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z» 3255 II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Junisession 1935).

(Vom 21. Mai 1935.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten über weitere 8 Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen.

109. Wilhelm Müller, 1891, Spenglermeister, Basel.

(Unfallversicherung, Prämienhinterziehung.)

109. Wilhelm Müller ist am 13. Februar 1935 vom Appellationsgerieht ·des Kantons Basel-Stadt, in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, gemäss Art. 64 und 66 des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung, vom 13. Juni 1911, zu 3 Wochen Gefängnis und Fr. 200 Busse verurteilt worden.

Müller hat in seinem Spenglerei- und Installationsgeschäft doppelte Lohnlisten geführt und in den Jahren 1927--1933 rund Fr. 22,000 zu wenig Löhne angegeben, was hinterzogenen Prämien im Betrage von Fr. 859. 60 gleichkommt.

Ferner machte sich Müller der unrichtigen Auskunftserteilung schuldig.

Der Verteidiger Müllers ersucht für diesen um gänzlichen oder doch bedingten Brlass der Gefängnisstrafe, allenfalls um deren Herabsetzung. Die Gesuchsangaben erweisen sich als Wiederholung früherer Verteidigungsanbringen. Das Urteil stehe innerhalb der Basler Gerichtspraxis in krassem Widerspruch zu viel schwereren Fällen; einige Tage Gefängnis hätten genügt, zudem seien die Voraussetzungen für den bedingten Strafvollzug missachtet worden.

Mit dem Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt und der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt beantragen wir demgegenüber ohne weiteres Abweisung. Müller musste von der Anstalt schon 1927 verwarnt werden. Das Appellationsgericht erklärt: «Eine strenge Ahndung ist am Platze, da das vom Verzeigten begangene Verbrechen seinem Wesen nach nichts anderes als ein Betrug ist ; der Umstand, dass es zum Nachteil der Suva! begangen und daher durch ein Spezialgesetz geregelt ist, kann dem Verzeigten nicht zugute kommen.» Weiter wird ausdrücklich festgestellt, das Verhalten Müllers schliesse

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die Gewährung des bedingten Strafvollzuges aus. Es liegt auf der Hand, dass entsprechend der in diesen Strafsachen sehr zurückhaltenden Praxis der Begnadigungsbehörde kein Grund besteht, von den ergangenen Strafurteilen abzuweichen.

110. Ernst Sieglist, 1910, Hilfsmonteur, vormals Aar bürg (Aargau).

(Absinthverbot.)

110. Ernst Siegrist ist am 23. November 1934 vom Obergericht des Kantons Aargau, in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, gemäss Bundesgesetz betreffend das Absinthverbot, vom 24. Juni 1910, zu 6 Tagen Gefängnis und Fr. 200 Busse verurteilt worden.

Siegrist hat dem Hauptbeteiligten beim gewerbsmässigen, interkantonalen Vertrieb einer von diesem hergestellten Absinthnachahmung geholfen. Der Transport geschah gewöhnlich zur Nachtzeit, wozu Siegrist sein Automobil zur Verfügung stellte, mit dem die beiden nahezu jeden Abend den Wirten nachreisten.

Siegrist ersucht um Erlass der Gefängnisstrafe oder doch um Herabsetzung bis zu mindestens 2 bis 3 Tagen. Er sei ohne Vorstrafe. In seiner Unerfahrenheit habe er sich verleiten lassen. Heute sei er verheiratet und habe als Heizer und Seifensieder eine gute Stelle, die er aber verlieren könne, wenn seine Strafe bekannt und ihr Vollzug verfugt werde.

Das Bezirksgericht Zofingen kann sich mit einer Herabsetzung der Gefängnisstrafe einverstanden erklären. Das Eidgenössische Gesundheitsamt stimmt dem Erlass der Strafhälfte zu.

Da nach Auffassung der Bundesanwaltschaft bei der nicht geringfügigen Teilnehmertätigkeit Siegrists eine Teilbegnadigung wenig gerechtfertigt schien, TVTirde abzuklären versucht, ob der Vollzug der sechs Tage Gefängnis den Bestraften wirklich um die Stelle bringe oder ob, bei entsprechender Wahl des Zeitpunktes, der Strafvollzug ohne diese Wirkung vor sich gehen könne; diesfalls wurde der Gesuchsrückzug als das Gegebene erklärt. Siegrist antwortete, sich zum Gesuchsrückzug nur entschliessen zu können, wenn der Strafvollzug auf das Jahresende verlegt würde.

