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Schweizerische Bundesversammlung.

Am 1. Juni 1885 haben sich die gesetzgebenden Räthe der schweizerischen Eidgenossenschaft zu ihrer ordentlichen Sommer session in Bern versammelt.

Die abtretenden Präsideuten der Räthe eröffneten die Session mit Ansprachen, wie sie hier folgen : a. Ansprache des Präsidenten vom Nationalrathe, Hrn. Regierungsrath Dr. Stössel, aus Zürich.

,,Hochgeehrte Kollegen!

,,Ein glückliches Geschick gestattet mir neuerdings, die Session des schweizerischen Nationalrathes zu eröffnen, ohne daß mir die Pflicht obliegt, einem durch den Tod abgerufenen Kollegen den übungsgemäßen Nachruf zu widmen. Möge auch meinen Nachfolgern auf dem Präsidentenstuhle die Erfüllungö einer solchen Pflicht recht lange erspart bleiben!

"Als eine Vernachläßigung meiner Pflichtstellung könnte es aber angesehen werden, wenn ich nicht des ausgezeichneten Mannes und Bürgers gedächte, dessen Andenken eben heute von einer benachbarten und befreundeten Republik mit den höchsten nationalen Ehren gefeiert wird.

,,An Viktor Hugo ist sein eigenes Wort in glänzende Erfüllung gegangen: ,,Große Dichter gleichen hohen Gebirgen; sie haben viele Echos. Ihre Gesänge wiederhallen in allen Sprachen und ihr Name lebt in Aller Munde." Nicht Frankreich allein, sondern Europa, ja die ganze civilisirte Welt zollt dem seltenen Talente, das seit mehr als sechzig Jahren sich Anerkennung verschafft hat, Bewunderung. Auch eine strenge Kritik anerkennt, daß viele der zahlreichen Kundgebungen dieses außerordentlichen Geistes als Denkmäler und Marksteine der Literatur werden erhalten bleiben, so lange man die Sprache verstehe, in der sie geschrieben sind. Nach

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dem Zeugnisse von Henri d'Ideville hat selbst Louis Veuillot, obgleich Gegner, über Viktor Hugo geurtheilt: ,,C'est un puissant esprit, un poète admirable, un tempérament unique. Ce que j'admire le plus en lui, c'est qu'il n'y a rien de vulgaire."1 ,,Wir verdanken aber dem großen französischen Dichter nicht alleiirPoesien von wunderbarer Innigkeit und technischer Vollendung.

Er ist nicht minder groß als Mensch und Bürger, und es ist alsein Glück für die Menschheit zu preisen, daß hie und da hervorragende Menschen als besonders weithin leuchtende Muster ihren Einfluß zu üben berufen sind. Den vortrefflichen Eigenschaften desMenschen und Bürgers entspricht zunächst der Adel der Gesinnung,, die Reinheit und Erhabenheit der Empfindungen, die sich überall in den uns Allen als Vermächtniß hinterlassenen Werken des großen Todten kundgibt. Die Tugenden eines ausgezeichneten Familienvaters hat er in reichem Maße geübt. Seine Schriften legen dafür Zeugniß ab, wie für den tiefen Schmerz und die Resignation, mit der er schwere Schläge des Schicksals in seiner Familie ertragen hat. Seine Sorge ging aber weit über den engern Familienkreis, hinaus. Es beseelte ihn stetsfort das höchste Erbarmen mit allen Unglücklichen, Armen und Kranken, der unerschütterliche Glaube an den Sieg des Guten beim einzelnen Menschen, wie er auch die menschheitliche Entwicklung immer mehr sich dem Lichte entgegenringen sah. In der geistigen Metamorphose, die Viktor Hugo selbst durchmachte, indem er sich von manchen überkommenen, einer frühern Zeit angehörenden Anschauungen loszulösen hatte, spiegelt sich gewissermaßen der Entwicklungsgang, den nach seiner Ansicht die Menschheit selbst verfolgt.

