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Bundesblatt

87. Jahrgang.

Bern, den 26. Juni 1935.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis SO Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr, Einrückung sgebühr: 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stampfli * Cie in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die achtzehnte Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

, (Vom 21. Juni 1935.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Der Bundesrat erstattet Ihnen hierdurch Bericht über die achtzehnte Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz, die vom 4. bis 23. Juni 1934 in Genf stattfand.

I. Einleitung.

Die Tagesordnung der Konferenz umfasste insbesondere folgende Gegenstände : 1. Verkürzung der Arbeitszeit; 2. Arbeitslosenversicherung und verschiedene Formen der Arbeitslosenfürsorge ; 3. Euhezeiten und Schichtwechsel in automatischen Tafelglashütten; 4. Wahrung der Anwartschaften und Ansprüche der Auswanderer in der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenen Versicherung ; 5. Teilweise Abänderung des Übereinkommens über die Entschädigung bei Berufskrankheiten ; 6. Beschäftigung von Frauen bei Untertagarbeiten in Bergwerken aller Art; 7. Teilweise Abänderung des Übereinkommens über die Nachtarbeit der Frauen.

Daneben hatte die Konferenz wie üblich eine Reihe weiterer Geschäfte zu erledigen.

An der Konferenz waren 49 Staaten mit 347 bevollmächtigten Teilnehmern vertreten : hievon waren 142 Delegierte und 205 technische Batgeber.

Bundesblatt.

87. Jahrg.

Bd. I.

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974 Die Vereinigten Staaten von Amerika and Ägypten hatten wiederum Beobachter entsandt.

Die schweizerische Delegation setzte sich wie folgt zusammen: Begierungsvertreter : Herr Fürsprecher P. Benggli, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, und Herr Dr. H. Giorgio, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung: Arbeitgebervertreter: Herr Gh. Tzaut, Ingenieur, Genf; Arbeitnehmervertreter: Herr Gh. Schüren, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Ausserdem war die Delegation von einer Anzahl technischer Batgeber begleitet.

Den Vorsitz der Konferenz führte Herr Senator Justin Godard, Begierungsvertreter und ehemaliger Arbeitsminister Frankreichs. Zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden gewählt die Herren Dr. Francisco Gastillo Nâjera, mexikanischer Begierungsvertreter, Gustave L. Gérard, Arbeitgebervertreter Belgiens, und Edvard Johanson, schwedischer Arbeitnehmervertreter.

Einen Markstein in per Geschichte der Internationalen Arbeitsorganisation bildete folgendes Ereignis. Gegen Schiusa ihrer Tagung, am 22. Juni 1934, erhielt die Konferenz die offizielle Nachricht, dass die Vereinigten Staaten von Nordamerika bereit seien, der Internationalen Arbeitsorganisation als Mitglied beizutreten. Durch einen gemeinsamen Beschluss hatten die beiden gesetzgebenden Kammern den Präsidenten der Union ermächtigt, den Beitritt zu vollziehen, ohne damit im übrigen irgendwelche aus dem Völkerbunds vertrag sich ergebende Bindungen einzugehen. Diese Nachricht war von der Mitteilung begleitet, dass die Vereinigten Staaten eine Einladung zum Eintritt in die Internationale Arbeitsorganisation günstig aufnehmen würden. Am selben Tage liess die Konferenz durch eine einstimmig gefasste Resolution diese Einladung an den Präsidenten der Union ergehen, und am 20. August 1934 erfolgte der formelle Beitritt der Vereinigten Staaten von Nordamerika zur Internationalen Arbeitsorganisation.

II. Traktanden und Beschlüsse der Konferenz.

I. Wahrung der Versieherungsansprüche der Auswanderer; Beschäftigung von Frauen bei Untertagarbeiten in Bergwerken.

Die Frage der Wahrung der Anwartschaften und Ansprüche der Auswanderer in der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung und die Frage der Beschäftigung von Frauen bei Untertagarbeiten in Bergwerken aller Art gelangten im Sinne des Systems der doppelten Beratung zum erstenmal vor die Konferenz und waren daher satzungsgemäss bloss einer allgemeinen Aussprache zu unterziehen. Das Problem der Wahrung der Anwartschaften war allerdings schon an der Tagung von 1932 anlässlich der allgemeinen Erörterung der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung aufgeworfen und den Regierungen zur Stellungnahme unterbreitet worden. Das ungenügende Ergebnis dieser Befragung veranlagte jedoch die Konferenz von 1933, eine gesonderte Behandlung des Gegenstandes im folgenden Jahre vorzusehen.

975 Die Konferenz des Jahres 1984 bestimmte wie üblich die Punkte, die der vom Internationalen Arbeitsamt an die Mitgliedstaaten zu richtende Fragebogen enthalten solle und beschloss einstimmig, die zwei Traktanden zur endgültigen Beschlussiassimg auf die Tagesordnung der Konferenz von 1935 zu setzen. Da der Bundesrat somit in einem späteren Bericht auf diese Fragen zurückkommen wird, können weitere Ausführungen darüber zurzeit unterbleiben. .

2. Arbeitszeitverkürzung.

Die Vorgeschichte dieses Traktandums ist in den Berichten des Bundesrates über die sechzehnte und siebzehnte Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz geschildert worden l). Wie der Bundesrat in seinem letzten Bericht vorausgesehen hatte, stiess die Behandlung der Arbeitszeitfrage, die an der Konferenz von 1934 hätte abgeschlossen werden sollen, wiederum auf grosse Schwierigkeiten.

Das Internationale Arbeitsamt hatte auf Grund der Antworten der Eegierungen einen Bericht ausgearbeitet, dem (neben je einem Vorschlag zu einer Empfehlung und einer Entschliessung) zwei Konventionsentwürfe beigegeben waren, wovon der eine die Industrie im weitesten Sinne, mit Ausnahme des Kohlenbergbaues, der andere die Handelsbetriebe und die Bureaus umfasste.

Beide Entwürfe sahen die 40-Stundenwoche als Norm vor.

Die Konferenz trat zunächst in eine allgemeine Aussprache ein, bei der wie schon früher die entgegengesetzten Auffassungen der Arbeitgeber und, der Arbeitnehmer über die Möglichkeit und Wirksamkeit der vorgesehenen Beform hart aufeinanderstiessen. Immerhin beschloss die. Konferenz auf Antrag der Arbeitnehmergruppe, die Frage an eine Kommission zu weisen, wobei diese ihren Verhandlungen den Bericht und die Entwürfe des Internationalen Arbeitsamtes zugrunde legen sollte. Ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung entsprechend verzichtete jedoch die Arbeitgebergruppe darauf, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Als Ergebnis ihrer Beratungen legte die Kommission die Entwürfe zweier Übereinkommen, einer, Empfehlung und einer Entschliessung dem Plenum der Konferenz zur Annahme vor, und die Konferenz trat ohne nochmalige allgemeine Diskussion in die artikelweise Beratung ein.

Aber schon in der Abstimmung über den ersten Artikel des auf die Industrie bezüglichen Konventionsentwurfes wurde das für die Annahme notwendige Quorum der Stimmen -- infolge zahlreicher Enthaltungen -- nicht erreicht.

Damit war die vorläufige Aussichtslosigkeit, zu einer Lösung zu gelangen, erwiesen, so dass über die anderen Bestimmungen der Konvention überhaupt nicht mehr diskutiert wurde. Zum Schlüsse der teilweise ziemlich bewegten Verhandlungen nahm jedoch die Konferenz mit 75 gegen 37 Stimmen eine ^Resolution an, durch die der Verwaltnngsrat des Internationalen Arbeitsamtes *) Bundesbl. 1933, Bd. I, S. 685; Bundesbl. 1934, Bd. II, S. 721.

976 eingeladen wurde, die Frage der Verkürzung der Arbeitszeit nach Sammlung weiterer Unterlagen im Jahre 1935 wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Der Verwaltungsrat hat dieser Einladung entsprochen und zugleich der im Juni 1935 zu ihrer neunzehnten Tagung zusammentretenden Konferenz nahegelegt, ein Übereinkommen aufzustellen, das auf einige bestimmte Wirtschaftszweige, wie öffentliche 'Arbeiten, Baugewerbe, Eisen- und Stahlindustrie und automatische Glasflaschenfabrikation anwendbar wäre. Der Bundesrat wird sich also in seinem nächsten Bericht erneut über diesen Gegenstand zu äussern haben.

3. Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge.

Über die Umstände, unter denen dieser Gegenstand auf die Traktandenliste der Konferenz des Jahres 1933 gesetzt worden war, hat Ihnen der Bundesrat bereits berichtet 1). Nach der Methode der doppelten Beratung hatte die Konferenz des Jahres 1934 nunmehr endgültig über die Frage zu beschliessen.

Sie nahm auf Grund der Beratungen und des Berichtes einer von ihr bestellten Kommission den Entwurf eines Übereinkommens über die Gewährung von Versicherungsleistungen oder Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose mit 80 gegen 8 Stimmen an. Die schweizerischen Eegierungsvertreter stimmten dafür. Ausserdem stellte die Konferenz eine Empfehlung auf betreffend Arbeitslosenversicherung und sonstige Formen der Arbeitslosenfürsorge. Der Wortlaut der beiden Beschlüsse ist in der Beilage abgedruckt. Ihr Hauptinhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

Das Ü b e r e i n k o m m e n sieht Mahlungen von Versicherungsleistungen oder Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose vor. Die Einrichtung, die zu diesem Zwecke zu unterhalten ist, kann in einer Pf licht Versicherung, einer freiwilligen Versicherung oder in einer Verbindung dieser beiden Versicherungsformen bestehen. Auch kann das Versicherungssystem durch ein Fürsorgesystem ergänzt werden. Das Übereinkommen gilt im allgemeinen für alle Lohn- oder Gehaltsempfänger; doch können die Mitgliedstaaten auf Grund gesetzlicher Bestimmungen Ausnahmen für gewisse im Übereinkommen näher umschriebene Gruppen von Arbeitsnehmern vorsehen. Keine Anwendung findet die Konvention von vornherein aiif Schiffsleute, Angehörige der Seefischerei und landwirtschaftliche Arbeitnehmer. Bei Teilarbeitslosigkeit sind Versicherungsleistungen
und Unterstützungen zu gewähren, sobald der Beschäftigungsgrad in einer gesetzlich zu bestimmenden Weise verkürzt ist. Über die Voraussetzungen, von denen das Eecht auf Versicherungsleistung oder Unterstützung sowie anderseits deren Entzug abhängt, können die Mitgliedstaaten ebenfalls innerhalb des im Übereinkommen angegebenen Eahmens nähere Vorschriften aufstellen. Die Versicherungsleistung oder Unterstützung soll in der Eegel nicht weniger als 156 und keinesfalls weniger als 78 Arbeitstage im Jahre betragen. Zur Entscheidung von Streitigkeiten, die sich aus Ansprüchen auf *) Bundesbl. 1934, Bd. II, S. 726.

977 Versicherungsleistung oder Unterstützung ergeben, sind auf Grand der Gesetzgebung Gerichte oder andere zuständige Behörden einzusetzen. Ausländer sollen im allgemeinen in ihren Ansprüchen den Einheimischen gleichgestellt sein. Doch können die Mitgliedstaaten Angehörigen solcher Staaten, die durch das Übereinkommen nicht gebunden sind, die Gleichbehandlung in bezug auf Zuwendungen aus Fürsorgeeinrichtungen, an die der Anspruchsbewerber nichts beigetragen hat, verweigern. In Anbetracht der wirtschaftlichen Krise und der sich daraus ergebenden ungewöhnlichen Verhältnisse wurde die Frist, während der die Mitgliedstaaten sich durch die Ratifikation des Übereinkommens binden, statt auf die bei den internationalen arbeitsrechtlichen Übereinkommen sonst üblichen 10 Jahre, auf 5 Jahre beschränkt.

Das Übereinkommen wurde durch eine E m p f e h l u n g ergänzt, die den Mitgliedstaaten die Berücksichtigung einer Reihe in der Erfahrung bewährter Grundsätze und Richtlinien nahegelegt, von denen die folgenden besonders genannt sein mögen: Einführung einer obligatorischen Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, wo eine solche noch nicht besteht; Ergänzung der Versicherung durch ein Unterstützungssystem zugunsten der ausgesteuerten und der noch nicht bezugsberechtigten Arbeitslosen; Einschluss der Teilarbeitslosigkeit in die Versicherung oder Unterstützung; Ausdehnung der Versicherung oder Fürsorge womöglich auf i alle Arbeitnehmer, einschliesslich der um Geldlohn arbeitenden Lehrlinge; zeitliche Erstreckung der Versicherung oder Fürsorge bis zur Ablösung durch eine Altersrente; Sondermassnahmen für schwer versicherbare Gruppen von Arbeitnehmern; Hilfsmassnahmen für wirtschaftlich schwache Selbständige ; weither/ige Gestaltung der Bedingungen in bezug auf die Versicherungsmöglichkeit, die Anwartschaftszeiten und Karenzfristen, die Dauer der Bezugsberechtigung und den Entzug des Versicherungsanspruchs, die Verpflichtung der Arbeitslosen zum Besuch gewisser Lehrkurse und zur Annahme bestimmter Beschäftigungen bei Notstandsarbeiten ; Massnahmen zur Festigung der Finanzlage der Kassen namentlich durch Schaffung eines Krisenfonds.