Wir beantragen heute Abweisung, mit Anordnung des Strafvollzuges nach dem Ermessen der Kantonsbehörden und in Berücksichtigung der persönlichen Lage des Gesuchstellers. Bei den jahrelangen Machenschaften, die hier .zur Beurteilung standen, drängt sich eine Begnadigung offenbar nicht auf.

111. Gebhard Ruckstuhl, 1892, Landwirt, Wil (St. Gallen), 112. Wilhelm Wittwer, 1913, Landarbeiter, Beichenbach (Bern), 113. Joseî Bühler. 1913, Taglöhner, Melchthal (Obwalden).

(Jagdvergehen.)

Bundesblatt. 87. Jalirg. Bd. I.

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Gemäss Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz, vom 10'. Juni 1925, sind verurteilt worden: 111. Gebhard Euckstuhl, verurteilt am 25. Juli 1984 von der Gerichtskommission Wil geraäss Art. 45, Abs. 2, des Bundesgesetzes zu Fr. 50 Busse.

Euckstuhl ist wegen Jagenlassens von Hunden, deren er sieben besitzt, während geschlossener Jagdzeit, und zwar in fortgesetzter Weise, gebusst worden, wobei der vorhandene Bückfall straferschwerend berücksichtigt wurde.

Euckstuhl ersucht um Erlass von Busse und Kosten, da er unmöglich zahlen könne. Hierzu verweist er auf die wiederholten Spitalaufenthalte der Ehefrau (die seit der Gesuchseinreichung verstorben ist), und die Obsorge für sieben kleine Kinder. Für den verfallenen Zins sei er betrieben, und wenn die Bauernhilfskasse nicht eingreife, sei er mit seiner Familie verloren. Schaden hätten seine Hunde nicht angerichtet, dagegen habe er seit 1934 durch Eaubwild über 60 Hühner verloren.

Der Bezirksammann erhebt gegen eine Begnadigung keine Einwendungen, da sich die prekäre Lage Buckstuhls und seiner Familie nicht verkennen lasse.

Der II. Staatsanwalt des Kantons St. Gallen beantragt den teilweisen Bussenerlass. Das kantonale Justizdepartement beantragt Herabsetzung der Busse um die Hälfte. Die Eidgenössische Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei beantragt Abweisung.

Zwischen der Bundesanwaltschaft und dem kantonalen Justizdepartement hat ein Meinungsaustausch stattgefunden, um bei der nicht hohen Busse, und da kein leichter Übertretungsfall vorliegt, die Angelegenheit zur Entlastung des Begnadigungsweges allenfalls dahin erledigen zu können, dass bei Verzicht der Kantonsbehörden auf den Kostenbezug der Gesuchsrückzug und die ratenweise Bussentilgung erlangt würde. Auf drei Zuschriften hat Euckstuhl nicht geantwortet.

Aus Mitleidsgründen, namentlich in Berücksichtigung der durch den seitherigen Tod der Ehefrau und Mutter verschlimmerten Lage der Familie, beantragen wir mit dem kantonalen Justizdepartement den Erlass der Bussenhälfte.

112. Wilhelm Wittwer, verurteilt am 19. März 1935 vom Gerichtspräsidenten von Frutigen gemäss Art. 42 des Bundesgesetzes und kantonalem Jagdrecht zu Fr. 300 Busse.

Wittwer hat mit andern in Banngebiet gejagt, wobei ein Mitbeteiligter eine Gemsgeiss erlegte.

Wittwer ersucht um ganzen oder doch teilweisen Erlass der Busse,
da er als Landarbeiter, der mit seinem spärlichen Verdienst die Mutter unterstütze, nicht zahlen könne.

Der Gemeinderat Eeichenbach befürwortet das Gesuch. Der Begierungsstatthalter des Amtsbezirkes betont, dass Wittwer durch seinen Meister angestiftet worden sei, kann aber einen die Bussenhälfte übersteigenden Erlass

875 nicht empfehlen. Die Forst- und Polizeidirektionen des Kantons Bern beantragen den Erlass der Bussenhälfte.