,,Mit Vorliebe hat er sich den höchsten Fragen zugewendet,., welche den Dichter und Denker Überhaupt bewegen können.

,,Die Freiheit und sein Vaterland liebte er mit der ganzen Gluth seiner Feuerseele.

,,Wie Dante Alighieri, mit dem er so Vieles gemeinsam ha.t, traf auch ihn das bittere Geschick, nahezu zwanzig Jahre seines Lebena fern von der heißgeliebten Heimat zu weilen. Glücklicher aber, als der einstige Prior von Florenz, war es ihm vergönnt, seine Tage in der Heimat zu besehließen und daselbst neuerdings die ruhmvollste Anerkennung während nahezu eines halben Menschenalters zu finden, nachdem er wie Dante die Rückkehr auf dem Gnadenwege
ausgeschlagen hatte mit den berühmten Worten : Et s'il n'en reste qu'un, je serai celui-là. Allen Republikanern hat Viktor Hugo dasBeispiel eines unbeugsamen, wahrhaft antiken Charakters gegeben..

Mit einem Dichter des klassischen Alterthums hätte er von sich sagen können :

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Si fractus illabatur orbis Impavidum ferient ruinée, oder in gleichem Sinne mit einem schweizerischen Volkslieder Ob Fels und Eiche splittern, Ich werde nicht erzittern.

,,Mit dem, was er als schlecht erkannt hatte, wollte er niemals einen Pakt eingehen, wie vortheilhaft er auch scheinbar für ihn hätte sein mögen.

,,Unserm schweizerischen Vaterlande war Viktor Hugo aufrichtig, zugethan. Nach seiner Ansicht stünde der Verfassung unseres Landes eine höhere kulturhistorische Mission bevor. Gewiß haben wir alle Veranlaßung, uns der Huldigung, welche heute dem großen Todten in der Wellstadt an der Seine zu Theil wird, zu freuen, und wenn es sich darum handeln sollte, der Verehrung für einen der größten Männer unsers Jahrhunderts, dessen sterbliche Ueberreste zu dieser Stunde sich bereits in der Ruhmeshalle befinden werden, die das dankbare Frankreich einst für seine großen Männer errichtete, auch bei uns einen äußerlich sichtbaren Ausdruck zu geben, so werden wir wohl am besten aus unsern Alpen einen mächtigen, allen Stürmen Trotz bietenden Granitblock herunterholen und denselben aufstellen an den schönen Gestaden des Lemansees, an welchem er so gerne verweilte, mit der einfachen Inschrift: ,,Viktor Hugo, dem großen Dichter und Republikaner."

b. Ansprache des Präsidenten vom Ständeräthe, Hrn. Landesstatthalter Theodor Wirz, von Samen.

,,Meine Herren Ständeräthe!

,,Aus unserer Mitte sind infolge ernstlicher Ablehnung drei Männer geschieden, welche durch ihre parlamentarische Thätigkeit sich wesentliche Verdienste um das Vaterland erworben haben.

Ich erinnere an Herrn Sahli, diesen klaren Dialektiker und erfahrenen Juristen, dessen scharfsinnige Voten in gar mancher Gesetzgebungs- und Rechtsfrage ausschlaggebend waren und welcher zweimal mit großer Gewandtheit den Vorsitz im Ständeräthe führte.

Ich gedenke des Herrn C l a u s e n , dieses reichgebildeten und liebenswürdigen Mannes, dem alles persönlich Gehässige stets ferne lag, während er seine Grundsätze und seine rechtlichen Anschauungen mit ebenso viel Ueberzeugungstreue als Beredsamkeit vertheidigte.