Im Zusammenhang mit dem Traktandum der Arbeitslosenversicherung und -fürsorge nahm die Konferenz ferner zwei Resolutionen an. Durch die eine wurde das Internationale Arbeitsamt beauftragt,
die Frage der Arbeitslosigkeit der landwirtschaftlichen Arbeiter abzuklären. In der anderen wurde der Wunsch ausgedrückt, der Völkerbund möge prüfen, ob nicht die Ansprüche von Arbeitslosen fremder Staatszugehörigkeit auf Leistungen der Bedürftigenfürsorge durch ein internationales Übereinkommen zu regeln seien.

4. Arbeitszeit in automatischen Taîelglashutten.

Nachdem dieser Gegenstand, wie im letztjährigen Bericht des Bundesrates ausgeführt wurde 1), die Konferenz schon mehrfach beschäftigt hatte, gelangte er nunmehr zur abschliessenden Beratung. Der vom Internationalen Arbeitsamt ausgearbeitete Entwurf zu einem Übereinkommen über die Arbeitszeit *) Bundesbl. 1904, Bd. II, S. 727.

978 in automatischen Tafelglashütten, der zunächst von einer durch die Konferenz eingesetzten Kommission behandelt und nur in geringem Masse abgeändert worden war, wurde im Plenum der Konferenz mit 66 gegen 25 Stimmen angenommen. Auch die schweizerischen Begierungsvertreter stimmten ihm zu.

Nach dem Washingtoner Arbeitszeitübereinkommen vom Jahre 1919 darf für Personen, die in ununterbrochenem Betriebe arbeiten, die durchschnittliche Wochenarbeitsdauer auf 56 Stunden angesetzt werden, bei Schichten von in der Eegel nicht mehr als achtstündiger Dauer. Daraus ergab sich die dreischichtige Betriebsweise mit achtstündigen Schichten. Das neue SpezialÜbereinkommen für automatische Tafelglashütten, von dem von Anfang an gewünscht wurde, dass es in der Begrenzung der wöchentlichen Arbeitsdauer über die Konvention von Washington hinausgehe und der bereits in einigen Ländern tatsächlich bestehenden Regelung Rechnung trage, sieht den Vierschichtenbetrieb mit wöchentlich durchschnittlich 42 Arbeitsstunden vor.

Dabei darf die einzelne Arbeitsschicht bis zu 8 Stunden erreichen und die Ruhezeit zwischen dem Ende der einen und dem Wiederbeginn der nächsten Schicht für den einzelnen Arbeiter nicht weniger als 16 Stunden betragen, vorbehaltlich einer allfällig weitergehenden Verkürzung beim Schichtwechsel.

Die 42stündige Wochenarbeitsdauer soll sich als Durchschnitt aus längstens 4 aufeinanderfolgenden Wochen ergeben. Für ansserordentliche Vorkommnisse, wie Betriebsstörungen, drohende Gefahr, unerwartetes Ausbleiben von Schichtenmannschaft, Fälle höherer Gewalt, ist die Möglichkeit von Überstunden vorgesehen, über die der Betriebsinhaber Kontrolle zu führen hat und die unter Bedingungen, welche die Gesetzgebung regeln soll, angemessen zu kompensieren sind. Das Übereinkommen findet Anwendung auf diejenigen Personen, die bei Verrichtungen tätig sind, welche infolge des automatischen Verfahrens keine Unterbrechung zulassen. Im übrigen sei auf den im Anhang wiedergegebenen Wortlaut der Konvention verwiesen.

Wenn die im Übereinkommen getroffene Regelung sich auf die Tafelglashütten beschränkt und nicht auch die Flaschenglasfabrikation erfasst, die teilweise ebenfalls mit automatischen Maschinen im ununterbrochenen Betriebe erfolgt, so liegt der Grund darin, dass die Tafelglasfabrikation heute ein gut abgrenzbares
Gebiet darstellt und dass die automatische Herstellungsweise die frühere nichtautomatische fast gänzlich verdrängt hat. Die Arbeitskonferenz von 1984 stimmte jedoch einer Resolution zu, die den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes ersucht, die Studien des Amtes im Hinblick auf die Erfassung auch der automatischen Haschenglashütten durch ein Übereinkommen fortsetzen zu lassen.

5. Entschädigung bei Berufskrankheiten.

Ein erstes Übereinkommen über diese Frage hatte die Internationale Arbeitskonferenz an ihrer siebten Tagung vom Jahre 1925 angenommen x).

*) Bundesbl. 1926, Bd I, S. 811.

979 Dieses Übereinkommen, das die Schweiz im Jahre 1927 ratifiziert hat. stellte die Berufskrankheiten bezüglich der Entschädigung den Betriebsunfällen gleich und verpflichtete die Staaten, die es ratifizieren, als Berufskrankheiten gewisse Erkrankungen und Vergiftungen zu betrachten, sofern diese bei Arbeitnehmern auftreten, die in bestimmten Gewerben oder bei bestimmten Verfahren beschäftigt werden. Das Übereinkommen enthält ein Verzeichnis der entschâdigungspflichtigen Krankheiten -- es sind dies Bleivergiftungen, Quecksilbervergiftungen und Ansteckung durch Milzbrand -- sowie der Gewerbe und Verfahren, wo diese Krankheiten auftreten. Nachdem dio Erweiterung des Verzeichnisses an den Tagungen der Internationalen Arbeitskonferenz inzwischen mehrmals angeregt und auch vom Korrespondierenden Ausschuss für Gewerbehygiene des Internationalen Arbeitsamtes geprüft worden ivar, wurde zu diesem Zwecke die Frage der Abänderung des Übereinkommens von ]925 auf die Tagesordnung der achtzehnten Internationalen Arbeitskonferenz gesetzt. Diese "begnügte sich, angesichts der bereits vorliegenden Konvention, mit einer einmaligen Beratung des Gegenstandes und beschloss, nach erfolgter Behandlung und Berichterstattung durch eine von ihr eingesetzte Kommission, mit 102 gegen 13 Stimmen eine Neufassung des Übereinkommens. Die schweizerischen Begierungsvertreter stimmten ebenfalls dafür. Während das neue Übereinkommen die allgemeinen Bestimmungen des alten Übereinkommens unverändert beibehält, wurden folgende Erkrankungen und Vergiftungen dem bisher geltenden Verzeichnis neu beigefügt : Silikose, Vergiftungen durch Phosphor, durch Arsen, durch Benzol oder seine Homologen sowie deren Nitro- und Aminoderivate, sodann Vergiftungen durch die Halogenderivate der Kohlenwasserstoffe der Fettreihe, ferner krankhafte Erscheinungen durch Baclium und sonstige radioaktive Stoffe sowie durch Böntgenstrahlen und endlich primärer Hautkrebs.

Die zur Behandlung dieser Frage eingesetzte Kommission legte der Konferenz noch verschiedene Besolutionen vor, welche diese dem Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes zur Prüfung überwies. Es handelt sich dabei um gewisse Massnahmen, deren Anwendung im Zusammenhang mit der Entschädigung bei Silikose den Mitgliedstaaten nahegelegt wird, und um die weitere Ergänzung der Liste der
entschädigungspflichtigen Erkrankungen.

6. Nachtarbeit der Frauen.

Das Übereinkommen über die Nachtarbeit der Frauen, dessen teilweise Abänderung zur Erörterung stand, war 1919 von der ersten Internationalen Arbeitskonferenz in Washington aufgestellt worden. Es bestimmt im wesentlichen, dass Frauen ohne Unterschied des Alters während der Nacht in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben nicht beschäftigt werden dürfen, und dass als Nacht im Sinne des Übereinkommens ein Zeitraum von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden gilt, der die Zeit von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens in sich schliesst 1 ). Schon im Jahre 1931 hatte sich die Internationale *) Bundeabi. 1920, Bd. V, S. 457, 463, 556.

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Arbeitskonferenz mit der Frage der teil weisen Ee vision dieses Übereinkommens befasst. Es handelte sich damals darum, die Konvention in der Weise abzuändern, dass sie keine Anwendung finden sollte auf Personen, die eine verantwortungsvolle leitende Stellung bekleiden und in der Eegel keine körperliche Arbeit verrichten. Ausserdem sollte die zuständige Behörde befugt sein, wenn besondere Umstände für die Arbeitnehmer eines bestimmten Gewerbes oder Gebietes es erfordern, nach Anhörung der beteiligten Berufsverbände die Nachtarbeit, statt von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens, von 11 Uhr abends bis 6 Uhr morgens zu untersagen. Infolge der ablehnenden Haltung der Arbeitnehmervertreter kam jedoch an der Tagung von 1931 die Eevision des Übereinkommens nicht zustande, da das erforderliche Quorum annehmender Stimmen nicht erreicht wurde x).

Die erneute Behandlung des Gegenstandes durch die Konferenz erwies sich in der Polge deshalb als dringlich, weil der auf Anregung Grossbritanniens über den Geltungsbereich des Abkommens befragte ständige Internationale Gerichtshof im Haag in einem Gutachten vom November 1982 sich dahin atisgesprochen hatte, das Abkommen gelte seinem Wortlaut gemäss uneingeschränkt und erfasse alle weiblichen Personen ohne Ausnahme. Diese Interpretation berührte auch die Schweiz, da unser Land im Jahr 1922 die Konvention ratifiziert hatte. Bei Durchführung der Bundesgesetze über die Arbeit in den Fabriken und über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben, welche die Grundlage für die Eatifikation bildeten, ging man von der Voraussetzung aus, dass weibliche Personen, denen eine höhere leitende Stellung in der Betriebsführung übertragen ist, nicht unter das Übereinkommen fallen. Von englischer Seite wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Wortlaut des geltenden Übereinkommens der Betätigung von Frauen mit höherer technischer Berufsschulung in der Industrie unbegründete Hindernisse in den Weg lege. Ausser diesem Punkte, der sich auf den persönlichen Geltungsbereich des Übereinkommens bezog und dessen Neuregelung sozusagen allgemein als wünschbar empfunden wurde, erstreckte sich die Frage der Eevision auch diesmal wieder auf die Möglichkeit, unter besonderen Umständen und nach Anhörung der Berufsverbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die
einzuhaltende Ruhezeit um eine Stunde, d. h. auf die Zeit von 11 Uhr abends bis 6 Uhr morgens, zu verschieben. Dieser Abänderungsantrag erfolgte von Seiten Belgiens angesichts gewisser in diesem Lande bestehender besonderer regionaler Verhältnisse und Bedurfnisse. Er stiess in der Konferenz auf den Widerstand der Vertreter der Arbeitnehmer, welche befürchteten, diese Lockerung des Übereinkommens könnte einen Anreiz zur Ausdehnung der Schichtarbeit mit weiblichen Personen bilden und im Vergleich zum jetzigen Stande wiederum zu einer vermehrten Beschäftigung weiblicher Arbeiter zur Nachtzeit führen. Immerhin wurden in der Schlussabstimmung beide Abänderungen, welche in Art. 2, Abs. 2, und Art. 8 des in der Beilage *) Bundesbl. 1932, Bd. I, S. 668/669.

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wiedergegebenen neugefassten Übereinkommens niedergelegt sind, von der Konferenz mit 120 gegen l Stimme gutgeheissen. Auch die Arbeitnehmergruppe (mit Ausnahme des grossbritannischen Vertreters) stimmte für die Eevisionsvorlage als Ganzes, trotzdem sie, wie sie ausdrücklich erklärte, die freiere Eegelung der Euhezeitgrenze grundsätzlich ablehnte.

7. Die übrigen wichtigeren Traktanden der Konferenz.

Bericht des D i r e k t o r s . Der Bericht des Direktors befasste sich wie in den vorausgehenden Jahren in erster Linie mit der wirtschaftlichen Krise, ihren sozialen Folgen und den Bemühungen zu ihrer Überwindung. Dabei wurde wiederum den Problemen der Planwirtschaft und gewissen auf diesem Gebiete gemachten Erfahrungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein weiterer Abschnitt des Berichtes behandelte die Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation im Jahre 1933. Auch diesmal wieder widmete die Konferenz dem Bericht des Direktors eine Eeihe von Sitzungen, an denen 52 Eedner das Wort ergriffen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die gegenwärtige Wirtschaftslage.

Eesolutionen. Wie üblich sind auch der Konferenz von 1934 einige Eesolutionen unterbreitet und von ihr angenommen worden. Eine Eesolution hatte die Überwindung der Wirtschaftskrise zum Gegenstande. Sie knüpfte an eine frühere Eesolution an, welche die Internationale Arbeitskonferenz im Vorjahr an die damals in London tagende Weltwirtschaftskonferenz gerichtet hatte 1), und verlangte im Interesse einer plamnässigen und einheitlichen internationalen Bekämpfung der wirtschaftlichen Krise die Berücksichtigung der darin aufgestellten Grundsätze bei der Durchführung von Krisenmassnahmen durch die einzelnen Staaten. In Anbetracht allfälliger sozialer Euckwirkungen solcher Massnahmen wurde der Verwaltungsrat in der Entschliessung ersucht, das Internationale Arbeitsamt anzuweisen, ihn über die Entwicklung der Verhältnisse auf dem laufenden zu halten, damit er im Eahmen seiner Befugnisse das Nötige vorkehren könne. Ausserdem wurde der Generalsekretär der Konferenz beauftragt, die Eesolution den Mitgliedstaaten zur Kenntnis zu bringen. Eine zweite Eesolution betraf die Frage der öffentlichen Arbeiten.

