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Schweizerisches Bundesblatt

37. Jahrgang. III.

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Nr. 29.

27. Juni 1885.

Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von E. G e n i l l a r d und Konsorten, und von P. T h o n n e y und A. K u n z , betreffend das von der Regierung des Kantons Bern ausgesprochene Yerbot von Versammlungen der Heilsarmee.

(Vorn 3. Juni 1885.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h , nach Einsicht eines vom 27. April 1884 datirten Rekurses, der von B. G e n i l l a r d und 707 andern Einwohnern von Tavannnes, Biel, Moutier, Sonceboz und andern Ortschaften am 20, Mai 1884 eingereicht wurde; sowie eines am 13. August 1884 durch Advokat Lindt im Namen von P. T h o n n e y und Alfred K u n z an den Bundesrath gerichteten Rekurses; nach Einsicht des Gutachtens des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, In E r w ä g u n g : 1) E. Genillard und 707 andere Rekurrenten führen in ihrem Rekurse vom 27. April 1884 an, daß die Regierung von Bern am 7. Februar 1883 im ganzen Umfange des Kantons die öffentlichen Zusammenkünfte der Heilsarmee untersagt habe ; daß in Anwendung dieses Beschlusses die Regierungsstatthalter mehrerer jurassischer Bezirke, unter andern Neuenstadt uud Courtelary, die Verfügung getroffen haben, solche Zusammenkünfte, selbst wenn sie in PrivatBundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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wohnungen der Bürger stattfinden, zu verbieten ; und daß diese Verfügungen sich auf Artikel 6 des bernischen Gesetzes vom 31. Oktober 1875 stützen, welcher die Auflösung solcher religiöser Zusammenkünfte gestattet, bei denen die öffentliche Ordnung gestört wird, sei es auch durch Dritte.

Die Rekurrenten halten dafür, daß sowohl Artikel 6 des vorzitirten Gesetzes, als der Beschluß des Regierungsraths vom 7. Februar 1883, und die Anwendung, welche hievon gemacht wurde, dem Artikel 50 der Bundesverfassung, welcher den freien Gottesdienst gewährleistet, sowie dem Artikel 75, Alinea l, und Art. 78 der bernischen Verfassung zuwiderlaufen.

Sie verlangen daher vom Bundesrathe, er möchte die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die mißachteten verfassungsmäßigen Rechte zu wahren und die bernischen Behörden an ihre Pflicht zu mahnen.

2) Advokat Lindt, im Namen von P. Thonney und Alfred Kunz, zählt in einem vom 13. August 1884 datirten Rekurse die verschiedenen Maßnahmen auf, welche die bernische Behörde in Bezug auf die Heilsarmee getroffen hat, bis zu dem am 9. Juli von den Vertretern von Bern, Waadt und Neuenburg unterzeichneten und am 12. Juli vom Regierungsratbe gutgeheißenen Protokoll.

Er erinnert daran, daß dieses Protokoll zwar einerseits das gegen öffentliche Zusammenkünfte der Heilsarmee ausgesprochene Verbot provisorisch aufrechterhält, dagegen anderseits der Heilsarmee für private Versammlungen gesetzlichen Schntz zusichert. Sodann erzählt der Rekurs die Wirren, welche am 21. und 22. Juli 1884 in Biel ausbrachen, und das Nähere, darüber, wie die Versammlungen der Heilsarmee, trotzdem es rein private gewesen seien, zürn Gegenstand heftiger Angriffe gemacht worden, und erwähnt endlich die Schlußnahme der Regierung von Bern vom 22. Juli, bis auf Weiteres alle Zusammenkünfte der Heilsarmee irgendwelcher Art in Biel und Umgegend zu untersagen.

Diese letztere Verfügung ist es hauptsächlich, gegen welche Rekurrent sich beschwert. Er ist der Ansicht, daß dieselbe den Artikeln 49, 50 und 56 der Bundesverfassung zuwiderläuft. Er stellt demnach an den Bundesrath das Verlangen, er möchte das genannte Verbot der Berner Regierung aufheben und überhaupt die erforderlichen Maßnahmen treffen, um den Mitgliedern der Heilsarmee die Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu sichern.