Ich erwähne des Herrn Landammann Dr. T s c h u d i , dieses weitberühmten Eidgenossen, der in der klassischen Schilderung der vater-

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ländischeii Gebirgswelt dem ältestberühmten Schweizergeschlechte ein erneutes monumentum aere perennius gesetzt hat, und der die Vielseitigkeit seines Geistes und die thatkräf'tige Liebe zu Land und Volk der Eidgenossen dadurch an Tag legte, daß der Mann, dem die Bibliothek und die G-elehrtenstube sein heimisches Gebiet waren, Berg und Wald durchstreifte und den ewigen Naturgesetzen ihre Geheimnisse ablauschte, um in Förderung intelligenter landwirtschaftlicher Arbeit das geistige und ökonomische Volkskapital zu mehren.

,,Im Gegensätze zu den großen centralisirten Staaten Europas entspricht es der republikanischen Einfachheit und den föderativen Verhältnissen des Schweizerlandes, daß die Abgeoidneten von Volk und Ständen den weitaus größten Theil des Jahres von ihrem Privatberuf und zumeist von der Arbeit für'Gemein de und Kanton beansprucht werden. Sie bringen hiedurch aber auch mehr Vielseitigkeit und eine breitere praktische Unterlage zu ihrer parlamentarischen Arbeit mit, und das Schweizervolk verlangt ja von seinen Vertretern keineswegs langwierige, prunkende Debatten, sondern gediegene, reelle Schlußnahmen. Hiezu trägt aber nicht am wenigsten bei, wenn man sich über die politische Parteiung hinweg für alle sachlichen, gesetzgeberischen und volkswirthschaftlichen Erörterungen die freundschaftliche Schweizerhand zu bieten weiß, wenn man in engern Kreisen zum Vornherein die Landesbedürfnisse offenherzig und parteilos abwägt, und zu alledem ist es ja ganz und gar im schweizerischen Volksgeist und im schönen Worte ,,Eidgenossenschaft'-' begründet, daß man bei aller charakterfesten Hochhaltung der Grundsätze einander persönlich nahe tritt, und infolge dessen kollegialische Lieb' und Treue auch Denen gegenüber in der Seele trägt, die mit uns und vor uns mit Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue ihrer verantwortungsvollen vaterländischen Aufgabe nachgekommen sind. Und wenn man sich so oft in überzeuguagsvoller Meinungsverschiedenheit bekämpft, so wird gerade dadurch die Ehre des Parlamentes und der warme, treue Schweizersinn am allerbesten hochgehalten, wenn all' Jenen, die in guten Treuen für's Vaterland gewirkt, zwar keine charakterlose Apotheose, wohl aber ab Seiten aller guten Bürger der verdiente Dank des Vaterlandes folgt.

,,Der Ständerath hat zuallernächst zwei Haupttraktanden zu erledigen. Ich
meine erstlich den G e s c h ä f t s b e r i c h t . Wenn man zumal die statistischen Tabellen dieses voluminösen Buches und die Geschäftsnummern in den Registraturen der Bundeskanzlei oder die Schränke des Bundeaarchivs passirt, dann springt Einem in das Auge, mit welch' zeitraubendem Detail sich unsere Bundes-

