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Bundesblatt

87. Jahrgang.

Bern, den 1. Mai 1935.

Band I.

Erscheint wöchentlich Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Salbjahr, zuzüglich Nachnahme und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an

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Nachtragsbericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend Ergänzung des Art. 56 der Bundesverfassung (Verbot der Freimaurerei).

(Vom 26. April 1935.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Mit Bericht vom 10. Dezember 1934 hatten wir Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass das Volksbegehren betreffend Ergänzung der Bundesverfassung (Verbot der Freimaurerei) zustande gekommen war, indem die Zahl der gültigen Unterschriften nach, vorgenommener Prüfung sich auf 56,946 belief.

Die Schweizerische Grossloge Alpina reichte indessen bei der Kommission des Nationalrates, dem die Erstbehandlung des Geschäftes zusteht, eine Beschwerde ein, woraus hervorzugehen schien, dass eine Anzahl Unterschriften von Drittpersonen herrühren. Angesichts dieser Beschwerde lud uns diese Kommission durch den Präsidenten des Nationalrates ein, über die ihr gemeldeten Fälle eine Untersuchung einzuleiten und gegebenenfalls die im Gesetze vorgeschriebenen Massnahmen zu ergreifen. Die Untersuchung bezweckte: 1. die Zahl der durch Dritte beigesetzten Unterschriften zu bestimmen; 2. aus allfälligen Unregelmässigkeiten die Folgerungen in strafrechtlicher Hinsicht zu ziehen.

Was den ersten Punkt anlangt, so verfügte die Bundesverwaltung über keine zu einer solchen Untersuchung geeigneten Organe. Die dem eidgenössischen Statistischen Amt obliegende Prüfung ist notwendigerweise summarisch, und sie kann sich nur auf offensichtliche Unregelmässigkeiten erstrecken (Doppelunterschriften, Unterschriften mit Gänsefüsschen, ungenügend oder gar nicht beglaubigte Unterschriften usw.), aber nicht auf die Echtheit der Unterschriften.

Bundesblatt.

87. Jahrg.

Bd. I.

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722 Auf Grund dieser Prüfung wurden übrigens 357 Unterschriften gestrichen (s. Bericht vom 10. Dezember 1934). Um festzustellen, ob einzelne Unterschriften wirklich von Dritten stammen, musste man sich an die in Präge kommenden Gemeindeverwaltungen wenden.

Bezüglich des Umf anges dei Untersuchung boten sich zwei Möglichkeiten : 1. entweder die Beschrankung der Untersuchung auf jene Bogen, ungefähr zwanzig, denen nach den Akten der Grossloge Alpina Unregelmäßigkeiten anhaften sollen, oder die wenigstens verdachtig erscheinen; 2. oder die Anordnung einer allgemeinen Untersuchung aller Bogen. Der Vorteil der «beschrankten» Untersuchung bestand dann, dass sie weniger Muhe -^erursacht und zudem dem Ansuchen der nationalratlichen Kommission genügt hatte da sich dieses nur auf Falle bezog, «die zu Beschwerden Anlass gaben».

Wir kamen jedoch zum Schlüsse, dass eine allgemeine Untersuchung sich aufdrängte, da bei der Bundesaixv, altschaf't auch noch Klagen aus ganz andern Kreisen über das gleiche Volksbegehren eingegangen waren, woiuber die nationalratliche Kommission nicht unterrichtet war, nämlich: a. von der Polizeidirektion des Kantons Bern wegen Frauen, die Im ihie Männer unterschrieben hatten ; b. vom Bezirksanwalt in Zuiich ^vegen eines Sammlers, der Unterschriften von Duttpersonen auf einen Bogen gesetzt hatte ; c. von der Polizeidirektion des Kantons Zug wegen eines ähnlichen Falles.

Angesichts der Schwere der gemeldeten Missbrauche, ihrer aussergewohnlich hohen Zahl, der Tatsache ihrer Verbreitung über das ganze Land. -- alles Umstände, die auf einen Organisationsmangel schHessen lassen -- durfte sich die Untersuchung nicht auf Einzelfalle beschranken. Wenn man von einer Million Stimmberechtigten verlangt, sich die Muhe zu nehmen, ihre Meinung über ein Volksbegehren zu aussern, sollten sie zum mindesten die Sicherheit haben, dass die Initiative tatsachlich die gesetzlich -vorgeschriebene Zahl von 50,000 Unterschriften auf sich vereinigt hat und dass diese nicht durch Kniffe erreicht wurde, die zwar vielleicht nicht gegen das Strafgesetz verstossen, jedoch das durch die Bundesversammlung erwahrte Ergebnis als irrtümlich erscheinen lassen wurden. Nur ein Weg konnte beschntten weiden, um diese Sicherheit zu erlangen : das Ersuchen an die Gemeindekanzleien, alle mit ihrer Beglaubigung versehenen
Bogen nachzuprüfen und die Echtheit einer jeden einzelnen Unterschrift unwiderlegbar festzustellen.