Sie ersuchte den Verwaltungsrat, sich vom Internationalen Arbeitsamt regelmässig über die auf diesem Gebiete in den verschiedenen Staaten
getroffenen und geplanten Vorkehrungen berichten zu lassen. Auf Grund dieser Berichte solle sodann der Verwaltungsrat versuchen, geeignete Mittel und Wege zu finden, um die Durchführung der an der ersten Internationalen Arbeitskonferenz angenommenen Empfehlung betreffend öffentliche Arbeiten (Empfehlung betreffend die Arbeitslosigkeit, Ziff. P7) 2) zu erleichtern. Bei öffentlichen Arbeiten internationalen Charakters anderseits solle der Verwaltungsrat in Verbindung mit den zuständigen Stellen des Völkerbundes die notwendige Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Staaten zu fördern suchen.

!) Bundesbl. 1934. Bd. II, S. 729.

) Bundesbl. 1920, Bd. V, S. 506, 549.

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Verschiedene weitere von der Konferenz angenommene Resolutionen standen mit den Haupttraktanden im Zusammenhang und sind bereits in den vorausgehenden Abschnitten erwähnt worden. Es sind dies die Resolutionen über die Ruhezeit in gewissen Zweigen der Glasindustrie 1), über die Arbeitslosigkeit der landwirtschaftlichen Arbeiter 2), über die Behandlung bedürftiger ausländischer Arbeitnehmer 3), über die Silikose und andere Berufskrankheiten 4) und über die Verkürzung der Arbeitszeit 6 ).

A r t . 408. Die Konferenz setzte wie in den vorausgehenden Jahren eine besondere Kommission ein zur Prüfung der von den Mitgliedstaaten auf Grund von Art. 408 des Versailler Vertrages alljährlich zu erstattenden Berichte über die Durchführung der von ihnen ratifizierten Übereinkommen. Die Kommission musste auch diesmal wieder feststellen, dass einzelne Staaten es versäumen, ihren Verpflichtungen nachzukommen, indem sie entweder überhaupt keine oder nur unvollständige Berichte einschicken, oder indem sie es unterlassen, ihre Gesetzgebung mit den ratifizierten Übereinkommen in Einklang zu bringen.

Der Bericht der Kommission enthält einige Anregungen, die eine Verbesserung dieser Verhältnisse bezwecken.

E r n e u e r u n g d e s V e r w a l t u n g s r a t e s . Nach Ablau! seiner dreijährigen Amtsdauer war der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes im Jahre 1934 durch die Konferenz neu zu bestellen. Auf Grund von Art. 398 des Vertrages von Versailles beträgt die Zahl seiner Mitglieder 24. Im Jahre 1922 hatte die Konferenz eine Abänderung dieses Artikels beschlossen im Sinne einer Vergrösserung der Mitgliederzahl auf 32. Um rechtswirksam zu werden, musste indessen nach Art. 422 des Versailler Vertrages diese Abänderung die Zustimmung der Staaten erhalten, deren Vertreter den Rat des Völkerbundes bilden, und ausserdem von drei Vierteln der Mitgliedstaaten ratifiziert sein. Es ist bemerkenswert, dass es volle zwölf Jahre brauchte, bis diese Voraussetzungen erfüllt waren, obschon es sich bei der Revision jener Bestimmung des Eriedensvertrages um keine irgendwie ernsthaft umstrittene Frage handelte. Die für das Inkrafttreten des neugefassten Artikels erforderliche Zahl von Ratifikationen wurde erst im Jahre 1934, am Tage, da die Konferenz zusammentrat, erreicht, und der Verwaltungsrat konnte nunmehr auf Grund
der neuen Regelung gewählt werden. Es waren 32 (statt 24) Mitglieder zu wählen, wovon 16 (bisher 12) Eegiernngsvertreter und je 8 (bisher je 6) Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Von den 16 Regierungsdelegierten waren bestimmungsgemäss 8 durch die Mitgliedstaaten zu ernennen, denen wirtschaftlich die grösste Bedeutung zukommt, und 8 durch die Mitgliedstaaten, die zu diesem Zweck an der Konferenz von den Regierungsvertretern -- unter Ausschluss der Vertreter der erwähnten 8 Staaten -- bezeichnet werden. Von den 16 im Ver1 ) 2 ) 3 ) 4 ) 5

Siehe Siehe Siehe Siehe ) Siehe

S. 978 dieses S. 977 dieses S. 97Y dieses S. 979 dieses S. 975 dieses

Berichts.

Berichts.

Berichts.

Berichts.

Berichts.

983 waltungsrat vertretenen Staaten hatten 6 aussereuropäische zu nein. Die 8 Mitgliedstaaten, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nach "wie vor ihren ständigen Sitz im Verwaltungsrat behielten, waren : Belgien, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Indien, Italien. Japan, Kanada. Indessen hat sich durch den inzwischen erfolgten Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika zur Internationalen Arbeitsorganisation sowie durch die Aufnahme Sowjetrusslands in den Völkerbund und damit gleichzeitig auch in die Internationale Arbeitsorganisation in der Zusammensetzung der 8 wirtschaftlich bedeutendsten Staaten insofern eine Änderung ergeben, als nach einem Beschluss des Verwaltungsrates des Internationalen Arbeitsamtes vom 31. Januar 1935 die beiden neu aufgenommenen Mitgliedstaaten an die Stelle von Kanada und Belgien treten und einen ständigen Sitz im Verwaltungsrat erhalten. Als weitere 8 Staaten mit nichtständigen Sitzen wurden an der am Schlüsse der Konferenztagung vorgenommenen Wahl von den stimmberechtigten Begierungsdelegierten die folgenden bezeichnet : Argentinien, Brasilien, China, Finnland, Mexiko, Polen, Spanien und die Tschechoslowakei. Die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Verwaltnngsrat wurden den Vorschriften entsprechend durch die Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmervertreter an der Konferenz gewählt : die Schweiz ist in der Arbeitgebergruppe durch ein Mitglied (bisher Ersatzmitglied), in der Arbeitnehmergruppe wie bis dahin durch ein Ersatzmitglied vertreten.

III. Stellungnahme der Schweiz zu den Übereinkommen und zur Empfehlung, die von der Konferenz angenommen wurden.

1. Übereinkommen über die Gewährung von Versieherungsleistungen oder Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose und Empfehlung betreffend die Arbeitslosenversicherung und sonstige Formen der Arbeitsloseniürsorge.

Das von der Konferenz aufgestellte Übereinkommen entspricht in der Art seiner Gestaltung den von der Schweiz geäusserten Wünschen. Der Bundesrat nahm von Anfang an-den Standpunkt ein, dass für unser Land nur ein Übereinkommen in Betracht kommen könne, das sich auf eine Begelung der wesentlichen Grundsätze der Arbeitslosenfürsorge beschränke und keine Bindungen in bezug auf bestimmte Systeme und Massnahmen enthalte. Zu dieser Zurückhaltung sah sich die Schweiz mit, Rücksicht auf ihre staatsrechtliche Struktur, die Teilung der Gesetzesbefugnis zwischen Bund und Kantonen, genötigt. Da die Bundesverfassung dem Bund eine ausdrückliche Ermächtigung über die Ausgestaltung der Arbeitslosenfürsorge nicht einräumt, hat sich der Bundesgesetzgeber bisher damit begnügen müssen, an die zugunsten der Arbeitslosen geschaffenen Unterstützungseinrichtungen Beiträge zu verabfolgen und durch die von ihm aufgestellten Subventionsbedingungen indirekt auf die Ausgestaltung und Förderung der Arbeitslosenfürsorge einzuwirken (Bundesgesetz vom 17. Oktober 1924 mit dazugehörigen Anordnungen).

Das Übereinkommen enthält die zur Anpassung unserer Landesgesetzgebung an eine internationale Vereinbarung notwendige Elastizität. Es über-

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îasst grundsätzlich jedem Staat die freie Wahl des Unterstützungssystems, so dass die in den verschiedenen Kantonen zurzeit bestehenden Versicherungssysteme (ZwangsVersicherung, freiwillige Versicherung, Einführung der Versicherungspflicht durch die Gemeinden) auch nach einer Eatifikation des Übereinkommens unverändert bleiben können. Das Übereinkommen enthält keine Bestimmungen, die zu den bestehenden Gesetzen und Verordnungen des Bundes und der Kantone im Gegensatz stehen, lässt aber anderseits der schweizerischen Gesetzgebung die Möglichkeit, die geltenden Vorschriften künftigen Bedürfnissen entsprechend abzuändern oder zu ergänzen. Im einzelnen ist in Kürze folgendes auszuführen: Das Übereinkommen stellt in Art. 11 den Grundsatz auf, dass der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt werden kann, der in der Eegel nicht kürzer als 156 Arbeitstage im Jahr und in keinem Falle kürzer als 78 Arbeitstage sein darf. Nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung, vom 17. Oktober 1924, darf die Dauer der Bezugsberechtigung innert 360 Tagen 90 Tage nicht übersteigen. In Zeiten andauernder Krise besteht die Möglichkeit, eine Bezugsdauer von über 90 Tagen zu bewilligen oder statt dessen den von ihren Arbeitslosenkassen ausgesteuerten Angehörigen derjenigen Industrien, Berufe oder Gebiete, die in ganz besonderem Masse von der Krise betroffen sind, eine prämienfreie Arbeitslosenunterstützung, die sogenannte Krisenunterstützung, zu verabfolgen. Auch die kantonalen Gesetzgebungen beschränken die maximale ordentliche Bezugsdauer auf 90 Tage. Die grosse Mehrzahl der Arbeitslosenkassen sieht in ihren Statuten eine Bezugsdauer von 90 Tagen vor. Einige Kassen dagegen gewähren ihren Mitgliedern nicht von Anfang ihrer Bezugsberechtigung an die maximale Bezugsdauer von 90 Tagen, indem die Bezugsdauer nach der Anzahl der Mitgliedschaftsjahre bzw. nach der Dauer der Prämienleistung abgestuft wird.

Die Eegelung der Bezugsdauer in der schweizerischen Gesetzgebung steht mit den Bestimmungen des Übereinkommens im Einklang. Vom. Grundsatz der Bezugsdauer während 156 Arbeitstagen sind Ausnahmen zulässig, sofern das Minimum von 78 Tagen nicht unterschritten wird. Dagegen dürfen von diesem zweiten Minimum von 78 Arbeitstagen
keine Ausnahmen gemacht werden; dieser Grundsatz ist somit eine zwingende Vorschrift und für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Er ist in der schweizerischen Gesetzgebung verwirklicht, indem sowohl nach den Bestimmungen des Bundes als der Kantone die Bezugsdauer 90 Tage beträgt und die Statuten der meisten Kassen die Gewährung von Versicherungsleistungen während einer Dauer von über 78 Tagen (in den meisten Fällen während 90 Tagen) vorsehen. Die Bestimmungen einzelner Kassen, die den Mitgliedern erst nach einer Anzahl Mitgliedschaftsjahre die maximale Bezugsdauer von 90 Tagen einräumen, stehen mit dem Übereinkommen nicht in Widerspruch, denn aus der Bestimmung des Art. 6, lit. a, geht hervor, dass die Staaten für den Beginn der Bezugsberechtigung eine Anwartschaftszeit in bezug auf die Bezahlung von Beiträgen während eines

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bestimmten Zeitraumes vorsehen können. Daraus ist zu folgern, dass auch die Gewährung einer maximalen Leistung vom Ablauf einer Anwartschaftszeit bzw. von der Entrichtung einer angemessenen Anzahl von Prämien abhängig gemacht werden kann.

, In Art. 14 sieht das Übereinkommen vor, dass die Staaten zur Entscheidung von Streitfragen, die sich in bezug auf Ansprüche von Versicherungsleistungen oder auf Unterstützung ergeben, nach Massgabe der Gesetzgebung gerichtliche oder andere zuständige Behörden einzusetzen haben. Nach der schweizerischen Eegelung bestehen in verschiedenen Kantonen Gerichts- oder Verwaltungsinstanzen, die Streitfragen zwischen Kassenmitgliedern und den Arbeitslosenkassen endgültig entscheiden. In denjenigen Kantonen, die hiefür keine besonderen Instanzen vorsehen, nehmen die allgemeinen Administrativbehörden Beschwerden und Eekursbegehren der Arbeitslosen gegen Entscheide der Kassenorgane zur endgültigen Entscheidung entgegen. Diese Kantone werden durch den Bundesrat angehalten werden, im Sinne des Übereinkommens unverzüglich spezielle ständige Entscheidungsinstanzen zu bezeichnen.

Art. 16 des Übereinkommens behandelt die Stellung der Ausländer und sieht vor, dass ihnen die Versicherungsleistungen und die Unterstützungen tinter den gleichen Voraussetzungen zu gewähren sind wie den Inländern. Die Gleichbehandlung kann den Angehörigen eines andern Staates, auch wenn er durch das Übereinkommen nicht gebunden ist, nur in bezug auf Zuwendungen versagt werden, zu deren Beibringung der Bewerber nicht beigetragen hat.