3) Die Regierung von Bern hat diese zwei Rekurse durch eine einzige, vom 10. September 1884 dafirte Vernehmlassung beantwortet. Zur Rechtfertigung ihrer in den beiden Rekursen bean-

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standeten Verfügungen gegen die Heilsarmee beruft sich die Regierung ebenfalls und hauptsächlich auf den Art. 50 der Bundesverfassung, welcher die freie Ausübung gottesdienstlieher Handlungen nur innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet und sodann den Kantonen wie dem Bunde das Recht vorbehält, zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften die geeigneten Maßnahmen zu treffen. Hierauf werden die nähern Verumständungen auseinandergesetzt, welche solche Maßnahmen nöthig gemacht haben.

4) Bei Prüfung der vorliegenden Rekurse ist Alles bei Seite zu lassen, was den Art. 56 der Bundesverfassung oder die angerufenen Bestimmungen der bernischen Verfassung betrifft, indem der Bundesrath nicht kompetent ist, hierüber abzuurtheilen. Es hat sich daher die hierortige Prüfung der Rekurse auf die Untersuchung zu beschränken, ob die Verfügungen der bernischen Behörde eine Mißachtung der durch Art. 49 und 50 der Bundesverfassung gewährleisteten Rechte in sich sehließen.

5) Die Gewährleistung freier Ausübung aller gottesdienstliehen Handlungen, welche der genannte Art. 50 ausspricht, ist an xwei Vorbehalte geknüpft. Zunächst hat diese Ausübung innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung zu geschehen. Zweitens ist den Kantonen wie dem Bunde das Recht gewahrt, die geeigneten Maßnahmen zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften zu treffen.

Indem die Verfassung den Kantonen das Recht -- welches für sie zugleich eine Pflicht ist -- zuerkennt, jederzeit die erforderlichen Maßnahmen zur Herstellung der gestörten öffentlichen Ordnung zu ergreifen, unterläßt sie es im Uebrigen, anzugeben, welcher Art und wie weit gehend diese Maßnahmen sein dürfen. Anderseits steht es aber dem Bundesrathe -- gestützt auf seine Aufgabe, für die Handhabung der Bundesverfassung zu sorgen, und gestützt auf Art. 50 selbst -- zu, jederzeit zu prüfen, ob die von den Kantonen in Einschränkung der freien Ausübung des Gottesdienstes getroffenen Maßnahmen hinlänglich durch die Rücksicht auf die öffentliche Ordnung gerechtfertigt erscheinen. Dies ist es nun, was hier z,u untersuchen ist, um einen Entscheid über die vorliegenden
Rekurse zu fällen.

6) Es ist notorisch, daß die Heilsarmee überall, wo sie sich niederzulassen suchte, Anlaß zu Ruhestörungen gab, selbst in Gegenden wo die Bevölkerung sonst die völligste Religionsfreiheit respektiert,

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und wo religiöse Sekten sieh ungestört vermehren und entwickeln konnten. Es ist dies ohne Zweifel dem seltsamen Auftreten der Heilsarmee zuzuschreiben, welches dieselbe bei ihren Uebungen und ihrer Propaganda zeigt, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und jene Aufregung hervorzurufen, welche, wie ernstliche Schriftsteller behaupten und die Thatsachen zu beweisen scheinen, zu den planmäßigen Aktionsmitteln der Heilsarmee gehört.

7) Die Ruhestörungen, welche die Uebungen der Heilsarmee in allen Ländern, wo sie auftrat, insbesondere in den schweizerischen Kantonen, wo sie sich niederließ, hervorriefen, wiederholten sich auch im Kanton Bern. Die Rekurrenten anerkennen mit der dortigen Kantonsregierung, daß es sich da um bedeutendere Unruhen handelte.

8) Die Regierung von Bern hatte nicht erst die Ankunft der Heilsarmee abgewartet, um Vorsorge zu treffen gegen die Ruhestörungen, welche in allen Ländern den Zusammenkünften der Salutisten auf dem Fuße zu folgen pflegten. Gewitzigt durch die Erfahrung der westschweizerischen Kantone, verbot sie bereits am 7. Februar 1883 alle ö f f e n t l i c h e n Versammlungen der Heilsarmee und gab ihren Regierungsstatthaltern entsprechende Weisungen.

