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Schweizerisches Bundesblatt

37. Jahrgang. III.

Nr. 42.

19. September 1885.

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Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend den Transport lebender Thiere auf Eisenbahnen.

(Vom 16. September 1885.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Das Transportreglement der schweizerischen Eisenbahnen vom 1. Juli 1876 enthält über den Transport lebender Thiere folgende Bestimmungen : § 55. Kranke Thiere, sowie an den Füßen gebundene Kälber, Schweine u. s. f. werden nicht zur Beförderung angenommen.

§ 56. Der Transport der Thiere geschieht in der Regel in ·geschlossenen Wagen-, die Bahnverwaltungen behalten sich jedoch vor, dazu auch offene Wagen zu verwenden.

Ferner werden Geflügel und kleine Thiere, wie Katzen, Affen, Kaninchen und andere ähnliche in den Tarifen nicht besonders genannte kleine Thiere, insofern sie als Einzelgut in Käfigen, Körben oder sonstigen Behältern aufgegeben werden, nur mit Personenzügen befördert und zur Gepäcktaxe nach dem Gewicht, im Minimum 25 Kilogramm, berechnet.

§ 60. Dem Absender und dem Empfanger liegt das Ein- und das Ausladen der Thiere in die Wagen und aus denselben, gemäß den Anordnungen der Bahnhofangestellten, ob. Der Absender hat das zur Befestigung der Thiere erforderliche Material zu liefern, das Anbinden selbst zu besorgen oder besorgen zu lassen und sich von der sichern Anlegung der Thiere selbst zu überzeugen.

§ 61. Zur Beaufsichtigung, Wartung und Fütterung der Thiere während des Transportes soll jede Sendung in der Regel von einem Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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Führer begleitet werden, welcher seinen Platz auf dem betreffenden Transportwagen zu nehmen hat.

Besteht ein Transport aus einer oder mehreren Wagenladungen, so hat für jede Wagenladung ein Begleiter Anspruch auf freie Fahrt in dem betreffenden Transport wagen. Bei Transporten, welche nicht eine ganze Wagenladung ausmachen, hat derselbe Anspruch auf Beförderung zur halben Personentaxe III. Klasse, bei Transporten von Kleinvieh (Kälber, Schweine, Schafe, Ziegen) jedoch nur, wenn der Transport mindestens fünf Stück umfaßt.

§ 62. Das Ausladen und Wegführen der Thiere aus der Station hat spätestens eine Stunde nach Ankunft auf der Bestimmungsstation zu erfolgen.

Bei verspätetem Ausladen oder Wegführen wird die tarifmäßige Standgebühr erhoben.

Auch behalten sich die Bahnverwaltungen vor, unter Umständen Thiere jeder Art auf Kosten und Gefahr des Eigentümers in Fütterung zu geben.

Ferner lautet Artikel 29, Lemma 5 des Bundesgesetzes über das Eisenbahnwesen vom 23. Dezember 1872: ,,Es sollen die nöthigen Einrichtungen vorhanden sein, um dern im Transport befindlichen Vieh die erforderliche Wartung angedeihen lassen zu können. "· Diese Bestimmungen, wenn sie mit Verständniß und gutem Willen vollzogen werden, sollten genügen, um das zum Eisenbahntransport gelangende Vieh wenigstens vor grober Vernachläßigung zu bewahren. Der Verlad hat gemäß den Anordnungen der Bahnhofangestellten (Art. 60 des Transportreglementes) zu geschehen, und man dürfte glauben, daß schon die Wahrung der Interessen der Bahnunternehmung diese Angestellten dazu führen werde, den Zusammenlad zu vieler Thiere in einen Wagen (oder in einem Behälter im Sinne des Art. 56 des Transportreglementes) zuvorzukommen, d. h. jenen Zusammenlad und die Annahme solcher Behälter zu verweigern. Ferner können Zweifel darüber nicht bestehen, daß es bei den Bahnverwaltungen und ihren Organen liegt, zu entscheiden, ob und wie weit von der Regel, daß dem Viehtransport ein Führer mitgegeben werden soll (Art. 61 des Transportreglementes) abgewichen werden darf, und daß von der Regel nur Umgang genommen werden soll in den Fällen, wo der Transportweg kurz genug ist, um das Bedürfniß der Fütterungöder einer besondern Wartung und Pflege unnöthig erscheinen zu lassen. Wenn die Bahnverwaltungen in andern Fällen auf die Be-

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gleitung der Transporte durch Wärter verzichten, so haben sie selber die Aufgabe, auf eine gehörige Besorgung der Thiere zu halten, wie ihnen ja (im Art. 62 des Transportreglementes) das Recht ausdrücklich eingeräumt ist, bei verspätetem Auslad oder Wegführen Standgeld zu erheben und nötigenfalls Thiere jeder Art auf Kosten und Gefahr des Eigentümers in Fütterung zu gehen. Die daraus erwachsenden Kosten können sie auf der Sendung nachnehmen.

Das im Art. 29 des Eisenbahngesetzes dem Eigenthümer und den Begleitern der Thiere gegebene Recht endlich, von den BahnVerwaltungen die nöthigen Einrichtungen zur Wartung der Thiere zu verlangen, findet statt, ohne daß eine Entschädigung für diese Einrichtungen erhoben werden dürfte, die ja zur Nothdurft auch dann genügen, wenn sie in einem Wasserkübel und in einer beweglichen Kaufe oder Krippe bestehen.