Aus dieser Bestimmung folgt, dass die Schweiz im Falle der Ratifikation des Übereinkommens verpflichtet würde, in der Arbeitslosenversicherung die Angehörigen eines Staates auch dann gleich zu behandeln wie die eigenen Angehörigen, wenn der andere Staat das Übereinkommen entweder nicht ratifizieren oder keine gleichwertige Arbeitslosenfürsorge besitzen sollte. In diesen Fällen hätte jedoch der Angehörige des betreffenden Staates nur Anspruch auf ein Taggeld, das der Höhe der von ihm in die Arbeitslosenkasse einbezahlten Prämien entspräche. Es würde somit einem solchen Arbeitslosen im Sinne von Art. 11, Abs. 2, des Bundesgesetzes das statutarische Taggeld unter Abzug der öffentlichen Subventionen verabfolgt. Damit wäre das Erfordernis der Gleichbehandlung ohne weiteres
erfüllt, da in den angeführten Fällen die Schweiz selbstverständlich nicht verpflichtet werden könnte, dem Ausländer diejenige statutarische Leistung zu gewähren, an welche die öffentliche Hand (Bund, Kantone und Gemeinden) durch Gewährung von Subventionen den Hauptanteil beiträgt. Es ergibt sich somit, dass die schweizerische Gesetzgebung in bezug auf die Gleichbehandlung der Ausländer mit dei Bestimmung in Art. 16 des Übereinkommens in Übereinstimmung ist.

Der Bundesrat kommt deshalb zum Schluss, das Übereinkommen sei von der Schweiz zu ratifizieren. Er unterbreitet der Bundesversammlung in der Beilage den Entwurf eines Bundesbeschlusses, der ihn zur Eatifikation ermächtigt.

986

Gernass Art. 20 dos Übereinkommens kann dieses nach Ablauf von 5 Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum eisten Mal in Kraft getreten ist, gekündigt werden ; die Wirkung der Kündigung tritt ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat des Volkerbundes ein. Da somit das Übereinkommen befristet und nicht für die Dauer von mehr als 15 Jahren abgeschlossen ist, unterliegt der Bundesbeschluss nicht dem Eeferendum.

Die Grundsatze, welche die dem Übereinkommen beigegebene Empfehlung enthalt, sind in der Schweiz bereits im grossen und ganzen verwirklicht, so dass nach Auffassung des Bundesrates zurzeit keine weiteren Massnahmen zu treffen sind, um der Empfehlung zu entsprechen.

2. Übereinkommen über die Arbeitszeit in automatischen

Tafelglashütten.

Die im Übereinkommen festgesetzte Arbeitszeitregelung ist einfach und schmiegsam abgefasst, so dass deren Durchführung keine besondeien Schwierigkeiten bieten sollte. Ihre Anwendung in der Schweiz hatte keine starken Buckwirkungen auf unsere Wirtschaft zur Folge, da unter den zurzeit in insérera Lande m Betrieb stehenden sechs Glashütten sich eine einzige Tafelglasfabrik befindet, die unter die Bestimmungen der Konvention fallen wurde. Diese Fabrik arbeitet heute gemass einer Bewilligung auf Grund des Fabrikgesetzes mit durchschnittlich 56 Stunden pro Woche in den ununterbrochen laufenden Abteilungen. Sie stellt übrigens den Ofenbetrieb zwecks Ausführung von Instandsetzungsarbeiten alljährlich einige Monate ab. Abgesehen von der wöchentlichen Stundenzahl, die -- abweichend von der Bestimmung des Übereinkommens -- wesentlich über 42 Stunden liegt, stände die Arbeitsweise diese? Unternehmens bezüglich der Forderungen einer sechzehnstundigen Mindestruhe zwischen zwei Schichten und (die Zeit des Schichtwechsels abgenommen) einer längstens achtstündigen Dauer der Arbeitsschichten mit den Bestimmungen der Konvention im Einklang.

Das Bedürfnis nach Anwendung der im Übereinkommen festgesetzten Eegeluiig auf diese in der Schweiz einzig bestehende Tafelglasfabtik ist unter den gegebenen Umstanden nicht dringend, um so mehr als auch die Lohnregelung bei einer Verkurzang der wöchentlichen Arbeitszeit von 56 auf 42 Stunden sowie voraussichtlich auch die Eekrutierung geeigneter Arbeiter für 'lie Aufstellung einer -uerten Schicht Schwierigkeiten bereiten durfte. Auf jeden Fall empfiehlt es sich für die Schweiz abzuwarten, ob und in welchem Umfang die Lander mit stark entwickelter Tafelglasindustrie das Übereinkommen ratifizieren; denn es wird unbedingt notwendig sein, dass diese Konkurrenzlander vorangehen, bevor für uns die Eatifikation in Frage kommt. Der Bundesrat beantragt daher, die Eatifikation des Übereinkommens durch die Schweiz zurückzustellen, bis die Haltung dieser übrigen Lander abgeklärt ist.

Inzwischen soll immerhin darauf hingewirkt werden, dass die in Frage stehende schweizerische Fabrik eine allmähliche Anpassung an die Koiiventionsbestinamungen voi'beicitet.

987 Wie bereits erwähnt, stimmte die Arbeitskonferenz auch einer Einbeziehung der automatischen Flaschenglashütten in das Studienprogramm des Arbeitsamtes zu. im Hinblick auf deren Unterstellung unter eine Konvention.

Der Bundesrat würde eine einheitliche Regelung begrüssen, welche die Gesamtheit dieses Industriezweiges umfassen und sich voraussichtlich auch auf den normalen Einschichtbetrieb erstrecken könnte.

3. Abgeändertes Übereinkommen über die Entschädigung bei Berufskrankheiten.

Das ursprüngliche Übereinkommen, das die Internationale Arbeitskonferenz im Jahre 1925 angenommen hatte, war von der Schweiz am 16. November 1927 ratifiziert worden. Soweit es in bezug auf die entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten über die damals geltende schweizerische Giftliste hinausgeht, ist sein Inhalt durch die bundesrätliche Verordnung IiTM'61 über die Unfallversicherung vom 8. November 1927, die am 1. Dezember desselben Jahres in Kraft getreten ist, zum Bestandteil der schweizerischen Gesetzgebung gemacht worden.

Die Abänderung des Übereinkommens an der letztjährigen Tagung bestand, wie oben ausgeführt worden ist, in einer Erweiterung des Verzeichnisses der zu entschädigenden Berufskrankheiten. Es fragt sich nun, welche Haltung die Schweiz einnehmen soll. Für die Vornahme der Ratifikation des abgeänderten Übereinkommens spricht die Tatsache, dass unser Land bereits das alte Übereinkommen ratifiziert hat. ferner dass die Mehrzahl der Erkrankungen, welche im neuen Übereinkommen eingeschlossen sind, schon jetzt als Berufskrankheiten im Sinne des Art. 68 des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes anerkannt und auch entschädigt werden, wie endlich auch der Umstand, dass in den letzten Jahren hinsichtlich der Entschädigimg der Berufskrankheiten in den meisten Ländern bedeutende Fortschritte erzielt worden sind. Die soziale Bedeutung dieser Krankheiten tritt immer deutlicher zutage und damit auch die Verpflichtung der Länder, ein gesetzliches Entschädigungssystem für sie zu schaffen oder, wenn ein solches bereits vorhanden ist, es auszubauen.

Anderseits stehen der Ratifikation des erweiterten Übereinkommens durch die Schweiz zurzeit entscheidende Hindernisse entgegen.

Das neue Übereinkommen führt als entschäcligungspflichtige Krankheiten neben einer Reihe solcher, die schon heute von der schweizerischen
Unfallversicherung auf Grund von Art. 68 des Gesetzes und der in Ausführung dieser Bestimmung aufgestellten Liste der schädlichen Stoffe berücksichtigt werden, hauptsächlich die Silikose oder Sandlunge auf. Unter Silikose versteht man gemeinhin die Erkrankungen der Lunge, welche infolge der Einwirkung von Silizium oder Quarzsandstaub bei bestimmten Arbeiten entstehen können. Solche Erkrankungen sind in der Schweiz schon mehrfach aufgetreten. Auf Veranlassung des Bundesrates hat sich der Verwaltungsrat der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt bereit erklärt, Versicherten, die an Silikose erkranken, oder ihren Hinterlassenen die gesetzlichen Leistungen auszurichten, unter

988 der Bedingung, das& nach Auffassung der Anstalt die Krankheitsfolgen eindeutig und unzweifelhaft auf die Einwirkung des Quarzsandes zurückgeführt werden können und die Schädigungen sich nicht überwiegend als Folgen eines gewöhnlichen, meist tuberkulösen Krankheitsprozesses darstellen. Die auf diesem Beschluss des Verwaltungsrates beruhende Entschädigungspraxis der Unfallversicherungsanstalt erfolgt somit ohne Anerkennung einer Bechtspflicht. Sie bedeutet eine freiwillige Ausdehnung der Unfallversicherung auf Tatbestände, die an sich nicht unter die gesetzliche Entschädigungspflicht fallen und eine Anrufung des Kichters gegenüber den Entscheiden der Anstalt unmöglich machen. Mit der Ratifikation des Übereinkommens würde die Silikose, deren Folgen unter Umständen sehr schwerwiegend und für die Anstalt belastend sein können, zu einer im Sinne des Gesetzes entschädigungspflichtigen Krankheit, wobei die Entscheide der Anstaltsorgane an die Versicherungsgerichte weitergezogen werden könnten.

Der Bundesrat hat sich infolgedessen veranlasst gesehen, über die Wirkungen der Eatifikation des Übereinkommens auf die Entschädigung der Silikose die Meinungsäusserung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt einzuholen, welche zunächst die Folgen der Katifikation zu tragen hätte. In einem einlässlichen Berichte vom 16. November 1934 gelangt die Direktion der Anstalt zum Schlüsse, es sollte bis auf weiteres von der Eatifikation des Übereinkommens angesichts des Einschlusses der Silikose abgesehen werden, bis man in der Schweiz über zahlreichere Erfahrungen auf diesem Gebiete verfügt.

Die Anstalt weist zunächst darauf hin, dass schon heute die Silikose, soweit es sich wirklich um eine solche handelt, von der Anstalt mit den gesetzlichen Leistungen entschädigt wird, womit in weitgehender Weise dem sozialen Gesichtspunkte Bechnung getragen sei. Sie macht im ferneren geltend, dass die Silikose bis vor gar nicht langer Zeit in der Schweiz als Krankheit so gut wie unbekannt gewesen und ihre sichere Erkennung noch heute sehr schwierig sei.

Die häufige Verbindung der Silikose mit andern Lungenkrankheiten, insbesondere mit der Lungentuberkulose, bei der auch das Eöntgenbild keine sichere Beurteilungsgrundlage abgebe, bewirke, dass die Trennung des Einflusses dieser beiden Faktoren schon in der Wissenschaft nicht
immer in klarer Weise möglich sei und häufig genug gar nicht richtig durchgeführt werden könne. Sei aber einmal das Übereinkommen ratifiziert, so dass die Entscheide der Anstalt der Überprüfung durch den Bichter unterliegen, &o müsse befürchtet werden, dass auf Grund der Befragung von Ärzten als Experten, welche diese schwierige Materie vielfach nicht aus eigener Anschauung kennen, die Anstalt in zahlreichen Fällen Leistungen werde übernehmen müssen, zu denen sie von Bechts -wegen, nicht verhalten wäre, weil es an den "Voraussetzungen fehle. Diese Gefahr werde um so grösser, als der Text des Übereinkommens nicht die Silikose für sich allein erwähne, sondern die ratifizierenden Staaten zur ganzen oder teilweisen Entschädigung der mit Tuberkulose verbundenen Silikose zwinge, sofern die Silikose als ein massgebender Faktor betrachtet werden könne.

Aus allen diesen Gründen gelangt die Anstalt zum Schlüsse, es sollte mit der

989 Ratifikation des abgeänderten Übereinkommens bis auf weiteres noch zugewartet werden.

Der Auffassung der Anstalt, die in erster Linie auf die medizinische Unabgeklärtheit der Silikose hinweist und deshalb von der Eatifikation des neuen Übereinkommens eine schwere finanzielle Belastung befürchtet, kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Durch die Verbindung der Silikose mit der Tuberkulose ist der Text des Übereinkommens -- bei den Verhandlungen hatte sich der schweizerische Eegierungsvertreter in der Kommission mit anderen Kommissionsmitgliedern leider ohne Erfolg für eine präzisere Fassung eingesetzt -- in der Tat in hohem Masse unbefriedigend, weil er einen Zustand der Bechtsunsicherheit schafft und damit die Anstalt missbräuchlichen Leistungsbegehren ausliefert. Aber auch abgesehen hievon könnte die Batifikation des neuen Übereinkommens zu einer weitern unerwünschten Folge führen. Wie bereits erwähnt wurde, entschädigt die Unfallversicherungsanstalt die Fälle von Silikose mit oder ohne Lungentuberkulose schon heute mit den ordentlichen Leistungen des Unfallversicherungsgesetzes, jedoch auf freiwilliger Basis.