243 räthe zu befassen haben. Und dazu treten in allererster Linie die reichgestaltigen und verwickelten, stets neu auftauchenden, großen politischen und administrativen Fragen. Briefe und Biographie eines Dr. Heer bekunden dem gebildeten Schweizervolk am allerbesten, welch' nicht beneidenswerte Bürde mit der höchsten vaterländischen Würde parallel läuft. Schon Von diesem Gesichtspunkte, und weil sonst der eidgenössische Verwaltungsmechanismus Stetsfort komplizirter wird, wird man zweifellos immer ängstlicher mit sich zu Rathe gehen müssen , bevor man durch zu viele gesetzgeberische Erlasse weitern Verwaltungszweigen und Verwaltungsorganismen ruft und bevor man das kantonal-staatliche Arbeitsgebiet zu sehr aushöhlt, welches auf den öffentlichen Geist in engern Kreisen mit republikanischer Naturnotwendigkeit befruchtend wirken muß und dessen tüchtige Pflege die unerläßliche, praktische Schule ist für mit Land und Volk vertraute schweizerische Staatsmänner. Der Sprechende will mit diesem Gedanken wohlüberlegtem gemeinvaterländischem Fortschritt keineswegs entgegentreten, und er anerkennt mit Freuden, daß auf vielen sozialen Gebieten die eidgenössische Initiative und Unterstützung anspornend und belebend in die kantonale Peripherie hinausstrahlt; aber es ist ein Hauptpostulat des gesunden schweizerischen Volksgeistes, daß er thunlichst einfache und klare Verhältnisse im öffentlichen Leben will, und daß er Allem, was den Namen einer überflüssigen Biireaukratie verdient, energisch vorzubeugen sucht. Daß übrigens unsere Bundesverwaltung eine durchaus tüchtige und ehrenwerthe ist, darf dei' Sprechende um so objektiver verurkunden , weil bei deren Zusammensetzung seine politische Fraktion sich einer andauernden Ausschließlic-hkeit erfreut, deren Rechtstitel weder in der eidgenössischen Grundidee noch in Art. 4 der Bundesakte aufzufinden ist.

,,Unser zweites Haupttraktandum betrifft die A l k o h o l frage und die diesbezügliche Bundesrevision. Hier haben wir es mit einem erfreulichen Kompromiß zu thun, indem Centralisten und Föderalisten zu Bekämpfung dieses Todfeindes unserer Volkswohlfahrt in guten Treuen sich die Hände reichen. Es popularisirt in notwendiger Weise das gemeinvaterländisehe Grundgesetz, wenn es in Harmonie gebracht wird mit einem wirtschaftlichen Hauptpostulat des Schweizervolkes, und es
war vom Standpunkte des öffentlichen Rechtsbewußtseins hochgefährlich, wenn, wie es hisan geschehen, der klare Buchstabe des Grundgesetzes im unabweisbaren Interesse der sittlichen und physischen Volksgesundheit durchbrochen werden mußte. Von einer Besteuerung des armen Mannes kann um deswillen im Grunde nicht die Rede sein, weil ja nicht ein Lebensbedürfnis der Steuer unterliegt, weil durch energische, technisch-staatliche Koutrole nur

244 das eigentliche Gift verdrängt wird, sowie weil die edlern und harmlosem Getränkearten verwohlfeilt und dem Volke zugänglicher gemacht werden. Wenn aber die keineswegs glückliche Finanzlage der meisten Kantone gleichzeitig eine sehr wesentliche Besserung erhält, so ist das von nicht zu unterschätzender Bedeutung luv den Mittelmann, der unter einer zu intensiven Steuerlast am allermeisten leidet; und wem ein tüchtiger kantonaler Haushalt und die damit engverbundene kantonale Selbstständigkeit am Herzen liegt, dem muß sehr daran gelegen sein, daß neben dem blühenden eidgenössischen Fiskus die kantonalen Finanzdepartemente nicht verarmen.

Allerdings scheint uns durchaus gerechtfertigt, daß ein nicht zu knapper Theil der Gesarnmteinnahme zu Bekämpfung der den Alkoholismus fordernden und von ihm geförderten sozialen Noth Verwendung findet, und da wollen wir unter vielen nur zwei Thätigkeitsgebiete andeuten, die ErrichtungO des Namens würdiger Besserungsanstalten.

O ~ ' sowie die Einführung kantonaler Armeninspektorate und die rationelle Unterstützung der Kinderversorgung, auf daß den Kindern der Armen der Familienherd gewissenhafter Pflegeeltern zu einem recht heimeligen Heim werde und daß dergestalt aus ihnen sieh die strebsamen, tüchtigen, sittlich guten Elemente der Gesellschaft rekrutiren.