Dessen ungeachtet kommen der Aufsichtsbehörde häufige und dringliche Klagen -- nicht etwa der Transportgeber gegen die Eisenbahngesellschaften, oder dieser gegen jene, sondern des unbetheiligten Publikums und namentlich der Thierschutzvereine zu, aus denen hervorgeht, daß den Thiertransporten in Hinsicht auf den Verlad, die Fütterung und Wartung nicht die gewollte Sorgfalt zugewendet wird, und daß namentlich die Thiere im Transit oft arg vernachläßigt werden; und Vorgänge, wie sie in neuester Zeit wieder von der Presse mehrfach erzählt werden, zeugen von einer Rohheit mancher Transportgeber und ihrer Angestellten und von einem Gehenlassen der Bahnverwaltungen, welche vollständig geeignet sind, Aufsehen zu veranlassen.

Der Bundesrath wird untersuchen, wie weit, um den signalisirten Uebelständen zu begegnen, die bestehenden Vorschriften ergänzt werden sollen. Er kann sich aber der Hoffnung nicht hingeben, daß bloß mit der Vermehrung der Vorschriften Abhülfe geschaffen werde; die Erfahrungen auch des Auslandes zeigen, daß die einläßlichsten Bestimmungen und Réglemente auf dem in Rede stehenden Gebiet wenig nützen, wenn ihre Vollziehung nicht scharf überwacht und Uebertretungen rücksichtslos und so bestraft werden, daß schon das Interesse des Betroffenen zur Beachtung der Vorschriften mahnt.

Dem Bundesrath fehlen die Organe zur nöthigen Ueberwachung, und es steht ihm vor Allem aus eine Strafkompetenz nicht zu. Er ist gezwungen, sich an die Kantonsregierungen
zu wenden und sie zu ersuchen, durch ihre Polizeiorgane die Viehtransporte einer thunlichst genauen Kontrole zu unterstellen und, wo die Mißachtung bestehender Vorschriften Klagen begründet, wenn nöthig gerichtlich gegen die Fehlbaren einzuschreiten, wobei es keinen Unterschied

868 machen soll, ob die Vernachläßigung bestehender Pflichten de» Transportgebern und ihrer Angestellten oder den Organen der Eisenbahnverwaltungen zur Last lallt.

Als besondere Vorkommenheiten, welche mit Strafe geahndet, werden sollten, gestatten wir uns hervorzuheben : l") Den Verlad kranker Thiere, an den Füßen gebundener Kälber,.

Schweine u. dgl.

2) Das Zusammenladen in Wagen von mehr Thieren, als nach vernünftigem und fachmännischem Ermessen zuläßig ist.

3) Die Uebernahme zum Transport von Käfigen, Körben oder sonstigen Behältern, ·welche so mit Thieren angefüllt sind,, daß diesen eine angemessene Bewegung nicht möglich- ist,.

oder Luft und Licht mangelt.

4) Die Fälle, wo in Folge von Ueberfüllung der Wagen, Käfige, Körbe oder sonstiger Behälter mit Thieren, oder wegen der Beschaffenheit der Behälter oder der Art der Verladung der Tod von Thieren eingetreten ist oder bei fortgeset/.tem Transport einzutreten droht.

53 Die Fälle, wo die nothdürftige Tränkung und Fütterung de» Viehes nicht stattfindet. In dieser Richtung werden speziell die durchgehenden Transporte in's Auge zu fassen sein, und es sollte darauf geachtet werden, daß dieselben mindestens in den Ein- und Ausgangsbahnhöfen und auf den Uebernaehtstationen gefüttert und in Zeiträumen von nicht mehr als 8--10 Stunden je einmal getränkt werden.

6) Die Fälle, wo mangels der nöthigen Fütterungs- und Tränkungseinrichtungen in den Stationen die Fütterung und Tränkung nicht oder nicht in zulänglicher Weise sollte stattfinden können.

Dabei betrachten wir es als selbstverständlich, daß in Uebertretungsfallen die Polizeibehörde zugleich den nöthigen Umlad^ die Tränkung, Fütterung etc. anordnen wird.

Die Nachnahmen der hieraus erwachsenden Ausgaben, der Kosten und Bußen auf der betreffenden Sendung, wo ein Verschulden des Transportgebers konstatirt wurde, werden wir nicht beanstanden.

Wir ersuchen die Tit. Kantonsregierungen, zu veranlaßen, daß unserm Eisenbahndepartement von den verfügten Strafen Mittheilung gemacht, besonders aber, daß es in Kenntniß gesetzt wird,

869 wenn es nach dem kantonalen Recht unmöglich war, die Vernachläßigung der den Thiertransporten gebührenden Obsorge angemessen zu ahnden. Wir wünschen ferner, daß demselben mitgetheilt werde, wo auf Grund praktischer Erfahrungen eine Aenderung der Vorschriften über die "Viehtransporte auf den Eisenbahnen zweckmäßig erscheint. Es werden diese Mittheilungen willkommenes Material für die Revision der daherigen Vorschriften liefern.

Von gegenwärtigem Kreisschreiben wird auch den Bahnverwaltungen Kenntniß gegeben. Das Eisenbahndepartement ist beauftragt.

Ihnen selbst so viele Exemplare zuzustellen, als Sie bei demselben verlangen werden.

Gerne benutzen wir diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 16. September 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend den Transport lebender Thiere auf Eisenbahnen. (Vom 16. September 1885.)

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19.09.1885

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