Sie hat es deshalb in der Hand, ungerechtfertigte Ansprüche abzulehnen und zu vermeiden, dass sie im gerichtlichen Verfahren von vielfach in diesem Gebiete wenig bewanderten ärztlichen Experten abhängig wird. Auf der gleichen Grundlage entschädigt sie auch Stauberkrankungen der Lunge, die nicht von der Einwirkung von Siliziumstaub herrühren. Die Anstalt zieht somit auf dem Boden der Freiwilligkeit den Kreis der entschädigungspflichtigen Krankheiten schon jetzt weiter als sie es müsste, wenn sie durch die Batifikation des Übereinkommens verpflichtet wäre, die Silikose mit Lungentuberkulose im Sinne des Gesetzes als entschädigungspflichtige Krankheit anzuerkennen. Unter diesen Umständen nxuss man mit der Möglichkeit rechnen, dass, sofern das Übereinkommen von der Schweiz ratifiziert würde, zwar die formelle Rechtsstellung der Arbeiter im Gebiete der Silikose verbessert, dagegen ihre materielle Situation hinsichtlich des Kreises von Krankheiten, für welche sie Entschädigungen von der Anstalt erhalten, verschlechtert wird, wenn die Anstalt die zu befürchtende starke Belastung durch unklare Silikosefälle auf dem Wege des Verzichts auf die Übernahme der gewöhnlichen Fälle von
Staublunge wieder einbringen müsste. Dieser Gesichtspunkt muss beim Entscheid über die Ratifikationsfrage unter allen Umstanden berücksichtigt werden, indem sich die Ratifikation gegebenenfalls gegen die wahren Interessen der Versicherten richten könnte.

Wegen der unbefriedigenden Behandlung, welche die Silikosefrage im neuen Übereinkommen gefunden hat und der Gefahren, die diese Regelung einschliesst, hält es der Bundesrat, in Übereinstimmung mit der Schweizerischen UnfallveTsicherungsanstalt, für angezeigt, mit dem Entscheid über die Ratifikation des neuen Übereinkommens zuzuwarten, bis weitergehende Forschungen und praktische Erfahrungen bei den zuständigen Stellen, insbesondere bei der genannten Anstalt, eine weitere Abklärung in der ganzen Silikosefrage, namentlich wenn die Silikose mit Lungentuberkulose verbunden ist, gebracht haben.

Bundesblatt. 87. Jahrg. Bd. I.

73

990 Diese abwartende Stellungnahme drängt sich zumal auch im Hinblick auf die gegenwärtigen schwierigen Verhältnisse in der Wirtschaft auf, die letzten Endes die Folgen einer zu weit getriebenen und sachlich unbegründeten Entschädigungspraxis zu tragen hätte. Der Bundesrat beantragt daher, den Entscheid über die Eatifikation des neuen Übereinkommens über die Entschädigung bei Berufskrankheiten vorderhand auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

4. Abgeändertes Übereinkommen über die Nachtarbeit der Frauen.

Die an der Konferenz von 1934 beschlossenen Abänderungen des Übereinkommens über die Nachtarbeit der Frauen betreffen einerseits den Ausschluss von Personen, die sich in verantwortungsvollen leitenden Stellen befinden und gewöhnlich keine körperliche Arbeit verrichten, vom persönlichen Geltungsbereich der Konvention, anderseits die Möglichkeit, den im Sinne des Übereinkommens als «Nacht» geltenden Zeitabschnitt unter gewissen Voraussetzungen gegenüber der normalen Regelung um eine Stunde zu verschieben.

Wie bereits dargelegt wurde, ging die Schweiz bei der Durchführung des Fabrikgesetzes und des Bundesgesetz^s über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben bisher von der Annahme aus -- übrigens war dies praktisch für uns fast ohne jede Bedeutung --, dass schon das ursprüngliche Übereinkommen von 1919 auf Personen der genannten Art keine Anwendung finde. Nach dem inzwischen erfolgten Gutachten des Internationalen Gerichtshofes ist diese Interpretation allerdings nicht zutreffend.

Doch stimmte allgemein auch die Auffassung und Praxis in den anderen Staaten mit der unsrigen überein. Das Bedürfnis, Personen in leitender Stellung von der Anwendung des Übereinkommens auszunehmen, gab denn auch Anlass zu dessen Revision und zur Aufnahme einer Bestimmung in das neue Übereinkommen, die diese Ausnahme ausdrücklich anerkennt. Das Verfahren bei uns steht mit dieser Bestimmung in vollem Einklang. Es stützt sich, soweit das Fabrikgesetz in Frage steht, auf Art, 3, lit. d, der Vollzugsverordnung zu diesem Gesetz, wonach vom persönlichen Geltungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen sind «Personen, denen der Fabrikinhaber eine höhere leitende Stellung in der Betriebsführung oder eine auswärtige Vertretung übertragen hat». Gleichermassen wird in dieser Beziehung das Bundesgesetz
über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben durchgeführt, dessen persönlicher Geltungsbereich in der Vollzugsverordnung nicht näher umschrieben ist.

Was sodann die Möglichkeit betrifft, unter gewissen Voraussetzungen die Grenzen der «Nacht» im Sinne der Konvention auf die Zeit von 11 Uhr abends bis 6 Uhr morgens (statt normalerweise 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens) zu verlegen, so hat sich das Bedürfnis nach einer solchen ireieren Regelung bei uns bis dahin nicht geltend gemacht. Selbstverständlich würde uns die Aufrechterhaltung unserer strengeren Praxis auch nicht verwehrt sein, wenn wir das neue Übereinkommen ratifizieren. Im Bedarfsfalle waren wir dann aber auch in der Lage, die im neuen Übereinkommen vorgesehene freiere Gestaltung

991 der Grenzen dei Nachtzeit uns zunutze zu machen. Innerhalb des Fabrikgesetzes stände uns hiefür Art. 181, Abs. 2, der Vollzugsverordnung zur Verfügung, worin die Bewilligung ausnahmsweiser geringer Abweichungen von den normalen Arbeitszeitbedingungen vorgesehen ist, während die Verordnung zum Bundesgesetz über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben darüber nichts Positives bestimmt, jedenfalls aber auch nichts enthält, was ein solches Vorgehen hindern würde.

Der Bundesrat ist unter den gegebenen Verhältnissen der Auffassung, die Schweiz solle das neugefasste Übereinkommen ratifizieren. Diese Eatifikation würde weder die Abänderung bestehender gesetzlicher Bestimmungen noch die Aufstellung neuer Gesetzesvorschriften bedingen. Da die Schweiz bereits das frühere Übereinkommen über die Nachtarbeit der Frauen ratifiziert hat, stellt sich dagegen für uns -- und zwar praktisch zum erstenmal -- die Frage nach der unter diesen Umständen sich ergebenden Eechtslage 1).

Seit dem Jahre 1929 enthält jedes von der Internationalen Arbeitskonferenz aufgestellte Übereinkommen eine gleichmässig wiederkehrende Bestimmung für den Fall, dass durch eine spätere Kevision ein neues Übereinkommen über denselben Gegenstand beschlossen werden sollte. Danach gilt folgende Regelung: Länder, die das frühere Übereinkommen ratifiziert haben, entscheiden in voller Freiheit über die Eatifikation des neuen Übereinkommens. Wird dieses von ihnen ratifiziert, so schliesst dies ohne weiteres die Kündigung des alten Übereinkommens in sich, und sie sind vom Zeitpunkt ihrer Eatifikationserklärung an ausschliesslich auf das neue Übereinkommen verpflichtet, vorausgesetzt, dass dieses in Kraft getreten ist. Lehnen sie dagegen die Eatifikation des neuen Übereinkommens ab. so bleiben sie an das alte Übereinkommen für so lange gebunden, bis dieses von ihnen ordnungsgemäss gekündigt wird. Mit dem Inkrafttreten des neuen Übereinkommens kann das alte Übereinkommen nicht mehr ratifiziert werden.

Die vorstehende Eegelung ist aber, wie schon erwähnt wurde, erst seit 1929 in den Formalbestimmungen der Übereinkommen niedergelegt; sie gilt daher nicht für ein Übereinkommen wie dasjenige über die Nachtarbeit der Frauen von 1919 in seiner Beziehung zum neugefassten Übereinkommen über denselben Gegenstand von 1934,
da hier das ursprüngliche Übereinkommen noch keine entsprechenden Bestimmungen enthält. Infolgedessen schliesst in diesem Falle die Eatifikation des neuen Übereinkommens die Kündigung des alten nicht ohne weiteres in sich, und es muss deshalb ein Staat, der das neue Übereinkommen ratifizieren und sich von der Verpflichtung auf das alte befreien will, dieses vorschriftsgemäss kündigen. Der hierauf bezügliche Artikel 13 des Übereinkommens über die Nachtarbeit der Frauen von 1919 lautet: «Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem *) Siehe Bundesbl. 1933, Bd. I, S. 692.

992

Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generalsekretär des Völkerbundes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Sekretariat ein». Da die vorgeschriebene Frist von zehn Jahren seit dem ursprünglichen Inkrafttreten des Übereinkommens abgelaufen ist, kann ein Staat, der das Übereinkommen ratifiziert hat, die Kündigung jederzeit vornehmen, wobei diese ein Jahr nach der Eintragung beim Völkerbundssekretariat wirksam wird. Anderseits erfolgt die Bindung eines Staates an das neugefasste Übereinkommen von 1934, falls er dieses ratifiziert, gemäss dessen Artikel 10 ein Jahr nach Eintragung der Eatifikation. Ein Staat, der gleichzeitig das alte Übereinkommen kündigt und das neue ratifiziert, wird somit ein Jahr darauf im gleichen Augenblick auf das neue Übereinkommen verpflichtet, in dem er aufhört, an das alte gebunden zu sein. Immerhin gilt dies nicht ohne weiteres für denjenigen Staat, der als erster das neugefasste Übereinkommen von 1934 ratifiziert. Dieser Fall ist hier deshalb zu erwähnen, weil bis dahin tatsächlich noch kein Staat das revidierte Übereinkommen über die Nachtarbeit der Frauen ratifiziert hat. Dieses tritt in Kraft ein Jahr nachdem die Eatifikationen zweier Mitgliedstaaten beim Generalsekretär eingetragen worden sind. Für den als erster ratifizierenden Staat wird daher das Übereinkommen nicht ein Jahr nach seiner eigenen Eatifikation, sondern ein Jahr nach der Eatifikation eines zweiten Staates rechtskräftig. Wenn somit der erste Staat, der dem neuen Übereinkommen beitritt, gleichzeitig mit der Eatifikation dieses Übereinkommens die Kündigung des alten Übereinkommens vollzieht, so wird er unter Umständen von seiner Verpflichtung auf das alte Übereinkommen frei, bevor er an das neue Übereinkommen gebunden ist.

Will er dies vermeiden, so stehen ihm zwei Möglichkeiten zu Gebote : entweder mit der Kündigung des alten Übereinkommens zuzuwarten, bis ein zweiter Staat das neue Übereinkommen ebenfalls ratifiziert hat, oder anlässlich der Anzeige über die Eatifikation des neuen und die Kündigung des alten Übereinkommens dem Generalsekretär des Völkerbundes davon Kenntnis zu geben, dass diese Kündigung erst nach Inkrafttreten des neuen Übereinkommens wirksam sein soll.

Der Bundesrat legt
Ihnen in der Beilage den Entwurf eines Bundesbeschlusses vor, der ihn ermächtigt, das abgeänderte Übereinkommen über die Nachtarbeit der Frauen vom Jahre 1934 zu ratifizieren und dementsprechend das ursprüngliche Übereinkommen über denselben Gegenstand vom Jahre 1919 zu kündigen. Was das Vorgehen bei der Eatifikation des neuen und der Kündigung des alten Übereinkommens betrifft, dürfte es dem Bundesrat überlassen bleiben, die ihm unter den gegebenen Verhältnissen am zweckmässigsten scheinende Form zu wählen.

993

Nach Art. 405, Abs. 5, des Vertrages von Versailles sind die Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation verpflichtet, nicht später als ein Jahr oder ausnahmsweise spätestens 18 Monate nach Schluss der Konferenz die Entwürfe von Übereinkommen und die Empfehlungen der zur Entscheidung darüber berufenen Behörde zu unterbreiten zum Zwecke der Verwirklichung durch die Gesetzgebung oder zwecks sonstiger Massnahmen. Der Bundesrat legt Ihnen derngemäss die Übereinkommen und Empfehlungen der achtzehnten Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz vor mit dem Ersuchen, von seinen Ausführungen in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen und den beiden Beschlussentwürfen die Genehmigung zu erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 21. Juni 1935.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates Der B u n d e s p r ä s i d e n t : B. Minger.

Der Bundeskanzler:

G. Boret.

994

(Entwurf.)

Beilage I.

Bimdestoeschluss betreffend

das internationale Übereinkommen über die Gewährung von Versicherungsleistungen oder Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose, Die B u n d e s v e r s a m m l u n g d e r schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrates vom 21. Juni 1935, beschliesst : Einziger Artikel.