Demgegenüber beantragen wir mit der Eidgenössischen Inspektion für Porstwesen, Jagd und Fischerei Abweisung zurzeit, in der Meinung, Wittwer solle in Teilzahlungen nach dem Ermessen der Kantonsbehörden zunächst einmal die Bussenhälfte bezahlen.

113. Josef Bühler, verurteilt am 31. Januar 1935 vom Gerichtsausschuss des Kantonsgeriehtes Unterwaiden ob dem Wald gemäss Art. 42 und 43, Ziff. 5, des Bundesgesetzes-zu Fr. 400 Busse.

Buhler ist mit einem Ordonnanzkarabiner in Banngebiet betroffen worden.

Bühler, der zunächst die Hälfte der Busse sowie die Kosten bezahlt und seither gemäss Aufforderung weitere Fr. 100 entrichtet hat, ersucht um teilweise Begnadigung. Ohne festen Verdienst, sei er auf die unsichere Taglohnarbeit angewiesen. Mit der harten Strafe habe er den Denkzettel für seinen jugendlichen Leichtsinn empfangen. Er sei ohne Vorstrafe.

Mit dem kantonalen Justiz- und Polizeidepartement und der eidgenössischen Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei beantragen wir den Erlass des verbleibenden Bussenviertels.

114. Marcel Gaignat, 1898, Holzschuhmacher. Cornol (Bern).

(Militärpflichtersatz.)

114. Marcel Gaignat ist am 17. Dezember 1934 vom Gerichtspräsidenten von Pruntrut gemäss Ergänzungsgesetz vom 29. März 1901 über den Militärpflichtersatz wegen schuldhafter Nichtentrichtung der Ersatzabgabe von Fr. 19. 60 für 1934 zu einem Tag Haft verurteilt -worden.

Für Gaignat, der noch vor seiner Einvernahme bezahlt hat, ersucht ein Eechtsanwalt um Erlass der Haftstrafej Die Zahlungsverspätung hange mit den damaligen Verhältnissen des Gesuchstellers zusammen, der während mehreren Wochen, zurzeit der Krankheit der Ehefrau, nur über das zum Unterhalt der acht minderjährigen Kinder Notwendigste verfügt habe. Während 15 Jahren sei der Pflichtersatz pünktlich bezahlt worden. Der Strafvollzug wäre eine Entehrung des Gesuchstellers.

Der Gemeinderat Cornol befürwortet das Gesuch, ebenso der Begierungsstatthalter des Amtsbezirkes, wogegen der Kantonskriegskommissär und die Polizeidirektion des Kantons Bern Abweisung beantragen.

Mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung beantragen wir deshalb Abweisung, weil dem Bericht des Kantonskriegskommissärs zu entnehmen ist, dass Gaignat seinen Obliegenheiten als Ersatzpflichtiger in den letzten Jahren keinesfalls pünktlich nachgekommen ist. Zuhanden des Eichters äusserte sich der Ortsgemeinderat dahin, Gaignat könne den Pflichtersatz sehr wohl bezahlen.

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115. Fritz Liniger, 1897, gew. Wirt, vormals Kottenschwil (Aargau), 116. Friedrich Berger 1903, Autotransportunternehmer, Zeiningen (Aargau).

(Motorfahrzeugverkehr.)

Gemäss Bundesgesetz über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr, vom 15. März 1932, sind verurteilt worden : 115. Fritz Liniger, wie folgt: a. vom Bezirksgericht Muri am 8. März 1933 gemäss Art. 61 des Bundesgesetzes zu 6 Tagen Gefängnis und Fr. 40 Busse.

b. vom Bezirksgericht Bremgarten am 22. April 1933 gemäss Art. 58 und 61 des Bundesgesetzes zu 10 Tagen Gefängnis und Fr. 100 Busse.

