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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Joh. Jakob Pfau-Werner, Schreiner, von Schaffhausen, derzeit in Basel, betreffend Ausweisung aus dem Kanton Basel-Stadt.

(Vom 31. März 1885.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat in Sachen des Joh. J a k o b P f a u - W e r n e r , Schreiner, von Schaffhausen, derzeit in Basel, betreffend A u s w e i s u n g aus dem Kanton Basel-Stadt; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : l. Am 17.September 1884 wurde J. J. Pfau-Werner durch Beschluß des Regierungsrathes von Basel-Stadt wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung für schwere Vergehen auf die Dauer von 10 Jahren sammt seiner Ehefrau aus dem Gebiete des Kantons Basel-Stadt weggewiesen. Derselbe war am 9. September 1884 vom Strafgerichte in Basel wegen Aufreizung zum Aufruhr und gemeingefährlicher Drohungen zu 6 Monaten Gefängniß verurtheilt worden. Nach der Haftentlassung sollte dessen Ausschaffung aus dem Kantonsgebiet stattfinden. Ueber die Vorbestrafung des J. J.

Pfau sagt das Rathsprotokoll vom 17. September 1884: ,,Pfau wurde im Jahre 1877 mit seiner Konkubine, der jetzigen Ehefrau, wegen Diebstahls zu zwei Monaten Korrektionshaus verurtheilt, in dernBundesblatt. 37. Jahrg. Bd. II.

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seihen Jahre, ebenfalls in Bern, wegen Konkubinat bestraft, und ausgeschafft. " II. Mittelst einer Rekursschrift vom 28. Februar/1. Marx 1885 wendet sich J. J. Pfau hiegegen an den Bundesrath, indem er ausführt, was folgt: Die Begründung des Ausschaffungsbeschlusses sei thatsächlich unrichtig, und es verstoße die Entziehung der Niederlassung gegen die Bundesverfassung, Art. 45, Absatz 3.

Vorab bestreite er (Rekurrent), daß seine Frau seine Konkubine gewesen und deßhalb oder auch sonst bestraft und ausgeschafft worden sei; seine Frau sei früher einfach seine Haushälterin gewesen, und sie besitze durchaus ö" guten Leumund.

Er selbst sei in Bern nur von einem einzigen Urtheil betroffen worden, wegen eines nicht schweren Vergehens. Alles Andere bestreite er, auch die Ausschaffung aus dem Kanton Bern. Er habe einige Parquetstücke, die er von seinem Geschäftsherrn in Verwahrung gehabt, wegen einer Forderung an diesem zurückbehalten; das sei Alles. Uebrigens, wenn es sieh wirklich um Diebstahl gehandelt hätte, was er nicht zugebe, so läge auch dann nach allgemeinerRechtsauffassung; undRechtsübungg kein schweres Vergehen vor.

Was sodann die ihm zur Last gelegte Verbreitung, beziehungsweise Anschlagung der sogenannten Stellmacher-Aufrufe" anbe treffe, so lasse sich doch die Emporschraubung derselben zu einem schweren Vergehen füglich beanstanden, zumal in der Schweiz, wo ja ein Aufruhr jedenfalls nicht zu befürchten gewesen sei und sieh weder Viele, noch Wenige wirklieh bedroht glauben konnten. Die Verteidigung vor Strafgericht habe für die Schweiz von einem ,,papierenen Dolche" gesprochen. Der Bundesrath werde sich über die Verbreitung dieses Aufrufes eine selbstständige Meinung zu bilden haben, wie denn auch die zürcherischen, bernischen, basellandschaftlichen und baselstädtischen Gerichte in der Beurtheilung derselben sehr wesentlich aus einander gegangen seien.

Es seien also nur zwei Straffälle in Frage, die ziemlich weit aus einander liegen und von denen nur der eine dem ausweisenden Kanton Basel-Stadt angehöre ; beide fallen nicht unter den Begriff des Schweren im strafrechtlichen Gebiete.

Der Rekurrent kommt dann auf seine persönliche Stellung zu den sogenannten Anarchisten zu sprechen, wobei er versichert, daß er nur, weil er ,,damit etwas verdienen zu können hoffte", sich mit dem Vertrieb der Most'schen ,,Freiheit" befaßt habe. Er sei

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nicht Anarchist und verwerfe vielmehr das Vorgehen Most's und der Genossen desselben. Den Stellmacher-Aufruf habe er nicht bestellt, und es sei ihm auch nichts weiter nachgewiesen, als daß Exemplare des Aufrufes an ihn geschickt worden sind.

Nach einer Schilderung seines Lebensganges, der ihn durch harte Erfahrungen ,,des Schicksals Mächte fast von Geburt an habe kennen lehrentt, glaubt er sich zur Erwartung berechtigt, daß man es erklärlich finden werde, wenn er nachgerade sozialistischen, nicht anarchistischen Ansichten Kaum gegeben habe. Er sei 63 Jahre alt und habe keinen andern Wunsch mehr, als mit seiner Frau, einer geschickten Arbeiterin, in Basel, wo er aufgewachsen, ruhig seinen Lebensabend zuzubringen.