Der Bundesrat wird ermächtigt, das von der Internationalen Arbeitskonferenz an ihrer achtzehnten Tagung beschlossene Übereinkommen über die Gewährung von Versicherungsleistungen oder Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose zu ratifizieren.

995

(Entwurf.)

Beilage II.

Bundeslbeschluss betreffend

das internationale Übereinkommen über die Nachtarbeit der Frauen (abgeänderter Wortlaut vom Jahre 1934),

Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrates vom 21. Juni 1935, be&chliesst : Einziger Artikel.

Der Bundesrat wird ermächtigt, das von der Internationalen Arbeitskonferenz an ihrer achtzehnten Tagung beschlossene abgeänderte Übereinkommen über die Nachtarbeit der Frauen zu ratifizieren und demgemäss das von der Internationalen Arbeitskonferenz an ihrer ersten Tagung aufgestellte Übereinkommen über denselben Gegenstand zu kundigen.

996 Beilage HI.

Achtzehnte Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

(Genf, 4. bis 23. Juni 1934.)

Entwürfe von Übereinkommen und Empfehlung der Konferenz.

1. Entwurf eines Übereinkommens (Nr. 41) über die Nachtarbeit der Frauen (abgeänderter Wortlaut vom Jahre 1934) 2. Entwurf eines Übereinkommens (Nr. 42) über die Entschädigung bei Berufskrankheiten (abgeänderter Wortlaut vom Jahre 1934) . . . .

8. Entwurf eines Übereinkommens (Nr. 43) über die Arbeitszeit in automatischen Tafelglashütten 4. Entwurf eines Übereinkommens (Nr. 44) über die Gewährung von Versicherungsleistungen oder von Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose 5. Empfehlung (Nr. 44) betreffend die Arbeitslosenversicherung und sonstige Formen der Arbeitslosenfürsorge

Selte

997 1000 1004 1007 1014

Die nachfolgend abgedruckten deutschen Texte der Entwürfe von Übereinkommen und der Empfehlung bilden die auf Wunsch der Regierungen Österreichs und der Schweiz in Übereinstimmung mit dem § 17 des Artikels 6 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz angefertigten offiziellen Übersetzungen der französischen und englischen Urtexte.

997 1.

Entwurf eines Übereinkommens (Nr 41) über die Nachtarbeit der Frauen (abgeänderter Wortlaut vom Jahre 1934).

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, die vom. Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1984 zu ihrer achtzehnten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die teilweise Abänderung des von der Konferenz auf ihrer ersten Tagung angenommenen Übereinkommens über die Nachtarbeit der Frauen, eine Frage, die den siebenten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines Entwurfes eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 19. Juni 1934, den folgenden Entwurf eines Übereinkommens an, der als abgeändertes Übereinkommen über die Nachtarbeit (Frauen) von 1934 bezeichnet wird.

Artikel 1.

1. Als «gewerbliche Betriebe» im Sinne dieses Übereinkommens gelten insbesondere : a. Bergwerke, Steinbrüche und andere Anlagen zur Gewinnung von Bodenschätzen ; T}. Gewerbe, in denen Gegenstände hergestellt, umgeändert, gereinigt, ausgebessert, verziert, fertiggestellt oder verkaufsbereit gemacht oder in denen Stoffe umgearbeitet werden, einschliesslich des Schiffsbaues, der Abbruchunternehmungen, der Erzeugung, Umformung und Übertragung von Elektrizität und sonstiger motorischer Kraft irgendwelcher Art; c. der Bau, der Wiederaufbau, die Instandhaltung, die Ausbesserung, der Umbau oder der Abbruch von Bauwerken, Eisenbahnen, Strassenbahnen, Häfen, Docks, Hafendämmen, Kanälen, Anlagen für die Binnenschifffahrt, Strassen, Tunneln, Brücken, Strassenüberführungen, Abwässerkanälen, Brunnenschächten, Telegraphen- und Telephonanlagen, elektrischen Anlagen, Gas- und Wasserwerken und anderen Bauarbeiten sowie die dazu nötigen Vor- und Fundierungsarbeiten.

2. In jedem Staate bestimmt die zuständige Behörde die Grenze zwischen Gewerbe einerseits, Handel und Landwirtschaft andererseits.

Artikel 2.

1. Als «Nacht» ini Sinne dieses Übereinkommens gilt ein Zeitraum von lûindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliesst.

998

2. Wenn für die Arbeitnehmer eines bestimmten Gewerbes oder Gebietes aussergewöhnliche Umstände vorliegen, kann die zuständige Behörde nach Anhörung der beteiligten Berufsverbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer verfügen, dass für die in diesem Gewerbe oder Gebiete beschäftigten Frauen die Zeit von elf Uhr abends bis sechs Uhr morgens an die Stelle der Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens tritt.

3. In den Staaten, in denen die Nachtarbeit der Frauen in gewerblichen Betrieben noch nicht gesetzlich geregelt ist, kann für eine Übergangsfrist von höchstens drei Jahren von der Eegierung bestimmt werden, dass unter «Nacht» ein Zeitraum von nur zehn Stunden zu verstehen ist, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliesst.

Artikel 3.

Frauen ohne Unterschied des Alters dürfen während der Nacht in öffentlichen oder privaten gewerblichen Betrieben oder ihren Nebenbetrieben nicht beschäftigt werden. Dies gilt nicht für Betriebe, in denen lediglich Mitglieder derselben Familie beschäftigt sind.

Artikel 4.

Artikel 3 findet keine Anwendung: a. im Falle einer nicht vorherzusehenden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsunterbrechung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist; b. in Fällen, in denen es sich um Arbeit an Rohstoffen oder in Bearbeitung stehenden Stoffen handelt, die einem raschen Verderb ausgesetzt sind, sofern es zur Verhütung eines sonst unvermeidlichen Verlustes an diesen Eohstoffen oder Stoffen erforderlich ist.

Artikel 5.

In Indien und Siam kann die Anwendung des Artikels 3 dieses Übereinkommens durch die Eegierung aufgehoben werden, ausser für Fabriken im Sinne der Begriffsbestimmung der einheimischen Gesetzgebung. Von jeder derartigen Ausnahme ist dem Internationalen Arbeitsamte Mitteilung zu machen.

Artikel 6.

In gewerblichen Betrieben, die dem Einflüsse der Jahreszeiten unterworfen sind, sowie in allen Fallen, in denen ausserordentliche Umstände es erheischen, kann die in Artikel 2 angegebene Dauer der Nacht an sechzig Tagen im Jahr auf zehn Stunden herabgesetzt werden.

Artikel 7.

In Ländern, in denen die Arbeit bei Tag infolge des Klimas besonders angreifend ist, kann die Nachtzeit kürzer berechnet werden, als in den vorher-

999

gehenden Artikeln bestimmt ist, vorausgesetzt, dass am Tag als Ersatz eine entsprechende Buhezeit gewährt wird.

Artikel 8.

Dieses Übereinkommen gilt nicht für Frauen, die sich in verantwortungsvollen leitenden Stellen befinden und gewöhnlich keine körperliche Arbeit verrichten.

Artikel 9.

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 10.

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Eatifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft ein Jahr, nachdem die Eatifikationen zweier Mitglieder durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes andere Mitglied ein Jahr nach der Eintragung seiner Eatifikation in Kraft.

Artikel 11.

Sobald die Eatifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen sind, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Auch gibt er ihnen Kenntnis von der Eintragung der Eatifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 12.

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generalsekretär des Völkerbundes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Sekretariat ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absätze genannten Zeitraumes von .zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrechte keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 13.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens jeweils bei Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses

1000 Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 14.

1. Nimmt die Allgemeine Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Eatifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, ohne Bücksicht auf Artikel 12. Voraussetzung ist dabei, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist ; ' b. vom Inkrafttreten des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 15.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

2.

Entwurf eines Übereinkommens (Nr. 42) über die Entschädigung bei Berufskrankheiten (abgeänderter Wortlaut vom Jahre 1934).

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des A'olkerbundes, die vom Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1934 zu ihrer achtzehnten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die teilweise Abänderung des von der Konferenz auf ihrer siebenten Tagung angenommenen Übereinkommens über die Entschädigung bei Berufskrankheiten, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines Entwurfes eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 21. Juni 1934, den folgenden Entwurf eines Übereinkommens an, der als abgeändertes Übereinkommen über die Berufskrankheiten von 1934 bezeichnet wird.

Artikel 1.

1. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, Arbeitnehmern, die durch Berufskrankheiten erwerbsunfähig geworden sind, oder ihren Hinterbliebenen eine

1001 Entschädigung nach den allgemeinen Grundsätzen seiner Gesetzgebung über die Entschädigung bei Betriebsunfällen zu sichern.

2. Die Entschädigungssätze dürfen nicht geringer sein als diejenigen, welche die Gesetzgebung für die aus Betriebsunfällen herrührenden Schäden "vorsieht. Mit dieser Einschränkung steht es jedem Mitgliede frei, bei der gesetzlichen Begeluag der Entschädigung für die betreffenden Krankheiten und bei der Unterstellung dieser Krankheiten unter die Gesetzgebung über die Entschädigung bei Betriebsunfällen die zweckdienlichen Änderungen und Anpassungen vorzunehmen.

Artikel 2.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, als Berufskrankheiten die Krankheiten und Vergiftungen zu betrachten, die durch die im nachstehenden Verzeichnis angeführten Stoffe verursacht sind. Dabei wird vorausgesetzt, dass derartige Krankheiten oder Vergiftungen bei Arbeitnehmern auftreten, die in den im Verzeichnis an entsprechender Stelle angeführten Berufen, Gewerben oder Verfahren beschäftigt sind, sofern jene Krankheiten oder Vergiftungen durch die Beschäftigung in einem Betriebe hervorgerufen wurden, welcher der Gesetzgebung des Mitgliedes über die Entschädigung bei Betriebsunfällen unterliegt.

Verzeichnis der Erkrankungen und Giftstoffe : der entsprechenden Berufe, Gewerbe und Verfahren : Vergiftungen durch Blei, seine Behandlung bleihaltiger Erze, einschliessLegierungen oder Verbindungen, lieh bleihaltiger Eückstände in Zinksowie die unmittelbaren Folgen werken.

dieser Vergiftungen.

Einschmelzen von altem Zink und Blei zu Barren.

Herstellung von Gegenständen aus geschmolzenem Blei oder bleihaltigen Legierungen.

Polygraphische Gewerbe.

Herstellung von Bleiverbindungen.

Herstellung und Ausbesserung elektrischer Akkumulatoren.

Zubereitung und Verwendung von bleihaltigen Emaillen.

Polieren mit Bleispänen oder bleihaltigen Stoffen.

Anstreicharbeiten, bei denen bleihaltige Streichmittel, Kitte oder Farben zubereitet oder gebraucht werden.

1002 Vergiftungen durch Quecksilber, seine Legierungen oder Verbindungen, sowie die unmittelbaren Folgen dieser Vergiftungen.

Behandlung von quecksilberhaltigen Mineralien.

Herstellung von Quecksilberverbindungen.

Herstellung von Mess- und Laboratoriumsapparaten.

Zubereitung der Eohstoffe für die Hutmacherei.

Feuervergoldung.

Verwendung von Quecksilberpumpen für die Herstellung von Glühlampen.

Herstellung von Knallquecksilberzündern.

Ansteckung durch Milzbrand.

Arbeiten bei milzbrandverseuchten Tieren.

Behandlung von Tierleichen oder tierischen Abfällen.

Bin- und Ausladen sowie Beförderung von Waren.

Silikose mit oder ohne Lungentuberkulose, sofern die Silikose eine entscheidende Ursache der Arbeitsunfähigkeit oder des Todes ist.

Von der Gesetzgebung als silikosegefährlich anerkannte Gewerbe oder Verfahren.

Vergiftungen durch Phosphor oder seine Verbindungen, sowie die unmittelbaren Folgen dieser Vergiftungen.

Alle Verfahren, bei denen Phosphor oder seine Verbindungen hergestellt werden, entweichen oder verwendet werden.

Vergiftungen durch Arsen oder seine Verbindungen, sowie die unmittelbaren Folgen dieser Vergiftungen.

Alle Verfahren, bei denen Arsen oder seine Verbindungen hergestellt werden, entweichen oder verwendet werden.

Vergiftungen durch Benzol oder seine Homologen, deren Nitro- und Aminoderivate, sowie die unmittelbaren Folgen dieser Vergiftungen.

Alle Verfahren, bei denen Benzol oder dessen Homologen oder deren Nitro- und Aminoderivate hergestellt werden, entweichen oder verwendet werden.

Vergiftungen durch die Halogenderivate der Kohlenwasserstoffe der Fettreihe.

Alle von der Gesetzgebung bezeichneten Verfahren, bei denen Halogenderivate der Kohlenwasserstoffe der Fettreihe hergestellt werden, entweichen oder verwendet werden.

1003 Krankhafte Erscheinungen infolge: a. Badinrns und sonstiger radioaktiver Stoffe, i). Böntgenstrahlen.

Primärer Hautkrebs.

Alle Verfahren, die Personen der Wirkung von Eadium, radioaktiven Stoffen oder Eöntgenstrahlen aussetzen.

Alle A'erfahren, bei denen mit Teer, Pech, Erdpech, Mineralölen, Paraffin oder Verbindungen, Produkten oder Buckständen dieser Stoffe umgegangen "wird oder diese verwendet werden.