,,Meine Herren Ständeräthe! Der Kulturkampf löst überhaupt immer mehr und mehr den .,,Kulturkampf" ab, d. h. die politische Vertragsamkeit und die konfessionelle Freiheit sind notwendige Vorbedingungen für eine erfolgreiche Bekämpfung der sozialen Gefahren, welche gar ungestüm an den Thoren der staatlichen Ge Seilschaft pochen. Wir haben übrigens zu diesem Kampfe das allerbeste Zeichen im vaterländischen Wappenschild, das Zeichen des Opfers und der Liebe. Per falsche Sozialismus läßt in keiner Weise durch bloß theoretische und mechanische Abwehr sich aus dem Felde schlagen, sondern durch frische, energievolle sozialpolitische Arbeit und zumal durch s e h r v i e l Opfer und durch s e h r v i e l Liebe. Wir müssen auch in der Beziehung ein Volk von Eidgenossen sein und bleiben, daß der Arme das Eigenthum des Reichen, dus denn doch in unserm Lande zu allermeist das Erbe redlicher Arbeit ist, respektirt und heilig hält, und daß der Reiche sein Eigenthum sanktionirt und heiligt durch reiche, intelligente Opfer,
dargebracht auf dem Altar der Menschenliebe. Der richtige soziale Gedanke ist die weise Organisation der Gesellschaft zum allumfassenden Hülfsverein für alle wehrlose, ehrenhafte Noth.

Aber so viel Energie und Kraft vom Standpunkte des edelsten und wichtigsten Staatsberufes in diese praktisch erfaßte, soziale Staatsidee zu legen ist, so werden hiebei doch zwei Gesichtspunkte uns stets vor Augen schweben : erstens, daß wir ein Föderativstaat 1

245 sind und nicht ein Einheitsstaat, und daß die naturgemäße Erweiterung der Familie zuallernächst die Gemeinde und der heimische Gau sind, aus welchen dann allerdings das gesammte Schweizervolk zu e i n e m großen, nationalen, in Liebe verbundenen Familienverbaud herausgewachsen ist; zweitens aber, daß die hülfereiche Thätigkeit des tüchtigen Mannes und des selbstbewußten Volkes der Freiheit nicht entbehren kann und daß nirgends so vielleicht wie im eidgenössischen, praktischen und organisatorischen Sinne des schweizerischen Volkes die opferstarke Liebe einen gar verständigen und mächtigen Verbündeten im Geiste der freien Assoziation, überhaupt im Geiste der Freiheit hat. Also auch hier müssen scheinbar unvereinbare Gegensätze in höherer, gediegener Eintracht sich vereinen.

,,Meine Herren Kollegen! Erlauben Sie mir, noch einem Gedanken Ausdruck zu verleihen., den Sie im Munde des obwalclnerischen Abgeordneten begreiflich finden werden. Es ist wohl eine freundliche Rücksichtnahme auf die Urschweiz, daß der Saal der eidgenössischen Stände durch die Erinnerung an zwei urschweizerische Typen geziert ist: an Teil und Winkelried. Sie würden aber zur schönen Trias sich gestalten durch das Bild des großen Friedensmannes vom Stansertag. D e r Gedanke, welcher in der Bundesakte vom Jahre 1848 seine glückliche Verwirklichung erhielt, die eidgenössische, geschwisterliche Doppelsouveränetät von Volk und Ständen, er hat zuerst seine historische Vertretung gefunden itn Friedenswort und Priedenswerke Bruder Klausens. Er sprach zuerst im hochwichtigsten Momente an einem eidgenössischen Tag das rettende und einigende Wort von Volk und Ständen. Wir können in besten Treuen über die richtige Grenzmarke zwischen gemeinvaterländischer Einheit und kantonaler Freiheit streiten, darüber aber ist die ungeheuere Mehrheit des Seh weiter volkes einig, daß diese Einheit und diese Freiheit in ihrem organischen, herzinnigen Verbände die mehr denn felsenfesten Grundpfeiler des Bundes der Eidgenossen sind.