III. Zur VernehmlassuDg eingeladen, beruft sich der Regierungsrath des Kantons Basel-Stadt in seinem Antwortschreiben vom 11. März 1885 auf die zweimalige Verurtheilung des J. J. Pfau wegen Vergehen, die nach der Aneicht des Regieruugsrathes gemäß der Bundespraxis unzweifelhaft zu den schweren im Sinne des Art. 45 der Bundesverfassung gezählt werden müssen.

IV. In Bezug auf die dem Rekurrenten zur Last fallenden, rechtswidrigen Handlungen und dessen bisherige Lebensführung sind den Akten folgende Thatsachen zu entnehmen: 1. J. J. Pfau und seine jetzige Ehefrau, Maria geb. Werner, wurden am 22. März 1877 durch das korrektionelle Gericht von Bern wegen Diebstahls und Konkubinates jeder Theil zu zwei Monaten Korrektionshaus und beide gemeinschaftlich und solidarisch zu Fr. 50 Entschädigung an den Bestohlenen und zu Fr. 64. 80 Kostenersatz an den Staat verurtheilt. Das Gericht ging bei seinem Urtheile von der Betrachtung aus, daß der Thatbestand sowohl eines Diebstahls im Belaufe von mehr als Fr. 30, als des Konkubinats hergestellt sei, indem beide Angeklagten des Diebstahls zwar nicht geständig seien, aber als überwiesen erseheinen, der Konkubinat dagegen durch die Zeugenaussagen und die eigenen Zugeständnisse der Angeklagten in Betreff des Zusammenlebens erwiesen sei.

Im Weitern ergibt sich aus einem Berichte der bernischen Polizeidirektion an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vom 16. März 1885 was folgt: Da sich Pfau auf die am 13. Dezember 1876 gegen ihn erhobene Anzeige wegen Diebstahls von Bern entfernt hatte, erfolgte dessen Ausschreibung im Allgemeinen Schweizerischen Polizeianzeiger (Band XIII, pag. 14). Am 25. Januar'1877 wurde Pfau in Born verhaftet, abgehört und hierauf provisorisch der Haft entlassen.

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Nach dem Strafurlheil (,22. März 1877) wurde er mit Rücksicht auf die zehntägige Appellationsfrist nicht sofort in Strufhaft gesetzt.

Er benutzte diese Frist, um Bern neuerdings zu verlassen und sich dem Strafvollzuge durch die Flucht zu entziehen. Von Basel hergeliefert, trat Pfau den 9. April 1877 seine Strafe an und wurde den 4. Juni 1877, nachdem ihm ein Zwölftel der Strafzeit nachgelassen worden, sammt seiner Beihälterin nach Aarau transportât.

Da Pfau in Bern kein Domizil mehr hatte, somit nicht niedergelassen war, und zudem laut den Unlersuchungsakten früher kontrahirte Schulden nicht bezahlen konnte, sondern einen aus gestohlenen Parquettafeln fabrizirten Tisch an Zahlungsstatt versetzt hatte, so erfolgte dessen Ausweisung, resp. Ausschaffung auf dein Polizeiwege.

2. J. J. Pfau, der seiner Zeit wegen seiner extremen anarchistischen Richtung vom sozialdemokratischen Vereine in Basel ausgeschlossen worden war, ist seit circa zwei Jahren der dortige Verleger der in New-York erscheinenden, von Johann Most redigirtun ,, F r e i h e i t " , des Organs der revolutionären Sozialisten, gewesen und hat sich damit abgegeben, dieses Blatt und andere ihm zugesandte revolutionäre Drucksachen in Basel und im Ausland zu verbreiten. So hat J. J. Pfau am 11., 12. und 19. August 1884 das anarchistische Flugblatt, betitelt ,, Z u m G e d ä c h t n i ß an den tapfern, opfermut.higen, getreuen Genossen H e r m a n n S t e l l m a c h e r u , in zusammen 400 Exemplaren zugesandt erhallen und dieselben theils seinem Sohne biobert Pfau zur Verbreitung übergeben, theils durch diesen und Andere zum Zweck der Verbreitung behändigen lassen. In diesem Plakate werden die Thaten des wegen Raubmordes, Mordes und Diebstahls in Wien zum Tode Verurtheilten und daselbst am 8. August 1884 gehenkten Hermann Stellmacher verherrlicht, mit der Aufforderung an die ,,Proletarier aller Länder", das von Stellmacher gegebene Beispiel zur Richtschnur zu nehmen, sich zu empören und das Banner der sozialen Revolution auf alle Kirchen und Paläste zu pflanzen.