Artikel 3.

Die förmlichen Batifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 4.

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Batifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft ein Jahr, nachdem die Batifikationen zweier Mitglieder durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes andere Mitglied ein Jahr nach der Eintragung seiner Batifikation in Kraft.

Artikel 5.

Sobald die Batifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen sind, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Auch gibt er ihnen Kenntnis von der Eintragung der Batifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 6.

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generalsekretär des Volkerbundes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Sekretariat ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absätze genannten Zeitraumes von fünf Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrechte keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von fünf Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von fünf Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

1004 Artikel 7.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens jeweils bei Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 8.

1. Nimmt die Allgemeine Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Katifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, ohne Bücksicht auf Artikel 6. Voraussetzung ist dabei, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist ; b. vom Inkrafttreten des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 9.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

3.

Entwurf eines Übereinkommens (Nr. 43) über die Arbeitszeit in automatischen Taîelglashutten.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, die vom Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1934 zu ihrer achtzehnten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Arbeitszeit in automatischen Tafelglashütten, eine Frage, die den dritten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines Entwurfes eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 21. Juni 1934, den folgenden Entwurf eines Übereinkommens an, der als Übereinkommen über die Tafelglashütten von 1934 bezeichnet wird.

1005 Artikel 1.

1. Dieses Übereinkommen gilt für Personen, die schichtweise bei zwangsläufig ununterbrochenen Arbeiten in Tafelglashütten beschäftigt werden, in denen Tafelglas oder Glas derselben Beschaffenheit, das sich von Tafelglas nur durch seine Dicke und andere Ausmasse unterscheidet, mit automatischen Maschinen erzeugt wird.

2. Als zwangsläufig ununterbrochene Arbeit gilt jede Arbeit, die infolge der selbsttätigen und fortlaufenden Beschickung mit Glasmasse und der Art des Betriebes der Maschinen zu keinem Zeitpunkt des Tages, der Nacht oder der Woche unterbrochen werden kann.

Artikel 2.

1. Die Personen, für welche dieses Übereinkommen gilt, sind nach einem Arbeitsplan zu beschäftigen, der mindestens vier Schichten vorsieht.

2. Die durchschnittliche Arbeitszeit dieser Personen darf 42 Stunden wöchentlich nicht überschreiten.

3. Der Berechnung dieser Durchschnittsdauer wird ein Zeitraum von höchstens vier Wochen zugrunde gelegt.

4. Die Dauer einer Arbeitsschicht darf acht Stunden nicht überschreiten.

5. Die Ruhezeit zwischen zwei Schichten der gleichen Arbeitnehmerschicht darf nicht weniger als sechzehn Stunden betragen; doch kann diese Euhezeit nötigenfalls beim regelmässigen Wechsel des Schichtplanes verkürzt werden.

Artikel 3.

1. Die nach Artikel 2, Absatz 2, 3 und 4, vorgesehenen Grenzen können überschritten und die nach Absatz 5 vorgesehene Euhezeit kann verkürzt werden, jedoch nur soweit es erforderlich ist, um eine ernstliche Störung des regelmässigen Betriebes zu verhüten: a. wenn eine Betriebsstörung eingetreten ist oder droht, wenn dringliche Arbeiten an den Maschinen oder an den Betriebseinrichtungen vorzunehmen sind, oder wenn höhere Gewalt vorliegt; b. um das unvorhergesehene Ausbleiben eines oder mehrerer Mitglieder einer Schicht ausgleichen zu können.

2. Für Überstunden auf Grund dieses Artikels wird eine angemessene Vergütung nach Massgabe der Gesetzgebung oder von Vereinbarungen der beteiligten Berufsverbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gewährt.

Artikel 4.

Um die Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens zu .erleichtern, wird jeder Arbeitgeber verpflichtet: a. durch Anschläge an gut sichtbarer Stelle im Betrieb oder an einem anderen geeigneten Ort oder auf sonst eine von der zuständigen Behörde genehmigte Weise Beginn und Schluss jeder Schicht bekanntzugeben: Bundesblatt. 87. Jahrg. Bd. L 74

1006 b. den einmal bekanntgegebenen Stundenplan nur in der von der zuständigen Behörde genehmigten Art und Weise zu ändern; c. alle auf Grund des Artikels 3 geleisteten Überstunden sowie die für solche Überstunden gewährte Vergütung in ein Verzeichnis einzutragen, dessen Form die zuständige Behörde genehmigt hat.

Artikel 5.

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 6.

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Eatifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft ein Jahr, nachdem die Eatifikationen zweier Mitglieder durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

8. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes andere Mitglied ein Jahr nach der Eintragung seiner Eatifikation in Kraft.

Artikel 7.

Sobald die Eatifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen sind, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Auch gibt er ihnen Kenntnis von der Eintragung der Eatifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 8.

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generalsekretär des Völkerbundes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Sekretariat ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absätze genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrechte keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 9.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens jeweils bei Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses.

1007 Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 10.

1. Nimmt die Allgemeine Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Eatifikation des neugefassteii Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, ohne Rücksicht auf Artikel 8. Voraussetzung ist dabei, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist : 6. vom Inkrafttreten des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 11.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

4.

Entwurf eines Übereinkommens (Nr. 44) über die Gewährung von Versicherungsleistungen oder von Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, die vom Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1934 zu ihrer achtzehnten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Arbeitslosenversicherung und sonstige Formen der Arbeitslosenfürsorge, eine Frage, die den zweiten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt., dass diese Anträge die Form eines Entwurfes eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1934, den folgenden Entwurf eines Übereinkommens an, der als Übereinkommen über die Arbeitslosigkeit von 1934 bezeichnet wird.

Artikel 1.

1. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, eine Einrichtung zu unterhalten,

1008 um unfreiwillig Arbeitslosen, für die dieses Übereinkommen gilt, eine der folgenden Leistungen zu sichern: a. eine «Versicherungsleistung», d. h. eine Leistung gemäss den Beiträgen, die an die Pflichtversicherung oder an die freiwillige Versicherung auf Grund der Beschäftigung des Leistungsempfängers entrichtet wurden; oder &. eine «Unterstützung», d. h. eine Leistung, die weder eine Versicherungsleistung noch eine Hilfe im Eahmen der allgemeinen Massnahmen der Bedürftigenfürsorge darstellt, die aber in einer Vergütung für Beschäftigung bei Notstandsarbeiten nach Massgabe der Bestimmungen des Artikels 9 bestehen kann; oder c. eine Verbindung von Versicherungsleistung und Unterstützung.

2. Die unter Absatz l dieses Artikels vorgesehene Versicherungsleistung oder Unterstützung ist allen durch dieses Übereinkommen erfassten Personen zu gewährleisten. Unter dieser Voraussetzung kann die Einrichtung bestehen in : a. einer Pflichtversicherung; fe. einer freiwilligen Versicherung; c. einer Verbindung von Pflichtversicherung und freiwilliger Versicherung; d. einer der vorgenannten Einrichtungen, ergänzt durch eine Fürsorge.

3. Die Gesetzgebung bestimmt gegebenenfalls die Voraussetzungen, unter denen Arbeitslose von der Versicherung in die Fürsorge übergehen.

Artikel 2.

1. Dieses Übereinkommen gilt für alle Personen, die gegen Lohn oder Gehalt zu arbeiten pflegen.

2. Jedes Mitglied kann jedoch in seiner Gesetzgebung die etwa erforderlich erscheinenden Ausnahmen vorsehen für: a. Hausgehilfen; fe. Heimarbeiter; c. Arbeitnehmer in Dauerstellungen im Dienste der Eegierung, örtlicher Behörden oder öffentlicher Betriebe; d. geistige Arbeiter, deren Verdienst nach Auffassung der zuständigen Behörde ausreicht, um ihnen zu gestatten, gegen die Gefahr der Arbeitslosigkeit selbst vorzusorgen; e. Arbeitnehmer, deren Beschäftigung Saisoncharakter trägt, wenn ihre Saison in der Eegel kürzer als sechs Monate ist und wenn sie während des übrigen Teiles des Jahres keine andere unter dieses Übereinkommen fallende Beschäftigung auszuüben pflegen; /. jugendliche Arbeitnehmer, die ein bestimmtes Alter noch nicht erreicht haben; g. Arbeitnehmer, die ein bestimmtes Alter überschritten haben und Buhegeld oder Altersrente beziehen;

1009 li. Personen, die mir gelegentlich oder aushilfsweise eine unter dieses Übereinkommen fallende Beschäftigung ausüben; i. Mitglieder der Familie des Arbeitgebers; j. Sondergruppen von Arbeitnehmern, für welche die Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens auf Grund besonderer Umstände nicht notwendig oder ,nicht zwecknaässig erscheint.

3. Die Mitglieder haben in ihren Jahresberichten über die Durchführung dieses Übereinkommens die von ihnen auf Grund des vorstehenden Absatzes zugelassenen Ausnahmen mitzuteilen.

4. Dieses Übereinkommen gilt nicht für Schiffsleute, Angehörige der Seefischerei und Arbeitnehmer der Landwirtschaft, wobei die Abgrenzung dieser Gruppen der Gesetzgebung überlassen bleibt.

Artikel 3.

Bei Kurzarbeit (Teilarbeitslosigkeit) sind die Versicherungsleistrmgen oder die Unterstützungen Arbeitslosen zu gewähren, deren Beschäftigung verkürzt ist, unter Bedingungen, welche die Gesetzgebung bestimmt.

Artikel 4.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Bewerber: a. arbeitsfähig und zur Arbeit verfügbar ist; b. bei einer öffentlichen Arbeitsvermittlungsstelle oder einer anderen von der zuständigen Behörde genehmigten Stelle eingetragen ist und sich, vorbehaltlich der durch die Gesetzgebung etwa vorgesehenen Ausnahmen und Bedingungen, bei dieser Stelle regelmässig meldet; G. allen übrigen Vorschriften nachkommt, die von der Gesetzgebung aufgestellt werden, zum Zwecke des Nachweises, ob jr die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versicherungsleistung oder einer Unterstützung erfüllt.

Artikel 5.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung kann auch von anderen Voraussetzungen oder Ausschliessungsgründen, insbesondere den in den Artikeln 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 12 genannten, abhängig gemacht werden. Andere Voraussetzungen oder Ausschliessungsgründe als die in diesen Artikeln genannten sind in den Jahresberichten der Mitglieder über die Durchführung dieses Übereinkommens mitzuteilen.

Artikel 6.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung kann von der Erfüllung einer Anwartschaftszeit abhängig gemacht werden. Die Bestimmungen hierüber können zum Gegenstand haben:

1010 a. die Entrichtung einer bestimmten Zahl von Beiträgen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vor der Stellung des Antrages auf Versicherungsleistung oder vor Beginn der Arbeitslosigkeit; oder &. eine unter dieses Übereinkommen fallende Beschäftigung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vor der Stellung des Antrages auf Versicherungbleistung oder auf Unterstützung oder vor Beginn der Arbeitslosigkeit; oder c. eine Verbindung der genannten Begelungen.

Artikel 7.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung kann an die Erfüllung einer Wartezeit gebunden werden, deren Dauer und Voraussetzungen von der Gesetzgebung zu regeln sind.

Artikel 8.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung kann vom Besuch eines beruflichen oder sonstigen Lehrganges abhängig gemacht werden.

Artikel 9.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Bewerber nach Massgabe der Vorschriften der Gesetzgebung Arbeit bei Notstandsarbeiten annimmt, die von einer öffentlichen Stelle durchgeführt werden.

Artikel 10.

1. Dem Bewerber, der die Annahme einer angemessenen Beschäftigung ablehnt, kann der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung für eine entsprechende Zeit verweigert werden. Nicht als angemessen gilt eine Beschäftigung : a. deren Annahme das Wohnen in einem Gebiet voraussetzt, in dem keine Möglichkeiten zu angemessener Unterkunft bestehen; b. für die eine geringere Vergütung oder sonst ungünstigere Bedingungen geboten werden 1. als der Bewerber vernünftigerweise unter Berücksichtigung jener Bedingungen hätte erwarten können, die er gewöhnlich bei seinei1 üblichen Beschäftigung in dem Gebiet erlangte, in dem er beschäftigt war, oder die er erlangt hätte, wenn er weiter beschäftigt worden wäre (bei Angebot von Beschäftigung im Beruf und in dem Gebiet, in dem er zuletzt zu arbeiten pflegte); 2. als die, welche allgemein zur gleichen Zeit in Beruf und Gebiet gelten in denen die Beschäftigung angeboten wird (in allen anderen Fällen);

1011 c. die durch Stillstand der Arbeit als Folge einer Arbeitsstreitigkeit frei geworden ist; d. deren Ablehnung dem Bewerber aus sonst einem Grund unter Berücksichtigung aller Voraussetzungen, einschliesslich seiner persönlichen Verhältnisse, bilügenreise nicht zur Last gelegt werden kann.

