukommende Leitung der Ermittlungen in Bundesstrafsachen, deren Beurteilung in die Zuständigkeit der Bundesassisen oder des Bundesstrafgerichts fällt, schliesst auch die Kompetenz in sich, die Ermittlungen unter Umständen selber vorzunehmen oder durch ihm unterstellte Organe vornehmen zu lassen. Nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 259 Bundesstrafprozess kann der Bundesanwalt überdies Ermittlungen in bestimmten Bundesstrafsachen anordnen, für deren Beurteilung die kantonalen Gerichte zuständig sind, nämlich bei Widerhandlungen gegen Bundesgesetze, die dem Bund ein besonderes Oberaufsichtsrecht übertragen, sofern die strafbaren Handlungen ganz oder teilweise im Ausland oder in mehreren Kantonen begangen werden.

Wie bereits bemerkt, wird gerade die Verfolgung der im vorliegenden Bundesbeschlusse vorgesehenen Straftaten eine von einer zentralen Amtsstelle organisierte Ermittlungstätigkeit erfordern. Die für die Handhabung der politischen Polizei der Bundesanwaltschaft bestehenden Zuständigkeitsbestimmungen haben sich längst als zu eng erwiesen. Vgl. die Art. 3 des Bundesgesetzes betreffend die Bundesanwaltschaft vom 28. Juni 1889 und Art. 31, IV, Ziff. 2 und 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesverwaltung vom 26. März 1914. Die Erfüllung der dem Bundesrat gemäss Art. 102, Ziff. 8--10, Bundesverfassung zufallenden Aufgabe,
innert den Schranken der Verfassung für die Wahrung der innern und äussern Sicherheit des Landes zu sorgen, setzt voraus, dass die hiezu notwendigen Ermittlungen vorgenommen werden. In erster Linie haben die Kantone diese Ermittlungen durchzuführen. Die Erfahrungen der letzten Jahre, insbesondere auch der polizeiliche und politische Nachrichtendienst des Auslandes auf unserm Gebiete, haben aber gezeigt, dass es notwendig ist, dem Bunde die Möglichkeit zu geben, die Ermittlungen unter Umständen selbst durchzuführen. Dazu rmiss der Innendienst bei der Bundesanwaltschaft (die systematische Bearbeitung der einlaufenden Nachrichten) ausgebaut werden. In den einen Kantonen sind die für die Erhebungen im Interesse der Wahrung der innem und äussern Sicherheit notwendigen Polizeiorgane vorhanden, in andern nicht. Es wird mitunter übersehen, dass solche Erhebungen nicht nur zur Information der kantonalen Polizeileitung, sondern

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auch für die zentrale Bundesbehörde von Bedeutung sind; die Bundesanwaltschaft wird nicht immer genügend auf dem laufenden gehalten. Die Bundesbehörde ist aber oft eher in der Lage, die staatsfeindlichen Bewegungen, insbesondere solche internationaler Natur, zu überblicken als die kantonale Polizei. Durch die Beform soll namentlich erreicht werden, dass ein Polizeibeamter der Bundesanwaltschaft eine derartige Angelegenheit, über das ganze Gebiet der Schweiz verfolgen und zu diesem Zwecke mit den zuständigen kantonalen Behörden in direkte Verbindung treten kann. Die kantonale Polizei kann ein solches Zusammenarbeiten nur begrüssen. Ist eine kantonale Behörde nicht in der Lage oder nicht gewillt, die Massnahmen zu treffen, so erfordert es das Bundesinteresse, dass die Organe des Bundes die Ermittlungen selbst durchführen. Der Gefährdung unserer innern und äussern Sicherheit kann, namentlich in den gegenwärtigen schwierigen Zeiten, nur bei Zusammenfassung aller Polizeikräfte unter einheitlicher Leitung ·wirksam entgegengetreten werden.

In Art. 7 wird neben den bereits besprochenen Aufgaben der Grundsatz aufgestellt, dass die Polizeiorgane der Bundesanwaltschaft auf Weisung und unter Leitung des Bundesanwaltes im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft Amtshandlungen vornehmen dürfen und dass die kantonalen Behörden sie hiebei zu unterstützen haben. Dieser Grundsatz ist bereits in Art. 44 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 für die Behörden und Beamten der Bundesrechtspflege aufgestellt.

Die Verfassungsmässigkeit der in Aussicht genommenen Eeorganisation der Bundesanwaltschaft kann nicht in Zweifel gezogen werden. Sowohl bei der gerichtspolizeilichen Tätigkeit der Polizeiorgane der Bundesanwaltschaft als auch bei den Ermittlungen der politischen Polizei handelt es sich um einen durch die Verhältnisse notwendig gewordenen organisatorischen Ausbau zur wirksamen Durchführung der Aufgaben der Bundesanwaltschaft und des Bundesrates (Verfolgung von Bundesstrafsachen und Wahrung der innern und äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft). Eine solche notwendige Ausgestaltung eines Bundesamtes steht durchaus im Einklang mit der Verfassung.

Aus Art. 85, Ziff. 6 und 7, Bundesverfassung ergibt sich sogar die Pflicht des Bundes, eine solche Reorganisation vorzunehmen,,
wenn sie zur Wahrung der äussern und innern Sicherheit des Landes notwendig wird. Es mag noch darauf hingewiesen werden, dass schon Art. 12 des frühem und Art. 17 des neuen Bundesstrafprozesses von Beamten und Angestellten der Polizei des Bundes sprechen.