,,Der liebe Gott hat es so gefügt, daß im Centrum des europäischen Alpengebirges und seiner Abdachungen, in keineswegs einem der fruchtbarsten, wohl aber in einem der reiohgestaltigsten und schönsten Länder des Erdenrundes, durch eine überaus ruhmvolle Geschichte verschiedene Völkerstämme zu einer Nation sich zusammenfanden,
welche, in Nachbildung ihres Landes, in historischer, religiöser, sprachlicher und kultureller Beziehung gar tiefgehende, hochinteressante Gegensätze bildet. Das Land, wie gesagt an sich nicht reich, nöthigt die Menschen zur Arbeit, und wurde durch die Arbeit aus einer Wüstenei zu einem Paradiese. Die

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Menschen aber wurden durch den gerechten Kampf um die Freiheit und durch die geistige Reife, welche die Freiheit gibt, zu einem Volke von Eidgenossen. Unter dem eisernen Szepter des Despoten verstummt einzig der Kampf der geistigen Gegensätze, erlahmt das Interesse und die Sympathie für die idealsten Güter der Menschheit.

Die Freiheit eines tüchtigen Volkes findet den größten Ansporn in diesen Gegensätzen, charakterfeste Männer senken ihre Fahne nie, wenn es um die Verteidigung jener Prinzipien sich handelt, welche sie als heiligen Graal und als edelstes geistiges Erbtbeil tief in ihrer Seele bergen ; aber dieses tüchtige Volk und diese charakterfesten Männer werden verbunden durch ein höheres, unzertrennbar einigendes Band. Und dieses Band, es fin'dot seinen wahren, typischen Ausdruck nicht im Worte Toleranz, -- es liegt in diesem Worte viel Duldsamkeit, aber auch eine gewisse Indifferenz und eine gewisse Kälte -- nein, das Band, das ein braves Volk zu einem Bund von Eidgenossen bindet, es heißt: Lieb' und Treue.

Und vom Rütlischwur, vom Stansertag und von der Wengi-That, von den alten ewigen Bünden und den spätem Landfriedensbriefen bis zu den großen Werken der Liebe, die das Schweizervolk an jedem Tag der Noth bekundet, schrieb dieser Geist der Liebe und der Treue alle Goldruhmblätter der vaterländischen Geschichte. Diese Lieb1 und Treue ist ja ebenso sehr der Sclmtzgeist des Vaterlandes als die werkthätige soziale Frucht der Christuslehre.

,,Sie werden es mir verzeihen, daß ich zu lang geworden und vom geglätteten parlamentarischen Styl abgewichen bin. Gerade weil ich der politischen Minderheit in den eidgenössischen Käthen angehöre und ein Abgeordneter der Urschweiz bin, fühlte ich mich in meinem Herzen verpflichtet, in diesem für mich feierlichen Momente meiner patriotischen Ueberzeugungstreue ungeheuchelten Ausdruck zu verleihen. Getreue, liebe Eidgenossen der äußern Kantone! Das Volk der Urschweiz hängt mit angestammter Zähigkeit und mit mannhafter Ueberzeugungstreue an den religiösen Grundsätzen seiner Väter; es ist ein Volk, dem der uralte, mit «U' den herrlichen Traditionen des Landes erworbene Freiheitssinn tief und treu im Herzen wohnt; aber gerade dieser historische Freiheitssinn und diese wurzelhafte Vaterlandsliebe verbinden es durch ebenso zarte als starke Bunde in Kampf und
Frieden, in Noth und Gefahr mit dem gesammten Volk der Eidgenossen. Im lebendigen Rechtsgefühl und in der Freiheit jeder redlichen Ueberzeugung aber wurzelt nicht nur die Einheit, sondern deren patriotischer und sittlicher Halt und Gehalt, die Einigkeit des schweizerischen Volkes.