2. Dem Bewerber kann der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung für eine angemessene Zeit verweigert werden, wenn er: a. seine Beschäftigung unmittelbar durch Stillstand der Arbeit als Folge einer Arbeitsstreitigkeit verloren hat; &. seine Beschäftigung durch eigene Schuld verloren oder ohne ausreichenden Grund freiwillig aufgegeben hat; c. versucht hat, eine Versicherungsleistung oder eine Unterstützung betrügerischerweise zu erlangen: d. den Anordnungen einer öffentlichen Arbeitsvermittlungsstelle oder einer sonstigen zuständigen Behörde bei der Arbeitsuche nicht nachkommt oder, wenn die zuständige Behörde nachweist, dass er eine passende Gelegenheit zu angemessener Beschäftigung vorsätzlich oder aus Kachlässigkeit nicht benutzt hat.

8. Haben Bewerber beim Ausscheiden aus einer Beschäftigung von ihrem Arbeitgeber auf Grund ihres Arbeitsvertrages eine Entschädigung empfangen, die den Lohnausfall während eines bestimmten Zeitraumes im wesentlichen ausgleicht, so kann ihnen für diese Zeit die Versicherungsleistung oder die Unterstützung verweigert werden. Eine von der Gesetzgebung vorgesehene Abgangsentschädigung gilt nicht als eine solche Entschädigung.

Artikel 11.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung kann auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt werden, der in der Regel nicht kürzer als 156 Arbeitstage im Jahr und in keinem Falle kürzer als 78 Arbeitstage im Jahre sein darf.

Artikel 12.

1. Die Gewährung der Versicherungsleistung darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Bewerber bedürftig ist.

2. Der Anspruch auf Unterstützung kann davon abhängig gemacht werden, dass die Bedürftigkeit des Bewerbers im Sinne der von der Gesetzgebung erlassenen Bestimmungen festgestellt wird.

Artikel 13.

1. Die Versicherungsleistung ist in Geld zu gewähren; doch können zusätzliche Zuwendungen, die dem Versicherten die Wiederaufnahme von Arbeit erleichtern sollen, in Sachleistungen bestehen, 2. Die Unterstützung kann, in Sachleistungen bestehen.

1012 Artikel 14.

Zur Entscheidung von Streitfragen, die sich aus Begehren der unter dieses Übereinkommen fallenden Personen auf Versicherungsleistung oder auf Unterstützung ergeben, sind nach Massgabe der Gesetzgebung Gerichte oder andere zuständige Behörden einzusetzen.

Artikel 15.

1. Dem Bewerber kann für die Dauer seines Wohnsitzes im Auslande die Versicherungsleistung oder die Unterstützung verweigert werden.

2. Für Grenzgänger, deren Arbeitsort in einem anderen Lande liegt als ihr Wohnort, kann eine Sonderregelung getroffen werden.

Artikel 16.

Ausländern soll die Versicherungsleistung und die Unterstützung unter den gleichen Voraussetzungen zustehen wie Inländern. Doch kann jeder Mitgliedstaat den Angehörigen eines Mitgliedstaates oder anderen Staates, der durch dieses Übereinkommen nicht gebunden ist, die Gleichbehandlung mit seinen eigenen Staatsangehörigen in bezug auf Zuwendungen aus Mitteln verweigern, zu deren Aufbringung der Bewerber nicht beigetragen hat.

Artikel 17.

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 18.

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Batifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft ein Jahr, nachdem die Eatifikationen zweier Mitglieder durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes andere Mitglied ein Jahr nach der Eintragung seiner Eatifikation in Kraft.

Artikel" 19.

Sobald die Eatifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen sind, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Auch gibt er ihnen Kenntnis von der Eintragung der Eatiiikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

1013 Artikel 20.

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generalsekretär des Völkerbundes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Sekretariat ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absätze genannten Zeitraumes von fünf Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kundigungsrechte keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von fünf Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von fünf Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 21.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens jeweils bei Ablauf eines Zeitraumes von fünf Jahren der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 22.

1. Nimmt die Allgemeine Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, ohne Bücksicht auf Artikel 20. Voraussetzung ist dabei, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

&. Vom Inkrafttreten des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 23.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

1014 5.

Empfehlung (Nr. 44) betreffend die Arbeitslosenversicherung und sonstige Formen der Arbeitslosenfürsorge.

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes, die vom Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1934 zu ihrer achtzehnten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Arbeitslosenversicherung und sonstige Formen der Arbeitslosenfürsorge, eine Frage, die den zweiten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1934, die folgende Empfehlung an : Die Konferenz hat den Entwurf eines Übereinkommens über die Gewährung von Versicherungsleistungen oder von Unterstützungen an unfreiwillig Arbeitslose angenommen.

Sie geht davon aus, dass dieser Entwurf eines Übereinkommens die Mindestvoraussetzungen festlegt, denen jede Arbeitslosenversicherung oder Arbeitslosenfürsorge gerecht werden soll.

Sie hält es für angezeigt, eine Eeihe allgemeiner Grundsätze aufzustellen, die erfahrungsgemäss als die geeignetsten erscheinen, um zu einer befriedigenden Gestaltung der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge beizutragen. In dieser Überzeugung empfiehlt die Konferenz allen Mitgliedern, die folgenden Grundsätze und Eegeln in Erwägung zu ziehen: 1. Staaten, in denen keine Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeit besteht, sollten Massnahmen zu möglichst baldiger Einführung einer solchen Regelung treffen.

2. Staaten, in denen für den Fall der Arbeitslosigkeit eine Pflichtversicherung oder eine freiwillige Versicherung besteht, sollten eine ergänzende Fürsorge schaffen für Personen, die ihren Anspruch auf die Versicherungsleistung erschöpft, sowie in bestimmten Fällen für Personen, die einen solchen Anspruch noch nicht erworben haben; diese Fürsorge sollte auf einer anderen Grundlage als die allgemeine Bedürftigenfürsorge beruhen.

3. Die Einrichtungen, die den Arbeitslosen Versicherungsleistungen oder Unterstützungen gewähren, sollten nicht nur die Vollarbeitslosen, sondern auch die Kurzarbeiter (Teilarbeitslosen) erfassen.

4. a. Die Einrichtungen der Arbeitslosenversicherung oder der Arbeitslosenfürsorge sollten sobald als möglich auf alle Personen
angewendet werden, die auf Grund eines Arbeitsvertrages oder auf Grund eines Lehrvertrages gegen Geldlohn beschäftigt werden. Soweit Ausnahmen von dieser Eegel unvermeidlich erscheinen, sollten sie auf das unbedingt notwendige Mindestmass beschränkt werden.

1015 b. Diese Personen sollten so lange entweder von der Versicherung oder von der Fürsorge erfasst werden, bis sie Anspruch auf eine Altersrente erlangen.

c. Falls sich die Anwendung der allgemeinen Begeht über die Arbeitslosenversicherung auf bestimmte Sondergruppen von Arbeitnehmern als schwierig erweist, sollten Sondermassnahmen getroffen werden, um die Versicherung auch dieser Gruppen zu ermöglichen. Solche Sondermassnahmen sollten insbesondere bezwecken, das Vorliegen von Arbeitslosigkeit mit hinlänglicher Sicherheit zu ermitteln und die Versicherungsleistungen dem Normalverdienste der betreffenden Arbeitnehmer anzupassen.

d. Soweit irgend möglich und insbesondere soweit eine ausreichende Aufsicht sich durchführen lässt, sollten besondere Vorkehrungen getroffen werden, um wirtschaftlich schwachen Selbständigen im Falle von Arbeitslosigkeit zu helfen.

5. Wird es für zweckmässig erachtet, für die Unterstellung unter die Versicherung eine bestimmte obere Lohngrenze festzusetzen, so sollten durch eine solche Grenze nur Arbeitnehmer ausgeschlossen werden, deren Verdienst es ihnen ermöglicht, gegen die Gefahr der Arbeitslosigkeit selbst vorzusorgen.

Als Ziel ist die Einbeziehung aller Arbeitnehmer, gleichviel ob sie körperliche oder geistige Arbeit verrichten, ohne Bücksicht auf ihr Arbeitsentgelt anzustreben.

6. Die in dem Entwurf eines Übereinkommens vorgesehene Anwartschaftszeit sollte nicht mehr umfassen als 26 Arbeitswochen in einer von der jeweils geltenden Begelung erfassten Beschäftigung oder die Entrichtung von 26 Wochenbeiträgen oder eines ihnen entsprechenden Betrages in den zwölf Monaten vor der Stellung des Unterstützungsantrages oder 52 Arbeitswochen oder 52 Wochenbeiträge oder einen ihnen entsprechenden Betrag in den 24 Monaten vor der Stellung des Unterstützungsantrages.

7. Der Zeitraum, für den die Gesetzgebung die Gewährung der Versicherungsleistung vorsieht, sollte so lange bemessen werden, als die Leistungsfähigkeit der Einrichtung es zulässt, und es sollte mit allem Nachdruck angestrebt werden, dass die Unterstützungen so lange laufen, als die Bewerber ihrer bedürfen.

8. Die nach dem Entwurf eines Übereinkommens zulässige Wartezeit sollte für jeden Zeitraum der Arbeitslosigkeit acht Tage nicht überschreiten, vorbehaltlich der Bestimmungen über Kurzarbeiter (Teilarbeitslose)
in den Artikeln 3 und 7 des Entwurfes eines Übereinkommens und in Ziffer 3 dieser Empfehlung.

9. Bei der Entscheidung darüber, ob die Beschäftigung eines Bewerbers in einem anderen als seinem früheren Beruf eine «angemessene Beschäftigung» ist, deren Ablehnung nach den Bestimmungen des Entwurfes eines Übereinkommens die Verweigerung des Anspruches begründen kann, sollten die Dauer der Betätigung in dem früheren Berufe, die Aussichten, darin wieder beschäftigt zu werden, die berufliche Ausbildung und die Eignung für die angebotene Arbeit berücksichtigt werden.

1016 10. Ist die Beschäftigung durch Stillstand der Arbeit als Folge einer Arbeitsstreitigkeit verloren gegangen, so sollte die Verweigerung des Anspruches auf die Versicherungsleistung oder auf die Unterstützung nur gegenüber Bewerbern erfolgen, die unmittelbar an der Streitigkeit beteiligt sind, und keinesfalls über die Dauer des Stillstandes der Arbeit hinaus.

11. a. Die Verpflichtung zum Besuch eines beruflichen oder sonstigen Lehrganges, von dem nach den Bestimmungen des Entwurfes eines Übereinkommens die Gewährung der Versicherungsleistung oder der Unterstützung abhängig gemacht werden kann, sollte nur in den Fällen auferlegt werden, in denen das für die körperliche oder sittliche Entwicklung oder die berufliche oder allgemeine Ertüchtigung des Arbeitslosen von Vorteil ist.

b. Werden Arbeitslose verpflichtet, Beschäftigung bei Notstandsarbeiten anzunehmen, so sollten Alter, Gesundheitszustand und früherer Beruf sowie die Eignung für die betreffende Arbeit berücksichtigt werden.

c. Als Notstandsarbeiten sollten nur ausserordentliche Arbeiten vorübergehender Natur gelten, die von einer öffentlichen Stelle aus Mitteln zur Unterstützung der Arbeitslosen durchgeführt werden.

12. Ein Teil der für Arbeitslosenunterstützung bereitgestellten Mittel sollte zur Erleichterung der Wiederaufnahme von Arbeit verwendet werden können, z. B. durch beruflichen oder sonstigen Unterricht oder durch Zahlung der Fahrtkosten an Arbeitslose, die eine Beschäftigung ausserhalb des Gebietes finden, in dem sie wohnen.

13. Die zuständige Behörde sollte in regelmässigen Zeitabständen die Finanzlage der Versicherungskassen prüfen, um deren Zahlungsfähigkeit und das Gleichgewicht zwischen ihren Ausgaben und ihren eigenen Einnahmen nach Möglichkeit sicherzustellen. Bei der finanziellen Begelung sollte soweit als möglich sichergestellt werden, dass die Einrichtung vorübergehenden Schwankungen des Beschäftigungsurnfanges Bechnung tragen kann, ohne die Durchführung der geltenden Bestimmungen zu beeinträchtigen.

14. Um in Zeiten besonders ausgedehnter Arbeitslosigkeit die Gewährung der gesetzlichen Unterstützung sicherzustellen, sollte ein Notfonds gebildet werden.

15. Es sollten Massnahmen getroffen werden, um Vertreter der Beitragszahler an der Verwaltung der Versicherung zu beteiligen.

16. Die Gleichbehandlung sollte
gegebenenfalls nicht nur den Angehörigen von Mitgliedstaaten, die durch das Übereinkommen gebunden sind, sondern auch Angehörigen von Mitgliedstaaten und anderen Staaten gewährt werden, die das Übereinkommen nicht ratifiziert haben, dessen Bestimmungen aber tatsächlich durchführen.

17. Die Staaten sollten durch zweiseitige Vertrage mit ihren Nachbarstaaten die Voraussetzungen regeln, unter denen in Grenzgebieten Personen, deren Arbeitsort in einem anderen Lande liegt als ihr Wohnort, im Falle von Arbeitslosigkeit Versicherungsleistungen oder Unterstützungen gewährt werden.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die achtzehnte Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz. (Vom 21. Juni 1935.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1935

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

26

Cahier Numero Geschäftsnummer

3264

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.06.1935

Date Data Seite

973-1016

Page Pagina Ref. No

10 032 682

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