Die nähere Organisation, insbesondere die Bestimmung der Zahl der einzustellenden Beamten und Angestellten, die Ämterklassifikation, die Aufgabenverteilung und das Zusammenarbeiten mit der kantonalen Polizei, wird durch eine Verordnung des Bundesrates geregelt werden. Es ist beabsichtigt, einige im Polizeidienst ausgebildete, qualifizierte Polizeibeamte (3--5) einzustellen, die von einer beschränkten Zahl von Detektiven unterstützt werden sollen. Vor-

750 aussichtlich werden die Polizeiorgane einem Polizeiadjunkten unterstellt werden. Die Leitung und Weisungserteiluug liegt dem Bundesanwalt ob. Ein grosser Apparat soll vermieden'werden, am nicht einen Dualismus zur kantonalen Polizei zu schaffen, der zu Konflikten fähren würde. EP muss auch der heutigen Finanzlage des Bundes Rechnung getragen werden.

Wir empfehlen Ihnen den nachstehenden Entwurf zur Annahme und benutzen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 29. April 1935.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident : K. Jünger.

Der Bundeskanzler :

G. Boret.

751, (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft und die Erweiterung der Bundesanwaltschaft.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , gestützt auf die Art. 2, 64^, 85, Ziff. 6 und 7, und 102, Ziff. 9 und 10, der Bundesverfassung und nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 29. April ] 935, beschliesst :

Art. 1.

Wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung Amtshandlungen Verbotene für · .

fremden Staat oi j.

· Bewilligung i für einen fremden Staat vornimmt, hingen für wer den Amtshandlungen für einen fremden Staat widerrechtlich Staat. rem Vorschub leistet, insbesondere wer jemanden durch Gewalt, List oder Drohung zwecks Festnahme oder Verhaftung ins Ausland entführt oder eine solche Entführung vorbereitet, wird mit Gefängnis und in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.

Art. 2.

1

Wer auf schweizerischem Gebiet zugunsten einer fremden Eegierung Politischer oder einer ausländischen Behörde oder Partei Nachrichtendienst über die dienst imIn-" politische Tätigkeit von Personen oder politischen Verbänden betreibtAuslandes8 oder einen solchen Dienst einrichtet, wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet, wird mit Gefängnis bestraft.

2

In schweren Fällen kann auf Zuchthaus erkannt werden. Als schwerer Fall gilt es insbesondere, wenn der Täter zu Handlungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit zu gefährden.

o

752 Art. 3.

,

·

1 WirtschaftWer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis auskundschaftet, licher Nachrichtendienst um es einer fremden Eegierung oder einer ausländischen Behörde oder im Interesse des Auslandes. Partei oder ihren Agenten zugänglich zu machen,

wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis einer fremden Eegierung oder einer ausländischen Behörde oder Partei oder ihren Agenten zugänglich macht, wird mit Gefängnis und in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.

2 Die im Ausland begangene Handlung ist strafbar, wenn sie sich gegen das Geheimnis eines inländischen Geschäftes oder Betriebes richtet.

Militärischer Nachrichtendienst.

Anwendung des Bundesstratrechtes.

Gerichtsbarkeit.

Erweiterung der Bundesanwaltschaft.

Art. 4.

Wer auf dem Gebiete der Schweiz für einen fremden Staat zum Nachteil der Schweiz oder eines fremden Staates militärischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet, wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet, wird mit Gefängnis bestraft. Vorbehalten bleibt Art. 86 des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 1927.

Art. 5.

Die allgemeinen Bestimmungen sowie Art. 69 bis 72 des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1853 sind anwendbar.

2 Gegen Au&länder kann auf Landesverweisung erkannt werden.

1

Art. 6.

Die in diesem Bundesbeschlasse vorgesehenen strafbaren Handlungen sind der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterstellt.

2 Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement kann die Untersuchung und Beurteilung den kantonalen Behörden übertragen.

1

Art. 7.

Die Bundesanwaltschaft wird durch Einstellung eigener Polizeiorgane erweitert.

2 Diese Polizeiorgane können auf Weisung und unter Leitung des Bundesanwaltes im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft Amtshandlungen vornehmen. Sie arbeiten nach Möglichkeit mit der kantonalen Polizei zusammen.

3 Die Behörden der Kantone und der Gemeinden sowie die Organe der Zollverwaltung haben die Polizeiorgane der Bundesanwaltschaft in der Ausübung ihrer Amtshandlungen zu unterstützen.

4 Die Polizeiorgane der Bundesamvaltschaft haben folgende Aufgaben : 1

753 a. Ermittlungen im Interesse der Wahrung der innern und äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft, b. Ermittlungen in Bundesstrafsachen nach Massgabe des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934, c. Nachrichtenaustausch und Nachforschungen in Strafsachen, die mit den bei der Bundesanwaltschaft bestehenden Zentralstellen im Zusammenhang stehen.

5 Der Bundesrat wird mit der nahern Organisation beauftragt.

Art. 8.

Dieser Bundesbeschluss wird als dringlich erklart und tritt sofort Inkrafttreten, in Kraft.

Bundesblatt. 87. Jahrg.

Bd. I

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft und die Erweiterung der Bundesanwaltschaft. (Vom 29. April 1935.)

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Jahr

1935

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

18

Cahier Numero Geschäftsnummer

8253

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

01.05.1935

Date Data Seite

742-753

Page Pagina Ref. No

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