,,Indem ich, meine Herren Ständeräthe, Ihnen für Ihre kollegialische Nachsicht und Unterstützung während meiner Präsidial-

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leitung verbindlich danke, ei kläre ich unsere ordentliche Session für das Jahr 1885 als eröffnet."

Herr Landamman Z w e i f e l hat, nachdem er zum Präsidenten des Ständerathes gewählt worden war, folgende Worte gesprochen : "Verehrteste Herren Kollegen im Schweiz. Ständerathe!

,,In dem soeben von ihnen abgegebenen, nahezu einmüthigen Votum, welches den Sprechenden für die gesetzliche Amtsdauer auf den Präsidentenstuhl des Schweiz. Ständerathes beruft, liegt ein unzweideutiger Beweis von Ehre und Wohlwollen, nicht allein für den Gewählten, sondern ganz besonders und vor Allem aus für den kleinen Kanton Glarus, der mehr als einmal selbst in trüben Tagen die Sympathien der eidg. Mitstände in hohem Maße erfahren durfte, der hinwieder in allen großen, bewegenden Tagesfragen treu zur Bundesfahne gestanden hat und zweifellos diese Stellung auch fernerhin stets einnehmen wird.

,,Ich danke Ihnen, meine Herren, Namens des Kantons Glarus, wie auch für mich in aufrichtiger Weise für die uns erwiesene Ehre. Es wird mein eifrigstes Bestreben sein, Ihr großes Zutrauen durch eine unpartheiische Geschäftsleitung zu rechtfertigen, die Abwandlung der zahlreichen Geschäfte nach Kräften zu fördern und sie, im Verein mit Ihnen, der andern Kammer und dem h. Bundesrathe einer für Volk und Land der Schweiz. Eidgenossenschaft gedeihlichen Lösung entgegenzuführen.

,,Hiefür bedarf ich aber vor Allem aus Ihrer thatkräftigen Mitwirkung, Ihres freundlichen Wohlwollens und Ihrer gütigen Nachsicht, um die ich Sie hiermit ergebenst ersuche. Ich erkläre die Annahme der auf mich gefallenen Wahl."

Im S t ä n d e r a t h sind zwei neue Mitglieder erschienen, nämlich : für B e r n : Herr Friedrich B g g l i , Regierungsrath , von Rutti bei Buren, in Bern, in Ersetzung des Hrn. Großrath S a h l i 5 ,, W a l l i s: ,, Gustav L o r e t a n, Dr. jur. und Gerichtspräsident, von Leukerbad, in Leuk, an der Stelle des Hrn. Clausen.

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Die Bureaux beider Käthe sind bestellt worden wie folgt: Präsident: Vizepräsident: Stimmenzähler:

Präsident : Vizepräsident: Stimmenzähler:

1. N a t i o n a l r a t h .

Herr Andreas B e z z o l a , von und in Zernetz (Graubünden); ,, Henri M o r e l , Großrath, von Colombier, in Chaux-de-Fonds ; ,, Albert D ü r r e r, Landamrnann, von Thalwil, in Stanz (Unterwaiden); ,, Job. M o s e r , Bezirksstatthalter, von und in Klein-Andelfingen (Zürich); ,, Adrien T h è l i n . Negot., von Bioley-Orjulaz, in La Sarraz (Waadt); ,, Henri C u e n a t , Gerichtspräsident, von Coeuve, in Pruntrut.

2. S t ä n d e r a t h.

Herr Esajas Z w e i f e l , Landammann, von Linththal, in G-larus; Alphonse B o r j , Großrath, von und in n Coppet (Waadt); ,, Job. Jakob H o h l , Landammann, von Heiden (Appenzell A. Rh.), in Heiden; ,, Joseph C h a p p e x , Staatsrath, von Massongex (Wallis), in Sitten.

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