Diese Verfügung scheint jedoch nicht befolgt worden zu sein, denn Anfangs April 1884 denunzirte der Regierungsstatthalter von Neuenstadt der Regierung eine öffentliche Versammlung der Salutisten, welche unter freiem Himmel in Champ Fahy stattgefunden hatte. Er gab auch an, daß bei Wittwe Tschiffeli nächtliche Zusammenkünfte erfolgten, von denen eine bis 5*/2 Uhr Morgens gedauert habe. Der Regierungsstatthalter fügte bei, daß die Aufregung in Neuenstadt groß sei. Gleichzeitig stellten 171 dortige Bürger das Gesuch an die Regierung, sie möchte gegen die Salutisten die Bestimmungen des Gesetzes anwenden, welche gegen Störer des religiösen Friedens gerichtet sind.

Die Polizeidirektion von Bern beantwortete diese Mittheilung unterm 9. April 1884 mit folgender Zuschrift: B e r n , den 9. April 1884.

Die Polizeidirektion des Kantons Bern an das Regierungsstatthalteramt des Bezirks Neuenstadt.

H e r r Regierungsstatthalter!

Da aus amtlichen Berichten erhellt, daß die Versammlungen der Salutisten bei Frau Tschiffeli den Charakter öffentlicher Zusammenkünfte angenommen haben, indem hiezu förmlich eingeladen wird und in letzter Zeit

401 auch Fremde daran Theil genommen haben, so beauftrage ich Sie, der Frau Tschiffeli mitzutheilen, daß hierüber an den Regierungsrath Bericht erstattet wird und daß bis auf Weiteres jede Zusammenkunft von Satutisten förmlich verboten ist. Dagegen wird mit aller Strenge gegen Sturer der öffentlichen Ruhe, welche sich einer Beschädigung fremden Eigenthums schuldig gemacht haben, eingeschritten werden.

Sollten Sie für den Fall von Zuwiderhandlungen mehr Polizeimannschaft bedürfen, zur Vollziehung der ertheilten Befehle, so gewärtige ich hierüber eine telegraphische Anzeige.

Mit vollkommener Hochachtung!

Der P o l i z e i d i r e k t o r : (Gez.) v. Wattenwyl In der Zwischenzeit waren in Neuenstadt schwere Unruhen ausgebrochen und die Ruhestörer den Gerichten Überwieset) und bestraft worden.

Im gleichen Zeitpunkte drangen die Salutisten in den Bezirk Courtelary ein, von wo her ebenfalls nächtliche Zusammenkünfte signalisir wurden. Sofort zeigte sich in der Bevölkerung dieses Bezirks eine große Aufregung, so daß der Regierungsstatthalter alle Versammlungen der Heilsarmee verbietenzuu sollen glaubte.

Allein die Regierung genehmigte dieses Verbot nicht, sondern sprach sich ausdrucklich gegen dasselbe aus, wie dies aus einem am 28. April 1884 von der Polizeidirektion an die Regierungsstatthalter von Neuenstadt, Biel und Courtelary gerichteten Kreisschreiben erhellt, welches wie folgt lautet: B e r n , den 28. April 1884.

Schreib e 11 der Direktion der Polizei des Kantons Bern an die Regierungsstatthalterämter Neuenstadt, Biel. Courtelary. Münster, Delsberg und Pruntrut.

Die Auslegung, welche das Kreisschreiben des Regierungsrathes vom 7. Februar 1883, betreffend die Heilsarmee, mit Rücksicht auf die Vorfälle aus jüngster Zeit erfahren hat, bedarf in verschiedenen Beziehungen der Berichtigung und Ergänzung.

Es ist vor Allem nothwendig, daran zu erinnern, daß in demselben nur die öffentlichen Zusammenkünfte und Versammlungen der Salutisten untersagt sind, keineswegs aber solche von rein privatem Charakter. Eine genaue Grenze zu ziehen zwischen öffentlichen und privaten Versammlungen, ist nun allerdings nicht ganz leicht; indessen gibt es doch gewisse Momente, wie die Wahl der Lokalitäten (Lokale mit öffentlichem Charakter oder Privatwohnungen), die Art und Weise der Einladungen, die Dauer und der Verlauf

402 der Verhandlungen, der Eintritt unbefugter Personen n. s. w., welche den Charakter derselben ziemlich genau kennzeichnen.

So lange kein allgemeines Verbot der Mitgliedschaft der Heilsarmee auf dem Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft oder des Kantons Bern existirt, haben die Behörden auch kein Recht, private Zusammenkünfte der Mitglieder der Heilsarmee, außerordentliche Umstände vorbehalten, zu untersagen oder solche aufzuheben.