Liniger hat den Postkurs der Autoomnibusgesellschaft Kelleramt geführt, obschon ihm wegen vorausgegangener Übertretungen die Fahrbewilligung entzogen war, was ihn aber weiter nicht kümmerte, so dass er nach seinem Gutdünken handelte. Im Zeitpunkt des neuesten Urteils war Liniger wegen gleichgearteter Widerhandlungen bereits achtmal bestraft. Im weitern besagen die Erwägungen, «dass der Beanzeigte trotz allen Verboten und trotz allen Verfügungen einfach gefahren ist und sich um alle Erlasse der Behörden überhaupt nicht bekümmert hat. Gerade diese ausgesprochene Böswilligkeit, die dadurch zum Ausdruck kommt, wurde eigentlich eine recht empfindliche und exemplarische Freiheitsstrafe rechtfertigen. Das Gericht will aber zugunsten des Beanzeigten als strafmildernd in Berücksichtigung ziehen, dass derselbe durch vermeintlich einflussreiche Personen und durch deren Versprechungen und Verhetzungen irregeführt wurde».

Liniger, der die beiden Gefängnisstrafen verbüsst hat, ersucht mit Eingabe vom Januar 1934 um Erlass der Bussen, damit es nicht zur Umwandlungsstrafe komme. Die grosse Not, die manchen armen Familienvater heimsuche, zwinge ihn zur Gesuchseinreichung. Im weitern schildert er die Vorkommnisse, so wie er sie sieht, betonend, dass man ihn mit Versprechungen im Stich gelassen habe, bis er schliesslich um Geschäft und Geld gekommen sei. Heute habe er als gänzlich mittelloser Familienvater für Frau und vier Kinder zu sorgen.

Das reformierte Pfarramt Bremgarten äussert sich in freimütiger Weise dahin, dass Liniger das Opfer seines Dienstherrn geworden sei und befürwortet die Begnadigung. Die Bezirksgerichte Muri und Bremgarten empfehlen Liniger ebenfalls zur Begnadigung. Die im April 1935 erfolgte Aktenübermittlung an die Bundesanwaltschaft veranlasste
diese zur Beschaffung eines ergänzenden Polizeiberichtes über die heutigen Verhältnisse deä Gesuchstellers.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau verweist im Dezember 1934 darauf, dass Liniger von einem Mitglied des Grossen Eates angestiftet worden sei, mit dem Versprechen, die Angelegenheit regeln zu wollen, was zur stets erneuten Bückfälligkeit beigetragen habe. Die Begnadigungsbehörde dürfe diese Tatsache zugunsten Linigers berücksichtigen.

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Unserseits ziehen wir im heutigen Zeitpunkt in Betracht, dass sich zwar die Gesuchsabweisung durchaus vertreten liesse, möchten aber kommiserationsweise darauf abstellen, dass Liniger im Verlaufe der Vorgänge um Beruf und Wirkungskreis gekommen ist, zwei Freiheitsstrafen verbüssen musste und nach den neuesten Erhebungen in einem andern Kanton als Hilfsarbeiter mit seiner Familie in dürftigen Verhältnissen lebt. Die Gesamtlage des Falles ist derart, dass es angezeigt, erscheint, den einhellig befürwortenden Stellungnahmen der Kantonsbehörden besonders Eechnung zu tragen, Wir beantragen, die Bussen von insgesamt Fr. 140 gänzlich zu erlassen.

116. Friedrich Berger, verurteilt am 2. April 1935 vom Bezirksgericht Baden gemäss Art. 58 des Bundesgesetzes und Vollziehungsbestimmungen zu 5 Tagen Gefängnis und Fr. 300 Busse.

Berger war in zwei Fällen zur Bestrafung überwiesen, weil er als Autotransportunternehmer einen Anhängerzug auf öffentlichen Strassen in Verkehr brachte, der mit längeren Hölzern als bewilligt beladen und zudem über das zulässige Höchstgewicht belastet war. Angesichts der 9 Vorstrafen, sämtliche von 1934 und meist wegen desselben Motorfahrzeugvergehens, beantragte die Staatsanwaltschaft 8 Tage Gefängnis und Fr. 300 Busse. Das urteilende Gericht berücksichtigte die Vorstrafen straferschwerend: «Da die bis anhin ausgefällten Geldbussen auf den Beanzeigten scheinbar keinen Eindruck gemacht haben, erkennt das Gericht auf eine unbedingte Freiheitsstrafe.» Berger ersucht um Erlass der Gefängnisstrafe, wozu er die Vorgänge schildert, sich als Neuling ini Gewerbe bezeichnet und verspricht, fortan für einen geordneten Betrieb zu sorgen.