Das Basler Strafgericht hat, gestützt auf diesen Thatbestand, am 9. September 1884 erkannt, es sei J. J. Pfau (gleichwie sein Sohn Robert Pfau) einer strafbaren Handlung schuldig, die zugleich die Merkmale der Aufreizung zum Aufruhr und der gemeingefährlichen Drohung an sich trage,
und denselben (wie den Sohn), in Anwendung der §§ 51, 62, 44 des Strafgesetzbuches, zu einer sechsmonatlichen Gefängnisstrafe und Bezahlung der Prozeßkosten verurtheilt.

849 Gleichen Tages hat J. J. Pfau (mit seinem Sohne) die unterschriftliche Erklärung in der Strafgerichtskanzlei Basel zu Protokoll gegeben, daß er von dem ihm zustehenden Rekursrecht keinen Gebrauch machen wolle, sondern das Urtheil annehme; in Erwägung: 1) Die Bundespraxis hat seit 1874 in konsequenter Rechtsentwickelung die Frage, ob ein Vergehen als ein schweres im Sinne des Art. 45, Absatz 3, der Bundesverfassung zu betrachten sei, dahin beantwortet, daß die allegirte Verfassungsstelle nicht auf die in den Strafgesetzbüchern vorkommenden Unterscheidungen, z. B. zwischen schweren und einfachen Diebstählen oder Körperverletzungen, abstelle, sondern das schwere Vergehen im Gegensatz zu leichten Vergehungen und bloßen Polizeiübertretungen in's Auge fasse, wobei der urtheilenden Bundesbehörde die selbstständige Würdigung des einzelnen Falles mit jeweiliger besonderer Berücksichtigung der für die öffentliche Sicherheit und Sittlichkeit zu Tage tretenden Gefahr vorbehalten bleiben müsse (Bundesblatt 1874, III, 536; 1875, II, 578; 1881, IV, 30:5; 1882, II, 750; 1883,111,28; 1884,11, 739; ferner ist hier zu verweisen auf Bundesrathsbeschluß im Rekursfalle Eugster vom 17. November 1884, Erwägung 1).

2") Es steht ferner nach mehreren, von den gesetzgebenden Räthen der Eidgenossenschaft gutgeheißenen Entscheidungen des Bundesrathes der bundesrechtliche Satz fest, daß zum Entzug der Niederlassung die Begehung e i n e s schweren Vergehens am Niederlassungsorte, beziehungsweise s e i t der Niederlassung geniige, sofern der Niedergelassene infolge früherer Bestrafung als rückfällig im weitesten Sinne dieses Wortes erscheint; ja es sind die Gemeindebehörden, beziehungsweise die Kantone, sogar als berechtigt, erklärt worden, Strafurtheile, die der Niederlassung vorausgegangen, für sich allein in Verbindung mit sittenwidriger Aufführung eines Niedergelassenen am Niederlassungsorte zur Grundlage eines Ausweisungsbeschlusses zu machen. (Vgl. Bundesblatt 1881, I, 114; II, 671; III, 501; 1882, II, 751; III, 503; 1883, III, 31 ; IV, 739; ferner Bundesrathsbeschluß vom 17. November 1884 in SachenEugster,, Erwägung 3).

3) Wenn die unter Ziffern l und 2 hievor dargelegten Grundsätze des Bundesrechts auf den Spezialfall angewendet werden, so kann die Berechtigung der Basler-Behörden zur Ausweisung des Rekurrenten keinem Zweifel unterliegen, und es rechtfertigt sich auch die Verfügung, daß die Ehefrau desselben von der gleichen polizeilichen Maßnahme betroffen werde.

850 Nicht nur sind der Rekurrent und seine nunmehrige Ehefrau im Jahre 1877 in Bern wegen Vergehen, die in Hinsicht auf das Niederlassungsrecht als schwere erseheinen und immer als solche betrachtet worden sind (Diebstahl und Konkubinat), strafgerichtlich verurtheilt worden, sondern es hat der Rekurrent neuerlich auch in Basel, seinem jetzigen Aufenthaltsorte, wegen Aufreizung zum Aufruhr und gemeingefährlicher Drohung eine strafgerichtliche Verurtheilung erlitten, also wegen strafbarer Handlungen, die im eminentesten Sinne die öffentliche Sicherheit, gefährden. Dabei kann der Umstand, daß der Rekurrent sowohl in der strafgerichtliehen Untersuchung in Basel, als in seiner Rekursschrift an den Bundesrath über die thatsächlichen Verhältnisse Angaben gemacht hat, die mit den aktenmäßigen Erhebungen im Widerspruche stehen, nur zu verstärkter Rechtfertigung der von den Behörden des Kantons Basel-Stadt gegen ihn ergriffenen Maßregel dienen; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Basel-Stadt, sowie dem Rekurrenten schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 31. März 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanaler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Joh. Jakob Pfau-Werner, Schreiner, von Schaffhausen, derzeit in Basel, betreffend Ausweisung aus dem Kanton Basel-Stadt. (Vom 31. März 1885.)

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02.05.1885

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