Jedenfalls aber können die an verschiedenen Orten vorgekommenen Störungen der Versammlungen, Beschädigungen an Gebäuden, Beschimpfungen und Mißhandlungen von Mitgliedern der Heilsarmee durch dritte Personen, in der Regel jüngere Leute, Trunkenbolde oder sonst iibelbeleumdete Individuen, absolut nicht geduldet werden.

Es ist daher Pflicht der Staats- und Gemeindsbehörden, mit aller Strenge gegen solche Ruhestörungen und Exzesse einzuschreiten und die Urheber derselben unnaehsichtlich bekannt zu machen und von Amtes wegen dem Richter zu überweisen. Die Angaben, daß solche nicht auszurnitteln sind, sind leere Ausflüchte und geben der Vermuthung Baum, daß die betrefl'eude Polizeimannschaft ihre Aufgabe vergißt oder mißkennt, dadurch, daß sie es unterläßt, ohne Rücksicht auf die Personen und die besondern Umstände, gewissenhaft und kräftig einzuschreiten. Landjäger, welche ihre Pflicht nicht erfüllen oder, wie es behauptet worden, die Skandalmacher ermuntert, oder mit ihnen, statt sie anzuzeigen, im Wirthshaus zusammengesessen haben, oder in Zukunft es noch thun sollten, sind sofort dem Landjägerkommando oder der Polizeidirektion zu strenger Ahndung zu verzeigen.

Verhaftungen von Mitgliedern der Heilsarmee sind ohne besondere, auf gesetzliche Bestimmungen sieh stützende (jründe oder ohne Einwilligung der Polizeidirektion nicht zuläßig und könnten höchst unangenehme Reklamationen zar Folge haben. Unter Umständen können solche, allerdings zu ihrem eigenen Schütze, polizeilich begleitet werden. Andererseits sind öffentliche Versammlungen der Heilsarmee (nicht zu verwechseln mit andern religiösen Versammlungen, wie z. B. den Tempereuzgesellschaften) auch fernerhin zu untersagen und ist, wenn es die Umstände gebieten, gegen dieselben polizeilich einzuschreiten. Es soll dies aber jeweflen in einer Weise geschehen, daß sich das Publikum nicht darein mischt, und zu
diesem Zwecke nöthigen Falles telegraphisch genügende Polizeimannschaft heigezogen werden Wir laden Sie ein, diesen Weisungen genau nachzukommen, mit der nothwendigen Vorsicht und Energie vorzugehen und der Polizeidirektion über jeden Vorfall sofort genauen Bericht zu erstatten.

Der P o l i z e i d i r e k t o r : (Sig.) v. Wattenwyl.

Schon damals h a l t e das eidg. Justiz- und Polizeidepartement von der Regierung von Bern, wie von derjenigen von Neuenburg, Aufschlüsse verlangt über die Angriffe, welche die Salutisten in.

diesen Kantonen zu erdulden hatten (29. März 1883). Bald nachher hatte der Bundesrath sein Justiz- und Polizeidepartement beauftragt, ihm Bericht zu erstatten über die in der Schweiz anläßlich der Uebungen der Heilsarmee stattgehabten Störungen und über die diesfalls gefaßten Beschlüsse. Das Departement seinerseits verlangte bezügliche Berichte von den Kantonen mit Kreisschreibeii vom

403 5. Mai 1884; sodann hatte dasselbe mehrmals die Vorsteher der Polizeidepartemente der betheiligten Kantone zusammenbei-ufen, um von ihnen Auskunft zu erhalten über die Ergebnisse der getroffenen Verfügungen, sowie über die Dauer, für welche diese Verfügungen gelten sollten, und um sich mit der Frage zu befassen, was inskünftig zu thun sein möchte, um die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung mit der freien Ausübung aller Kulte, wie die Bundesverfassung sie gewährleistet, in Einklang zu bringen.

Infolge dieser Konferenzen wurde am 9. Juli 1884 folgendes Protokoll von den Chefs der Polizeidepartemente von Bern, Waadt und Neuenbarg unterzeichnet: Protokoll.

Die Vorsteher der Justiz- und Polizeidepartemente der Kantone Bern, Waadt und Neuenbnrg sind in Bern zur Berathung der Präge zusammengetreten, wie sich die in diesen Kautonen in Bezug auf die Heilsarmee gefaßten Schlußnahmen bewährt haben und welche Abänderungen an denselben die Umstände allfällig gestatten dürften.