Vom Gesichtspunkte der gerichtlichen Verfolgung aus war es angezeigt, die von der nationalratlichen Kommission geforderte Untersuchung auf samtliche Unterschriften auszudehnen. Es liegt in der Tat im Interesse der politischen Sauberkeit, den gegenwartig beim Sammeln von Unterschriften vorkommenden Missbrauchen ein Ende zu machen. (Die beim vorliegenden Volksbegehren festgestellten Missbrauche werden wir weiter unten auffuhren.) Die Einleitung eines Strafverfahrens in allen Fallen, wo Unregelmassigkeiten zutage getreten

723 sind, wäre zweifellos eine wirksame Warnung für alle diejenigen, welche inskünftig in Versuchung kämen, sich auf die gleiche Bahn zu hegeben.

Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen haben wir also die Kantone eingeladen, die Echtheit aller Unterschriften auf dein Volksbegehren betreffend das Verbot der Freimaurerei nachprüfen zu lassen und uns die durch Dritte angebrachten Unterschriften sowie die gegen das Bundesgesetz von 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung vers tossenden Unregelmässigkeiten bekanntzugeben.

Die Staatskanzleien übermittelten in Befolgung unseres Kreisschreibens die Unterschrii'tenbogen sämtlichen Gemeinden zur Nachprüfung der Unterschriften. Diese Überprüfung erfolgte durch Vergleichen mit den Originalunterschriften auf den Stimmrechtsausweisen oder durch persönliches Befragen der Unterzeichner. Man hat den Eindruck, dass fast alle Gemeindebehörden die Untersuchung peinlich genau durchgeführt haben. Das eidgenössische Statistische Amt hat die Bogen auf Grund der eingelaufenen Berichte nachkontrolliert und kam zum Ergebnis, dass die Zanl der gültigen Unterschriften nunmehr 56,238 beträgt. Bei der ersten Prüfung wurden 357, bei der zweiten 708 Unterschriften als ungültig gestrichen, zusammen also 1065. Die bei der zweiten Prüfung als ungültig ermittelten Unterschriften setzen sich wie folgt zusammen : Doppelanterschriften 188 Unterschriften von Vätern, Söhnen, Brüdern, die selbst auch unterschrieben ]8 Unterschriften \on Frauen oder Töchtern ohne ergänzende Angaben . . 64 Unterschriften von Frauen oder Töchtern, im Einverständnis oder Auftrag des Stimmberechtigten 81 Durch unbekannte Täter gefälschte Unterschriften 194 Durch bekannte Täter gefälschte Unterschriften 33 Unterschriften von Minderjährigen, Bevormundeten oder Armengenössigen 51 Unterschriften von Personen, die nicht in der Gemeinde wohnten . . . 71 Von den Gemeindebehörden ohne Angabe des Grundes gestrichene Unterschriften 51 Andere ungültige Unterschriften 7 Auf den im Oktober 1934 der Bundeskanzlei eingereichten Bogen waren entweder vom Initiativkomitee, von Sammlern oder von Unterzeichnern selber oder von Gemeindebehörden ungefähr 1500 Unterschriften gestrichen worden.

Wahrscheinlich haben damals die Behörden von vorneherein die Bogen durch
Ausmerzung einer grossen Zahl gefälschter oder sonst ungültiger Unterschriften erstmals bereinigt.

Anlässlich der zweiten Unterschriftenprüfung stellten 60 Bürger aus verschiedenen Kantonen das Begehren, ihre Unterschriften zurückziehen zu dürfen, da sie sich über den Zweck der Initiative nicht klar gewesen seien.

Es wurde ihnen geantwortet, dass gestützt auf die im Kreisschreiben des

724 Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend den Eückzug von Unterschriften bei Eeferendums- und Initiativbegehren (Bundesbl. 1938, Bd. II, S. 706) niedergelegten Grandsätze, ihren Wünschen nicht entsprochen werden könne.

Über das Vorgehen der Unterschriftensammler lauten die Berichte sehr verschieden. Viele Gemeindebehörden in den Kantonen Waadt und Freiburg erklären, die Sammler hätten sich anständig benommen, weder Geschenke gemacht noch Zechen bezahlt. Andere dagegen berichten, die Sammler hätten die Bürger auf den Arbeitsplätzen aufgesucht und bearbeitet bis sie unterschrieben. Dabei seien häufig falsche Angaben gemacht worden, so wurde z. B. behauptet, es handle sich um die Kriseninitiative, um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit usw. Den Frauen soll vielfach erklärt worden sein, sie hätten das Eecht, für ihren Mann zu unterschreiben. Der Gemeindepräsident von Linthal teilt mit, Sammler, die mit einem Automobil aus dem Kanton Waadt dorthin gekommen waren, hätten einfach Namen auf die Bogen gesetzt, die sie vorher aus dem zivilstandsamtlichen Ansehlagekasten oder von Firmenschildern abgelesen hatten.