Das urteilende Gericht kann den Gesuchsteller in Anbetracht seiner Vorstrafen zur Begnadigung nicht empfehlen.

Unserseits beantragen wir aus grundsätzlichen Erwägungen Abweisung.

Das urteilende Gericht, dem die Möglichkeit des bedingten Strafvollzuges offen stand, hat sich für eine unbedingte Freiheitsstrafe entschieden und spricht sich, in Festhaltung seines Standpunktes, gegen die Begnadigung aus.

Auf Grund der heutigen Bundesgesetzgebung (Art. 385 ff. der neuen Bundesstrafrechtspflege, betreffend den bedingten Strafvollzug) bestätigen wir unsere Ausführungen zum seinerzeitigen Begnadigungsgesuche Halter (Antrag 159 im I. Bericht vom 20. November 1933,
Bundesbl. II, 703/704). Der Bundesgesetzgeber hat inzwischen der kriminalpolitischen Forderung des bedingten Strafvollzuges e n t s p r o c h e n : «Die Verantwortung, ob eine Gefängnisstrafe unbedingt oder bedingt erfolgen solle, ist darnach heute von Gesetzes wegen dem Strafrichter überbanden,'Und die Begnadigung verliert insoweit die Eigenart eines weitgehend anwendbaren Notbehelfes, der zugegebene Härten eines überalterten Strafrechtes ausgleichen soll. Wir möchten allerdings daraus nicht folgern, dass der gnadenweise Erlass oder bedingte Erlass von auf Grund des Motorfahrzeuggesetzes erkannten Gefängnisstrafen gänzlich ausgeschlossen

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sei. Das aber erachten wir als notwendig, dass die Begnadigung insoweit als Eingriff der Staatsgewalt in die Eechtspflege nachdrücklich auf ihre wesentliche Punktion zurückgeführt werde, wonach die Begnadigung urteilsmässige Straffolgen aus Gründen der Gerechtigkeit dann beseitigt, wenn der Bichter diese Gründe übersehen hat oder infolge seiner Gesetzesgebundenheit nicht beachten konnte. Ganz1 besonders muss fortan vermieden werden, dass die bedingte Begnadigung gleichsam in Konkurrenz tritt zum richterlich zulässigen, bedingten Straferlass und dass, falls dieser verweigert wird, jene ihn regelmässig ersetzt.» Im Zusammenhang damit beziehen wir uns heute des weitern auf Art. 247, Abs. 8, der neuen Bundesstrafrechtspflege betreffend die Oberaufsicht des Bundes über den Strafvollzug. Wir ersuchen die Begnadigungskommission und die Bundesversammlung, sich ausdrücklich damit einverstanden zu erklären, dass die Bundesanwaltschaft fortan, sofern das urteilende Gericht den bedingten Strafvollzug versagt hat, einem Begnadigungsgesuch die strafvollzugsaufschiebende Wirkung aberkennt, vorbehalten solche Fälle, in denen sich ausnahmsweise die Vorlage an die Bundesversammlung aufdrängt.

Betreffend Freiheitsstrafen wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand hat die Bundesanwaltschaft, wie bei Antrag 108 mitgeteilt ist, den Aufschub des Strafvollzuges bereits in einer Beihe von Angelegenheiten abgelehnt; diese neue Übung muss aber notwendigerweise verallgemeinert werden, wenn die nunmehrigen Massnahmen zur möglichsten Einschränkung der Begnadigung durchgreifen sollen. In einer gewissen, teilweisen Anlehnung an Art. 418 des schweizerischen Strafgesetzentwurfes über die Zulässigkeit der Begnadigung könnte allenfalls so vorgegangen werden, dass die Bundesanwaltschaft zur Ablehnung der strafvollzugsaufschiebenden Wirkung eines Begnadigungsgesuches befugt sein soll, wenn das Urteil auf eine unbedingte Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Monat lautet.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 21. Mai 1935.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident :

ß. Minger.

Der Bundeskanzler:

G. Bovet,

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II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Junisession 1935). (Vom 21. Mai 1935.)

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