Sie haben sich damit einverstanden erklärt, daß die in Einschräukung der Kultusfreiheit erlassenen Verfügungen, welche in mehreren Kantonen durch das Auftreten der Heilsarmee veranlaßt worden sind, angesichts des Art. 50 der Bundesverfassung nur eine vorübergehende oder einstweilige Geltung haben können und daß ihre Beibehaltung nur soweit gerechtfertigt sei, als die Sicherung der öffentlichen Ordnung sie nöthig erscheinen lasse.

Wenn einerseits der Augenblick noch nicht gekommen zu sein scheint, ·wo diese Schlußnahmen, durch welche die Versammlungen der Heilsarmee verboten werden, aufgehoben werden können, so haben die Konferenzteilnehmer anderseits immerhin gefunden, daß sich doch wenigstens die Tragweite oder die Anwendung jener Beschlüsse durch eine gleichmäßige Auslegung etwas einschränken lasse.

Demgemäß wurde beschlossen, die gegen die Heilsarmee ausgesprochenen Verbote auf solche Zusammenkünfte zu beschränken, welche einen öffentlichen Charakter haben.

Als solche haben zu gelten: Diejenigen Zusammenkünfte, welche in Lokalen stattfinden, die öffentlich sind oder gewöhnlich zu öffentlichen Versammlungen benutzt werden ; diejenigen, welche im Freien, wo das Publikum Zutritt hat, stattfinden ; diejenigen, welche durch Anschlag oder durch Anzeige in den öffentlichen Blättern veranstaltet werden.

Ferner hat die Heilsarmee
sich zu enthalten. Prozessionen in Städten, Dörfern oder Weilern vorzunehmen, sich nach 10 Uhr Abends zu versammeln und bei ihren Zusammenkünften Trompeten oder andere Musikinstrumente zu gebrauchen, welche bei religiösen Versammlungen nicht üblich sind und deren Verwendung Ruhestörungen herbeiführen könnte.

Dagegen sollen Zusammenkünfte der Heilsarmee, welche diesen Vorschriften nicht zuwiderlaufen, des gleichen Schutzes theilhaftig sein, wie er audern Religionsvereinigungen gewährt ist.

404 Die Unterzeichneten werden gegenwärtiges Protokoll ihren Regierungen zur Ratifikation unterbreiten und sodann, mit letzterer versehen, dem eidg.

Justiz- und Polizeidepartement mittheilen.

B e r n , den 9. Juli 1884.

(Gez.) Dr. Gobat, für den Polizeidirektor.

,, Boiceau.

,, Cornaz.

Ra ti fikation.

Der R e g i e r u n g s r a t h des K a n t o n s Bern ertheilt dem gegenwärtigen Protokolle die Genehmigung.

B e r n , den 12. Juli 1884.

Ein Namen des Regierungsrathes, Der Präsident: (L. S.)

Eggli.

Der Staatsschreiber: Berger.

Dieses Protokoll erhielt am 12. Juli die Genehmigung des Regierungsrathes und wurde von demselben mit Kreisschreiben vom 17. gl. Mts. den Regierungsstatthaltern zu ihrem künftigen Verhalte zur Kenntniß gebracht. Dasselbe hatte aber nicht einen so günstigen Erfolg, wie in den andern Kantonen, denn bereits am 20. und 21. Juli brachen in Biel Unruhen so intensiver Art aus, daß die Regierung eine starke Gendarmerie-Abtheilung dorthin schicken und zwei Infanterie-Kompagnien auf Piquet stellen mußte. Die Ruhestörer wurden den Gerichten überliefert und bestraft. Anderseits aber bemerkt die bernische Regierung in ihrer Vernehmlassung, daß die Salutisten Versammlungen abgehalten hatten, welche unter der Maske von Privat-Zusammenkünften in Wirklichkeit öffentliche waren, dem Protokolle vom 9. Juli zum Trotze. Deßhalb wurde, übrigens entsprechend dem Begehren einer öffentlichen Versammlung, bei welcher fast alle Bürger von Biel anwesend waren, von der Regierung, unterm 27. August, eine neue Schlußnahme betreffend das Auftreten der Heilsarmee gefaßt, welche wie folgt lautet: Beschluss

betreffend das Auftreten der Heilsarmee.

(27. August 1884.)