Die erwähnten Missbräuche kommen wahrscheinlich mehr oder weniger bei jeder Unterschriftensammlung vor. Immerhin scheint die eingetretene Wandlung in der Art, Volksbegehren zu veranlassen, sie zu begünstigen. Früher begnügte man sich damit, die Bogen in Läden zum Unterschreiben bereitzuhalten; heute werden häufig Leute, meistens Arbeitslose, zum Unterschriftensammeln angestellt. Diese pro Unterschrift bezahlten Sammler wenden sich an Bürger oder Pseudobürger, denen sie im Wirtshaus oder sogar auf der Strasse begegnen ; vor allem aber gehen sie von Haus zu Haus. Die oben mitgeteilten Tatsachen zeigen, dass bezahlte Sammler, die nicht genügend beaufsichtigt sind, leicht in Versuchung geraten, eine möglichst hohe Zahl von Unterschriften mit verwerflichen Mitteln oder sogar durch Fälschungen zusammenzubringen.

Wie oben schon betont wurde, verlangt es die politische Sauberkeit, da«s diese Missbräuche verschwinden.

Neben den von den Sammlern verschuldeten Unregelmässigkeiten gibt es aber noch solche, die davon herrühren, dass gewisse Behörden die einschlägigen Gesetzesbestimmungen nicht kennen oder falsch auslegen.

Aus der nachstehenden Tabelle sind nach Kantonen geordnet ersichtlich:
die Zahl der eingereichten Unterschriften, diejenige der gestrichenen Unterschriften Cl. und 2. Prüfung) und die Zahl der gültigen Unterschriften.

Total der eingereichten Unterschriften: 2,132 13,620 1,449

Kantone Zürich Bern Luzern Übertrag

17,201

Ungültige GDlttae Unterschriften: .. . ,,L9.H/V_ Unlersch ften 1. Prüfung: 2. Prüfung: " · 7 l 2,124 120 138 13,362 l 3 1,445 128

142

16,931

725 Total der eingereichten Unterschriften :

Kantone

Übertrag 17,201 Uri Schwyz Obwalden Nidwaiden Glarus Zug Freiburg Solothurn Basel-Stadt Basel-Land Schaffhausen Appenzell A.-Rh Appenzell I.-Rh St. Gallen Graubünden Aargau Thurgau Tessin Waadt Wallis Neuenburg Genf

Total

Ungültige Unterschriften: 1. Prüfung:

2. Prüfung:

Gültige Unterschriften:

128

142

16,931

571 *) 1,459 402 246 218 274 9,399 698 606 777 566 3 l 2,846 2,674 129 395*) 6,090 5,679 3,935 936 2,198

-- l -- l -- l 104 2 l l l -- -- 7 12 -- -- 9 19 54 9 7

4 12 -- -- l l 107 8 l -- 7 -- -- 14 36 l 7 114 183 6 17 47

561 1,446 402 245 217 272 9,188 688 604 776 558 3 l 2,825 2,626 128 394 5,967 5,477 3,875 910 2,144

57,303

357

708

56,238

Nach dieser Zusammenstellung weist das Volksbegehren 56,238 gültige Unterschriften auf und ist somit zustandegekommen.

Was die festgestellten Unregelmässigkeiten anbetrifft, so wird die Bundes anwaltschaft ermitteln, welches diejenigen sind, die strafrechtlich verfolgt werden sollen, und die erforderlichen Maßnahmen hierzu, ergreifen.

*) Im ersten Berieht hatte der Kanton Uri 6 Unterschriften weniger und der Kanton Thurgau 6 mehr. Dieser Unterschied ist dadurch entstanden, dass man glaubte, der Bogen der Urner-Gemeinde Bürglen stamme aus der thurgauischen Gemeinde gleichen Namens; die Verwechslung wurde durch das Fehlen der Kantonsbezeichnung verursacht.

726

Damit glauben wir, den Auftrag ausgeführt zu haben, den uns die nationalTätliche Kommission erteilt hat, und wir bitten Sie nur noch, vom obigen Berichte Kenntnis zu nehmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 26. April 1935.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: R. Minger.

Der Bundeskanzler: Gr. Bovet.

--«xgüi«--

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Nachtragsbericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend Ergänzung des Art. 56 der Bundesverfassung (Verbot der Freimaurerei). (Vom 26. April 1935.)

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01.05.1935

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