Der R e g i e r u n g s r a t h des Kantons Bern, in B e t r a c h t u n g : 1) daß das Auftreten der unter der Bezeichnung ,,Heilsarmee" bestehenden Genossenschaft in mehreren Ortschaften des Kantons zu groben

405 Ruhestörungen Veranlaßung gegeben hat, weßhalb ein Einschreiten der Staatsbehörde zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung geboten erscheint ; 2) daß nämlich die Art und Weise des Auftretens dieser Genossenschaft, insbesondere die marktschreierische Form ihrer Ankündigungen und publizistischen Propaganda, die öffentlichen Aufzüge, das Tragen von Uniformen und andern Abzeichen der Mitgliedschaft, das Andauern lärmender Versammlungen in die späte Nacht hinein und das Sammeln von Geldern zu unbekannter Verwendung, nach den religiösen Anschauungen des Volkes nicht als Ausübung gottesdienstlicher Handlungen gelten, sondern vielmehr Aergerniß und Unwille erregen ; 3) daß aber auch dann, wenn die Heilsarmee als religiöse Genossenschaft und deren Uebungen theilweise als gottesdienstliche Handlungen im Sinne des Art. 50 der Bundesverfassung betrachtet werden sollten, diese Uebungen sich nicht innerhalb der Schranken der öffentlichen Ordnung bewegen und erfahrungsgemäß zu Ruhestörungen Anlaß geben ; 4) daß unter der nämlichen Voraussetzung die Heilsarmee mit Rücksicht auf ihre Organisation und Centralleitung als eine fremde religiöse Korporation anzusehen wäre, deren Wirksamkeit im Kanton zu dulden die Staatsbehörden nicht verpflichtet sind: in Anwendung des Art. 50, Absätze l und 2, der Bundesverfassung, der §§ 40 und 82 der Kantonsverfassung und des Dekrets betreffend die Strafbestimmungen über Widerhandlungen gegen Verordnungen des Regierungsrathes vom 1. und 2. März 1858, beschließt: Art. 1. Die Uebungen der Heilsarmee sowie jede propagandistische Thätigkeit derselben sind im Gebiete des Kantons untersagt.

Art. 2. Uebertretungen dieses Verbots werden an den einzelnen Theilnehmern mit Geldbuße bis zu Fr. 200 oder mit Gefangenschaft bis zu 3 Tagen bestraft.

Vorbehalten bleibt die Bestimmung in § 6 des Gesetzes betreffend Störung des religiösen Friedens vom 31. Oktober 1875, sowohl bezüglich des dort der Polizei eingeräumten Rechts, Versammlungen oder Zusammenkünfte aufzuheben, bei denen, sei es von Theilnehmern, sei es von dritten Personen, die öffentliche Ordnung gestört wird, als bezüglich der Strafandrohung.

Art. 3. .Dieser Beschluß ist in die Gesetzsammlung aufzunehmen und soll in einer hinreichenden Zahl von Abzügen den Regierungsstatthalterämtern für sich und die Richterämter, sowie in
denjenigen Amtsbezirken, welche hauptsächlich von der Heilsarmee aufgesucht werden, zu Händen der Polizeiorgane des Staates und der Gemeinden zugestellt werden.

B e r n , den 27. August 1884.

Im Namen des Regierungsrathes, Der Präsident: Eggli.

Der Staatsschreiber: Berger.

Dieser Beschluß, welcher den Salutisten vollständig jedes Recht, ihren Uebungen obzuliegen, selbst in Privat-Zusammenkünften, zu benehmen scheint, wurde durch das Kreisschreiben gemildert, mit weichern der Beschluß übersandt wurde; dieses Kreisschreiben hat folgenden Wortlaut :

406 Kreisschreiben des Regierungsrathes

au die Regierungsstatthalter betreffend das Auftreten der Heilsarmee.

B e r n , den 27. August 1884.

H e r r Regierungsstatthalter!

Wir haben unter heutigem Tage einen Beschluß betreffend das Auftreten der Heilsarmee im Kantonsgebiete gefaßt, von welchem wir Ihnen in Ausführung von Art. 3 desselben die entsprechende Anzahl zustellen lassen.

Zu Ihrer Instruktion fügen wir hiermit bei, daß wir mit dem in Art. ] enthaltenen Verbot vornehmlieh die Veranstaltung von Aufzügen und solchen Versammlungen, welche Ruhestörungen befürchten lassen, und im Weitern nach Mitgabe von Erwägung 2 alle diejenigen Erscheinungen im Auftreten der Heilsarmee sowie in der Thätigkeit ihrer Leiter oder Mitglieder im Auge haben, welche geeignet sind, Aergerniß und Unwille bei der Bevölkerung zu erregen. Ein ganz besonderes Augenmerk wollen Sie darauf richten, daß keine landesfremden Elemente ihre Wirksamkeit zu Zwecken der Heilsarmee in Ihrem Bezirke entfalten können, weil notorischermaßen die Vorstellung hei unserer Bevölkerung am meisten Anstoß erregt, daß es hauptsächlich auf eine finanzielle Ausbeutung unerfahrner und leichtgläubiger Personen abgesehen sei.

Hingegen verstehen wir unter den von uns verbotenen Hebungen der Heilsarmee nicht solche Zusammenkünfte in Privatwohnungen, welche keinerlei Störungen der öffentlichen Ruhe verursachen. Diese sollen vielmehr unbehelligt bleiben.

Sie wollen Ihre Polizeiorgaue in diesem Sinne instruiren und namentlich auch dafür sorgen, daß die polizeiliche Aufhebung von Versammlungen, soweit die thatsächlichen Verhältnisse dies gestatten, jeweilen nur in Folge einer Verfügung von Ihnen oder des zuständigen Gemeindrathspräsidenten stattfindet.

Wir machen Sie zum Schlüsse noch besonders darauf aufmerksam, daß Ruhestörungen, Hausfriedensbruch, Mißhandlungen, Eigenthumsbeschädigungen und andere Rechtsverletzungen, welcher sich dritte .Personen anläßlich des Auftretens der Heilsarmee schuldig machen sollten, durch das Bestehen des gegenwärtigen Verbotes in keiner Weise strafrechtlich entschuldigt werden.

Im Kamen des Regierungsrathes, Der Präsident : Eggli.

Der Staatsschreiber: Berger.

Seither haben an verschiedenen Orten des Kantons Versamlungen der Salutisten stattfinden können, ohne daß weitere Unordnungen vorgekommen wären.

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9) Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die von den Behörden des Kantons Bern in Einschränkung der freien Ausübung des Gottesdienstes der Heilsarmee getroffenen Maßnahmen die Herstellung der schwer gestörten öffentlichen Ordnung zum Zwecke hatten ; sowie im Weitern, daß diese Maßnahmen heute nur die öffentlichen Zusammenkünfte betreffen und den Mitgliedern der Heilsarmee unbenommen lassen, in Privatlokalen zusammenzukommen und daselbst ihren Gottesdienst, unter slaatlichem Schütze, auszuüben.

Unter solchen Umständen ist unverkennbar, daß die Regierung von Bern bei Erlaß der betreffenden Verfügungen von einem Rechte Gebrauch gemacht hat, welches der Artikel 50, Alinea 2, der Bundesverfassung den Regierungen zuerkennt; anderseits aber leidet es auch keinen Zweifel, daß die von genannter Regierung gegen die Heilsarmee erlassenen Verfügungen nur provisorischer Natur sein können, und daß es dem Bundesrathe jederzeit zukommt, zu prüfen, öl) der Moment gekommen sei, solche abzuändern oder aufzuheben ; b es ehließ t:

1. Der Rekurs von E. Genillard und Konsorten und der Rekurs von P. Thonney und Konsorten werden abgewiesen.

2. Die Regierung von Bern ist eingeladen, dein Bundesrathe mitzutheilen, ob sie ihren Beschluß vom 27. August 1884 gegen die Heilsarmee noch länger aufrechtzuhalten gedenke, und bejahendenfalls die Gründe anzugeben, welche ihr den weitern Fortbestand dieses Beschlusses nothwendig erscheinen lassen.

3. Gegenwärtiger Beschluß ist dem Regierungsrathe des Kantons Bern und den Rekurrenten mitzutheilen, unter Rücksendung der Akten an wen Rechtens.

B e r n , den 3. Juni 1885.

Im Kamen des schweiz. Bundesrathes.

Der B u n d es p r ä sid en t:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs von E. Genillard und Konsorten, und von P.

Thonney und A. Kunz, betreffend das von der Regierung des Kantons Bern ausgesprochene Verbot von Versammlungen der Heilsarmee. (Vorn 3. Juni 1885.)

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27.06.1885

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